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Dagmar Hub / Elvira Lauscher

Ulm

Porträt einer Stadt

Inhalt

Impressum

Ulm

1  Mit einer Fledermaus durch Ulm

Kathrin Schulthess trifft Wissensdurstige am Stadthaus

2  Handwerkliche Tradition stirbt

Martin Zaiser bäckt in der letzten Zuckerbäckerei

2  Handwerkliche Tradition stirbt

Martin Zaiser bäckt in der letzten Zuckerbäckerei

3  100 Jahre Leben in Ulm

Maria Burgi liebte das Schwimmen im SSV-Bad

4  Der Architekt mit Gefühl für alte Häuser

Dr. Max Stemshorn sanierte die ehemalige Dreikönigskirche

5  Die Einzigartigkeit des Menschen

Heike Sauer holt sich Inspiration im Café Edeltraudt

6  Ich habe viel erlebt mit den Jahren

Der Trompetenbaum und sein Leben am Oberen Ausee

7  Die Tochter des letzten Königs

Ira Dentler bewahrt in der Gerbergasse das Erbe ihres Vaters

7  Die Tochter des letzten Königs

Ira Dentler bewahrt in der Gerbergasse das Erbe ihres Vaters

8  Hier tschilpt es allerorten

Der Ulmer Spatz wurde im Café Tröglen geboren

9  Ein Haus voller Vergangenheit

Pächter Timo Ried leitet die Engel-Apotheke

10  Hätte ich hier zu Hause sein können?

Hildegard Knef wurde in der Turmgasse geboren

11  Ich habe oft 200 Prozent gegeben

Martin Schuth und eine Rollstuhl-Rugby-Mannschaft fürs RKU

12  Eine Stimme mit Gewicht

Selda Karadumans Wort gilt in der DITIB-Moschee

13  Höchster Kirchturm steht im Mittelpunkt

Michael Hilbert ist 21. Baumeister am Ulmer Münster

14  Ich bin gern in der Küche

Ralf Hagmayer bäckt die Pfannkuchen im Allgäuer Hof

15  Staufische Stadtmauer ist ein Geschenk

Maxi Pedrozo frisiert im Effedue vor historischer Kulisse

16  Ein Studio neben den Kühen

Günter Merkle macht Filme am Willy-Brandt-Platz

17  Weil Musik innerlich leuchten lässt

Albrecht Schmid gibt Konzerte im Wiblinger Kloster

18  Kein Geld zu haben macht frei

Schwester Sigrids neue Heimat im Wengenkloster

19  Ein Besucher, der fürs Leben bleibt

Roberto Scafati leitet das Ballett am Theater Ulm

20  Ich hätte gern mehr Jazz in Ulm

Joo Kraus spielte schon oft in der Pauluskirche

21  Eine Ärztin aus dem Mittelalter erzählt

Agathe Streicher lebte in der heutigen Neuen Straße

22  Vom Armenhaus ins Guinness-Buch

Günter Altstetters Schiefes Haus ist beliebtes Fotomotiv

23  Leben mit der Erinnerung der Patienten

Dr. Horst Hohmuth praktiziert im Geschwister-Scholl-Haus

24  Ich habe eine starke Bindung zum Fluss

Jürgen Dangel fährt mit seiner Ulmer Schachtel auf der Donau

25  Menschen sollen auch Querdenken lernen

Renate Breuninger ist gerne in der Villa Eberhardt

26  Die Stunde des Schwurs

Ivo Gönner beendet das Stadtjahr auf dem Schwörhausbalkon

27  Die Faszination für den Beruf bleibt

Bernhard Gerstner baut Geigen in der Bessererstraße

28  Das Leben mit den Steinen

Volker Bekers Lego-Nabada im Fenster von Spielwaren Gänßlen

29  Ein Wechsel ist immer eine Chance

Marcus Sorg denkt gerne an den SSV Ulm zurück

30  Die Liebe zur Industriearchitektur

Ulrike Hudelmaier lebt im ehemaligen Magirus-Werk

31  Von einem zu früh Verstorbenen

Max Eyth und sein Denkmal auf der Adlerbastei

32  Wo Blinde Blüten spüren

Hartmut Dorow initiierte den Duft- und Tastgarten

33  Ich war der Herr der Stadt

Lutz Krafft residierte und feierte im Ehinger Hof

35  Arbeiten und Leben mit Ulmer Schränken

Elise Ihle wohnte in der ehemaligen Sebastianskapelle

36  Nun bin ich fast wieder komplett

Der Löwenmensch ist das wertvollste Stück des Ulmer Museums

Karte

Bildverzeichnis

Quellenverzeichnis

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Ulm

»Ich habe keine Stadt gesehen, in der sich die Menschen im allgemeinen so gern aufhalten wie in Ulm, Arme wie Reiche.«

