Über das Buch
Auf dem Herrensitz von Lady Ashcroft geht Seltsames vor sich: als Onkel Quentin gebeten wird, die wertvollen Antiquitäten und Sammlerstücke im Haus zu schätzen, stellt sich heraus, dass es sich ausgerechnet bei dem Lieblingsstück der Lady um eine Fälschung handelt. Durch Zufall entdecken die Fünf Freunde das Motiv – eine Katze aus Saphir – auf einem der Familiengräber wieder. Wie kann das sein? Die Fünf Freunde beginnen, nachzuforschen und kommen einem dunklen Geheimnis auf die Spur!
Über die Autorin
Enid Blyton, 1897 in London geboren, begann im Alter von 14 Jahren, Gedichte zu schreiben. Bis zu ihrem Tod im Jahre 1968 verfasste sie über 700 Bücher und mehr als 10000 Kurzgeschichten. Bis heute gehört Enid Blyton zu den meistgelesenen Kinderbuchautoren der Welt. Ihre Bücher wurden in über 40 Sprachen übersetzt.
Fünf Freunde
und das Geheimnis
der blauen Katze
Illustriert von Bernhard Förth
Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House
2. Auflage
© 2015 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House, München
Alle Rechte vorbehalten
Ein neues Abenteuer der von Enid Blyton
erfundenen Figuren »Fünf Freunde«
Diese Geschichte wurde von Sarah Bosse geschrieben.
Enid Blytons Unterschrift und »Fünf Freunde«
sind eingetragene Warenzeichen von Hodder and Stoughton Ltd.
© 2015 Hodder and Stoughton Ltd.
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten.
Lektorat: Andreas Rode
Umschlagabbildung und Innenillustrationen: Bernhard Förth
Umschlaggestaltung: Atelier Langenfass, Ismaning
SaS · Herstellung: AJ
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-17810-9
www.cbj-verlag.de
Auf nach Ashcroft House!
Über dem Internat glühte der Himmel im feurigen Orangerot der Abendsonne. Anne hatte sich auf die Fensterbank gehockt und starrte fasziniert zum Horizont. Dramatisch sah das aus!
»Was für ein Naturschauspiel!«, rief sie begeistert.
Ihre Cousine Georg, die mit ihr das Zimmer teilte, war eben zur Tür hereingekommen. Sie hatte mit ihrem Hund Tim eine Runde gedreht. Nun hockte sie auf der Bettkante und zog sich die Schuhe aus.
»Ja, grandioser Himmel!«, erwiderte sie. Dann musste sie grinsen. »Dein lieber Bruder Richard würde uns jetzt sicher erklären, wie so ein Abendrot entsteht.«
Anne lachte. »Ganz sicher würde er das. Eigentlich schade, dass er jetzt nicht hier ist. Es würde mich nämlich wirklich interessieren.«
»Wir werden ihn ja bald wiedersehen«, erinnerte Georg. »Noch drei Tage, dann sind wir endlich wieder alle in der Felsenbucht. Ferien, wir kommen!« Sie pfefferte die Schuhe unter das Bett und ergänzte: »Im Übrigen brauchst du wegen einer Erklärung nicht auf Richard zu warten. Ich begleite dich gern nach dem Abendessen in die Bibliothek. Dort finden wir sicher ein Buch, in dem Wetterphänomene erklärt sind.«
Anne hopste von der Fensterbank und knuddelte Tim, der ihr fröhlich um die Beine strich. »Okay, abgemacht. Aber jetzt freue ich mich erst einmal aufs Abendessen. Ich habe ganz schön Hunger.«
»Ha!«, rief Georg. »Eiferst du jetzt etwa Richard nach?«
Aber Anne winkte ab. »Sicher nicht. Wenn ich so viel essen würde wie der, wäre ich bestimmt bald so dick wie ein Mops.«
Georg hatte sich auf den Boden gelegt und den Oberkörper unter ihr Bett geschoben. »Hast du irgendwo meine Hausschuhe gesehen?«, fragte sie.
