ISBN: 978-3-95764-106-9
1. Auflage 2014, Altenau (Deutschland)
© 2014 Hallenberger Media GmbH
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Uniquique autem datur manifestatio
Spiritus ad utilitatem.
Alii quidem per Spiritum datur sermo
sapientiae … alii discretio spirituum.
*
Jedem aber wird die Offenbarung des
Geistes verliehen zum allgemeinen Nutzen.
Dem einen wird durch den Geist Weisheitsrede
gegeben … einem anderen die Unterscheidung der Geister.
Der Apostel Paulus im 1. Brief an die Korinther,
12. Kapitel, Verse 7, 8 und 10. Lateinische Vulgata.
Ahhe (sprich: Ache) – Aachen
Angelland – England
Antonach – Andernach
Aquis grannum – der lateinische Name für Aachen
Babenberch – Bamberg
Coln – Köln
Confluenze – Koblenz
Haestingas – Hastings/Südengland
Londene – London
Megunze oder Magunza – Mainz
Mettis – Metz
Moena – der Fluss Main
Novaes – Neuss
Rhin – Rhein
Spira – Speyer
Treveris – Trier
Tuitium – Köln-Deutz
Virodun – Verdun
Wormez – Worms
Köln nach der Stadterweiterung um 1106
Coln, im 39. Regierungsjahr Kaiser Heinrichs IV.
Anno Domini 1096
Baruch blickte von seinem Manuskript auf, als er das Klopfen hörte. Es war leise und kam aus der Richtung der Haustür. Jemand würde aufmachen. Gerade wollte er sich wieder der Stelle im Talmud zuwenden, wo Rabbi Jehuda erschrocken ausruft: »Weh mir, dass ich mein Brot einem Ungelehrten gegeben habe«, da klopfte es wieder, diesmal an seine eigene Zimmertür.
Er gab einen zustimmenden Laut von sich und sah, dass eine junge Frau den Raum betrat.
Rasch erhob sich Baruch, neigte den Kopf und sagte unwillig über die Störung: »Salve«. Zögernd wies er auf einen Hocker neben dem breiten Tisch, der mit Blättern und Büchern übersät war.
Als die Frau den Gruß erwidert hatte und sich setzte, trat fast geräuschlos hinter ihr ein Mann ins Zimmer, der sich ohne Kommentar in einer Ecke auf dem Boden niederließ.
Baruch räusperte sich und deutete halb entschuldigend auf die Gestalt am Boden: »Das ist Sadok«, meinte er auf Fränkisch. »Er ist immer dabei, wenn eine Frau mich besucht, denn es ist nicht gut, wenn ein Mann mit einer Frau allein ist.« Er grinste leicht über die Anspielung, die seine Besucherin nicht begriff, denn sie hob fragend ihre Augenbrauen.
»Eine kleine Abwandlung eines Satzes aus der Paradiesgeschichte. Aber das verstehst du vermutlich nicht. Ich vergesse immer wieder, dass nur die Gelehrten die Heiligen Schriften kennen.« Er lachte lautlos in sich hinein.
Die Frau blickte irritiert in die Ecke zu Sadok hinüber, der mit einem breiten Lächeln den Blick erwiderte und ihr freundlich zunickte.
»Es ist nicht gut«, sagte die junge Frau, »wenn noch jemand mithört. Denn was ich zu sagen habe ist …«
»Keine Angst.« Baruch lächelte und strich sich über den graumelierten Vollbart. »Sadok versteht nur sehr laute Schreie. Eine Unterhaltung in normaler Lautstärke bekommt er nicht mit.«
Während er redete, betrachtete der Jude seine Besucherin interessiert. Die Unterbrechung seiner gelehrten Arbeit schien ihm jetzt nicht mehr so viel auszumachen. Er schätzte die Frau auf siebzehn oder achtzehn. Sie war eine Nichtjüdin. Ihre dichten schwarzen Haare trug sie hochgesteckt und in einem Netztuch zusammengehalten. Ihr Gesicht war streng und regelmäßig geschnitten, schmal, von einer herben Schönheit. Ihre Haut schimmerte blass, als hätte sie in den letzten Nächten nicht viel geschlafen. Sie trug einen weiten Mantel aus dunkelblau gefärbtem Leinen, der, wenn er auseinanderklaffte, trotz seiner Fülle und Falten einen wohlgestalteten Frauenkörper darunter vermuten ließ.
Die vollen Lippen hatte die Besucherin zusammengepresst, als wollte sie verhindern, dass ihnen irgendwelche unvorsichtigen Worte entschlüpfen könnten.
»Nun, was führt dich zu mir, dem unbedeutenden Rabbi Baruch aus Coln?«
»Ihr seid nicht so unbedeutend, wie Ihr tut, Rabbi Baruch.« Ein feines Lächeln überzog das Gesicht der Fremden und verlieh dem sonst strengen Gesicht eine überraschende Schönheit. Dass dabei die Lücke des fehlenden linken Eckzahns sichtbar wurde, minderte die Schönheit kein bisschen. Ja, wenn man wollte, machte es sie sogar zerbrechlicher und kostbarer.