Felix Fabri, 1488/89

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1  Mit einer Fledermaus durch Ulm

Kathrin Schulthess trifft Wissensdurstige am Stadthaus

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1  Mit einer Fledermaus durch Ulm

Kathrin Schulthess trifft Wissensdurstige am Stadthaus

»Ich habe mir Ulm nicht ausgesucht«, sagt Kathrin Schulthess. »Als ich erstmals in meinem Leben auf den Münsterplatz kam, war der grau, geteert und zugeparkt. Nein, ich war nicht begeistert, als ich nach Ulm kam.«

Lang ist das her: Ende der 80er-Jahre zog die junge Archäologin und Mutter von zwei Kindern mit ihrem Mann Peter an die Donau, weil Peter Schulthess einen Ruf an die Universität Ulm erhalten hatte. Heute, erklärt die aus Münster in Westfalen stammende Frau, macht es sie froh und glücklich, die Begeisterung von Touristen zu erleben, die sie durch die Altstadt führt. »Ich habe gar nicht gewusst, dass Ulm eine so schöne Stadt ist«, hört sie häufig und kann solchen Aussagen von Herzen zustimmen. »Fasziniert bin ich immer noch von der Archäologie, aber glücklich bin ich mit dem, was ich tue«, resümiert sie.

Kathrin Schulthess ist Gästeführerin in Ulm; vor allem zwischen Mai und Oktober und im Dezember zeigt sie zahlreichen Menschen Ulm, das sie als ihr Zuhause empfindet. Dabei braucht man ein schnelles Gespür für die Bedürfnisse der unterschiedlichen Reisegruppen – beispielsweise, ob historisches Wissen oder eher eine heitere Führung mit Anekdoten gefragt ist. Ihre persönlichen Lieblingsplätze liegen nördlich des Münsters in der Raben- und der Kohlgasse; sie mag aber auch das Fischerviertel, das die Touristen neben dem Münster am häufigsten sehen wollen.

Vor der Touristen-Information des Stadthauses trifft Kathrin Schulthess regelmäßig Ulm-Besucher. Manchmal bleibt dort auch Zeit für ein Gespräch der Gästeführer untereinander. Zum Stadthaus, 1993 eröffnet, hat Kathrin Schulthess eine ganz besondere Beziehung. Das lange Ringen der Verwaltung und der Bürger um dieses Gebäude bekam sie gerade noch mit, als sie nach Ulm zog – vor allem aber erlebte sie dann die archäologischen Grabungen auf dem Münsterplatz an der Stelle des abgerissenen Barfüßerklosters aus dem 13. Jahrhundert und den anschließenden Bau des von Richard Meier entworfenen Stadthauses. »Das war der erste Bau der Postmoderne in Ulm«, erinnert sie sich. »Das erste architektonische Wagnis!« 100 Jahre hatten die Bürgerschaft, Architekten, Politiker und Stadtgestalter nach dem Abriss des Klostergebäudes um die Gestaltung des Münsterplatzes gerungen und gestritten. Die Folge der Uneinigkeit war der zugeteerte als Parkfläche genutzte Münsterplatz, der wahrlich kein schöner Anblick vor dem gotischen Sakralbau war. Als sich die Jury eines städtebaulichen Wettbewerbs am 15. November 1986 für den Entwurf des amerikanischen Architekten Richard Meier entschied, brach ein Sturm der Entrüstung los. Bundesweit sprachen Medien von der heikelsten Baustelle der Republik. Man hatte Angst, die Postmoderne könnte die Monumentalität des Münsters mit seinem höchsten Kirchturm der Christenheit entwerten.

