Barbara Vine
Kindes Kind
Roman
Aus dem Englischen von
Renate Orth-Guttmann
Titel der 2013 bei Viking (Penguin), London,
erschienenen Originalausgabe: ›The Child’s Child‹
Copyright © 2012 by Kingsmarkham Enterprises Ltd
Die deutsche Erstausgabe erschien 2015 im Diogenes Verlag
Covermotiv: Illustration von Bernard Villemot, ›Contrex Plakat‹ (Ausschnitt)
Copyright © 2016, ProLitteris, Zürich
Alle deutschen Rechte vorbehalten
Copyright © 2017
Diogenes Verlag AG Zürich
www.diogenes.ch
ISBN Buchausgabe 978 3 257 24395 6 (1. Auflage)
ISBN E-Book 978 3 257 60701 7
Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.
[5] 2011
[7] 1
Das Buch lag vor uns auf dem Tisch, daneben standen die Teekanne, die beiden Tassen und ein Teller mit Mince Pies. Ein Buch und nicht ein Manuskript, wie ich erwartet und – wenn ich ehrlich bin – gefürchtet hatte.
»Ein Privatdruck, wie du siehst«, sagte Toby Greenwell.
»Den dein Vater anfertigen ließ?«
»Sehr richtig.«
Er gab mir das Buch in die Hand. Wie viele selbstveröffentlichte Bücher hatte es keinen Schutzumschlag. Auf dem glänzenden Buchdeckel war ein bezopftes junges Mädchen im Trägerrock auf einer grünen Wiese zu sehen, und den Titel hatte in laienhaften schwarzen Lettern jemand verfertigt, der von Schriften wie der Times Roman wenig verstand.
»Du sagtest, dein Vater habe das Buch dir gegenüber erwähnt, zu Gesicht bekommen aber hättest du es erst nach seinem Tod und dem deiner Mutter. Er war ein bekannter Schriftsteller, nicht wahr… Wie viele Bücher hat er doch gleich veröffentlicht?«
»Zwölf. Keine Bestseller, aber ›er erfreute sich einer großen Leserschaft‹, wie man wohl sagen würde.«
Toby selbst hat noch nie ein Buch geschrieben. Er ist Architekt, mittlerweile im Ruhestand und wohnt mit seiner Frau und dem einzigen Kind, das noch daheim lebt, in [8] einem nach eigenen Entwürfen gebauten Haus. Wir trafen uns aber nicht dort, sondern in Highgate, in jenem Giebelhaus – viktorianische Gotik –, das er ein halbes Jahr zuvor von seiner Mutter geerbt hatte. Er mochte es nicht sonderlich, obwohl er dort aufgewachsen war. Seine Eltern, Martin und Edith Greenwell, hatten seit den dreißiger Jahren dort gelebt, waren ein paar Jahre vor Tobys Geburt dort eingezogen und hatten bis zum Tod von Martin und dann Edith dort gewohnt. Hier hatte Toby, als er das Erbe antrat, in einem Bücherregal in Martins Arbeitszimmer jenen Privatdruck gefunden. Ob er sich erinnere, was sein Vater über Kindes Kind gesagt und wie er begründet habe, dass es nie publiziert worden war, fragte ich.
»Er hat den Titel genannt«, sagte Toby. Aber dass er es hat drucken und binden lassen, hat er nie erwähnt. Ich war gelinde gesagt überrascht – doch dann fiel mir die ganze Geschichte wieder ein. Meine Mutter war strikt gegen jeden Versuch einer Veröffentlichung. Das weiß ich von ihm, nicht von ihr. Sie selbst hat sich darüber ausgeschwiegen.«
Ich fragte Toby, ob er dem nie nachgegangen sei.
»Und ob. Nach seinem Tod. Ich dachte, der Text müsse sich als Manuskript irgendwo in seinen Unterlagen befinden. Den Kommentar meiner Mutter dazu werde ich nie vergessen. Du musst bedenken, dass sie gegen Ende des Ersten Weltkrieges geboren wurde und demnach sehr betagt war, als wir über das Buch sprachen.«
»Was hat sie gesagt?«
»Sie habe zwar angefangen, es aber nie über sich gebracht, so etwas zu Ende zu lesen. Ihre Ablehnung mag auch daher rühren, dass es eine wahre Geschichte war oder [9] auf einer wahren Geschichte beruhte, mit einem Mann zu tun hatte, den mein Vater persönlich kannte. Würde man das Buch veröffentlichen, würde keiner ihrer Bekannten je wieder ein Wort mit ihnen wechseln, meinte sie. Aber bestimmt würde es ohnehin niemand herausbringen. Und damit hatte sie recht. Mein Vater fragte bei dem Verlag an, bei dem heute dein Bruder arbeitet – dort waren bis dahin alle seine Bücher herausgekommen, neun an der Zahl –, und sein Lektor schlug einige Eingriffe vor. Aus Bertie könnte man eine Frau und Maud könnte man drei Jahre älter machen als in dem Roman. Vor allem aber hatte der Verlag etwas gegen das Thema Homosexualität. Ich spreche von 1951, und das Gesetz, das einvernehmliche homosexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen erlaubt, trat erst sechzehn Jahre später in Kraft.«
»Dein Vater war nicht bereit, etwas zu ändern, nehme ich an?«
»Nein, und wenn du es liest, begreifst du auch den Grund. Ich bin kein Literaturkritiker, aber ich kann mir denken, dass es an dem Klima von damals liegt, wenn er es so und nicht anders haben wollte. Deshalb hat er es dann lieber privat drucken lassen. Er wollte ja nicht nur um Verständnis für Homosexuelle werben, sondern auch die Einstellung zu unehelichen Verbindungen und sogenannten ›ledigen Müttern‹ ändern. Wie würde man heute dazu sagen?«
Ich musste lächeln. Toby war manchmal so unbedarft. »Alleinerziehende, denke ich.«
»Aber das bezieht sich auch auf Väter.«
»Ich weiß. So ist das in Zeiten der Gleichberechtigung und Political Correctness.«
[10] »Das ist jedenfalls das zweite Thema des Romans. Ist ›Thema‹ das richtige Wort?«
»Ja, warum nicht?«
»Das eine Thema ist die Ungerechtigkeit, unter der Schwule in den Dreißigern und Vierzigern zu leiden hatten, und das andere die Ungerechtigkeit Alleinerziehenden und deren Kindern gegenüber. In dem Buch geht es um einen Bruder, der schwul ist – der Bekannte meines Vaters –, und seine Schwester, die ein uneheliches Kind hat –«
»Lass gut sein«, unterbrach ich ihn. »Warte, bis ich es gelesen habe.« Ich warf noch einen Blick auf das Buch, ehe ich es in meine Tasche steckte. »Du weißt ja, dass ich keine Literaturagentin bin, sondern nur einen Kurs an der Uni gebe. Doch meine Doktorarbeit, an der ich gerade sitze, behandelt gewissermaßen eines der beiden Themen.«
»Dein Bruder meinte, du wärst vielleicht die Richtige. Ich dachte erst, er würde es selbst lesen, aber wie er mir sagte, arbeitet er zwar in einem Verlag, aber nicht im Lektorat, sondern im Marketing. – Ich möchte ja nur wissen«, sagte Toby fast demütig, »ob das Buch deiner Meinung nach einen Verleger finden könnte. Selbst kann ich mich von dem, was meine Mutter gesagt hat, nicht mehr frei machen.«
Natürlich würde ich das Buch lesen, sagte ich, aber es könne eine Weile dauern.
