Fridolin Jakober

Rechpergers Höhenflüge

Drei episodische Erzählungen

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

Rechpergers Höhenflüge

Die Leichen in meinem Keller

Wandernde Knochen

Impressum neobooks

Rechpergers Höhenflüge








Episodische Erzählung


Rechpergers Höhenflüge


Auf dem letzten seiner Höhenflüge verschwand Rechperger. Ich bin nicht schwul, sagte er zu sich selbst, während er mit dem Gleitschirm auf dem Rücken den Säntis erklomm. Ich bin nicht schwul, nicht wirklich. Nur so ein bisschen. Natürlich hatte er Männer gerne, seinen Vater, seinen Grossvater und auch den Onkel Hans. Seinen Schulfreund Anton und den Studienkollegen Ralf. Das bedeutete noch lange nicht, dass er, Ivan Rechperger, Maschineningenieur und Hobbygleitschirmpilot, schwul war. Und er nahm die nächste Wächte in Angriff.

Mona lag im Bett. Er hatte sich aus ihrer Umarmung gelöst und war mit dem Golf aus Zürich hierher gebrettert. Dass es zwischen ihm und ihr nicht mehr ging, dass er ihn nicht hochkriegte, obwohl er spitz auf sie war, konnte andere Gründe haben. Er hatte wenig geschlafen in letzter Zeit, die Dampfturbine in St. Gallen, das Abgaswerk in Barcelona, und Pasadena, immer wieder Pasadena. Weswegen verlangte sie von ihm Sex? Jedesmal, wenn er heimkehrte, holte sie ihn am Flughafen ab. Und wenn sie ihn am Flughafen abholte, bedeutete das: Sex. Rechperger hätte viel lieber einen schönen langen Spaziergang mit ihr gemacht, selbst getanzt hätte er zur Not oder die Oper besucht, aber sie wollte auf die Matte. Nimm dir doch einen zweiten, besseren, nimm dir einen, der’s dir dreimal nacheinander besorgen kann, bitte, Mona, ich liebe dich, aber ich mag keinen Sex haben mit dir. Hundertmal hatte Rechperger diese Ansprache geübt, vor dem Spiegel, im Gateway, aber Mona lag zu Hause auf dem Futon und dachte, die Welt sei in Ordnung und Rechperger nur eben mal Zigaretten holen.

Am meisten liebte Rechperger die gemeinsamen Höhenwanderungen mit dem Zelt durch die Schweizer Alpen, die Cottischen Alpen, die Monti Liguri. Dann nämlich hing Mona abends die Zunge am Boden, und sie war froh, in den Schlafsack kriechen zu können. Rechperger sass in solchen Nächten neben Mona beim offenen Zelteingang, horchte auf ihr leises Schnarchen und schaute den Vögeln zu, die hier und dort aufgescheucht wurden und über den Nachthimmel flatterten. Warum konnte es nicht immer so sein zwischen ihnen? Rechperger wollte nichts mehr vom Leben, als neben Mona wachliegen und sie beschützen.

Seit genau drei Jahren waren sie jetzt ein Paar. Rechperger erinnerte sich an den kalten Morgen Ende November, als Mona ihm eröffnet hatte, sie wolle ihn heiraten. Rechperger war unmerklich zusammengezuckt und hatte genickt. Noch am selben Mittag war er nach Bilbao geflogen, weil eine Turbine streikte. Es war eine, deren Schaufeln auf links drehten, und man hatte auf dem Schrotthaufen suchen müssen, bis man Ersatzlager fand. Bis kurz vor Weihnachten blieben sie damals getrennt, und während dieser Zeit hatte Mona das Aufgebot bestellt, was bedeutete, dass ihre Heirat beschlossene Sache war.

Inzwischen fror Rechperger sich die Finger ab. Er hatte eigentlich mit der ersten Bahn hochfahren wollen, aber dann war ihm im Golf die Heizung ausgestiegen, und er hatte sich gesagt: Kannst ja auch gleich losgehen und erfrieren. Das soll auch nicht schmerzvoller sein, als sich auf tausend Meter oben auszuklinken. Schnee oder nicht Schnee, was machte das jetzt noch für einen Unterschied? Rechperger kullerten die Tränen über die Wangen, während er im steiler werdenden Gelände an den letzten Gehöften vorbeiging. Hie und da kläffte ihn ein Appenzeller Pläss an, aber dazwischen war eine Ruhe, dass es Rechperger den Atem nahm. Er wusste genau, wie er es tun würde. Es sollte aussehen wie ein Unfall, so, als sei bloss die Tragegurte gerissen.

Er ging eben zum x-ten Mal seinen Plan durch, als er über den Alten stolperte. Ein sicher 80-jähriger Mann lag im Schnee und versuchte vergeblich, wieder auf seine Stöcke zu kommen. Sein Hosenstall stand noch offen, was Rechperger verriet, dass der Alte die Notdurft in den Schnee hatte verrichten wollen. Rechperger half ihm wieder auf die Beine, hielt ihn untergehakt und führte ihn zum heruntergekommenen Wohnhaus. In der Kammer setzte er den Bauern aufs Bett und wollte sich davonmachen. Aber dieser liess ihn nicht gehen, nicht bevor er einen wärmenden Bitter getrunken habe. Und dann musste sich Rechperger die ganze Lebensgeschichte des Alten anhören, von dessen Wichskumpan, der vor ein paar Jahren gestorben sei, und dass sie ganz nackt im Alpseelein gebadet hätten, und überhaupt hier in den Bergen, da sei man gar nicht so verklemmt. Und natürlich sei er verheiratet gewesen, aber die Frau habe er auch verloren, und auch die Schwester, die er geliebt habe, tot, alle tot. Und als der Alte einschlief und Rechperger ihn zudeckte, fand er beim Nachthafen hinter der Kommode die Wichsvorlage des Bauern, ein Hochglanzmagazin mit nackten Männerkörpern. Ihm wurde heiss und kalt, und es hätte nicht viel gefehlt, er hätte seine drei Magenbitter erbrochen. Aber dann nahm sich Rechperger zusammen, legte das Heft wieder zurück an seinen Platz und ging hinaus.

Sterben mochte er jetzt auch nicht mehr, und so ging er weiter und immer weiter, hinein ins Österreichische und nach Slowenien hinunter, wickelte sich nachts in den Schirm, ass auf einsamen Höfen, und weiter, weiter, immer weiter ging Rechperger, bis sich seine Spur irgendwo hinter dem Bosporus verlor.

Zelevskijs Verwunderung

Als Mona Zelevskij um 8.30 Uhr erwachte, machte sie sich erst einmal keine Sorgen. In ihren Kreisen geschah es öfter, dass ein Mädchen mit einem Mann im Arm einschlief und am Morgen auf eine leere Kuhle schaute, selbst wenn dieser Mann zufällig der eigene Ehemann war. Aber sie fluchte innerlich, denn wäre Ivan hier gewesen, hätte sie ihn an die Kaffeemaschine beordern können, zur Strafe dafür, dass er gestern wieder eingeschlafen war, bevor sie ihren Orgasmus gehabt hatte. Hatte er eigentlich etwas von einem frühen Abflug erwähnt? Mona versuchte vergeblich, sich an Ivans Agenda und die darin notierten Termine zu erinnern. Sie kam bloss bis zum schwarzen Leder und zu den farbigen Reitern auf den Seiten, dann schlief sie wieder ein.