Heute ist der Meier-Bau aus Ulms Mitte nicht mehr wegzudenken. »Wenn man aus der Hirschstraße auf den Münsterplatz kommt, blickt man gleichzeitig auf das Weiß des Stadthauses und die filigrane Vertikale des Hauptturms. Die auf die Horizontale reduzierte Gestaltung des Stadthauses und das nach oben strebende Münster betonen sich gegenseitig und werten einander gegenseitig auf«, sagt Kathrin Schulthess. »Jede der beiden Architekturen unterstreicht die Einzigartigkeit der anderen.«

Damals – während der Diskussionen und der archäologischen Grabungen der späten 80er- und frühen 90er-Jahre – habe sie überlegt, was sie als junge Mutter in Ulm tun könnte, erinnert sich die Münsteranerin. Eine Berufstätigkeit als Archäologin war zu jener Zeit mit der Erziehung der beiden Söhne nicht vereinbar. Der Gedanke, Touristen als Gästeführerin Ulm näherzubringen, gefiel ihr; diese Tätigkeit war mit den Kindern, die heute längst ausgeflogen sind, unter einen Hut zu bringen. »Ich habe mich eingearbeitet, mich viel mit der Stadtgeschichte beschäftigt«, erinnert sich Kathrin Schulthess. Dennoch sei es in der ersten Zeit immer wieder geschehen, dass sie auf detaillierte Fragen antworten musste: »Das muss ich selbst erst nachlesen« oder »Da muss ich recherchieren, das weiß ich nicht.« So etwas passiert ihr heute kaum noch – vor allem nicht im Münster, in dem sie besonders gern Führungen macht, aber auch in den Straßen der Kernstadt kennt sie sich mit der Historie der Häuser und ihrer früheren Bewohner bestens aus.

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Die staufischen Löwen im Stadthaus wurden in der Nähe ausgegraben

Kinderführungen wurden zum Spezialgebiet von Kathrin
Schulthess, und weil es kaum Literatur gibt, mit der man Schüler für Baugeschichte interessieren kann, erfand sie für die Jungen und Mädchen der Region die Figur der Fledermaus Lilli Langohr. Ihren Namen hat dieses Tier, über dessen Entdeckungsreisen in Ulm Kathrin Schulthess inzwischen drei Bücher geschrieben hat, nach dem Braunen Langohr. Diese Fledermausart gibt es tatsächlich im Ulmer Münster; die Tiere überwintern in Spalten unterm Dach. Die Plüschfigur, die die Gästeführerin eigens für ihre Kinderführungen anfertigen ließ, ist mittlerweile etwas »zerliebt«, denn wenn Kathrin Schulthess und Lilli Langohr in der Stadt und im Münster unterwegs sind, agieren sie stets gemeinsam. »Immer, wenn Lilli Langohr aus der Tasche kommt, sind die Jungen und Mädchen total begeistert und wollen sie streicheln. Dann wird sie geküsst, und die Schüler wollen wissen, wie sie lebt und wie die realen Fledermäuse im Münster hausen.« Klar, dass Kathrin Schulthess auf diese Weise inzwischen über das Leben von echten Fledermäusen in der Natur viel gelernt hat und ihrer Lilli Langohr eine eigene Biografie und einen richtigen tierischen und menschlichen Freundeskreis schaffen musste, denn Lilli Langohr ist im Gegensatz zu ihrem Bruder Drago ein äußert neugieriges, stadt- und religionsgeschichtlich interessiertes Wesen, oft ein bisschen naseweis, aber kess und freundlich. In den drei Bänden des Buches eignet sich Lilli auf manchmal recht abenteuerliche Weise das Wissen an, das sie mit Kathrin Schulthess gemeinsam an Kinder weitergibt.

