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Das Buch

Nach einer langen Odyssee kehrt Odd Thomas an den Ort zurück, wo alles begann: sein Heimatstädtchen Pico Mundo, in dem er ein friedliches Leben als geistersehender Grillkoch geführt hatte. Doch dann war die Liebe seines Lebens, Stormy Llewellyn, gewaltsam zu Tode gekommen, und Odd auf eine lange Odyssee aufgebrochen, die ihm ebenso Einblicke in das tiefste Böse wie in den reinsten menschlichen Edelmut gewährte. Alles, was er dabei gelernt hat, muss er nun anwenden, um seine Freunde zu beschützen: Denn seine grausamen Gegner sind dabei, sich noch einmal in Pico Mundo zusammenzurotten, um einen finalen Schlag gegen alle zu führen, die er liebt. Sie sind ihm hoffnungslos überlegen, aber Odd ist bereit, wirklich alles zu riskieren, um sie aufzuhalten.

Der Autor

Dean Koontz wurde 1945 in Pennsylvania geboren und lebt heute mit seiner Frau in Kalifornien. Seine zahlreichen Romane – Thriller und Horrorromane – wurden in 38 Sprachen übersetzt und sämtlich zu internationalen Bestsellern. Weltweit wurden bislang 400 Millionen Exemplare seiner Bücher verkauft.

Mit Opferweg vollendet Dean Koontz seine internationale Erfolgsreihe um den großartigen Helden Odd Thomas nach Die Anbetung, Seelenlos, Schattennacht, Meer der Finsternis, Schwarze Fluten und Abgrundtief. Alle sieben Bücher waren in den USA Top-Ten-Bestseller der New York Times.

DEAN KOONTZ

OPFERWEG

EIN ODD-THOMAS-ROMAN

Aus dem Amerikanischen
von Wulf Bergner

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Die Originalausgabe SAINT ODD

erschien bei Bantam Books, New York

Vollständige deutsche Erstausgabe 12/2015

Copyright © 2015 by Dean Koontz

Copyright © 2015 der deutschen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München,

unter Verwendung eines Motivs von © Bigstock/gorielov und Chrismp

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-16626-7
V002

www.heyne.de

Die einzige Weisheit, die zu erwerben wir
hoffen können, ist die Weisheit der Demut …
T.S. Eliot, East Coker (1940)

1

Allein in der Weite der Mojavewüste, um zwei Uhr morgens mit siebzig Meilen in der Stunde dahinrasend, fühlte ich mich sicher und glaubte, falls mich irgendwelche Schrecken erwarteten, lägen sie noch viele Meilen weit vor mir. Dies sollte nicht das erste Mal in meinem seltsamen Leben sein, dass Sicherheit sich als Illusion erwies.

Ich neige dazu, stets das Beste zu hoffen, selbst wenn ich gerade mit dem Springseil eines kleinen Mädchens erdrosselt werde, das ein zorniger, hundertdreißig Kilogramm schwerer samoanischer Ringer mir um den Hals geknotet hat. Aus dieser kritischen Situation konnte ich mich hauptsächlich dadurch befreien, dass ich mir seinen geliebten Hut schnappte, den er für seinen Glücksbringer hielt. Als ich den Hut wie eine Frisbee-Scheibe wegschleuderte und er das Springseil losließ, um zu versuchen, ihn aus der Luft zu fangen, konnte ich einen Kricketschläger aufheben und ihn mit einem Schlag in die Genitalien überraschen, der besonders wirkungsvoll war, weil er nichts außer einem Lendenschurz trug. Stets aufs Beste zu hoffen, ja, das hat sich im Allgemeinen für mich bewährt.

Jedenfalls war die Wüste unter einem Vollmond so unheimlich wie die Landschaft eines fremden Planeten. Die große schwarze Schlange des Highways schlängelte sich über eine Folge von niedrigen Steigungen und sanften Gefällen, durch ebene Sandflächen, die schwach leuchteten, als seien sie radioaktiv, und vorbei an plötzlich aufragenden Felsformationen, die an manchen Stellen mit Quarzit oder dergleichen durchsetzt waren, der das Scheinwerferlicht des Big Dog, meines Choppers aus Wichita, zurückwarf und feurigen Adern gleich leuchtete.

