Zum Buch
General Ostorius hatte die Zwanzigste Legion an vorderster Front platziert. Zum ersten Mal erblickte Cato die Legionen in Schlachtaufstellung. Viele Kohorten waren eindeutig unterbesetzt. Nach allem, was er vom Gegner gesehen hatte, waren die Legionäre zahlenmäßig unterlegen. Schlimmer noch, der Gegner hatte den beträchtlichen Vorteil, sich auf höher gelegenem Gelände zu verteidigen. Die Legionäre würden den Hügel mit dem Schwert einnehmen. Von den Hilfstruppen war außer den Blutkrähen nur eine berittene Kohorte zugegen, der Rest hatte sich an der anderen Seite des Hügels verteilt, um Caratacus’ Streitmacht den Rückzug abzuschneiden. Das Krachen der Katapulte lenkte Catos Aufmerksamkeit wieder zum Fluss. Ein Geschoss flog in schiefem Winkel hoch und stürzte dann auf die Befestigungen des Gegners nieder. Die Schlacht begann.
Am Ende des Buches findet sich ein ausführliches Werkverzeichnis von Simon Scarrow.
Zum Autor
Simon Scarrow wurde in Nigeria geboren und wuchs in England auf. Nach seinem Studium arbeitete er viele Jahre als Dozent für Geschichte an der Universität von Norfolk, eine Tätigkeit, die er aufgrund des großen Erfolgs seiner Romane nur widerwillig und aus Zeitgründen einstellen musste.
Besuchen Sie Simon Scarrow im Internet unter http://www.simonscarrow.co.uk
Simon Scarrow
Blutsbrüder
Roman
Aus dem Englischen von
Norbert Stöbe
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte dieses E-Book Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung dieses E-Books verweisen.
Die Originalausgabe BROTHERS IN BLOOD erschien 2014
bei Headline Publishing Group, London
Vollständige deutsche Erstausgabe 02/2016
Copyright © 2014 by Simon Scarrow
Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Redaktion: Werner Bauer
Umschlagillustration: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Motivs von © Arcangel/Nik Keevil
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN: 978-3-641-17644-0
V003
www.heyne.de
Für meinen Sohn Joseph,
aus dem mittlerweile
ein Mann geworden ist.
Kapitel 1
Rom, Februar 52 n. Chr.
Die Straßen der Hauptstadt waren voller Menschen, die den ungewöhnlich warmen Sonnenschein genossen. Es war kurz nach Mittag, der Himmel war wolkenlos. Musa spürte, dass er beschattet wurde, noch ehe er den Verfolger bemerkte. Mit diesem angeborenen Instinkt, der ihn frühzeitig Gefahren wittern ließ, hatte er die Aufmerksamkeit seines Herrn erregt. Bei seiner Art Tätigkeitsfeld eine unbezahlbare Eigenschaft. Man hatte ihn von den Straßen des Aventin aufgelesen und ein kleines Vermögen in eine Ausbildung gesteckt, die seinen Verstand und seine Reflexe noch weiter geschärft hatte.
Mühelos konnte er es mit jedem anderen Spitzel am Kaiserpalast aufnehmen. Er verstand sich darauf, sich anzuschleichen und lautlos zu töten, das Opfer zu verstümmeln und sich seiner zu entledigen, sodass kaum Gefahr bestand, dass man es je finden, geschweige denn identifizieren würde. Er konnte Nachrichten verschlüsseln und entschlüsseln und kannte die wirksamsten Gifte, die keine Spuren hinterließen. Musa verstand es auch, Personen sowohl auf belebten Straßen als auch in einsamen Gassen zu beschatten, ohne dass er bemerkt wurde.
Man hatte ihm überdies beigebracht, eventuelle Verfolger ausfindig zu machen. Als er kurz zuvor an einem Bäckerstand am Rand des Forums haltgemacht und wie ein ganz gewöhnlicher Kunde die kleinen Brotlaibe und das Gebäck betrachtet hatte, war ihm der Mann aufgefallen: hager, dunkelhaarig, bekleidet mit einer schlichten braunen Tunika. Der Fremde stand fünfzehn Schritte entfernt an einem Obststand und wog einen Pfirsich in der Hand.
Musa beobachtete ihn aus dem Augenwinkel und registrierte jede Einzelheit seiner betont unauffälligen Erscheinung. Nach einer Weile erinnerte er sich, ihn vor dem Haus gesehen zu haben, dessen Besitzer er auf Geheiß seines Herrn eine Nachricht überbracht hatte. Eine Nachricht, die zu wichtig war, als dass man sie dem Papier hätte anvertrauen dürfen, und die er sich deshalb eingeprägt hatte. Sein Beschatter hatte bei einer Gruppe von Leuten gestanden, die sich um ein Würfelspiel drängten, und dann hatte er sich aufgerichtet, gestreckt und war in dieselbe Richtung losgeschlendert, die auch Musa eingeschlagen hatte. In dem Moment hatte er dem Fremden keine weitere Beachtung geschenkt. Jetzt aber glaubte er nicht mehr an so etwas wie Zufall.
Grimmig lächelte er in sich hinein. Dann war das Spiel also eröffnet. Er kannte verschiedene Tricks, um den Mann abzuschütteln. Wenn der Bursche etwas taugte, würde er sie gleich durchschauen. Musa hatte überdies bei der bevorstehenden Auseinandersetzung einen Vorteil: Er war in dieser Gegend zu Hause, war in der Gosse aufgewachsen und hatte einen Großteil seiner Jugend als abgerissener Waisenjunge in einer Straßenbande verbracht. Er kannte jeden Winkel der großen Stadt, die sich über die sieben Hügel an den Stromschnellen des Tiber streckte.
Den dunklen Gesichtszügen des Mannes in der braunen Tunika nach zu schließen, war er kein Einheimischer, sondern stammte aus dem Osten des Reiches oder von noch weiter her. Er hatte die denkbar schlechtesten Voraussetzungen, Musa durch das Labyrinth der finsteren, stinkenden Gassen in dieser heruntergekommenen Subura zu folgen, die hinter dem Forum lag. Dort würde er ihn abschütteln, und wenn der Mann sich dort verirrte, konnte er nur hoffen, dass ihm die Götter gnädig gesonnen waren. Die Bewohner der Subura bildeten eine enge Gemeinschaft und witterten einen Außenseiter aus einer Meile Entfernung – sei es auch nur, weil sie selbst weniger stanken. Er würde schon für die erste Bande, die sich über ihn hermachte, ein leichtes Opfer sein.
