2. KAPITEL
Francis Reboul würde nie im Leben verkaufen. Jeder zwischen Marseille und Menton wusste schließlich, wie sehr er an seinem Anwesen hing. Und er brauchte das Geld nicht. »Désolé.« Der Mann, der sich untröstlich gab, zuckte die Achseln und zündete sich mit einem goldenen Feuerzeug eine Zigarette an.
Er stand mit Vronsky auf dem Oberdeck der Caspian Queen, die heute den Filmfestspielen in Cannes einen Besuch abstattete. Die Yacht lag in Küstennähe vor Anker, war so positioniert, dass die Crew den Lichterglanz der Croisette, der Flaniermeile der Stadt, aus der Ferne genießen konnte. Der russische Oligarch, alles andere als ein Cineast, hatte es vorgezogen, seine Ankunft in Cannes mit einem Fest an Bord zu begehen, das von seiner PR-Firma organisiert worden war, und keiner der illustren Gäste, die man ins Auge gefasst hatte, war so dreist gewesen, die Einladung auszuschlagen. Es handelte sich dabei um das Rudel der üblichen Verdächtigen, die man bei Filmfestivals antrifft: Frauen, die man in misogyner Laune als unternährt und zu aufdringlich gebräunt empfinden konnte, beleibte Männer mit einer Blässe, die zu vielen Stunden in abgedunkelten Vorführräumen geschuldet war, Starlets und Möchte-gern-Filmsternchen, Journalisten, die ihr Geschmacksurteil über den jeweiligen Film für eminent wichtig und folgenreich hielten, sowie ein oder zwei Sponsoren der Festspiele, die der Veranstaltung einen Hauch Lokalkolorit auf formaler Ebene verleihen sollten. Und nicht zu vergessen der Herr im weißen Seidensmoking, der gerade mit Vronsky ein Gespräch unter vier Augen führte.
Er war, wie man dem Gast aus Russland versichert hatte, der erfolgreichste und am besten vernetzte Immobilienmakler der ganzen Küste. Seine Karriere hatte er unter dem Namen Vincent Schwarz begonnen. Aus beruflichen Gründen hatte er ihn in ›Vicomte de Pertuis‹ abgewandelt – ein Ritterschlag, von dem man nicht wusste, ob er auf reiner Erfindungsgabe beruhte oder doch etwas mit der Herkunft zu tun hatte. Während seiner zwanzigjährigen Laufbahn als selbsternannter Aristokrat war es ihm gelungen, das hochpreisige Ende des Immobilienmarktes an der Küste so unerbittlich in den Griff zu bekommen, dass seinen Konkurrenten die Luft auszugehen drohte. Allerdings stellte Oleg Vronsky selbst für ihn eine gewisse Herausforderung dar. der Oligarch erwies sich als äußerst anspruchsvoller Kunde, der die Nase über alle erstklassigen Immobilien zwischen Monaco und Saint-Tropez rümpfte. Doch der Vicomte, angespornt durch die Aussicht auf die Maklercourtage von fünf Prozent, setzte die Suche unbeirrt fort. Und nun hatte sein Kunde auf eigene Faust ein Haus, nein, einen Palast gefunden, den er zu kaufen beabsichtigte, ohne professionelle Hilfe – ein frustrierender Gedanke, den er jedoch sorgfältig zu kaschieren wusste.
Umstände wie diese erforderten eine beträchtliche Finesse aufseiten des Vicomte. Er konnte schwerlich fünf Prozent des Kaufpreises für die bloße Überwachung einer geschäftlichen Transaktion in Rechnung stellen. Es galt also, für unvorhergesehene Schwierigkeiten und Verzögerungen zu sorgen – Hindernisse, die nur jemand zu überwinden vermochte, der über große Erfahrung und noch größeres Verhandlungsgeschick verfügte. Dieses Prinzip hatte sich in der Vergangenheit schon mehrfach ausgezahlt und ihn bewogen, unverzüglich mit einer negativen Reaktion aufzuwarten, als sich Vronsky bei ihm nach Le Pharo erkundigte.
»Woher wollen Sie wissen, dass er kein Geld braucht?«, entgegnete Vronsky. Nach seiner Erfahrung gab es keine Menschenseele auf Erden, die nicht käuflich war, vorausgesetzt, der Preis stimmte.