Trotz des großen Monds und der drei gleißend hellen Augen meines Bikes versank die Mojave in ihrer Breite in zunehmender Dunkelheit. Nur halb erkennbare knorrige Umrisse von Mesquitebäumen und vereinzelte Gruppen anderer stachliger Pflanzen richteten ihre Spitzen gegen mich und schienen wie flinke, feindselige Tiere nach vorn springen zu wollen, als ich an ihnen vorbeiraste.

Mit seiner barock ausladenden Verkleidung und den Satteltaschen schien der Big Dog Bulldog Bagger für Ehepaare in Suburbia geschaffen zu sein, aber sein zweizylindriger V-Motor mit 1,8 Liter Hubraum und Benzineinspritzung machte ihn so schnell, wie man es sich nur wünschen konnte. Als ich zuvor die Interstate genommen hatte, bevor ich auf den weniger befahrenen State Highway abgebogen war, hatte ich nur kurz am Gasgriff drehen müssen, um an jedem Personenwagen oder großen Sattelschlepper vorbeizuschießen, der vor mir trödelte. Nun rollte ich mit siebzig dahin, saß bequem in dem niedrigen, tiefen und breiten Sitz und spürte von dem in Hartgummi gelagerten Motor nur ein Minimum an Vibrationen.

Obwohl ich eine Motorradbrille und einen Kohlefaserhelm trug, der meine Ohren freiließ, tarnten das Pfeifen des Fahrtwinds und der kehlig röhrende Auspuffklang des Big Dog das Motorengeräusch des Cadillac Escalade, der ohne Licht fahrend zu mir aufschloss und sich dann mit lautem Hupen ankündigte. Der Fahrer schaltete daraufhin seine Scheinwerfer ein, die mich in den Rückspiegeln blendeten, sodass ich mich umsehen musste, um festzustellen, dass er kaum fünfzehn Meter hinter mir war. In dieser Nähe, bei dieser Geschwindigkeit war der SUV ein erschreckendes Ungetüm.

Wiederholtes lautes Hupen ließ vermuten, der Fahrer könnte betrunken oder high sein, an Straßenkoller leiden oder einfach nur Lust auf ein krankes kleines Katz-und-Maus-Spiel haben. Als er einen Tusch tutete, dehnte er die letzte Note zu lange aus, und ich versuchte mir einzureden, wer solche Klischees gebrauchte und es dann nicht mal schaffte, sie zeitlich richtig hinzubekommen, könne kein gefährlicher Gegner sein.

Schon früher hatte ich die Erfahrung gemacht, dass der Big Dog sich am besten bei etwas über achtzig Meilen fahren ließ und sogar bei hundert noch vollkommen beherrschbar war. Ich drehte am Gasgriff, und mein Bike fraß Asphalt in sich hinein, ließ den Caddy weit hinter sich zurück. Zumindest vorläufig.

Weil dies nicht der Höhepunkt der Insektensaison in der Mojave war, bekam ich keine Nachtschmetterlinge oder hart gepanzerte Käfer in den Mund, als ich jetzt Verwünschungen murmelte. Ich saß angespannt und hoch aufgerichtet im Sattel, sodass mein Kopf über die niedrige Windschutzscheibe hinausragte, ließ zu, dass die warme Nachtluft meine Lippen rissig machte und auf meinen Wangen brannte.

Jeder verantwortungsbewusste Dermatologe hätte mich dafür kritisiert, dass ich mit ungeschütztem Gesicht in diesem trockenen Ödland unterwegs war. Aus vielen Gründen war jedoch kaum zu erwarten, dass ich meinen dreiundzwanzigsten Geburtstag erleben würde, deshalb machte mir die Aussicht darauf, zwei Jahrzehnte später vorzeitig gealtert auszusehen, keine großen Sorgen.