»Eure Weisheit und Einsicht hat sich in Coln herumgesprochen«, fuhr die junge Frau fort, »auch wenn einige seit neustem die Juden gering schätzen.«
»Nun, nun.« Rabbi Baruch schüttelte missbilligend den Kopf und schnalzte mit der Zunge. »Das Ihr und Euch kannst du dir übrigens sparen. Ich bin kein Bischof, der das für sein persönliches Wohlergehen braucht. Und schließlich reden wir alle Gott mit Du an. Du brauchst also ein Stück Weisheit von mir? Warum gehst du dann nicht zu einem Priester oder Diakon? Es gibt genügend davon in Coln! Die Stadt ist ja förmlich von einem Ring aus Kirchen umgeben. Warum ausgerechnet zu einem armseligen Juden, den der Allmächtige – gepriesen sei sein Name – mit ein wenig Weisheit begabt hat? Und warum sollte ich, ein Gelehrter, einer ungelehrten Frau einen Rat erteilen?«
Die Besucherin öffnete den Mund, sagte aber nicht sofort etwas, sondern schien nachzudenken.
»Ich bin nicht so ungelehrt wie Ihr denkt – lasst mich beim Ihr bleiben«, begann sie nach ein paar Augenblicken. »Immerhin kann ich lesen und schreiben und mich zur Not auf Latein verständigen. Denkt nicht, Eure Weisheit sei an mir vergeudet. Was ich Euch fragen will, ist etwas … delikat, und ich möchte nicht, dass es seine Runde in Coln macht. Deshalb habe ich mich nicht an einen Priester gewandt, der mich ja doch erkennen würde, und bitte Euch inständig um Stillschweigen. Mein Name ist übrigens Fiona. Ich gehöre zur Familie de Ponte, die in der Nähe der Rhinbrücke einen der Türme bewohnt. Außerdem habe ich wenig Zeit. Niemand weiß, dass ich hier bin. Wie Ihr wisst, predigt auf dem Platz am Römerturm gerade ein Mönch namens Damian, der den nahen Weltuntergang ankündigt. Und in der allgemeinen Aufregung konnte ich mich davonstehlen. Meine Magd wird sicher ganz aufgelöst sein und mich überall suchen.«
Baruch nickte: »Ja, ich habe von diesem Mönch gehört und werde nachher selbst dorthin gehen. Man muss ja schließlich wissen, ob die Welt demnächst untergeht.« Er lachte unhörbar in sich hinein und fuhr fort: »Aber nun zu deinen Fragen! Ich höre, Fiona de Ponte.«
Doch bevor Fiona endlich von dem dringenden Anliegen reden konnte, flog die Tür schwungvoll auf und eine ältere Frau steckte den Kopf herein, sah Sadok auf dem Boden sitzen, betrachtete argwöhnisch die junge Frau am Tisch und sagte: »Es gibt bald etwas zu essen, Baruch!«
Dann verschwand sie wieder.
»Meine Frau«, erklärte der Rabbi als verrate er ein Geheimnis, und fuhr schmunzelnd fort: »Sie wollte nicht nur das bevorstehende Essen ankündigen, sondern auch sehen, dass alles seine Ordnung hat. Also, ich höre.«
»Und versprecht Ihr mir, dass Ihr keinem etwas von dem sagt, was Ihr jetzt hört?«
»Ich verspreche es.«
»Schwört es bei den Schriften Eurer Tora.« Der Rabbi legte seufzend seine Hand auf eines der in Leder gebundenen Bücher und sagte: »Ich schwöre, dass ich niemandem davon erzählen werde.« Etwas leiser murmelte er auf Griechisch: »Als ob die Tora einfach in einem jüdischen Wohnzimmer herumliegen würde. Diese Christen haben keine Ahnung …«
»Was meint Ihr?«
»Kümmere dich nicht um mich, ich murmle manchmal etwas in meinen Bart.«
»Gut.« Fiona begann erst zögernd, dann immer flüssiger von dem zu erzählen, was sie bedrückte.
»Ich habe, herausgefunden, dass ich eine ungewöhnliche Gabe habe, und ich weiß nicht, ob sie von Gott oder vom Teufel kommt.«
Baruch sagte nichts, sondern blickte an ihr vorbei zur Tür und streifte dabei scheu Fionas Gesicht. Es hatte sich beim Reden leicht gerötet, was ihren Zügen einen zusätzlichen Reiz verlieh.