»In vielen Grundschulklassen kommen nur die Hälfte der Kinder aus katholischen oder evangelischen Familien«, sagt Kathrin Schulthess. Für die muslimischen Schüler erzählt Lilli deshalb auch gern von der gemeinsamen Wurzel von Christentum und Islam. »Kinder sind bei Führungen ganz anders als Erwachsene«, erklärt Kathrin Schulthess. »Für sie gibt es keine Frage, die man nicht stellen kann.« »Fix und alle« sei sie deshalb manchmal, nachdem sie eine Gruppe Sieben- oder Achtjähriger eine gute Stunde lang konzentriert bei der Stange halten konnte. »Trotzdem sind solche Führungen für mich das Schönste an meinem Beruf.« Als sie einmal eine Gruppe von Grundschülern fragte, welche Funktion denn wohl der große Sprengring in der Turmhalle des Münsters haben könnte, fantasierte ein Mädchen, dass da bestimmt »die Bösen heruntergestoßen wurden«, die dann unten im Keller verschwunden seien. »Manchmal ist es gar nicht so leicht, auf solche Dinge zu antworten«, sagt Kathrin Schulthess und erinnert sich an einen kleinen muslimischen Jungen, der seine Hand vertrauensvoll in ihre schob und wissen wollte, warum Jesus denn geschlachtet worden sei. »Bisweilen kommen Fragen wie: ›Wer ist der Mann an dem großen Kreuz?‹«, berichtet Kathrin Schulthess. »In solchen Momenten wundere ich mich über den Kenntnisstand mancher Schüler.«

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Moderne Architektur

Eine besondere Begegnung verschaffte Lilli Langohr ihrer Erfinderin, nachdem sie in der saudi-arabischen Metropole Riad (wo sie eine Weile mit ihrem Mann lebte) aus einem Buch über die kleine Fledermaus las, die auf der Orgelempore des Ulmer Münsters ihr Zuhause hat. Ein arabischer Professor, der mit seinen beiden Töchtern zugehört hatte, entwickelte großes Interesse für Ulm und kam eigens für zwei Tage an die Donau, um die Stadt kennenzulernen. Ganz begeistert war er von Lillis Heimat, erzählt die Gästeführerin.

Und Kathrin Schulthess selbst, die in ihrem Leben oft umgezogen ist? Was ihr an Ulm so gut gefällt, dass sie ausgesprochen gern hier lebt, weiß sie inzwischen. »Ulm ist sehr lebendig. Alt und Neu existieren nebeneinander und miteinander – herausragende alte und herausragende neue Architektur. Es gibt die Bereitschaft zur Veränderung, und es gibt alte reichsstädtische Tradition. Ulm hat etwas Besonderes, was sich auch im Selbstbewusstsein seiner Bewohner ausdrückt.«

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Stadthaus Ulm

Münsterplatz 50

89073 Ulm

www.stadthaus.ulm.de

2  Handwerkliche Tradition stirbt

Martin Zaiser bäckt in der letzten Zuckerbäckerei

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2  Handwerkliche Tradition stirbt

Martin Zaiser bäckt in der letzten Zuckerbäckerei

Klein und gemütlich wirkt der Verkaufsraum der Bäckerei mit dem heimeligen Café mit Wohnzimmeratmosphäre. Wenn man früh am Morgen kommt, wird man von einem Duft wie aus Großmutters Küche empfangen. Und die Nase täuscht nicht – tatsächlich werden in der gleich daneben liegenden Backstube Köstlichkeiten noch nach alten Rezepten und in reiner Handarbeit hergestellt. Es gibt keine Backmischungen und keine Fertigbackwaren. Martin Zaiser bäckt hier mit seinem Sohn Denis, einem Gesellen und einem Azubi auf engstem Raum alles was das Kundenherz erfreut: das Original Ulmer Zuckerbrot, Kuchen, Plunder, Seelen und Brötchen, Brote wie ein »Genetztes«, Stangen- oder Vollkornbrot, Wibele bis hin zum Bagel. An Weihnachten gibt es natürlich ein leckeres Hutzelbrot. Frisch und an sechs Tagen in der Woche wird alles zubereitet. Damit haben Zaisers in der Innenstadt ein Alleinstellungsmerkmal, denn von den über hundert Bäckereien sind nur sie übrig geblieben und so beliebt wie nie zuvor. Viele Kunden schätzen die Qualität der frischen Backwaren und auch die Tatsache, dass sie keine unerwünschten Zusätze befürchten müssen.

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Schon das Schild zeigt: Hier gibt es das leckere Ulmer Zuckerbrot

Die Bäckerei ist dazu noch in Familienhand und wird inzwischen in sechster Generation geführt. Im Laden bedient Ehefrau Doris Zaiser mit ihrem Team, und die Tochter hilft in den Semesterferien gerne aus. Die Stammkunden werden mit Namen begrüßt und bei manchen sind die Vorlieben schon bekannt oder die Tüten zum Mitnehmen bereits vorbereitet. Im Sommer sitzen die Gäste bei selbst gemachten Kuchen, Kaffee oder einem Cappuccino auch mal auf den Stühlen vor dem Geschäft und genießen das Ambiente der Herrenkellergasse, die noch weitgehend von Ketten wie Starbucks und Co. verschont geblieben ist und ihren eigenen Charme mit Kleinkunstläden oder individuellen Boutiquen verbreitet.

