ISBN: 978-3-95764-103-8
1. Auflage 2014, Altenau (Deutschland)
© 2014 Hallenberger Media GmbH, Altenau
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Umschlagabbildung unter Verwendung eines Bildes von Friedel Schardt.
Sie haben zu einer der amüsanteren aber vielleicht auch tiefgründigsten Komödien Dürrenmatts gegriffen, indem Sie sich mit Romulus dem Großen auseinandersetzen wollen. Wir möchten Sie dabei unterstützen und Ihnen besonders die Figur des Romulus nahe bringen, ohne ihn allzu schnell zu sympathisch erscheinen zu lassen.
Sie werden zunächst mit dem Inhalt im Überblick vertraut gemacht, ehe die einzelnen Handlungsschritte im Detail nachgezeichnet werden. Dabei ist zu beachten, dass man eigentlich nicht allzu viel von dramatischer Handlung sprechen kann. Das würde dem Lebenskonzept des Romulus, welches auf Nichtstun und Faulheit hin angelegt ist, geradezu entgegen laufen. Allerdings: Im Hintergrund geht ein komplettes Weltreich zugrunde. Wenn also hier von Handlung gesprochen wird, sind damit die Aktivitäten gemeint, die auf der Bühne zu beobachten sind.
Im dritten Schritt wenden wir uns den einzelnen Handlungselementen und Handlungsaspekten ausführlicher zu und versuchen eine detaillierte Interpretation im Rahmen des Handlungskontinuums. Dabei gehen wir aus von Dürrenmatts Logik, die er in einer kurzen Erläuterung selbst dargestellt hat. Er behauptet, er sei beim Konzipieren der einzelnen Akte von den Aktschlüssen ausgegangen. Wir werden bei unserer Interpretation Ähnliches versuchen.
Im Anschluss werden die beiden wichtigsten Figuren, Aemilian und Romulus, ausführlich analysiert.
Zum Schluss wenden wir uns der Frage nach Tragik und dem Tragischen in Dürrenmatts Konzept zu und stellen zu diesem Thema eine Beispiel-Klausur vor.
Wir wünschen ihnen bei der Auseinandersetzung viel Vergnügen.
Friedel Schardt
Anmerkung: Die in Klammern gesetzten Seitenzahlen beziehen sich auf folgende Ausgabe: Friedrich Dürrenmatt, Romulus der Große; Neufassung 1980; Werkausgabe in dreißig Bänden; Band 2; Diogenes Verlag Zürich 1980
Man kann Dürrenmatt wohl nicht mehr als Dramatiker der Gegenwart bezeichnen, und doch sind es gerade seine Helden, die sich immer wieder die Sympathie des modernen Publikums sichern, wenn sie sich gegen Heldentum sperren und gerade dadurch zu Helden werden. Ein Held wie Romulus, den Dürrenmatt „den Großen“ nennt, wird attraktiv für den heutigen Zuschauer. Er ist schnodderig bis zum Sarkasmus, er stellt die Ohnmacht des Einzelnen zur Schau, lässt aber gleichzeitig erkennen, was der Einzelne in seiner Ohnmacht und durch seine Ohnmacht alles bewegen kann, was er erreichen und verändern kann. Gleichzeitig wird deutlich, wie wenig Möglichkeiten der Einzelne hat aktiv zu werden und in das große Geschehen einzugreifen.
Das alles wird keineswegs theoretisch erörtert sondern in einer amüsanten Komödie vor Augen geführt. Genau das macht ein Stück wie Romulus attraktiv. Wir wollen dabei nicht übersehen, dass mancher Seitenhieb sehr gezielt die Mächtigen auch unserer Zeit trifft.
Bei dem Protagonisten unseres Stücks haben wir es mit einem Hühner züchtenden Kaiser zu tun, der sich in seiner Tätigkeit darauf beschränkt, der Weltgeschichte ihren Lauf zu lassen. Über seine Umwelt, über den Hof und die Größen seiner Zeit macht er sich lustig, lässt ihre Sprüche als das erkennen, was sie sind: leeres Gerede.
Gleichzeitig aber ist dieser vertrottelte Kaiser ein, wie sich immer wieder herausstellt, scharfer Beobachter und rigoroser Moralist. Er versteht sich als Roms Richter. Er hat sich auf den Tod hin angelegt und ist bereit durch sein Sterben das römische Weltreich zu liquidieren. Am Ende aber ist er bereit, sich der Lächerlichkeit auszusetzen im Dienst einer übergeordneten Menschlichkeit und so doch noch „groß“ zu werden.
Uns heutigen Menschen erscheinen besonders die Sentenzen des Romulus überzeugend, die sich mit unmenschlichen und oft mörderischen Ideen auseinandersetzen, welche immer wieder als Grundlagen von Staaten herhalten müssen.
Wir müssen uns, das fordert Dürrenmatt, davor hüten, allzu schnell allzu viel Sympathie für diesen Hühnerzüchter zu entwickeln, der nicht davor zurück schreckt ein ganzes Weltreich in den Untergang zu schicken.
Mit unserer Sympathie aber wird er rechnen können am Ende des Stückes, wenn er bereit ist, zu Gunsten einer übergeordneten Menschlichkeit auf alles zu verzichten, was ihm lebenslang wichtig war.
Romulus wird damit zur Herausforderung. Man wird ihm einerseits in vielem zustimmen. Man wird aber auch vorsichtig sein, wenn es um das gnadenlose Verfolgen einer Idee geht.
