Der Antikatechismus
Der Antikatechismus
200 Gründe gegen die Kirchen und für die Welt
Tectum Verlag
Karlheinz Deschner
Horst Herrmann
Der Antikatechismus.
200 Gründe gegen die Kirchen und für die Welt
© Tectum Verlag Marburg, 2015
ISBN 978-3-8288-6208-1
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter
der ISBN 978-3-8288-3546-7 im Tectum Verlag erschienen.)
Portraits der Autoren: Fotografie©evelinFrerk
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www.tectum-verlag.de
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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INHALT
VORWORT ZUR NEUAUFLAGE 2015
VORWORT ZUR ERSTAUFLAGE
WOZU DER MENSCH DA IST ODER: WIE DIE BESTE ALLER RELIGIONEN FINDEN?
WIE KOMMT EIN MENSCH ZUR RELIGION?
Wozu machen Menschen anderen Menschen Angst – und Hoffnung?
Warum fordern »Missionen« immer Opfer?
Weshalb werden noch immer Säuglinge getauft?
Weshalb ist die »große Zahl« der Christen falsch?
WESHALB STREITEN SICH SO VIELE CHRISTENTÜMER?
Müssen geschichtliche Fakten als Beleidigung des Christentums verstanden werden?
Ist das Christentum originell?
Brauchen die Kirchen Denkhilfen?
Warum ist von einer »Reform der Kirche« nichts zu erwarten?
WOZU IST GOTT AUF ERDEN?
Weshalb hat Gottvater so viele Väter?
Warum ist Gott ein Vater und ein lieber Vater?
Gibt es eine Alternative zum lieben Gott der Christen?
WAS SICH DIE MENSCHEN BIETEN LASSEN ODER: WELCHE EWIGE WAHRHEIT DARF ES HEUTE SEIN?
WOZU GIBT ES EIN SOLCHES SERVICE-UNTERNEHMEN?
Wie viele Menschen bedient die Kirche?
Warum nicht aus der Kirche austreten?
Wozu werden eigentlich noch Kirchtürme gebaut?
Was verdienen Bischöfe und Pfarrer?
Sind nicht Diakonie und Caritas der Kirchen liebste Kinder?
Werden kirchliche Kindergärten von der Kirche bezahlt?
Können wir mit der Fürsorge der Kirche zufrieden sein?
Spricht die Kirche für das Volk?
Nebenbei: Wann dürfen in Deutschland die Glocken läuten?
Wo bleibt das »Freie Wort zum Sonntag«?
ÜBER WIE VIEL MORAL VERFÜGT DIE KIRCHE?
Sollst du Vater und Mutter ehren oder doch lieber die Kirche?
Warum haben es Frauen in der Kirche so schwer?
Muss einer ledig bleiben, um besonders viel von der Ehe zu verstehen?
Wer kennt den »normalen Sex« am besten?
Darf sich jemand auch »auf katholisch« scheiden lassen?
Muss Geburtenkontrolle »sündhaft« sein?
Warum kämpft die Kirche für das ungeborene Leben?
Hat auch der Zölibat seine Folgen zu tragen?
Machen Kleriker gute Geschäfte?
Zensiert die Kirche noch immer?
Hat sich die Kirche als Ausbeuterin bewährt?
Wer hat sich bis zuletzt für die Sklaverei engagiert?
Was haben Kleriker gegen Bauern?
Wer hat die »Soziale Frage« nie beantwortet?
Ist der Kirchendienst für ArbeitnehmerInnen gefährlich?
Wer darf sich nicht scheiden lassen und wieder heiraten, ohne fristlos gekündigt zu werden?
WAS HAT DENN JESUS MIT ALLDEM ZU TUN?
War dieser kreuzbrave »Jesus« vielleicht ein Rebell?
Heißt der Stifter der Kirche »Paulus«?
Welche Rolle haben die Evangelisten gespielt?
WAS KIRCHEN MENSCHEN ANTUN ODER: WER WÄSCHT DA SEINE HÄNDE IN UNSCHULD?
DARF ES EIN BISSCHEN MORD UND TOTSCHLAG SEIN?
Es wird doch noch gerechte Kriege geben?
Haben Päpste und Bischöfe sich wenigstens selbst an das 5. Gebot gehalten und »nicht getötet«?
Wie oft musste die Madonna als Kriegsgöttin dienen?
Wozu sind Kreuzzüge geführt worden?
Haben etwa die »Ketzer« die Inquisition erfunden?
Wer hatte Lust daran, »Hexen« foltern zu lassen?
Kennen wir die Namen einiger Judenmörder vor Hitler?
Haben Päpste Grund gehabt, einen Weltkrieg zu verhindern?
Kommt Krieg gar aus der Kirche selbst?
SOLLEN WIR NOCH AN DIE »HEILIGE KIRCHE« GLAUBEN?
Wurden nur Vorbilder heiliggesprochen?
Welchem Heiligen verdankt die Kirche ihre Anerkennung?
Führt sich die fromme Folklore der Kirche auf einen Verbrecher zurück?
Darf sich ein überführter Massenmörder als »Stellvertreter Gottes« fühlen?
Finden sich sogar ein paar heilige Päpste?
Wie stand es um die »päpstliche Heiligkeit« im 16. Jahrhundert?
Wie war es um die heroischen Tugenden eines Papstes aus dem 20. Jahrhundert bestellt?
Für wen hat die »Heiligkeit« sich ausgezahlt?
Warum liegen Mord und Landnahme so nahe beisammen?
Stimmt es, dass der Papst finanziell in der Klemme steckt?
Hockt der Heilige Stuhl auf seinem Geld?
Was heißt denn »Peterspfennig«?
SIND DIE KIRCHEN WIRKLICH »NICHT VON DIESER WELT«?
Mögen Bischöfe die soziale Marktwirtschaft?
Werden bestimmte Kirchen noch immer an erster Stelle privilegiert?
Sind Staat und Kirche etwa keine Partner?
Nützen »Kirchenverträge« nicht allen?
Leistete die Kirche Geburtshilfe für den Faschismus?
Hat die Kirche Hitler zuwenig versprochen?
WAS KIRCHEN ÜBERLEBEN LÄSST ODER: WIE LANGE NOCH WIRD ES SO WEITERGEHEN?
WAS ALLES STECKEN SICH DIE KIRCHEN IN DIE TASCHE?
Warum Kirchensteuer zahlen?
Muss es Sondertarife für Besserverdienende geben?
Nehmen die Kirchen Jahr für Jahr mehr oder weniger Geld ein?
Welche Subventionen beanspruchen die Kirchen?
Wofür sollte die Kirche denn »entschädigt« werden?
Wie viele Steuergelder reicht der Verteidigungsminister an die Großkirchen weiter?
Sollen Kirchenfreie den Kölner Dom mitbezahlen?
Bezahlen Konfessionslose für Priesterschüler, Atheisten für Theologen?
WAS HAT SICH DENN DA ANGEHÄUFT?
Wie viel Grund und Boden besitzen die Kirchen?
Soll niemand mehr die Kirche »beschenken«?
