Renate Behr
Nichts als blauer Dunst
Als sich die schwere Eingangstür zur Polizeiwache in Werne öffnete, sah der Beamte kurz auf. Der Anblick verschlug ihm fast den Atem. Brünett, etwa Mitte dreißig und gekleidet in einen wahrscheinlich sündhaft teuren Nerzmantel und hohe schwarze Lederstiefel betrat eine Frau den Vorraum und ging zielstrebig auf die Glasscheibe zu.
Sie klopfte ungeduldig an und Polizeimeister Christian Wörner öffnete rasch das Schiebefenster. Ohne ihm einen guten Tag zu wünschen, begann die Dame sofort zu reden:
»Ich möchte eine Vermisstenanzeige aufgeben. Mein Name ist Annette von Bechtholf-Opendieck.«
Christian nickte kurz und deutete auf die Tür. Der Türöffner summte und mit Annette von Bechtholf-Opendieck rauschte eine ganze Wolke vermutlich ebenfalls sehr teuren Parfüms in den Raum. Der Polizist stellte ihr einen Stuhl zurecht und sah sie aufmerksam an.
»Wen möchten Sie denn als vermisst melden?«
»Meinen Ehemann, Friedhelm Opendieck.«
»Gut, Frau Opendieck ...«, weiter kam Christian Wörner nicht.
»Von Bechtholf-Opendieck, bitte. Ich glaube, das sagte ich bereits.«
Affektiert zupfte sie sich die schwarzen Lederhandschuhe von den Fingern und zog ein mit Spitzen verziertes Taschentuch aus der Manteltasche, das sie an ihre Augen drückte, obwohl dort nicht eine Träne zu sehen war. Christian Wörner war irritiert.
»Verzeihung, also Frau von Bechtholf-Opendieck, wann haben Sie Ihren Mann denn zum letzten Mal gesehen?«
»Warten Sie, das war am Samstag, glaube ich. Ja, am Samstag.«
Erstaunt zog der Beamte die Augenbrauen hoch.
»Am Samstag, also. Und heute ist Mittwoch. Warum sind Sie denn nicht schon früher gekommen?«
»Ach, wissen Sie, zuerst habe ich gedacht, er verbringt mal wieder ein Wochenende mit einem seiner jungen Flittchen. Normalerweise kommt er dann am Montag reumütig mit einem großen Rosenstrauß zurück und alles ist wieder gut.«
»Aber dieses Mal ist er nicht am Montag zurückgekommen, nicht wahr? Dann hätten Sie aber doch schon gestern die Vermisstenanzeige aufgeben können.«
»Gestern? Nein, das war völlig unmöglich. Da hatte ich einen Ganztagestermin auf einer Beautyfarm in Bad Sassendorf. Den konnte ich unmöglich absagen. Und außerdem, ein Tag früher oder später, was macht das schon aus? Man hört doch immer, dass die Polizei sowieso nicht sofort mit der Suche anfängt. Aber jetzt mache ich mir doch langsam Sorgen. Schließlich hat er kein Geld. Ich glaube, meinem Mann ist etwas zugestoßen. Im Werner Krankenhaus habe ich schon angerufen, aber da ist er nicht aufgetaucht.«
Annette von Bechtholf-Opendieck öffnete ihre Handtasche, holte ein silbernes Zigarettenetui heraus und sah sich suchend um.
»Haben Sie denn keinen Aschenbecher hier?«
»Tut mir leid, aber das Rauchen ist hier leider nicht gestattet.«
Mit gerunzelter Stirn und schwer seufzend legte Annette die Zigarette beiseite. Sie murmelte leise »unglaublich«. Diese Rauchverbote, die langsam immer mehr um sich griffen, fand sie einfach unmöglich. Raucher wurden überall schief angesehen. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit aber doch wieder dem Beamten zu.
»Könnte es sein, dass Ihr Mann eine Affäre hat und sich deshalb einfach von Ihnen getrennt hat?«
»Jetzt werden Sie mal nicht unverschämt, junger Mann. Sie kennen meinen Mann doch gar nicht. Dazu wäre er gar nicht in der Lage. Was soll er denn machen ohne mich und ohne mein Geld? Er hat doch nichts.«
Christian Wörner dachte, dass es wahrscheinlich angenehmer wäre, obdachlos auf der Straße zu leben als mit dieser Frau. Aber das sagte er natürlich nicht laut.
