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Verkleinerte Nachbildung eines Holzschnittes von L. Cranach d. ält.

Luther etwa Mitte der Fünfziger (um 1540) darstellend.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gustav Freytag/Friedrich Junge

Martin Luther in zwei frühen Biographien um 1900

 

Freytag, Gustav/Junge, Friedrich: Martin Luther in zwei frühen Biographien um 1900

Hamburg, SEVERUS Verlag 2015

 

ISBN: 978-3-95801-944-7

SEVERUS Verlag, Hamburg, 2015

 

 

Die Orthographie wurde für diese Neuausgabe behutsam moderni-siert, grammatikalische Eigenheiten bleiben gewahrt. Die Inter-punktion folgt der Druckvorlage.

 

 

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Vorwort zur 4. Auflage

 

Das Büchlein, das der Verfasser hiermit von neuem hinausschickt ins evangelische Volk, ist entstanden, als die bevorstehende Feier des 400. Geburtstages des Reformators aller Evangelischen Herzen höher schlagen ließ für den großen Mann. Neues hat es damals nicht bringen können und nicht bringen wollen, es will‘s auch heute nicht. Luthers Andenken wollte es damals lebendig machen, heute will‘s dem deutschen Volke, dessen Mark protestantisch ist, der evangelischen Jugend insbesondere, ein Mahnruf werden, im Ausschauen zu dem Manne, dessen Lebensbild es zeichnet, die Güter, die er uns erworben hat, hochzuhalten immerdar. Dräuender denn je erhebt sich Rom, seitdem das evangelische Kaisertum eine Tatsache geworden ist. Jetzt gilt es einzustehen für Wahrheit und Recht, für die Freiheit des Glaubens und Denkens, wie der große Reformator es getan. Möge das Büchlein an seinem bescheidenen Teile helfen dazu, zu schaffen den Mannesmut und die Glaubensfestigkeit, die unsere Zeit von uns fordert! Berlin, im März 1898. F. Junge.

 

Einleitung

 

„Zu der Zeit, da Octavianus Augustus den stolzen Bau des römischen Reiches, der für die Ewigkeit aufgeführt schien, vollendete und in ihm zur Einheit verbunden hatte, was das Altertum Großes hervorgebracht, die knorrige Kraft und den Rechtssinn der Römer, die Bildung und Kunst der Griechen mit dem Gedanken der Weltherrschaft, wie er in den orientalischen Reichen lebendig geworden war – da ward im fernen Osten, in dem kleinen, verachteten Volke Israel, Jesus Christus, der Welt Heiland, geboren. Das Christentum, für das Menschengeschlecht der Anfang eines neuen Lebens im Geiste und in der Wahrheit, erstand zur selben Zeit, wo an den Nordgrenzen des Römerreiches die zahllos sich mehrenden Scharen des Volkes drohend sich regten, das dem Staate des Altertums ein Ende machen sollte. – Christentum und Germanentum, es sind die Zeichen einer anderen Zeit, des beginnenden Mittelalters.

Wohl hat das Römerreich versucht, das Christentum in sich aufzunehmen, es ist ihm doch nur äußerlich gelungen, Römertum und Christentum hatten einen gar zu verschiedenen Geist. Erst bei den Germanen fand das Christentum eine rechte Heimat – nicht bei denen, welche die Völkerwanderung ergriffen und hineingeführt hatte in die Sitze der Römer und in ihre Kultur, wohl aber bei den Germanen, welche in ihren Wohnsitzen geblieben, ihr altgermanisches Heidentum lange zäh festgehalten hatten, um dann desto inniger, desto treuer Christum zu bekennen, den ihnen zuerst die Schottenmönche, den ihnen dann vor allem Bonifatius, der Apostel der Deutschen, predigte. Vom Bischof zu Rom hatte sich Bonifatius die Vollmacht zu seiner hohen Aufgabe geholt, der Bischof in Rom, der Papst, ward den Deutschen der Vertreter Christi auf Erden, an ihm hing ihr Auge, an ihm ihr Ohr. Wie früher nach dem goldenen Paläste der Kaiser in Rom, so sehnte sich jetzt der Deutsche nach der heiligen Stadt am Tiberstrande, die dem Nachfolger Petri Sitz und Heimat war.

Heute mag es uns betrüben, daß es unseren Vorfahren nicht gelang, eine deutsche christliche Kirche zu gestalten, aber es ziemt zu gestehen, daß ohne den Zusammenhang mit Rom das Christentum eine rechte Einheit, einen rechten Zusammenhalt nicht gewonnen, nicht bewahrt haben würde. Deutschlands Könige, die zugleich römische Kaiser waren, sie wären in dieser Doppelstellung nicht denkbar ohne die Verbindung mit dem Papsttum, und des Papsttums Größe nicht ohne sie. Der Kampf der Päpste gegen die weltliche Macht des Kaisertums ist der Grund, auf dem sich die Glanzzeit der Päpste erhebt, jene Zeit der Kreuzzüge in ihrer abenteuerlichen und doch so großartigen Erscheinung. Aber daß der Bestand des Kaisertums nötig war zur Blüte des Papsttums, zeigt die Geschichte des 13. und 14. Jahrhunderts deutlich genug. Sechzig Jahre nach jenem Konzile von Lyon, in dem der stolze Innozenz IV. sich über den Hohenstaufen Friedlich II. so hoch erhob, konnte der französische König einen tatkräftigen Papst durch seine Überlegenheit zum Wahnsinn treiben, und wenige Jahre noch, und die volle Ohnmacht des Papsttums offenbarte sich in dem babylonischen Exil der Päpste zu Avignon; die ehemaligen Herren der Welt waren nicht mehr denn gefügige Diener der französischen Krone.

Wohl überdauerte das Papsttum diese schmachvolle Zeit, aber nicht, um von neuem innerlich zu erstarken. Die Kirche selbst gehorchte den Päpsten zunächst nicht mehr, aus sich heraus durch Konzile wollte sie sich reformieren. Noch war der Einfluß der Päpste stark genug, um diesem Eingriff in ihren Machtkreis zu begegnen. Die großen Konzile des 15. Jahrhunderts, von Pisa, von Konstanz, von Basel, gingen ohne wirkliche Erfolge vorüber. Noch einmal triumphierte der Päpste Gewalt. Doch es war nur Schein. Der neue Geist des Humanismus, der damals in Italien und Deutschland erwachte, der nationale Gedanke der Völker, der sich bildete, die Verderbnis der Kirche und ihrer Institutionen, vor allem die Verderbnis der Päpste selbst, alles das arbeitete gegen die Macht in Rom. Und wie einst die Germanen, die Deutschen es gewesen, welche die christliche Kirche im Mittelalter geschaffen und ihr ein Heim gegeben, so waren es jetzt die Deutschen, die das Christentum von neuem retteten. Ihre Innigkeit, ihre Glaubenstiefe war der rechte Boden für eine wahre Reformation der Kirche; staatlich zerrissen, wie sie waren, boten sie dem Einzelnen um so freiere Bahn, und der gesunde Kern des Volkslebens sicherte dem Begonnenen den Fortgang. Aus dem deutschen Volke ging der Mann hervor, der die große Arbeit der Reformation beginnen, der des deutschen Volkes Seele aus den Banden welscher Herrschaft erretten, der die christliche Kirche sich selbst wiedergeben sollte, v. Martin Luther.