»Mein Vater hätte es bestimmt gern gesehen, wenn du es liest. Er wollte, dass es veröffentlicht wird, aber so, wie es ist, nicht bereinigt, nicht verwässert, für einen engstirnigen Leserkreis passend gemacht.«
»Ich weiß nicht, ob ›engstirnig‹ das richtige Wort ist. Es waren andere Zeiten, die Gesellschaft war damals so. Ganz [11] gleich, was ich von deinem Buch halte – ich kann dir jetzt schon garantieren, dass niemand es mehr bereinigen wird. Wir leben in einem viel freigeistigeren und freizügigeren Klima, zwischen gestern und heute liegen Welten.« Ihm war immer noch ein Zögern anzumerken. »Die jungen Leute heutzutage – viele oder vielleicht sogar die meisten – verstehen gar nicht mehr, was das Problem daran ist.«
»Das stimmt. Meine Kinder schon gar nicht.« Und mit plötzlicher Offenherzigkeit: »Meine Mutter ist tot. Zu ihren Lebzeiten konnte das Buch nicht erscheinen, aber jetzt vielleicht, und trotzdem hadere ich immer noch.«
»Du kannst immer noch hin und her überlegen, wenn es publizierbar sein sollte und sich dafür ein Verlag findet. Erst will ich es mal lesen.«
Ich nahm Kindes Kind mit nach Hause, wo meine Großmutter alle zwölf Romane von Martin Greenwell als gebundene Bücher im Regal stehen hatte. Es waren Erstausgaben, alle mit ihrem Original-Schutzumschlag, jede ein kleines Kunstwerk und alle geschmacklich und vom Design her denkbar weit entfernt von dem Kind mit den Zöpfen vor einer grünen Wiese. Ich schlug eines der Bücher auf, aber natürlich war Kindes Kind nicht unter Greenwells Werken aufgeführt. Mir fiel ein, dass die Mutter einer Freundin mir mal erzählt hate, sie habe in den fünfziger Jahren ein Exemplar von Henry Millers Sexus durch den Zoll geschmuggelt, als sie mit dem Schiff aus Frankreich zurückkam. Heute würde man so etwas mit Drogen, aber doch nicht mit Büchern machen.
[12] 2
Ich unterrichtete also in West London an der Universität Literaturwissenschaft und schrieb gleichzeitig an einer Dissertation, mit deren Thema niemand in meiner Familie und meinem Bekanntenkreis etwas anfangen konnte: dem Problem Alleinerziehender oder, wie Toby Greenwell es ausgedrückt hatte, lediger Mütter. Wie meine ›Doktormutter‹ bemerkte, nachdem ich mich für das Thema entschieden (und sie widerstrebend eingewilligt) hatte, wirkte es leicht absurd in einer Gesellschaft, in der fast die Hälfte aller Mütter unverheiratet bleibt und es zahllose Einzeleltern gibt. Mir aber ging es um die ledigen Mütter in der Literatur. Ich fragte mich nur, und auch Carla, meine Betreuerin, inwieweit man die Realität mit einbeziehen durfte oder ob dadurch vielleicht zu sehr ein sozialwissenschaftliches Traktat daraus würde.
Als meine Großmutter starb, war ich gerade damit beschäftigt, alle englischen Romane über Unehelichkeit beziehungsweise die Mütter unehelicher Kinder zu lesen, die ich finden konnte. Ich lebte in einer Wohnung in West London, die ich mit zwei anderen Frauen und einem Mann teilte, eine nicht ungewöhnliche Lösung im dichtbesiedelten London des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Einen Tag vor ihrem Tod war ich noch bei ihr im Krankenhaus, in dem sie erst seit einer Woche lag. Ein Schlaganfall hatte [13] sie gelähmt, aber nicht entstellt, nur sprechen konnte sie nicht mehr. Ich hielt ihre Hand und redete mit ihr. Sie hatte immer gern gelesen und kannte alle Werke von Thomas Hardy und Elizabeth Gaskell und einer Vielzahl anderer Schriftsteller, die ich gerade für meine Dissertation las. Als ich sie aufzählte, gab sie nicht zu erkennen, ob sie mich hörte, aber kurz bevor ich ging, spürte ich ganz leicht den Druck ihrer Hand. Am nächsten Morgen kam der Anruf meiner Mutter: Meine Großmutter, ihre Mutter, war in der Nacht gestorben.
Sie war fünfundachtzig geworden. Ein gutes Alter, wie man so sagt. Niemand sagt »ein schlechtes Alter«, aber wenn, dann träfe dies wohl auf mich und meinen Bruder zu. Mit achtundzwanzig und dreißig hatten wir es satt, uns mit zwei oder drei Personen eine Wohnung zu teilen, wollten uns aber auch nicht für zwei oder drei Zimmer eine riesige Hypothek aufladen, doch sahen wir keine andere Möglichkeit. Da starb meine Großmutter. Wir trauerten um sie. Wir gingen beide in Schwarz zur Beerdigung. Ich, weil es mir stand, Andrew, weil er als modebewusster Schwuler einen schmalgeschnittenen schwarzen Anzug besaß. Meine Mutter trug ein graues Kleid und weinte – untypisch für sie! – die ganze Zeit. Am nächsten Tag erfuhren wir von den Anwälten meiner Großmutter, dass sie ihr Haus in Hampstead meinem Bruder und mir vermacht hatte.
Ich habe ehrlich gestanden, warum ich Schwarz trug, also will ich auch weiter ehrlich sein und gestehen, dass wir auf etwas gehofft hatten. Verity Stewart – wir hatten sie immer [14] Verity genannt – hatte einen Sohn und eine Tochter, denen ihr beträchtliches Vermögen zufallen würde, aber da wir die einzigen Enkel waren, dachte ich mir, würden vielleicht auch wir etwas bekommen, unter Umständen genug, um unsere Wohnsituation zu verbessern, wie es so schön heißt. Stattdessen erbten wir die ganze Immobilie, ein schönes großes Haus in der Nähe des Parks.
Fay, meine Mutter, und ihr Lebensgefährte Malcolm gingen davon aus, dass wir so vernünftig sein würden, das Haus zu verkaufen und uns den Erlös zu teilen. Stattdessen waren wir unvernünftig und behielten es. Ein Haus mit vier Wohnzimmern, sechs Schlafzimmern, drei Badezimmern (und an die dreitausend Büchern) sollte allemal groß genug für einen Mann und eine Frau sein, die immer gut miteinander ausgekommen waren. Wir hielten uns nicht weiter damit auf, dass das Haus nur eine Küche, ein Treppenhaus und eine Haustür hatte, und beglückwünschten uns dazu, dass wir beide weder laute Musik spielten noch Partys geben würden, ohne den anderen dazu einzuladen. Eins war uns merkwürdigerweise nie in den Sinn gekommen: dass sich einer von uns oder beide – wir waren jung und damals ohne Partner, hatten aber schon einige Beziehungen hinter uns – früher oder später einen Liebhaber ins Haus holen könnte.