»Ich habe … ich habe … die Fähigkeit, Gedanken bei anderen Menschen zu erkennen. Früher dachte ich immer, es wären meine eigenen Gedanken, und war überrascht, dass manchmal ohne erkennbare Zusammenhänge die seltsamsten Erkenntnisse durch meinen Kopf zogen. Seit ungefähr einem halben Jahr weiß ich genau, dass ich die Gedanken anderer auffange und selber denke. Meine Bitte: Was soll ich mit dieser Gabe tun? Woher kommt sie? Ist das etwas Böses oder Gutes?«
Der Rabbi sah Fiona kurz in die Augen, dann sagte er: »Ist das immer so oder nur gelegentlich?«
Fiona senkte den Blick. »Es ist nicht immer so. Manchmal passiert es und manchmal nicht. Ich weiß nicht, woran es liegt.«
»Und jetzt? Kannst du meine Gedanken jetzt erkennen?«
Fiona hielt den Blick auf den Boden gesenkt. Dann hob sie den Kopf und nickte. »Ja, jetzt auch.«
»Und?«, fragte der Rabbi. »Was geht in meinem Kopf vor?«
Fiona schwieg und blickte in die Ecke zu Sadok hinüber, der ihr zublinzelte. Dann wandte sie ihr Gesicht dem älteren Mann zu und sagte mit zitternder Stimme. »In diesem Augenblick würdet Ihr mich gerne küssen!«
Baruch fuhr auf und wollte etwas Ärgerliches sagen, aber ließ es dann doch bleiben und gab zu: »Du hast Recht. Vielleicht hättest du doch lieber zu einem Priester gehen sollen.«
»Da wäre es mir auch nicht besser ergangen. Seit Papst Gregor die Ehe für die Priester nicht mehr empfohlen hat, ist die Begehrlichkeit bei ihnen nicht weniger geworden. Es ist übrigens wieder vorbei. Im Augenblick höre ich nur Nebel. Ich weiß, es klingt seltsam. Aber besser kann ich es nicht ausdrücken. Ich bitte Euch, Rabbi Baruch, antwortet auf meine Frage! Was bedeutet diese Gabe? Ist sie ein Teufelswerk oder ein Gotteswerk?«
»Bevor ich antworte«, sagte er langsam, »habe ich noch eine weitere Frage: »Woher weißt du, dass bestimmte Gedanken von anderen stammen und nicht deine eigenen sind? Es könnte doch sein, dass deine … deine Vorstellungskraft so lebendig ist, dass dir alles Mögliche durch den Kopf geht?«
Fiona nickte bestätigend. »Ihr habt vollkommen Recht, Rabbi. An dieser Frage merke ich, dass Ihr wirklich ein Gelehrter seid. Wie ich schon vorhin sagte, ist mir das alles erst vor einem halben Jahr richtig aufgegangen.
Ein besonderer Umstand kam mir zu Hilfe. Meine Tante, die bei uns wohnt, pflegt ihren Schmuck in einem Kästchen aufzubewahren, das sie versteckt. Als ich mich einmal mit ihr unterhielt, kam der Satz in meinen Kopf: Hoffentlich finden sie nicht heraus, dass ich meinen Schmuck unter dem losen Holzbrett aufbewahre. Ich forschte nach, als ich allein war, und fand das Kästchen. Da merkte ich, dass diese Gedanken von ihr gekommen sein mussten.«
Rabbi Baruch wiegte den Kopf hin und her und strich mit Daumen und Zeigefinger an seinem Bart entlang. Er schien noch nicht zufrieden zu sein und forschte weiter: »Nun gut. Du hast herausgefunden, dass du grundsätzlich Gedanken erkennst. Aber das reicht mir noch nicht. Du kannst nicht jedes mal und sofort die fremden Gedanken auf ihre Richtigkeit überprüfen.«
Baruchs Augen verengten sich beim Reden, als er fortfuhr: »Wahrscheinlich gibt es viele Leute, die das können, was du kannst. Vielleicht fangen wir sogar alle die Gedanken anderer auf oder die von unsichtbaren Geistern, ohne es zu merken. Es muss also noch etwas anderes sein, das dich befähigt, deine Gedanken von fremden zu unterscheiden. Also, die Unterscheidung ist das Wesentliche. Du warst vorhin so sicher, dass dieser Wunsch nach einem Kuss von mir kam. Es hätte ja auch deine Einbildungskraft sein können. Und dann warst du wieder sicher, dass das Erkennen aufhörte und Nebel sich herabsenkte.«
Fiona lächelte gezwungen. »Euer Verstand ist messerscharf, Rabbi. Ihr zerrt meine feinsten Geheimnisse ans Licht. Es ist vollkommen richtig, was Ihr sagt.« Sie schien mit sich zu kämpfen, ob sie ein weiteres Geheimnis preisgeben sollte. Schließlich seufzte sie und sagte: »Auch das behaltet bitte für Euch. Nur so viel: Immer wenn fremde Gedanken sich bei mir einmischen, empfinde ich so etwas wie eine innere Klarheit, manchmal beginnt ein feines Kribbeln im Hinterkopf. Früher achtete ich nicht darauf. Seit dem Ereignis mit dem Kästchen meiner Tante, bei dem ich die Anzeichen bemerkte, habe ich nun ein sicheres Zeichen bekommen, wann das Gedankenerkennen anfängt und wann es aufhört. Es ist, als ob die fremden Gedanken meinen Geist berühren. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Also, Rabbi Baruch«, Fiona beugte sich gespannt vor, »ist diese Gabe von Gott oder vom Teufel?«
Baruch kratzte sich am Kopf und blickte sich Hilfe suchend in dem bescheidenen Wohnraum um, in dem zwei große Holztruhen standen und eine Bank unter dem Fenster. Regale waren an der hinteren geweißten Wand angebracht, auf denen ein paar Bücher lagen, und in der Mitte, auf dem Holzboden, stand ein Tisch, an dem die beiden nun saßen.