Musa verspürte einen Anflug von Mitleid, doch diese Empfindung schob er sogleich beiseite. Der Herr des Fremden war ohne Zweifel ebenso unerbittlich wie der seine, und vermutlich würde er ihm bereitwillig die Kehle durchschneiden, wenn es ihm befohlen wurde. Musa schob die Hand zum Gürtel hinunter und betastete zärtlich den Knauf des Messers, das unter dem breiten Lederband versteckt war. Beruhigt durch diese Berührung, wandte er sich von dem Bäckerstand ab und tat ein paar schnelle Schritte in Richtung des Torbogens, der aus dem Forum hinausführte. Auch ohne sich umzublicken, wusste er, dass der Mann ihm folgte. In dem Moment, als Musa sich in Bewegung setzte, hatte er sich zu ihm umgedreht.
Während er sich energisch einen Weg durch das Gewimmel bahnte, was ihm scharfe Bemerkungen und böse Blicke derer einbrachte, die von ihm angerempelt wurden, beschleunigte sich Musas Herzschlag. Eine eigentümliche Mischung aus freudiger Erregung und banger Erwartung bemächtigte sich seiner. Er schritt durch den Torbogen, in dem das Schlurfen der Sandalen und die Wortwechsel der Passanten lauter widerhallten als der Lärm der Stadt. Dann wandte er sich nach links und eilte in eine Gasse hinein, die zur Subura führte. Ein Stück weiter hockte an einer schmutzigen, mit derben Sprüchen bekrakelten Wand ein Junge in einer verdreckten Tunika, die Sandalen mit Lumpen ausgebessert. Ein Dieb, sagte sich Musa. Er kannte diesen Typ und fischte eine Bronzemünze aus seinem Geldbeutel.
»Mein Junge, mir folgt ein Mann in einer braunen Tunika. Wenn er vorbeikommt, sag ihm, ich wäre in die Gasse dort abgebogen.« Musa zeigte zu einer steil ansteigenden Gasse, die in die entgegengesetzte Richtung führte. Er warf die Münze dem Jungen zu, der sie auffing und nickte. Musa betrat die Gasse, die zur Subura führte. Der düstere Durchgangsweg war schmal, zu beiden Seiten lagen Haufen von Unrat. Hier waren weniger Menschen unterwegs, und er beschleunigte seine Schritte, um einen möglichst großen Abstand zu seinem Verfolger zu gewinnen.
Mit etwas Glück hatte er ihn bereits am Torbogen abgehängt. Wenn der Fremde sein Handwerk verstand, würde er vermuten, dass Musa ihn in den verwinkelten Gassen der Subura abschütteln wollte, und den Jungen an der Wand ausfragen. Vielleicht würde er ihm glauben, doch selbst wenn er dessen Aussage anzweifelte, würde er so lange aufgehalten werden, dass die Spur bereits kalt wäre, wenn er die Subura erreichte. Musa lief ein paar hundert Schritte weit und bog mehrfach nach rechts und nach links ab, bis er die hoch aufragenden baufälligen Mietshäuser erreicht hatte, die den Eindruck machten, sie wollten den schmalen Himmelsstreifen über den dunklen Gassen zerquetschen. Hier ging er langsamer weiter und atmete tief durch, rümpfte die Nase über den Gestank der schimmelnden Nahrungsreste, der Exkremente und der Schweißausdünstungen, den er einmal für ganz natürlich gehalten hatte.
Musa fragte sich, wie er dieses Elend als Heranwachsender ausgehalten hatte. Seitdem hatte er sich an die parfümierte Welt der Reichen und Mächtigen gewöhnt, auch wenn er nur an deren Rand lebte und im Schatten arbeitete. Gleichwohl erinnerte er sich noch gut genug an diese schmalen Straßen und Gassen, um genau zu wissen, wo er sich befand und wie er den Slum umgehen musste, um seinen Weg zum Haus auf dem Quirinalhügel fortsetzen zu können, wo sein Herr ihn erwartete. Hier in der Subura galt es auch andere Gefahren zu beachten, und Musa ging vorsichtig weiter, musterte jeden einzelnen Mann und jede Gruppe, die ihm entgegenkam, und schätzte die Gefahr ein, die von ihnen ausgehen mochte. Abgesehen von ein paar feindseligen Blicken ließen sie ihn jedoch in Ruhe, und schließlich gelangte er zu dem kleinen Platz inmitten der Subura, wo ein großer Springbrunnen, gespeist von einer Nebenleitung des Julian-Aquädukts, die Einheimischen mit Wasser versorgte.
Wie gewöhnlich drängten sich Frauen und Kinder auf dem Platz, beladen mit schweren Tonkrügen, in denen sie für ihre Familien Wasser holten. Darunter waren auch kleine Gruppen von Jugendlichen und Männern, die aus Weinschläuchen tranken, plauderten und Würfel spielten. Musa trug eine schlichte schwarze Tunika und unterschied sich, abgesehen von seinem akkurat geschnittenen Haar und Bart, nicht von den anderen. Die Spannung fiel teilweise von ihm ab, als er sich dem Springbrunnen näherte. Er beugte sich über die Brüstung, schöpfte Wasser und löschte seinen Durst. Dann spritzte er sich ein wenig Wasser ins Gesicht, richtete sich auf und dehnte voller Genugtuung die Schultern, weil er sich wieder einmal als der Schlauere erwiesen hatte.
Er wandte sich vom Springbrunnen ab und erstarrte.
Der Mann in der braunen Tunika stand nur fünfzig Fuß entfernt, außerhalb des Gedränges um den Brunnen. Er hatte alle Verstellung aufgegeben und erwiderte lächelnd Musas Blick. Sein Gesichtsausdruck jagte Musa einen kalten Schauder über den Rücken. Allerlei Fragen schwirrten ihm durch den Kopf. Wie war das möglich? Wie war es dem Mann gelungen, den Anschluss zu halten? Woher hatte er gewusst, wo er ihn finden würde? Vielleicht war er ja doch ein Einheimischer. Musa ärgerte sich, dass er seinen Gegner so schmählich unterschätzt hatte.
Abermals wanderte seine Hand zum Gürtel, und er suchte jetzt, da der Einsatz erhöht worden war, bei seiner Klinge Beistand. Es ging nicht mehr nur darum, einen Verfolger abzuschütteln. Wahrscheinlich würde es zu einer Konfrontation kommen, eine weit gefährlichere Aussicht. Musa wusste, dass vom Platz aus eine Gasse auf direktem Weg zu der Straße verlief, die auf den Quirinalhügel führte, und er ging darauf zu und wappnete sich innerlich, jeden Moment loszurennen. Wenn er schon nicht gerissen genug war, den Verfolger abzuschütteln, musste er ihm eben davonlaufen.
Der Mann folgte ihm in gleichbleibendem Abstand, als er sich aus dem Gedränge hinausarbeitete, und dann, als Musas Absicht offenbar wurde, lächelte er wieder und drohte ihm mit dem Zeigefinger. Auf einmal fühlte Musa sich bedroht. Der Mann wies mit dem Kinn zur Gasse, und als Musa dorthin schaute, traten zwei stämmige Männer aus dem Schatten und verstellten ihm den Weg.