»Ah«, erwiderte der Vicomte und senkte seine Stimme, sodass sie kaum mehr als ein Flüstern war. »In meiner Branche braucht man vor allem präzise Informationen, je privater und persönlicher, desto besser.« Er legte eine Pause ein, als würde er seinen eigenen Ausführungen zustimmen. »Ich habe Jahre, viele Jahre damit verbracht, meine Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Fakt ist, dass die meisten Immobilien, die ich vermittle, so exklusiv sind, dass sie den offenen Markt nie erreichen. Ein Wort oder zwei an der richtigen Stelle, et voilà. Transaktionen finden stets unter Wahrung der höchstmöglichen Diskretion statt. Darauf legen meine Kunden großen Wert.«
»Und Sie sind sicher, dass der Eigentümer niemals verkaufen würde?«
Erneutes Achselzucken. »Das ist meine persönliche Einschätzung, in Ermangelung detaillierter Informationen.«
»Und wie kommen wir an die heran?«
Das war genau die Frage, die sich der Vicomte erhofft hatte. »Natürlich müssten Nachforschungen jedweder Art mit Fingerspitzengefühl durchgeführt werden, idealerweise von jemandem mit viel Erfahrung in so heiklen Angelegenheiten. Die Besitzer hochherrschaftlicher Anwesen reagieren nie freimütig, sondern eher verschlossen, bisweilen sogar geradezu unaufrichtig, wenn es gilt, Auskünfte zu erteilen. Um einen Blick hinter die Fassade zu werfen und die Wahrheit zu ergründen, bedarf es eines scharfsinnigen Menschen, der über Adleraugen und Spürnase verfügt.«
Das war genau die Antwort, die Vronsky erwartet hatte. »Jemand wie Sie vielleicht?«
Der Vicomte gab sich bescheiden. »Es wäre mir eine Ehre.«
Und so kamen sie überein, dass sich der Vicomte als Vronskys Spürhund betätigen und Informationen über Le Pharo und seinen Besitzer sammeln sollte. Im Anschluss würden sie gemeinsam einen Aktionsplan ausarbeiten. Nachdem sie in diesem Sinne handelseinig geworden waren, kehrten sie zur Party auf dem Hauptdeck zurück, wo der russische Unternehmer in die Rolle des geselligen Gastgebers schlüpfte und der Vicomte seine Bemühungen fortsetzte, einem angeheiterten Filmproduzenten aus Hollywood den Kauf eines bezaubernden kleinen Penthauses in Cannes schmackhaft zu machen.
Rund hundertsechzig Kilometer östlich an der Küste fand in wesentlich kleinerem Rahmen eine Feier statt, die Francis Reboul organisiert hatte. Damit wollte er Sam und Elena willkommen heißen, die gerade aus Paris eingetroffen waren, wo sie die ersten Urlaubstage verbracht hatten. Le Pharo sollte ihnen als Basislager für die nächsten drei Wochen dienen, und Reboul hatte einige handverlesene Gäste eingeladen, mit denen die beiden im Zuge eines früheren gemeinsamen Abenteuers Freundschaft geschlossen hatten: den Journalisten Philippe Davin und seine Freundin Mimi mit ihren feuerroten Haaren, die Ehrfurcht gebietende Daphne Perkins ohne die Krankenschwesternkluft, mit der sie bei der Vereitelung einer Entführung durchschlagenden Erfolg gehabt hatte; und die Gebrüder Figatelli, Flo und Jo, die eigens für diesen Abend aus Korsika angereist waren, wo sie aufgewachsen und so hervorragend vernetzt waren.
Kaum war dem Ritual der Umarmungen und Küsse zur Auffrischung der freundschaftlichen Bande Genüge getan, brachen sich auch schon die Erinnerungen ihre Bahn. Daphne, den Champagnerkelch in der Hand und den kleinen Finger elegant abgespreizt, hörte Jo aufmerksam zu, der bei der Schilderung der neuesten Entwicklungen in der korsischen Unterwelt in Fahrt geriet. Eine kurze Atempause in der Unterhaltung nutze Daphne sofort aus, um die Frage einzuwerfen: »Was ist eigentlich aus diesem grauenvollen Menschen geworden?«
Obwohl es selbst aus Sicht des größten Philanthropen in und um Marseille gewiss mehr als nur einen grauenvollen Menschen gab, wussten alle Anwesenden sofort, wer gemeint war: Lord Wapping, kein Belgier, nein, ein Brite, ein skrupelloser Tycoon, der vor keiner Schandtat zurückscheute und es beinahe geschafft hätte, Reboul in einer geschäftlichen Transaktion auszustechen, indem er Elena entführen ließ. »Ich bin sicher, Sie haben den Fall weiterverfolgt«, sagte Daphne, an Philippe gewandt. »Befindet er sich denn bereits hinter Gittern? Ist es zu viel verlangt, auf eine lebenslange Freiheitsstrafe zu hoffen?«
»Das wäre ein wenig verfrüht. Im Moment bedient er sich noch eines Schachzugs, den wir als Serbische-Kriegsverbrecher-Strategie bezeichnen – eine plötzliche und völlig unerwartete lebensbedrohliche Krankheit, die ihn vor einem Kreuzverhör bewahrt. Er hat sich noch immer in einer Klinik in Marseille verschanzt und bemüht sich nach besten Kräften, mehr tot als lebendig auszusehen. Man munkelt, dass er einen der Ärzte bestochen hat. Aber am Ende kriegen sie ihn dran, keine Frage.«
Elena schauderte, als sie sich die Ereignisse ins Gedächtnis zurückrief, und Sam legte fürsorglich den Arm um sie. »Immer mit der Ruhe, Schatz. Den Kerl sehen wir nie wieder! Er ist doch hier in Marseille einfach nicht mehr gesellschaftsfähig – und schon gar nicht geschäftsfähig.« Zustimmendes Gemurmel erhob sich von allen Seiten.
