David Michie
die katze des dalai lama und
die kunst
des schnurrens
Roman
Aus dem Englischen übersetzt
von Kurt Lang
Lotos
DAS BUCH
Als der Dalai Lama seine Katze damit beauftragt, die Kunst des Schnurrens zu erforschen, ist dies der Beginn einer abenteuerlichen Reise für die »kleine Schneelöwin«. Wie findet man tiefes, inneres Glück, das nicht nur bis zum Boden einer Thunfischdose reicht? Mit Neugier, Mitgefühl und einer Prise Übermut meistert die Katze Seiner Heiligkeit auf ihrer Suche einige haarige und amüsante Situationen. Sie lauscht mit spitzen Katzenohren, was Lamas, berühmte Wissenschaftler und ein geheimnisvoller Yogi über das Glück zu sagen haben – und sie lernt, wie man den Höhen und Tiefen des Lebens mit Achtsamkeit und buddhistischer Lebensweisheit begegnet. Denn manchmal ist Schnurren einfach die beste Lösung!
DER AUTOR
David Michie, geboren in Simbabwe, lebt heute in Australien. Ursprünglich Thriller-Autor, gelingt es dem praktizierenden Buddhisten und Meditationslehrer mit Bravour, buddhistische Prinzipien in moderner, verständlicher Form einem breiten Publikum nahezubringen.
Weitere Informationen unter: www.davidmichie.com
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Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel »The Dalai Lama’s Cat
and the Art of Purring« im Verlag Hay House Inc., USA.
Copyright © 2013 by David Michie
Originally published in 2013 by Hay House Inc., USA
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015 by Lotos Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Redaktion: Karin Weingart
Covergestaltung: Guter Punkt, München
unter Verwendung eines Motivs von © KameleonMedia/Bigstock
Illustrationen: © branche caria – Fotolia.com
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-16436-2
V004
www.ansata-integral-lotos.de
Irren ist menschlich, Schnurren kätzlich.
ROBERT BYRNE, SCHRIFTSTELLER
Prolog
Da seid ihr ja wieder (obwohl ihr euch ganz schön Zeit gelassen habt, wenn ich das sagen darf, liebe Leser), sehr gut!, denn ich habe eine Botschaft für euch. Keine gewöhnliche und schon gar nicht stammt sie von einer gewöhnlichen Person. Aber sie betrifft euch ganz direkt, euer größtes, höchst persönliches Glück.
Ihr braucht euch jetzt nicht umzudrehen und nachsehen, ob jemand hinter oder neben euch steht. Nein, diese Botschaft ist wirklich für euch ganz persönlich bestimmt.
Nicht jeder Erdenbürger wird diese Zeilen lesen – realistisch betrachtet wohl nur eine winzige Minderheit. Aber glaubt nicht, es sei Zufall, dass ihr sie gerade in diesem besonderen Augenblick eures Lebens lest. Nur diejenigen mit einem ganz bestimmten Karma werden begreifen, was ich zu sagen habe – nämlich die, die auf eine besondere Weise mit mir verbunden sind.
Oder besser gesagt: mit uns.
Denn bekanntermaßen bin ich die Katze des Dalai Lama, und die Botschaft, die ich euch mitzuteilen habe, kommt von Seiner Heiligkeit persönlich.
Wie ich es wagen kann, eine solch lächerliche Behauptung aufzustellen? Habe ich etwa nicht mehr alle Tassen im Schrank? Wenn ihr gestattet, dass ich mich auf euren Schoß setze – selbstverständlich nur metaphorisch gesprochen –, will ich es euch erklären.
Irgendwann steht jeder Katzenliebhaber einmal vor dem Problem: Wie sage ich meinem vierbeinigen Gefährten, dass ich für längere Zeit verreise? Und nicht nur übers Wochenende?