Bei Andrew kam es dazu sehr bald.
James Derain ist Romanschriftsteller, seine Bücher erscheinen in Andrews Verlag, der auch die Bücher von Martin Greenwell herausgebracht hat.
Sie lernten sich bei einer Verlagsparty kennen. Der Anlass kann nicht Oscar Wildes Geburtstag oder sein [15] Todestag gewesen sein, aber etwas mit Wilde hatte es zu tun, der ein Vorbild von James Derain war. Auf dieser Party erzählte James meinem Bruder von Martin Greenwell und dem nie veröffentlichten Buch, das auf dem Leben von James’ Großonkel basierte. Diese Party war der Beginn ihrer Freundschaft, aus der ein Verhältnis und bald eine Beziehung wurde, die sie mit einem Wochenendtrip nach Paris besiegelten. Sie besichtigten Wildes wiederhergestelltes Grab. Es strahlte so makellos weiß, wie Jacob Epstein es seinerzeit geschaffen hatte, ehe die Lippenstiftspuren der vielen Frauen, die es über die Jahre geküsst hatten, den Marmor angriffen. Wer hätte gedacht, dass Lippenstift Marmor etwas anhaben könnte? Trotzdem, fand Andrew, entschädigten die Küsse Wilde für die vielen Frauen, die ihn nach dessen Niedergang auf der Straße angespuckt hatten.
Andrew und ich hatten das Haus ungefähr in der Hälfte geteilt, die Zimmer links oben und unten bekam ich, die Zimmer rechts er. So weit, so gut. Ich hatte nun ein Badezimmer, er hatte zwei, ich bekam drei Schlafzimmer und Veritys Arbeitszimmer, er bekam das Arbeitszimmer meines Großvaters Christopher und zwei Schlafzimmer. Die riesige Küche, die auf meiner Seite des Hauses lag, mussten wir uns teilen.
»In wie vielen Wohnungen«, fragte Andrew, »hast du die Küche mit zwei oder drei anderen Leuten teilen müssen?«
Ich versuchte zu zählen. »Es waren vier. Bei einem so großen Haus ist es irgendwie anders, finde ich.«
»Versuchen wir’s. Wenn es nicht klappt, lassen wir eine zweite Küche einbauen.«
Ich dachte nicht groß darüber nach. In den ersten Wochen [16] wohnte es sich wunderbar in diesem Haus, und ich verbrachte – genauso wie meine Großmutter – den größten Teil meiner Zeit gemütlich lesend. Es war Frühling, es war warm, ich hatte es mir in einem Korbstuhl im Garten bequem gemacht, vor mir auf dem Tisch ein Stapel Bücher, alles Romane über unerwünschte Schwangerschaften und uneheliche Geburten. Manchmal hob ich den Blick, um »ins Grüne zu sehen«, wie es bei Jane Austen heißt. In ihren Werken kommt nur eine einzige »natürliche Tochter« vor, wie es damals hieß, nämlich Harriet Smith, für die Emma in dem gleichnamigen Roman vergeblich versucht, einen Pfarrer – also einen Gentleman – an Land zu ziehen. Harriet ist zwar vermutlich die Tochter eines Gentlemans, aber wegen ihrer unehelichen Geburt bekommt sie schließlich nur einen Bauern zum Mann, ein weiterer gesellschaftlicher Aufstieg bleibt ihr verwehrt. Kindes Kind nahm ich nicht in die Hand und hatte – jedenfalls damals – kein schlechtes Gewissen deswegen, allerdings erwähnte ich es Andrew gegenüber, der, ehe er in den Verlag ging, zu mir in den Garten gekommen war. Er musste mühsam in seinem Gedächtnis kramen, bis ihm das Buch wieder einfiel.
»Wenn es ein halbes Jahrhundert irgendwo im Schrank gelegen hat«, sagte er, »kann es sich gut und gern noch eine Weile gedulden.«
An diesem Nachmittag geschah etwas, was für mein wie auch für Andrews Leben von großer Tragweite sein sollte. Ich lernte James Derain kennen.
[17] 3
Als Erstes fiel ins Auge, was für ein gutaussehender Mann James war. Nicht direkt wie ein Star, denn Schauspieler müssen heute nicht mehr unbedingt gut aussehen. Eher wie ein Filmstar der dreißiger und vierziger Jahre. Andrew besaß eine riesige Sammlung von DVDs. Die männlichen Stars, Clark Gable, Cary Grant, James Stewart und Gregory Peck, sahen alle umwerfend gut und zusammengenommen alle wie James aus – oder er sah aus wie sie. Vielleicht vor allem wie Cary Grant. Der soll ja angeblich nicht besonders helle gewesen sein, und wenn das stimmt, endet hier die Ähnlichkeit, denn James war hochintelligent. Er war – ist – groß, schlank, dunkelhaarig und hat eine völlig natürlich wirkende dauerhafte Bräune. Seine Augen sind dunkelblau, seine Zähne blitzen, wie bei Amerikanern üblich, er hat von Kopf bis Fuß einen perfekten Körper mit wohlgeformten, langgliedrigen Händen und kräftigen Beinen, die ich an einem heißen Tag nackt im Garten sah, muskulös, aber so makellos wie bei einem Kind.
Nach dieser Beschreibung könnte man denken, dass ich ihn begehrenswert fand, und in gewisser Weise tat ich das auch, aber nur so, wie man einen Mann auf einem Gemälde oder einem Foto anziehend findet. Und auch dann hätte ich versucht, meine Gefühle zu verdrängen, weil er Andrew gehörte und weil ich weiß, wie sinnlos es für eine Frau ist, sich [18] sexuell für einen schwulen Mann zu interessieren. Außerdem war er mir eher unsympathisch, und ich versuchte, auch das zu verdrängen.
Wir trafen in der Diele aufeinander. Die beiden waren gerade hereingekommen, und Andrew machte uns miteinander bekannt. James sagte kurz angebunden »Hi!« und bog dann gleich rechts ab, weil er offenbar schon wusste, dass die rechte Hälfte Andrew gehörte und die linke mir.
Vielleicht, redete ich mir ein, ist er schüchtern oder Frauen gegenüber gehemmt. Er verbrachte diese, nicht aber, soweit ich das beurteilen konnte, die nächste Nacht in unserem Haus. Ich ertappte mich dabei, dass ich am Morgen auf seine Schritte lauschte, und als ich hörte, wie Andrew ihn verabschiedete, und vom Zimmer meines Arbeitszimmers aus sah, wie James die Straße hinunterging, war ich erleichtert. Doch ich versuchte nach Kräften, mir dieses Gefühl zu verbieten, und sagte mir, dass man niemanden nach einer einzigen Begegnung beurteilen könne. Als James nach einer Woche wiederauftauchte, konzentrierte ich mich auf den Gedanken, wie schön das für Andrew war, der vor Freude strahlte.