Die Stimmung wurde von Mimi aufgeheitert, die auf den ziemlich einfältig grinsenden Philippe deutete. »Schau mal, er hat eine ehrbare Frau aus mir gemacht«, sagte sie zu Elena. Kichernd streckte sie ihr den Mittelfinger der linken Hand entgegen, um ihr den Verlobungsring zu zeigen. Das war das Signal für Glückwünsche und begeisterte Umarmungen. Reboul brachte einen Trinkspruch aus. Sam brachte einen Trinkspruch aus. Die Gebrüder Figatelli brachten jeweils einen etwas derberen Trinkspruch aus. Der Champagner floss in Strömen, und ehe sie sich versahen, wurde das Dinner angekündigt.
Als alle am Tisch Platz genommen hatten, klopfte Reboul mit einem Löffel leicht gegen sein Weinglas, und der Glockenklang ließ sofort alle verstummen. »Willkommen, meine Freunde, willkommen in Marseille. Es ist mir wahrhaft eine Freude, Sie alle wiederzusehen, dieses Mal in einer entspannteren Atmosphäre.« Er ließ seinen Blick über die Tafelrunde schweifen und nickte den lächelnden Gesichtern zu, bevor seine Miene ernst wurde. »Und nun zur Sache. Das Abendessen ist ein frugales Mahl, aber es stehen selbstverständlich Alternativen für jeden zur Verfügung, der allergisch ist gegen Foie gras, butterzartes Sisteron-Lamm mit Rosmarin, eine Auswahl frischer Ziegenkäse und Tarte Tatin. Ansonsten, bon appétit!« Wer Reboul so sah – ein Mann in den reifen Jahren, kräftig, gebräunt, mit leichtem Bauchansatz und Krähenfüßen, doch das schwarze Haar noch dicht und beinahe ungebändigt –, der konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass ein Hauch von Verachtung in seiner Stimme mitschwang gegenüber all jenen von den modernen Zivilisationskrankheiten und Überempfindlichkeitsreaktionen heimgesuchten Menschen, die nur noch mit Allergie- und Kalorientabellen in der Hand Essen zu sich zu nehmen pflegten.
Und damit erschien, wie aufs Stichwort, Rebouls Haushälterin Claudine mit dem Hausmädchen Nanou aus Martinique auf der Bildfläche, um den ersten Gang aufzutragen.
Das Essen war viel zu gut, um Eile an den Tag zu legen, genau wie die Weine, die Gespräche und am Ende die herzliche Verabschiedung. Als Elena und Sam schließlich die Treppen in den obersten Stock hinaufgingen und ihre Gästesuite betraten, war es fast zwei Uhr morgens.
Während sich Elena im Ankleideraum zu schaffen machte, schlenderte Sam zu dem deckenhohen Fenster hinüber, das einen herrlichen Ausblick auf die sich im Wasser des Alten Hafens spiegelnden Lichter bot. Er fragte sich nicht zum ersten Mal, was Erwachsene mit gesundem Menschenverstand bewog, sich in winzige Nussschalen zu quetschen und sowohl die Unbequemlichkeiten als auch die gelegentlichen Gefahren auf sich zu nehmen, die ihnen auf dem wogenden, unberechenbaren Meer drohten. Abenteuerlust? Das Bedürfnis, den Kümmernissen der Welt zu entfliehen? Oder nur eine verfeinerte Spielart masochistischer Neigungen?
Seine Überlegungen wurden unterbrochen, als Elena wieder auftauchte, die Arme beladen mit teuren Einkaufstüten, denen man ansah, dass sie einen noch teureren Inhalt verbargen.
»Ich möchte dir nur schnell zeigen, was ich in Paris erstanden habe, während du dir bei deinem Hemdenverkäufer im Charvet etwas Gutes gegönnt hast«, sagte sie. Und dann breitete sie sorgfältig eine Auswahl von Dessous auf dem Bett aus, die ausgereicht hätten, um eine kleine Boutique zu bestücken: Seide natürlich, einige in Schwarz, andere in blassem Lavendelton gehalten und alle so hauchzart, dass zu befürchten stand, selbst die leichteste Brise würde sie vom Bett wehen. »In der Rue des Saints-Pères gibt es einen wundervollen kleinen Laden, das Sabbia Rosa. Mimi sagt, das sei ein Damenausstatter.« Sie trat einen Schritt zurück und lächelte Sam an, den Kopf kokett zur Seite geneigt. »Und, wie findest du meine Neuerwerbungen?«
Sam ließ die Finger über die feine Seide eines derart substanzlosen Etwas gleiten, dass er einen Augenblick lang dachte, es handle sich um ein winziges Taschentuch. Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht recht. Ich glaube, ich muss sie angezogen sehen, um mich zu vergewissern, dass sie wirklich passen.«
»Verstehe«, erwiderte Elena, als sie ihre Beute einsammelte und in den Ankleideraum zurückkehrte. Sie blickte über die Schulter und zwinkerte ihm zu. »Rühr dich nicht vom Fleck.«
»Ist das ein Dienstbefehl?«
Elena blickte ihn todernst an: »Mehr noch: ein Stellungsbefehl.«