Etwas seltsam war es schon, dass ihr Golf nicht auf dem gewohnten Parkplatz vor ihrem Wohnblock stand, Ivan hatte die Angewohnheit, mit der Bahn zum Flughafen zu fahren. Also rief Mona ihre Freundin an, die bei Hapag-Lloyd in Kloten arbeitete, und bat sie, sie solle doch am Mittag auf den Firmenparkplätzen nachschauen, ob Ivan den Golf dort habe stehenlassen. Der sei nämlich heute morgen ohne Gruss verschwunden, und man habe doch abgemacht, dass er Monas Auto nur in absoluten Notfällen ohne ihre Einwilligung benutze. Ein Flug nach Barcelona sei ja wohl kein absoluter Notfall. Doch der Golf stand nicht bei Hapag-Lloyd, sondern an der Talstation der Säntis-Bahnen, was Mona im Verlauf dieses Montags in kleinen Schritten bewusst gemacht wurde. Erst entdeckte sie, dass Ivans Gleitschirm fehlte, dann fand sie unter der Post einen nicht frankierten Brief ihres Gatten an sie, in welchem sich dieser für alles entschuldigte, was geschehen werde, und dann erreichte sie kurz vor Einnachten das Telefon aus Appenzell, ihr schwarzer Personenwagen der Marke VW stehe mit leerer Batterie auf dem hiesigen Werkhof und sie solle sich doch bitte mit der Kantonspolizei in Verbindung setzen.

Ganz zu Anfang ihrer Beziehung hatte Ivan ihr einmal gebeichtet, während der Pubertät mit Selbstmordgedanken gespielt zu haben. Aber zum gängigen Verhaltenskodex des kühl denkenden Ingenieurs, mit welchem sie immerhin seit drei Jahren verheiratet war, schien die Selbsttötung als Ausweg aus einer Lebenskrise nicht zu gehören. Und Ivan steckte nicht in der Krise, jedenfalls nicht ihres Wissens. Er hatte von Anfang an ein Kind gewollt von ihr, sie hatte vor vier Monaten die Pille abgesetzt, weil sie sich nun für eine Schwangerschaft bereit fühlte, und nach allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit hatte Rechperger sie beim gestrigen ausgiebigen Geschlechtsverkehr geschwängert, obwohl es Mona nicht gekommen war. Denn ihr Zyklus lief auch ohne Pille mit der Regelmässigkeit einer mechanischen Uhr, und Ivan hatte mit ihr zusammen die empfängnisbegünstigten Tage vorausberechnet.

Da man ihr in Appenzell gesagt hatte, dass das Auto bei der Talstation der Säntis-Bahnen parkiert gewesen sei, versuchte Mona, den Betriebsleiter der Seilbahn zu erreichen. Aber wenn Ivan überhaupt mit der Seilbahn auf den Säntis gefahren war, so war er dort sicher nicht gestartet. Sie hätten hier oben den ganzen Tag einen Schneesturm gehabt, ein Start mit dem Gleitschirm undenkbar. Falls sich ihr Gatte heute nicht melde und sich ein Zeuge finde, der ihn gesehen habe, könne man ja morgen die Rettungskolonne losschicken, aber Mona solle lieber davon ausgehen, dass ihr Mann gar nicht auf den Säntis gekommen sei. Der Weg sei für Fussgänger unpassierbar und hier oben hätte man ihn davon abgehalten hinauszugehen. Also sei er wahrscheinlich irgendwo unten im Tal. «Scheisse!», dachte sich Mona, «Scheisse, Scheisse!» Dann fuhr sie mit dem Tram zur diensthabenden Notfallapotheke am Bellevue, um sich einen B-Test zu beschaffen. Von dort aus rief sie ihre Mutter an, mit der sie sich im Mövenpick Plaza treffen wollte, um zu beraten, wie weiter vorzugehen sei. Selbstverständlich hatte ihr ihre Mutter schon immer gesagt, dass ihr noch früh genug die Augen aufgehen würden, sie hatte es bei keinem ihrer Freunde unterlassen. Aber es fühlte sich gefährlich anders an, wenn man, wie Mona, sich entschliessen musste, den eigenen Gatten bei der Polizei vermisst zu melden. Zum Glück liess ihre Mutter sie nicht im Stich und begleitete sie auf die Urania-Wache. Der diensthabende Korporal beschwichtigte die beiden Damen Zelevskij, während er sich beim russischen Doppel-i vertippte: «Ich habe die absonderlichsten Dinge erlebt, in meiner Dienstzeit. Vermisste Ehemänner haben wir jeden Tag. Die meisten verreisen, weil sie den Frühling spüren oder weil sie über etwas in der Beziehung unzufrieden sind. Männer sind eben so: Fressen ihren Unmut monatelang in sich hinein und verschwinden vom einen auf den anderen Tag. Aber ich sage Ihnen aus Erfahrung: Die meisten kommen heim, wenn sie Hunger haben oder wenn ihnen das Geld ausgeht. Am besten, Sie lassen das gemeinsame Konto bei der Bank sperren, wenn Sie können. Und rufen Sie seinen Arbeitgeber an. Vielleicht drückt er sich vor einem unangenehmen Auftrag. Haben Sie schon bei seiner Mutter und den früheren Freundinnen angerufen?» Irgendwann wurden ihnen die Beschwichtigungsarien zu bunt, sie deponierten die Vermisstmeldung und verabschiedeten sich. Dann fuhr ihre Mutter Mona nach Hause. «Kind, soll ich heute nacht bei dir bleiben?», fragte sie Mona, aber so schwach fühlte diese sich jetzt auch nicht. Erst als sie auf dem Beipackzettel des B-Tests las, dass sie damit warten müsse, bis die nächste Periodenblutung fällig sei, wurde Mona ungeduldig.

Rechpergers Schlaf

Als Rechperger, gewissermassen am Rande seines bisherigen Selbst angekommen, aus dem verschneiten Alpsteingebiet herauskam, die Wanderung ins Rheintal hatte ihn ungefähr zwölf Stunden gekostet, überflog er seine Besitztümer: In seinem Portemonnaie befanden sich 23000 Franken. Die hatte er sich am Freitag nachmittag bei der Migros-Bank abgehoben. Der Sachbearbeiter hatte ihn noch darauf hingewiesen, dass für Beträge über 20000 Franken eigentlich eine dreimonatige Kündigungsfrist gelte, aber dass man wegen der dreitausend hier jetzt kein Aufsehen mache. Wozu er das Geld bei seinem Selbstmord hatte benützen wollen, darüber konnte Rechperger keine Angaben machen. Sicherlich war es nicht als Geschenk an jemanden gedacht, der seine Überreste aus dem Schnee schaufelte. Irgend etwas oder jemand in ihm drin hatte ihm Befehle erteilt, hatte ihn genötigt, den Pass und die Kreditkarten mitzunehmen, hatte ihm befohlen, seine Agenda in die Limmat zu werfen, hatte ihn mit einem Gleitschirm auf dem Rücken aufbrechen lassen.