 

ERSTER ABSCHNITT

Die Jugendjahre

1. Luthers Geburt und Kindheit

 

Martin Luther ward am 10. Nov. 1483 zwischen 11 und 12 Uhr nachts zu Eisleben geboren. Tag und Stunde der Geburt stehen fest, des Geburtsjahres erinnerte sich die Mutter später nicht mehr, doch gibt der Sohn selbst und sein Bruder 1483 an. Der Vater Hans Luder, wie er sich schrieb, stammte aus Möhra, einem Dorfe unweit Salzungen im heutigen Meiningenschen, die Mutter Margarete war eine geborene Iiegler, wohl aus Eisenach, wenigstens hatte sie dort viele Verwandte.

„Ich bin eines Bauern Sohn,“ sagt Luther von sich, „mein Vater, Großvater, Ahn sind rechte Bauern gewesen; darauf ist mein Vater gen Mansfeld gezogen und ein Berghäuer worden: daher bin ich.“

Was seinen Vater bewogen, die alte Heimat zu verlassen, wo das Geschlecht der Luther schon lange auf freiem Erbe saß und bis auf den heutigen Tag fortlebt, wissen wir nicht.1 Möglich, daß das Stammgut – es wird noch heute in Möhra gezeigt – nicht alle Brüder ernährte, möglich auch, daß Hans Luder schon in Möhra, wo Bergbau getrieben ward, Bergmann war und in Eisleben, dessen Bergbau damals im Aufblühen war, lohnende Arbeit zu finden hoffte.

Leicht wird er sich von der Scholle, auf der er geboren, nicht gelöst haben, denn er war ein rechter Thüringer und liebte seine Heimat. Daß er es trotzdem getan, zeugt wie sein ganzes weiteres Leben von der Tatkraft, von dem starken Sinne des Mannes.

Als ihm Eisleben nicht bot, was er gehofft, ergriff er – es war ein halbes Jahr nach Martins Geburt – von neuem den Wanderstab und wandte sich gen Mansfeld, wo der Bergbau ebenfalls in hoher Blüte stand, ob es ihm hier gelingen möchte, sich ein dauerndes Heim zu gründen. „Blutsauer“ mußte er wie seine Margarete es sich werden lassen, so sauer, daß der Sohn, nachdem er erzählt, wie der Vater ein armer Häuer gewesen und die Mutter das Holz auf dem Rücken heimgetragen, hinzufügt: „jetzt würden´s die Leute nicht mehr aushalten“; aber Gott war mit ihnen. Trotz des reichen Kindersegens, der in Hans Luders Haus einzog – wir wissen von 6 Geschwistern Martins – hob sich des Hauses Wohlstand und des Hausherrn Ansehen in der Gemeinde. Er ward bald Vertreter derselben, mit den angesehensten Geschlechtern der Stadt verkehrte er, bei den regierenden Grafen von Mansfeld stand er in hoher Achtung. Noch ist von dem Wohnhause, das er sich gebaut, der Eingang, ein Rundbogen von rotem Sandstein, erhalten, und noch steht über diesem Eingange zum jetzigen Mansfelder Lutherhause das alte Wappen der Familie, Rose mit Herz und Kreuz, und die Jahreszahl 1530 neben dem I. L. Hier lebte und starb Hans Luder, der uns den Mann erzogen, auf den wir Deutsche stolz sein können, wie auf wenige unseres an großen Männern so reichen Vaterlandes.

Spärlich sind die Nachrichten über Luthers Kindheit, das Beste erfahren wir von ihm selbst in seinen Tischreden, diesem goldenen Schatzkästlein, in dem zu lesen und wieder zu lesen, deutsche Christenleute nicht müde werden sollten.

Hans Luder und sein Ehegemahl waren fromm und brav, und zu frommen, gehorsamen Kindern wollten sie die, welche ihnen Gott schenkte, erziehen, aber die Sorgen des Lebens waren groß, und die Zeit war hart, hart die Zucht der Kinder. Luther hat das an sich erfahren, und wenn seine Eltern stets seine Verehrung und Liebe besessen haben, durchkämpfen hat er sich müssen zu dieser Liebe. „Mein Vater stäupte mich einmal so, daß ich ihn flohe und ward ihm gram, bis er mich wieder zu ihm gewöhnte“, erzählt Luther selbst und weiter: „meine Eltern haben mich gar hart gehalten, daß ich darunter gar schüchtern wurde. Die Mutter stäupte mich einmal um einer geringen Nuß willen, daß das Blut hernach floß, und ihr Ernst und ihr gestreng Leben, das sie mit mir führten, das verursachte mich, daß ich hernach in ein Kloster lief und ein Mönch wurde, aber sie meintens herzlich gut. Doch sie konnten die ingenia nicht unterscheiden, danach man die Strafen muß bemessen. Daher man muß also strafen, daß der Apfel bei der Ruten sei.“