»Scheiße …«, fluchte er. Sie waren offenbar zu dritt. Vielleicht gab es sogar noch mehr. Er konnte sich nicht aus eigener Kraft aus dieser Falle befreien. Jetzt hing alles von seiner Schnelligkeit ab. Er tauchte wieder in die Menge ein und blickte sich um. Es gab vier weitere Fluchtwege. Er entschied sich für die den beiden Männern gegenüberliegende Gasse, die am weitesten vom ersten Verfolger entfernt war. Wenn er ihr weit genug folgte, konnte er sich über eine Querstraße im Haus seines Herrn in Sicherheit bringen. Musa wappnete sich und holte tief Luft, dann rannte er los und stieß alle beiseite, die ihm im Weg standen. Hinter ihm wurde laut geschimpft, doch er achtete nicht darauf. Er ließ das Gewühl hinter sich und lief auf die Mündung der Gasse zu. Ein lauter Ruf übertönte den Lärm der Menge.
»Hinterher! Schnappt ihn euch!«
Musa erreichte die Mündung der Gasse und stürmte ins Halbdunkel hinein. Einen Moment lang hatte er nach der Helligkeit auf dem Platz Mühe, etwas zu erkennen, doch er rannte trotzdem weiter und hoffte darauf, dass er nicht stolpern, niemanden umrennen und mit seinen Stiefeln auf dem verdreckten Pflaster nicht ausrutschen würde. Endlich passten sich seine Augen an die Lichtverhältnisse an, und er machte die ersten Einzelheiten aus. Die kleinen überwölbten Eingänge kleiner Geschäfte, deren Besitzer Mühe hatten, ihr Leben mit dem zu bestreiten, was die Banden der Subura ihnen übrig ließen. Ein paar zerlumpte Frauen und Männer, die ihm die Hand entgegenstreckten und um Nahrung oder Geld bettelten und um die er einen Bogen machte, während schon die Schritte der Verfolger durch die Gasse schallten. Musa biss die Zähne zusammen und eilte weiter. Allmählich wurde er verzagt.
Fünfzig Schritte vor ihm durchbohrte ein Lichtstrahl die Düsternis, der von einer breiteren Straße kam, die zum Quirinal führte. Musa verspürte einen Anflug jäher Hoffnung. Wenn er den Abstand zu den Verfolgern noch eine Viertelmeile halten konnte, war er in Sicherheit. Die Kreuzung näherte sich, und heller Sonnenschein fiel in die dunkle Welt des Slums. Er war nur noch zehn Schritte von der Ecke entfernt, als er einen heftigen Schlag gegen das Schienbein bekam und bäuchlings im schmalen Rinnstein landete, der in der Mitte der Gasse entlangführte, voller stinkender Pfützen und Unrat. Der Aufprall trieb ihm die Luft aus der Lunge, und einen Moment lang schnappte er nach Luft. Seine Rippen brannten. Er wusste, er musste sich bewegen, und zwang sich auf die Knie. Dann vernahm er Stiefelgepolter, langte zum Messer und richtete sich auf, entschlossen, dem Gegner entgegenzutreten.
Plötzlich prallte ein Stiefel gegen seine Hand, und das Messer entglitt seinen tauben Fingern. Ein anderer Stiefel traf ihn in die Seite und presste ihm mit einem qualvollen Schnaufen die letzte Luft aus der Lunge. Musa lag zusammengekrümmt da, atmete mit offenem Mund und schaute hoch. Da war der Mann in der braunen Tunika, flankiert von den beiden Schlägern, beide in geduckter Haltung, die Fäuste geballt. Musa hatte keine Ahnung, wer ihn aufgehalten hatte, und sein gequälter, verwirrter Gesichtsausdruck brachte den Mann zum Lächeln.
»Schade, Musa, o ja, wirklich. Hast dich mächtig ins Zeug gelegt. Aber jetzt ist’s aus, kapiert?« Er blickte über Musas Schulter hinweg und grinste. »Gut gemacht, Petulus. Na los, zeig dich.«
Ein Schatten trat aus einem Hauseingang ins Licht, und Musa erblickte einen kleinen, abgerissenen Bengel mit einem Knüppel. Er erkannte ihn auf der Stelle wieder. Diesem Burschen hatte er eine Münze gegeben, damit er die Verfolger in die Irre wies! Dabei hatte er von Anfang an mit diesen Männern hier unter einer Decke gesteckt! Erst jetzt begriff Musa, dass man ihn genau in die Gasse manövriert hatte, in der der Junge gewartet hatte. Er war in eine raffinierte Falle getappt. So raffiniert, als hätte er selbst sie ausgedacht. Vielleicht sogar raffinierter. Er schüttelte den Kopf und wälzte sich auf den Rücken.
»Hoch mit ihm, Männer.«
Musa wurde grob auf die Beine gezogen. Jemand legte ihm eine Hand ums Kinn und riss ihm den Kopf hoch. Vor ihm stand der Fremde in der braunen Tunika. »Jemand möchte mit dir reden, Musa.«
Musa erwiderte seinen Blick und mahlte mit den Zähnen. Dann spuckte er dem Mann ins Gesicht. »Du Schwein!«, knurrte er. »Und verflucht soll das griechische Stück Scheiße sein, für das du arbeitest!«
Zorn blitzte in den Augen des Mannes auf, dann lächelte er kühl. »Dein Herr ist aus der gleichen Scheiße gemacht, mein Freund.«
Dann nickte er, und jemand zog Musa einen Sack über den Kopf. Er roch nach Oliven. Im nächsten Moment sah er ein helles Licht und verspürte einen scharfen Schmerz, danach wurde alles dunkel.
Kapitel 2
Das war ein ganz schön übler Schlag.« Eine Stimme durchdrang den Nebel in seinem Kopf. »Hoffentlich hast du dem Kerl nicht das Gehirn zerdeppert.«
Musa wendete stöhnend den Kopf. Er öffnete einen Spalt weit die Augen und sah, dass er sich in einer gemauerten Zelle befand, erhellt vom blassgelben Schein von Öllampen. Ihm pochte der Schädel, und die Bewegung löste eine Welle von Übelkeit aus. Er lag auf dem Rücken, möglicherweise auf einem Holztisch. Als er die rechte Hand bewegen wollte, wurde er durch Fesseln daran gehindert. Mit der anderen Hand und den Füßen war es das Gleiche, und deshalb lag er reglos da und tat so, als sei er noch nicht richtig bei Bewusstsein, während er sich trotz der bohrenden Kopfschmerzen bemühte, zusammenhängend zu denken. Auch sein Schienbein pochte, und als er an den jungen Burschen dachte, fühlte er sich nicht nur verraten, sondern ärgerte sich, dass er sich von ihm hatte hinters Licht führen lassen.