Für uns Katzen ist die Art und Weise, mit der die Menschen ihre bevorstehende Abreise kundtun, von großer Bedeutung. Einige meiner Artgenossen bestehen auf frühzeitiger Vorwarnung, damit sie sich geistig auf die kommenden Veränderungen einstellen können. Andere dagegen ziehen es vor, von der Nachricht überrascht zu werden, als würde eine wütende Elster während der Brutzeit auf sie herniederfahren: Kaum hat man begriffen, was da vorgeht, ist es auch schon passiert.
Das Personal scheint sich darauf einzurichten: Die einen schmieren einem schon Wochen vor ihrer Abreise Honig ums Maul. Die anderen holen mir nichts, dir nichts den Koffer aus der Abstellkammer.
Ich selbst kann mich im Grunde sehr glücklich schätzen, denn auch wenn der Dalai Lama auf Reisen geht, verändert sich der Alltag hier im Namgyal nicht großartig. Nach wie vor verbringe ich viel Zeit auf dem Fensterbrett seiner Gemächer im ersten Stock, einem Aussichtspunkt, von dem aus ich mit geringstem Aufwand möglichst viel mitbekomme. Außerdem bin ich oft im Büro der Assistenten Seiner Heiligkeit. Und nicht zu vergessen der regelmäßige kurze Spaziergang ins Himalaja-Buchcafé, in dem immer eine angenehme, freundliche Atmosphäre herrscht und verlockende Köstlichkeiten auf mich warten.
Dennoch – ohne Seine Heiligkeit ist es nicht dasselbe. Wie man sich in Gegenwart des Dalai Lama fühlt? Ich kann es nicht besser beschreiben als mit dem einen Wort: großartig. Sobald er einen Raum betritt, werden alle Anwesenden von seiner Energie und seiner von Herzen kommenden Heiterkeit berührt. Welche Probleme man auch sonst im Leben hat, welche Tragödien oder welcher Verlust einen ereilt haben mögen, während der Zeit, die man mit Seiner Heiligkeit verbringt, empfindet man tief im Inneren die Gewissheit, dass alles gut ist.
Wer das noch nicht selbst erfahren hat: Es ist, als ob man eine Dimension an sich entdecken würde, die immer schon da war und die einen durchströmt wie ein unterirdischer, bisher unbekannter Fluss. Und sobald man diesen Quell einmal wiederentdeckt hat, erfährt man nicht nur tiefen Frieden im Kern seines Wesens, sondern darf auch für einen kurzen Moment einen Blick auf das eigene Bewusstsein werfen – strahlend, grenzenlos und voller Liebe.
Der Dalai Lama sieht uns so, wie wir wirklich sind, und hält uns den Spiegel unserer wahren Natur vor. Das ist auch der Grund, warum in seiner Gegenwart so viele Menschen förmlich dahinschmelzen. Mächtige Männer in dunklen Anzügen habe ich in Tränen ausbrechen sehen, nur weil er sie am Arm berührt hat. Die Oberhäupter der großen Weltreligionen stehen Schlange, um ihn kennenzulernen. Ich habe an den Rollstuhl gefesselte Menschen beobachtet, die Freudentränen vergossen, als er sich durch die Menge drängte, um ihnen die Hand zu reichen. Seine Heiligkeit erinnert uns an das Beste, was wir sein können. Gibt es ein größeres Geschenk?
Obwohl ich auch dann noch ein privilegiertes, sehr angenehmes Leben führe, wenn der Dalai Lama auf Reisen ist, könnt ihr also sicher nachvollziehen, warum mir seine Gegenwart weitaus lieber ist. Dessen ist sich auch Seine Heiligkeit bewusst – genauso wie er weiß, dass ich zu der Sorte Katze gehöre, die vorab informiert werden will, wenn er zu verreisen beabsichtigt. Will ihn einer seiner Assistenten – entweder Chogyal, der junge, pummelige Mönch, der für die spirituellen Belange und die Angelegenheiten des Klosters zuständig ist, oder Tenzin, der erfahrene Diplomat, der ihm in weltlichen Dingen zur Hand geht – an eine bevorstehende Reise erinnern, blickt Seine Heiligkeit auf und sagt so etwas wie: »Ende nächster Woche zwei Tage Neu-Delhi.«
Die Männer denken dann vielleicht, dass er den Termin bestätigt. In Wahrheit jedoch sagt er es nur meinetwegen.