Diesmal hörte ich den Escalade kommen: Er kreischte wie eine bösartige Maschine aus einem »TRANSFORMERS«-Film und fuhr nun wieder ohne Licht. Früher als erhofft schaltete der Fahrer seine Scheinwerfer ein, die mich in den Rückspiegeln blendeten und den Asphalt um mich herum erhellten.

Weniger als fünfzehn Meter.

Der Geländewagen war offensichtlich getunt. Dies war kein gewöhnlicher Mama-fährt-mit-Baby-zum-Spielplatz-Caddy. Der Motor klang, als hätte General Motors ihn von Boeing als Zulieferer bezogen. Falls er mich überfahren wollte, sodass ich am Kühler des Caddy klebte – und das wollte er anscheinend –, würde ich dem auf Leistung getrimmten Motor, der ihn zum King of the Road machte, niemals davonfahren können.

Weil er sein Fahrzeug mit verschiedenen Mehrklanghörnern ausgestattet hatte, die jeweils ein paar Takte bekannter Melodien spielen konnten, forderte er mich jetzt mit den ohrenbetäubend laut gespielten Klängen des Songs »THE BEAT GOES ON« von Sonny und Cher heraus.

Der Big Dog hatte eine Sechsgangschaltung. Dieser zusätzliche Gang und das rechts angebrachte Schwungrad bewirkten besseren Massenausgleich und besseres Handling als bei gewöhnlichen Tourenmaschinen. Der mit 250 Millimetern extrabreite Hinterreifen und der um 34 Grad nach hinten geneigte Lenkerkopf gaben mir das Vertrauen, eine kleine Show abzuziehen, obwohl der Tacho inzwischen schon eine fast dreistellige Geschwindigkeit anzeigte.

Jetzt spielte er mir mit den ersten sieben Noten von »LOUIE, LOUIE« der Kingsmen auf. Und gleich noch mal.

Mein einziger Vorteil konnte Beweglichkeit sein, also Schnelligkeit, Geschwindigkeit. Die gute alte Velozität. Forsch rutschte ich im Sattel tiefer, sodass die gebogene Windschutzscheibe den Fahrtwind über meinen Sturzhelm leitete, und nutzte den dreispurigen Highway aggressiver, indem ich in Schlangenlinien von einer Seite zur anderen fuhr. Ich saß dicht über der Straße, und der Escalade hatte einen weit höheren Schwerpunkt als der Big Dog; versuchte der Fahrer, hinter mir zu bleiben, konnte er mit seinem Geländewagen schleudern und umkippen.

War er clever, würde er erkennen, dass er rasch Boden gewinnen konnte, wenn er mich nicht imitierte, während ich in Schlangenlinien fuhr, sondern geradeaus weiterraste. Und durch einfache Berechnung konnte er mich abfangen, wenn ich von einer Straßenseite auf die andere wechselte.

Die zweite Wiederholung von »LOUIE, LOUIE« bewies mir: Er war entweder nicht besonders clever oder so durch den Wind, dass er mir in eine Feuergrube gefolgt wäre, bevor er merkte, was er getan hatte. Eine weitere programmierbare Hupe trompetete mehrere Noten, aber ich kam nicht auf den Song, obwohl sie in mir Erinnerungen an einen fast völlig vergessenen Softrocker – Boy George – weckten.

Als Bremsen kreischten, sah ich mich um und konnte beobachten, wie der Escalade mit rauchenden Reifen umzukippen drohte, während der Fahrer das Lenkrad scharf rechts einschlug, um nicht in Richtung Norden von der Straße abzukommen. Ich beschrieb ein großes S nach dem anderen, lenkte den Big Dog aus der jetzigen Kurve, wobei ich für den zu Recht gelobten Balance Drive dankbar war, und legte mich in die nächste Kurve. Mit erneutem Kreischen hinterließen die Reifen eine Spur aus heißem Gummi auf dem Asphalt, als der Fahrer das Steuer nach links riss. Der Wagen rutschte beinahe über das südliche Bankett des Highways, war wieder stark geneigt und richtete sich dann jedoch auf, bevor er auch nur in Gefahr geriet, umzukippen.