War es so im Hause, so herrschte in der Schule der Stock allein. Strafen schienen die einzigen Mittel der Erziehung. Martin Luther ward früh in die Schule geschickt. Er war noch so klein, daß er von einem älteren Knaben, dem späteren Mansfelder Bürger Ömler, zum öfteren in die Schule, die in der oberen Stadt lag, getragen wurde. Von scharfer Auffassungsgabe, lernte er schnell, was die Schule ihm bieten konnte, Lesen und Schreiben und etwas Lateinisch. Aber das ersparte ihm die harten Strafen nicht. Bitter genug klingen seine Worte, wenn er in Erinnerung an seine Schulzeit sagt: „Viel ungeschickte Schulmeister verderben feine ingenia, mit ihrem Poltern, Stürmen, Streichen und Schlagen, wenn sie mit Kindern anders nicht, denn gleich als Henker oder Stockmeister mit einem Diebe umgehen. Ich bin einmal in der Schule fünfzehnmal nacheinander gestrichen worden. Man muß Kinder stäupen und strafen, aber gleichwohl soll man sie auch lieb haben.“ Aber von der Liebe wußte die Kindererziehung jener Tage so wenig wie das Christentum. Gott war der Gebieter Himmels und der Erden, dem man sich nicht zu nahen wagte denn durch die Fürbitte der Mutter Maria oder der Heiligen. Furcht empfanden vor ihm die Menschenkinder, sie erblaßten und erschraken vor Christi Namen, denn nur als einen strengen und zornigen Richter kannten sie ihn, Furcht vor den Eltern erfüllte auch die Herzen der Kinder. Wie kleinmütig und schwachgläubig sie waren, Luther hat es uns selbst zum öfteren an einem Beispiel aus seiner Mansfelder Schulzeit erzählt. „Einmal in der Jugend, da ich und sonst ein Knabe daheim in der Fastnacht, wie Gewohnheit ist, vor der Türe sungen, Würste zu sammeln, da scherzte ein Bürger mit uns und schrie laut: Was macht ihr bösen Buben, daß euch dies und das bestehe? kommt zu uns gelaufen mit zwei Würsten und will sie uns geben. Ich und mein Gesell aber erschraken vor dem Geschrei, flohen vor dem frommen Mann, der uns kein Leid, sondern Guts gedachte zu tun. Und daß es ja an ihm nicht fehle, rief er uns nach, gab uns gute Worte, daß wir wieder zurück kehrten und die Würste von ihm nahmen.“

1 Dass ihn schwere Schuld und drohende Strafe aus der Heimat getrieben, ist Erfindung der Gegner, die Luther in seinem Vater zu beschimpfen für nötig fanden.

 

2. Luther in Magdeburg und Eisenach

 

Bis zu seinem 14. Jahre besuchte er die Mansfelder Schule, dann zog er 1497 nach des Vaters Willen mit seinem Spielgefährten Johann Reinicke, des Bergvogts Sohn, der Zeit seines Lebens sein Freund geblieben, gen Magdeburg zu den Loll oder Nollbrüdern die in freien Vereinen Werke der Wohltätigkeit übten und auch als Lehrer sich des besten Rufes erfreuten. Denn Luthers Vater dachte, was der Sohn später ausgesprochen: „Eltern können ihren Kindern keinen bessern noch gewissern Schatz lassen, denn daß sie sie lassen studieren und gute Künste leinen. Haus und Hof verbrennet und gehet dahin, Kunst aber ist gut zu tragen und bleibt.“ Freilich was Hans Luder seinem Martin mitgeben konnte, das war wenig genug. Und so mußte sich der Sohn wohl mühsam in der großen Stadt durchschlagen, wie so viele andere „Schützen“ (d. h. Schüler) damals auch. Luther selbst sagt später: „Verachte mir die Gesellen nicht, die vor der Tür panem propter Deum (d. i. Brot um Gottes willen) sagen und den Brotreigen singen. Ich selbst bin auch ein solcher Partekenhengst gewesen und habe vor den Häusern genommen, sonderlich zu Eisenach, in meiner lieben Stadt.“

Nach Eisenach nämlich kam Martin Luther schon 1498. Warum er Magdeburg so bald verlassen, ist unbekannt. Vielleicht hoffte der Vater, daß die Verwandten seiner Gattin in Eisenach etwas für den Sohn tun könnten, Vielleicht auch genoß die Schule in Eisenach eines besonderen Rufes. Gewiß ist, daß die Eindrücke, die Luther in Eisenach, „seiner lieben Stadt“ erhielt, nur gute waren. Freilich die Hoffnung, wenn sie sein Vater gehegt, durch die Verwandten der Mutter ausreichende Unterstützung für den Sohn zu erhalten, erwies sich als eitel. Martin Luther mußte auch hier um Brot vor der Leute Türen singen, aber gerade sein Gesang gewann ihm eine Schützerin in der Frau Ursula Cotta, der Gattin eines reichen Eisenacher Kaufherrn. Die Bescheidenheit des armen Jünglings gewann ihr Herz, sie gewährte ihm Tisch und Wohnung in ihrem Hause und verschaffte ihm durch ihre Beziehungen – sie war eine geborene Schalbe, und ihre Familie gehörte zu den angesehensten in Eisenach – manche andere Unterstützungen. Der Sorge um den Unterhalt war Luther nun enthoben, in dem Cottaischen Hause lernte er sich auch gesellschaftlich bewegen, sein Geist erhob die Schwingen freier, um so mehr als auch die Schule in Eisenach einen freieren Zug gehabt haben muß, der weit entfernt war von der fürchterlichen Strenge, die in den Schulen jener Zeit herrschte; nahm doch, wie erzählt wird, einer der bedeutendsten dortigen Lehrer, Johannes Trebonius, „ein ansehnlicher gelehrter Mann und Poet“, jedesmal beim Eintritt in die Schulstube sein Barett ab, „da Gott unter den anwesenden Jungen manchen zu einem Bürgermeister oder Kanzlei oder gelehrten Doktor ausersehen haben werde.“ Luther selbst hat später die Schule Melanchthon gegenüber gerühmt und mit einem seiner Eisenacher Lehrer, dem späteren Pfarrer Wiegand, freundschaftliche Beziehungen unterhalten. Die Fortschritte, die der begabte Jüngling hier machte, waren groß. Er lernte nicht nur tüchtig Latein schreiben und sprechen, er machte auch lateinische Verse, was damals als die höchste Leistung der lateinischen Schulen gepriesen ward, und konnte so nach wenigen Jahren daran denken, die Universität 1501 zu beziehen.