Schnurstracks fuhr Rechperger mit dem Zug über Buchs nach Feldkirch, wo er den Zug sogleich verliess und zu Fuss Richtung Arlberg marschierte. In den Gore-Tex-Marschstiefeln des Schweizer Militärs fühlten sich seine Füsse wohl. Dass er so eine grössere Chance hatte, allfälligen Kontrollen durch die Gendarmerie zu entgehen, nahm er nicht zur Kenntnis. Hätte er solche Dinge vor seinem Denken gelten lassen, so hätte er sich auch eingestehen müssen, dass er vor Mona oder vor ihren sexuellen Bedürfnissen auf der Flucht war. Dann aber wäre er sofort wieder mit der schmerzlichen Frage konfrontiert worden, ob er schwul sei. Rechperger war nicht schwul. Er hatte diese Angst wie viele anderen Männer vor seine Angst vor den Frauen im allgemeinen und vor ihrer gefährlichen Fruchtbarkeit im besonderen geschoben. Rechperger wollte kein Kind haben, weder von Mona noch von sonst einer, also hatte er sie angebumst, wie sie es sich doch so sehnlich gewünscht hatte, und verdrückte sich nun. Sie würde über die Enttäuschung wegkommen, würde sich in ein Frauenhaus oder eine andere soziale Institution begeben, würde bei ihren Eltern Schutz und Geld finden und würde sich schliesslich mit einem zwar einige Jahre älteren Glatzkopf oder Hängebauch vermählen, der aber eine lukrative Stellung bei IBM (Schweiz) oder Holderbank innehatte.

So war allen geholfen. Rechperger, weil er das unabhängige Dasein, welches er als Inbetriebssetzungsingenieur genossen hatte, wieder aufnehmen konnte, Mona, weil sie ein Kind hatte, um das sie sich kümmern konnte, und seinem Arbeitgeber, der ABB, weil sie einen Arbeitsplatz in der Entwicklung von Turbinen mit einem echten Könner neu besetzen konnte. Die einfachere Struktur des männlichen Denkens garantiert dessen Überleben unter mentalen Stressbedingungen. Bevor sich Rechperger ganz durch seine Umwelt aufsaugen liess, riss er lieber von zu Hause aus. Dass er damit einem uralten Programm gehorchte, welches schon die alten Germanen und noch früher die Steinzeitmännchen von ihren Höhlenweibchen weggetrieben hatte, sobald sie diese erfolgreich geschwängert hatten, schien ihm gleichgültig. Er stapfte durch den Schnee auf der Landstrasse hinter Feldkirch und dachte so gut wie gar nichts. Dies würde seine erste Nacht in Freiheit sein, seine erste Nacht, in welcher er sich gemütlich einen von der Palme wedeln konnte oder auch nicht, in der er wieder einmal Hunger haben würde, in der ihn wenigstens Mäuse und Spinnen, im besten Falle sogar streunende Hunde bedrohen würden.

Mit dem Dosenöffner seines Schweizer Sackmessers brach er abends um etwa halb elf die Tür an einem einsam stehenden Stadel auf und schlief praktisch Ohr an Fahrbahn mit der Hauptstrasse, was ihn noch am ehesten an sein vergangenes Leben in Zürich erinnerte. Sein Schlaf musste traumlos gewesen sein, denn als er morgens um fünf unter der Plane hervorkroch, fühlten sich alle seine Glieder abgestorben an.

Zelevskijs Alternativen

In ihrer schlaflosen Nacht dachte Zelevskij weder an den B-Test noch an den Gleitschirm. Hätte sie von der grosszügigen Abhebung ihres Gatten gewusst, hätte sie auch die Kontensperrung vergessen können. So aber kreisten ihre Gedanken um ein Telefonat zur Migros-Bank, das sie erst morgen früh würde machen können und das sie so früh wie möglich tätigen wollte. Als sie schliesslich dazu kam, fühlten sich ihre Augen ausgebrannt an, und als ihr der Sachbearbeiter den gegenwärtigen Kontostand von 312.45 Franken verkündete, wusste Mona, was es geschlagen hatte. Dass ihr Ehemann so weit gehen würde, mit der Visa-Card ungedeckte Schecks auszustellen und mit der EC-Karte vom leeren Konto das letzte Geld abzuheben, konnte sie zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. Sonst hätte sie die Karten wohl in diesem Augenblick gesperrt.

Der B-Test, welcher immer noch auf der Ablage beim Waschbecken lag, half hier auch nicht weiter, ihre Halbtagestätigkeit als Lektorin bei einem Sachbuchverlag konnte heute bis Mittag warten, und so begab sich Mona ins «El Greco» am Limmatplatz, wo sie drei Croissants verspeiste, zwei dreifache Espressi trank, von denen die Speisekarte versprach, nach einem davon werde man die Erddrehung unter den Füssen spüren, und den Tages-Anzeiger von vorne bis hinten durchlas. Die Anzeige einer Rechtsschutzversicherung sprang ihr in die Augen, weil der jugendlich wirkende Vater im grauen Business-Anzug darauf so anzüglich den Bauch seiner Angetrauten mit Model-Massen hielt, aber anstatt in Tränen auszubrechen, begann Mona ein Gespräch mit einem Herrn, der am Nachbartisch sass.

«Könnte ich mir wohl von Ihnen eine ausleihen?»

Der Herr hielt ihr bereitwillig die Packung entgegen und gab ihr darauf Feuer. Nach dem ersten, lustvollen Zug am Filter der Camel Light fuhr Mona weiter: «Ich habe es vor einigen Jahren aufgegeben. Aber man verlernt es nicht!» Ihr Gegenüber nickte lachend: «Wem sagen Sie das? Meine fünfte garantierte Entwöhnung scheiterte vor zwei Tagen an der Weigerung meiner Freundin, zu mir in unsere 5-Zimmer-Wohnung an der Seefeldstrasse zu ziehen. Sie wollte noch zwei Tage bei Hilde bleiben, da hab ich sie zum Teufel gejagt und wieder damit angefangen.»

Sie schwiegen beide, während sich der Herr nun auch eine ansteckte. Seine fünfte, wie Mona mit einem kurzen Kontrollblick auf den Aschenbecher feststellte. «Schockiert Sie das?» – «Was?» – «Dass ich mit Ihnen, einer Wildfremden, über unsere Beziehungsprobleme spreche?» – «Sie werden Ihre Gründe haben...» Der Mann drückte die Zigarette aus, bevor er sie ganz aufgeraucht hatte, drückte Mona eine Visitenkarte in die Hand und machte sich mit einem «Falls Sie einmal nichts anderes vorhaben» und seinem Laptop vom Acker. «Harry K. Menzi, Internet-Berater» stand auf der Karte, sowie seine Büroadresse, seine Wohnadresse, drei Telefonnummern und eine e-mail-Adresse, und Mona fragte sich, ob K. wohl für Klaus oder für Karl stehe.

Denn wenn es für Karl stand, würde sie Harry niemals mehr sehen können. Karl hiessen ihr Vater und ihr erster Geliebter, der bei einem Mofaunfall mit sechzehn Jahren ums Leben gekommen war. Mona musste immer daran denken, wie Karls Mutter gesagt hatte, man habe das Herz im offenen Brustkasten noch schlagen sehen. Solche Geschichten beschäftigen uns alle zuweilen, und wenn wir ihnen nicht bewusst entgegentreten, bestimmen sie die weiteren Handlungen in unserem Leben auf eine subtile und oft unbemerkte Weise. Nichts hätte dagegen gesprochen, diesem Harry einmal auf den Zahn zu fühlen, und niemand hatte Mona gesagt, dass das K. für Karl stand. Selbst wenn das K. für Karl gestanden hätte und Mona sich mit Harry Karl vermählt oder verbandelt oder wenigstens ins Bett gelegt hätte, wäre damit nicht automatisch Unglück über ihr oder sein Leben hereingebrochen. Trotzdem liess Mona die Karte im Aschenbecher liegen und klaute bei «ex libris» eine Kaufkassette von «Wachgeküsst». Aber der prickelnde Schauer, mit dem sie sich in ihrer Pubertät Befriedigung geholt hatte, stellte sich nicht mehr ein. Mona fühlte sich ebenso niedergeschlagen wie zuvor, nur dass sie sich jetzt ausserdem infantil vorkam.