Der Fahrer kehrte zu seinem Grundhorn bzw. Grundton zurück, versuchte dieses Mal aber gar nicht erst, eine Melodie zu spielen, sondern hupte nur immer wieder kräftig, als glaubte er, mich durch Schalldruck von meinem Bike pusten zu können.

Meine Schilderung könnte so klingen, als sei ich während dieser Verfolgungsjagd ruhig und beherrscht geblieben; tatsächlich fürchtete ich jedoch, ich könnte jeden Augenblick bedauern, keine Erwachsenenwindel zu tragen.

Unabhängig davon, welche Drogen oder Getränke den Caddy-Fahrer hatten ausrasten lassen und in mörderische Wut versetzt hatten, behielt er gerade noch so viel Vernunft, um zu erkennen, dass er mit seinem Wagen umkippen würde, wenn er weiter hinter mir herfuhr. Er raste jetzt geradeaus auf der mittleren der drei Spuren, holte verlorenen Boden auf und wollte mein Bike zwischen zwei Kurven meines Flachlandslaloms abfangen.

Der Big Dog Bulldog Bagger war nicht als Geländemaschine ausgelegt. Die Diät, die ihn glücklich machte, bestand aus Beton und Asphalt, und er wollte wegen seiner aerodynamisch gelungenen Linien, seiner Sonderlackierung nach Kundenwunsch und seines üppigen Chroms bewundert werden, nicht wegen seiner Robustheit und der Fähigkeit, mühelos durch wilde Landschaften brettern zu können.

Trotzdem wagte ich mich ins Gelände. Notwendigkeit ist die Mutter der Erfindungsgabe, heißt es, aber sie ist auch die Großmutter der Verzweiflung. Der Highway lag gut einen halben Meter über dem Gelände, durch das er führte, und ich raste mit solchem Tempo übers Bankett, dass mein Bike meterweit durch die Luft flog, bevor es mit gewaltigem Krachen, das mich kurz vom Sitz hob und meine Füße auf den Bodenbrettern tanzen ließ, wieder aufkam.

In dieser Gegend war die Wüste keine weiche Landschaft aus Sanddünen und ausgetrockneten Seen mit pulverförmigen Ablagerungen, was nur gut war, denn auf solchem Untergrund hätte der Big Dog sich binnen hundert Metern festgewühlt. Nach Jahrtausenden unter sengender Sonne und scharfen Winden war der Boden fest, das Magmagestein reich an Feldspat, das Land größtenteils baumlos, aber vereinzelt mit purpurrotem Salbei und Mesquite und dürren Pflanzen bewachsen, die sich weniger leicht identifizieren ließen.

Der auf übergroßen Breitreifen rollende Escalade mit Allradantrieb war für Geländefahrten weit besser geeignet als mein Bike, als er jetzt in meinem Kielwasser den Highway verließ. Ich war auf der Suche nach einer Senke, die tief genug war, um als Versteck dienen zu können, einer überhängenden Steilwand oder einem jäh aufragenden Felssporn, der mich den Blicken meines offensichtlich geistesgestörten Verfolgers entziehen konnte. Dann würde ich die Scheinwerfer ausschalten, viel langsamer weiterfahren, mich bei Mondschein orientieren und versuchen, möglichst rasch möglichst viele natürliche Hindernisse zwischen ihn und mich zu bringen. Irgendwann würde ich vielleicht einen Ort finden, der mir Schutz bot, sodass ich den Motor abstellen, horchen und warten konnte.

Plötzlich überflutete helleres Licht das Land, und als ich einen Blick nach hinten riskierte, sah ich, dass der Escalade einen Dachständer mit starken Scheinwerfern besaß, die der Fahrer gerade eingeschaltet hatte. Die Wüste vor mir erinnerte an eine Szene aus einem frühen Film von Steven Spielberg: ein abgelegener kleiner Flugplatz, auf dem aufgeregte und glamouröse Wissenschaftler einer geheimen Regierungsbehörde bereitstehen, um eine Gruppe friedlicher Außerirdischer und ihr Mutterschiff zu empfangen. Statt Wissenschaftlern und Aliens gab es hier jedoch einen durch Inzucht gezeugten Banjospieler aus Deliverance, der mich mit bösen Absichten verfolgte.