Gibt es realistische Alternativen zur Kirchensteuer?
WOZU BRAUCHEN DIE KIRCHEN ÜBERHAUPT NOCH GELD?
Wer gibt das Geld der Kirchen wieder aus?
Was hat die Kirche eigentlich für die Dritte Welt getan?
Warum verkaufen die Großkirchen ihren Besitz nicht zugunsten der Armen?
Kosten konfessionell betriebene Schulen nicht zuviel?
Wozu benötigen SchülerInnen noch Religionsunterricht?
Lässt es sich nicht ohne diese Kirchen menschlicher leben?
LITERATURVERZEICHNIS
VORWORT ZUR NEUAUFLAGE 2015
Das vorliegende Standardwerk, das eine große Leserschaft gefunden hat und auch auf Italienisch und Spanisch erschienen ist, sollte nach dem Willen seiner Verfasser im Jahr 2015 neu aufgelegt werden.
Der Tod von Karlheinz Deschner (8. April 2014) hat den ursprünglichen Plan durchkreuzt. Das Buch atmet jedoch seinen Geist. Aus Pietät gegen den großen Mitautor habe ich den Text der Erstauflage nur minimal verändert und an die Neue Rechtschreibung angepasst. Das Literaturverzeichnis ist aktualisiert.
Die aufklärenden Hauptaussagen sind bis ins Detail geblieben. Sie wenden sich im Sinne von Karlheinz Deschner nach wie vor gegen die Ungeheuerlichkeiten der kirchlichen Lehre und Praxis. Fakten und Argumente sollen den zahllosen Opfern kirchlicher Verdummung helfen, entschiedenen Widerstand zu leisten.
Münster, Januar 2015
Horst Herrmann
VORWORT ZUR ERSTAUFLAGE
Wir haben uns zusammengetan und ein Handbuch für die vielen geschrieben, die nicht immer ein Standardwerk zu Religion und Kirche griffbereit haben, sich aber von Fachleuten knapp und kritisch über Daten, Fakten, Hintergründe des geistlichen Geschäfts mit Gott und der Welt informieren lassen möchten.
Jahr für Jahr überfluten Tausende »frommer« Druckerzeugnisse die Menschheit. Wir wissen, dass viele zunehmend unter dieser Belästigung leiden. Es ist ja nicht jedermanns Sache, Tag für Tag Bischöfe, Pfarrer und andere Kirchenbezahlte handeln zu sehen, reden zu hören, ohne den wirklichen Sachverhalt, die viel besseren Argumente zu kennen.
Wir meinen, unser Buch schaffe erstmals Abhilfe, biete Information ohne Denkverbot. Es ermöglicht, sich dem klerikalen Seelenterror zu entziehen, die geistige Gesundheit zu gewinnen oder zu erhalten. Wir hoffen nicht zuletzt, es werde auch von jenen benutzt, die dem großkirchlichen Religionsunterricht ausgesetzt sind. Sie sollen künftig nicht mehr wehrlos sein.
Karlheinz Deschner Horst Herrmann
Hassfurt und Nordwalde, im Dezember 1990
WOZU DER MENSCH DA IST ODER: WIE DIE BESTE ALLER RELIGIONEN FINDEN?
Zwei Mängel haften den Gläubigen an: zuviel Ignoranz, zuwenig Redlichkeit. Verstockte, hartherzige und hart denkende Christen wissen kaum etwas von ihrer eigenen Konfession. Auch sind sie in der Mehrheit »Laien«. Einige wenige wissen zwar einiges, doch sie sind nicht redlich genug, Konsequenzen daraus zu ziehen – ihre Religion aufzugeben.
Dem ersten Mangel, der Ignoranz, kann dieses Buch begegnen, indem es Fakten zum Nachdenken vermittelt. Den zweiten Mangel kann es nicht beseitigen. Wer unredlich denken und handeln will, wer gar durch seinen Brotberuf mit der Unwissenheit anderer spielt, wer also »Kleriker« ist, der ist zwar bloßzustellen, doch zu helfen ist ihm nicht.
Ein einschlägiger Text des Neuen Testaments (Lk 10, 30–37) beschreibt den Normalfall christlicher Nächstenliebe: den Kleriker, der an einem verwundeten Menschen vorbeigeht, ohne ihm zu helfen. Geholfen hat dem »unter die Räuber Gefallenen« der barmherzige Samariter, der von den sogenannten Guten ausgestoßene Fremde. Das ist eine zeitlose Geschichte. Immer wieder sehen – nichts wissen wollen, nichts tun. Millionen von Opfern, die das Christentum auf dem Gewissen hat, verdauen – nichts bereuen. Ein Sehen, das nicht hilft, ein Wissen, das nichts nützt. Eine »Räuber- und Passantengesellschaft«, eine christliche Gegenwart.
Kleriker können weiter an ihren »Katechismus« glauben. Der Vatikan denkt sich gerade den neuesten aus. Seine »ewigen Wahrheiten« hängen allerdings meist vom Zeitgeist ab: Nicht weniger als 24000 Änderungsvorschläge zum kurialen Entwurf wurden bisher eingereicht. Eine Heidenarbeit wartet auf die christlichen Sachverdreher in Rom. Doch viel Neues wird ihr »Katechismus« 1992 nicht bringen, nur Altes neu verpackt. Kleriker können deswegen bei ihrem Glauben bleiben. Bloß eines sollen sie künftig nicht mehr so erfolgreich tun dürfen: jene, die weniger Schimpf und Schande der Kirchen kennen als sie, dafür aber redlich denken und handeln, ideologisch verführen und finanziell schröpfen. Alle Versuche, Glauben und Gehorsam interessengeleitet zu begründen, müssen enden.
Wenn unser Buch sich »gegen« etwas richtet, dann gegen diese Kirchenleute und ihre Achtelwahrheiten. Wenn es sich um die ganze Wahrheit der Kirchen bemüht, wenn es ihre dunklen Seiten zeigt, wenn es gar nachweist, dass diese Seiten vorherrschen, dann ist es zwar nicht »ausgewogen« in dem Sinn, den pfäffisch Denkende gern hätten. Dann ist es parteiisch. Ebenso parteiisch wie die tausend und abertausend Traktätchen der Kleriker, die nur eine helle Institution ablichten – und die gleich lautstark klagen, wenn den tausend Büchern der Unwahrheit und der Achtelwahrheiten ein einziges gefährlich zu werden droht, weil es die historische Wahrheit sagt. Ein »Anti-Katechismus« ist so lange notwendig, wie die Gründe, die er gegen die Kirchen und für die Welt nennt, ebenso wenig in den offiziellen Katechismen auftauchen wie die Fakten aus Geschichte und Gegenwart des real existierenden Christentums. Die Gewichte, die dieser Anti-Katechismus setzt, sind freilich nicht nur eigenbestimmt. Sie bemessen sich nach den Vorgaben der Kirchen. Was diesen so wichtig ist wie Geld, Macht, Krieg, greift unser Buch ausführlicher auf und an als die Nebenthemen des klerikalen Alltags wie Geist, Nächstenliebe, Gott.