Ihr Nachmittag im Büro verlief ereignislos. Das Projekt eines Bildbandes über Walliser Bergdörfer lag noch beim Produktionsleiter zur Bestätigung, Mona prüfte einen Kostenentwurf nach Planungsschema für den zweiten Band von Einheimische Tierwelt, welchen ihre Assistentin zusammengestellt hatte. Am Abend legte sie sich mit einer Aluschale Cannelloni aufs Sofa und sagte, während sie kritisch die Spiegelung ihres Körpers in der schwarzen Bildröhre musterte, zu sich: Das sind also die Leute, welche Tiefkühlnahrung in der Mikrowelle erhitzen und in Gemeinschaft mit ihrem Sony dinieren. Dann schob sie «Wachgeküsst» ins Videogerät, und nichts geschah. Der defekte Apparat erinnerte sie mehr als alles andere in der Wohnung daran, dass ihr Ivan sie verlassen hatte. Nein, Mona war in keiner guten Stimmung, als sie sich kurz vor der Tagesschau die Vermisstmeldung einer depressiven Heiminsassin aus dem Mittelthurgau ansehen musste. Vielleicht warf sie sich deswegen den Regenmantel über, bloss um im Restaurant über die Strasse eine Packung Camel Lights zu holen.

Muslimanis Gast

Ibrahim Muslimani pendelte mit seinem alten 300er Mercedes regelmässig zwischen Kroatien und Bregenz. Die 150 Mark im Handschuhfach waren das übliche Schmiergeld, mit dem er die drei Maschinenpistolen und die beiden Revolver diesmal über die Grenze bringen wollte. Der deutsche Reisepass, dessen dunkles Grün verräterisch neu schimmerte, trug das seinige zum Gelingen der Familienbesuche in Ragusa bei. Im Hafen der ehemaligen Touristenstadt warteten ein Motorboot und zweitausend deutsche Mark auf ihn, der während der Woche in einer Seifenfabrik an der Duschgelpresse stand. Wenn ihm etwas Kopfschmerzen bereitete, dann der geplante Transport der beiden israelischen Panzerknacker nächste Woche. Dafür musste er nämlich die zusätzliche Stütze am Boden des Mercedes wegschleifen, die er zur besseren Stabilisierung gegen die Schlaglöcher von einem befreundeten Mechaniker hatte schweissen lassen. Aber in einem risikogewohnten Hirn, wie es jenes von Muslimani war, bedeutete das, sich Sorgen über die Steuerrechnung vom nächsten Jahr machen, während der Betreibungsbeamte an die Tür klopft.

Der verloren wirkende Typ mit dem Rucksack, der im salzbraunen Schnee neben der Fahrbahn torkelte, würde ihn leichter durch eine allfällige Fahrzeugkontrolle am Arlberg bringen. Er schaute so offensichtlich wie ein verspäteter Globetrotter drein, dass selbst österreichische Sicherheitskräfte das erkennen konnten. Und einer, der mit dem Mercedes Anhalter mitnahm, war kein potentieller Waffenschieber. Also blieb Muslimani hundert Meter weiter vorne stehen und fragte in gebrochenem Deutsch durch die heruntergedrehte Scheibe auf der Beifahrerseite: «Du wolle Arlberg?» Rechperger, dessen Gesicht vor fehlender Kondition und mangelnder Entschlusskraft glühte, liess sich fast kommentarlos auf das Lammfell fallen, mit dem der beige Ledersitz bedeckt war. Und als sich der schwarzhaarige Südländer mit den eleganten Halbschuhen wortkarg zeigte, hielt auch Rechperger glücklich den Mund. Es gab wenig zu sagen, ausser dass es im Auto nach Maschinenfett und Diesel stank, und die Schneeflocken wirbelten dicht vor der Windschutzscheibe, auf der die Wischer schlierige Löcher in den fast zentimeterdicken Schnee leckten und Rechperger schläfrig machten.

Bei St. Anton meinte der schweigsame Ausländer mit dem deutschen Reisepass: «Wir hier Sandwich essen. Dann Du allein weiter...» Rechperger wechselte zwei 100-Franken-Noten bei einem Kiosk, wo ein mit Flaggen geschmücktes Schild «Change, no commission» verkündete und offerierte seinem Chauffeur einen Kaffee und eine Mehlspeise mit Sahne. Ivan waren die beiden Beamten in Zivil nicht aufgefallen, welche am Tresen des Gasthauses eine heisse Zitrone bestellten, deswegen argwöhnte er nichts, als Muslimani ihm anbot: «Du wolle weiter? Ich dich mitnehme bis Slowenje. Müsse nach Croatia zu Familie.» Rechpergers Augen spiegelten die Erleichterung darüber, dass ihm ein weiteres Reiseziel gegeben wurde, das er noch gar nicht ins Auge gefasst hatte. Natürlich war er bereit, für die Mitfahrgelegenheit zu bezahlen, und dass Muslimani es eilig hatte, schien bei seiner langen Reise nicht verwunderlich.

Etwas mehr verwunderte es Ivan Rechperger, dass man bei Innsbruck über den Brenner hinten herum in die Steiermark fuhr, wo doch die Autobahn nach Klagenfurt der direktere Weg zu sein schien. Aber Muslimani versicherte ihn, das sei jetzt der bessere Weg, «wegen Lastwagen und Baustelle, verstehst?», und Rechperger schwieg wieder, während sie an den nassen Fichten entlang Richtung Passhöhe röhrten. Er gab sich als Maschineningenieur zu erkennen und riet Muslimani, beim nächsten Aufenthalt in der Garage die Dieselzufuhr kontrollieren zu lassen. Ihm scheine es, die Abgase, welche man hier im Auto eigentlich nicht riechen sollte, seien etwas zu fettig. Und ausserdem könnte es sein, dass die Auspuffanlage ein Loch habe. Warum sein Fahrer darauf sauer und mit Schweigen reagierte, sah Rechperger nicht ein, aber vielleicht spürte der ja, dass Rechperger Angst davor hatte, schwul zu sein, und Rechperger hustete: «Ich dachte ja bloss... ist schliesslich Ihr Wagen.»

Worüber Muslimani wirklich nachdachte, das ahnte Ivan glücklicherweise nicht. Dieser hatte in Rechpergers Brieftasche den Tausender gesehen und rechnete sich aus, ob sich ein Mord dafür lohnen würde. Hätte Muslimani von den anderen 22 Tausendernoten in Rechpergers Gürteltasche gewusst, der angeschliffene 6er Schraubenzieher, welchen Muslimani unter dem Fahrersitz liegen hatte, hätte sich irgendwo auf einem abgelegenen Rastplatz seinen zerstörerischen Weg durchs Ohr ins Hobbyfliegergehirn gesucht, aber für einen Tausender lohnte sich das Risiko nicht. Die Beamten in St. Anton hatten sie möglicherweise zusammen gesehen, die Beseitigung einer Leiche und eines Rucksackes verlangten Umsicht und etwas Zeit, und so entschied sich Muslimani, bei seinem Leisten zu bleiben und Rechperger bloss die restlichen Schillinge abzuknöpfen.

