Italien, 1605: Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio, ist auf dem Weg, zum berühmtesten Maler Roms zu werden, und ihm wird Zugang zum innersten Kreis der Borghese gewährt, einer der mächtigsten Familien der ewigen Stadt. Aber seine Liebe zu den einfachen Menschen, gerade auch zu den Frauen aus der Unterschicht, die er als Modelle in seinen Bildern verewigt, trägt ihm immer wieder Konflikte ein. Er gibt nicht nach, wird in einen Straßenhändel verwickelt und tötet einen Adligen. Caravaggio muss Rom verlassen, aber seine künstlerische Auffassungsgabe und Unabhängigkeit bleiben für die Mächtigen aus Klerus und Adel eine Provokation. Was ist das Geheimnis dieses kurzen, genialischen Lebens und wer trägt die Schuld an Gewalt und frühem Tod? In seinem spannenden und glänzend geschriebenen Caravaggio-Roman erzählt Matt Beynon Rees von Liebe und Intrige, Verrat und Kunst, von Sinnlichkeit und Unterwerfung und führt uns ins Dunkel des Lebens eines der faszinierendsten Künstler Europas.
Matt Beynon Rees wurde 1967 in South Wales geboren. Er war lange Jerusalemer Bürochef der «Time», für die er weiterhin schreibt. Bei C.H.Beck erschienen mit großem Erfolg seine Omar Jussuf-Krimis «Der Attentäter von Brooklyn» (2011); «Der Tote von Nablus» (2010); «Ein Grab in Gaza» (2009) und «Der Verräter von Bethlehem» (2008), für die er u.a. den John Creasey Dagger der CWA erhielt, sowie der Kriminalroman «Mozarts letzte Arie» (2012). Matt B. Rees lebt mit seiner Familie in Jerusalem.
Klaus Modick, 1951 in Oldenburg geboren, wo er auch lebt, wurde für sein umfangreiches Werk u.a. mit dem Bettina-von-Arnim-Preis und dem Nicolas-Born-Preis ausgezeichnet. Er ist auch als Übersetzer von William Gaddis, John O’Hara (C.H.Beck) und Aravind Adiga (C.H.Beck) hervorgetreten. Zuletzt sind von ihm die Romane «Die Schatten der Ideen» (2008), «Sunset» (2011) und «Klack» (2013) erschienen.
Ein Caravaggio-Roman
Aus dem Englischen
von Klaus Modick
C.H.Beck
Die Hauptfiguren
Prolog: Verborgen geglaubte Dinge
I: Im Garten des Bösen
1: Berufung des heiligen Matthäus
2: Martha bekehrt Magdalena
3: Loreto-Madonna
4: Tod Mariens
5: Madonna dei Palafrenieri
II: Mit Blut signiert
6: Bildnis des Großmeisters
7: Die Enthauptung Johannes’ des Täufers
III: Das Haupt des Goliath
8: Geißelung Christi
9: Petrus verleugnet Jesus
10: David und Goliath
Für Mari Carys,
meine kleine Madonna
Michelangelo Merisi, bekannt als Caravaggio, der am meisten gefeierte Künstler Italiens, verschwand im Juli 1610. Obwohl er gefährliche Feinde hatte, sich auf der Flucht befand und seit mehreren Jahren ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt war, soll er angeblich einem Fieber erlegen sein. Seine Leiche wurde nie gefunden.
∗ ∗ ∗
«Er starb so elend, wie er gelebt hat.»
Giovanni Baglione (1566–1643) über Caravaggio
in Leben der Maler, Bildhauer und Architekten, 1642
«Welch gutes Ende jener nimmt, der liebend stirbt.»
Petrarca (1304–1374), Sonett 140
Michelangelo Merisi (nach seiner Heimatstadt Caravaggio genannt), Künstler
Maddalena «Lena» Antognetti, Caravaggios Modell
Giovanni Baglione, Künstler
Scipione Borghese, Kardinal, Neffe Papst Paul V.