Was antworte ich ihr, überlegte der Jude. Sage ich: Die Gabe ist von Gott, wird sie beruhigt nach Hause gehen. In ein paar Jahren wird man sie heiligsprechen, ihre Gebeine werden später in irgendeinem Schrein als Reliquien verehrt werden, und man wird sie die heilige Fiona nennen. Sage ich, diese Gabe ist ein Werk des Teufels, wird sie erschreckt davonlaufen, wird vielleicht krank werden, sich einem Priester anvertrauen, der bei ihr einen Exorzismus versucht. Schließlich wird sie elendig zugrunde gehen und keinen Mann mit ihrer schönen Gestalt beglücken. Zu schade! Oh, Herr, des Himmels, was für eine Verantwortung lastet auf meinen Lippen. An ihnen hängt vielleicht das Schicksal dieser Frau.
Rabbi Baruch hob den Kopf: »Nun? Hörst du immer noch Nebel?«
Fiona nickte: »Immer wenn ich es besonders dringend will, dass ich die Gedanken anderer verstehen möchte, gelingt es gerade nicht. Meist kommt es, wenn ich gar nicht damit rechne.«
»Das ist beruhigend. Also, ich habe darüber nachgedacht und komme zu der Erkenntnis, dass diese Gabe von Gott ist.«
Baruch merkte, wie seine Besucherin vor Erleichterung hörbar ausatmete, und er setzte schnell hinzu: »Trotzdem bitte ich dich, vorsichtig damit umzugehen und deine Gabe nur zum Wohl anderer einzusetzen und nicht, um Menschen zu schaden. Du solltest zum Beispiel niemals armen Männern auf den Kopf zusagen, was sie denken, wenn sie eine schöne Frau sehen. Übrigens wäre es sehr … erbaulich zu wissen, was die meisten Frauen denken, wenn ihnen ein gut gebauter Mann über den Weg läuft. Lass es mich bei Gelegenheit einmal wissen. Ich bin neugierig …«
Fiona war sich nicht sicher, ob das wirklich ernst gemeint war. Als Rabbi Baruch nichts mehr sagte, stand sie auf, nestelte an ihrer Geldbörse herum, die an ihrem Gürtel hing, und warf ein Geldstück auf den Tisch. Dann neigte sie leicht den Kopf, bedankte sich und verließ eilig das Zimmer und das Haus.
Sie hörte, wie jemand hinter ihr die Tür verriegelte, und blickte sich vorsichtig nach allen Seiten um. Aber kein Mensch achtete auf sie. Hastig eilte sie die Gasse entlang zu dem großen Tor, das das Judenviertel abschirmte, nickte dem Wächter zu, der es aufmachte und gleich wieder verschloss.
Fiona hörte Stimmengemurmel und sah dort, wo die Gasse in eine breitere Straße mündete, wie ein lärmender Menschenstrom vorbeizog. Unauffällig schloss Fiona sich den Leuten an. Es dauerte nicht lange, da hörte sie ihren Namen.
Eine Frau mit aufgelösten Haaren und verschwitztem Gesicht schrie erleichtert auf. »Da seid Ihr ja endlich! Wo habt Ihr denn gesteckt! Überall habe ich Euch gesucht!« Die Frau hängte sich bei Ihrer Herrin ein; dabei wurde klar, dass ihre Beziehung zugleich freundschaftlicher Natur war. »Jetzt lass ich Euch so schnell nicht los!«
»Ach, Ida!«, sagte Fiona leise zu ihrer Magd. »Du übertreibst. Nur weil ich von der Menge für kurze Zeit weggedrängt wurde, muss mir doch nicht gleich etwas passiert sein.«
Schweigend gingen sie weiter, doch rings um sie brauste und tobte der Lärm: Kinder quengelten, Esel brüllten, und eine allgemeine Aufregung verbreitete sich nach allen Seiten wie Wasserringe auf dem Rhin, wenn jemand einen Stein hineinwirft.
Es war ein milder Tag gegen Ende des Monats Aprilis, etwas kühl im Schatten und warm in der Sonne. Am Himmel standen unbeweglich ein paar Wolken, und die Blüten eines Kirschbaums, der in dem geöffneten Innenhof eines Gebäudes wuchs, wehten wie warmer Schnee über die Mauer.