Selbst das führte in Laibach noch zu Unstimmigkeiten, denn der gleitschirmfliegende Selbstmörder hatte sich nach der österreichisch-slowenischen Grenze in den Kopf gesetzt, seinem Wohltäter ein Geschenk für dessen Familie mitzugeben. Erst ein barsches «Du jetzt Geld gebe und abhaue» brachte den Ausreisser zur Räson. Schliesslich war es Muslimanis Sache, ob er seiner Fatima, oder wie die auch immer hiess, ein neues Kopftuch mitbringen wollte oder nicht.

Unter Strom

Eigentlich hatte sie ihn gefragt, ob er einen Videorekorder reparieren könne. Aber sie hatte vergessen, sich unter dem Regenmantel einen Pullover anzuziehen, und hatte den Typen am Stammtisch wohl einen ziemlich tiefen Einblick gewährt. Jedenfalls wurde es augenblicklich still, als Mona den Wirt fragte, ob er ihr für eine Zehnernote Wechselgeld machen könne. Als sie aus dem schmuddeligen Gang, auf welchem der Zigaretten-Automat stand und wo es nach chlorhaltigen Reinigungsmitteln und Urin stank, wieder in die Gaststube trat, fragte sie der vorlauteste der Männer, ob sie Lust auf ein Cüpli habe. In diesem Augenblick machte sich Mona klar, dass sie im Regenmantel mit nichts als dem weissen Trägerleibchen darunter definitv die falschen Signale aussendete. Sie setzte sich an den Stammtisch und liess sich ein Mineralwasser bringen. So ganz unfreundlich wollte sie nicht scheinen, aber sie gedachte, nach dem kurzen Umtrunk ihrer Wege zu gehen.

Und bevor noch einer mit der preisverdächtigen Anmache, was denn eine so hübsche Frau in einer so einsamen Nacht an diesen Ort des Vergnügens treibe, loslegen konnte, ging sie selbst mit einer Frage in die Offensive: «Kann einer von euch Teufelskerlen einen Video reparieren?» Auf eine solche Frage sind die Reaktionen einer männlichen Stammtischrunde absehbar. Sätze wie «Wenn ich bei dir bin, Baby, brauchst du keine Unterhaltung» oder «Wir könnten ja auch etwas anderes als eine Videokassette einschieben» gehören quasi zum Standardrepertoire, welches selbst den niederen Geist einer durchschnittlichen Schweizer Männergesellschaft nicht überfordert. Deswegen erstaunte es Mona, dass nach dem abebbenden Gelächter die Männer einhellig auf einen langen Kerl mit hochrotem Kopf zeigten und sagten: «Joachim ist Elektrotechniker, aber ein wenig schüchtern, nicht, Jojo?» Irgendwie schien ihr dieser nette, etwas verklemmte Enddreissiger, der auch jetzt die Lippen nicht voneinander bekam, keine grössere Gefahr darzustellen, und sie nahm Jojo ins Schlepptau, nachdem dieser seine zwei Stangen bezahlt hatte.

Sie zog sich erst einen Pullover über, zeigte ihm dann die Wohnung und frage ihn, ob sie ihm etwas anbieten könne. Aus der Innentasche seiner Lederjacke förderte Joachim ein Schraubenzieher-Set zutage, und während er am Wohnzimmertisch den elektronischen Patienten auseinandernahm und eine durchgebrannte Gerätesicherung diagnostizierte, machte ihm Mona eine Tasse mit heisser Ovomaltine, zerrte das Plastik von der Camel-Packung und gab ihrer Lunge in der Küche etwas zu beissen. Sie rauchte bei offenem Fenster, um nicht alles vollzustinken. Die kalte Luft rief auf ihrer Haut Schauder hervor, und als sie ins Wohnzimmer zurückkam und Joachim mit voller Konzentration an ihrem Videogerät arbeiten sah, sagte sie zu sich selber: Was soll’s? Bist ja sonst eh alleine heut nacht.

Joachims goldener Ehering mit den zwei gekreuzten Herzen schien ihr Versicherung genug, dass es keine psychologischen Folgeschäden geben würde. Deswegen legte sie ihm ihre Hand mit dem beringten Finger auf die Brust, strich damit aufwärts gegen sein Kinn und bemerkte gleichzeitig: «Ich nehme an, dass dich deine Frau zu Hause noch nicht gleich vermisst.» Ein solches Vorgehen gehörte nicht unbedingt zu Monas Standardrepertoire, und in der langjährigen Bekanntschaft mit Ivan hatte sie das wenige, was sie vorher über Annäherungsversuche gewusst hatte, zu vergessen gelernt. Aber da sie zugleich ein Prickeln im Unterleib und ein zartes Streicheln ihrer Finger verspürte, nahm sie erstens an, dass Jojos Ehefrau ihn tatsächlich nicht sogleich vermissen würde, und zweitens, dass Joachim nicht so von gestern war, wie er sich in seiner Stammtischrunde gab.

Zur vollständigen Reparatur des Videogerätes kam es in der Folge nicht, da Joachim befand, sie könne ihm das Ding morgen zur Rediffusions-Geschäftsstelle beim Hauptbahnhof bringen. Er arbeite dort. Dafür stellte Mona mit Freuden fest, dass sie und Jojo da unten um einiges besser zusammenpassten, als Ivan und sie es je getan hatten. Die Ovomaltine verlieh ihrem Liebhaber gewissermassen Flügel, und Jojo besorgte zwischen 22.03 Uhr und 00.25 Uhr das, wonach Ivan und Mona zwei Nächte zuvor vergeblich gesucht hatten. Er tat das sehr langsam, genau und sinnlich, und er besorgte es so gründlich, dass Mona am nächsten Morgen sämtliche Knochen und Muskeln wehtaten und sie sich bei ihrer Nachbarin erkundigen wollte, ob diese letzte nacht etwas gehört habe.

Zu diesem Zeitpunkt war Joachim, welcher ja in der Nacht zu Hause erwartet worden war, bereits verschwunden. Mona hatte ihn nicht gehen hören, sah aber, dass er ihr den Rekorder repariert hatte, woraus sie scharfsinnigerweise schloss, dass Joachim keinen Wert auf ihren Besuch bei der Rediffusion legte. Diese logischen Folgerungen zog Mona, während sie sich Kaffee machte und am Arbeitsplatz anrief, sie komme heute morgen um 9 Uhr arbeiten. Es schien ihr, als habe Joachim in der Wohnung nichts hinterlassen als diesen ominösen Fleck, welchen sie sich vorhin unter der Dusche vom Hintern gespült hatte. «Mein Gott!», dachte sie sich und streckte den ganzen Körper wohlig wie eine zufriedene Katze, «Was müssen auch alle Männer, die derart drauflosvögeln können, verheiratet sein.» Dass ihr Maschineningenieur die Turbinen einer fremden Anlage vielleicht auch besser unter Dampf setzen konnte als jene seiner heimischen Angetrauten, entging ihrem kritischen Bewusstsein zum Glück.