In dieser weitreichenden grellen Lichtflut warf jedes bisschen kümmerliche Vegetation einen langen tintenschwarzen Schatten. Das bleiche Land erwies sich als weniger unregelmäßig, als ich gehofft hatte: allem Anschein nach eine Ebene, auf der ich so wenig auf ein Versteck hoffen durfte wie auf ein McDonald’s-Restaurant inklusive Kinderspielplatz für die Kleinen.

Obwohl ich selbst angesichts von Gefahren und drohendem Unheil von Natur aus optimistisch, sogar fröhlich bin, gab es Zeiten wie diese, wo mir die ganze Welt wie ein Todestrakt vorkam und ich zu wissen glaubte, meine letzte Mahlzeit sei mein Henkersmahl gewesen.

Statt zu versuchen, wieder den Highway zu erreichen, fuhr ich nach Norden in die Wildnis weiter, wobei ich mir selbst versicherte, mir sei nicht bestimmt, in diesem Gebiet zu sterben, sondern im weiteren Verlauf einen Zufluchtsort zu finden. Meine Bestimmung war es, etwa dreißig Meilen von hier in der Kleinstadt Pico Mundo zu sterben – nicht heute Nacht, sondern morgen oder übermorgen oder am Tag danach. Außerdem würde ich nicht durch einen Cadillac Escalade sterben; mein Ende würde nicht so einfach sein, nicht so glatt und sauber kommen. Nachdem ich mir diesen fragilen Optimismus eingeredet hatte, setzte ich mich im Sattel auf und grinste der warmen Nachtluft mutig entgegen.

Während der Geländewagen allmählich zu mir aufschloss, benutzte der Psycho hinter mir wieder eine seiner speziellen Hupen. Diesmal erkannte ich die Titeltöne von »KARMA CHAMELEON« von Culture Club, deren Frontmann Boy George gewesen war. Dieser Song erschien mir so passend, dass ich lachte, und mein Lachen hätte mich aufgeheitert, wenn es nicht auch ein bisschen verrückt geklungen hätte.

Die mit Stickstoff gefüllten Stoßdämpfer, die mit Gummi isolierten Fußbretter und die Handgriffe aus Gummi – all das trug dazu bei, die Fahrt durchs Gelände angenehmer zu machen, als ich erwartet hatte, aber ich rechnete damit, dass mir irgendein mechanisches Versagen bevorstehen würde, oder erwartete einen Zusammenstoß mit einem zu spät erkannten Felsbrocken, bei dem ich aus dem Sattel fliegen würde, oder dass ein Knäuel Klapperschlangen, die mitten im Geschlechtsakt in die Luft geschleudert worden waren, zischend auf mich herabregnen würde.

Ich erlitt einen kurzen Rückschlag in meinem charakteristischen Optimismus.

Vor mir führte auf längerer Strecke leicht abfallendes Gelände zu einem schmalen dunklen Streifen, bevor die Scheinwerfer des Escalade mir etwas höheres Gelände zeigten, das wie eine Fata Morgana schimmerte. Ich wusste nicht genau, was ich vor mir hatte; dieser Anblick war kaum weniger rätselhaft als der eines abstrakten Gemäldes, das ganz aus geometrischen Formen in blassem Beige und Schwarz bestand. Aber für den Fall, dass dort vorn lag, was ich brauchte, beschleunigte ich etwas.

Ich musste mich zwischen den hohen Grasbüscheln einer Kolonie Pampasgras hindurchschlängeln, die wegen Wassermangel halb vertrocknet waren. Die schmalen, eineinhalb Meter hohen, lanzettförmigen Halme waren möglicherweise scharf genug, um mich zu schneiden, und seine unzähligen gefiederten Rispen wehten wie weiße Fahnen, die eine Kapitulation signalisierten.

