Das Buch
Probleme im Schlaf lösen, seelische und körperliche Blockaden aufheben, Kreativität und Lebensfreude steigern – all das wird durch Klarträume möglich. Schritt für Schritt führen die Autoren an die Techniken und Methoden des bewussten Träumens heran, sodass jeder aktiv seine Traumerfahrungen steuern und gezielt für sich nutzen kann. Mit zahlreichen Fallgeschichten und Anekdoten eröffnet diese praktische Anleitung für Anfänger und Fortgeschrittene einen leichten Zugang zur Kunst des luziden Träumens.
Die Autoren
Robert Waggoner ist Psychologe und war lange Jahre Präsident der International Association for the Study of Dreams (IASD). Er ist in den USA einer der bekanntesten Experten zum Thema Klartraum, gibt seit vielen Jahren Kurse und ist Autor mehrerer erfolgreicher Bücher.
Seine Website: www.lucidadvice.com
Caroline McCready studierte Psychologie an der Oxford Brookes University. Sie unterrichtet Meditation und Luzides Träumen und gibt Workshops zur Steigerung der kreativen Fähigkeiten.
Weitere Informationen: www.carolinemccready.com
Robert Waggoner
Caroline McCready
KLARTRÄUME
Wege ins
Unterbewusstsein
So aktivieren Sie Ihr verborgenes
Potenzial im Schlaf
Aus dem Amerikanischen übertragen
von Ralph Tegtmeier
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Lucid Dreaming Plain and Simple bei Conari Press, einem Imprint von Red Wheel Weiser, LLC, USA.
Das vorliegende Buch ist sorgfältig erarbeitet worden. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autoren noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gemachten praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.
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Taschenbucherstausgabe 03/2016
Copyright © 2015 by Robert Waggoner and Caroline McCready
Copyright © 2016 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle Rechte sind vorbehalten.
Redaktion: Katrin Ingrisch
Herstellung: Helga Schörnig
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München
Umschlagmotiv: © Blackspring/shutterstock
Satz: Leingärtner, Nabburg
e-ISBN 978-3-641-16303-7
V002
www.heyne.de
Inhalt
Vorwort
Einleitung
KAPITEL 1
Wissenschaft und Paradoxie des Klarträumens
KAPITEL 2
Vorbereitung des Klarträumens
KAPITEL 3
Grundtechniken der Klartrauminduktion
KAPITEL 4
Klarträume stabilisieren
KAPITEL 5
Die Macht der Projektion
KAPITEL 6
Traumobjekte und -szenarien
KAPITEL 7
Die Interaktion mit komplexen Traumgestalten
KAPITEL 8
Intention und die Macht der Preisgabe
KAPITEL 9
Wirkungsvoll im Traum reagieren
KAPITEL 10
Die Erforschung des inneren Raums
KAPITEL 11
Psychologische Heilung im Klartraum
KAPITEL 12
Körperliche Gesundheit gezielt herstellen
KAPITEL 13
Meditation im Klartraum
KAPITEL 14
Luzide leben
Anmerkungen
Dank
Vorwort
Im Jahr 1975 brachte ich mir selbst bei, wie man klarträumt – oder, genauer: Damals bemerkte ich zum ersten Mal im Traumzustand, dass ich gerade träumte. Seitdem habe ich über tausend Klarträume protokolliert. In meinem ersten Buch, Lucid Dreaming: Gateway to the Inner Self, habe ich die unglaubliche Erfahrung und das Potenzial des Klarträumens erforscht. So kam es, dass mich viele Menschen darum baten, ein einfaches Rezeptbuch zu verfassen, in dem ich schildere, wie man Klarträume erzeugt, sie stabilisiert und innerhalb ihres Erfahrungsrahmens arbeitet.
Vor einigen Jahren lernte ich in London eine talentierte Künstlerin, Referentin und Klarträumerin namens Caroline McCready kennen. Sie erklärte sich dazu bereit, mit mir zusammen einen Klartraumführer zu verfassen, der anderen Menschen auf diesem Pfad als Hilfe dienen sollte. Caroline brachte ihre eigenen Erfahrungen und Einsichten mit, was diesem Führer zur Vertiefung und erweiterten Vielseitigkeit verhalf, ganz besonders in den Kapiteln 1, 11, 12 und 13.