Domenica «Menica» Calvi, Kurtisane
Costanza Colonna, Marchesa von Caravaggio
Leonetto della Corbara, Inquisitor von Malta
Onorio Longhi, Architekt
Antonio Martelli, Malteser-Ritter
Fillide Melandroni, Kurtisane
Mario Minniti, Künstler
Francesco del Monte, Kardinal, Caravaggios Gönner
Gaspare Murtola, Dichter
Prospero Orsi, Künstler
Giovanni Roero, Piemonteser Adliger, Malteserritter
Fabrizio Sforza-Colonna, Costanzas Sohn, Malteserritter
Ranuccio Tomassoni, Raufbold, Zuhälter
Giovan Francesco Tomassoni, Ranuccios älterer Bruder
Alof de Wignacourt, Großmeister der Malteserritter
Prudenza Zacchia, Kurtisane
Der Junge saß in der Dunkelheit. Sieh hin, dachte er, wie dieser Mann seinen Bauch umklammert, wie er würgt, schwitzt, sich mit schmutzigen Fingern die Haut knetet. Die Laken stanken, aber der Junge blieb auf dem Bett sitzen. Er wollte dem Kranken nah sein, dessen Geschlechtsteile und Achselhöhlen mit den knolligen Geschwüren der Pest übersät waren. Der Sterbende war sein Vater.
Dem Bett gegenüber lag der Großvater des Jungen. Jeder Atemzug schien den alten Mann zu ersticken, erschütterte seine schmale Brust. Auf seinem grauen Bart perlte Schweiß. Rinnsale aus Schweiß glitzerten zwischen den starren Rippen seines sich hebenden Rumpfes. Faulige Pestbeulen zeigten sich wie Blutegel unter seinen Achselhöhlen. Blutiger Urin sickerte in die Matratze. Im bleichen Sonnenstrahl, der durch einen Spalt in der Jalousie fiel, bebte sein Gesicht vor Scham.
Die Stimme seines Vaters. Würde er sie je vergessen? Er wusste, dass er sich an die Worte erinnern würde: «Michele, warum bist du hier?» Aber würde er sich an den Klang erinnern? Ein satter Bass, verzerrt und vertrocknet im Feuer des Schwarzen Todes, bis er nur noch wie das sinnlose Gurgeln eines Mannes klang, dem eine Handvoll Sand in den Mund geschoben wurde. «Warum?»
«Um dir Gesellschaft zu leisten, Papa.» Seine eigene Stimme. Als er älter und mit sich allein war, erinnerte er sich daran wie an die Kadenz einer unausweichlichen Melodie. Verloren und unschuldig hörte er sie in seinem Kopf. Ach, aber nie aus seiner Kehle. Diese Stimme – die widerhallte, wenn er als Erwachsener den Mund öffnete –, diese Stimme war aller Unschuld beraubt.
«Geh, mein Junge. Du holst dir die –» Sein Vater bäumte sich auf und wälzte sich zitternd auf die Seite. Er zog die Knie an.
Die Luft war geätzt von Kalk und Phosphor, von denen seine Mutter behauptete, dass sie die Krankheit vertreiben würden. Es kitzelte den Jungen in Nase und Lunge, ließ ihn niesen. Sein Vater hob den Kopf, eine Bewegung, die schneller als jede andere war, seit er sich infiziert hatte. Die Gesichtszüge des Mannes waren schreckensstarr. Niesen war das erste Symptom. Der Junge zwang sich zu einem unsicheren Lächeln, um ihn zu beruhigen.
Der Kopf des Vaters sank zurück, als hätte ihn das Lächeln des Sohns von den Schultern getrennt. Er verfiel wieder in seine eigenen Qualen. Auch der Junge sorgte sich wegen des Niesens, langte mit seinem dünnen, blassen Arm unter das Zugband seiner Kattunhose und betastete seine Leiste. Keine Schwellungen, keine Furunkel. Der Phosphorgestank nahm wieder zu, und er merkte, dass er die Luft angehalten hatte.