Hoffentlich lässt sich niemand ins Bockshorn jagen von jenen, die Jahrhunderte hindurch mit Unwahrheiten bares Geld gescheffelt haben und es weiterscheffeln. Hoffentlich ist der Mut derer groß genug, die sich nicht mehr anlügen lassen wollen. Hoffentlich verfliegt der Weihrauch. Hoffentlich wird eines Tages die Luft so rein, dass Menschen atmen können. Wozu der Mensch da ist? Gewiss nicht, um auf den Knien zu liegen und jene auch noch zu bezahlen, vor denen er kniet, die ihn belügen und beherrschen.
WIE KOMMT EIN MENSCH ZUR RELIGION?
Die Menschen, die als einzige von der Religion profitieren, haben zu allen Zeiten gepredigt, »der Mensch« sei von Natur aus religiös. Ohne Religion könne er nicht existieren, verkomme er wieder zu dem Tier, das er in vorreligiösen Zeiten gewesen sei. In diesen urgewaltig klingenden Sätzen verrät sich der Kern der Argumentation: die Arroganz der Religionsdeuter, die sich von den Tieren (deren Unschuld nicht zu übertreffen ist) zu unterscheiden versteht und die alle Mitmenschen der eigenen Ideologie zu unterjochen sucht, als handle es sich um eine Wahrheit.
Wo Wahrheit ist, ist Bescheidenheit. Demütig machen müsste die Interpreten des Religiösen bereits das Wissen um ein paar Fakten der Menschheitsgeschichte (falls sie es nicht längst schon, um des Profits willen, verdrängten). Zum einen wissen wir sehr wenig von der frühen Menschheitsgeschichte, die im Vergleich zu ihren bekannten Teilen unverhältnismäßig lang gedauert hat. Aufs Ganze dieser Geschichte gesehen, ist die gegenwärtige Religion eine Winzigkeit. Wird die Geschichte der Menschen (»wir selbst sind die Neandertaler«) auf rund 150000 Jahre angesetzt, so nehmen sich die 2000 Jahre der sogenannten »Hochreligion Christentum« bescheiden aus. Sie sind nur in Promillewerten auszudrücken. Und wie heruntergekommen ist doch die »Hochreligion« bereits nach zwanzig Jahrhunderten »gedeihlicher Wirksamkeit für das Menschengeschlecht«! Dass selbst diese 2000 Jahre voll von Mord und Totschlag, Lug und Trug waren, sollte die Verfechter des Religiösen noch bescheidener machen. Nichts außer ihrer Arroganz und Menschenverachtung spricht für ihre Position. Die beste aller Religionen das Christentum? Dessen eigene Geschichte blutig dagegen zeugt? Wo die allen Menschen zugelegte »Naturanlage«, das »Urbedürfnis nach Religion«, doch nicht zu finden war, musste ein wenig nachgeholfen und die menschliche Natur nachgebessert, musste die Anlage in den meisten Fällen offensichtlich erst »aktiviert« werden. Bei den Germanen etwa oder den Millionen von Indios, die das christliche Schwert traf, bis sie sich der »Hochreligion« ergaben. Ganz so unbedarft von einer »religiösen Uranlage« des Menschen zu sprechen wie gewohnt ist reiner Hohn. Dasselbe gilt für die Behauptung, diese »Uranlage« sei in den sogenannten Hochreligionen, im Christentum zumal, besonders in der römisch-katholischen Spielart, voll und ganz »erfüllt«. Dagegen sprechen schon die Schreie eines einzigen Indiokindes, das die Frohbotschafter an der Brust seiner Mutter erstachen. Nur sehr wenige Menschen hatten während der zwei Jahrtausende Kriminalgeschichte des Christentums die Chance, ihrer »Uranlage« froh zu werden. Die weitaus meisten sind blutig missioniert oder zwangsgetauft worden. Die letztere Übung findet sich noch heute an allen Orten, an denen die Geographie zufällig »Christentum« statt Buddhismus oder Hinduismus anzeigt.
Wozu machen Menschen anderen Menschen Angst – und Hoffnung?
Als die Menschen sich durch das Bewusstsein ihres Todes vom Tier unterschieden glaubten, machte sie dies fast automatisch zu Denkern, die »über den Tod hinaus« schauten. Und mit diesem Schauen kamen allmählich Fragen auf nach der eigenen Existenz (»Seele«), nach einer den Tod überdauernden Lebensform (»Unsterblichkeit«) und nach einer Instanz, die beides garantieren sollte (»Gott«).
Diese Fragen fanden im Verlauf der Jahrtausende verschiedene Antworten. Die Welt der Fragenden war von Geistern und Stammesgöttern bevölkert, die schließlich die Vorstellung einer »einzigen ausschließlich wahren Gottheit« ablöste. Generationen von Interessierten malten mit an diesem Bild, das gegenwärtig als perfekt gestaltet gilt. Zumeist zeigten diese Gottesbildner den ausgeprägten Willen, den denkerisch weniger Begabten nicht nur die richtigen Antworten auf vorformulierte Fragen zu liefern, sondern sich die Hoffnung auf Erlösung auch honorieren zu lassen. Den wahren Gott gab es nicht umsonst; Billigkeit ließ das Objekt, das da gehandelt wurde, nicht zu. Die Angst vor dem Verlust der eigenen Existenz – und vor einem Verlust auf Dauer – war indes nicht ganz so allgemein, wie mancher Religionsphilosoph das gern sähe. Vielleicht hat man sie zu wesentlichen Teilen erst herbeigeredet. Die berüchtigte »Sinnfrage«, mit deren »richtiger« Beantwortung sich noch heute Geld verdienen lässt wie mit wenig anderem, ist vielen gar nicht so wichtig, wie Klerikerkreise meinen. Doch wird die Angst um die Natur des Menschen wie die um die »Übernatur« durch Jahrtausende von Priestern jeglicher Provenienz gepredigt, ist es verständlich, wenn viele den Angstrednern auch die Arznei abkaufen, die diese anbieten: ihre Moral und ihre Glaubenssätze, deren Befolgung Hoffnung auf das Jenseits macht.