In diesem Buch haben wir uns darum bemüht, Ihnen die erforderlichen Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, um Klarträume zu ermöglichen und diesen außergewöhnlichen Bewusstseinszustand persönlich zu erforschen. So finden Sie hier nicht nur Anleitungen, die auf der Basis vieljähriger persönlicher Erfahrung entstanden sind, sondern zugleich wertvolle Erkenntnisse und nützliche Techniken unserer gleichfalls klarträumenden Kollegen und Freunde.
Bitte studieren Sie diesen Führer mit der gebotenen Sorgfalt, und versuchen Sie nicht, ihn im Eiltempo zu bewältigen. Denn wenn Sie erst einmal erkennen, dass Sie träumen, und somit luzide bewusst werden, dann müssen Sie sich auch an diese Tipps und Techniken erinnern, um sie entsprechend anwenden zu können.
Das Klarträumen ist ein mental dynamischer Zustand, und oft spiegelt er unsere Überzeugungen und kognitiven Annahmen sowie unsere Gefühle und Erwartungen wider. Je tiefer Sie in das Klarträumen eintauchen, desto mehr werden Sie begreifen, dass diese Forschungsarbeit Sie dazu anhält, bestimmte Überzeugungen und Annahmen mit einem kritischeren Blick zu betrachten als vorher. Tatsächlich kann es auch vorkommen, dass Sie durch das Klarträumen eine andersartige Ausbildung durchlaufen – nämlich eine Ausbildung auf dem Gebiet des Geistes und der wahrgenommenen Erfahrungen, die Ihnen zu spannenden Einsichten verhelfen kann. Diese ermöglichen es Ihnen wiederum, sich selbst und Ihr Wachleben zu transformieren.
Da es sich hier um eine Einführung in das Klarträumen handelt, spart dieses Buch viele fortgeschrittene Themen aus, darunter auch die Betrachtung kultureller Konzepte und Theorien über Natur und Bedeutung des Träumens im Allgemeinen und des Klarträumens im Besonderen. Wir hoffen, dass diese Themenbereiche und kulturspezifischen Prägungen in künftigen Werken, sowohl unseren eigenen als auch denen anderer Autoren, mehr Aufmerksamkeit und Forschungstätigkeit erfahren werden.
Mit den besten Wünschen für Ihre Bewusstseinsreise
Robert Waggoner und Caroline McCready
Januar 2014
Einleitung
Will man das Klarträumen besser verstehen, ist es oft hilfreich, sich von anderen Menschen erzählen zu lassen, wie sie überhaupt auf die Idee kamen, innerhalb des Traumzustands die bewusste Wahrnehmung desselben herzustellen. Im Rahmen dieser Einleitung werden Caroline McCready und ich unsere eigene Entdeckung der Tiefe des Klarträumens schildern und einige der Lehren erörtern, die wir daraus ziehen konnten.
Carolines Erlebnisse
Ich kann mich noch immer lebhaft an meinen ersten Klartraum erinnern. Zu Beginn dieses Traums befand ich mich in einem kleinen Raum, wo ich mit meinem Cousin gerade Poolbillard spielte, als ich plötzlich begriff, dass ich träumte. Sobald mir dies klar wurde, staunte ich nur noch überwältigt. Die Erkenntnis, dass ich mich tatsächlich gerade innerhalb eines Traums befand, war für mich schier umwerfend. Alles fühlte sich so durch und durch wirklich an! Wenn ich die Fingerkuppen über den grünen Filz auf dem Tisch fahren ließ, spürte ich völlig realistisch, wie weich und faserig er war. Die Billardkugeln selbst waren ganz und gar solide und glatt, sodass es vom Wachzustand nicht zu unterscheiden war. Und sie gaben auch äußerst reale klackernde Geräusche von sich, wenn sie gegeneinander stießen. Ich erinnere mich noch, wie ich ganz still wurde und mich nicht mehr bewegte, um all das einfach auf mich einwirken zu lassen, ganz von Staunen erfüllt. Dann wachte ich auf.