James war nun immer öfter in Dinmont House. Natürlich ist das in einer Liebesbeziehung völlig normal. Wenn die Liebe nicht verpufft, wird sie ständig intensiver. Ich merkte, dass ich viel zu oft darüber nachdachte, spekulierte, sogar nach Zeichen Ausschau hielt, ob es etwas Ernstes war. Am schlimmsten aus meiner Sicht wäre es, wenn sie die Absicht hätten zusammenzuleben, mit anderen Worten, wenn James hierherziehen würde. Ich hätte Andrew darauf ansprechen können, wollte ihm aber keinen Floh ins Ohr setzen. Was töricht von mir war, denn wer würde mit einem [19] Liebhaber zusammenziehen, weil seine Schwester es ihm suggeriert hatte?
Weil ich die Entwicklung weiter beobachten wollte, bat ich sie an einem Samstagvormittag zum Kaffee. James war seit Donnerstagabend im Haus. Wir gingen in den Raum, den ich am liebsten hatte, das Arbeitszimmer von Verity. Wie der Salon (so hatte Verity ihn genannt), das unbenutzte Esszimmer und mehrere Schlafzimmer ist es voller Bücher. Bücher auf den Regalen, Bücher in den Schränken, in bis zu drei Reihen gestaffelt. James griff nach George Eliots Adam Bede, das mit dem Gesicht nach unten auf dem Tisch lag, blätterte kurz darin und sagte, er würde nie die Geduld aufbringen, so etwas zu lesen.
»Dieses Gelaber, Absatz um Absatz, Seite für Seite, Beschreibungen, Dialoge in Dialekt – schnarchlangweilig, der Kerl.«
»Es war eine Frau«, sagte ich schockiert, weil ich gedacht hatte, das müsste jeder wissen, schließlich hatte James selbst Bücher veröffentlicht. Schockiert aber auch über meinen abfälligen Ton. Ich versuchte immer noch, ihn zu mögen.
»Warum nennt sie sich dann George?«
»Weil ihre Chancen, gelesen zu werden, dadurch größer waren, als wenn die Bücher unter ihrem eigenen Namen erschienen wären.«
»War das nicht verlogen?«
Auch wenn ich ihm gerade über den Mund gefahren war – streiten wollte ich nicht mit ihm, und deshalb sagte ich nur, das sei eine originelle Betrachtungsweise, und fragte, ob sie schon gegessen hätten, etwas essen wollten.
[20] »Nein, danke, Sis.« Diesen ungewöhnlichen und veralteten Ausdruck hatte Andrew irgendwo aufgeschnappt, als wir Kinder waren. »Wir sind beide verkatert. Nur Kaffee, danke.«
James sah uns groß an. »Sis? Nie gehört! Wer sagt denn so was?«
Ich brachte ein breites Lächeln zustande, aber meine Augen lächelten nicht mit. Dennoch war ich entschlossen, ihn zu mögen, komme, was da wolle. Als sie fort waren, setzte ich mich wieder an den Roman, von dem der Schriftsteller James Derain glaubte, er sei von einem Mann. Verity hatte mich immer ermahnt, »nicht da zu sitzen, wo die Spötter sitzen«, wie es in der Bibel heißt, und ich verbot mir deshalb sogar in Gedanken jeden Hohn und Spott, sagte mir, dass dieser Fehler selbst einem Gebildeten unterlaufen konnte. Also zurück zu Adam Bede. Beim Lesen fiel mir auf, dass George Eliot nirgends ausdrücklich schreibt, dass die siebzehnjährige Hetty Sorrel ein Kind erwartet. Auch dass Hetty von Arthur Donnithorne verführt wurde, können wir nur vermuten. Dem Leser wird lediglich gesagt, dass die beiden einen Kuss getauscht haben. Es gibt dunkle Andeutungen, dass ein großer Kummer auf der armen Hetty lastet, aber dass sie schwanger sein könnte, wird nie erwähnt. James würde das bestimmt verlogen nennen, aber wer sich schon mal mit viktorianischer Prüderie beschäftigt hat, weiß natürlich, dass die Autorin es nicht wagte, die Schwangerschaft der unverheirateten Hetty direkt anzusprechen, weil sie damit die Veröffentlichung des Romans gefährdet hätte. Wir erfahren von der Existenz des Babys erst, als man Adam sagt, dass es tot ist, und als Hetty unter Mordanklage vor Gericht steht.
[21] Vorgeblich spielt das Buch 1799, obwohl George Eliot es in den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts schrieb. Wie wenig sich doch die Moralvorstellungen bis dahin verändert hatten. Ehe ich mir Adam Bede vornahm, hatte ich einen Artikel über eine Schule in Cheshire gelesen, in der sich junge Mädchen – fünfzehn Jahre oder jünger – auf den Realschulabschluss vorbereiten und ihre Babys mitnehmen können. Von so etwas konnte Hetty Sorrel nur träumen. Der Begriff der Schmach und Schande ist völlig verschwunden. Zu George Eliots Zeit – und auch noch bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts – ging es bei einer unehelichen Schwangerschaft vor allem darum, aber auch um Strafe und Vergeltung. Ich las noch einmal sorgfältig bestimmte Stellen in Adam Bede und überlegte, ob Hetty überhaupt wusste, dass sie schwanger war, ob sie sich vielleicht, weil sie ja auf dem Land lebte, über die möglichen Folgen ihrer Beziehung zu Arthur im Klaren gewesen war. Würde ein Mädchen, dem man nicht gesagt hatte, wie man schwanger werden konnte, den Zusammenhang zwischen sich und einer Kuh sehen, die auf einem Feld von einem Bullen besprungen wird?
Immerhin hatte mich das alles von Andrew und James abgelenkt. Nur George Eliot macht es möglich, dass wir die Heirat eines Mannes wie Adam Bede mit einer methodistischen Predigerin gutheißen. Wir verurteilen ihn nicht dafür, wir verdrehen nicht die Augen, weil er sich diese Frau nimmt, die auch die Wahl seiner schwierigen alten Mutter ist. Wir empfinden sogar so etwas wie schuldbewusste Erleichterung, dass er die arme kleine Hetty jetzt nicht heiraten kann, weil die zur Strafe für ihr Verbrechen deportiert [22] worden ist. Wie hätte sich das wohl bei Trollope angehört? In seinen Romanen gibt es mindestens eine »natürliche Tochter«, doch aus ihr wird eine reiche Frau mit besten Verbindungen, deren Leben eine günstige Entwicklung nimmt. Inzwischen bin ich bei Fanny Robin in Hardys Am grünen Rand der Welt angelangt – einer jungen Magd, die sich vor ihrer »Niederkunft« ins Arbeitshaus flüchtet. Um ein Haar hätte sie heiraten können, landet aber versehentlich in der falschen Kirche. Dabei liebt Sergeant Troy sie und nicht Bathsheba Everdene, die er ehelicht, nur hat von dieser Liebe die arme Fanny nichts, die stirbt allein und unglücklich im Kindbett.