Doch bevor Anne antworten konnte, um ihr zu verraten, dass Tim jetzt einen davon im Maul hatte, klopfte jemand ungeduldig an die Zimmertür. Ohne eine Antwort abzuwarten, kam eine der Schülerinnen aus der untersten Klasse ins Zimmer gestürmt. »Georgina, du sollst … Äh, ist Georgina gar nicht da?«
Anne zeigte auf den Fußboden. »Doch, da unten.«
»Georgina, du sollst …«, setzte das Mädchen erneut an.
Doch Georg kam nun unter dem Bett hervor – wobei sie sich den Hinterkopf an der Bettkante stieß – und fiel ihr ins Wort: »Georg.«
»Wie?«, fragte das Mädchen.
»Georg«, wiederholte Georg. »Du sollst mich Georg nennen.«
Das Mädchen sah Georg verdutzt an. Offenbar hatte es sich bei den jüngsten Schülerinnen noch nicht herumgesprochen, dass Georg lieber wie ein Junge auftrat und ebendarum diesen Namen gewählt hatte.
»O… okay«, stammelte die Kleine. »Also, du sollst mal ins Sekretariat kommen. Frau Singer sagt, da ist ein Telefonat für dich.«
»Ein Telefonat?« Schon schob Georg das Mädchen zur Seite, um aus dem Zimmer zu stürmen. In solchen Fällen war Eile geboten. »Warum sagst du das nicht gleich?«, rief sie im Hinauslaufen.
»Wollte ich doch«, antwortete das Mädchen und machte dabei eine verzweifelte Miene. Aber da war Georg schon den Flur hinunter verschwunden.
»Wie heißt du noch mal?«, fragte Anne. Sie hatte den Namen des Mädchens vergessen und wollte eine kleine Unterhaltung beginnen, um so die Verwirrung der Mitschülerin zu lindern.
»Jenny«, antwortete diese. »Jenny Brooks.«
Tim hatte sich, immer noch den Pantoffel im Maul, vor Jenny gesetzt.
Aha, dachte Anne. Georg ist also auf Socken losgeflitzt. Hoffentlich rutscht sie auf der Treppe nicht aus.
»Darf ich den mal streicheln?«, fragte Jenny.
»Was sagst du, Tim?«, fragte Anne den Hund.
»Wuff, wuff!«, machte Tim. Es klang allerdings eher wie ein »Wm, wm!«, da er immer noch den Hausschuh im Maul hatte.
Anne machte eine auffordernde Handbewegung. »Das heißt: Ja, du darfst. Tim besteht sogar darauf.«
Jenny ging in die Hocke und kraulte Tim hinter den Ohren, was dieser wohlig brummend genoss.
Dann war es Zeit für das Abendessen. Sicher würde Georg direkt vom Büro aus in den Speisesaal kommen, also schnappte sich Anne Georgs Hausschuhe, um sie mitzunehmen. Tim gab den einen brav frei, den anderen fand Anne hinter dem Papierkorb. »So, Tim, du weißt ja, dass du nicht mitdarfst. Bleib du schön hier im Zimmer. Bis gleich.«
Seufzend ließ sich der Hund auf dem Teppich nieder und ergab sich, wie bei jeder Mahlzeit, in sein Schicksal.
Anne hatte sich längst ihr Essen an der Ausgabe geholt und saß am Tisch, als Georg in den Speisesaal kam und auf Socken durch den Gang zur Essensausgabe schlitterte.
Anne hob die Hausschuhe hoch, die sie unter den Tisch gestellt hatte, und wedelte damit herum. Georg hob den Daumen.