Es genügt, an die gewaltigen Bauleistungen der Christenheit zu denken, um Angst und Hoffnung in einem besser zu verstehen: Pflicht und Lust des Abendlandes, Kathedralen hochzuziehen, entsprangen zu gleichen Teilen der Höllenangst und der Himmelshoffnung. Auch Papst Nikolaus V. hatte nicht unrecht, als er 1455 die Kardinäle mahnte, die Erneuerung Roms weiterzuführen: »Um in den Hirnen der ungebildeten Masse dauerhafte Überzeugungen zu schaffen, muss etwas vorhanden sein, was das Auge anspricht. Ein Glaube, der sich allein auf Doktrinen stützt, kann immer nur schwach und wankend sein. Wenn aber die Autorität des Heiligen Stuhls sichtbar wird in majestätischen Gebäuden ... die von Gott geschaffen scheinen, wird der Glaube wachsen ...«
Weitere Kulturleistungen des Christentums wie die Kreuzzüge und die »Ketzer«-Verfolgungen ließen diesen Glauben gewiss erstarken. In solchen Hochleistungen wird die Hochreligion unserer Breiten greifbar. Ist in parteipolitischen Diskussionen die Rede vom Abendland und dem »ideellen Mehr« des Christentums, dann gründen sich diese Hinweise wahrscheinlich auf solche und ähnliche Kulturtaten. Der abendländische Mensch und das Tier beispielsweise: Wie hoch steht denn dieser Mensch über dem Rest der »Schöpfung«, wenn er für grauenhafte äonenlange Massenmorde an Tieren verantwortlich ist? Wie hoch steht der »Schöpfer« selbst über seiner Schöpfung, wenn er zulässt, dass Millionen Tiere ermordet werden – um der »Krone der Schöpfung« willen? Zahlen aus deutschen Laboratorien: Allein 1990 sind über 2,5 Millionen Versuchstiere »benutzt«, also gegen ihre natürliche Bestimmung verwandt oder getötet worden. 1971 wurden in US-Laboratorien 15 Millionen Frösche, 45 Millionen Ratten und Mäuse, 850000 Menschenaffen, 46000 Schweine, 190000 Schildkröten, 200000 Katzen, 500000 Hunde und 700000 Kaninchen »verwendet«. Zeugt nicht die Todesangst in den Augen eines einzigen Versuchskaninchens entschieden gegen den abendländischen Menschen und seinen »Schöpfer«? Macht euch die Erde untertan, ihr gläubigen Mörder? Wie lange denn noch? Wer gibt den Kirchengebundenen das Recht, den Kirchenfreien Raub und Mord zu unterstellen und sie als »unentwickelte Menschen« zu diffamieren? Wer darf sich, ohne schamrot zu werden, darauf berufen, »allein der Gottglaube« gewährleiste, dass Mord und Totschlag nicht überhandnähmen? Predigt und Praxis der Gläubigen, wie sie die bisher erlittenen 2000 Jahre Geschichte des Christentums geprägt haben, lehren das Gegenteil.
Ewige Lügen, die es gibt, setzen noch keine ewige Wahrheit voraus. Die »Sinnfrage« selbst löst kein einziges der historischen Probleme. Sie ist nur für solche Menschen sinnvoll, die beruflich davon profitieren. Für sie muss alles zweckvoll sein. Und nachdem sie erkannt haben, wie gut sich Geld mit der zeitgemäß richtigen Antwort auf eine unzeitgemäß gestellte Frage machen lässt, kommen sie nicht mehr von ihrem eigenen Sinn los. Ob sich dem Denken selbst je eine Sinnfrage stellt, bleibt zweifelhaft. Das Sein braucht überhaupt keinen Sinn zu haben. Der Mensch kann und soll sich seinen Sinn selber geben. Glaube, der sich als Besitz versteht, will die Wahrheit (und den Sinn) haben – und von daher alle Wirklichkeit beurteilen und objektivieren. Glaube ist dann – nach Erich Fromm – eine Krücke für jene, die Gewissheit wünschen, die einen Sinn im Leben finden wollen, ohne den Mut zu haben, diesen eigenständig zu suchen. Suche nach Sinn? Dass nur sehr wenige Christen fähig und bereit sind, diese humane Aufgabe selbständig mit anzupacken und zu lösen, spricht nicht für sie, sondern für ihre gutchristliche Tradition. Christen haben sich allzu lange daran gewöhnen dürfen, ihre eigenen Pseudoprobleme zu »Fragen der Menschheit« aufzuwerfen und ihre Scheinantworten zu vermitteln. In Zeiten allgemeinen und tiefgehenden Umbruchs wie den gegenwärtigen müssen sie erkennen, dass sie verpfuschte Fundamente gelegt haben – und als Bauleute der Zukunft nicht mehr in Betracht kommen. Das Angst- und Hoffnungsmodell ist überholt. Menschen sind gewiss nicht dazu da, Angstpredigten zu hören. Menschen brauchen auch keine Mitmenschen, die – im Besitz angeblich höheren Wissens als der menschlichen Vernunft – ihren Senf als Hoffnung und Erlösung verkaufen. Schon gar nicht benötigen Menschen andere Menschen, die Bekehrungen mit Feuer und Wasser besorgen. Bittere und gute Erfahrungen, die Menschen mit anderen machen, werden zu neuen Bestimmungen ihres Verhältnisses zur Umwelt und zu sich selbst. Was ist Wahrheit? Keine Autorität der Welt kann es verbindlich sagen oder unfehlbar auferlegen. Keine Autorität darf die Prüfung der Voraussetzungen von Erkenntnis hindern oder abblocken. In Sachen Wahrheit gilt der Grundsatz: »Weil es wahr ist, muss es gesagt werden und wurde es von Menschen gesagt.« Umgekehrt wird ein Irrtum daraus: »Weil es eine Autorität (Jesus, Papst) gesagt hat, ist es wahr.«
Warum fordern »Missionen« immer Opfer?
Zunächst hat jeder Mensch den Gottesglauben, den ihm ein anderer aufgeschwätzt hat. Erst allmählich hat er den, den er verdient. Nietzsches Meinung, fürs Christentum werde kein Mensch geboren, für diese Religion müsse ein Mensch krank genug sein, relativiert sich unter bestimmten historischen Umständen. Nicht alle Christen der Geschichte konnten die entsprechende Krankheit ausbilden; die meisten wurden von dem todbringenden Virus befallen und mussten ihn tragen wie ein Wirtstier, wollten sie nicht gleich von denen umgebracht werden, die ihn freiwillig weiter trugen. Mit Schwert und Feuer fiel die Religion der Liebe über die Menschen her und brachte ihnen bei, was sie zu glauben, zu hoffen, zu lieben hatten – und was nicht. Die Verbreitung des sogenannten Glaubens geschah historisch niemals ohne Zwang: Bibel und Prügel sind eins, und Buchstabe wie Backenstreich des »Glaubens« machen den Menschen weich, ducken ihn, erobern derart eine Welt. Sind Menschen dazu da? Bleiben sie freiwillig in ihren Kirchen?
Dass eine Religion, die damit prahlt, die wahre Hochreligion zu sein, so viele andere Kulturen buchstäblich niedergemacht hat, muss den Menschen guten Willens zu denken geben. Wenn das Christentum nur auf der Asche seiner Gegner Frucht trägt, ist es inhuman. Eine Mörderideologie, eine Anleitung zum Verbrechen. Kaum auf der Welt, hat es bereits die Gegner beschimpft, verleumdet, angegriffen. Die frühesten Briefe des Neuen Testaments und die darauffolgenden Evangelien sind Meisterstücke vor allem in einer Hinsicht: Sie verherrlichen ihre eigenen »Wahrheiten« und machen, vor diesem goldenen Hintergrund, die Andersdenkenden nieder, heißen diese nun »Pharisäer und Schriftgelehrte«, Juden, Römer oder »Ketzer«.