Ich versuchte mir auszurechnen, wann die Verurteilung lediger Mütter vorüber war. Wann sie begann, ist die leichtere Übung: in ferner Vergangenheit, seit es die Ehe gibt, jene Verbindung, um die sich die Männer so gern drückten, von der die Frauen träumten und für die sie kämpften. Doch wann hörte die Gesellschaft auf, die Frauen auszugrenzen, fing sogar an, sie zu unterstützen, und ermutigte sie, mit ihren Babys wieder die Schule zu besuchen und ihre Zukunft in die Hand zu nehmen? Die konservative christliche Kultur der fünfziger Jahre hielt viele Frauen von vorehelichem Sex ab, doch das änderte sich mit der Pille. Ich komme auf die mittleren bis späten sechziger Jahre, in denen auch homosexuelle Handlungen aufhörten, eine Straftat zu sein.
Dass ich das ganz harmlos verkündete – wir hatten über eingetragene Partnerschaften gesprochen und dass auch die gleichgeschlechtliche Ehe anerkannt werden sollte –, führte zu einem Streit zwischen James und mir, den ich ja unbedingt hatte vermeiden wollen. Ich hatte mir redliche Mühe [23] gegeben, ihn zu mögen, nicht da zu sitzen, wo die Spötter sitzen – auf dem bequemen Sofa der Vorurteile, das längst auf den Sperrmüll gehörte –, sondern ihm freundschaftlich entgegenzukommen, und deshalb lud ich die beiden zum Essen ein. Ich wagte mich durchaus auch an anspruchsvollere Gerichte, und so gab es an jenem Abend ein Käsesouffé und danach ein Lammgericht mit Auberginen, leicht griechisch angehaucht, das Andrew gern hatte. James aß kommentarlos. Sie hatten den Wein beigesteuert, eine Flasche weißen und eine Flasche roten, und ich war bereit, von jedem ein Glas zu trinken, auch wenn es billiges Gesöff aus dem Supermarkt war. Sie tranken nie etwas anderes, das wusste ich schon, aber nicht aus Geldnot. James hatte nicht nur die Einnahmen aus seinen Büchern, ich glaube, er hatte einen betuchten Vater.
Ich wählte Kindes Kind als Tischgespräch, weil Andrew davon gehört hatte und James dank seinem Großonkel ebenfalls Bescheid wusste. Auch die angesprochenen Themen konnten uns verbinden. Dass eins davon so viel mit meiner Dissertation zu tun hatte, war ein willkommener Nebeneffekt. Wir waren bis zum Käse gediehen, als James sich durchaus liebenswürdig erkundigte, wie weit ich mit meiner Arbeit sei. Daraufhin erzählte ich, dass ich versucht hatte festzustellen, ab wann ein uneheliches Kind nicht mehr als Schande galt, und dass etwa zur gleichen Zeit Homosexualität im nichtöffentlichen Raum aufhörte, eine strafrechtliche Handlung zu sein.
Doch James fiel mir scharf ins Wort: »Das lässt sich überhaupt nicht vergleichen. Männer ins Gefängnis zu stecken, weil sie schwul waren, ist empörend, eine Verletzung [24] ihrer Menschenrechte. Deine Mädels mussten sich nur von einem Haufen alter Weiber schief ansehen lassen.«
1967 waren Menschenrechte nicht das Thema, sagte ich, und ›meine Mädels‹ hätten nicht weniger durchgemacht. Nicht nur schwule Männer brachten sich aus Angst vor Entdeckung um, sondern ebenso junge Frauen, die sich vor der Schande fürchteten.
»Keine junge Frau musste in den Knast, weil sie ein Kind bekam«, sagte er.
»Doch – es erging ihnen ähnlich. Sie wurden ausgestoßen und in Anstalten gesteckt – damals nannte man sie Irrenhäuser –, nur weil sie ein Kind bekommen hatten, ohne verheiratet zu sein. Manche wurden jahrelang eingesperrt.«
»Hab ich noch nie gehört, das kann nicht stimmen. Mag sein, dass so was in den Romanen vorkommt, die du ständig liest, aber nicht im wirklichen Leben. Erzähl ihr, wie Wilde auf dem Bahnhof Clapham Junction in Ketten ausgestellt wurde, And.«
So nannte er also meinen Bruder. »Er hat es mir bereits erzählt«, sagte ich. »Außerdem wusste ich es schon. Ich leugne ja auch nicht, dass schwule Männer schrecklich gelitten haben, ich sage nur, dass es den Frauen nicht besser erging.«
»Von wegen.« James schüttete so viel Pinot noir in sein Glas, dass es überschwappte. »Du beanspruchst für die Frauen das Leid der Welt, erklärst sie mal wieder zu den armen Opfern.«
»James«, bat Andrew leise.
»Nichts da, James! Du brauchst ihr nicht beizustehen, sie weiß sich selbst zu helfen. Ihre Mädels brauchten sich nur [25] einen Trauring anzustecken, und alles war in Ordnung. Männer wurden geächtet, angegriffen, getötet. Mein Großonkel wurde erpresst, ausgegrenzt, er lebte in ständiger Angst vor Entdeckung.« Jetzt fixierte er mich, statt in der dritten Person über mich zu reden. »Diese Doktorarbeit, die einen Zusammenhang zwischen dem Gesetz von 1967 und der Pille für die Frau herstellen will, ist eine Beleidigung für alle Männer, die gelitten haben. Viele leben noch, sind erst in den Sechzigern und dürften das als Skandal empfinden. Zum Glück wird sie nie erscheinen, jedenfalls nicht in einem größeren Verlag, wo sie sie zu sehen bekämen.«
Andrew war aufgestanden, hatte einen Lappen geholt und den verschütteten Wein aufgewischt. Mein Bruder war rot geworden, so peinlich war ihm das Ganze, so sehr litt er. Die Hand, in der er den Lumpen hielt, zitterte. Kein Zweifel, er liebte diesen Kerl. »Ich denke, wir wechseln das Thema«, sagte ich Andrew zuliebe.
Doch jetzt nahm James die Position des Spötters ein. »Das hättest du wohl gern. Du hast dich ins Aus manövriert. Das Thema wechseln… Was bleibt dir anderes übrig?«
Ich könnte das Zimmer verlassen, sagte ich.
»Nein, Sis, nein«, bat Andrew. »Ich weiß gar nicht, wie wir da hineingeraten sind. Das ist doch lächerlich. Bitte bleib.«
»Bitte bleib, Sis«, piepste James höhnisch. »Bitte geh nicht.«
Man hätte glauben können, einen Fünfjährigen vor sich zu haben, nicht einen erwachsenen Mann. Er war blaurot angelaufen vor Wut. Ich zuckte die Schultern und verzog mich in die Küche. Stellte Geschirr in die Spülmaschine, [26] wusch Veritys Silber mit der Hand ab und horchte, das Besteck in der Hand, auf Geräusche aus dem Esszimmer, eigentlich aber auf Schritte, die durch die Diele Andrews Wohnzimmer oder seine Treppe ansteuerten. Seit wir klein waren, hatte ich keinen Streit mehr mit meinem Bruder gehabt. Nach einer Weile hörte ich die Schritte, hörte Lachen. Nur James hatte gelacht. Eine Tür schlug zu. An diesem Abend würde ich die beiden wohl nicht mehr wiedersehen.