Später bekam ich eine Ahnung vom Potenzial, das im Klarträumen steckt, als ich nämlich das zweite Mal einen solchen Traum erlebte. In diesem Traum spielte ich neben einer Schaukel innerhalb eines sehr realen Abbilds meines wirklichen Gartens. Irgendetwas löste meine Luzidität aus, was zu einem sehr aufregenden Klartraum führte. Im Wachzustand hatte ich vor Kurzem den ersten Superman-Film mit Christopher Reeve gesehen. In meinem Traum erinnerte ich mich plötzlich an die Szene, in der er Lois Lane zum Fliegen mitnimmt. In meinem luziden Bewusstsein dachte ich mir, dass das wirklich toll sein müsse! Kaum hatte ich diesen Gedanken gefasst, als auch schon eine Traumversion von Superman in seinem blauroten Anzug mitsamt Umhang herbeischoss und mit mir über meinen Garten flog. Ich erinnere mich, wie die Schaukel unter mir immer kleiner und kleiner wurde und mein Garten sich immer weiter entfernte. Das war alles so beschwingend!
In den zahlreichen luziden Flugträumen, die später folgten, machte ich die Entdeckung, dass ich nicht unbedingt Supermans Gesellschaft bedurfte, um umherzufliegen, da ich auch ganz allein wie ein Vogel durch die Lüfte schweifen konnte. So flog ich regelmäßig über Täler, Flüsse und Berge. Mein Lieblingsflugort wurde Lake Louise in Kanada, wo meine Familie und ich öfters hinfuhren, um die kanadischen Verwandten meines Vaters in Alberta zu besuchen. Ich liebte Kanada, und es war einfach umwerfend, die Fähigkeit zu besitzen, völlig realistische Traumrepliken dortiger Orte besuchen zu können, ganz zu schweigen vom Fliegen über diese prachtvollen Landschaften. So wachte ich stets in beschwingtem Gemütszustand auf und spürte geradezu die Stellen, wo der Wind über meine Wangen gestrichen war.
Im Teenageralter wurden diese Erfahrungen immer seltener, und als ich erwachsen geworden war, fanden meine Klarträume nur noch ganz sporadisch statt. Dabei wünschte ich mir verzweifelt, wieder fliegen zu können, jedenfalls zu jenen seltenen Gelegenheiten, wenn meine gewöhnlichen Träume in Luzidität überschlugen. Dann hastete ich voran und machte mich mit klopfendem Herzen wieder ans Fliegen, glitt aber fast jedes Mal binnen wenigen Augenblicken aus der Luzidität in einen Normaltraum zurück. Das war sehr frustrierend für mich, und mit der Zeit verwandelten sich meine luziden Abenteuer in lieb gewonnene, aber weit zurückliegende Erinnerungen.
Viele Jahre später erlebte ich äußerst intensive lebhafte Träume. Tatsächlich waren diese so lebhaft, als würden sie jeden Morgen aus meinem Kopf hervorplatzen und darum betteln, aufgeschrieben zu werden. So nahm ich meine alte Kindheitspraxis wieder auf, Traumtagebuch zu führen, und begann, mich für Traumdeutung zu interessieren. So nahm das Thema des Klarträumens meine Aufmerksamkeit aufs Neue gefangen, und ich erwarb zwei Bücher dazu: Roberts erstes Werk und Stephen LaBerges Einführung ins Klarträumen. In jungen Jahren hatte ich ganz spontan Klarträume und ahnte nicht im Geringsten, dass man Luzidität absichtlich herbeiführen konnte. Als ich las, dass man Klarträume absichtlich herbeiführen kann, war ich von dieser Vorstellung ganz begeistert. Noch wichtiger war aber, dass mich das schiere Spektrum und die Vielseitigkeit luzider Traumerfahrungen außerordentlich überraschten. Man kann den Traumfiguren Fragen stellen, versteckte unbewusste Grenzen und Beschränkungen freilegen, sich alle möglichen Wünsche erfüllen und – was mir am interessantesten erschien – das Wesen des Bewusstseins selbst erkunden.
Meine Rückkehr zum Klarträumen war für mich wie die Wiederentdeckung einer lange verloren gegangenen Liebe. Nur dass ich jetzt dazu in der Lage war, das Thema auf alle kaum für möglich gehaltenen Weisen zu erforschen. So machte ich mich begeistert über die entsprechende Literatur her, verschlang alle Bücher und experimentierte mit allen erdenklichen Techniken. Ich schrieb mir kleine Erinnerungshilfen auf die Hände, um meine Realität besser infrage stellen zu können (eine Technik des Klarträumens). Ich führte regelmäßige Realitätsüberprüfungen durch und dachte unablässig über das Klarträumen nach. So vertiefte ich mich nach und nach immer mehr in die Materie.