»Dann scheidet eine geschäftliche Reise ja wohl auch aus, gnädige Frau, nicht wahr? Wenn Sie also nicht daran glauben, dass Ihr Mann freiwillig verschwunden ist, könnte es vielleicht sein, dass er entführt wurde? Hat Ihr Mann Feinde?«
»Feinde? Nein, sicher nicht. Er kennt ja kaum jemanden. Aber Entführung? Nun ja, ich bin ziemlich vermögend. Aber dann hätte man sich doch sicher bereits mit einer Lösegeldforderung an mich gewendet, glauben Sie nicht auch?«
Für einen Moment schien die ansonsten so arrogant und selbstsicher wirkende Frau etwas verunsichert. Dann zuckte sie mit den Schultern.
»Also, von mir kriegen die keinen Cent, wenn es sich wirklich um eine Entführung handeln sollte. Hier bitte, ich habe Ihnen ein Foto von meinem Mann mitgebracht. Sie werden doch jetzt nach ihm suchen, oder?«
Christian nickte, obwohl er sich gerade die Frage stellte, wieso sie den Mann, von dem sie offensichtlich so gar nichts hielt, unbedingt zurückhaben wollte. Aber das ging ihn nichts an. Er nahm die Anzeige zu Protokoll und das Foto behielt er ebenfalls.
»Frau von Bechtholf-Opendieck, die Kriminalpolizei aus Unna wird sich in Kürze bei Ihnen melden. Da kommen dann auch wahrscheinlich ein paar Techniker, die eine Fangschaltung an Ihrem Telefon einrichten werden. Das ist eine reine Vorsorgemaßnahme für den Fall, dass Ihr Mann tatsächlich entführt wurde.«
Sie nickte nur, nahm Ihre Handtasche und verließ den Wachraum wieder.
Christian rief in Unna bei der Kreispolizeibehörde an. Er wurde unmittelbar durchgestellt zu Kriminalkommissar Jens Wischkamp, mit dem er häufiger zusammenarbeitete. Kurz schilderte der Beamte seinem Kollegen, was sich gerade abgespielt hatte. Jens Wischkamp notierte sich die Adresse und versprach, sich sofort um alles zu kümmern.
»Gib du das Foto bitte an alle Dienststellen im Umkreis und an die Bahnhofspolizei in Münster, Dortmund und Hamm weiter. Ach ja, vergiss die Flughäfen nicht. Außerdem könntest du vielleicht mal abklären, ob es irgendwelche schwereren Unfälle gegeben hat, bei denen ein Verletzter keine Papiere bei sich hatte. Ich fahre dann gleich mal rüber zu seiner Frau und lasse mir alle möglichen Kontaktdaten geben.«
»Na, da wünsche ich dir schon mal viel Vergnügen. Also ehrlich, Jens. Wer so eine Frau hat, der braucht keine Feinde mehr. Wenn du mich fragst, der Kerl ist untergetaucht, weil er es Zuhause nicht mehr ausgehalten hat. Wenn der nicht gefunden werden will, dann finden wir den auch nicht.«
Annette von Bechtholf-Opendieck schaute missmutig auf die Uhr, als es an der Haustür klingelte. Das war bestimmt der Kriminalbeamte, der noch vorbei kommen wollte. Sie drückte ihre Zigarette im Aschenbecher auf dem Schuhschrank in der Diele aus und öffnete. Jens zückte seine Marke und stellte sich vor. Die Frau bat ihn herein. »Bodennebel«,dachte Jens. Ihm als Nichtraucher fiel sofort auf, dass
Eingangsbereich und Wohnzimmer extrem nach Zigarettenrauch rochen und der Qualm noch in der Luft hing. Er schaute sich im Vorübergehen um und sah auf allen Schränken und Tischen mehr oder weniger überfüllte Aschenbecher. Das störte den Gesamteindruck der ansonsten sehr aufgeräumten Villa mit ihren sicher teuren Möbeln ganz erheblich.
Annette von Bechtholf-Opendieck hatte schon die nächste Zigarette angezündet, obwohl die letzte noch im Aschenbecher in der Diele vor sich hin qualmte. Offensichtlich setzte ihr das Verschwinden ihres Mannes mehr zu, als sie zugeben mochte. Jens kam gleich zur Sache und dachte auch an die mahnenden Worte von Christian Wörner.