Der Verrückte, der mich verfolgte, war offenbar kein Mitglied des Sierra Clubs, denn der Escalade bretterte ohne zu zögern mitten durchs Pampasgras, hinterließ eine Spur der Verwüstung aus geknickter und geschredderter Vegetation und kam mir rasch näher.

Die unablässig wiederholten Anfangstöne von »KARMA CHAMELEON« und das Röhren des getunten Escalade-Motors waren so laut, dass mir klar wurde, er musste dicht hinter mir sein, vielleicht nur noch wenige Meter entfernt. Ich sah mich nicht wieder nach ihm um.

Als mir nur noch drei, vier Sekunden Zeit blieben, richtig zu reagieren, sah ich, dass ich das Gelände vor mir zutreffend beurteilt hatte. Ich kurvte unmittelbar vor dem Rand scharf rechts weg.

Der Big Dog geriet ins Schleudern, und sein Hinterreifen fräste einen Augenblick lang Steine vom Rand des Abgrunds weg, bevor er wieder Bodenhaftung bekam.

Unabhängig davon, ob der Fahrer sich plötzlich auf das vor ihm liegende höhere Gelände konzentrierte oder wie bisher nur Augen für mich hatte, besaß der Escalade zu viel Masse und Bewegungsenergie, um rechtzeitig bremsen zu können, und war weit weniger wendig als mein Bike. Seine Wirbelschleppe ließ Staub und vertrocknete Pflanzenteile auf mich herabregnen, als der große Geländewagen über den Rand der Klippe hinausraste, wobei er weiter »KARMA CHAMELEON« trötete, als er zu einem kurzen Flug ansetzte.

Wegen seiner Bremssättel mit vier Kolben konnte ich den Big Dog nicht gerade auf der Stelle, aber doch auf kürzeste Entfernung zum Stehen bringen. Ich stellte ihn auf den Seitenständer, stieg ab und stand am Rand des Abgrunds, als der mit Zusatzscheinwerfern ausgerüstete Caddy, der jetzt mit der Motorhaube voraus wie eine Bombe fiel, sein endgültiges Ziel beleuchtete.

Die in vielen Jahrtausenden durch Überschwemmungen, Wüstenwinde und seismische Aktivitäten entstandene Spalte, eher eine kleine Schlucht, schien oben ungefähr zehn Meter und unten weniger als drei Meter breit und ungefähr fünfzehn Meter tief zu sein. Der abstürzende Geländewagen testete den Boden aus gewachsenem Fels, und der gewachsene Fels blieb Sieger. Der letzte Ton des Songs von Boy George erklang im letzten Augenblick vor dem Aufprall. Die Scheinwerfer erloschen schlagartig, und in der plötzlichen Dunkelheit verlor der Geländewagen Teile, die krachend und scheppernd von den Felswänden abprallten.

Ich sagte »Wow«, was für einen Filmdialog nicht witzig genug gewesen wäre, aber genau das sagte ich. Ich bin nicht Tom Cruise.

Nach einigen Sekunden Dunkelheit brach das Feuer aus. Es begann nicht mit einer Explosion, sondern mit niedrig züngelnden Flammen, die rasch höher und heller tanzten. Die Felsspalte erwies sich als Falle für buschige Steppenläufer, die sich auf ihrem Boden angesammelt hatten, und diese kugelförmigen Gebilde gerieten westlich des Autowracks, wohin das Benzin aus dem geplatzten Tank gelaufen sein musste, zuerst in Brand.

Die Wände der kleinen Schlucht waren steil, aber zu Fuß zu bewältigen. Loses Geröll rutschte unter meinen Füßen weg, als ich mich mit der Eleganz – ich weiß nicht, weshalb dieser unwahrscheinliche Vergleich mir in diesem Augenblick einfiel – eines Pinguins auf Stelzen beeilte, den Boden zu erreichen. Wer zu viele Jahre damit verbringt, sich alte Warner-Brothers-Cartoons von Chuck Jones reinzuziehen, gerät in Gefahr, sich indirekt mit einem Albernheits-Gen zu infizieren.