Mein erster selbst herbeigeführter luzider Traum kam zwei Wochen nach Beginn meiner Übung der entsprechenden Techniken. In dieser Nacht schlief ich recht unruhig. Gegen vier Uhr morgens fühlte ich mich unfähig weiterzuschlafen, und so entschied ich mich, aufzustehen und zu meditieren in der Hoffnung, dass dies meine Schlaflosigkeit beheben würde. Es erwies sich tatsächlich als große Hilfe, und schon bald darauf fiel ich wieder in den Schlaf. Da fand ich mich plötzlich in einem fremden Raum wieder, wo ich auf zwei Kinder aufpasste. Das Rauminnere sah aus wie ein Zoogehege. Anstatt jedoch von draußen hineinzublicken, stellte ich fest, dass wir drei die Eingehegten waren. Ich versuchte, die Fenster zu öffnen, und entdeckte, dass es nur eine feste Ziegelmauer gab und keinerlei Fluchtmöglichkeiten. Schon früher, als ich noch jünger gewesen war, hatten Räume ohne Türen oder Fenster generell als Luziditätsauslöser auf mich gewirkt. Und auch diesmal merkte ich plötzlich, dass es sich um einen Traum handelte. Ich sagte den Kindern, sie sollten mir folgen, und erschuf in meiner Vorstellung eine Tür in der Ziegelmauer, die sich hellem Sonnenlicht entgegen öffnete. Wir fanden uns in einer wunderschönen Landschaft wieder. Dort begegnete ich einer wunderbaren, sehr verantwortungsvoll wirkenden Traumfigur, der ich die Aufsicht über die Kinder übertrug, sodass ich losziehen und den Traum erforschen konnte.
Ich will hier nicht alle Einzelheiten aufführen, denn die Beschreibung des Traums umfasst sieben volle Seiten in meinem Tagebuch. Unter anderem besuchte ich erneut meine Kindheitsliebe und flog einmal mehr in Kanada über den Lake Louise; ich spielte damit, in einem alten, leer stehenden Haus Licht entstehen zu lassen; ich untersuchte seltsame Objekte in den Schubladen einer altmodischen Apotheke; ich unterhielt mich mit verschiedenen Traumfiguren; und schließlich heckte ich mit der Traumversion einer Freundin aus Sydney, die ich im Wachleben schon geraume Zeit nicht mehr gesehen hatte, allerlei Streiche aus. Der luzide Traum fühlte sich an, als würde er über eine Stunde dauern. Tatsächlich war es so, dass ich an einem Punkt an ein grasbewachsenes Flussufer gelangte, wo zahlreiche Traumfiguren umhersaßen und die schöne, friedliche Umgebung genossen. Als ich jedoch mit ihnen sprechen wollte, gaben sie sich irritiert darüber, dass ich schon seit so langer Zeit luzide war, weil es ihnen langsam auf die Nerven ging!
Aufgrund meines tiefgreifenden Interesses erfuhr ich nun fast jeden Morgen Klarträume – manchmal sogar mehrere an einem einzigen Morgen. Häufig geschah es, dass ich aus meiner frühmorgendlichen Meditation unmittelbar in einen Klartraum überwechselte. Das schien geradezu unglaublich und fast surreal. Ich hatte das Gefühl, auf einen Schatz gestoßen zu sein, den mein wissbegieriger Geist erforschen konnte: ein Abenteuerspielplatz, dessen Grenzen allein in meiner Vorstellungskraft lagen.
Mein ganzes Leben und auch meine Reaktionen auf das, womit das Leben mich so konfrontiert, wurden von den vielen positiven Einsichten transformiert, die mir meine Träume und Klarträume bescherten. Es ist bedauerlich, dass Träume in unserer Kultur gemeinhin ignoriert werden. Indem wir den Zugang zum Träumen jedoch verlieren, geben wir auch ein wahrhaft erstaunliches Werkzeug aus der Hand, durch das wir uns selbst und auch das Leben überhaupt besser verstehen können. In Roberts erstem Buch formuliert er folgende Analogie:
Kein Seemann beherrscht die See. Nur ein törichter Seemann würde dergleichen behaupten. Und gleichermaßen beherrscht kein luzider Träumer den Traum. Wie ein Seemann auf hoher See richten wir Klarträumer unsere wahrnehmende Aufmerksamkeit innerhalb des übergeordneten Zustands des Träumens aus.1
Ich finde, das ist eine sehr schöne Analogie. Träume sind große Gebilde, die stets in Bewegung sind; es kann sich als sehr schwierig erweisen, gegen die Gezeiten eines Traums anzukämpfen, und wenn man stattdessen nur still dasteht, fühlt sich das manchmal an, als würde man sich in Wasserwellen abstrampeln, die ständig in Bewegung sind. Wir erschaffen unsere Träume nicht bewusst, sondern reiten lediglich auf ihren Wellen und steuern dabei unsere Erfahrung aus. In diesem Sinne lässt sich luzides Träumen durchaus mit dem Surfen vergleichen. Ich habe etwa zweieinhalb Jahre lang in Australien gelebt, und zwar in der Nähe der beliebten Surfstrände Manly und Bondi. Dort habe ich sehr viele Surfer kennengelernt. Dabei fiel mir immer wieder auf, wie sehr diese den Ozean respektieren. Und so wie ich noch nie einem Surfer begegnet bin, der nicht einen tiefen Respekt für den Ozean hegt, ist mir bisher auch kein erfahrener luzider Träumer untergekommen, der nicht einen ganz ähnlich tiefen Respekt für Träume empfindet.