Eine dünne grauweiße Rauchfahne, die nach verkohltem Holz und verbranntem Grünzeug roch, zog langsam vom Osten der Stadt herauf und stieg den Leuten in die Nasen. Auch an Fiona und Ida zog die Rauchfahne vorbei. Aber Fiona achtete nicht darauf, weil sie es jetzt eilig hatte, denn die Aufgeregtheit der Leute hatte sie angesteckt. Das Weltende, von dem Damian, der Mönch, sprechen würde, interessierte sie nun doch, nachdem ihre brennendste Frage durch den Rabbi endlich geklärt war.
Der Ort der Ansprache war gut gewählt, es war der Platz um den Römerturm, der an der Ostwestachse der Stadt lag und nun schon fast tausend Jahre lang allen Zerstörungen standgehalten hatte. Einiges war ja von den Häusern und Palästen der alten Römersiedlung Colonia Agrippina übrig geblieben, trotz der verheerenden Zerstörungswut der Normannen vor zweihundert Jahren. In den Ruinen der alten römischen Wehranlagen standen die Wohntürme vornehmer Familien, und die Steintore sahen ohne Stadtmauer von einst wie Denkmäler oder Triumphbögen aus. Fast wäre Fiona gestolpert, als ihr Fuß an einem schiefen Stein hängen blieb, den die Wurzel einer jungen Buche nach oben gedrückt hatte. Aber Ida zog sie weiter vorwärts.
Von allen Seiten drängten Stimmen und der Klang eiliger Schritte an ihr Ohr. Alle wollten den Platz mit dem Römerturm erreichen, um den Mönch zu hören, der behauptete, das Ende der Welt sei näher gerückt. Auch Krüppel humpelten auf ihren selbst gemachten Krücken aus dicken Astgabeln vorwärts, um ja nichts zu verpassen.
Das Ende der Welt – dachte Fiona. Wenn das stimmte, dann müsste ihr Vater seine Schulden nicht mehr zurückzahlen. Wenn das Ende der Welt käme…Ja, dann würde Klaus endlich seine gerechte Strafe bekommen! Und es half ihm nichts, wenn er alles abstritt, denn es war klar, er hatte ihren Vater um zwei Goldstücke betrogen. Endlich würde es an den Tag kommen. Ob Fiona dann vielleicht auch ihre verstorbene Mutter Creada wiedersehen würde, bei der Auferstehung zum Jüngsten Gericht?
Das Ende der Welt! Und dann … Fiona stockte, während sie weiter überlegte, dann würden womöglich auch ihre eigenen kleinen Sünden herauskommen: dass sie das Versteck des Schmuckkästchens entdeckt und sich eine Kette genommen hatte; dass sie ihren Vater angelogen hatte, als sie sich mit Andreas, ihrer Kinderliebe, getroffen hatte; dass sie Haare einer Heiligen besaß, die sie heimlich bei einer Reliquienöffnung an sich genommen hatte …
Es würden aber auch andere Dinge herauskommen: zum Beispiel, womit sich Friedrich, ihr Verlobter, in letzter Zeit beschäftigte. Denn immer, wenn sie sich sahen, wirkte er abwesend, manchmal sogar abweisend. Und ausgerechnet seine Gedanken konnte sie nicht erkennen. Vermutlich, weil sie es zu sehr wollte.
Das Ende der Welt! Aber warum sollten Gott ausgerechnet ihre kleinen Sünden so viel bedeuten? Es gab andere, deren Sündenliste viel größer und beeindruckender war. Ob sie nicht vielleicht ein kleines Abkommen mit Gott schließen könnte? Einen kleinen Handel? Wenn sie Gott versprach, dass sie ihre neu entdeckte Gabe nur zum Guten verwendete …
»Wib, tu dich annewaert! – Frau, beeil dich!«, brüllte eine Männerstimme hinter Fiona, die sich im Laufen umdrehte und eine hagere Gestalt entdeckte, in einen wehenden Mantel gehüllt. Eine klein gewachsene Frau, die auf dem Rücken eine Last trug, folgte keuchend.
Aber schon blickte Fiona wieder nach vorne und fing an, schneller zu gehen. Weit konnte es nicht mehr sein. Tatsächlich hörte man jetzt das Summen einer größeren Menschenmenge. Einen Bauern mit einem zweirädrigen Ochsenkarren überholten die beiden Frauen. Es lohnte sich nicht, hinten aufzuspringen, da sie zu Fuß schneller waren.
»Fiona!«, keuchte Ida. »Was bedeutet das Ende der Welt?«
»Nun … es bedeutet, dass … dass eben alles aufhört.«
»Auch die Nacht?«
»Hm … Ja, auch die Nacht.«
»Auch dass mich meine schrecklichen Träume nicht mehr verfolgen?«
»Wahrscheinlich auch das. Aber, Ida … Das alles ist nur eine Vermutung. Wir wollen erst einmal hören, was der Mönch zu sagen hat. Es haben schon viele vom Weltuntergang geredet, und die Welt ist immer noch da.«
Von vorne war Kindergeschrei zu hören. Natürlich. Überall, wo etwas passierte, waren Kinder zur Stelle, die sogar an diesem kühlen Frühlingstag barfuß gingen. Was sollten sie auch anziehen? Überhaupt schien es Fiona, als ob während der letzten Jahre die Kinderzahl in der Stadt größer geworden sei.