»Nur ein leichter Schlag auf den Kopf, das war alles«, brummte jemand. Musa erkannte die Stimme des Mannes wieder, der die Verfolgergruppe angeführt hatte. »Wenn er zu sich kommt, ist er so klar im Kopf wie Regenwasser.«
»Er regt sich. Musa ist wach.«
Schritte näherten sich, und jemand packte ihn beim Halssaum der Tunika und schüttelte ihn.
»Mach die Augen auf, Musa. Wir müssen reden.«
Er reagierte nicht, sondern stellte sich tot. Der Mann schüttelte ihn erneut, dann versetzte er ihm eine Ohrfeige.
Musa riss die Augen auf und blinzelte. Der Mann, der sich über ihn gebeugt hatte, nickte zufrieden.
»Er ist aufgewacht.«
»Dann wollen wir keine Zeit vergeuden. Hol Ancus.«
»Wird gemacht, Herr.« Der Mann ging weg, dann wurde eine Tür geöffnet, und Musa hörte, wie jemand eine Treppe hochstieg. Er wandte den Kopf und schaute sich um. Er befand sich in einer Kammer mit niedriger Decke, unter der Erde gelegen, vermutete er wegen des Fehlens von Tageslicht und der Stille. Zwei von der Decke hängende Halter mit Öllampen aus Messing spendeten trübes Licht. Außer dem Tisch gab es nur noch einen weiteren Einrichtungsgegenstand: eine kleine Bank mit Werkzeugen, die im Lampenschein funkelten. Neben dem Tisch, den Kopf im Schatten, stand ein hagerer Mann, bekleidet mit reinlicher weißer Tunika und Kalbslederstiefeln, die bis zur Mitte der Schienbeine reichten. Er stand eine Weile ruhig da, bevor er in trockenem Tonfall zu sprechen begann, zu leise, als dass Musa seine Stimme irgendwo hätte einordnen können.
»Ehe du auch nur dran denkst, solltest du eines wissen: Jedes Rufen oder Schreien wird dazu führen, dass niemand außerhalb dieses Raums je wieder von dir hören wird. Wir befinden uns im Keller eines geheimen Unterschlupfs.«
Musa lief ein Schauder der Angst über den Rücken. Es gab nur eine einzige plausible Erklärung dafür, dass man ihn hierher gebracht hatte. Er blickte zur Bank, und jetzt, auf einmal, wurde ihm klar, wozu die Werkzeuge dienten.
»Gut«, sagte der Mann. »Du weißt, was dir bevorsteht. Ich möchte nicht deine unbestreitbare Intelligenz beleidigen, wenn ich erwähne, dass du uns am Ende alles verraten wirst, was wir wissen wollen. Wenn dein Herr dich so gut ausgebildet hat wie ich meine Leute, dürftest du uns vor eine gewisse Herausforderung stellen. Ich sollte dich warnen, dass es auf diesem Gebiet keinen Besseren als Ancus gibt. Vorausgesetzt, er hat ausreichend Zeit, kann er einen Stein zum Reden bringen. Und du, Musa, bist kein Stein. Nur ein Wesen aus Fleisch und Blut. Du bist schwach. Du hast Schwachstellen, so wie jeder Mensch. Und Ancus wird herausfinden, wo sie liegen, das ist so sicher wie die Tatsache, dass der Tag auf die Nacht folgt. Du wirst uns alles verraten, was wir wissen wollen. Die Frage ist nur, wie lange du durchhältst. Du kannst auch gleich reden, dann ersparst du uns allen eine unangenehme Erfahrung.«
Musa öffnete den Mund und spuckte eine Beschimpfung aus, dann biss er die Zähne wieder fest zusammen. Eine der ersten Lektionen für Situationen wie diese lautete, kein einziges Wort zu sagen. Wenn man etwas sagte, öffnete man das Tor zu weiteren Wortwechseln, und abgesehen von der Gefahr, Informationen preiszugeben, gab man dem Befrager Gelegenheit, eine Beziehung herzustellen, in die eigenen Gedanken vorzudringen und die Schwachstellen herauszufinden. Am besten schwieg man folglich.
»Verstehe«, sagte der Mann. »Dann müssen wir fortfahren.«
Die angespannte Stille wurde allein durchbrochen vom Wassergetröpfel an der Wand. Der Mann hatte sich die ganze Zeit über nicht gerührt und sein Gesicht verborgen gehalten. Schließlich vernahm Musa das Geräusch sich nähernder Schritte und dann das Klatschen von Sandalen auf den Treppenstufen. Die Tür ging auf, und zwei Männer traten ein. Den einen kannte er bereits, der andere hatte kurz geschnittenes Haar, zahlreiche Narben im Gesicht und einen gedrungenen, kräftigen Körper. Musa vermutete zunächst, es handle sich um einen ehemaligen Gladiator, dann bemerkte er das Mithraszeichen auf der Stirn des Mannes und folgerte daraus, dass er einen Soldaten vor sich hatte.
»Er gehört dir, Ancus«, sagte der Mann im Schatten.
Ancus rümpfte die Nase und musterte Musa. »Was willst du von ihm, Herr?«
»Ich will wissen, weshalb er das Haus des Vespasian aufgesucht hat. Und ich will wissen, welche Pläne unser guter Freund Pallas beim Britannienfeldzug verfolgt. Ich brauche die Namen der Mittelsmänner, die Pallas in der Gegend einsetzt, und deren genaue Einsatzbefehle.«
»Sonst noch was?«
»Das wäre im Moment alles.«
Ancus nickte, ging zum Tisch und beugte sich über Musa. »Ich nehme an, du kennst die Vorgehensweise. Ich halte mich akribisch an das Prozedere, deshalb lass uns mit dem Grauen anfangen, ja?«
Er ging zur Bank, musterte sein Handwerkszeug und wählte ein paar Instrumente aus, dann kam er zurück zum Tisch und legte sie neben Musa ab.
»Los geht’s. Ich denke, wir fangen mit den Füßen an und arbeiten uns dann nach oben vor.« Er hielt eine eiserne Kneifzange hoch und zwinkerte. »Für die Zehen. Anschließend ziehe ich dir die Haut bis zu den Knöcheln hoch.« Er präsentierte ein Chirurgenmesser und zwei schmale Fleischerhaken. »Dann breche ich dir damit die Beine und die Knie.« Er zeigte Musa eine Eisenstange. »Wenn dir das die Zunge noch immer nicht gelockert hat, verlierst du Schwanz und Eier, mein Freund. Glaub mir, so weit willst du es nicht kommen lassen.«
Musa ließ sich nichts anmerken. Ein Schweißtropfen löste sich aus seinem Haaransatz und rollte ihm über die Stirn. Der Befrager tupfte ihn mit dem Zeigefinger geschickt ab.