Sein Großvater zitterte, verdrehte die Augen weiß und blind nach oben. Er überließ seine Sehkraft dem verdämmernden Licht in seinem Schädel, auf dass ein Geist, der zu fein für die lebendige Wahrnehmung war, sich ihm offenbaren möge. Als die Pupillen sich wieder senkten, waren sie starr und blind, und der Großvater des Jungen lag still. Die Tränendrüsen seines Vaters waren ausgetrocknet durch den Essig, mit dem er versucht hatte, die Pestilenz abzuwaschen; weinen konnte er nicht mehr. Er presste die Fäuste gegen die Schläfen, als seien die Tränen nur störrisch und würden wieder fließen, wenn man sie wie einen Esel züchtigte.
Der Junge blieb stundenlang bei ihnen. Sein Vater lag neben dem Toten und flüsterte zusammenhanglos im Fieber.
Am Abend beklagte er sich, dass das Bett feucht und heiß sei, glitt auf den Fußboden, starrte ins Nachtschwarz. Der Junge beugte sich über ihn.
«Du bist zu jung, Michele», keuchte er. «Zu jung, um so etwas zu sehen.»
Zuerst glaubte der Junge, er meinte, dass ein sechsjähriges Kind nicht Zeuge des Sterbens seines Vaters werden sollte, und er schluchzte, weil er bereits spürte, wie es ohne ihn sein würde. Dann folgte er der Richtung seines Blinzelns. Er wusste, dass die schielenden, unsteten Augen seines Vaters dem Tod ins Angesicht schauten. In der Dunkelheit konnte der Junge nichts erkennen. Der Vater öffnete den Mund, um zu erklären, was er sah, aber sein Unterkiefer fiel herab, und sein Körper sank gegen den Jungen. Er hielt seinen Vater am verfilzten Haarschopf fest, damit der Kopf nicht auf den Fußboden schlüge.
Der Junge starrte den Toten an. Über den sanften Augen kräuselte sich seine Stirn vor Trauer.
Aber die Dunkelheit rief ihn. Er sah, wie sich dort etwas bewegte. Das Ende eines Lebens und die plötzliche Erleuchtung, die diejenigen überkommt, die einen Pakt mit dem Tod schließen. Der unter einer Krankheit Leidende oder der sich freiwillig Opfernde. Der Mörder und sein Opfer.
Betrachte die Dunkelheit, dachte er. Was entsteht aus den Schatten? Was kommt zum Vorschein, wenn man verborgen geglaubte Dinge anstarrt? Sieh weiter hin, und eines Tages erkennst du ihre Form. Dein Blick erzeugt ein Licht, das das Geheimnis durchdringt. Er streichelte den Kopf des Toten.
Das ist doch wahr, Vater?
«Er ist der berühmteste Künstler in Rom.» Am Ende des Kirchenschiffes bekreuzigte sich Scipione Borghese. Langsam und wollüstig, als striche er über die Brust einer Geliebten, glitt seine Hand über seine scharlachroten Gewänder. «Glaubt Ihr, ihn für Euch selbst behalten zu können?»
Jetzt, da dein Onkel als Papst Paul gesalbt wird, nicht mehr, dachte Kardinal del Monte. Die Ernennung des neuen Pontifex machte Scipione zum mächtigsten Kirchenfürsten in Rom. Er wird meinen Schützling dazu zwingen, seine Briefe mit «Euer unterwürfiger Diener» zu unterzeichnen. «Wenn Ihr es für möglich halten solltet, Caravaggio zu lenken, mein gnädiger Herr, wäre ich gern bereit, ihn Euch vorzustellen, damit Ihr es versuchen mögt. Er gehorcht einer höheren Macht als Euch oder mir.» Er deutete auf das goldene Kruzifix, das im Licht der hohen Fenster auf dem Altar schimmerte. «Und ich meine nicht den Heiligen Vater, möge unser Herrgott ihn segnen.»