Manche Menschen sind besorgt, dass die Konzentration auf das Traumleben den Klarträumer daran hindern könnte, die Gegenwart wirklich zu erfahren, dass das Klarträumen also zu einer Art Lebensflucht werden könnte. Meiner Erfahrung nach handelt es sich jedoch um das genaue Gegenteil. Durch das Klarträumen habe ich das Gefühl gewonnen, in meinem Wachleben sehr viel wacher zu sein, ganz genau wie im Traumleben. Wir verbringen so viel Zeit damit, an die Vergangenheit zu denken oder über mögliche Entwicklungen der Zukunft zu brüten, dass das eigentliche Wachsein doch nur bedeuten kann, den gegenwärtigen Augenblick voll zu erfassen. Luzide Traumtechniken und die Klarträume selbst lehren uns, auf vollständige und positive Weise im Jetzt zu sein, und zwar sowohl im Wach- als auch im Traumleben.
Nach wie vor erfahre ich Klarträume als unterhaltsam, hilfreich und lehrreich. Ich bin wirklich dankbar für dieses wunderbare Werkzeug und die Gelegenheit, diese Einsichten mit anderen teilen zu dürfen. Es ist mir ein Herzensanliegen, anderen Menschen in jeder Hinsicht zur Luzidität zu verhelfen.
Roberts Erlebnisse
Anfang des Jahres 1981 saß ich in der Universitätsbibliothek und las in der Psychology Today einen Artikel von Stephen LaBerge, in dem stand, dass es für das Klarträumen wissenschaftliche Beweise gab. Erleichtert und glücklich staunte ich darüber nicht schlecht. Endlich! Endlich gab es einen Forscher, der eine Methode entwickelt hatte, um die Existenz des Klarträumens zu validieren.
Sechs Jahre zuvor war es mir gelungen, mithilfe bestimmter vorschlaflicher Techniken (siehe Kapitel 3) Klarträume selbst herbeizuführen. Jedes Mal, wenn mir bewusst wurde, dass ich träumte, und ich den ganzen Prozess bewusst wahrnehmen konnte, empfand ich eine Art luzider Euphorie. Die plötzliche Bewusstseinsverschiebung verlieh mir das Gefühl, realer, bewusster und vielschichtiger zu sein. Es fühlte sich auf freudige Weise surreal an, mit der Realität der Traumerwartung zu interagieren, während ich die ganze Zeit über wusste: »Dies ist ein Traum!«
Ich bin als völlig Uneingeweihter auf dieses Forschungsgebiet gestoßen. Doch als ich schließlich LaBerges Artikel zu Gesicht bekam, hatte ich schon über hundert Klarträume erlebt. Nur: Wann immer ich dieses faszinierende Phänomen mit anderen Menschen besprechen wollte, erwiderten die meisten entweder, dass ich »einfach nur vom Träumen geträumt« hätte, oder verwarfen die ganze Angelegenheit als unmöglich. Durch LaBerges Forschungsergebnisse erschienen mir meine Klartraumerlebnisse endlich als fundamental gültig und wissenschaftlich akzeptiert.