»Doch nicht so tapfer, wie?« Er lachte leise in sich hinein und leckte den Schweißtropfen von seinem Finger ab, dann nahm er die Zange und trat vor Musas Füße hin. Musa biss die Zähne zusammen und spannte jeden einzelnen Muskel an, um sich gegen den Schmerz zu wappnen. Ancus legte ihm die Hand um den Fuß und hielt ihn fest. Musa wand sich und drehte den Fuß mit aller Kraft hin und her, um ihn aus dem Griff zu lösen.
»He, Septimus, mach dich nützlich. Hilf mir mal.«
Der Mann in der braunen Tunika trat an den Tisch, packte Musas Fuß und hielt ihn fest. Musa spürte, wie sich die Zangenbacken um seinen großen Zeh legten und auf das Fleisch und den Knochen drückten. Ancus holte scharf Luft und drückte die Griffe zusammen. Es knackte laut. Septimus ächzte, und Musas Gesicht verzerrte sich.
»Sag mir Bescheid, wenn er reden will«, sagte der Mann im Schatten. »Ich bin oben.«
Er trat aus dem Alkoven hervor, und Musa blinzelte die Tränen weg, um einen Blick auf den Mann zu werfen. Ihm sank der Mut, als er das schmale, dunkelhäutige Gesicht des Sekretärs von Kaiser Claudius erblickte. Narcissus, der lange Zeit die eigentliche Macht hinter dem Thron gewesen war, dem aber Pallas inzwischen die Stellung streitig machte. Letzterer war Musas Arbeitgeber. Er trachtete danach, Narcissus zu eliminieren, sobald der Kaiser starb und die Macht an seinen Adoptivsohn Nero weitergab. Pallas hatte sich bereits bis ins Bett von Neros Mutter vorgearbeitet. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er einen ebenso großen Einfluss auf Agrippina hätte wie Narcissus in der Vergangenheit auf Claudius. Die beiden Männer waren erbitterte Rivalen, und das bedeutete, dass man ihn so lange foltern würde, bis er Narcissus’ Fragen beantwortete. Er spürte, wie die Zange zum nächsten Zeh wanderte. Narcissus schaute sich mit angewiderter Miene noch einmal um, dann ging er in dem Moment hinaus, als der zweite Zehenknochen von Ancus’ Zange durchtrennt wurde.
Als Septimus die Treppe hochstieg, war die Sonne untergegangen. Er wischte sich die Hände an einem Streifen von Musas Tunika ab und trat in die über der Kammer gelegene kleine Küche. Narcissus war allein und saß auf einem Hocker am Tisch, vor sich einen Tonbecher und einen Teller mit den Resten der Mahlzeit, die er auf dem Markt erstanden hatte, als er die Schreie aus dem Keller nicht mehr ausgehalten hatte.
»Er will jetzt reden.«
»Wurde auch Zeit, oder? Ich war schon im Begriff, in meinem Glauben an Ancus wankelmütig zu werden.«
»Dazu gibt es keinen Grund, Vater. Er hat seine Sache gut gemacht. Aber Musa hat sich nicht so leicht brechen lassen.«
Narcissus nickte. »Das ist gut. Wenn es uns gelingt, ihn umzudrehen, könnte er sich irgendwann als nützlich erweisen.«
»Und wenn nicht?«
»Dann gibt es ein weiteres Opfer des Konflikts zwischen mir und diesem Scheißkerl Pallas. Hoffen wir, dass wir Musa davon überzeugen können, sich für die richtige Seite zu entscheiden.«
Narcissus geleitete seinen Sohn in den Keller hinunter und in die Kammer, in der Ancus sie mit seinem Opfer erwartete. Er wandte den Blick von Musas blutverschmierten Beinen ab und fauchte: »Deck die Schweinerei zu!«
Ancus schürzte missbilligend die Lippen, tat aber wie geheißen und bedeckte Musas Beine so gut es ging mit dem Rest der zerrissenen Tunika. Als er fertig war, trat Narcissus an den Tisch, bemühte sich aber, die Blutspritzer, Fleischfetzen und Hautstreifen auf dem Boden zu übersehen. Narcissus musste sich beherrschen, um sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Musa war in einem jämmerlichen Zustand, zitterte am ganzen Leib und starrte mit leerem Blick an die Decke. Da war nichts mehr zu machen. Es war sinnlos, ihn umdrehen zu wollen. Musa murmelte ein Gebet, als Narcissus sich über ihn neigte.
»Man hat mir gesagt, du wolltest reden.«
Da Musa ihn anscheinend nicht wahrnahm, beugte Narcissus sich noch weiter vor, legte ihm behutsam die Hand ums Kinn und drehte sein Gesicht zu sich herum.
»Musa, ich will, dass du meine Fragen beantwortest. Bist du bereit dazu?«
Ganz allmählich zeigte sich Wiedererkennen im Blick des Mannes. Er konzentrierte sich mühsam. Dann nickte er, schluckte und antwortete: »Ja.«
Narcissus lächelte. »Schon besser. Also, heute bist du im Morgengrauen vom Palast zu einem Haus auf dem Aventin gegangen.«
»Das war erst … heute Morgen?«
»Ja«, bestätigte Narcissus geduldig. »Septimus ist dir unbemerkt gefolgt. Jedenfalls bei dieser Gelegenheit.« Er blickte seinen Sohn an, der den Anstand hatte zu erröten. »Du hast zwar die üblichen Vorsichtsmaßnahmen angewendet, hast das Tempo mehrmals gewechselt, bist ein Stück zurückgegangen und so weiter, aber Septimus ist an dir drangeblieben und hat gesehen, wie du das Haus von Senator Vespasian betreten hast. Ich weiß, dass der Senator die vergangenen Monate in seiner Villa in Stabiae verbracht hat. Es wird gemunkelt, zwischen ihm und seiner Frau stehe es nicht gut, ein Jammer. Deshalb nehme ich an, dein Besuch hat seiner Frau Flavia gegolten, hab ich recht?«
Musa starrte ihn einen Moment an, dann nickte er.
»Nun sag mir bitte, es ging nicht darum, dass du dir ein Beispiel an deinem Herrn genommen und über deine Stellung hinausgegriffen hast.«
Ancus lachte glucksend, bis der kaiserliche Sekretär ihn mit einem tadelnden Blick verstummen ließ. Ancus fuhr fort, seine Werkzeuge in einer kleinen Wasserschüssel zu reinigen. Narcissus wandte sich wieder an den Mann auf dem Tisch.