Elvira Lauscher: Die Bäckerei wurde im Juni 1828 von einem Georg Pfeffer eröffnet. Wie kommt es, dass sie nun von Ihnen, einem Zaiser, geführt wird?

Martin Zaiser: Mein Großvater Max Zaiser hat eingeheiratet. Er kam von Heilbronn nach Ulm und hat zuerst im Café Gindele in der Konditorei gearbeitet. Der letzte Pfeffer ist im Krieg verschollen, und so hat er dann die Bäckerei übernommen, nachdem er meine Großmutter Hertha, eine geborene
Pfeffer, geheiratet hat.

Und seit wann führen Sie die Bäckerei?

Ich habe sie 1992 von meinem Vater übernommen.

War dies von Anfang an klar?

Nein, es war nie die Rede davon, dass ich Bäcker werden sollte. Mein Vater hat uns keinen Druck gemacht, er hat ja selbst zuerst einen anderen Beruf gewählt. Er lernte direkt nach dem Krieg ursprünglich Dentist, was damals noch kein Studium war. Als mein Großvater gebrechlicher und älter wurde, überlegte mein Vater, doch noch schnell den Bäckermeister zu machen und den Laden zu übernehmen. Wie das Leben eben so spielt … Aber er hat seinen Beruf mit Freude ausgeübt. Und bei mir war es einfach so, dass ich nicht wie mein Bruder studieren wollte, sondern einen Handwerksberuf vorzog. Da war es das Naheliegendste, dass ich Bäcker wurde.

Haben Sie das je bereut?

Es ist nicht mein Traumberuf, aber bereut habe ich es nicht. Ich denke manchmal, ich hätte Schreiner werden sollen, das hat Wertbeständigkeit. Ich muss mich täglich für gute Qualität anstrengen, und am Abend ist alles aufgegessen. Aber natürlich macht man als Schreiner auch nicht immer nur schöne Möbel. (lacht)

Wann wurde das Café neben dem Laden eröffnet?

Wir haben das 1996 umgebaut. Der Bereich war ganz früher die Wohnstube meiner Großeltern und später Büro. Von Bäckereien wird ja inzwischen mehr als nur Backwaren erwartet, manche beschäftigen sogar zusätzlich Köche. Auch wir bieten neben Kaffee und Kuchen einen kleinen Mittagstisch, der sehr gut angenommen wird. Allerdings haben wir nur die typischen Bäckerei- und Konditoreiprodukte.

Sie nennen sich Zuckerbäcker. Ist das ein geschützter Name oder durfte sich früher jeder, der Zuckerbrot bäckt, auch Zuckerbäcker nennen?

Dieser Name wurde uns einfach angedichtet im Laufe der Jahre. Der eigentliche Zuckerbäcker war ein Konditor, der eben süße Dinge hergestellt hat. Der Salzbäcker stellte Brote und Brötchen her. Georg Pfeffer war ursprünglich ein reiner Salzbäcker und hat das Zuckerbrot erfunden, um seiner Kundschaft auch etwas Süßes anbieten zu können.

Es heißt, dass dieses Brot schon zu Napoleons Zeiten in Ulm gegessen wurde.

Da gibt es die Geschichte von der Belagerung Napoleons, und dass die Stadt verschont wurde, um die Soldaten verpflegen zu können. Hier ist auch die Rede von einem gesüßten Brot, was immer damit gemeint ist. Das Rezept, das wir heute noch nachbacken, hat Georg Pfeffer erfunden. In seiner Zeit war dies ein Luxusbrot. Zucker wurde noch wie Gold gehandelt, und die Gewürzzutaten wie Anis und Fenchel, Rosenwasser und Malagawein waren Raritäten. Es war schon ein sehr exklusives Brot, und auch die Zubereitung war ungewöhnlich. Der Teig wird vor dem Backen geschnitten und dadurch entsteht die typische äußere Form. Natürlich verändert sich durch das Schneiden auch die Konsistenz des Brotes.