»Vergiss bloß das von Bechtholf nicht, da reagiert die Dame ausgesprochen genervt drauf.«
»Frau von Bechtholf-Opendieck, Sie haben heute Ihren Ehemann als vermisst gemeldet. Wir haben natürlich bereits eine Suchmeldung herausgegeben, aber es wäre hilfreich, wenn wir ein wenig mehr über Ihren Mann wüssten. Sind Sie wirklich ganz sicher, dass er nicht freiwillig einfach von zu Hause weg ist?«
Annette sah ihn an und zog eine Augenbraue hoch. Schon wieder eine so unverschämte Frage. Was dachten sich diese Beamten eigentlich.
»Das habe ich doch schon Ihrem Kollegen auf der Polizeiwache erklärt. Mein Mann hat keinen Grund, nicht nach Hause zu kommen. Erstens weiß ich, dass er immer mal wieder ein neues Flittchen hat, mit dem er sich vergnügt. Wir haben da unser eigenes Arrangement. Und zweitens, Herr Kommissar, er hat kein Geld. Ohne mich und mein Geld ist er völlig aufgeschmissen. Schauen Sie sich doch um. Glauben Sie wirklich, er wäre so dumm, auf das alles hier zu verzichten?«
»Hat Ihr Mann denn kein eigenes Einkommen?«
»Natürlich hat er das. Er arbeitet ja für mich. Dafür bekommt er Kost und Logis frei, ein Auto und natürlich ein großzügiges Taschengeld. Aber selbstverständlich hat er keine Bankvollmacht über meine Konten. Und von seinem Taschengeld kann er kaum etwas sparen. Er muss ja seine jungen Dinger beeindrucken mit teuren Geschenken. Deshalb habe ich ja auch so lange gewartet. Ich dachte, wenn das Geld alle ist, kommt er zurück. Das hat er immer getan. Aber dieses Mal eben nicht.«
Aufseufzend zupfte sie ein Spitzentaschentuch aus ihrer Jackentasche und tupfte sich die Augen. Dann griff sie erneut zur Zigarette.
»Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, gnädige Frau. Aber Sie rauchen ziemlich viel im Augenblick. Ich kann ja verstehen, dass Sie gestresst und geängstigt sind, aber denken Sie doch bitte an Ihre Gesundheit.«
Schlagartig veränderte sich der Gesichtsausdruck von Annette von Bechtholf-Opendieck. Ihr Blick wurde stechend, die Stirn war gerunzelt und Wut und Hass schlugen dem überraschten Kommissar entgegen.
»Ob und wie viel ich rauche, ist ausschließlich meine Angelegenheit. Das geht Sie überhaupt nichts an. Wird man als Raucher jetzt schon in den eigenen vier Wänden attackiert? Genügt es nicht, dass man kaum noch Restaurants findet, in denen man rauchen darf? Machen Sie doch einfach Ihre Arbeit und finden Sie heraus, was mit meinem Mann passiert ist. Ich muss wissen, ob er unversehrt ist und zurückkommt. Ach ja, und bei der Gelegenheit hätte ich noch eine rechtliche Frage, die Sie mir sicher beantworten können. Wenn er nicht zurückkommt und Sie ihn auch nicht finden können, wann kann ich denn dann meinen Mann für tot erklären lassen?«
Jens blieb die Luft weg. Das konnte ja wohl nicht wahr sein. Der Mann war gerade einmal drei Tage verschwunden. Die Trauer und Besorgnis der Ehefrau waren ganz offensichtlich nicht echt. Es sah ganz so aus, als sei sie ganz froh, dass ihr Mann nicht nach Hause kam. Seine Stimme wurde hart.
»Frau von Bechtholf-Opendieck, ich finde, es ist ein wenig früh, um darüber nachzudenken. Und falls es Sie interessiert, die Frist, wenn der Vermisste nicht gefunden werden kann, liegt meines Wissens nach bei zehn Jahren. In etwa einer Stunde kommen die Techniker, die die Telefonüberwachung einrichten werden. Wir können zu diesem Zeitpunkt ja nicht ausschließen, dass Ihr Mann entführt wurde. Wenn Ihnen ansonsten noch etwas Wichtiges einfällt, ich lasse Ihnen meine Karte da. Sie können mich jederzeit gern anrufen.«
Dann stand Jens auf und verließ das Haus. Christian hatte Recht gehabt. Für ihn wurde es auch immer wahrscheinlicher, dass Friedhelm Opendieck ganz freiwillig verschwunden war und sicher so schnell nicht wieder auftauchen würde. Alles Geld der Welt konnte es nicht wert sein, mit dieser Frau zusammenleben zu müssen. Ganz abgesehen von dem Tabakgestank, den man kaum ertragen konnte.
