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FBI Special Agent Kate O’Hare lehnte sich in dem hellbraunen Ledersessel zurück und richtete ihren Blick über den Schreibtisch hinweg auf den Eingangsbereich der Filiale der California Metro Bank in Tarzana. Normalerweise saß hier der Assistent des Filialleiters, aber im Augenblick war das Kates Arbeitsplatz. Sie wartete darauf, dass die Bank überfallen wurde, und das bereits seit vier Tagen. Die Langeweile trieb sie allmählich in den Wahnsinn, und sie wünschte sich verzweifelt, dass endlich etwas geschah.
Als zwei Geschäftsmänner in maßgeschneiderten Anzügen durch die Doppelglastüren hereinkamen, war ihre Langeweile mit einem Schlag verflogen, und sie setzte sich rasch auf. Einer der Männer trug eine Ray-Ban-Sonnenbrille und hatte sich einen Rucksack von Louis Vuitton um die Schulter geschlungen. Der andere Mann hatte einen gepflegten Dreitagebart, und über seinem rechten Arm hing lässig ein Regenmantel. In Los Angeles hatte es seit zwei Monaten nicht mehr geregnet, und es war auch kein Niederschlag vorhergesagt, also hatte Kate den Verdacht, dass es sich um die beiden Männer handelte, auf die sie die ganze Zeit gewartet hatte. Offensichtlich waren die beiden nicht sehr einfallsreich vorgegangen, als sie ihre Waffen versteckt hatten.
Der Mann mit der Ray-Ban-Sonnenbrille marschierte schnurstracks in das verglaste Büro des Filialleiters. Der andere mit dem Regenmantel ging zu Kates Schreibtisch und setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. Sein Blick fiel unvermittelt auf ihren Ausschnitt – durchaus verständlich, denn sie trug einen Push-up-BH unter ihrem Ann-Taylor-Hosenanzug, und ihre Brüste quollen wie zwei frisch aufgebackene Brötchen aus ihrer offenen Bluse. Normalerweise zog Kate sich nicht so an, aber im Augenblick gehörte das zu ihrem Job, und wenn sich mit einem gewagten Ausschnitt ein Verbrecher fangen ließ, hatte sie ganz und gar nichts dagegen.
»Kann ich Ihnen helfen, Sir?«
»Nenn mich Profi«, erwiderte der Mann.
»Profi?«, fragte sie. »Ist das Ihr Ernst?«
Er zuckte mit den Schultern und öffnete den Regenmantel ein Stück, sodass sie die Halbautomatik, eine Sig Sauer 9 mm, sehen konnte. »Immer schön lächeln und ruhig bleiben. Ich bin nur ein Geschäftsmann, der sich mit dir über die Eröffnung eines Kontos unterhalten möchte.«
Kate warf verstohlen einen Blick zum Büro des Filialleiters hinüber, wo FBI Special Agent Seth Ryerson hinter dem Schreibtisch saß; der echte Manager hatte die Rolle einer der vier Kassierer der Bank übernommen. Der Kerl mit der Sonnenbrille gab Ryerson Anweisungen, und Kate bemerkte, dass der fast kahle Kopf des Agenten bereits vor Schweiß glänzte. Ryerson fing bei jeder Aktion sofort zu schwitzen an. In fünf Minuten würden ihm seine Klamotten am Leib kleben. Kein schöner Anblick.
Kate und Ryerson hatten einen Tipp erhalten und arbeiteten undercover, in der Hoffnung, dass die Männer auftauchen würden. Die Tarzana-Filiale glich den anderen sechs Banken im San Fernando Valley, die in den letzten zwei Monaten von den sogenannten Business-Banditen überfallen worden waren. Das frei stehende Gebäude lag in einem großen Wohngebiet, nur einen Häuserblock entfernt von einer Autobahnauffahrt und einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt.
Kate wusste, dass ein dritter »Geschäftsmann« in einem Wagen auf dem Parkplatz wartete. Und sie wusste auch, dass ein Einsatzkommando des FBI um die Ecke bereitstand.
»Was soll ich tun?«, fragte sie den Mann, der sich Profi nannte.