Ebenso albern war vielleicht, dass ich mich in meinem Barmherziger-Samariter-Modus befand. Gewiss, der Fahrer hatte ganz offenbar versucht, mich umzubringen, aber seine Mordlust konnte eine Folge übermäßigen Alkoholgenusses gewesen sein, und er war vielleicht ein Pfundskerl, wenn er nüchtern war. Ich konnte ihn nicht dort unten verbluten oder verbrennen lassen, nur weil er sich am Steuer seines SUV wie ein Idiot aufgeführt hatte. Manchmal behindert mich mein Moralkodex, aber ich habe ihn trotzdem wie einen Grat unter dem Gehirn, an den ich nicht herankommen kann.

Auf beiden Seiten des Escalade schlugen Flammen hoch, und auch unter dem Wagen züngelten niedrige Flammen, sein Inneres stand aber noch nicht in Brand. Hier unten gab es so viele staubtrockene Steppenläufer, dass es in der Schlucht noch lange brennen würde.

Als ich mich dem Fahrzeug näherte, sah ich auf seiner Hecktür sauber gemalte Schriftzeichen einer Bildersprache – weiß auf schwarzem Lack –, die an altägyptische Hieroglyphen erinnerten. Ich machte halt und dachte nochmals über die Bedeutung meines Zusammentreffens mit dem unbekannten SUV-Fahrer nach.

Vor einigen Monaten hatte ich es auf einem Berg in Nevada nötig gefunden, in ein gut bewachtes Anwesen einzudringen, in dem – wie sich dann zeigte – entführte Kinder gefangen gehalten wurden, um von Anhängern eines satanischen Kults bei Ritualmorden geopfert zu werden. Bevor ich die Kinder gefunden hatte, hatte ich einen Stall entdeckt, der nicht voller Pferde, sondern voller antiker Vitrinenschränke war, in denen dicke Glasgefäße, fast schon Krüge, mit zugelöteten Deckeln standen, die mit einer durchsichtigen Konservierungsflüssigkeit gefüllt waren. In diesen Glasgefäßen wurden Erinnerungen an frühere Menschenopfer aufbewahrt: abgetrennte Köpfe mit aufgerissenen Augen und weit offenen Mündern, als seien sie in Schock und Entsetzen erstarrt. Und auf jeder Stirn hatte eine andere Zeile in einer Bildersprache gestanden, die dieser hier auf der Hecktür des Escalade genau glich.

Kleinstadtjunge begegnet dem großen Bösen.

Der Fahrer des Geländewagens war also nicht zufällig auf mich gestoßen. Er hatte gewusst, welche Strecke ich fahren würde, wann ich sie in Angriff nehmen würde, und hatte sich an die Verfolgung gemacht – zweifelsohne, um den Schaden, den der Kult erlitten hatte, an mir zu rächen. Ich hatte einen Kultangehörigen getötet. Aber ihre Ressourcen waren eindrucksvoll – tatsächlich nicht von dieser Welt –, und wir waren noch längst nicht fertig miteinander.

Mein Verhaltenskodex verpflichtete mich nicht mehr dazu, das Leben schurkischer Mörder zu retten, als er von mir verlangte, mich einem Hai in den Rachen zu werfen, nur weil dieser gerade hungrig war. Tatsächlich fühlte ich mich dazu verpflichtet, mörderische Soziopathen zu liquidieren, wenn das die einzige Möglichkeit war, sie daran zu hindern, weitere unschuldige Menschen abzuschlachten. Im Allgemeinen erwies sich das als der einzig gangbare Weg, weil nur sehr wenige dieser Leute gut auf Vernunftgründe oder strenge Ermahnungen reagieren – oder auf die Weisheit der Beatles, die uns versichern: »ALL YOU NEED IS LOVE«.