»Mensch, kriegst du keine kalten Füße?«, zischte Anne über den Tisch, als Georg sich endlich gesetzt hatte. »Ich sag dir: Wenn das die olle Clark gesehen hätte, hättest du wieder mal einen Rüffel bekommen.«
Georg grinste von einem Ohr zum anderen und schaufelte sich dann eine Gabel voll Möhrensalat in den Mund. »Wär mir auch egal gewesen. Ich habe nämlich total gute Laune.«
»So, so«, sagte Anne und wischte sich den Mund mit der Serviette ab. »Und warum, wenn ich fragen darf? Hat das mit dem Telefonat zu tun?«
»Ja, du darfst fragen«, antwortete Georg mit vollem Mund. »Und ja, es hat mit dem Telefonat zu tun.« Dann aß sie erst einmal genüsslich weiter und schlürfte dazu Früchtetee aus dem Becher.
»Nun erzähl schon«, bettelte Anne. »Spann mich nicht so auf die Folter!«
Georg musste lachen. »Wenn ich dir das erzähle, liebe Anne, weiß ich schon, was als Nächstes kommt. Du wirst sagen: ›Oje, was soll ich denn da anziehen?‹«
Nun wurde Anne erst recht neugierig. Unter dem Tisch kickte sie ihrer Cousine vors Schienbein. »Du bist gemein. Jetzt spuck es schon aus.«
»Okay«, sagte Georg und tat plötzlich sehr vornehm. Sie hielt sogar ihren Teebecher mit abgespreiztem kleinem Finger. »Unser Ferienprogramm steht quasi fest. Wir werden die Ferien nicht im Felsenhaus verbringen, sondern …«
Anne zog die Augenbrauen hoch. »Sondern?«
Georg senkte die Stimme, damit nicht alle mitbekamen, was sie zu sagen hatte. »… im Herrenhaus der Lady Ashcroft!«
»Was?« Anne machte große Augen. Dann schlug sie sich die Hände vor den Mund. »Himmel. Da habe ich sicher nichts Passendes anzuziehen.«
Vor Lachen prustete Georg beinahe ihren Tee über den Tisch. Dann senkte sie den Kopf und flüsterte: »Habe ich es nicht gesagt? Du und dein Klamottentick.«
»Mach du dich nur über mich lustig!«, zischte Anne. Aber sie musste auch schmunzeln. »Jetzt erzähl schon. Wie kommt das? Und werden wir richtig da wohnen? Wieso?«
»Die Sache ist die: Mein Vater hat mir eben erzählt, dass Lady Ashcroft ins Seniorenheim umziehen möchte«, berichtete Georg. »Deshalb soll ihr gesamtes Hab und Gut verkauft werden. Na ja, fast das gesamte. Man kann sich ja denken, dass da einige Schätze dabei sind: Gemälde, wertvolles Porzellan und so.«
»Schön und gut«, erwiderte Anne, die natürlich schon von der Adeligen gehört hatte. »Aber was hat das mit uns zu tun? Sollen wir ihr beim Packen helfen oder wie? Sie kennt uns doch gar nicht.«
»Nein, nein«, sagte Georg. »Sie hat einen Bekannten meines Vaters gebeten, die Dinge zu schätzen. Der ist Fachmann für Antiquitäten und so. Und weil zu ihrem Besitz auch eine umfangreiche Fossilien- und Edelsteinsammlung gehört, hat der Bekannte meinen Vater gefragt, ob er ihn dabei unterstützen könnte, denn für so was ist ja mein Vater Fachmann.«
»Und wie kommen wir da ins Spiel?«
»Ganz einfach«, erklärte Georg. »Als die alte Lady davon gehört hat, dass mein Vater mit im Boot ist, hat sie ihn gefragt, ob er uns nicht mitbringen möchte.«
Anne richtete sich auf und zeigte mit dem Finger auf sich selbst. »Uns?«
Georg nickte. »Jawohl, uns. Da kannst du mal sehen, wie berühmt wir sind. Sie hatte nämlich schon von uns gehört und fand, sie könnte ein bisschen Gesellschaft gebrauchen.«
Anne biss sich auf die Unterlippe und überlegte. »Das ist ja allerhand«, sagte sie schließlich. »Aber bedeutet das, dass wir uns den lieben langen Tag mit der alten Dame beschäftigen sollen?«
Georg stutzte einen Moment. »Ich hoffe nicht. Aber ich kann es mir auch eigentlich nicht vorstellen. Sie will wohl einfach ein bisschen Leben in der Bude haben.«
»Bude ist gut«, sagte Anne und dachte an das riesige Herrenhaus. »Was passiert denn eigentlich mit dem alten Kasten?«
»Den soll die Gemeinde vermacht bekommen oder so ähnlich«, meinte Georg sich zu erinnern. »Zumindest hat mein Vater so was gesagt. Für ein Museum oder eine Schule oder so.« Dann rieb sie sich die Hände. »Samstag geht es los. Wir sollen direkt von hier mit dem Zug dorthin fahren. Am Bahnhof werden wir abgeholt.«
»Wissen Julius und Richard schon Bescheid?«, wollte Anne wissen.