»Einfach sitzen bleiben und hübsch aussehen. Und so läuft die Sache, Schätzchen: Mein Partner wird deinem Boss befehlen, mit dem Rucksack zum Tresorraum zu gehen und ihn dort mit Bargeld zu füllen. Wenn er sich weigert, jage ich dir eine Kugel in die Brust. Mein Partner wird mit dem Geld die Bank verlassen, und ich werde noch eine Weile hierbleiben und mit dir flirten. Sollten Farbpäckchen explodieren oder die Alarmanlage losgehen, werde ich dich erschießen. Geht alles glatt, stehe ich auf und verschwinde, und niemandem wird etwas geschehen. Bleib einfach ganz ruhig, dann wird alles bald vorüber sein.«
Genau das Gleiche hatte er den Frauen in den anderen Banken erzählt, die von den Business-Banditen überfallen worden waren. Profi suchte sich immer eine junge Frau mit tiefem Ausschnitt aus und bedrohte sie mit seiner Waffe. Aus diesem Grund trug Kate den Push-up-BH – sie hatte es darauf angelegt, seine Zielperson zu sein.
Kate schielte an Profi vorbei in die Empfangshalle auf die Kassierer. In der Bank befanden sich sieben Kunden: Vier standen an den Schaltern, und drei hatten sich davor angestellt. Niemand schien zu bemerken, dass etwas Ungewöhnliches vor sich ging. Ryerson verließ den Mann mit der Sonnenbrille und trug den Vuitton-Rucksack in den Tresorraum.
Kates iPhone vibrierte auf dem Schreibtisch, und auf dem Display erschien der Anrufername JAMES BOND.
»Ignorieren«, befahl Profi. »Schau mich an.«
Kate richtete ihren Blick wieder auf Profis sorgfältig gepflegten Dreitagebart, der sich dunkel auf seinen hageren Wangen und seinem kantigen Kinn abzeichnete. Das Telefon verstummte. Nach fünfzehn Sekunden begann es wieder zu summen. James Bond gab nicht so leicht auf.
»Das nervt«, sagte Profi. »Darfst du während der Arbeitszeiten private Gespräche entgegennehmen?«
»Wenn sie wichtig sind.«
Das Telefon vibrierte weiter.
»Schalt es aus«, befahl Profi. »Sofort.«
Kate stellte das iPhone ab. Kurz darauf klingelte das Telefon auf ihrem Schreibtisch.
»Das gefällt mir nicht. Los, steh auf. Wir gehen raus.«
»Das ist doch nur ein Anruf«, wandte Kate ein. »Wahrscheinlich von meiner Mutter.«
»Aufstehen!«, sagte er. »Beweg dich! Wenn irgendjemand auf dich zukommt, erschieße ich zuerst dich und dann alle anderen, die mir in die Quere kommen. Verstanden?«
Das hörte sich nicht gut an. Schließlich gingen hier ständig Kunden ein und aus, und es bestand jederzeit die Möglichkeit, dass jemand unabsichtlich ihren Weg kreuzte.
»Soll ich meine Handtasche mitnehmen?«
»Nein.«
»Aber sieht es nicht merkwürdig aus, wenn ich die Bank ohne meine Tasche verlasse?«
»Wo ist sie?«
»In der rechten unteren Schublade.«
»Bleib, wo du bist. Ich werde die Schublade öffnen. Und du rührst dich nicht von der Stelle.«
Der Mann ließ Kate nicht aus den Augen, während er um den Schreibtisch herumging. Er hielt die Sig in der rechten Hand und bückte sich, um mit der linken die Schublade aufzuziehen. Kate nützte den Augenblick, in dem er kurz abgelenkt war, und schlug ihm mit voller Wucht die PC-Tastatur ins Gesicht. Seine Augen wurden ausdruckslos, die Waffe fiel ihm aus der Hand, und aus seiner zertrümmerten Nase schoss Blut. Bewusstlos krachte er auf den Boden.
Kate hob die Halbautomatik auf und richtete sie auf Profis Partner im Büro des Filialleiters.
»FBI!«, brüllte sie. »Bleiben Sie stehen, und legen Sie die Hände auf den Kopf!«
Der Mann mit der Sonnenbrille gehorchte erschrocken. Alle anderen in der Bank erstarrten ebenfalls, aufgeschreckt durch ihren plötzlichen Ausbruch und schockiert von dem Anblick der Waffe in ihrer Hand.
Mit gezückter Waffe rannte Ryerson aus der Tresorkammer. Unter seinen Armen zeichneten sich große Schweißflecken ab, und er wirkte verwirrt. »Was ist passiert?«
»Ich musste zu Plan B übergehen«, erklärte Kate. Sie wandte sich den Kunden in der Bank zu. »Bitte beruhigen Sie sich. Wir haben die Situation vollkommen im Griff. Sie befinden sich nicht in Gefahr.«
Das Telefon auf Kates Schreibtisch klingelte schon wieder unaufhörlich. Sie zielte weiter auf den Sonnenbrillen-Gangster im anderen Büro und hob mit der anderen Hand den Hörer ab.