Die Türen des Escalade waren verbeult, aber nicht aufgesprungen, und falls jemand aus einem der zersplitterten Fenster geklettert war, hatte ich ihn nicht gesehen. Der Fahrer – und sein Beifahrer, falls es einen gab – befand sich ziemlich sicher noch in dem Wagen. Vielleicht tot, zumindest aber schwer verwundet. Vielleicht bewusstlos.

Als ich den Rückzug antrat, fand das unter dem Wagen knisternde Feuer plötzlich den Weg nach innen, und mit einem dumpfen Knall stand das Wageninnere in Flammen. Keine um sich schlagenden Schatten in dem Escalade, keine Schreie.

Ich konnte mir nicht vorstellen, woher sie gewusst hatten, dass ich nach Pico Mundo heimkehren würde oder wann ich die Fahrt antreten wollte oder womit ich fahren würde. Aber dass ich außergewöhnliche Talente, Fähigkeiten und Verbindungen besaß, traf auch auf sie zu. Wie sie mich aufgespürt hatten, würde ich vielleicht nie erfahren. Wichtig war jetzt, dass sie mich suchten, und wenn sie mich ein Mal gefunden hatten, konnten sie mich jederzeit wieder finden.

Sie hätten jedoch nicht versucht, mich unterwegs abzupassen und zu ermorden, wenn sie gewusst hätten, wo ich in Pico Mundo zu bleiben gedachte. Dann hätten sie mir stattdessen dort aufgelauert und mich bei der Ankunft liquidiert. Das sichere Haus, das auf mich wartete, war also weiterhin sicher.

Der Aufstieg über den mit losem Geröll bedeckten Steilhang erwies sich als noch schwieriger als der Abstieg. Ich sah mich immer wieder um, weil ich fast erwartete, einen Verfolger zu entdecken: irgendeine groteske Nemesis mit in Flammen stehendem Haar und grausig verzerrtem Mund, aus dem Rauch quoll.

Oben angelangt, sah ich bei einem Blick in die Tiefe, dass die Flammen, eine helle Feuersbrunst, sich von einem verdorrten Steppenläufer zum nächsten springend ungefähr sechzig Meter weit nach Westen ausgebreitet hatten. Die Wände der kleinen Schlucht mussten mit Schwefelkies durchsetzt sein, denn in dem flackernden Feuerschein leuchteten gelbe Bänder heller als das umliegende Gestein. Der brennende Escalade knarrte und klirrte. Während seine metallischen Proteste durch die Schlucht echoten und nochmals zurückgeworfen wurden, wurden sie verzerrt und so verändert, dass ich fast hätte glauben können, die Stimmen leidender Menschen zu hören, die dort unten ihr Leid beklagten.

Ich hatte ihre Gesichter nicht gesehen. Ich hatte sie nicht ermordet, sondern ihnen nur Gelegenheit gegeben, Selbstmord zu verüben. Trotzdem kam es mir falsch vor, dass ich die Gesichter derer, denen ich zu sterben erlaubt hatte, nicht kennen sollte.

Der Lärm und die Feuerhitze mussten eine Kolonie von Fledermäusen aufgeschreckt haben. Nachdem sie vermutlich erst vor Kurzem von ihrer nächtlichen Insektenjagd in ihre Höhle zurückgekehrt waren, schwärmten sie jetzt aufgeregt aus und kreischten, während sie in den Aufwinden segelten: viele Hunderte, vielleicht sogar Tausende, deren membranartige Flügel so laut schwirrten, dass sie das Brausen der Flammen übertönten. Sie stiegen bis zum Rand der Schlucht auf, gingen dann wieder tiefer, nur um sofort wieder hochzusteigen, flogen als Schwarm nach Osten, dann nach Westen und schließlich wieder nach Osten, als seien sie verwirrt und suchten etwas und konnten es nicht finden, wobei ihre schrillen Schreie zornig und verzweifelt zugleich klangen.

Das Leben hatte mich gelehrt, an Omina zu glauben.

Ich hatte einen Blick dafür bekommen.

Die Fledermäuse waren ein Omen, und was auch immer sie vorhersagten, würde kein Ereignis sein, das durch Güte, Harmonie und Freude gekennzeichnet war.