Ich räumte den Tisch ab und stellte die Spülmaschine an. Und erinnerte mich an unser früheres Zerwürfnis. Ein Tisch in einem anderen Haus, dem Haus, in dem wir aufgewachsen waren. Das Telefon läutete, Fay ging hin und ließ uns mit allerlei Leckerbissen allein. Andrew stocherte darin herum, futterte Käsewürfel, Überbleibsel von Crème brûlée, Ananasschnitze. »Lass das«, zischte ich, »nichts anfassen« – im Nebenzimmer waren Gäste –, und dann packte ich seine Hand, mit der er einen Löffel Pflaumengelee, glaube ich, ergattern wollte. Der zwölfjährige Andrew fing an zu weinen, und unsere Mutter konnte nur noch verzweifelt den Kopf über uns schütteln.
Das lag achtzehn Jahre zurück, heutzutage weinte Andrew nicht mehr, war aber immer noch sehr verletzlich. Diesmal aber reagierte ich empfindlich, nicht zuletzt deshalb, weil ich fand, dass man sich, wenn es denn sein musste, um Persönliches streiten mochte, nicht aber über gesellschaftliche Themen, wo die Meinungen doch bekanntlich verschieden sind. Mir kam der Verdacht, dass James mich hatte provozieren wollen. Es war ein schöner Abend, der Mond fast voll. Ein Gang durch den Garten würde mir guttun, mich beruhigen. Wie alle Gärten in unserer Gegend [27] war auch unserer groß, sein Rasen eine grüne Insel, von einem dichten Wall aus Bäumen und Büschen gesäumt. Die Gartenmauern waren von Efeu, Kletterpflanzen und Clematis überwuchert, so dass man meinen konnte, nicht einzelne Gärten, sondern ein einziges großes Grundstück, beinahe so etwas wie die Anlagen eines großen Landsitzes, vor sich zu haben.
Einen Mantel würde ich nicht brauchen, dazu war es noch zu warm. Ich ging durch den Gang zu der kleinen Tür, die in den Garten führte – auf Andrews Seite gab es eine Flügeltür –, doch noch während ich den Schlüssel ins Schloss steckte, bemerkte ich ihn und James. Sie kamen unter den Bäumen hervor und liefen über den Rasen. Der Mond schien so hell, dass ich alles erkennen konnte. James hatte Andrew einen Arm um die Taille gelegt, und jetzt zog er Andrews Kopf zu sich heran und gab ihm einen langen Kuss. Ich machte auf dem Absatz kehrt und flüchtete in den Raum, der am weitesten vom Garten entfernt war, das Arbeitszimmer mit den vielen Büchern. In diesem Augenblick schwante mir, dass Andrew, ob ich wollte oder nicht, James auf Dauer zu uns ins Haus holen würde.
Ich hätte alt genug sein sollen, um zu wissen, dass am nächsten Morgen alles nicht mehr so schlimm aussieht. Je später die Stunde, je fortgeschrittener die Nacht, desto kopfloser sind wir, desto anfälliger für schlimme Ängste und Hirngespinste. Am Morgen – nicht gleich nach dem Aufwachen, aber nach und nach – erscheinen die Dinge in einem anderen Licht als nachts um elf oder zwölf. Für eine Tragödie gilt das natürlich nicht, und auch über einen schweren [28] Schock kommt man wohl nicht so ohne weiteres hinweg, aber derlei war mir bisher erspart geblieben. Ich hatte auch keine bösen Vorahnungen. Was also war geschehen, was hatte ich gehört oder gesehen? Nichts als einen Kuss. Noch lange kein Grund zu der Annahme, dass James nächstens hier einziehen würde. Ich wusste ja noch nicht mal mit Sicherheit, ob Andrew in James auf Dauer verliebt war.
An diesem Morgen hatte ich einen Termin bei meiner ›Doktormutter‹. Ich wollte mit ihr über den Fortgang meiner Arbeit sprechen und sie fragen, was sie davon hielte, reale Fälle unehelicher Geburten im neunzehnten Jahrhundert einzubeziehen, oder ob ich mich ausschließlich auf Romane konzentrieren sollte.
Andrew kam herein, er wirkte nicht so sehr verlegen als bedrückt. »Das mit gestern Abend tut mir leid, Sis. Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen.«
Es sei schon gut, sagte ich. Sein Gesichtsausdruck war nicht viel anders als damals, als ich seine Hand gepackt hatte und das Gelee auf ein weißes Spitzendeckchen geplumpst war. Natürlich weinte er nicht, aber er war nah dran.
»James fühlt eben das, was schwule Männer durchmachen mussten, sehr intensiv mit. Es geht ihm persönlich nah. Der Freund dieses Großonkels hat sich erhängt, weil er schwul war, und einen Bekannten von James, einen inzwischen sehr alten Mann, haben sie in einem Irrenhaus mit einer Aversionstherapie behandelt. Er bekam schwule Pornobilder vorgeführt, und wenn er reagierte, also wenn sie ihn erregten, verpassten sie ihm Elektroschocks.«
Ich musste an die armen Mädchen denken, die in Besserungsanstalten geschickt wurden und dort schwerste [29] häusliche Arbeiten verrichten mussten, nur weil sie unverheiratet schwanger geworden waren. Aber es war sinnlos, darüber zu reden. »Schon gut«, wiederholte ich, auch wenn nichts gut war. »Schwamm drüber.« Und dann musste es einfach heraus: »Wird James zu dir ziehen?«
»Würde dich das stören?«
»Die eine Hälfte des Hauses gehört dir, und meine Hälfte gehört mir. Du kannst machen, was du willst.«
»Aber es wäre dir schrecklich, nicht?«
Es war eine Angewohnheit von ihm, anderen Leuten Gefühle zuzuschreiben, von denen er nichts wissen konnte. Das machte er bei mir so, bei unserer Mutter Fay und ihrem Lebensgefährten Malcolm und sicher auch bei James. Es wäre mir nicht schrecklich, schwindelte ich, aber er solle es sich gut überlegen, und dann fand ich, dass ich zu weit gegangen war, ich war nicht seine Mutter oder die Ehefrau, die er nie haben würde.
»Ich habe es mir bereits gut überlegt«, sagte er, aber das Ergebnis seiner Überlegungen verriet er mir nicht. Er musste in den Verlag, wenn er vor zehn da sein wollte. Kaum war er fort, hörte ich auch schon die Schritte von James auf der Treppe und gleich darauf die Haustür schlagen. Er knallte sie so heftig zu, dass das ganze Haus erbebte.
Carla, meine Betreuerin, warnte mich vor zu viel Realität. Wenn die Parallelen so offensichtlich waren wie bei Fanny Robin, die zur All Souls Church gegangen war statt zur All Saints Church, wo Sergeant Troy als ihr Bräutigam auf sie wartete, dann konnte ich natürlich kurz darauf eingehen. Vermutlich hatte Hardy ein realer Vorfall als [30] Inspiration gedient, dem könnte ich nachgehen. Ansonsten aber solle ich mit sozialen Fragen und Fallgeschichten sparsam umgehen.