»Was?«
»Spricht man etwa so mit James Bond?«
»Du bist nicht James Bond.«
Es war Nick Fox, und Kate musste sich eingestehen, dass er ihrer Meinung nach James Bond sehr ähnelte. Er war zwar ein wenig jünger und stand meist auf der anderen Seite des Gesetzes, aber er war ebenso brandgefährlich und genauso sexy.
Fox war ein Schwindler und Dieb von Weltrang. Kate hatte ihn vier Jahre lang gejagt und endlich geschnappt, doch dann hatten ihr Boss Carl Jessup und der Stellvertretende Direktor des FBI, Fletcher Bolton, ihm die Flucht ermöglicht. Im Gegenzug für seine vorläufige Freiheit hatte Nick sich bereit erklärt, seine einzigartigen Fähigkeiten zu nützen, um Großkriminelle zu schnappen, an die das FBI mit konventionellen Methoden nicht herankam.
Kate war gegen ihren Willen damit beauftragt worden, Nick dabei zu helfen, diesen bösen Jungs das Handwerk zu legen. Und gleichzeitig sollte sie dafür sorgen, dass Nick seine Verbrecherkarriere nicht wieder aufnahm. Da das FBI Nick nicht ständig überwachte und er zwischen den Aufträgen auch keinen Peilsender tragen musste, blieb es Kate überlassen, wie viel Spielraum sie ihm zugestand. Sie hatte schon seit ein paar Tagen nicht mehr mit ihm gesprochen.
»Habe ich dich gerade zu einem ungünstigen Zeitpunkt erwischt?«, fragte Nick.
»Ja. Was willst du?«
»Ich habe es nicht getan.«
Kate schwieg einen Moment lang. Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach, aber was auch immer er meinte, er hatte es zumindest nicht getan. Das war doch gut, richtig?
»Ich bin gerade beschäftigt«, erklärte sie.
»Kein Problem. Ich wollte dich das nur rasch wissen lassen.«
Kate legte auf, und sofort klingelte das Telefon wieder. Es war Carl Jessup.
»Ihr Mobiltelefon funktioniert nicht«, sagte er.
»Das liegt daran, dass ich mich gerade mitten in einer Art Banküberfall befinde.«
»Wir haben ein großes Problem«, fuhr Jessup in seinem ausgeprägten nasalen Kentucky-Akzent fort. »Nicolas Fox hat gestern einen Matisse im Wert von fünf Millionen Dollar aus dem Gleaberg-Kunstmuseum in Nashville gestohlen.«
»Sind Sie sicher, dass das Nick war?« Sie beobachtete, wie Ryerson das Einsatzkommando rief und dem Ray-Ban-Räuber Handschellen anlegte.
»Ich habe Ihnen soeben ein Foto von den Sicherheitskameras des Museums geschickt.«
Kate schaltete ihr Telefon an und lud das Bild hoch. Es zeigte einen Mann in einem übergroßen Kapuzenpullover mit einem Gemälde unter dem Arm. Das Gesicht des Mannes war teilweise von der Kapuze verdeckt, aber was sie sah, reichte aus, um Nick zu erkennen.
»Ich habe Nick noch nie in einem Kapuzenpullover gesehen«, sagte Kate.
»Seine modischen Vorlieben interessieren mich nicht«, entgegnete Jessup.
»Ich wollte darauf hinweisen, dass Nick seine Kleidung in der Savile Row maßschneidern lässt und nicht in Outlet-Centern einkauft. Er würde niemals einen Kapuzenpullover von Old Navy tragen.«
»Er wollte sich der einheimischen Bevölkerung anpassen.«
»Wie hat er das Gemälde gestohlen?«, fragte Kate.