In jenen frühen Jahren existierte das Klarträumen noch in einer Art Informationswildnis. Ich hatte so gut wie keine anderen Klarträumer, mit denen ich mich hätte austauschen können. Es gab niemanden, den ich um Rat fragen und auch niemanden, mit dem ich meine Entdeckungen hätte teilen können. Die meisten meiner Entdeckungen – meiner Lektionen in Sachen Luzidität – kamen nach sorgfältiger Analyse eines meiner eigenen instruktiven Klarträume zustande, oder wenn ich eine meiner zahlreichen eigenen didaktischen Fehlleistungen untersuchte. Das wenige Material, das vor 1981 überhaupt verfügbar war – etwa die Schriften von Patricia Garfield, Ann Faraday, Carlos Castaneda und Celia Green – bot stets nur knappe Umrisse dessen, was man tun sollte und wie es zu tun sei. Doch die Schönheit und das Wunderbare der Klartraumerfahrung hatten es mir angetan wie der Besuch einer tropischen Insel, und so war es mir ein Anliegen, immer wieder dorthin zurückzukehren, so oft ich nur konnte.
Ursprünglich hatte mich die in den Klarträumen wahrgenommene Wirklichkeit regelrecht überwältigt. Wenn man auf luzide Weise bewusst ist, kann man Traumgegenstände in allen Einzelheiten untersuchen. So können Sie dabei lächeln, während Sie in einem Traumrestaurant einen Teller wenden und darauf den Stempel der Porzellanmanufaktur entdecken, obwohl Sie die ganze Zeit wissen, dass es sich doch nur um einen Traumteller handelt. Im Klartraum kann man innehalten und die weiche Baumwollberührung eines Traum-T-Shirts spüren, erstaunt darüber, dass es sich genauso real anfühlt wie in der Wachwelt. Und das Vergleichen der luziden Wirklichkeit mit der des Wachlebens erweist sich als nie versiegende Quelle der Erheiterung.
Obwohl es mir so schien, als handle es sich beim Klarträumen um eine Art innere Wirklichkeit, die die Wachwelt imitierte, stellte ich doch fest, dass sie einer anderen Struktur von Regeln und Prinzipien unterworfen war. So erlebte ich mich in vielen Klarträumen – von der Schwerkraft erfreulicherweise nicht daran gehindert – umherfliegend und das Erlebnis genießend, dabei aber immer so vorsichtig vorgehend, dass ich meine Begeisterung im Zaum hielt und nichts allzu lange ansah (zwei Grundregeln, die die meisten Klarträumer mit der Zeit durch Versuch und Irrtum erlernen). Und doch lernte ich im Zuge dieses spielerischen Umgangs mit Klarträumen, Geist und Aufmerksamkeit zu schärfen und meine Konzentration zu verbessern. Ich lernte, die Kräfte der Erwartung und des Glaubens auf konstruktive Weise einzusetzen und mit meinen Absichten in Einklang zu bringen. Wenn ich so zurückblicke, scheint mir, dass das Beste, was ich damals tat, mein spielerischer Umgang mit alldem war – das unbeschwerte Spiel mit meinen Klarträumen, bis ich schließlich die Beziehung zwischen meinem Wachbewusstsein, der Traumerfahrung und dem wachsamen Unterbewusstsein erkennen konnte, welches das Ganze unterstützt.
Nach 1981 begannen die Dinge sich zu ändern. Nun erschienen in regelmäßigen Abständen Artikel über das Klarträumen in nationalen Zeitschriften. Eine kleine Zeitschrift, das Dream Network Bulletin kam auf den Markt und bot luzide Träumenden eine Plattform, wo sie Erfahrungen und Techniken austauschen konnten. So nahm ich auf dem Postweg Kontakt zu anderen Klarträumern auf. Nach und nach dämmerte mir, dass die unterschiedlichen Erfahrungen des Klarträumens doch eine ganze Reihe gemeinsamer Merkmale und Prinzipien aufwiesen. Auch wenn Trauminhalt und -symbole jeweils individuell auf den luziden Träumer zugeschnitten zu sein schienen, basierte das Ganze doch auf einer Grundstruktur von Regeln und Prinzipien. Dieses zunächst verborgene Gerüst legte die Schlussfolgerung nahe, dass das Träumen und das Unbewusste tatsächlich feststehenden Regeln unterworfen waren und feste Strukturen aufwiesen. Jene Wissenschaftler, die stets behaupteten, dass es sich bei Träumen lediglich um chaotische, willkürliche Neuronenstöße handle, wussten offenbar nur sehr wenig über die dem Träumen zugrunde liegende Regelstruktur – eine Struktur, die von Klarträumern auf der ganzen Welt auf natürliche Weise immer wieder entdeckt wurde und über deren Merkmale allgemeiner Konsens herrschte.