 

3. Luther auf der Universität Erfurt

 

Die damaligen deutschen Universitäten, wie sie seit der Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden, waren kirchliche Stiftungen, oft gegründet durch Vereinigung mehrerer Pfarren zu einem Stift, dessen Pfründen dann den neuen Professoren zufielen. Theologie und geistliches Recht und, als Vorstufe zu diesen Wissenschaften, die Philosophie waren die Hauptlehrgegenstände. Das ganze 14. und 15. Jahrhundert hindurch hatte auf den deutschen Hochschulen der Scholasticismus geherrscht, d. h. die mittelalterliche theologische und philosophische Schulwissenschaft, welche sich wohl beschäftigte mit den höchsten Fragen des Seins, sie aber nur in strenger Unterwerfung unter die kirchlichen Glaubenssätze behandelte und von vornherein darauf verzichtete, über das Lehrgebäude der römischen Kirche, wie es das Papsttum im Laufe der Zeit errichtet hatte, hinauszugehen. Natürlich, daß die geistige Arbeit zuletzt und je länger je mehr in Spitzfindigkeiten sich verlor. Dazu kam, daß die Sprache dieser scholastischen Gelehrten, ihr Latein, immer barbarischer wurde, „roh und matt, weder deutsch, noch lateinisch, sondern beides und keines von beiden“. Da geschah es, daß im 15. Jahrhundert von Italien aus das Studium der Alten, das dort nie ganz geschlummert, neu erweckt ward und das Gefühl für die klassische Schönheit der alten Schriftsteller auch diesseits der Alpen Boden gewann. Die deutsche Gemütstiefe hielt sich fern von dem Kultus des Genies, von der fast heidnischen Weltanschauung, die mit der Lektüre der griechischen und lateinischen Klassiker in Italien bei den Gebildeten herrschend ward; der Humanismus – so nannte man die Richtung im Gegensatz zu dem herrschenden Scholasticismus – der Humanismus der Deutschen entfernte sich nicht vom Christentum, aber er hatte ein offenes Herz und öffnete es seinen Schülern für die Schönheit des Altertums, die so schroff entgegenstand der barbarischen Rohheit der eigenen Zeit.

Die Universität Erfurt, die Luther bezog, für jeden Thüringer die nächste und von ihm wohl gewählt, auch wenn sie nicht, wie damals der Fall, in solchem Ansehen gestanden und so berufen gewesen wäre, „daß alle anderen dagegen für kleine Schützenschulen angesehen worden“, war ursprünglich eine scholastische, wie alle anderen Universitäten auch, aber der Humanismus hatte damals schon in Erfurt seinen Einzug gehalten. Doch war es, als Luther ankam, noch nicht zum Streite zwischen beiden Richtungen gekommen. Das war der Boden, auf den Luther mit seinem Wissensdrang und seiner brennenden Liebe zum Studium, wie sie ihm die Eisenacher Schule erweckt, verpflanzt war und auf dem er nun um so leichter wachsen und gedeihen konnte, als die Mühsalen des Lebens weiter durchzukosten ihm durch seinen Vater, dessen Vermögensverhältnisse sich gebessert hatten, erspart ward. „Mein lieber Vater,“ erzählt er, „hielt mich dort mit aller Liebe und Treue und hat durch seinen sauren Schweiß und Arbeit dahin geholfen, da ich hin kommen bin.“

Theologie war damals der Wissenschaften erste, die Stellung des Priesters die höchste auf Erden, gleichwohl wollte Hans Luder seinen Sohn nicht Theologie, sondern die Rechtswissenschaft studieren lassen, denn er hoffte in ihm einen angesehenen Mann nicht bloß, sondern auch den Stifter einer angesehenen Familie zu erziehen. Martin Luther war durchaus nicht gegen des Vaters Plan, aber weil die philosophischen Wissenschaften aller Gelehrsamkeit Grundlage und Boden seien, widmete er sich zuerst dem Studium der Philosophie, die an der Erfurter Universität einen hochberühmten Vertreter in Jodocus Trutvetter aus Eisenach besaß. Mit großem Eifer gab sich Luther den philosophischen Studien hin; als „gelehrter Philosoph“ galt er seinen Studiengenossen, doch behielt er noch Zeit, auch Ovid, Vergil, Plautus, Terenz, Cicero und, wie es die damalige Zeit verlangte, die Neulateiner, namentlich die Poeten, fleißig zu lesen. Doch waren das immer nur Nebenbeschäftigungen ein „Poet“ ward er selbst nicht, dazu war der Kern seines Wesens zu deutsch, sein Gemütsleben zu tief. Das Latein blieb ihm immer eine fremde Sprache, er studierte die lateinischen Klassiker um ihrer Gedanken und ihrer tiefsinnigen Aussprüche willen, die in seinem treuen Gedächtnis fest haften blieben, wie er denn darum später noch bedauerte, daß er nicht mehr von den Alten habe lesen können. Gern beteiligte er sich an den Disputier-übungen, die an den Universitäten im Schwange waren, und seine Schärfe, sein Feuer machten ihn bald zu einem gefürchteten Gegner.

Geselligem Verkehr mit seinen Studiengenossen gab er sich mit Lust hin. Sein Gesang, durch den er einst auf der Schule seinen Unterhalt sich verdient, erfreute jetzt seine Genossen. Auf der Universität noch lernte er das Lautenspiel und muß es darin zu einer hohen Fertigkeit gebracht haben; war er doch als „Musiker“ in seinem Kreise berühmt. Abgezogen von seinen Wissenschaften ward er dadurch jedenfalls nicht, denn schon nach Ablauf des dritten Semesters noch im Jahre 1502 erlangte er die Würde eines Baccalaureus. Damit hatte er den ersten der akademischen Grade erlangt, die damals mit solchem Gepränge verliehen wurden. Im Anfang des Jahres 1505 wurde er Magister und begann sich nun, dem Plan seines Vaters entsprechend, dem juristischen Fachstudium zuzuwenden. Hans Luder kaufte dem Sohn das teure Corpus juris, die juristischen Lehrer an der Universität waren tüchtig, Martin Luther voll Eifers, alles schien in dem besten Geleise, ihn in die Laufbahn zu bringen, die der Vater für ihn gewählt, da trat ein Ereignis ein, das allen solchen Plänen ein jähes Ende bereitete: Im Hochsommer des Jahres 1505 ward Martin Luther Augustinermönch in Erfurt.

 

ZWEITER ABSCHNITT

Die Jahre im Erfurter Kloster und an der Universität Wittenberg bis zum Beginne des Ablaßstreites

1. Luthers Eintritt ins Kloster

 

Was war‘s, das den kaum 22 jährigen lebensfrohen Magister dazu gebracht, so plötzlich der Welt, ihren Freuden, ihren Ehren den Rücken zu kehren, um sich hinter den Klostermauern zu bergen? Waren es erschütternde Erlebnisse der jüngsten Zeit, die ihn zu diesem Entschlüsse bewogen, waren es lange und schwere innere Seelenkämpfe? Nach dem, was wir von Luther selbst darüber wissen, dürfen wir beide Fragen bejahen.