»Also, was wolltest du von Flavia?«
»Ich habe ihr … eine Nachricht überbracht, von Pallas.«
»Verstehe. Und wie lautete die Nachricht?«
»Mein Herr bittet sie um Unterstützung … wenn Nero auf den Thron kommt.«
»Das muss ja wohl eher ›falls‹ heißen, mein Freund. Dein Herr täuscht sich, wenn er glaubt, er könnte sich von Flavia und ihren Bundesgenossen Unterstützung erwarten. Obwohl sie uns in der Öffentlichkeit etwas anderes glauben machen will, ist sie in Wirklichkeit eine leidenschaftliche Republikanerin. Sie würde eher ihre Kinder verschlingen, als deinen ränkeschmiedenden Herrn zu unterstützen. Die hübsche Flavia war recht erfolgreich darin, Verräter aus dem Schatten hervorzulocken und sie zu veranlassen, sich ihrer Verschwörung gegen den Kaiser anzuschließen. Dass ich sie ständig überwache, davon hat sie keine Ahnung.« Er hielt inne und streichelte Musa die Wange. »Und jetzt sag mir, was hat Pallas Flavia als Gegenleistung dafür versprochen, dass sie einwilligt, ihn zu unterstützen?«
»Die Beförderung … ihres Gemahls. Wenn Nero … an die Macht kommt.«
»Der Dichterkaiser und der Berufssoldat. Ich bezweifle, dass sie einander viel zu sagen hätten. Außerdem kommt Vespasian anscheinend ganz gut allein zurecht. In vielerlei Hinsicht ein bewundernswerter Mann, aber er besitzt mehr als nur einen Funken Ehrgeiz. Man sollte ihn im Auge behalten, und dafür habe ich genau die richtige Person. Es gibt keinen Mann auf Erden, der den Reizen der jungen Caenis widerstehen könnte. Mein lieber Musa, ich fürchte, dein Besuch im Hause Vespasian war reine Zeitverschwendung. Pallas, dein Herr, ist umsonst ein großes Risiko eingegangen. Allein aus einer spekulativen Laune heraus hat er dir diese Qualen eingebrockt. Was du hier ertragen musstest, kannst du ihm anlasten. Seinem schlechten Urteil. Das verstehst du doch, oder?«
Narcissus musterte Musa aufmerksam und forschte nach einem Hinweis auf den Zweifel, den er ihm einpflanzen wollte. Die Sache mit Flavia war nur eine List, eine Lücke im Panzer des Gegners, die er weiter öffnen wollte, um die Geheimnisse ans Licht zu bringen, auf die er aus war.
Plötzlich verzerrte sich Musas Gesicht, und er kämpfte mit zusammengebissenen Zähnen gegen eine weitere Schmerzwelle an. Der kaiserliche Sekretär wartete nachsichtig, bis der Schmerz nachgelassen hatte, erst dann fuhr er fort.
»Musa, Pallas hat dich benutzt. Für ihn bist du nichts weiter als ein wertloses Werkzeug, das man auf die vage Aussicht hin, Flavias Wohlwollen zu erringen, einfach fortwirft. Denk mal darüber nach. Auch darüber, wie wenig Anerkennung er dir zollt. Du bist ein guter Mann, das sehe ich. Du bist so tüchtig wie meine besten Agenten. Wenn du dich erholst, wäre für dich Platz an meiner Seite. Das ist mein voller Ernst. Diene mir, und du wirst mit Respekt behandelt und reich belohnt werden.« Er legte Musa die Hand um die Wange. »Hast du mich verstanden?«
Musa schaute zu ihm auf, eine Träne quoll aus seinem Augenwinkel. Er schluckte und nickte kraftlos.
»So«, sagte Narcissus tröstend. »Ich freue mich, dass du vernünftig bist. Es tut mir weh zu sehen, was man dir zugefügt hat. Wenn unsere Unterhaltung beendet ist, wird man dich in ein hübsches Zimmer bringen und deine Wunden versorgen. Sobald du dich wieder vollständig erholt hast, überlegen wir gemeinsam, welche Stellung du in meiner Organisation einnehmen wirst.«
Musa schloss die Augen und nickte schwach.
»Aber noch eine Sache, bevor wir von hier fortgehen«, fuhr Narcissus fort. »Ich will wissen, was Pallas in Britannien vorhat. Hat er über seine Pläne für die neue Provinz gesprochen?«
»Ja …«
»Dann solltest du mir davon erzählen«, sagte Narcissus mit sanftem Nachdruck. »Wenn du für mich arbeiten willst, darf es keine Geheimnisse zwischen uns geben, mein Freund. Nun sprich.«
Musa schwieg einen Moment und kämpfte gegen den Schmerz an. Er atmete flach und verhielt sich möglichst still, damit die Schmerzen nicht schlimmer wurden.
»Pallas will, dass der Feldzug scheitert … Er will, dass Rom sich aus Britannien zurückzieht.«
»Warum?«, warf Septimus ein.
»Pssst!«, machte Narcissus. »Halt dich zurück und schweig.« Er wandte sich wieder an Musa. »Rede weiter, mein Freund. Weshalb sollte Pallas wollen, dass wir die Insel räumen?«
»Er trachtet danach, Claudius’ Stellung zu schwächen … Wenn die Legionen sich zurückziehen, wird das den Kaiser und dessen legitimen Sohn Britannicus in Verlegenheit bringen.«
»Und meine Stellung würde es ebenfalls schwächen.«
»Ja.«
Narcissus lächelte. Das war die eigentliche Absicht hinter Pallas’ Plan. Mit dem Kaiser hatte das wenig zu tun, denn der war alt und würde in ein paar Jahren oder gar Monaten sterben. Es ging darum, die Mitbewerber um die Position des engsten Beraters des nächsten Kaisers zu eliminieren. Da Narcissus die Invasion unterstützt und die Senatoren, die an der Weisheit des Beschlusses zur Eroberung Britanniens gezweifelt hatten, unter großem Einsatz umgestimmt hatte, würde der Rückzug von der Insel seinem Ruf schaden und seinen Einfluss bei Hofe mindern. Außerdem würde der Kaisersohn Britannicus beschädigt werden, der nach dem Feldzug benannt worden war. Wer würde sich schon für einen Kaiser einsetzen, der den Namen einer Insel trug, die sich dem Willen Roms erfolgreich widersetzt hatte?
Narcissus holte tief Luft, dann setzte er die Befragung fort. »Wie gedenkt Pallas sein Ziel zu erreichen?«
»Er hat einen Agenten entsandt … der sich mit Caratacus verschwören soll … und mit einem mächtigen Fürsten der Nordstämme … Wenn Caratacus sie einigen kann … dann können unsere Legionen nicht siegen … Die Provinz muss fallen.«
»Der Name des Agenten? Wie heißt er? Sprich.«
Musa schüttelte den Kopf und zuckte zusammen. »Ich kenne ihn nicht. Pallas hat ihn nicht erwähnt.«
Narcissus atmete scharf aus und richtete sich enttäuscht auf.