Je klarer ich diese Grundprinzipien des Klarträumens erfasste, desto leichter wurde es mir, im luziden Bewusstheitszustand zu verharren. Früher musste ich wie die meisten Klarträumer darum kämpfen, luzide zu bleiben, während ich mich abmühte, nicht gegen die Regeln zu verstoßen und aus dem Traum herausgeworfen zu werden, meine luzide Bewusstheit zu verlieren oder in den Normaltraum abzugleiten. Je mehr sich meine Klarträume ausdehnten, umso leichter fiel es mir, sie immer tiefer zu erforschen und sogar kleine Experimente zu unternehmen.
Der eigentliche Wendepunkt kam für mich zehn Jahre nachdem ich mit meiner Praktik des Klarträumens begonnen hatte. Zu dieser Zeit schloss ich mich einer Gruppe talentierter luzider Träumer an, die sich vorgenommen hatte, über drei Jahre hinweg jeden Monat ein Experiment durchzuführen. So machten wir uns einzeln jeden Monat an ein festgelegtes Experiment und schickten die Ergebnisse an den Organisator, der die Berichte fotokopierte und sie als Gesamtpaket an die ganze Gruppe schickte. Im März 1985 diente unser Experiment einem ganz einfachen Ziel – nämlich herauszufinden, wofür die Charaktere in unserem jeweiligen Klartraum standen.
Im Zuge meines eigenen Experiments trat ich in einen luziden Wachzustand ein, als ich im Traum ein Gebäude betrat und einer Frau in ein Büro folgte. Während ich nun dort stand, erinnerte ich mich an die Zielvorgabe unseres monatlichen Experiments und schaute mir die vier Traumfiguren im Einzelnen an. Ich beschloss, mich einem älteren Mann in einem dreiteiligen Anzug zuzuwenden und ihm geradeheraus die schlichte Frage zu stellen: »Wofür stehst du?« In diesem Augenblick geschah etwas sehr Seltsames. Hoch über ihm ertönte eine dröhnende Stimme: »Die erworbenen Eigenschaften!« Von dieser Stimme und ihrer unvollständigen Antwort etwas überrascht, fragte ich weiter: »Wessen erworbene Eigenschaften?« Die Stimme oder derjenige, dem sie gehörte, schien einen Augenblick über meine Frage nachzudenken, dann ertönte die dröhnende Antwort: »Die erworbenen Eigenschaften des freudigen Gebers!« Ich entschied, dass ich mein Ziel erreicht hatte, nämlich herauszufinden, was eine Traumfigur repräsentierte, und befahl mir selbst aufzuwachen.
Am Morgen erinnerte ich mich an einen etwas beunruhigenden Vorfall des Vortags, als ich mit einer Frau bei einer Wohltätigkeitsorganisation gesprochen hatte. Die Frau hatte mir erzählt, dass der einzige Grund, weshalb Leute ihrer Organisation etwas spendeten, darin bestehe, ihren Namen auf der jährlichen Spenderliste wiederzufinden. Als ich nach dem Gespräch davonging, dachte ich trocken darüber: »Der Herr liebt einen freudigen Geber!«. So schien mir die Traumfigur ein Stück Tagesrestverarbeitung aus meinem Alltagswachbewusstsein zu symbolisieren.
Dennoch war in diesem Klartraum etwas zutiefst Wichtiges geschehen. Zum allerersten Mal stellte ich mir die Frage, ob hinter unseren Träumen nicht ein intelligentes Bewusstsein stehen könnte. Da meine Neugier nun geweckt war, übte ich mich darin, in den folgenden Klarträumen die Traumfiguren selbst zu ignorieren und stattdessen meine Fragen und Bitten an dieses unsichtbare, verborgene Bewusstsein zu richten. Und es war kaum zu glauben, aber das Bewusstsein hinter dem Traum antwortete mir! Von diesem Augenblick an entwickelte sich das Klarträumen für mich weit über einen reinen geistigen Spielplatz oder eine schlichte virtuelle Realität hinaus. Nun bot es mir eine Zugangsmöglichkeit, um die sehr viel weiter gefasste Natur der Psyche zu erforschen. Das Klarträumen offenbarte sein Potenzial, zu einem revolutionären Werkzeug der individuellen und gesamtwissenschaftlichen Erforschung des Inneren zu werden.