Jetzt hatten sie den Platz mit dem Römerturm erreicht. Fiona zwängte sich mit ihrer Magd durch eine Mauer von menschlichen Leibern, die sich willig zur Seite schieben ließen wie geduldige Schafe, die friedlich grasten. Eine Wolke von Rindermist und abgestandenem Urin zog an Fionas Nase vorbei, als sie mit Ida direkt vor einer abgebrochenen Steinsäule hielt. Warum musste ihre Nase nur so empfindsam sein?
Endlich konnte Fiona die Worte richtig verstehen, die von dem Mann herüberwehten, der vor dem Gemäuer des uralten Turms auf einem Ochsenkarren stand und seine Sätze mit weit ausholenden Bewegungen untermalte. Dieser Mönch Damian sah eigentlich nicht besonders beeindruckend aus. In eine armselige Kutte gehüllt, stand er da. Seinen Kopf zierte eine mönchische Tonsur, die aber schon halb zugewachsen war und den Eindruck vermittelte, man habe es mit einem ehemaligen Mönch zu tun, der dabei war, allmählich zu verwildern. Dieser Eindruck wurde noch von dem langen Bart verstärkt, der den Hals bedeckte. Damians Ohren standen ab und verliehen seinem Gesicht manchmal einen lauschenden Ausdruck.
»…eine Geschichte, die uns das Grausen lehrt«, rief Damian gerade aus und fuhr fort: »Hört zu! Und was ich euch sage, dafür verbürge ich mich! In Gallien, in einem Dorf namens Vertus, im Gebiet von Châlon, lebte vor einigen Jahrzehnten ein gewöhnlicher Mensch mit Namen Leuthard, den man, wie es sich herausstellte, für einen Abgesandten Satans halten kann. Dieser Leuthard hielt sich einmal allein auf einem Acker auf, um Feldarbeit zu tun. Ermüdet legte er sich unter einen Baum und schlief ein. Da sah er, wie ein Bienenschwarm durch die geheimen Öffnungen seines Körpers hereindrang und mit großem Getöse aus seinem Mund wieder ausflog und anfing, ihn zu stechen. Als die Bienen ihn nun dermaßen gequält hatten, begannen sie, mit ihm zu sprechen und ihm vorzuschreiben, was er tun sollte.«
Der Mönch mit den abstehenden Ohren machte eine Pause. »Was meint ihr wohl, was sie ihm befohlen haben zu tun?«, fragte er.
»Menschen zu töten!«, rief eine Stimme.
»Viel schlimmer!«
»Honig herzustellen!«, brüllte ein älterer Priester, den Fiona an seiner Stimme erkannte. Es war Pater Johannes, der ihr schon manche Ohrenbeichte abgenommen hatte und der gerne lachte. Er gehörte zu der Gruppe auserwählter Geistlicher, die den Petrusstab, die heiligste Reliquie Colns bewachen durften. Als Fiona noch ein Kind war, hatte er sie schon auf dem Rücken getragen, weil sie Fieber hatte und nach Hause gebracht werden musste. Sie sah seinen breiten Rücken und die grauen Haare, die sich unter einer Ledermütze hervorkringelten.
»Ja, genau!«, riefen andere lachend. »Die Bienen befahlen ihm, Honig herzustellen!«
»Das Lachen wird euch noch vergehen«, rief Damian erbost. »Ich werde euch sagen, was passierte.«
Er wartete, bis die Leute sich wieder beruhigt hatten und ließ die nächsten Worte wie Peitschenhiebe über die Köpfe pfeifen: »Er ging nach Hause, vollzog die Scheidung von seiner Frau, die ihm niemand erlaubt hatte, ging in die nächste Kirche, packte das Kruzifix und zerschlug das Bild des Erlösers. Als das seine Nachbarn sahen, wurden sie von Entsetzen gepackt und glaubten, er werde wahnsinnig, aber er behauptete, all das sei ihm von Gott befohlen worden. Auch sei es unnütz, sagte er, der Kirche den Zehnten zu geben. Um es kurz zu machen: Der Bischof widersprach ihm im Namen Christi und widerlegte seine gotteslästerlichen Ansichten, sagte ihm auf den Kopf zu, er sei ein Ketzer, und er solle sich zum Teufel scheren. Daraufhin ging Leuthard hin und ertränkte sich in einem Brunnen.«
Wieder machte der Redner eine Pause und ließ die Worte bei seinen Zuhörern sacken, dann richtete er sich auf und brüllte plötzlich los: »So erfüllt sich die Schrift des heiligen Johannes, der prophezeite: Und nach tausend Jahren Fesselung wird der Satan aus seinem Kerker losgelassen, und er wird ausziehen, um die Völker zu verführen an den vier Ecken der Erde und sie zum Krieg zu versammeln und die Heiligen zu töten.