Während der ganzen Zeit ging mir James Derain nicht aus dem Kopf. Warum nur hatten wir dieses Problem nie bedacht? Wir hatten das Haus geerbt, wir waren Geschwister, die sich gut verstanden, so übersiedelten wir voller Begeisterung mit unseren Siebensachen. Wir hatten beide schon Partner gehabt, aber Andrew hatte nie mit einem zusammengewohnt, und ich hatte mit einem Freund nur mal für ein paar Monate ein Zimmer geteilt, es war nichts Ernstes gewesen. Sollte James in die andere Hälfte von Dinmont House einziehen, würde ich übermenschliche Anstrengungen unternehmen müssen, mit ihm auszukommen. Ich hatte ihn gegen mich aufgebracht, dabei gab es dazu eigentlich keinen Anlass. Er schien mir einer dieser schwulen Männer zu sein, die Frauen – alle Frauen – ablehnen. Kennengelernt hatte ich so einen noch nie, wusste aber, dass es sie gab. Das Gegenstück sind Schwule, deren engste, beste Freundin eine Frau ist, die ihnen sogar nähersteht als der derzeitige Liebhaber.
Ich ließ mir Zeit mit dem Heimweg. Die Sonne schien, es war wunderschön im Regent’s Park, und ich überlegte, ob ich nicht via Primrose Hill zu Fuß nach Hause gehen sollte. Als Kind fühlte ich mich auf dem Primrose Hill immer wie am Meer. Ich kam mir vor wie im Wasser oder knapp davor im Sand und sah über dem Grün, das typisch für englische Seebäder ist, die Skyline von Brighton oder Eastbourne.
Doch ich stand nicht mit den Füßen im Wasser, ich saß auf einer Bank am Outer Circle, es war weit nach Hause [31] und ging immer nur bergauf, und ich wusste, dass ich den Heimweg vor mir herschob, weil womöglich James Derain dort war. Vor drei Stunden hatte ich ihn weggehen hören, aber womöglich war er mittlerweile zurück, womöglich hatte Andrew ihm einen Schlüssel gegeben. So geht das nicht weiter, sagte ich mir. Gestern war ich noch glücklich oder zumindest zufrieden gewesen, und jetzt ließ ich mich von einem Freund meines Bruders, den ich kaum kannte, aus dem eigenen Haus vertreiben.
Ich nahm den 24er Bus und bog gerade in unsere Straße ein, als ich von ferne James auf mich zukommen sah. Meine erste Regung war, mich vor ihm zu verstecken, die Straßenseite zu wechseln oder mich schnell zu bücken, wie um einen Stein aus meiner Sandale zu holen, doch ich tat nichts dergleichen. Ich ging auf ihn zu, er ging auf mich zu, strahlte über das ganze Gesicht und fragte, wie es mir gehe bei diesem herrlichen Wetter. Er bedaure das mit gestern Abend, er werde immer aggressiv, wenn er zu viel Alkohol intus habe, es sei ein Problem, das er »angehen« müsse. Er und Andrew hätten getrunken, ehe sie gekommen waren, und damit müsse Schluss sein. Ob ich ihm verzeihen könne?
Ja, natürlich. Was hätte ich sonst sagen sollen? Ich hatte die leise Hoffnung, dass er zum U-Bahnhof Hampstead wollte und nicht zum Dinmont House, aber nein, er wolle nach Hause, sagte er, und damit meinte er eindeutig mein Haus und das von Andrew. Später, nachdem ich einen Brief eingeworfen hatte, blieb ich in der Diele stehen und horchte. James war Schriftsteller, arbeitete also zu Hause. Schrieb er mit der Hand? Benutzte er die Schreibmaschine, wenn das heutzutage überhaupt noch jemand macht? Oder einen [32] Computer, wie ich vermutete? Hatte er sich wohl auf Dauer hier eingerichtet? Wahrscheinlicher war, dass er ein paar Tage oder eine Woche bei Andrew verbringen und danach wieder dahin zurückgehen würde, wo er hergekommen war.
Es war sinnlos, hier herumzugeistern wie eine verlorene Seele. Ich ging in mein Arbeitszimmer, sah meine Notizen durch und stieß dabei auf die Meldung über eine junge Frau, die 1801 als Kindsmörderin hingerichtet worden war. Diese Geschichte über eine mittellose junge Frau, die – das weinende, verstörte Kind im Schlepptau – kein Dach über dem Kopf hatte und nicht mehr ein noch aus wusste, hatte mich schon beim ersten Lesen erschüttert und wühlte mich jetzt noch mehr auf, vielleicht, weil ich mich selbst so ruhelos fühlte. Gut möglich, dass George Eliot von diesem Vorfall erfahren hatte und dadurch zu Adam Bede inspiriert worden war. Doch Adam Bede war erst 1859 veröffentlicht worden. Da waren die Zeitungsberichte schon ein halbes Jahrhundert alt. Sollte ich tatsächlich, statt Parallelen zwischen den Romanen und derlei Zeitungsmeldungen zu ziehen, nach Bräuten suchen, die wie Fanny Robin in der falschen Kirche gelandet waren? Und schon fiel mir wieder James Derain ein. Ich sah ihn vor mir, wie er auf der Straße vor mir gestanden hatte.
Er hatte eine »Herrentasche« dabeigehabt, schwarzes Leinen und braunes Leder an einem langen Riemen in der Größe eines normalen Laptops. Damit war alles klar. Als ich in der Früh seine Schritte auf der Treppe gehört hatte, war er nach Hause gegangen – wo immer das war –, um seinen Laptop zu holen. Um in Dinmont House an seinem neuen Buch zu schreiben. Vermutlich würde Andrew ihm [33] ein kleines Zimmer im Obergeschoss überlassen, dort hatte er Ruhe zum Arbeiten und genoss den Ausblick auf Gärten, Bäume, ein Meer von Laub, und dahinter in dem leichten Dunst, der immer über London hängt, auf den Fluss und die milchigen Umrisse der Hochhäuser…
Ich rief mich zur Ordnung und versuchte, mir diese wilden Phantasien zu verbieten. Vielleicht war James auch nur übers Wochenende gekommen und gehörte zu jenen besessenen Schriftstellern, die es unwiderstehlich zur Tastatur zieht, so wie früher zu Feder und Tinte.
Abgesehen von Mary Barton hatte ich mich mit den Werken von Elizabeth Gaskell nie so recht anfreunden können. Von Carla weiß ich, dass alle sie »Mrs Gaskell« nannten, bis der Feminismus die Unterscheidung zwischen Frau und Fräulein abschaffte. Ihre Bücher haben alle ein deutliches Anliegen, sie versuchen, die Welt zu verbessern, wie auch viele andere viktorianische Romane, die aber diese Absicht lieber kaschieren. Ich setzte mich im Arbeitszimmer aufs Sofa, um mir Ruth vorzunehmen, wobei ich den Gedanken nicht loswurde, dass ich im Garten auf der Hollywoodschaukel sitzen würde, wenn mich nicht von dem zweiten Arbeitszimmer aus James Derain beobachten könnte. Das grenzte schon an Verfolgungswahn. Ich hatte keinerlei Grund zu der Annahme, er würde mich beobachten oder sich auch nur im mindesten dafür interessieren, was ich trieb. Wenn ich nicht da draußen saß, dann deshalb, weil ich wusste, dass ich mich unter dem Fenster im Obergeschoss, wo man mich vom Schreibtisch aus genau im Blick hatte, nicht auf mein Buch würde konzentrieren können.