Die zentrale Figur Romulus gibt der Komödie ihren Namen. Dürrenmatt nennt Romulus den „Großen“, wenngleich wir wissen, dass der historische Romulus eine recht unbedeutende Figur war, die mit 16 Jahren Kaiser und mit 17 bereits abgesetzt wurde und sich in die Villa des Lucull in die Pension zurückzog.
Der Romulus Dürrenmatts beschäftigt sich zunächst einmal nur damit, Hühner zu züchten und darauf zu achten, dass er die Weltgeschichte nicht stört. Er ist träge, geistig aber doch hellwach und keineswegs nur der vertrottelte Geflügelzüchter, als der er in Erscheinung tritt. Bei seinem ersten Auftreten wirkt er „ruhig, behaglich und klar“. Seine Umgebung ist immer noch zumindest verbal abgestimmt auf große Welt und Herrschen, das äußert sich besonders im Sprachverhalten. Romulus allerdings reduziert die Phrasen auf das was sie wirklich sind: Leeres Gerede, eben Phrasen. Gelegentlich zeigt er sich germanophil, lässt sich aber von niemandem dazu bringen, der Tagespolitik großes Interesse entgegenzubringen oder gar in sie einzugreifen. Für ihn steht seine Ruhe im Mittelpunkt des Interesses, seine Tätigkeiten beschränken sich auf das Essen und die Hühnerzucht. Er hat sich offenbar mit seiner etwas „trostlosen Stellung in der Weltgeschichte“ (24) abgefunden. Seine geistige Tätigkeit beschränkt sich vorläufig darauf, die hohlen Sprüche, die die Menschen seiner Umgebung ablassen, zu entlarven. Zwar behauptet er von sich, er habe schon längst den Überblick in der Weltpolitik verloren. Man muss allerdings feststellen dass er merkwürdig scharfsichtig verschiedene Zusammenhänge, Beziehungen und Verhältnisse durchschaut, Hintergründe erkennt, ja auch Ereignisse kennt, ohne dass ihm ausdrücklich Meldung gemacht wurde. Hinsichtlich seiner Rolle in der Geschichte ist er nicht bereit, sich auf die „alte Größe zu besinnen“ (34). Den Glauben an eine weltpolitische Bedeutung scheint er verloren zu haben, er ist aber bereit, der Aufforderung seines kaiserlichen Kollegen Zeno zu folgen und zu glauben: „Also gut. Glauben wir.“ (34) Gerade in dieser Szene wird er fast zum Hanswurst.
Spurius Titus Mama, ein „reitender Bote“, der dem Kaiser unbedingt eine Nachricht überbringen will, kommt am Ende des ersten Aktes zu der fatalen Feststellung: „Rom hat einen schändlichen Kaiser!“ Romulus lehnt alle staatstragenden Ideen ab, die an ihn herangetragen werden und die er auf Aufforderung seiner Umgebung wiederum aufnehmen und durchsetzen soll. Seine Begründung: Diese Ideen sind durchgehend unmenschlich. Insbesondere lehnt es Romulus ab, einen Staat, der auf solche Ideen aufgebaut war, weiterhin zu fördern und zu schützen. Die Notwendigkeit eines solchen Staates bezweifelt er ausdrücklich (77), wiewohl er grundsätzlich die Notwendigkeit des Staates akzeptiert.
Im dritten Akt gibt sich Romulus mehr und mehr zu erkennen. Es wird immer deutlicher, dass auch er eine Idee verfolgt, wenngleich er sich bisher immer als derjenige darzustellen versucht, der grundsätzlich gegen Ideen ist. Er hat erkannt, dass das römische Weltreich nur deshalb besteht, „weil es einen Kaiser gibt“, er sieht desweiteren, dass er, wenn er dieses Weltreich zerstören will, die Institution des Kaisers liquidieren muss. Er versteht sich nun als Roms Richter“ (78), und als solcher wird er den Staat zu Grunde richten und muss zwangsläufig sich selbst auf den Tod hin anlegen. Die Motive seines Handels erläutert er dem Einzigen, den er als Gegenspieler akzeptiert, der, wie er, mit seiner ganzen Existenz noch hinter seinem Ideal steht: Aemilian. Mit ihm trinkt er auf die Gerechtigkeit, die er als höchste Idee verehrt.
Wir haben schon gesagt, Romulus habe sich auf den Tod hin angelegt, um so den Untergang Roms herbeizuführen. Nun erfährt er in der Begegnung mit dem Germanenführer Odoaker, dass sein Lebenskonzept falsch war. Er muss erkennen, dass er gescheitert ist. „Tödlich erschrocken“ versucht er zunächst abzuwehren: „Das ist doch Wahnsinn!“ (106) Odoaker aber und dessen Verhalten führt Romulus zur Erkenntnis: „Es ist absurd geworden, was ich getan habe.“ (109) Odoaker macht Romulus klar, was er falsch gemacht hat, und fordert von ihm, er solle weiterdenken. So muss Romulus das „Entsetzlichste, was ihm zustoßen könnte“ (111) in Kauf nehmen: seine Pensionierung. Er lernt, etwas zu tun, was er zeitlebens nicht getan hat, nämlich auf eine Idee zu verzichten zu Gunsten einer übergeordneten, sagen wir ruhig: einer praktischen Menschlichkeit. Es ist ihm zwar gelungen, Rom zu Grunde zu richten, aber er kann nicht verhindern, dass ein zweites Rom aus dem Untergang hervorgeht. Er kann nun nur noch zusammen mit Odoaker versuchen, eine Zwischenphase des Friedens zu organisieren und möglichst lang auszudehnen.