Scipione stieß das Handgelenk nach unten und spreizte dabei den Zeige- und den kleinen Finger wie Teufelshörner ab. Als er sah, dass eine derart weltliche Geste von der manikürten Hand des neuen Arbiters für Kunst und Macht in der päpstlichen Stadt ausging, verzog del Monte sein Gesicht. «Soviel ich über sein Verhalten höre, bezieht Caravaggio sein Können nicht von oben, sondern von unten», sagte Scipione. «Künstler sind allesamt raue Gesellen. Ich weiß, wie ich sie mir gefügig machen kann.»
Mit zweihunderttausend Dukaten jährlich, die dir vom Thron des heiligen Petrus geschenkt werden, findest du mit Sicherheit eine Möglichkeit. Del Monte führte Scipione ins linke Seitenschiff. «Hier sind sie.»
Scipione rückte das rote Barett auf seinem Hinterkopf zurecht, kratzte sich am Kinn und zupfte sich nachdenklich den Spitzbart. Seine Zunge strich über die Oberlippe. Er war jung und feingliedrig, doch irgendetwas in seinem Gesicht ließ ahnen, wie er aussehen würde, wenn er dereinst fett geworden sein würde. Und er wird gewiss fett werden, dachte del Monte. Der Körper kann ja kaum die Habgier dieses Mannes ertragen. Man gebe ihm ein paar Jahre absoluter Macht und einen unbegrenzten Etat, und dann wird sein Magen anschwellen und sein Kinn sich vervielfachen.
«Der ganze Stolz der Kirche San Luigi dei Francesi», sagte Scipione.
Die beiden Kardinäle gingen an der grünen Marmorbalustrade vorbei in die Contarelli-Kapelle. «Der Heilige Matthäus mit dem Engel und das Martyrium des heiligen Matthäus, sie sind natürlich wundervoll.»
«Ja, aber es ist dies hier. Dies ist es.» Scipione wandte sich der enormen Leinwand an der Wand links vom Altar zu.
«Berufung des heiligen Matthäus.» Del Monte öffnete beide Hände. «Selbst ich, der ich sein Talent vor allen anderen Gönnern entdeckt habe, muss zugeben, niemals damit gerechnet zu haben, dass er sich zu einem Genius von derartiger Virtuosität entwickeln würde.»
«Es ist wegweisend. Überall diese Dunkelheit.» Scipione spreizte die Beine und legte sich die Hände auf den Bauch. Er zuckte mit dem Unterkiefer und blies die Wangen auf, als ob er die Leinwand vor sich verschlingen wollte.
Die Berufung zeigte fünf Männer an einem Tisch. Drei junge Burschen trugen prunkvolle Wamse und mit Kokarden geschmückte Hüte. Die beiden anderen waren grauhaarig. Ein schlichter Raum mit graubraunen Wänden. Ein Fenster, schmutzig und lichtlos. Aber von rechts, wo eine helle Sonne die Kapelle beschien, brach ein Strahl aus warmen Gelb- und Brauntönen, als fiele er durch ein hohes Fenster in einen Keller. Direkt unter dem weichen Schein, von Schatten verdeckt, die Hand ausgestreckt, um seinen zukünftigen Jünger zu berufen, Jesus, mit bärtigem Gesicht.
«Was für ein brillanter Zug», sagte Scipione, «dass unser Herr sich nicht in seiner üblichen Position im strahlenden Mittelpunkt der Komposition befindet.»
«Und dennoch dominiert Er das Gemälde.»
«Ganz recht, del Monte. Die Bedeutung des Werks wird uns nicht durch helle Himmel und strahlende Engel aufgezwungen. Wir müssen danach suchen. Wie der heilige Matthäus selbst. In uns selbst suchen.» Scipione zeigte auf eine der sitzenden Figuren, die auf sich selbst zu deuten und zu fragen schien, ob Christus sie berufe.