Dass es sich um einen gewaltsam missionierenden neuen Glauben handelt, wird spätestens zu dem Zeitpunkt klar, da die Christen in Staat und Gesellschaft bestimmen. Ein Beispiel für die Wut der neuen Religion gegen die alte: Der heilige Kirchenlehrer Kyrill, ein großer Marienverehrer, der das Dogma von der Gottesmutterschaft mit riesigen Bestechungssummen durchsetzt, lässt im Jahr 415 die in der ganzen damaligen Welt bekannte und gefeierte Philosophin Hypatia überfallen, in eine Kirche schleppen, entkleiden und mit Glasscherben buchstäblich zerfetzen. Als sie noch eine verschwindende Minderheit waren, haben die Christen sich zurückgehalten und lediglich in ihren heiligen Büchern gegen ihresgleichen polemisiert. Kaum fühlen sie sich jedoch stärker, gehen sie entschiedener vor und diffamieren die tradierte Kultur, die Philosophie, die alte Religion. Denn sie haben etwas Besseres, und sie setzen dies Bessere, die Liebesreligion, mit Feuer und Schwert gegen die zurückgebliebenen »Heiden« durch. Die frühe Märtyrer- und Verfolgtenideologie der Kirche ist wie weggeblasen, als die Herrenchristen selbst Märtyrer und Verfolgte schaffen können. Sie berauben, demolieren, vernichten die Tempel. Sie errichten das Kreuz über Leichen und Ruinen. Sie kassieren den Besitz der Verfolgten. Sie bereichern sich ganz offiziell am Erbe der hingerichteten »Ungläubigen«. Aufgeputschte Massen, die den neuen Predigern nachlaufen, massakrieren die »Heiden«. Mönche stürmen Häuser und Kultstätten derer, die sich nicht taufen lassen wollen, zerschlagen Götterbilder, zerstören unersetzliche Kunstwerke, veranstalten Spottprozessionen, töten heidnische Religionsdiener, richten das Kreuz Jesu als Siegeszeichen auf.
Im 20. Jahrhundert behauptet der Theologe Daniélou: »Die Kirche hat immer betont, dass sie die religiösen Werte der heidnischen Welt achtet.« In Wirklichkeit hat sich keine kirchliche Stimme von Gewicht gegen die frühen Vernichtungsfeldzüge erhoben. Predigten, die zum Rauben und Morden aufriefen, gibt es dagegen genug. »Nehmet weg, nehmet weg ohne Zagen, allerheiligste Kaiser, den Schmuck der Tempel«, so hetzt um 347 der Theologe Firmicus Maternus, »... alle Weihegeschenke verwendet zu eurem Nutzen und macht sie zu eurem Eigentum. Nach Vernichtung der Tempel seid ihr zu höherem fortgeschritten. Mit Hilfe der Kraft Gottes.« Das alles soll geschehen, »damit kein Teil des verruchten Samens ... keine Spur des heidnischen Geschlechtes bleibe«. Kein Wunder, dass die von Klerikalen angezettelten Pogrome unvergleichlich blutiger und erbarmungsloser sind, als es jemals eine Christenverfolgung zuvor war. Noch 1954 lehrt Papst Pius XII., dass alles, was nicht (seiner) Wahrheit oder Sittennorm entspricht, »kein Recht auf Existenz« verdient.
Papst Leo X. hat 1520 den Satz Luthers als der katholischen (wahren) Lehre widersprechend verdammt: »Es ist gegen den Willen des Heiligen Geistes, dass Ketzer verbrannt werden.« Der Papst setzte Luther eine Frist von sechzig Tagen zum Widerruf. Seither ist viel Zeit vergangen. Inzwischen war Papst Johannes Paul II., Nachfolger jenes Leo, schon zweimal in Deutschland, dem Land Luthers. Obgleich die Päpste über 470 Jahre Zeit zum Widerruf jenes Verdammungsurteils oder wenigstens zum Nachdenken über die Richtigkeit des lutherischen Satzes gehabt haben, ist noch immer nichts geschehen. Der Wojtyla-Papst will offensichtlich dem Beispiel Luthers nicht folgen und die Bulle des Leo verbrennen. Offenbar setzt er auf andere Mittel.
Die Ausrottung des Irrtums durch die sogenannte Wahrheit hat Methode. Die Vernichtung der Irrenden ist ebenso konsequent wie die Zwangsbekehrung zur christlichen »Wahrheit«. Nach militärischen Siegen der Christen schickt der Papst Glückwünsche, wurde doch einmal mehr »das Gottesreich ausgebreitet«. Die große Treibjagd auf die Goten endet im 6. Jahrhundert mit Christenjubel, mit Gottesdiensten – und Hinrichtungen. Der zwanzigjährige Gotenkrieg hat Italien in eine rauchende Ruine verwandelt und dem Land schlimmere Wunden zugefügt als der Dreißigjährige Krieg Deutschland. Rom, die blühende Millionenstadt von früher, fünfmal erobert, fünfmal verheert, zählte nur noch 40000 Einwohner, der römische Bischof aber war unter den Kriegsgewinnlern der erste. Mit den irrgläubigen Goten wurde zugleich die »Ketzerei« ausgerottet, und Geld und Gut gab es für den Bischofssitz noch obendrein.
Dieses Beispiel wird in der Kirchengeschichte viele nach sich ziehen. Immer wieder ist blutig missioniert, überzeugt, bekehrt worden. Angefangen von der Ausrottung der Samaritaner über die Bekehrung der Friesen im 7. und 8. Jahrhundert über die Christianisierung der Sachsen unter Karl »dem Großen«, den Wendenkreuzzug (1147), den Albigenserkrieg im 13. Jahrhundert bis hin zur »Katholisierung« der Weißrussen und Ukrainer in Polen zwischen den beiden letzten Weltkriegen und zu den grauenhaften Kroatengräueln der Jahre von 1941 bis 1943: Immer wieder ist die Wahrheit auf fürchterliche Weise gegen den sogenannten Irrtum durchgesetzt worden, um Menschen zu »bekehren«. Immer wieder sollten sich die Zahl der Katholiken – und das Geld mehren, das eben die größere Zahl zeitigte und zeitigt.
Das neueste Beispiel: Wie die Missionierung Russlands, ist die Katholisierung des Balkans ein altes Ziel des Vatikans. Er suchte es politisch und militärisch immer dringender zu erreichen; erst mit dem Beistand des Hauses Habsburg, dann mit Hilfe des Preußenkaisers, zuletzt mit der Mussolinis und Hitlers. So entstand 1941 ein »unabhängiger Staat Kroatien« und wurde von Papst Pius XII. abgesegnet. Die »besten Wünsche für die weitere Arbeit« hatte der Papst dem neuen Diktator Pavelič auf seinen Weg mitgegeben, und diese Glückwünsche fruchteten augenblicklich: Die Katholisierung des Landes begann, orthodoxe Kirchen wurden hundertweise dem römischen Glauben eingemeindet, wurden zu Warenhäusern, Schlachthäusern, Ställen, öffentlichen Toiletten gemacht oder zerstört. Noch im April 1941 hat man die einheimischen (orthodoxen) Serben auf eine Stufe mit den Juden gestellt; Juden wie Orthodoxen wurde das Betreten der Gehsteige untersagt. In öffentlichen Verkehrsmitteln hingen Schilder: »Betreten für Serben, Juden, Nomaden und Hunde verboten«!