Luther war eine tiefinnerliche Natur, nicht geschaffen, wie viele seiner Zeitgenossen, sich leicht abzufinden mit der Aufgabe, die Gott dem Menschen gestellt, seine Gebote zu erfüllen. Er fühlte die ganze furchtbare Schwere dieser Forderung. Jeden Morgen begann er früh sein Tagewerk mit Gebet, er hörte regelmäßig die Messe, er war bei aller Lebenslust, die er im Kreise seiner Freunde zeigte, ein frommer Jüngling, und keiner von seinen Lehrern und Bekannten in Erfurt – und es waren gar manche darunter, die später seine Feinde oder doch Gegner geworden, – hat ob seines Lebens ihm Vorwürfe machen können, aber innere Ruhe und Befriedigung gewann Luther damit doch mit Nichten. Der Herr Gott, der im Himmel thront, und sein lieber Sohn Jesus Christus zu seiner Rechten waren ihm nur die strengen Richter, deren furchtbarem „Du sollst dies tun und jenes lassen“ er immer wieder, wahr und aufrichtig wie er war und blieb, mit seinem „Ich kann nicht“ antworten mußte. Er zermarterte sein Herz und seinen Sinn, wie er könne „fromm werden und einen gnädigen Gott kriegen“. Denn daß bei all seinem Bemühen nur die Gnade Gottes ihm helfen könne, des war er sicher und gewiß. Aber wie diese Gnade erlangen? Seine Kirche, in der er geboren und erzogen war, der er diente, wie er es von Eltern und Lehrern gelernt, kannte nur einen sicheren Weg, um zu diesem Ziele zu gelangen, man mußte Mönch werden. Es war der Wahn jener Zeit: „wenn einer eine Mönchskappe anzöge, so würde er von Sünden und Tod erlöset“. Man verglich die Kappe, sagt Luther, dem teuren Blute Christi, ja, zog sie ihm vor. Dem eintretenden Mönche rief man bei der Verpflichtung auf die Regel des Ordens zu: „Willst du dich nach dieser Regel halten, so verheiße ich dir das ewige Leben“. Und wer nicht als Mönch gelebt, der wollte wenigstens als Mönch sterben oder begraben sein, um die Seligkeit damit zu erlangen. Gelehrte und Fürsten ließen sich in Mönchskutten bestatten, und wer sie in der Kutte sah, der brach aus in die Worte: „Sehet, wie sind sie jetzt so fromm“. Fürsten verschmähten es nicht, dem Leben zu entsagen und Mönche zu werden. Luther selbst sah in seiner Schulzeit zu Magdeburg einen Fürsten von Anhalt in der Stadt herumgehen und Brot betteln und selbst den Sack tragen, wie hätte ihm in seiner Gewissensnot nicht der Gedanke kommen sollen: „Gehe hin und tue, wie er getan?“ Noch hatte er solche Anwandlungen immer wieder überwunden, meist wohl durch den Gedanken an seine Eltern, an seinen Vater, der dem mönchischen Wesen bei all seiner Frömmigkeit so gar nicht zugetan war, denn er hatte „an vielen Exempeln gelernt, daß Möncherei vielen unseliglich gelungen“, aber der Boden war in Luther bereitet, es bedurfte nur eines Zusammentreffens äußerer Umstände, und Luther mußte dem Mönchtume verfallen. Und diese erschütternden Ereignisse trafen nun sein aufgeregtes Gemüt schnell hintereinander. Schwere Krankheit warf ihn darnieder, und die Worte eines jungen Freundes: „Seid getrost, Ihr werdet dieses Lagers nicht sterben; unser Gott wird noch einen großen Mann aus Euch machen, der viele Leute trösten wird“, deren er sich noch später erinnert, sie können ihm in jener Zeit dauernden Trost nicht gebracht haben. „Traurig pflegte“, wie er selbst später sagte, „damals der junge Magister einherzugehen.“ Ein jähes Geschick entriß ihm einen treuen Freund. Die Möglichkeit eines schnellen Todes, ehe er der Gnade seines Gottes, der Vergebung der Sünden sicher geworden, war ihm unmittelbar vor Augen getreten. Sein Trübsinn wuchs. Da begab es sich, als er im Sommer des Jahres 1505 eine Reise zu den Seinen nach Mansfeld gemacht, daß er bei der Rückkehr allein in der Gegend von Stotternheim, einem jetzt weimarischen Dorfe unweit Erfurt, von einem furchtbaren Gewitter überrascht wurde. Seine geängstigte Seele erzitterte vor der Majestät der Naturerscheinung, die ihm nur als Beweis von Gottes Zorn erschien, und als ein mächtiger Blitzstrahl vor ihm niederfuhr, da fiel er in seines Herzens Bangigkeit nieder auf die Erde, und in Todesangst rief er: „Hilf, liebe Sankt Anna, ich will ein Mönch werden.“ Das Wort, das Gelübde, das ihn band, war gesprochen. Es war „ein gezwungen und gedrungen Gelübde“, getan, als er mit „Erschrecken und Angst des Todes eilend umgeben“ war, aber auch ein solches Gelübde mußte nach der Lehre der Kirche gehalten werden, selbst wenn dadurch der Gehorsam gegen Vater oder Mutter verletzt ward. Luther war nicht zweifelhaft, was er zu tun habe. Daß sein Vater sich seinem Vorhaben widersetzen würde, bestärkte ihn wohl nur darin, schnell zu handeln, ehe jemand von seinem Entschlüsse erfuhr. Am 2. Juli hatte er das Gelübde getan, am 16. versammelte er seine liebsten Freunde noch einmal um sich, mit Musik und in edler Geselligkeit, wie es weltlicher Jugendlust ansteht, sich zu ergötzen zum letzten-male. Er teilte ihnen mit, was er tun wolle, was er nach seinem Gelübde tun müsse, und alle Gründe, die sie vorbrachten, konnten ihn nicht bewegen, seinen Entschluß zu ändern. „Heute,“ sagte er, „seht Ihr mich und nimmermehr.“ Am 17. Juli trat er als Novize, d. h. als Prüfling in den Augustinerorden ein.

 

2. Luther im Augustinerkloster zu Erfurt

 

Die Augustiner, in deren Kloster er Zuflucht suchte vor seiner Gewissenspein, waren Bettelmönche wie die Franziskaner und Dominikaner auch. Daß Luther einen solchen Orden wählte, war bei seiner Seelenstimmung nur natürlich, galt es ihm doch, sich aller weltlichen Sorgen zu entschlagen, und wo hätte er das besser tun können als im Schoße einer Brüderschaft, die verzichtet hatte auf jeden Besitz für den Einzelnen nicht bloß, sondern auch für die Gesamtheit, die leben sollte von der Menschenkinder Milde und Barmherzigkeit? Und die Augustiner genossen unter diesen Bettelmönchen eines besonderen Rufes. Die Entartung der Klöster war damals in Deutschland in aller Munde. Von der Schwelgerei, von der Üppigkeit, von dem unsauberen und unheiligen Leben der Mönche und Nonnen wußte man gar viel zu erzählen. Um das Ansehen der Augustiner stand es im allgemeinen besser, namentlich die „reformierten“ Klöster, die sich in einen besonderen Verband zusammengetan und unter einen „Generalvikar“ gestellt hatten, waren allgemein geachtet. Das Erfurter Augustinerkloster gehörte dieser Kongregation an, deren Generalvikar damals der später um Luther so hoch verdiente Johann von Staupitz war.