Gibt es weitere Traditionsrezepte aus dieser Zeit?

Ja, den Zwieback backe ich heute noch. Den Diätzwieback mit Wasser und den normalen Zwieback.

Wie viele verschiedene Brote haben Sie im Sortiment?

Wir haben so etwa 15 bis 20 Sorten, die wir aber im Wechsel und nicht täglich machen. Zehn Brote sind es aber in der Regel immer, die wir zur Auswahl haben.

Sie backen außerdem eine Spezialität der Region, das »Genetzte«. Woher hat dieses Brot seinen Namen?

Es wird mit nassen Händen ausgebrochen und nicht im Mehl gewälzt. Und dann kommt es noch feucht oder eben »benetzt« in den Ofen, was für die leckere Kruste sorgt.

Manche Ihrer Gerätschaften sehen aus, als ob sie schon eine Weile hier stehen würden. Wie alt ist denn der Ofen, und wird damit alles gebacken?

Wir müssen schon immer wieder Neues dazukaufen. Der Ofen ist von 1983, und damit wird tatsächlich alles gebacken. Nun steht ein Neukauf an. Da mein Sohn kürzlich seine Meisterprüfung gemacht hat, kann man in die Zukunft schauen. Für uns ist es allerdings aufwendig, in die enge Backstube neue Geräte hineinzubekommen, und daher kann ich diese nicht nur nach Bedarf kaufen, sondern auch danach, ob sie hier überhaupt hineinpassen. Dieser Ofen wurde in Einzelteilen hineingebracht und erst vor Ort zusammenmontiert. Das ist in Großbäckereien mit viel Platz natürlich anders als bei uns.

Haben Sie nie überlegt, sich zu vergrößern?

Ja, schon, aber es lohnt sich nicht wirklich. Diese Bäckerei kann eine Familie und unsere Angestellten ernähren. Wenn man größer wird, muss man sich mit den Großen messen.

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Das Café neben dem Laden ist liebevoll eingerichtet

Glauben Sie, dass Sie sich auch in Zukunft als Bäckerei in der Stadtmitte halten können?

Wenn es so wie jetzt weiterläuft, dann schon. Die Lage ist nicht schlecht und wir profitieren von unserem historischen Background. Wir haben schon viel Stammkundschaft, und die Stadtführer kommen gerne mit ihren Reisegruppen herein. Wir können uns im Moment nicht beschweren. Wichtig ist aber, bessere Produkte und auch andere zu haben, weg vom üblichen Einheitsbrei.

Um die Bäckerei zu betreiben, haben Sie aber sicherlich nicht nur eine 40-Stunden-Woche …

Nein, das ist schon erheblich mehr. 60 Stunden sind die Regel, und wir fangen schon um 3.00 Uhr morgens an – das ist nicht jedermanns Sache. Aber es ist halt eine Selbstständigkeitsgeschichte. Die meisten Selbstständigen arbeiten deutlich mehr als Angestellte. Wenn man nicht richtig dabei ist, geht es nicht. Man muss schon die Freude oder den Sinn für die Selbstständigkeit und das Handwerk haben.

Was wäre, wenn Ihr jüngster Sohn nicht eingestiegen wäre?

Dann hätte ich die Bäckerei eben irgendwann zugemacht. So ist das halt. Meine anderen zwei Kinder haben sich für andere Berufe entschieden, und das finde ich okay.

Wenn Sie sich etwas für Ihren Berufszweig wünschen dürften, was wäre das?

Das ist schwierig. Freunde sagen zu mir oft, dass es doch toll ist für das Geschäft, dass wir jetzt die Einzigen sind. Na ja, das mag vielleicht auf der einen Seite so sein, aber wenn einer nach dem anderen zumacht, geht auch immer ein Teil der Tradition verloren, und die Vielfalt der Produkte gerät in Vergessenheit. Das ist schlecht für den Berufsstand und eigentlich auch ziemlich schade. Wer kann das später dann noch?

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Zuckerbäcker Zaiser

Herrenkellergasse 17

89073 Ulm

3  100 Jahre Leben in Ulm

Maria Burgi liebte das Schwimmen im SSV-Bad

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