Orthodoxe Bischöfe wurden ermordet, ebenso 300 Priester, während der katholische Erzbischof von Sarajewo die neuesten Methoden des »Kroatenführers« als »Dienst der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Ehre« pries. Was zwischen 1941 und 1943 im »unabhängigen Kroatien« an Propaganda für den Katholizismus geschah, steht hinter den Inquisitionsgräueln nicht zurück. Überall rief der römisch-katholische Klerus zur Konversion auf, überall drohte er, Unbekehrte zu bestrafen. Schon innerhalb der ersten sechs Wochen des katholischen Regimes wurden 180000 Serben und Juden massakriert. Im Lauf des nächsten Monats kamen 100000 Tote hinzu, darunter viele Frauen und Kinder. Massenexekutionen waren üblich, grässliche Folterungen, vergleichbar mit denen in deutschen KZs, wurden zur Regel. Pius XII. aber, der sonst zu allem und jedem, gefragt oder ungefragt, sprach, verlor kein Sterbenswörtchen zu diesen Gräueln seiner »getreuen Söhne«. Vielmehr gab der Papst Audienzen, versicherte die Kroaten seiner »hohen Befriedigung«, seiner »väterlichen Empfindungen« und feierte den obersten Mörder Pavelič als »praktizierenden Katholiken«.
Von zwei Millionen Serben wurden damals 240000 gewaltsam zum römischen Katholizismus bekehrt – und etwa 750000, oft nach sadistischsten Torturen, ermordet. Kein »Heiliger Vater« hat sie bis heute beklagt. Lamentiert hat Pius XII. erst 1945, als »Morde an Bürgern ohne Prozess oder aus privater Rache« geschahen, als sich die Kommunisten Jugoslawiens an den Katholiken rächten. So ist dieser Papst, dessen Seligsprechungsprozess ansteht, wahrscheinlich mehr belastet als jeder seiner Vorgänger seit Jahrhunderten, bietet er der Welt ein fast unvergleichliches Exempel verbrecherischer Unmoral.
Schließlich war das Treiben der Klerofaschisten sogar den faschistischen Italienern zuviel. Italien griff ein und rettete rund 600000 Menschen aus den Fängen der Katholiken. Was italienische und deutsche Soldaten selbst gesehen haben, spottet jeder Beschreibung: einen Kroaten mit einer Halskette aus menschlichen Zungen und Augen. Auf dem Schreibtisch des kroatischen »Führers« einen »Geschenk«-Korb: »vierzig Pfund Menschenaugen«, wie Pavelič renommiert haben soll, ein Mann, der sich eine eigene Hauskapelle und einen eigenen Beichtvater hielt, der nach dem Zusammenbruch seines Kroatiens, des »Reiches Gottes und Mariens«, mit Zentnern geraubten Goldes, als Priester verkleidet, geflohen ist – vom Papst noch 1959 auf dem Totenbett gesegnet.
Religion als Uranlage? Mission als Zwangstaufe? Mord und Totschlag als Mittel der Mission? Nichts Neues unter der Sonne. Dennoch ist zu hoffen, dass sich diese religiöse Tradition nicht fortsetzt, dass mehr und mehr Menschen aufstehen und den Religionsmördern die Tatideologien und Tatwerkzeuge aus den Köpfen und den Händen nehmen. Das bisherige Konfliktmodell, welches von einer – unter allen Umständen, auch höchst mörderischen, gegen den Irrtum und die Irrenden zu verteidigenden – Wahrheit ausging, ist überholt. Es hat denen, die es vehement vertraten, gewaltige Profite eingetragen, aber keine Konflikte gelöst, vielmehr immer neue Konflikte bewirkt. Indem es davon ausging, unter den Guten müssten, wie in einer Festung, Einigkeit und Harmonie herrschen, damit die Soldaten der Wahrheit »schlagkräftig« gegen die da draußen blieben, hat dieses Denk- und Handlungsmodell bis heute Krieg nach innen und Krieg nach außen getragen.
Weshalb werden noch immer Säuglinge getauft?
Zwangsbekehrungen von Menschen erfolgen nicht immer mit Hilfe von Blut. In den meisten Fällen tut es auch Wasser. Freilich darf es nicht irgendein Wässerchen sein. In dieser Frage sind die Hirten heikel. Sie zeigen viel mehr Skrupel, wenn es um die »richtige Materie« der Taufe als um Schwert-Missionen geht. Dann plustern sie sich auf, gewichten sie Gewichtloses. Eine mit kirchlicher Druckerlaubnis immer wieder aufgelegte, als klassisches Standardwerk geltende »Moraltheologie« lehrt: »... gültige Materie ist wahres, natürliches Wasser. Darunter ist aber jedes einfache, elementare Wasser zu verstehen, sei es Meer-, Fluss-, Quell-, Brunnen-, Zistern-, Sumpf-, Regenwasser, Wasser aus Eis, Schnee und Hagel aufgelöst, Mineral-, Schwefelwasser, Wasser aus Tau, aus Dämpfen gesammelt. Wasser, wie es sich zur Regenzeit an den Wänden niederschlägt und niederläuft, Wasser, das mit etwas anderem gemischt ist, wenn nur das Wasser vorherrscht, überhaupt was immer für Wasser, wenn es noch überhaupt wirkliches Wasser ist, auch destilliertes Wasser, soweit es durch die Destillation bloß von fremden Bestandteilen gereinigt ist. Dagegen sind ungültige Materie alle organischen Sekrete, wie Milch, Blut, Speichel, Tränen, Schweiß, der aus Blumen und Kräutern ausgepresste Saft, ebenso Wein, überhaupt alle Flüssigkeiten, welche nach dem gemeinsamen Urteil der Menschen vom Wasser verschieden sind, so auch Bier, Tinte.«
Der Wassertaufe unterliegt nur ein »Mensch«. Moraltheologen zerbrechen sich daher die Köpfe, wann ein Fötus Mensch ist. Bei einem »ausgestoßenen Fötus, welcher noch von der Netzhaut umschlossen ist, muss diese sorgfältig zerrissen, das ganze Gebilde in warmem Wasser untergetaucht und emporgehoben werden, während man die Taufformel spricht«. Und »nur wenn eine vollständig degenerierte Fleischmasse oder Ähnliches aus dem Mutterschoße austritt, ist kein Mensch vorhanden, also auch die Taufe nicht zu spenden. Doch sind solche Massen zu untersuchen, weil sie manchmal einen belebten Keim enthalten.« Eine Missgeburt, nur aus Bauch und Beinen bestehend, zählt wohl nicht als menschliches Individuum, doch kann auch sie – man weiß ja nie – »bedingt getauft« werden. Derjenige Papst, der sich am häufigsten und eindringlichsten zu diesen Themen geäußert und die Hebammen der Welt entsprechend angewiesen hat, war, wie könnte es anders sein, der große »Schweiger« Pius XII.