So trug denn Luther, feierlich aufgenommen mit Gesang und Gebet unter des Klosters Novizen, die Tracht des Ordens, über dem weißen wollenen Hemd eine Kappe mit Kapuze von schwarzem Tuch, um den Leib einen schwarzen Gürtel von Leder, über der Kappe hängend fiel das Skapulier, ein schmaler Streifen Tuch, bis zu den Füßen herab. Noch war er nicht Mönch, denn nach den Ordnungen des Klosters mußte er erst ein Probejahr überstehen, in dem er unter der Obhut eines Novizenmeisters in allen mönchischen Werken unterwiesen, seine Seele und sein Wandel geprüft werden sollte. Man hätte ihm eine solche Prüfungszeit ersparen können. An seinem Ernst war nicht zu zweifeln. Für ihn gab es kein „Zurück“. Er selbst sagt uns später: „Ich gedachte nie wieder aus dem Kloster zu gehen; ich war der Welt rein abgestorben“. Seine Bücher hatte er der Welt, der er entsagt, zurückgelassen, nur Plautus und Vergil begleiteten ihn ins Kloster, seinen Magisterring schickte er der Universität zurück. Er schrieb jetzt auch seinen Eltern, was er getan. Sein „Vater wollte darüber gar toll werden, war übel zufrieden und sagte ihm alle Gunst ab.“ Er hieß den Sohn nun wieder Du, zuvor hatte er ihn Ihr geheißen, weil er Magister geworden, und sein Zorn wollte sich lange nicht legen. Erst als er zwei Söhne an der Pest verlor, als die Pest auch in Erfurt viele Opfer forderte und man auch Martin schon tot gesagt, gab er endlich nach, aber schweren Herzens.

Inzwischen hatte Luther im Kloster schwere Tage überstanden. Gerade ihm, dem jungen Gelehrten, machte man die Prüfungszeit nicht leicht, denn der Mönche Ansicht in solchem Falle war, wie Luther selbst es nachher ausgedrückt hat: „Wird dieser Frater studieren und gelehrt, so wird er unser Herr wollen sein, ergo Saccum per Nackum; darum hänge man ihm den Sack um den Nacken und lasse ihn betteln gehen von Haus zu Haus, durch die Stadt und auf dem Lande.“ Luther ward zu den niedrigsten Arbeiten in und außer dem Kloster gebraucht, um jede Regung von Hochmut zu ersticken, um ihn zu dem ersten Gesetze des Mönchtums, zum Gehorsam, zu erziehen. Er selbst beugte sich dem willig, denn jede Arbeit, wenn sie ihm aufgetragen ward von seinen Oberen, brachte ihn der Gnade Gottes näher, und so fegte er die Zellen und sammelte Butter, Käse und Eier für das Kloster in den Häusern, wie ihm geboten; aber als die Universität, an der er seine akademischen Grade erworben, für ihn eintrat, sah er es doch als eine Erleichterung an, von diesen Arbeiten erlöst zu sein, gewann er doch so um so mehr Zeit, einer anderen Forderung seiner Klosterregel gerecht zu werden, sich einer Beschäftigung hinzugeben, die für ihn nun die Hauptarbeit seines Lebens werden sollte, dem Studium der Bibel.

Luther war zwanzig Jahre alt geworden, ehe er eine Bibel in die Hand bekommen. Mit Verwunderung hatte er damals gesehen – er war noch Student in Erfurt, und auf der Bibli-otek hatte er das Buch gefunden – daß diese Bibel so viel mehr enthielt, als er aus der Kirche und den üblichen Büchern kannte. Einzelnes, was er damals gelesen in dem heiligen Buche, hatte ihn tief ergriffen; jetzt konnte er nicht bloß, jetzt sollte er sich der Bibelforschung hingeben, und er tat es mit dem rastlosen Eifer, der ihn bei seinen Studien beseelte. Aber freilich, was er suchte, konnte er lange, lange nicht finden, nicht in der Bibel, nicht im Kloster.

Nach Ablauf seines Novizenjahres ward er aufgenommen in den Orden, er war nun Mönch und damit nach der Ansicht seiner Zeit so rein von Sünden wie das neugeborene Kindlein nach der Taufe, er erhielt 1507 die Priesterweihe und ward damit gar hoher Ehren teilhaftig. Denn der Priesterstand war der erste auf Erden nach der Meinung der Zeit, Priester zu sein eine Ehre nicht bloß für den Träger so hoher Weihe, eine

Ehre für die ganze Familie, der er entsprossen. Zur Priesterweihe des Sohnes kam denn auch Hans Luder nach Erfurt. Mit stattlichem Gefolge erschien er, aber die Freude über den Ehrentag seines Sohnes war ihm nicht rein und ungetrübt, er hatte „nicht weggelegt seine Furcht und Sorge.“ „Denn“ schreibt Luther später selbst an den Vater, als er ihm das Buch von den geistlichen und Klostergelübden schickte, „ich gedenke noch allzuwohl, da es wieder unter uns gut ward und du mit mir redetest, und da ich dir sagte, daß ich mit einer schrecklichen Erscheinung vom Himmel gerufen wäre.“ „Und gleich daselbst sagtest du: Gott geb, daß es nicht ein Der Ehrentag hatte einen Flecken; aber wäre er auch rein gewesen, wie Gottes Sonne, war denn Luther um der Ehre willen Mönch, war er darum Priester geworden? Nein, Gottes Gnade suchte er, sie hoffte er so eher zu erlangen. Fand er sie? Mit wahrer Inbrunst erfüllte er seine Pflichten als Mönch; die Gebetsstunden, die horas canonicas verbrachte er im Singen vor Gott, er kasteite sich, er beichtete alles, was ihm sündlich in seinem Leben erschien, was er getan, was er gedacht; er quälte sich ab, daß ihm ja keine seiner Sünden entginge, um alle beichten und für alle dann auch Vergebung erlangen zu können. Und als er Priester geworden, da fühlte er die Größe,

 

 

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Luther in der Ordenstracht der Augustiner, nach einem Holzschnitte vom Jahre 1523

 

„Des Luthers Gestalt mag wohl verderben, Sein christlich Gemüt wird nimmer sterben“