Vor einer längeren Reise bereitet er mich auf seine Abwesenheit vor, indem er mir die Anzahl der Nächte vor Augen führt, die er fortbleiben wird. Außerdem legt er großen Wert darauf, dass wir am Abend vor seinem Aufbruch eine gewisse Zeit zusammen verbringen. Nur wir beide. In diesen kostbaren Minuten verständigen wir uns so innig miteinander, wie es nur Katzen und ihren menschlichen Gefährten möglich ist.
Was mich wieder zu der Botschaft zurückbringt, die ich euch von Seiner Heiligkeit überbringen soll. Er gab sie mir am Abend vor seiner Abreise zu einem siebenwöchigen Lehraufenthalt in den Vereinigten Staaten und Europa – so lange waren wir vorher noch nie voneinander getrennt gewesen. Während sich die Dämmerung über das Kangra-Tal legte, stand er von seinem Schreibtisch auf, kam zum Fensterbrett herüber und ging vor mir in die Hocke. Während er in meine blauen Augen schaute, sagte er: »Morgen muss ich fort, meine kleine Schneelöwin.« Diesen Kosenamen mag ich besonders gern, weil die Tibeter Schneelöwen als himmlische Geschöpfe betrachten, die Schönheit, Furchtlosigkeit und Fröhlichkeit symbolisieren. »Sieben Wochen, das ist länger, als ich normalerweise unterwegs bin. Ich weiß, dass du mich am liebsten hierbehalten würdest, aber ich werde auch noch von anderen gebraucht.«
Ich richtete mich auf, streckte die Pfoten und dehnte mich lange und ausgiebig. Dann gähnte ich herzhaft.
»Was für ein schönes rosa Mäulchen«, sagte Seine Heiligkeit lächelnd. »Es freut mich, dass deine Zähne und dein Zahnfleisch bei bester Gesundheit sind.«
Ich kam näher und stupste ihn liebevoll mit dem Kopf an.
»Ach, du bringst mich zum Lachen!«, sagte er. So blieben wir, Stirn an Stirn, während er meinen Hals kraulte. »Ich werde eine Zeit lang nicht hier sein, aber dein Wohlbefinden hängt nicht von meiner Anwesenheit ab. Du kannst trotzdem sehr glücklich sein.«
Seine Fingerspitzen massierten die Hinterseite meiner Ohren. Genau so, wie ich es mag.
»Du glaubst vielleicht, dass dein Glück von meiner Anwesenheit oder den Leckereien abhängt, die du unten im Café bekommst.« Seine Heiligkeit machte sich keine Illusionen darüber, weshalb ich ein so eifriger Besucher des Himalaja-Buchcafés war. »Aber versuch doch mal, in den nächsten sieben Wochen die wahre Ursache des Glücks herauszufinden. Und wenn ich zurückkomme, kannst du mir von deinen Erkenntnissen berichten.«
Behutsam und liebevoll nahm mich der Dalai Lama in den Arm, und gemeinsam betrachteten wir das Kangra-Tal durch das offene Fenster. Es ist ein majestätischer Anblick: das blühende, gewundene Tal, die sanften, von immergrünen Wäldern bedeckten Hügel, weit dahinter die schneebedeckten Gipfel des Himalajas, die in der Abendsonne glänzen. Die sanfte Brise, die durch das Fenster hereinwehte, duftete nach Kiefern, Rhododendron und Eiche; ein magisches Flirren lag in der Luft.
»Ich werde dir die wahren Ursachen des Glücks verraten«, flüsterte er mir ins Ohr. »Diese Botschaft ist nur für dich bestimmt – und für diejenigen, die karmisch mit dir verbunden sind.«
Ich fing an zu schnurren, erst leise, dann so laut wie ein winziger Außenbordmotor.
»Genau, meine kleine Schneelöwin«, sagte der Dalai Lama. »Ich möchte, dass du die Kunst des Schnurrens erforschst.«