Rehlis Vektorgleichungen

Niemand hätte sagen können, wie Rechperger nach Montenegro gekommen war, am wenigsten wohl er selbst. Hätte ihm die CIA einen Sender in seinen Gleitschirm geschmuggelt, hätte sie mit ihren Überwachungssatelliten und Kontrollflügen eine täglich wechselnde Position des Ausreissers festmachen und daraus eine Karte von Rechpergers Wanderungen erstellen können. Eine solche Karte hätte allenfalls einen Chaostheoretiker in Begeisterung versetzt, aber selbst Mona hätte in diesen regellosen und völlig willkürlichen Gängen nicht die Wege ihres doch so wandergewohnten Ivan erkannt. Das kam daher, dass Ivan gar nicht mehr Ivan war. Er war nur noch kein anderer geworden, er hielt sich gewissermassen im Zwischenreich ausserhalb seines alten Selbst und vor seiner neuen, zweiten Haut auf.

Dieser Übergang schien Rechperger selbst am ehesten jenem zu gleichen, den er damals empfunden hatte, als man ihm an der Eidgenössischen Technischen Hochschule im ersten Jahr beigebracht hatte, dass sich Kräfte durch Vektoren und Drehmomente darstellen lassen und dass alles, was ihm der Physiklehrer Weiss am Gymnasium mühevoll beizubringen versucht hatte, eigentlich ein für Techniker und Ingenieure uninteressanter Spezialfall war, der seinen Weg in den Physikunterricht nur deswegen gefunden hatte, weil Sir Isaac Newton ihn damals, bei der Entdeckung der klassischen Mechanik, noch nicht anders zu gehen verstand. Und er verliess sein angestammtes Rechperger-Selbst, das er noch vor einer Woche mit Zähnen und Klauen gegen jeden Angriff verteidigt hätte, mit eben der Leichtigkeit, mit der er den Mist über Bord warf, den ihnen Weiss am Gymnasium als den Schluss aller physikalischen Weisheit aufgebunden hatte.

Das sichtbarste Zeichen für diese Ablösung wäre sicher das Ablegen des Gleitschirms gewesen. Denn der Mann, der Rechperger werden würde, brauchte sich keinen zusätzlichen Nervenkitzel zu besorgen, indem er sich von immer steileren und höheren Alpengipfeln stürzte wie eine depressive Bergdohle. Was Rechperger hingegen tat: Er verkaufte seinen Gleitschirm für 2000 Franken in Traveller-Schecks an einen Bauphysiker von Zschokke, welcher gerade von einem Besuch bei der Familie seiner Freundin kam.

Rechperger, oder besser seine alte Hülle dieses Namens, lag nämlich in einem Gebüsch auf der Lauer, als ein Mercedes 300 mit Zürcher Kennzeichen seine improvisierte Strassensperre aus Steinen umfahren wollte. Er hatte diese Technik des Autostopps von serbischen Freischärlern gelernt, mit denen er sich zeitweilig umtrieb. Dabei platzte ein Reifen des bordeauxroten Prachtstücks aus dem Stuttgarter Nobelhaus, und ein untersetzter Mittfünfziger warf sich fluchend aus dem Fahrzeug in die angrenzenden Büsche. Rechpergers Ohren meinten so etwas wie «Hueresauserbischiwixerpfadi, verdammti!» vernommen zu haben, und er kroch schnell in die Richtung, aus der die heimischen Laute erklangen. Doch rechnete er nicht mit der Nahkampfausbildung, den dieser Vizedirektor während seiner Dienstzeit als Adjutant bei den Genietruppen des Schweizer Militärs genossen hatte. Plötzlich spürte er gleichzeitig einen harten Schlag gegen seinen Kehlkopf und eine Schraubenzieherspitze auf der Höhe seiner rechten Niere. Es tat höllisch weh, wie Phillip Maloney im von Caffè Chicco d’oro gesponserten Sonntagmorgenradiokrimi gesagt hätte.

Rechperger heulte ein höchst unmännliches «Ich gibe-n-uuf» ins Ohr seines Peinigers, und dieser liess mit einem «Etz triffsch afed überall uff die Tubelchriegsturischte uss Affoltere» von Rechperger ab. Tatsächlich war Ivan Rechperger in Affoltern am Albis aufgewachsen, was Eugen Rehli, dipl. ing. HTL, an dessen Betonung des «gibe» sofort hatte festmachen können. Rechperger half dem Mitzürcher beim Wechseln des geplatzten Reifens und erfuhr, dass dieser immer schon habe mit dem Gleitschirm abspringen wollen. Er habe eine schwache Pumpe, sagte Rehli, und der Arzt meine, es könne sie alle Tage «lüpfen». Also wolle er noch so viel erleben, wie möglich, und so ein Scheiss, wie der Rechperger ihn hier mache, sei genau das richtige für den täglichen Hochdruckkick. Rehli hatte vor, Montenegro zu verlassen, nachdem im Dorf seiner Geliebten und neben seinem Hotel eine Autobombe hochgegangen war, welche Rehli in zu grosse Nähe mit einem Fetzen Oppositionspolitikerdarm gebracht hatte. Selbst Adjutanten der Schweizer Armee kennen Grenzen, wenn es um Risikobereitschaft geht.

Geni Rehli erwies sich als grosszügig, sowohl was die Bezahlung eines inzwischen haarfettdurchtränkten Gleitschirms betraf wie auch hinsichtlich das freizügige Verteilen von Mitfahrgelegenheiten. Er bot Rechperger an, diesen durch Serbien bis hinauf nach Ungarn mitzunehmen, wo er ja auf einem Donautanker mitfahren könne. Rechperger nahm dankend an, und die beiden Schweizer im Ausland fuhren weiter in Richtung serbische Südwestgrenze. Geni Rehli erzählte von seiner Alten, der er das Haus und die Kinder und überhaupt alles überlassen habe, von den «Lämpen», welche er mit seinem Vater, einem Oberst im Ruhestand, austrage, und natürlich von Olinka, seiner Geliebten, welche ihn im heimatlichen Zürich sehnsuchtsvoll erwarte. Rechperger seinerseits liess Rehli an seinem Ausbruchsversuch, an seiner Angst vor dem Schwulsein und an seinem Persönlichkeitsverlust teilhaben.

Das wohl Interessanteste an Eugen Rehli aber war seine Theorie der Vektorgleichungen. Jede Bewegung im Leben eines Menschen konnte als Vektor in einem dreidimensionalen Koordinatensystem dargestellt werden. Man hatte sich das wie eines dieser Zahlenbilder aus den Rätselheften vorzustellen. Und wenn man am Ende des Lebens alle Vektoren eingezeichnet und addiert hatte – allerdings, wie Rehli sagte, ein Höllenaufwand, den er nicht einmal für seine Liebsten betreiben würde –, so ergab sich ein schematisches Bild des Totemtiers dieses Menschen.

Als es Geni Rehli auf der Landstrasse Richtung Belgrad die Pumpe «lüpfte», konnte ihm Rechperger gerade noch rechtzeitig ins Steuerrad greifen, sonst wären sie in den Fluss hinuntergedonnert, welcher 50 Meter tiefer ruhig Richtung Donau in den Nordosten mäanderte. Rechperger hatte keine Lust, der jugoslawischen Polizei irgend etwas zu erklären. Also nahm er sich, was er aus Geni Rehlis irdischer Verlassenschaft gebrauchen konnte, dessen Schlafsack, das Zelt, den Rucksack, den Nahkampfschraubenzieher und als wichtigstes, dessen Reisepass. Er legte seinen eigenen Reisepass, die Kreditkarten und den Fahrausweis in Rehlis Handschuhfach, löste die Handbremse, mit der er nach der Herzattacke seines Landsmannes den Merz zum Stillstand gebracht hatte, und schob Adjutantenleiche und Nobelkarrosse über den Rand des Abhangs, wo sie sich zu zwei alten Kühlschränken, zerbrochenen Gartenmöbeln, Autoreifen und Motorenöldosen gesellten. Der so entstandene letzte Vektor vollendete des alten Rehli Totemgemälde, ohne dass Rechperger davon wusste: Es war eine Kellerassel.