Jens fuhr zurück zur Wache. Er informierte die Kollegen kurz über das Gespräch mit Frau von Bechtholf-Opendieck.
»Also, wenn Ihr mich fragt, der ist freiwillig weg. Aber es könnte natürlich auch sein, dass sie etwas mit seinem Verschwinden zu tun hat. Die Frage nach der Frist, ab wann sie ihren Ehemann für tot erklären lassen kann, hat mich ziemlich geschockt. Ich finde es auch merkwürdig, dass sie erst so spät zur Polizei gegangen ist. Wir sollten die Dame ein wenig im Auge behalten.«
Wenige Tage, nachdem Annette von Bechtholf-Opendieck die Vermisstenanzeige aufgegeben hatte, erschien auf der Polizeiwache in Werne eine junge Frau. Sie wirkte verunsichert, als sie dem Beamten gegenüber saß.
»Mein Name ist Beatrice Mengels. Ich bin Psychotherapeutin und ich vermisse einen meiner Patienten. Ich weiß aber gar nicht, ob ich da überhaupt eine Vermisstenanzeige aufgeben kann.«
»Grundsätzlich kann jeder eine Vermisstenanzeige aufgeben. Haben Sie denn schon versucht, Ihren Patienten telefonisch zu erreichen oder anzuschreiben? Vielleicht hat er ja einfach keine Lust mehr auf die Therapie, oder er hat sich einen anderen Therapeuten gesucht.«
Energisch schüttelte Beatrice Mengels den Kopf.
»Nicht Friedhelm. Für ihn war es eine riesengroße Überwindung, überhaupt regelmäßig zu mir zu kommen. Seine Frau durfte davon überhaupt nichts wissen. Deshalb kann ich ihn ja auch nicht anrufen oder ihm schreiben.«
»Ich weiß, dass Sie der Schweigepflicht unterliegen, Frau Mengels. Aber wenn ich überhaupt etwas für Sie tun soll, dann müssten Sie mir zumindest den vollen Namen Ihres Patienten nennen. Wenn er tatsächlich verschwunden ist, wird seine Frau ihn doch sicher auch als vermisst gemeldet haben.«
»Die? Das glaube ich kaum. Der wäre es sicher ganz recht, wenn Friedhelm auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde. Schließlich hat er sich ihren Anordnungen wiedersetzt. So etwas duldet Annette von Bechtholf-Opendieck nicht.«
Christian Wörner war in diesem Augenblick in den Raum gekommen.
»Wie war der Name?«, fragte er.
»Von Bechtholf-Opendieck, aber so heißt nur seine Frau. Friedhelm heißt einfach nur Opendieck.«
Verunsichert sah die Psychotherapeutin den jungen Beamten an, der etwas im Computer suchte.
»Hier, Frau von Bechtholf-Opendieck hat vor ein paar Tagen ihren Ehemann bei uns als vermisst gemeldet. Kollege Wischkamp von der Kripo in Unna war der Ansicht, dass da vielleicht etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Aber wir haben keine weiteren Anhaltspunkte und die Suche hat bisher nichts ergeben. Sagen Sie, weshalb war Herr Opendieck denn bei Ihnen in Behandlung?«
Beatrice zögerte ein wenig. Sie dachte offensichtlich an die Schweigepflicht, die sie mit einer solchen Angabe verletzen würde. Aber wenn es half, Friedhelm wiederzufinden, musste sie das wohl riskieren. Friedhelm würde ihr das sicher nicht nachtragen. Der schüchterne und verängstigte Mann war ihr sehr ans Herz gewachsen. Und sie hatten bei der Therapie auch schon gewaltige Fortschritte erzielt.