Oh, es erfüllt sich alles. Die tausend Jahre sind schon lange um. Und das Ende ist nicht gekommen, weil Gott geduldig war. Aber nun ist seine Geduld am Ende, denn eure Sünden haben sich aufgehäuft und stinken zum Himmel wie eine voll gefüllte Kloake.
Es ist noch nicht lange her, da herrschte hier eine furchtbare Hungersnot, wie es im Evangelium vorausgesagt wurde. Ich sehe noch die Spuren davon in euren ausgemergelten und blassen Gesichtern. Und ich denke gerade daran, dass viele unter euch umherirrende Kinder getötet und gegessen haben.«
Bei den letzten Worten des Mönchs wurde es plötzlich still und nicht wenige senkten schuldbewusst den Kopf. Fiona dachte daran, was für eine schreckliche Zeit das gewesen war. An manchen Tagen hatten an den Straßenrändern magere Leute gesessen, die trübsinnig vor sich hinstarrten und die zwei Tage später nicht mehr da saßen, weil der Hungertod sie geholt hatte. Selbst die Vorratskammern der Diakone waren leer gewesen.
»Aber was noch viel schlimmer ist«, schrie der Mann weiter, »Papst und Kaiser liegen im Streit, sodass ein zweiter Papst gewählt wurde. Eine furchtbare Verwirrung! Aber es wird zu einem letzten Kampf kommen zwischen Heiden und Christen. Schon sind die Kreuzfahrer, die Helden Gottes, unterwegs zum Heiligen Grab. Gott möge sie segnen!«
Die Menge hatte sich unter seinem Gebrüll geduckt und wartete ängstlich auf das, was noch kommen sollte. Der Mönch hob die Hände zum Himmel, wobei die weiten Ärmel zurückrutschten und seine dünnen, dunkel behaarten Unterarme freigaben, und redete feierlich weiter.
»Oh Herr! Die tausend Jahre sind schon lange um, wie es dein Buch verheißt, und an allen Orten treibt der Satan sein Unwesen. Wir befinden uns in den letzten Tagen und warten auf das Ende aller Dinge. Segne die Männer, die an deiner Seite in Jerusalem kämpfen, um dein heiliges Grab vom Schmutz zu befreien und es im Blut der Heiden zu reinigen!«
Damian senkte langsam seine Arme und blickte schweigend über die Köpfe der Leute hinweg.
»Aber ich sage euch, das ist nicht alles! Ich habe von Erdbeben und Zeichen gehört, die am Himmel erschienen sind und…«
Fiona stand da und war wie gelähmt. Also stimmte es doch. Das Ende der Welt war da. Zwar fast ein Jahrhundert zu spät, aber es kam. Das Ende von Coln, das Ende ihrer Familie, das Ende ihrer bevorstehenden Ehe und das Ende ihres Lebens. Die verheißenen tausend Jahre waren nun, nach einer Gnadenfrist, endgültig vorbei, und der Satan wurde losgelassen, in…in Gallien, in Ostfranken, wer weiß, vielleicht auch in Coln. Da hatten sie nun gerade die Hungersnot überstanden, es gab endlich wieder mehr zu essen, die Äcker trugen wieder Gerste und Weizen. Und nun: das Weltende! Und Gott würde mit seinem Gericht nicht so gnädig sein, er würde ihr armes Leben Schicht um Schicht abschälen, wie die Gerber die Rinde der Eichenbäume abschälten, um Gerbsäure daraus zu machen.
Der Mönch da oben auf dem Karren drehte sich einmal herum, um alle, die ihm zuhörten, in den Blick zu bekommen, und sagte mit beschwörender Stimme: »Die Zeit ist erfüllt! Versteht ihr? Erfüllt! Erfüllt! Und dreimal erfüllt! Was nützen euch jetzt noch eure Stellungen, eure Ehre vor den Menschen? Sie nützen euch gar nichts mehr. Ihr könnt sie nicht mitnehmen, wenn die Sonne sich verhüllt und der Mond seinen Schein verliert, wenn die Sterne vom Himmel fallen und der Abgrund sich öffnet und dunkler Rauch emporsteigt, um den Himmel zu verfinstern. Was nützt es euch, wenn ihr Ritter oder Priester, Kaufleute oder Bischöfe seid?«
Er stutzte kurz und sagte: »Oder Juden, die glauben, sie gehörten immer noch zum auserwählten Volk! Ihr habt es erlebt, dass Petrus von Amiens, der Einsiedler, vor einiger Zeit hier war, um ein Heer der Armen zu sammeln und nach Jerusalem zu ziehen. Und er hat deutlich gemacht, dass die Juden, die Feinde Gottes, unter uns wohnen. Gott hat seine Auserwählten verstoßen. Verflucht seien sie! Sie werden ihre Strafe erhalten! Der Tag des Herrn macht alle gleich, wenn tausend furchtbare Heuschrecken kommen, die das Gras nicht schädigen aber die Menschen quälen, fünf Monate lang. Nichts könnt ihr mehr mitnehmen. Das Einzige, was euch rettet, ist die reuige Umkehr von euren schlimmen Taten.«
Fiona hatte den Eindruck, als ob er aus irgendeinem Grund seine Rede schnell beenden wollte.