Das Schwarze Loch

Die Vorstellungen der Astrophysiker über die Natur der berühmten Schwarzen Löcher im Weltall gehen noch immer weit auseinander. Diese speziellen Massephänomene sind unter den Himmelsguckern deswegen so interessant, weil ihnen Unheimliches anhaftet und man bis jetzt höchstens sagen kann, was sie nicht sind. Mona Zelevskij hatte nur sehr ungenaue Vorstellungen über Schwarze Löcher, sie hatte einst Ivan danach gefragt und eine diffuse Antwort bekommen, aber wenn sie ein Bild hätte anführen müssen, um den Balkan und die kriegerischen Vorgänge dort zu beschreiben, so hätte sie von einem Schwarzen Loch gesprochen. Und obwohl Mona gar nicht genau wusste, was nach den neuesten Theorien ein Schwarzes Loch war, hätte ihr Bild doch den Nagel so ziemlich auf den Kopf getroffen. Denn was anderes konnte sich ein unvoreingenommener Bewohner des westlichen Europas sonst über eine Krisenregion denken, aus der ihn seit Jahren Schauergeschichten über Greueltaten, unklare politische Statements und endlose Flüchtlingskonvois erreichten?

Es schien Mona, als absorbiere das zerfallende Jugoslawien alles an Klarheit, was man über diese Region zu wissen je geglaubt hatte, genau so, wie ein Schwarzes Loch alles Licht absorbierte, das sich in seinem gravitationsmässigen Wirkkreis befand. Manche zogen bereits in Zweifel, ob der damalige Attentäter Princip wirklich ein Serbe gewesen war oder doch eher ein als Serbe verkleideter Deutscher, der den 1. Weltkrieg hatte vom Zaun reissen wollen. Begriffe wie «die Unruheprovinz Kosovo» oder «ethnische Säuberung» liessen offen, was genau man sich darunter jetzt vorzustellen habe. Als Frau mit links-liberaler Gesinnung hatte sie bei Urnengängen immer die Interessen der Flüchtlinge unterstützt, sie war gegen den Abschiebeknast für Asylanten gewesen, hatte gegen die dringlichen Massnahmen im Ausländerrecht gestimmt – nur mit den Menschen aus diesen Regionen kam sie nicht zusammen. Allerhöchstens hegte sie hie und da die Vermutung, der unsicher schweizerdeutsch sprechende Kellner im In-Lokal könnte aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen.

Solche und ähnliche Überlegungen suchten Mona heim, obwohl sie keine Ahnung hatte, dass ihr Ehemann sich gerade in dieser Weltgegend über die Landstrassen kämpfte. Mona dachte nicht mehr an Ivan Rechperger, seit ein ungedeckter Scheck ausgestellt auf einen gewissen Ibrahim Muslimani, eingelöst in Zelje (Republik Slowenien) in ihren Briefkasten geflattert war und sie auf Geheiss ihrer Mutter alle gemeinsamen Konten hatte sperren lassen. Das Vermögen des Ehepaares Rechperger-Zelevskij stammte nämlich zu 95 Prozent aus Geschenken und am Erbe anrechenbaren Vorbezügen, welche ihnen Karl Zelevskij anlässlich der Heirat und der jeweiligen Weihnachts- und Wiegenfeste gemacht hatte – kurz gesagt, es war Monas Geld.

Als der Schweizer Botschafter aus Belgrad anrief, kam es ihr deswegen vor, als spucke ein Schwarzes Loch ein Elektron aus. «Spreche ich mit Frau Rechperger», fragte eine steife Stimme auf Hochdeutsch, «der Ehefrau von Ivan Rechperger-Zelevskij aus Zürich?» Als Mona bejahte, drückte ihr der Beamte zuerst sein tief empfundenes Beileid aus und informierte sie, die Leiche ihres Gatten sei zusammen mit dessen Papieren aus einem bordeauxroten Mercedes mit Zürcher Nummernschild gezogen worden. Man wisse über die Zürcher Kantonspolizei von der Vermisstmeldung und falls sie nichts anderes mit den sterblichen Überresten ihres Gatten vorhabe, werde man ihn hier in Belgrad feuerbestatten und ihr die Urne sowie seine Papiere zusenden. Der Körper sei durch den Unfall und die lange Lage im Wasser kaum mehr zu identifizieren, falls sie aber herkommen wolle, werde man ihr aus Bern sofort die nötigen Papiere und Informationen zukommen lassen. Sollte sich ein gewisser Eugen Rehli, dipl. ing. HTL, bei ihr melden, so bitte man sie, umgehend die nächste Polizeidienststelle zu benachrichtigen. Mutmasslich handle es sich beim Eigentümer um Ivans Reisebegleiter, der seither spurlos verschwunden sei.

Natürlich wollte Mona nicht sofort herkommen, sie erlitt nach dem Gespräch einen Nervenzusammenbruch. Was Wunder, trug sie doch Ivans Kind im Leib und wusste weder ein noch aus. Zum Glück war ihre Nachbarin zum Kaffee zu Besuch und konnte die Ambulanz rufen. Monas Mutter erledigte für sie alle Formalitäten. Die Vermisstmeldung konnte zurückgezogen werden, den Brief Rechpergers liess sie verschwinden. Sie meldete das ungeborene Kind im Leib ihrer Tochter als erbberechtigen Nachkommen Ivan Rechpergers beim Waisenamt und setzte sich wegen der Bestattung mit Rechpergers Mutter in Verbindung. Die plötzliche Abwesenheit des Maschineningenieurs hatte zwar zur fristlosen Kündigung durch seine Arbeitgeberin geführt, aber da Ivan dort rentenversichert war und er zudem eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte, zeigte sich das Unternehmen kulant. So sah Monas Zukunft bald rosiger aus als vor seinem Tod. Sie hatte Rechperger nach dessen plötzlichem Verschwinden bei sich selbst abgeschrieben und sich schon beim Verein alleinerziehender Mütter und Väter um Unterstützung bemüht. Das Sortieren von Rechpergers Kleidern übernahm dessen Mutter, welche sich postum mit Monas Mutter auf geradezu klebrige Art verschwesterte.

Seelisches Ölembargo

Mona hatte gar nicht so unrecht, wenn sie glaubte, dass Rechperger tot sei. Sein Körper hatte zwar die offizielle Existenz eines Infarktpatienten angenommen, obwohl er einer genaueren Überprüfung aufgrund der Dokumente nicht standgehalten hätte, aber seine tote Seele schwamm mit Save oder Drau in die Donau. Auf dem russischen Frachter, welcher geleichtert aus Jugoslawien flussabwärts rauschte, hatte er sich als Techniker ausgegeben. In diese Funktion musste Rechpergers Alias von nun an passen, denn sein Amtsvorgänger, ein Absolvent der sowjetischen Maschinenbauschule Odessa, lag mit akuter Leberentzündung in einem Feldlazarett, und es konnte nur eine Frage von Stunden sein, bis dieser sein bisschen irdisches Restleben bei einem Schwarzmarktsanitäter für eine Flasche Fusel eintauschen würde. Kann sein, dass manche Dinge wirklich schlimmer sind als der Tod – Friede seiner Mussorgskyschen Schnapsseele.