 

 

aber auch die Schwere des Amtes so ganz, er zitterte und erbebte, als er das erste Meßopfer brachte, er wäre vom Altar

weggeeilt, wenn ihn nicht sein alter Klosterlehrer zurückgehalten. Wohl konnte er es von sich aussprechen: „Wahr ist‘s, ein frommer Mönch bin ich gewesen und habe so strenge meinen Orden gehalten, daß ich‘s sagen darf: Ist je ein Mönch gen Himmel kommen durch Möncherei, so wollte ich auch hineinkommen sein. Das werden mir bezeugen alle meine Klostergesellen, die mich gekannt haben, denn ich hätte mich, wo es länger gewähret hätte, zu Tode gemartert mit Wachen, Beten, Lesen und anderer Arbeit.“ Aber die Qual in seinem Innern beschwor er damit nicht. Und die Bibel, die nachmals sein Ein und Alles geworden, konnte sie ihm nicht bieten, wonach er mit aller Kraft seiner Seele verlangte? Er studierte sie unablässig, er vertiefte sich in das Gesetz und die Propheten, in den Psalter und das neue Testament, aber ihm fehlte der Schlüssel zum Verständnis der heiligen Bücher noch ganz. Auch aus ihnen redete ihm nur der zornige Gott, der strenge Richter, die Gnade suchte er noch vergebens. Wohl hatte er Augenblicke, wo er in mönchischer Gerechtigkeit sich gut dünkte vor Gott, aber nur um so tiefer empfand er nachher seinen Unwert, um so verzweifelter rang er mit sich. Wäre ihm nicht durch Gott Hilfe gekommen, „er wäre, wie er später sagte, in den Anfechtungen ersoffen“. Was für Gedanken, für Gefühle ihn damals durchbebt, das hat er in einigen seiner ersten Kirchenlieder, die er seiner Gemeinde geschenkt, deutlich genug ausgesprochen. So heißt es in dem Liede: „Nun freut Euch, lieben Christen gemein“

 

Dem Teufel ich gefangen lag,

Im Tod war ich verloren,

Mein Sund mich quälte Nacht und Tag,

Darin ich war geboren.

Ich fiel auch immer tiefer drein.

Es war kein Guts am Leben mein,

Die Sund hatt mich besehen.

Mein gute Werk die gelten nicht,

Es war mit ihn‘n verdorben,

Der frei Will haßet Gotts Gericht,

Er war zum Guten erstorben.

Die Angst mich zu verzweifeln trieb,

Daß nichts denn Sterben bei mir blieb,

Zur Hölle mußt ich sinken.

 

und in: „Aus tiefer Not“

 

Bei dir gilts nicht denn Gnad und Gunst,

Die Sünde zu vergeben,

Es ist doch unser Tun umsonst

Auch in dem besten Leben,

Vor dir niemand sich rühmen kann,

Des muß dich fürchten jedermann,

Und deiner Gnade leben.

Darum auf Gott will hoffen ich.

Auf mein Verdienst nicht bauen;

Auf ihn mein Herz soll laßen sich

Und seiner Güte trauen,

Die mir zusagt sein wertes Wort,

Das ist mein Trost und treuer Hort,

Des will ich allzeit harren.

 

Und wer war‘s, durch den ihm Gott heraushalf aus diesen Anfechtungen? Kein Geringerer als der Generalvikar des Ordens selbst, Johann von Staupitz. Wohl war schon manches herzliche Wort seines alten Novizenmeisters, der trotz seiner Mönchskutte nach Luthers eigenem Ausspruch doch ein wahrer Christ war, tröstend in sein Herz gedrungen, wohl hatte seine Betonung des apostolischen Bekenntnisses „Ich glaube eine Vergebung der Sünden“, wohl hatte sein Hinweis darauf, daß Gott selbst uns geboten habe zu hoffen, ihn etwas aus seiner tiefen Niedergeschlagenheit erhoben, das erlösende Wort war doch noch nicht gefallen, Staupitz sollte das weitere tun, um Luther den rechten Weg dazu finden zu lassen. Ihm war der junge gelehrte Mönch gleich bei seinen ersten Visitationen aufgefallen, er hatte inniges Mitgefühl mit Luthers inneren Kämpfen, deren Schwere er wohl nachempfinden konnte. Er verwies dem Grübler ernstlich seine Selbstquälerei, wenn er aus Luthers Beichte ersah, daß er sich Sünden mache, wo keine seien. Um solchen „Humpelwerks“ willen habe Gott seinen Sohn nicht dahingegeben. „Gewöhnt Euch daran,“ sagte er einmal, „daß Christus der wahrhafte Heiland ist und Ihr ein wirklicher Sünder seid.“ Er belehrte ihn über das Wesen der Reue und Buße, er zeigte, daß es mit dem Kasteien und Gebethersagen und den äußerlichen Bußübungen nicht getan sei, daß man auf diesem Wege niemals zur wirklichen Buße kommen könne, daß der Grund, den man finden müsse, einzig sei die Liebe zur Gerechtigkeit und zu Gott. Vor allem suchte er Luther von einem Gedanken abzubringen, der ihn gepeinigt hatte schon in seinen Studentenjahren und der ihn jetzt immer wieder mit furchtbar erschütternder Gewalt packte, daß Gott ihn zum Verderben bestimmt haben könne. Er verwies ihn auf die Liebe Gottes, auf seine Gnade, auf die Wunden Christi, der sich für uns dahingegeben in unendlicher Liebe, wie könne da der Gedanke unabwendbaren Verlorenseins bestehen? Aber der Gnade Gottes müsse man auch allein vertrauen, denn Menschenkraft sei allzu schwach. „Ich will nicht mehr reden fromm zu sein,“ pflegte er zu sagen. „Ich habe Gott mehr denn tausendmal gelogen, daß ich wollte fromm werden, und hab‘s nie getan, ich sehe wohl, ich kann‘s nicht halten, ich will nimmer lügen. Ich will eines guten Stündleins erwarten, daß mir Gott mit seiner Gnade begegne, sonst ist‘s verloren.“ Diese Gnade Gottes, auf die ihn Staupitz so wieder und wieder hinwies, suchte er nun in der Schrift, und wie Schuppen fiel es ihm jetzt von den Augen, war doch alles nun so klar und so deutlich. Wo er nur den zornigen, richtenden, strafenden Gott gesehen, trat ihm jetzt der gnädige Gott entgegen. Die Gnade Gottes kam durch den Glauben, durch den Glauben allein, nicht durch die Werke. „Der Gerechte wird seines Glaubens leben“, dieses Wort des Habakuk, um dessen Ausführung, Durchdringung, Erläuterung sich der ganze Römerbrief des Paulus in seiner hehren Größe und Erhabenheit dreht, klang ihm jetzt überall entgegen, leuchtend hob er sich ihm ab von all dem, was um ihn stand. Er las des heiligen Augustin Erklärung des Spruches: „da ward‘ ich froh, sagt er, denn ich lernte und sah, daß Gottes Gerechtigkeit ist seine Barmherzigkeit, durch welche er uns gerecht achtet und hält; da reimte ich Gerechtigkeit und Gerechtsein zusammen und ward meiner Sache gewiß.“ Nicht als ob ihm nicht noch oft Stunden der Anfechtung gekommen wären, sie sind ihm in ihrer vollen Schwere später nicht erspart geblieben, sie blieben es jetzt nicht, aber er rang sich hindurch, er hatte seinen Grund gefunden. Daß dieser Grund, auf dem er stand, ein anderer war als der seiner Kirche, dessen war er sich in keiner Weise bewußt. Er war und blieb noch Augustiner mit Leib und Seele, noch war an seiner Ehrfurcht vor dem heiligen Vater nicht zu zweifeln. So stand es um Luther, als ihn seines Gönners Staupitz Einfluß von Erfurt an die neugegründete Universität Wittenberg brachte.