Jesus aus Nazareth, auf den solche Theologen sich berufen, hat die Taufe weder gepredigt, noch hat er selbst getauft. Allerdings hat er auch nicht in einem einzigen Fall blutig bekehrt. Erst die Zwangsreligion unserer Regionen hat das eine wie das andere praktiziert, hat Millionen Menschen gemordet – und tauft noch heute Millionen, um den eigenen Nachwuchs zu sichern sowie ihr ideologisches und finanzielles Überleben. Dass die Zwangsgetauften unmündige Kinder sind, die sich gegen ihr »Glück« nicht wehren können, nimmt unter diesen Bedingungen so wenig wunder wie die Tatsache, dass noch immer sogenannte metaphysische oder psychologische Gründe gesucht werden, um die Praxis und die hinter ihr stehende Ideologie des Geldes und der großen Zahl zu stützen. Doch kommen alle Gründe nicht gegen das Menschenrecht des Kindes an.
Dass die Zwangstaufe in der Bundesrepublik Deutschland einen Verstoß gegen das Grundrecht des Kindes auf Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) darstellt und sich dennoch niemand darum schert, verwundert freilich nicht. Im Zweifelsfall zieht man Klerikalprivilegien gewohnheitsmäßig den allgemeinen Grundrechten vor. Säuglinge, die eigenes Vermögen besitzen (durch Erbschaft), werden in der Bundesrepublik mit ihrer Taufe kirchensteuerpflichtig und müssen die Kirche mitbezahlen. Das Neue Testament aber kennt überhaupt keine Kindertaufe. Und in den folgenden Jahrhunderten schoben die besten Christen die Taufe möglichst weit hinaus, da der Klerus lehrte, durch sie würden alle Sünden eines Lebens getilgt. Säuglinge freilich hatten nichts zu tilgen, Greise schon. Das heilige Wunderbad sollte verrucht leben und versöhnt sterben lassen.
Weshalb ist die »große Zahl« der Christen falsch?
Sehr wenige Menschen hätten einen Gott, hätte die Kirche ihnen keinen gegeben. Bei Diskussionen, die den bevorzugten Status der Großkirchen in der Bundesrepublik begründen helfen sollen, wird gern das Argument der »großen Zahl« angeführt. Deutschland weist 28 Millionen evangelische, 27 Millionen katholische Christen auf; bei insgesamt 78 Millionen Bürgerinnen und Bürgern eine satte Zweidrittelmehrheit. In der Tat beeindrucken die Angaben über die Zahlmitglieder der beiden Kirchen fürs erste. Doch dieser Eindruck mindert sich gewaltig, wird zum einen bedacht, dass gut 90 Prozent der nominellen Zahlmitglieder wenig engagierte Christen und – im katholischen Raum – die gewöhnlichen »Laien« ohnedies zum Schweigen verpflichtet sind, geht es um wichtige Entscheidungen ihrer Kirche. Beide Wirklichkeiten relativieren die »große Zahl« erheblich. Beide Wirklichkeiten werden im politischen Leben der Republik noch viel zuwenig ernst genommen. Hinzu kommt, dass die Zahl derer, die ihre Kirchen verlassen (»Konfessionslose«), nicht nur von Jahr zu Jahr mächtig ansteigt, sondern bereits eine zweistellige Millionenhöhe erreicht hat. Kirchenfreie besitzen zumindest eine Sperrminorität. Ihre Aussichten, früher oder später in der Mehrheit zu sein, sind gut. In Berlin übertrifft die Zahl der Kirchenfreien mit 47 Prozent bereits die Zahl der Katholiken (9 Prozent) und Protestanten (37 Prozent).
Das Desinteresse vieler Demokraten an diesen Fakten, wie es in anderen, aufgeklärteren Ländern undenkbar ist, fördert freilich die Argumentation der bundesdeutschen Himmelslobby. Diese spiegelt eine Position klerikaler Stärke vor, für deren Weiterleben – wenn die Fakten ausgewertet werden – keinerlei Grund besteht. Schon vor dreißig Jahren schrieb Corrado Pallenberg, ein profunder Kenner des Vatikan: »Man darf es für schlechthin undenkbar halten, dass die Regierungen von Großbritannien, Frankreich, Italien und den USA, ja selbst die ultrakatholischen Spanier es wagen würden, ihren Bürgern solch schwere Steuerlasten ›um des Glaubens willen‹ aufzubürden. Die Deutschen ertragen es, weil sie sich daran gewöhnt haben.« Und weil sie eines der fleißigsten, doch auch politisch dümmsten Völker sind. Nichts aber ist schlimmer als diese Mischung aus Energie und Hörigkeit – die beiden Weltkriege beweisen es. Im Übrigen haben sich mittlerweile Italien und Spanien von den mit Mussolini und Franco geschlossenen Konkordaten befreit. In der Bundesrepublik dagegen gilt das Hitler-Konkordat von 1933, das unter anderem die Kirchensteuer garantiert, noch immer. Für die Jahrtausendwende kündigt sich in Deutschland eine groteske Situation an: Die kirchenfreie Bevölkerungsmehrheit lebt in einem von den Großkirchen dominierten Staat.
Sind die Deutschen besonders fromm? Oder brauchen sie einen speziellen Kirchenservice, um Mensch sein zu können? Benötigen sie nach wie vor zum Überleben eines der vielen Christentümer? Gar einen besonders lieben Gott? Der CSU-Politiker Wolfgang Bötsch drängt in diese Richtung, wenn er vom Bundespräsidenten ein »hilfreiches und klärendes Wort« gegen den in den neuen Bundesländern ererbten »aggressiven Atheismus« verlangt und sich »als Christ daran interessiert« zeigt, dass im mitteldeutschen »Missionsland« die »Rückbesinnung auf den christlichen Glauben gefördert« werde. Die Oberhirten hören’s mit Freude. Im vereinten Deutschland, so der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Karl Lehmann, will die römische Kirche »viel entschiedener als bisher alle Kraft ihrem missionarischen Auftrag« zuwenden.
WESHALB STREITEN SICH SO VIELE CHRISTENTÜMER?
Die Hauptreligion der gemäßigten Zonen, das Christentum, hat sich nicht wenige Privilegien gesichert, die aus der allgemeinen Anerkennung einer Tatsache folgen sollen, die höchst zweifelhaft ist. Das Christentum will nicht nur finanziell gefördert sein, sondern auch den besonderen Schutz des Staates genießen: weil es (für seine Gläubigen) die einzige Wahrheit darstellt und weil es (diesmal sollen es auch die weniger Frommen glauben) Kulturleistungen erster Ordnung erbracht hat und noch immer erbringt. Beide Begründungen sind nicht zu halten. Zum einen ist die Chose mit der »einzigen Wahrheit« nicht mehr allen Gläubigen so geheuer, wie es Rom oder Wittenberg gern hätte. Inzwischen finden sich so viele Christentümer mitten unter uns, dass es nicht nur dem Unbedarften schwerer fällt denn je, das Richtigste von dem weniger Richtigen zu unterscheiden. Zum anderen wird die Frage nach den besonderen Kulturleistungen der Christen unter uns längst nicht mehr so allgemein und so gleichlautend beantwortet, wie es der harte Kern der Christenleute tut.