Doch die Seelenlosigkeit des verhinderten Familienvaters barg auch ihre guten Seiten: Ivan Rechperger, dessen Vorname ja eine geistige Verwandtschaft mit dem ehemaligen Ostblock vermuten liess, lernte fliessend serbisch und russisch zu fluchen. Schon bald ging ihm ein «Bosche!» ebensoleicht von den Lippen wie früher das «Herrgottsakrament!», und an die Dosenfischgerichte aus der Kombüse gewöhnte sich seine Leber erstaunlich schnell. Nur das Saufen wollte er nicht lernen, und so sparte er auf der Schiffsreise ins Schwarze Meer sein ganzes Geld, um sich ab und zu Frischgemüse oder Früchte zu kaufen. Hätte Mona die Hülle ihres Ivan jetzt gesehen, sie hätte sie nicht mehr wiedererkannt. Aus dem übergewichtigen, weichen Brillenträger mit dem in sich gekehrten Gesicht war ein ölverschmierter, aber gesunder Mechaniker geworden. Die Jean-Paul-Sartre-Design-Brille, mit der sich Rechperger früher den intellektuellen Touch gegeben hatte, sass auf Rehlis verfaulendem Adjutantenschädel. Irgendwo in Bulgarien hatten ein paar Matrosen Rechperger das Pubertätsasthma aus dem Leib geprügelt, und beim Austeilen von Kopfstössen in Schlägereien fühlte sich Ivan durch seine Kurzsichtigkeit und den leichten Astigmatismus nicht allzusehr behindert. Weswegen er sich in einem Istanbuler Tatoo-Studio «Andrea forever» zwischen die Schulterblätter tätowieren liess, hätte der Ausreisser beileibe nicht sagen können. Aber mit dem langen, blond-grauen Haarzopf wollte er wohl ausdrücken, dass er als Althippie sich nicht auf die Kappe scheissen liess, sozusagen.

Etwas besorgt war Rehli alias Rechperger, dass ihm Opiate eine solche Ruhe und Gelassenheit bescherten. Denn der Preis dieser verbotenen Substanzen ist auch in der Türkei nicht zu verachten. Aber nur durch ihren exzessiven Gebrauch gelang es ihm, sich vom Druck des seelischen Ölembargos zu befreien, unter das er sich seit seinem ersten Taumeln am Alpstein gestellt hatte. Wer weiss, ob aus Rechperger nicht noch ein aufrechter Muslim geworden wäre oder ein Anhänger der Hare-Krishna-Bewegung, wenn ihn seine Mannschaftskollegen nicht zuerst in ein türkisches Bad und danach in ein türkisches Puff gelotst hätten.

Der heisse Dampf brachte Rechperger die Erinnerung an seine frühere Persönlichkeit zurück. Zuerst stand da das Bild, wie er das Open-air-Tobel hinter St. Gallen unter Dampf gesetzt hatte, weil das Überdruckventil der Turbine bei der Kehrichtverbrennungsanlage nicht richtig funktioniert hatte. Dann roch seine Nase den intensiven Gestank des barcelonesischen Mülls, der unter seinem Mitwirken in Dampf und später in Strom verwandelt wurde. Seine Hand fühlte wieder die gekühlten Biere, mit denen er sich in Pasadena für den Schlaf lockergesoffen hatte. Und schliesslich kam die körperliche Erinnerung daran, wie ihm die Über-Mutter seine Beine knetete, nachdem Ivänli lange und heiss gebadet hatte.

Diese drei saunagestützten Pfeiler seines alten Ichs fanden ihr Fleisch in einem Matrosenbordell gleich hinter einer kleineren Moschee. Wenn Rechperger darin nämlich auf eine Frage die richtige Antwort bekam, so auf die Frage, ob er schwul sei. Er war es nicht. Wie hätte er sonst die 150 Kilo Weiblichkeit von Semira fehlerfrei begatten können? Ein echter Schwuler, so dachte sich Rechperger wohl nicht ganz zu unrecht, hätte vor soviel Matronenhaftigkeit schreiend Reissaus genommen. Rechperger hingegen brachte das Pfundsweib zum Schreien, wozu ihn seine Mitmatrosen anschliessend beglückwünschten. Sie hatten ihm Semira gewissermassen als Testperson untergejubelt, was Rechperger aber nicht wusste. Und in dieser grotesken Umarmung fand Rechperger ganz still und vergnügt den Knoten, der bisher im Falle Mona Zelevskij seine Eier gebunden hatte. Wie konnte ein Mann auch eine Frau schwängern, die ihm den Termin vorschreiben wollte? Wie konnte er sie achten, die von ihm eine perfekte Befriedigung ihrer sexuellen Wünsche verlangte, während sie weder Hand- noch Mundarbeit erlernen wollte? Vögeln oder Kinder zeugen oder begatten, oder wie auch immer man den mehr oder weniger sensationellen Akt zwischen Mann und Frau nennen wollte, war doch nicht dasselbe wie der Standesbeamtin ein «Ja» entgegenhauchen. Kurz und gut: Rechperger fand seine innere Maus im Puff zu Istanbul, heuerte ab und flog zusammen mit einer Geschäftsführerin, welche sich in einem Strassenkaffee in ihn vergafft hatte, nach Mallorca. Ende der Durchsage.

Zelevskijs Salzwasserphobie

Die Schwangerschaft liess sich nicht mehr geheimhalten. Manche Schwangerschaften haben das so an sich. Mona schwamm guten Mutes in den See der Mutterschaft. Die Blicke ihres Vorgesetzten, Dr. Bernhard Best, verkündeten ihr jedoch überdeutlich, dass ihr Arbeitgeber nichts von bezahlten Kindergeburten hielt. Mona hätte ihre Arbeit als Verlagslektorin gerne behalten, aber auf ihre scheue Frage, ob sie die Teilzeitbeschäftigung eventuell nach der Geburt wieder aufnehmen könne, erntete sie furchterregende Freundlichkeit, doch keine klare Zusage. Also sagte sie sich: Besser ein Schrecken beim Ende, als gar keine Abfindung, und machte die Leute darauf aufmerksam, dass es da in der Schweiz einen gesetzlichen Kündigungsschutz gebe.

Ihr Arbeitgeber stellte sich zuerst quer, drohte mit fristloser Kündigung. Doch das waren, wie Mona aus ihrer früheren Arbeit am «Gesetzesratgeber für Frauen» wusste, zahnlose Drohungen. Die Verlagsleitung hatte den Termin für eine Kündigung bei ihr definitiv verpasst, und so zeigte sich der Firmenanwalt geradezu erleichtert, als sie sich bereit erklärte, gegen eine einmalige Summe von 10000 Franken auf alle weiteren Forderungen gegen die GmbH zu verzichten und drei Monate vor der Niederkunft sang- und klanglos den Hut zu nehmen. Es verstand sich von selbst, dass man sie mit den besten Wünschen und einem ausgezeichneten Arbeitszeugnis entliess.

Mona vermietete ihre Wohnung für ein Jahr möbliert und inklusive des sensationell reparierten Videogerääüüöüääüöäüüöüööäöü