»Deshalb kommt nach vorn und bekennt, empfangt die Vergebung, die euch Damian, der Prophet und Priester Gottes in Christi Namen zuspricht.« Bei diesen Worten legte er sich eine fleckige Stola um und hob die Arme geöffnet nach oben. »Kommt und empfangt den Segen Gottes!«, rief er mit salbungsvoller Stimme und blieb schweigend stehen, um auf die reuigen Sünder zu warten.
»Ach Herr«, schoss es durch Fionas Kopf, und eine innere Klarheit machte sich breit. »Ich danke dir, dass du mir diese armseligen Menschen in meine Hand gegeben hast. Sie werden kommen wie die Schafe zur Schur. Und du wirst ein Ende machen mit all dem Durcheinander und wirst mich mit deiner Gnade und Macht erfüllen, bis mir ganz Coln untertan ist. Und dann werde ich mit den aufgehäuften Schätzen, die man mir geben wird, wie ein König regieren und dein Reich ausdehnen.«
Verwundert blickte sich Fiona um. Dann dämmerte es ihr, was sich da soeben ereignet hatte. Wieder hatte sie die Gedanken eines Menschen aufgefangen. Nicht irgendeines Menschen, sondern Damians Gedanken. Aber wenn das stimmte, das wäre ja … das wäre einfach ungeheuerlich …
Fiona beobachtete erstaunt, was bei dem Karren vor sich ging, der jetzt von immer mehr Menschen belagert wurde. Sie kamen tatsächlich nach vorn und bekannten unter Tränen ihre Sünden. Fiona kniff die Augen zusammen. War da nicht auch Baruch unter den Zuhörern? Ja, doch. Dieser Kopf war unverwechselbar. Aber er stand still wie eine Statue.
Während die Menschen weiter nach vorn kamen, schien es Fiona, als würde Damians Macht und Einfluss wie eine verborgene Saat in die Herzen der Leute aus Coln gestreut. Plötzlich riss sich Ida von ihr los.
»Was machst du?«, fragte Fiona.
»Ich bin gleich wieder da«, sagte sie und rannte auf das fahrbare Podest zu, auf dem Damian die Gnade austeilte wie Brot an Verhungernde.
»Ja, so ist es recht!«, krächzte er. »Ihr habt meine Predigt verstanden. Gott segne euch. Oh, ich sehe schon, wie ihr freudigen Schrittes das Paradies Gottes betretet und …«
»Geht nicht zu ihm hin!«, rief Fiona jetzt, und ihre dünne, zittrige Stimme drang nur schwach durch den Lärm. »Er ist ein falscher Prophet.«
»Halt’s Maul, du Hure!«
Eine Frau drehte sich erbost um und funkelte Fiona wütend an. »Wie kannst du es wagen, diesen Gottesmann zu beleidigen, der um unsere Seelen kämpft?«
Fiona zuckte vor Schreck zurück und drängte nach hinten. Nur schnell weg, dachte sie, und kämpfte sich gegen den Strom der reuigen Sünder. »Jetzt habe ich Ida wieder verloren«, murmelte sie. »Aber wahrscheinlich wird sie später nachkommen.« Hastig machte sie sich auf den Rückweg.
Als sie eben das Haus ihrer Familie erreicht hatte und an das Holztor klopfen wollte, spürte sie, wie jemand an ihrem Mantel zog.
Erschrocken drehte sie sich um und sah in das glatt rasierte Gesicht eines Mönchs, dessen Tonsur nicht so verwildert aussah wie die von Damian, sondern kreisrund geschnitten war und sogar glänzte, als sei sie poliert worden. Sie erkannte das schwarz-weiße Gewand der Benediktiner.
»Entschuldige, dass ich dich zurückhalte. Ich … habe zufällig gehört, was du hast gerufen, vorhin bei Damian. Wie kommst du darauf, dass er ein falsches Prophet ist?«
Fiona fühlte sich überrumpelt, wunderte sich gleichzeitig über die seltsame Sprechweise des Mönches und stotterte: »Ich … ich wusste es einfach. Vielleicht eine Eingebung. Aber ich kann mich ja auch täuschen. Schließlich … schließlich bin ich nur eine Frau und habe keinerlei Weihen … Bitte, lasst mich jetzt gehen!«
Der Mönch blickte ihr forschend ins Gesicht, als müsste er sich Fionas Züge einprägen, dann ließ er den Mantel los, betrachtete aufmerksam den Eingang, durch den Fiona verschwand, und ging nachdenklich weiter.