 

3. Luthers Berufung an die Universität Wittenberg

 

Die Universität Wittenberg war die jüngste der deutschen Hochschulen, erst 1502 hatte sie Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, das Haupt der Ernestiner, der älteren Linie des Hauses Wettin, gegründet. Der Umstand, daß bei der Teilung der Wettinischen Lande die Universität Leipzig, die in den 100 Jahren, die seit ihrem Entstehen vergangen, schnell zu großer Blüte gelangt war, der jüngeren Linie des Hauses, den Albertinern, zugefallen, hatte gewiß die erste Veranlassung gegeben zur Neugründung dieser kursächsischen Universität in der kleinen Stadt Wittenberg – sie zählte damals nur gegen 3000 Einwohner – die alleinige Veranlassung aber war es wohl nicht. Der Kurfürst, ein frommer und treuer Landesherr, glaubte seinem Lande einen Dienst damit zu erweisen, wenn er ihm einen Mittelpunkt geistigen Lebens schuf, er hoffte auch in der Universität sich und seinen Nachbarn ein „höchstes Tribunal“ zu schaffen, an welches sie sich wenden könnten als an ein Orakel, „so daß wir“, sagt er in der Bestätigungsurkunde von Wittenberg, „wenn wir voll Zweifels gekommen, nach empfangenem Bescheid unserer Sache gewiß uns wieder entfernen“. Eine neue Auffassung in dem, was die Universität sein sollte, macht sich also nicht geltend. Die neue Hochschule stand in dieser Hinsicht ganz auf dem Boden der älteren deutschen Universitäten, unterschieden nur dadurch von ihnen, daß sie keine selbständige gelehrte Körperschaft war, sondern ein wesentlich staatliches Institut, dessen Lehrer der Landesherr allein berief.

Die Männer, welche Friedrich der Weise zunächst bei Gründung der Universität zu Rate zog, waren wohl geeignet, der Hochschule tüchtige Kräfte zuzuführen: Martin Pollich aus Melrichstadt, der erste Rektor der Universität Wittenberg, galt für einen der tüchtigsten und vielseitigsten Gelehrten jener Zeit, und Johann v. Staupitz, der uns schon bekannte Generalvikar der Augustiner, war ein Theologe von Ruf, der in seiner hervorragenden Stellung im Augustinerorden Gelegenheit genug hatte, tüchtige Lehrer für die Universität zu werben. Er war der erste Dekan der theologischen Fakultät, in der Augustinermönche die wichtigsten Lehrer waren. Freilich seine Amtsgeschäfte erlaubten ihm selten dauernderen Aufenthalt in Wittenberg zu nehmen, er scheint in den Jahren, die der Gründung folgten, lange abwesend gewesen zu sein, und als nun noch eine Seuche die Stadt Wittenberg 1505/1506 heimsuchte, da war die Existenz der Hochschule in ernstlicher Gefahr. Aber 1508 ward Jodokus Trutvetter von Erfurt, den wir als den hervorragendsten Lehrer der dortigen Universität oben kennen gelernt, berufen, und 1508/1509, als Staupitz von neuem Dekan der theologischen Fakultät war, bewog er den Kurfürsten zur Berufung Luthers, dem Staupitz Großes zutraute und der denn auch mehr wohl, als sein Generalvikar geahnt, der Mittelpunkt der Universität werden sollte.

Luther war Augustinermönch, er gehorchte dem Rufe, der auf Veranlassung seines Generalvikars erging, so überraschend und unerwartet ihm derselbe auch kam. Und so finden wir ihn denn im Winter 1508/1509 als Lehrer der Physik und Dialektik des Aristoteles in Wittenberg, denn Philosophie nur konnte er als promovierter Doktor dieser Wissenschaft lesen, die Theologie zu lehren, blieb ihm noch versagt. Aber er brannte darauf, theologische Vorlesungen zu halten, und zwar aus dem Gebiete der Theologie, die, wie er sich ausdrückte „den Kern der Nuß und das Mark des Weizens erforscht“, darum ging er sofort daran, die dazu fehlenden Berechtigungen sich zu erwerben. Er erlangte auch den ersten Grad, den eines Baccalaureus der Theologie, schon vor Ablauf des eisten Halbjahres, das er in Wittenberg zubrachte, er las nun und erklärte Stücke der heiligen Schrift und tat dies mit solchem Erfolge, daß wohl damals Martin Pollich die Worte aussprach: „dieser Mönch werde alle Doktores irre machen, denn er lege sich auf der Propheten und Apostel Schrift und stehe auf Jesu Christi Wort“, dann aber ward er plötzlich mitten in den Arbeiten für den zweiten theologischen Grad – wir wissen nicht, aus welchen Gründen, aber vermutet wird, daß es auf Veranlassung seiner neidischen Ordensbrüder in Erfurt, zur Zeit, wo Staupitz von Wittenberg abwesend war, geschah – nach Erfurt zurückgerufen, erlangte hier den zweiten theologischen Grad, kehrte aber dann, wahrscheinlich als Staupitz‘ Rückkehr in Aussicht stand, 1511 nach Wittenberg zurück. Doch noch im selben Jahre, ehe er hier zu rechter, erneuter Wirksamkeit kommen konnte, führte ihn sein Geschick wieder aus Wittenberg.

 

4. Luthers Romreise