Müssen geschichtliche Fakten als Beleidigung des Christentums verstanden werden?
Waren es die Dümmsten denn, die protestierten, sich mokierten, erbrachen fast vor Ekel, Zorn? Der Katholizismus sei »eine Lüge«, »die Religion der unanständigen Leute« und der Papst »der beste Schauspieler« Roms, steht da geschrieben. »Der Katholizismus verteidigte stets den Diebstahl, den Raub, die Gewalttat und den Mord«, heißt es anderswo; »in der Regel« werde »jeder katholische Priester zu einem Scheusal«, und »jeder anständige Mensch« müsse es »als eine Beleidigung ansehen ... katholisch genannt zu werden«, schreibt man an anderer Stelle. Dem Christentum wird attestiert, es habe »siebzehn Jahrhunderte Schurkereien und Schwachsinnigkeiten« auf sich geladen, es sei ein »Wahn«, der »die ganze Welt bestach«, ein »unsterblicher Schandfleck«, das »Blatterngift der Menschheit«. Die dies und anderes mehr erklärten, waren keine kleinen Köpfe abendländischer Kultur, keine so geringen Geister, wie die Christen es gern hätten. Es waren Menschen mit großen Namen: Pierre Bayle, Voltaire, Helvétius, Goethe, Schiller, Heine, Hebbel, Nietzsche, Freud. Leute ohne Einfluss, mögen Kleriker sagen, Randerscheinungen der menschlichen Kultur. Aber desavouieren solche Richter sich nicht selbst? Dürfen sich Vertreter einer Kirche, die gegenwärtig nicht mehr den geringsten Schritt nach vorn machen kann, die kulturell bedeutungslos wurde, der in den letzten Jahren selbst die letzten braven Schriftsteller abhanden gekommen sind, als Repräsentanten einer abendländischen Kultur aufspielen? Durften sie es je? Kam ihnen je eine wesentliche Rolle im Geistesleben zu – oder nur die Hauptrolle in der Tragödie der eigenen »Wahrheit«?
Bei Gott, spricht es für Gott, dass er all die dummen Köpfe braucht, die ihn predigen? Das Christentum ist immer die Religion der Kleinen gewesen, nicht der sogenannten einfachen Leute. Denn die hat es ganz selten erreicht. Die hat es getauft und gemordet, über deren wahres Leben, deren alte Volksgötter hat es seinen Firnis gelegt. Eine Religion dieser kleinen Leute war die »Hochreligion« der Kleriker nicht. Sie war eine Ideologie der kleinen Geister, deren ausgeprägte Machtgier es nicht ertragen konnte, den Großen nur dienen zu dürfen. Also mussten diese nieder in den Staub, und der Kleinchrist konnte über sie herrschen. Seither sind die Anschauungen der Andersdenkenden, mochten diese geistig so groß sein, wie sie wollten, »Seuche«, »Krankheit«, »von Gottlosigkeit strotzende Possen«, »wildes Heulen und Gekläff«, »Erbrechen und Auswurf«, »stinkender Unrat«, »Kot«, »Jauchegrube«. Seither sind Nichtchristen – oder Angehörige einer anderen christlichen Denomination als der eigenen – »Verseuchte«, »Invaliden«, »Vorläufer des Antichrist«, »Tiere in Menschengestalt«, »Söhne des Teufels«. Alle diese Kulturwörter stammen aus dem Mund von Bischöfen und Päpsten, alle sind sie gegen »Ketzer« gerichtet, gegen »schlimme Bestien« also, »Schlachtvieh für die Hölle«.
Was wäre los im Land, schimpfte ein Großer heute den Papst ein »Tier«, einen »Drachen und Höllendrachen«, »Bestie der Erde«? Fände Johannes Paul II. sich plötzlich als »Fastnachtslarve« charakterisiert, als »Rattenkönig«, »erzpestilenzialisches Ungetüm«? Schriee ihm einer ins Gesicht, er sei ein »stinkender Madensack«, »besessen vom Teufel«, »des Teufels Bischof und der Teufel selbst, ja der Dreck, den der Teufel in die Kirche geschissen«? Dann wären ein ausländisches Staatsoberhaupt und alle wahren Christen beleidigt, wäre der »öffentliche Friede« gestört, dann hätte der Staatsanwalt Ermittlungen nach § 166 StGB eingeleitet, dann hätten ihn die christliche Kirche und der weltanschaulich neutrale Staat zu fassen bekommen, hätten ihn verurteilt, den Doktor Martin Luther, diesen Christenführer, der solches wider einen anderen Christenführer geschleudert, inzwischen aber in deutschen Landen als salonfähig gilt. Warum wohl? Weil sich selbst die wahrste aller Kirchen damit hat abfinden müssen, dass die Wahrheit, die sie gelehrt, nicht die einzige geblieben ist, sondern nur noch eine unter vielen. Tempi passati? Vergangene Epochen einer unfriedlichen Geschichte? Abgelegt unter der Rubrik »Geistesmord«? So hätten die Nachfolger es gern. Deshalb wollen sie das Geschehene, Erledigte nicht mehr behandeln lassen. Deshalb rufen sie: Haltet den Dieb!, wagt jemand, die Akten zu öffnen, die Dokumente einzusehen. Deshalb weisen sie nicht sich selbst und ihren Vorgängern die Schuld zu, sondern denen, die diese Schuld offenbaren. Wer Erfahrung hat mit Klerikern, weiß: Die Kritiker sind stets schuld, die kritisierten Zustände werden hingenommen. Wer offenlegt und dies nicht nur am Rand des Teppichs, unter den gekehrt worden ist, verbricht einen »Rundumschlag«. Dass gerade die Kirchengeschichte Rundumschläge von ganz anderen – und blutigsten – Ausmaßen kennt, ist Klerikern noch immer keinen Hinweis wert. Dass ihre Literatur nichts anderes als Rundumschläge verteilt, darf nicht festgestellt werden: Müssen aber Menschen sich von Klerikalen mit Hymnen auf die Kirche eindecken, müssen sie sich Rundumschläge von angeblich Guten bieten lassen?
Trägt dieses Buch alte Argumente vor? Bleibt es vordergründig, weil ihm der Zugang zum »Wesen der Kirche« fehlt? Ja, vordergründig, so schreit jeder Pfaffe, deckt man seine Hintergründe, seinen Schwachsinn auf. Und immer wollen jene, die wenig wissen, wenig wissen dürfen, religiöse Klatschbasen, Stammtischbrüder, engstirnige Bigotte, aufgeblähte Narren, am meisten wissen; können jene, denen klerikale Traktätchen genügen, mit denen, die ein Leben lang geforscht haben, ins Gericht gehen: Das Objekt lässt es offenbar zu. Religion kann jeder vertreten, über Gott kann er mitreden, schon eine kleine naturwissenschaftliche Frage aber überfordert den »Laien«. Nicht dieser »Anti-Katechismus« ist ein Pamphlet, nicht er