»Da ist noch etwas … was du wissen solltest«, murmelte Musa.
»Was?«
»Der Agent hat noch einen anderen Auftrag … Er soll zwei deiner Leute eliminieren.«
»Zwei meiner Leute?« Narcissus hob eine Braue. »Ich habe keine Agenten in Britannien.«
»Pallas sieht das anders … Er will zwei Offiziere töten lassen, die mit dir in Verbindung stehen.«
»Wen?«
Musa hatte Mühe, sich zu konzentrieren. »Quintus Licinius Cato … und Lucius Cornelius Macro.«
»Die beiden?« Narcissus konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. »Die arbeiten nicht für mich. Nicht mehr. Pallas verschwendet seine Zeit, wenn er glaubt, ihr Tod würde mir schaden. Außerdem tun mir seine Leute, die sich mit den beiden anlegen, jetzt schon leid. Ist das alles? Hast du mir sonst noch etwas zu sagen?«
Musa leckte sich die Lippen und schüttelte kraftlos den Kopf. »Nein, das ist alles.«
»Das hast du gut gemacht, mein Freund.« Narcissus tätschelte ihm die Hand. »Ruh dich jetzt aus. Du musst dich erholen.«
Musas Lippen verzogen sich zu einem erleichterten Lächeln, er entspannte sich. Narcissus nahm seine Hand fort, wandte sich zur Tür und bedeutete Septimus, sich ihm anzuschließen.
»Jetzt wissen wir also Bescheid.«
»Was wirst du jetzt tun?«, fragte ihn sein Sohn leise. »Wir müssen General Ostorius warnen.«
»Ich glaube nicht. Es ist besser, wenn er nichts erfährt. Diese Angelegenheit muss im Stillen geklärt werden. Wir setzen einen eigenen Mann auf Pallas’ Agenten an. Der soll ihn aufspüren und dem Ränkespiel ein Ende machen. Gleichzeitig kann er Cato und Macro warnen.« Er lächelte ironisch. »Sie werden vermutlich nicht sonderlich erfreut sein, von mir zu hören, aber der Anstand verlangt es, sie zu warnen. Außerdem könnte ich irgendwann wieder auf ihre Dienste angewiesen sein. Wir werden sehen.«
Septimus zuckte mit den Achseln. »Wen willst du entsenden?«
Narcissus musterte seinen Agenten von oben bis unten. »Ich würde dir empfehlen, ein paar warme Sachen zu kaufen, mein Sohn. Nach allem, was man hört, ist das dortige Klima ziemlich rau.«
»Ich? Das kann doch nicht dein Ernst sein.«
»Wem kann ich sonst vertrauen?« Narcissus sprach eindringlich. »Ich bin auf Gedeih und Verderb mit dem Kaiser verbunden. Ich bin kein Narr, mein Sohn. Ich weiß, dass einige meiner Leute bereits zu Pallas übergelaufen sind, und andere denken darüber nach. Du bist der beste meiner Männer, der einzige, dem ich vollständig vertraue, und sei es nur deshalb, weil du mein Sohn bist. Es kommt kein anderer infrage. Wenn ich jemand anders entsenden könnte, würde ich es tun, das kannst du mir glauben. Hast du mich verstanden?«
Er blickte Septimus beinahe flehentlich in die Augen, und der junge Mann nickte widerwillig.
»Ja, Vater.«
Narcissus drückte ihm mitfühlend die Schulter. »Gut. Jetzt muss ich in den Palast zurückkehren. Der Kaiser erwartet mich zum Essen. Du machst hier weiter. Mach sauber, und zahl Ancus aus.«
Septimus deutete mit dem Daumen zum Tisch. »Was ist mit dem?«
Narcissus warf einen Blick auf den geschundenen Agenten seines Gegners. »Der kann uns nicht weiter nützen. Und auch sonst niemandem mehr. Schneid ihm die Kehle durch, mach sein Gesicht unkenntlich, und wirf ihn in den Tiber. Pallas dürfte seine Abwesenheit schon bemerkt haben. Ich würde es vorziehen, wenn Musa spurlos verschwände. Das dürfte diesen selbstverliebten Mistkerl gehörig verunsichern.«
Kapitel 3
Britannien, Juli
Wahrhaftig, der musste schon eine Menge aus halten«, flötete der Syrer, der Catos Brustpanzer untersuchte und die Dellen und die Rostflecken betastete, die sich in den Vertiefungen der nachgebildeten Muskeln gesammelt hatten. Er drehte den Brustharnisch um und betrachtete den Rückenpanzer. »Der ist weniger mitgenommen. Wie man bei einem der furchtlosesten Offiziere des Kaisers auch erwarten sollte. Die Heldentaten des Präfekten Quintus Licinius Cato sind Legende.«
Cato wechselte einen sarkastischen Blick mit seinem Begleiter, Centurio Macro. »Zumindest bei den Waffenhändlern«, entgegnete er.
Der Syrer neigte demütig das Haupt, legte den Harnisch weg und wandte sich mit schuldbewusster Miene Cato zu. »Leider muss ich sagen, Herr, dass die Kosten für die Instandsetzung des Körperpanzers seinen Wert übersteigen würden. Wenn du ihn gegen einen neuen eintauschen möchtest, würde ich dir einen fairen Preis machen.«
»Einen fairen Preis, das glaube ich dir aufs Wort«, warf Macro aus dem bequemen Sessel ein. Er hatte die Beine von sich gestreckt und die muskulösen Arme verschränkt. »Hör nicht auf ihn, Cato. Ich bin sicher, einer der Burschen aus der Waffenschmiede hämmert das Ding für einen Bruchteil des Geldes wieder in Form, das der Halunke für einen neuen Panzer verlangt.«
»Dies wäre schon möglich, werter Centurio«, erwiderte der Syrer geschmeidig. »Aber mit jedem Hammerschlag, wie du es nennst, wird der Harnisch als Ganzes geschwächt. Dadurch wird er an manchen Stellen spröde.« Er wandte sich mit beflissener Miene Cato zu. »Werter Herr, ich könnte nicht mehr ruhig schlafen, wenn ich wüsste, dass du mit einer Rüstung, die dein Leben gefährdet und Rom eines seiner besten Offiziere zu berauben droht, in den Kampf gegen die wilden Krieger dieses Landes ziehen würdest.«
Macro, der an der anderen Seite von Catos Zelt saß, lachte schallend. »Fall nicht auf dieses hinterhältige Gesäusel rein. Der Panzer hat keinen Schaden, der sich nicht mit ein paar gezielten Schlägen wieder beheben ließe. Macht bei der Parade vielleicht nicht den besten Eindruck, aber für den Einsatz reicht es.«
Cato nickte, doch wie er so den Brustpanzer auf dem Tisch betrachtete, war nicht zu übersehen, dass er schon bessere Zeiten erlebt hatte. Er hatte ihn zusammen mit dem Rest der Rüstung und den Waffen in der Waffenkammer der Londoner Garnison erworben, als sie zu Beginn des Jahres nach Britannien zurückgekehrt waren. Es war ein billiger, eiliger Kauf gewesen, und der Quartiermeister hatte ihm erklärt, der Vorbesitzer, ein Tribun der Neunten Legion, habe die Rüstung nur bei zeremoniellen Anlässen getragen, da er im Dienst ein Kettenhemd vorgezogen habe. Erst als der Lack und die Politur sich abgenutzt hatten, war ihm klar geworden, dass man ihn betrogen hatte. Macro hatte gemeint, der Panzer sei vermutlich schon zu Julius Cäsars Zeiten in Gebrauch gewesen.