»Er ist am helllichten Tag in das Museum spaziert und hat es einfach von der Wand genommen.«
»Und wo liegt dabei der Witz?«
»Er ist damit entkommen.«
»Ja, aber das ist nicht der Grund, warum er stiehlt oder betrügt. Ihn lockt bei einem Verbrechen die Herausforderung oder die Person, die er beschwindelt. Was ist schon groß dabei, ein Bild einfach von der Wand zu nehmen? Das könnte jeder tun.«
»Vielleicht hat er die Kontrolle über seine Impulse verloren«, meinte Jessup. »Der Grund ist nicht wichtig – entscheidend ist, dass er es getan hat. Und damit unsere Vereinbarung missachtet hat.«
»Es ergibt einfach keinen Sinn. Hätte er tatsächlich unseren Vertrag brechen wollen, hätte er ein großes Ding abgezogen, ein gewagtes Gaunerstück, bei dem er Hunderte Millionen Dollar abgesahnt hätte. Das ist eine Nummer zu klein für ihn.«
»Fünf Millionen Dollar sind nicht gerade ein Klacks«, widersprach Jessup. »Er war mit unseren Aufgaben zu sehr beschäftigt, um einen aufwendigen Coup zu planen, also hat er sich mit etwas leichter Verfügbarem zufriedengegeben.«
Kate dachte darüber nach, während sie durch die zweiflügelige Glastür der Bank einen Blick nach draußen warf. Die bewaffneten und mit schusssicheren Westen ausgestatteten Agenten des Einsatzkommandos umstellten einen BMW und zogen den Fahrer hinter dem Lenkrad hervor. Für die drei Typen, die gerade verhaftet wurden, wären fünf Millionen Dollar wahrscheinlich der Jackpot, aber das galt nicht für einen Meisterdieb wie Nick Fox. Während ihres ersten gemeinsamen Auftrags hatte er die Chance gehabt, mit einer halben Milliarde Dollar zu flüchten, und hatte der Versuchung widerstanden. Das fühlte sich irgendwie nicht richtig an. Ganz abgesehen davon, dass er sie gerade angerufen hatte. Vermutlich hatte er sich auf diesen Diebstahl bezogen, als er behauptete, es nicht getan zu haben.
»Nick ist schlau und umsichtig«, sagte sie. »Warum sollte er sich von einer Kamera erwischen lassen?«
»Um uns den Stinkefinger zu zeigen. Das Gleaberg-Museum liegt nur einen Häuserblock vom Büro des Sheriffs von Davidson County entfernt. Er wollte es uns ganz bewusst unter die Nase reiben.«
Das hörte sich für Kate schon eher nach Nick Fox an. Es erforderte ein gehöriges Maß an Dreistigkeit, in direkter Nähe von Hunderten Polizisten ein Gemälde aus einem Museum zu stehlen. Trotzdem war sie noch nicht überzeugt.
»Ich möchte, dass Sie sofort nach Nashville fliegen und ihn schnappen.« Jessup legte auf.
Kate seufzte tief, legte den Hörer auf und steckte ihr iPhone in die Tasche. Sie warf einen Blick auf Profi, der vor ihr auf dem Rücken lag und aus der Nase blutete. Seine Augen waren offen, aber er starrte immer noch ins Leere.
»Hey«, sprach sie ihn an. »Alles in Ordnung?«
»Ich weiß es nicht. Wie sehe ich aus?«
»Wie ein Unfallopfer.« Sie steckte seine Waffe in ihren Hosenbund und half dem Bankräuber auf die Beine. »Vorwärts.«
Kate übergab Profi dem Einsatzkommando und ging zu Ryerson hinüber.
»Was ist los?«, fragte Ryerson.
Sie zog ihr Telefon heraus und zeigte ihm das Foto. »Fox ist wieder aufgetaucht.«
»Hast du ein Glück.«
Kate ging zu ihrem Wagen, einem weißen Ford Crown Victoria, den sie bei einer Auktion der Polizei von Los Angeles erstanden hatte. Wie viele FBI-Agenten hatte auch sie immer eine Reisetasche mit Kleidung und Toilettenartikeln im Kofferraum. Die Tasche befand sich bereits seit drei Monaten dort drin, und ihre Klamotten rochen inzwischen sicher genauso wie der Ersatzreifen, aber sie konnte direkt zum Flughafen fahren und den nächsten Flug nach Nashville nehmen. Aber vorher musste sie noch mit Nick sprechen.
Er meldete sich nach dem zweiten Klingeln. »Remington Steele, zu Ihren Diensten.«
»Remington Steele? Sehr witzig.«
»Klingt das zu platt?«
»Ich dachte, du gibst dich heute als James Bond aus.«
»Ich versuche eben, interessant zu bleiben.«
»Möglicherweise übertreibst du es damit ein wenig.«
»Alles, was ich in letzter Zeit unternommen habe, habe ich gemeinsam mit dir gemacht«, erklärte Nick.
»Nicht alles.«
»Versucht habe ich es schon, ein Mann hat schließlich seine Bedürfnisse.«
Vor nicht allzu langer Zeit hatten Fox’ anzügliche Bemerkungen Kate auf die Palme gebracht. Jetzt stellte sie verärgert fest, dass es ihr sogar Spaß machte.
»Wo bist du?«, wollte sie wissen.
»Auf meiner Jacht.«
»Du hast eine Jacht?«
»Diese Woche schon.«
»Ich nehme an, in irgendeinem Land, wo die Sonne scheint und es kein Auslieferungsabkommen gibt.«
»Marina del Rey.«
»Tatsächlich?«
»Überzeug dich selbst.« Er gab ihr die Nummer der Bootsanlegestelle.