»Er hat bei mir zunächst eine Hypnose-Therapie gemacht, um sich das Rauchen abzugewöhnen. Ich mache Hypnose bei Suchterkrankungen und Essstörungen. Seine Frau ist Kettenraucherin, wissen Sie. Friedhelm hat immer mitgeraucht, aber dann bekam er eine starke Bronchitis und wollte das Rauchen aufgeben. Seine Frau war davon wenig angetan und hat es ihm quasi verboten. Ja, sie hat ihn sogar gezwungen zu Rauchen. Wenn man Nikotin über einen längeren Zeitraum konsumiert, macht es eben abhängig und Friedhelm war auch gar nicht stark genug, sich dem Willen seiner Frau zu widersetzen. Trotzdem wollte er es mit meiner Hilfe probieren. Wir haben dann aber auch noch eine Gesprächstherapie begonnen. Wissen Sie, dieser Mann hat überhaupt kein Selbstbewusstsein. Er kam mir am Anfang vor wie ferngesteuert. Seine einzige Sorge war immer, was seine Frau wohl über das denken würde, was er gerade tat. Ich habe ihm versprochen, dass sie es nie erfahren würde. Ich habe auch den Verdacht, dass er misshandelt wird. Wir waren eben soweit, dass er anfing, sich mir gegenüber zu öffnen. Und dann kam er von einem auf den anderen Tag einfach nicht wieder. Ich mache mir große Sorgen. Bitte finden Sie ihn.« »Wir tun alles, was wir können. Aber bisher haben wir keine Anhaltspunkte, wo sich Herr Opendieck aufhalten könnte. Lassen Sie uns bitte Ihre Kontaktdaten da. Wenn es etwas Neues gibt, informieren wir Sie gern. Eine Frage habe ich aber noch: Wenn er selbst so viel Angst vor seiner Frau hatte, wie kam es denn dann überhaupt zu dieser Therapie? Ich meine, wie haben Sie Herrn Opendieck kennengelernt?« Beatrice lächelte unbewusst, als sie sich an die erste Begegnung mit ihrem Patienten erinnerte.
»Das war hier in Werne. Ich hatte Besorgungen gemacht und mich am Marktplatz auf eine Bank gesetzt, um mich ein wenig auszuruhen. Friedhelm setzte sich zu mir und zog eine Packung Zigaretten aus der Tasche. Er sah mich kurz an und fragte, ob es mich stören würde, wenn er raucht. Ich habe ihm gesagt, dass das Rauchen auf dem Marktplatz ja nicht verboten sei. Dann habe ich mir ein Herz gefasst und ihn gefragt, warum er denn überhaupt raucht. Er konnte oder wollte mir das gar nicht so genau sagen, hat aber die Zigaretten wieder weggesteckt. Da habe ich ihn rundheraus gefragt, ob er schon einmal darüber nachgedacht hätte, das Rauchen aufzugeben und dass ich ihm dabei vielleicht helfen könnte. Ich habe ihm meine Visitenkarte gegeben und mich von ihm verabschiedet. Kurze Zeit später rief er dann an und vereinbarte seinen ersten Termin. Er kam immer pünktlich und wir haben interessante Gespräche geführt. Ich glaube, Friedhelm hat die ruhige Atmosphäre in meiner Praxis sehr genossen. Deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, dass er so ohne ein einziges Wort der Erklärung plötzlich nicht mehr kam. Ich dachte, vielleicht ist seine Frau dahintergekommen und lässt ihn nicht mehr fort. Aber irgendwas musste ich einfach unternehmen. Wenn Sie aber jetzt sagen, dass er auch nicht zuhause ist, dann sind meine Sorgen wohl nicht ganz unbegründet. Bitte rufen Sie mich an, sobald sie etwas herausgefunden haben.« Dann nahm Beatrice Mengels eine Visitenkarte aus der Handtasche, legte sie auf den Tisch und verließ die Wache. Ihre Sorge um Friedhelm Opendieck war nicht geringer geworden. Im Gegenteil, das alles kam ihr sehr komisch vor. Sie hoffte von Herzen, dass dem Mann nichts passiert war und es für sein Verschwinden eine ganz normale Erklärung geben würde. Sie wusste, es war unprofessionell, aber ihr Interesse an Friedhelm Opendieck ging über das Berufliche hinaus. Was daraus werden würde, sie wollte es abwarten. Erst einmal musste der Mann ja gefunden werden.
Aber die Wochen gingen ins Land und von Friedhelm Opendieck fehlte immer noch jede Spur. Zwar stand er noch in der Vermisstenkartei, aber die Suche nach ihm war als ergebnislos eingestellt worden. Da es keine Hinweise auf ein Verbrechen gab, gab es auch keinen Grund, weiter zu ermitteln. Die Akte verschwand im Archiv und Friedhelm Opendieck geriet mit der Zeit in Vergessenheit.