Cato atmete scharf ein und kam zu einer Entscheidung. »Was ist der noch wert?«
Der Händler faltete lächelnd die Hände, als müsse er überlegen. »Ich glaube, es wäre am besten, wenn du zuvor einen Ersatz auswählst, bevor wir über den Eintauschpreis sprechen, werter Herr.«
Er wandte sich zu der Truhe um, welche seine Sklaven ins Zelt des Präfekten geschleppt hatten. Mit einer geschickten Handbewegung löste er die Schnappriegel und hob den Deckel an. In der Truhe lagen mehrere in dicke Wolle eingewickelte Bündel. Der Händler schlug ein paar Tücher zurück, wählte zwei Bündel aus und legte sie neben Catos Harnisch auf den Tisch. Dann faltete er den Stoff auseinander und enthüllte ein Kettenhemd und einen funkelnden Schuppenpanzer. Er trat beiseite, damit sein Kunde die Teile betrachten konnte, und schwenkte einladend die Hand.
»Herr, ich biete dir die beste Rüstung an, die es im ganzen Reich zu kaufen gibt, und das zu einem äußerst vernünftigen Preis. Dafür steht Cyrus von Palmyra mit seinem Wort ein.« Er legte die Hand aufs Herz.
Macro nickte. »Dann bin ich ja beruhigt. Das ist die Gelegenheit, Cato.«
Der Händler achtete nicht auf die spöttischen Bemerkungen von Catos Begleiter und forderte den Präfekten mit einer Handbewegung auf, an den Tisch zu treten. Cato betrachtete die beiden Rüstungsteile einen Moment, dann hob er das Kettenhemd hoch und wog es prüfend in der Hand.
»Leichter als gedacht, nicht wahr?« Der Händler fuhr mit den Fingern über die Metallringe. »Die meisten Kettenpanzer sind aus billigem Eisen gemacht, aber der hier nicht. Der Waffenschmied ist ein Cousin von mir, Patolomus von Damaskus. Ihr habt bestimmt schon von ihm gehört.«
»Wer nicht?«, entgegnete Macro trocken.
»Mein Cousin hat ein neuartiges Metall mit höherem Kupferanteil entwickelt, das den Panzer leichter macht, ohne dass die Schutzwirkung beeinträchtigt wird. Wie wär’s, wenn du ihn mal anlegen würdest, Präfekt? Ohne jede Kaufverpflichtung.«
Cato fuhr mit den Fingerspitzen über den Panzer, dann nickte er. »Warum nicht?«
»Wenn du gestattest, Herr.« Der Syrer nahm das Kettenhemd vom Tisch, raffte es geschickt, legte die Finger um den schweren Metallwulst und hob ihn hoch. Cato bückte sich, streckte den Kopf durch die Öffnung und schob die Hände mit angelegten Daumen durch die kurzen Ärmel. Der Händler ließ den Kettenpanzer nun an ihm hinunter, glättete mit einer Handbewegung eine imaginäre Falte, trat zurück und verschränkte die Hände unter seinem dünnen Spitzbart. »Es ist zwar nur ein schlichtes Kettenhemd, aber es passt dir wie ein Handschuh aus feinstem Ziegenleder, Herr! Elegant! Wahrhaft elegant!«
Cato drehte sich zu dem kleinen Klapptisch um, auf dem er Spiegel, Bürste, Strigilis und den Keramiktopf mit dem Duftöl verwahrte, das er für seine Waschungen benutzte. Er hielt den Spiegel aus poliertem Messing auf Armeslänge von sich ab und musterte sich kritisch. Der Panzer war in einem Sägezahnmuster gesäumt und hatte einen guten Sitz. Er war etwas leichter als ein gewöhnlicher Kettenpanzer und schimmerte stumpf im Tageslicht, das durch die Zeltklappen hereinströmte.
»Bequem, nicht wahr?«, säuselte der Syrer. »Damit könntest du den ganzen Tag lang marschieren und am Abend noch kämpfen, und wärst anschließend nur halb so müde wie mit deinem alten Panzer. Außerdem behindert er deine Bewegungen nicht so stark. Ein Krieger muss sich schließlich frei bewegen können, nicht wahr? In diesem Panzer fühlst du dich so frei wie Achill, hoher Herr.«
Cato drehte sich aus der Hüfte und probierte ein paar Armbewegungen aus. Der Panzer war tatsächlich weniger unbequem als die Kettenhemden, die er bislang getragen hatte. Er wandte sich an seinen Freund. »Was meinst du?«
Macro legte den Kopf schief und musterte Cato von oben bis unten. »Der passt ganz gut, mein Junge, aber es kommt darauf an, wie gut er die Waffen deiner Gegner abhält. Kettenpanzer sind gut gegen Schwerthiebe, auch wenn dir ein ordentlicher Hieb trotzdem die Knochen brechen kann. Die wahre Gefahr geht von den spitzen Waffen aus. Ein Wurfspeer oder eine Pfeilspitze dringt da mühelos durch.«
»Nicht bei diesem Hemd«, warf der Händler ein und kniff in den Panzer. »Darf ich das kurz erläutern, Herr? Sieh hier, die einzelnen Glieder sind vernietet. Das verleiht zusätzliche Widerstandsfähigkeit und hält die barbarischen Spitzen deines Gegners auf. Dein erfahrener Begleiter, der Respekt einflößende Centurio Macro, weiß bestimmt, dass ein vernietetes Hemd viel, viel besser ist als eines, bei dem die Glieder sich am Ende lediglich verjüngen oder überlappen. Des Weiteren dürfte dir auffallen, dass die Ringe ungewöhnlich klein sind, was es noch schwerer macht, dieses überragende Zeugnis der handwerklichen Meisterschaft meines Cousins zu durchdringen.«