[34] Ruth liest sich nicht mühsam, sondern ausgesprochen spannend. Ich verschlang die ersten Kapitel, und dabei fiel mir auf, dass sich Ruth – während es bei anderen Romanen auch um anderes geht, um Nebenhandlungen und eingeflochtene Geschichten – ausschließlich mit dem Thema »Verführung und Unehelichkeit« beschäftigt. Hardys Tess erzählt von Angel Clares Werbung und Tess’ Ehe mit ihm; Wilkie Collins’ Ohne Namen und Die Frau in Weiß behandeln vor allem auch die juristischen Aspekte. Hetty Sorrells Schicksal ist in Adam Bede nicht unwichtig, spielt aber im Vergleich zu der methodistischen Laienpredigerin Dinah und der Lebensweise der Familie Bede eine eher untergeordnete Rolle. Und nun saß ich hier in Veritys Arbeitszimmer und las, wie es sich anfühlte, wenn man von einem treulosen Liebhaber schwanger ist, sich einen Trauring anstecken und sich »Mrs« nennen muss, ohne dass man damit den Leuten letztlich Sand in die Augen streuen kann. Alle Figuren in dem Buch sind davon überzeugt, dass Ruth eine schwere Sünde begangen hat. Selbst die Mitfühlenden, die Gütigen, die sie aufnehmen und das wenige, das sie haben, mit ihr teilen, tuscheln über ihre Sünde und ihr »Verbrechen«. Sally, die alte Dienstmagd der Bensons, schneidet Ruth unnachsichtig die Haare ab, damit sie »morgen mit Anstand eine Witwenhaube« zur Schau stellen könne, und Ruth fügt sich widerspruchslos, denn auch sie glaubt, dass sie gesündigt hat und dass die Strafe gerecht ist.
An dieser Stelle legte ich das Buch erst einmal aus der Hand, ziemlich erstaunt darüber, dass mir, die ich Tess und Oliver Twist allenfalls mit Bedauern und Verwunderung gelesen hatte, ein über 150 Jahre alter Roman derart [35] nahegehen konnte. Für mich – so überzeugend ehrlich schreibt Gaskell – gab es keinen Zweifel daran, dass das gesellschaftliche Klima wirklich so war, dass das Schicksal eines »gefallenen Mädchens« wirklich so aussah. Es heißt, ihre Vorlage sei eine wirkliche Frau gewesen, eine gewisse Pasley, deren Ausgrenzung und Verbannung in eine Strafanstalt schlimmer gewesen sein muss als alles, was Gaskell sich auszudenken vermochte.
Abends wollte ich mit Freunden ausgehen, ein zwangloses Treffen im Pub, ohne Umziehen, ohne nervöses Auf-die-Uhr-Schauen, damit ich nicht zu spät kam – das hatte ich mir abgewöhnt. Ich hatte sogar vor, statt der hübschen, relativ neuen Sandalen Sneakers anzuziehen, weil ich zu Fuß über die Heath nach Highgate gehen wollte. Die Laufschuhe waren in einem Schrank in einem der Gästezimmer im Obergeschoss, weil ich Veritys Sachen noch nicht aus meinem Schlafzimmer geräumt hatte. Ich sagte mir – und auch zu meiner Mutter, die sich anerboten hatte, das Ausräumen für mich zu besorgen, und die sich als vielbeschäftigte Anwältin das nicht aufhalsen sollte –, dass die Sachen mich nicht störten. In Wirklichkeit hatte ich sie gern im Haus, sie erinnerten mich an Verity, und manchmal öffnete ich den Schrank und legte die Wange an zarte Seide oder feine Wolle, die noch L’ Aimant von Coty verströmten, was meine Großmutter immer getragen hatte.
Oben holte ich die Laufschuhe heraus und zog sie gerade an, als mich ein Geräusch zusammenfahren ließ. Es kam von Andrews Teil des Hauses und waren die vier Akkorde, mit denen Windows startet oder sich abmeldet. Eine »kleine Phrase«, doch keine schönen Töne wie bei Prousts [36] Sonate von Vinteuil. James Derain saß also tatsächlich an der Arbeit, aber das wusste ich ja schon, und es war albern, dass ich mich daran störte. Ich kehrte gedanklich wieder zu Alleinerziehenden zurück, und zwar solchen, die es wirklich gegeben hatte.
Mary Woolstonecraft bekam ein uneheliches Kind von einem gewissen Gilbert Imlay, und auch das nächste wäre unehelich gewesen, wenn nicht der Philosoph William Godwin sie fünf Monate vor der Geburt des Mädchens geheiratet hätte, das wir als Mary Shelley kennen. Das war 1797. Rebecca West bekam ein Kind von H. G. Wells, Dorothy L. Sayers bekam ein Kind von einem gewissen Bill White. Beide Geburten fielen in die ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts, und beide Schriftstellerinnen sahen darin eine Geste der Auflehnung. In ihren Romanen kommen keine unehelichen Kinder vor, immerhin aber gibt es bei Sayers in Starkes Gift eine »gefallene Frau«. Dieser Roman erschien 1930, wenige Jahre nach Veritys Geburt. Harriet Vane steht wegen Mordes vor Gericht, und bei der Verhandlung kommt heraus, dass sie ein Jahr mit einem Mann zusammengelebt hat, ohne mit ihm verheiratet zu sein. Von ihren Freunden wird sie nicht geschnitten, weil die zum munteren Künstlervolk gehören, aber andere missbilligen ihr Verhalten. Doch die Zeiten haben sich geändert, niemand spricht mehr von Verbrechen oder Sünde. Sie wird nicht verfemt oder in tiefste Finsternis gestoßen, wie es bei Matthäus heißt, und schließlich, viele Bücher später, gilt sie als hinreichend geläutert, um Lord Peter Wimsey heiraten zu dürfen. Natürlich erwartet sie kein Kind – das heißt, erst später, als brave Ehefrau.
[37] Sayers’ Sohn kam 1924 zur Welt. Sie hat offenbar gar nicht erst versucht, sich selbst um John Anthony zu kümmern. Bestimmt war sie nicht bereit, sich Mrs zu nennen oder einen Trauring zu tragen. Das Kind wurde bei Sayers’ Cousine Jay in Pflege gegeben und nannte seine Mutter »Cousine Dorothy«. Auch als Dorothy Sayers 1926 Atherton Fleming heiratete, blieb John Anthony bei Jay. Die Eltern von Sayers empörten sich schon über die standesamtliche Trauung. Sie haben nie erfahren, dass sie einen Enkel hatten. In Der Glocken Schlag schrieb Sayers noch einmal über unordentliche Familienverhältnisse und somit indirekt über uneheliche Kinder. Ein Paar heiratet dort in der Annahme, dass die Frau frei ist, obwohl ihr Mann in Wirklichkeit noch lebt. Die Kinder sind und bleiben unehelich, obwohl die Thodays die Eheschließung nachholen, sobald ihnen das juristisch möglich ist. Das ist eigentlich eher eine typisch viktorianische Konstellation, wie sie Wilkie Collins beschrieb, als das Thema für einen Roman, der 1934 erschien. Man sieht aber daran, dass noch zur Jugendzeit meiner Großmutter Wohlanständigkeit größte Wertschätzung genoss.