»Bei denen im Internat ruft mein Vater jetzt an«, antwortete Georg. »Hach, ich bin schon ganz aufgeregt. Das wird bestimmt fein!«
»Und Tim darf auch mit?«, wollte Anne wissen.
»Ja«, sagte Georg und strahlte übers ganze Gesicht. »Aber nur weil er mit Katzen klarkommt. Lady Ashcroft hat nämlich einen Kater, den sie über alles liebt.«
Anne senkte den Blick auf die Pantoffeln, in die Georg noch immer nicht hineingeschlüpft war. Anne schob sie ihr unter dem Tisch hin. An Hausschuhe musste sie unbedingt denken. Bestimmt durfte man im Haus der Lady nicht mit Straßenschuhen herumlaufen. Das war schlecht für das Parkett.
Als Georg und Anne am Samstag mit Tim im Zug saßen, der sie zu dem kleinen Bahnhof von Whistletown bringen sollte, sprachen sie kaum ein Wort, so aufgeregt waren sie. In ihrer Fantasie hatten sie versucht, sich auszumalen, was sie in Ashcroft House erwartete, doch so richtig konnten sie es nicht einschätzen.
Sie kamen dem Zielort immer näher und drückten sich die Nasen an der Fensterscheibe platt. Die Reisetaschen hatten sie schon längst aus dem Gepäcknetz gehievt, als der Bahnhof in Sicht kam.
»Hey, das gibt es doch nicht!«, rief Georg. »Deine Brüder sind ja schon da!«
Und tatsächlich. Als der Zug langsam einfuhr, sah auch Anne, dass Julius und Richard bereits auf einer Bank auf dem Bahnsteig saßen. Die beiden eilten herbei, um den Mädchen das Gepäck abzunehmen, was Georg natürlich nicht zuließ. Sie konnte ihre Tasche selbstverständlich selbst aus dem Zug wuchten!
Julius nahm seine kleine Schwester in den Arm. »Da seid ihr ja. Alles gut bei euch?«
»Klar!«, rief Anne. »Seid ihr auch so gespannt? Und warum seid ihr schon hier? Wir dachten, euer Zug kommt erst in einer halben Stunde.«
»Wir hatten Glück«, berichtete Richard. Auch er nahm Anne in den Arm und begrüßte Georg mit einem kameradschaftlichen Klaps auf die Schulter. »Der Vater eines Klassenkameraden fuhr zufällig in diese Richtung und hat uns mitgenommen. Wir sind aber auch gerade erst angekommen.«
»Tja«, sagte Georg. »Dann schauen wir mal, wer uns abholt. Wir wissen bisher nur, dass man uns abholt. Aber die rechnen ja erst in einer halben Stunde mit euch.«
Richard nahm seine und Annes Reisetasche. »Dann gehen wir doch schon mal zum Vorplatz und warten dort.«
»Oh Mann, hier ist ja wohl der Hund begraben«, stellte Julius fest. Weder im Bahnhofsgebäude noch im Umfeld desselben war auch nur eine Menschenseele zu sehen. Lediglich einige Hühner pickten im planierten Sand nach Insekten. Tim hob witternd die Nase in ihre Richtung, aber nach einem strengen Blick von Georg ließ er sie wieder sinken.
Jetzt hieß es warten.