«Als diese Werke vor fünf Jahren an San Luigi ausgeliefert wurden», sagte del Monte, «wusste ich, dass sie die Malerei für immer verändern würden. In allen Kirchen Roms sieht man jetzt, dass jedes neue Kunstwerk entweder eine Kopie von Caravaggios Stil durch einen seiner Bewunderer ist oder aber eine beleidigte Abwehr von jemandem, der sich weiterhin an die Manier des vergangenen halben Jahrhunderts klammert. Caravaggio ist heutzutage in allen Werken präsent, ob die Maler das nun zugeben oder nicht.»
Er schnippte mit den Fingern. Ein Diener in der türkisen Livree del Montes kam aus dem hinteren Teil der Kirche und verneigte sich tief.
«Ordne Maestro Caravaggios Erscheinen an. Ich will ihn in meiner Galerie empfangen.»
«Jawohl, mein Herr.» Der Diener machte vor dem Altar eine Kniebeuge und trabte dann auf die Piazza hinaus.
«Er arbeitet ohne die üblichen Vorbereitungen, müsst Ihr wissen», sagte del Monte. «Keine Skizzen. Er malt direkt auf die Leinwand, aus dem Leben gegriffen. Nach Modellen, die er in seiner Werkstatt Aufstellung nehmen lässt.»
«Der Augenblick ist ganz einfach eingefangen.» Wie ein Taschendieb, der sich vorbereitet, schob Scipione seine Finger ineinander. «Und da Jesus von dannen ging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.»
Del Monte beobachtete, wie sich Scipiones Gesicht bei jeder Einzelheit, die ihm auf dem Gemälde auffiel, veränderte und von Staunen zu Verstehen und Bewunderung überging.
«Seht her, seht Ihr das?» Scipione berührte del Montes Ärmel. «Es ist, als ob jedermann die Luft anhält, wenn unser Herr die Hand hebt. Es ist wahrlich lebendig.»
Die beiden Kardinäle verließen San Luigi. Ihre Lakaien gingen voraus, um ihnen einen Weg durch die Massen der Römer zu bahnen, die zwischen der Piazza Navona und Santa Maria Rotonda, der in Kaiser Hadrians Pantheon eingelassenen Kirche, hin und her wogten. Sie überquerten die Straße zu del Montes Palazzo, benannt nach der unehelichen Tochter des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches, die als die Madama bekannt gewesen war. Sie stiegen über die Freitreppe hinauf.
Scipione blieb auf dem Treppenabsatz stehen und rang nach Atem. «Dieser Maler ist nicht in der Stadt Caravaggio ausgebildet worden, dessen bin ich mir sicher. Ich bin dort mal gewesen. Es ist ein Kaff, das bestenfalls dazu gut ist, Seide für meine Unterwäsche herzustellen.»
Del Monte passte seine Schritte den schwerfälligeren des jüngeren Mannes an. Sie erreichten das Stockwerk mit seinen Privatgemächern. «Er ist bei Maestro Peterzano in Mailand in die Lehre gegangen.»
«Mailand. Ich verstehe. In seiner Arbeit findet man Einflüsse anderer großer Künstler aus der Region. Ich denke an Savoldos Einsatz des Lichts und der Dunkelheit. Aber ein Künstler muss nach Rom kommen, wenn er vorankommen will.»
Del Monte nickte. Zu dir kommen, meinst du wohl. «Es waren nicht nur die grauen Himmel des Nordens, die Maestro Caravaggio dazu trieben, Mailand zu verlassen.»
Scipione öffnete fragend die Hand.
«Es hatte etwas zu tun mit einer verstümmelten Hure und der Verletzung ihres eifersüchtigen Liebhabers, der zufälligerweise ein Ordnungshüter war», sagte del Monte.
Scipiones Achselzucken deutete an, dass ihn solche Umstände weder überraschten noch schreckten.
«Als er anfangs in diesem Palazzo wohnte», sagte del Monte, «war Caravaggio nichts als ein Mailänder Halsabschneider. In gewisser Weise ist er das immer noch. Sein Werk verändert sich stärker, als er sich selbst zu ändern scheint. In seinem tiefsten Inneren gibt es etwas Süßes und Spirituelles, und genau dort findet er seine Kunst.»
«Kam er direkt zu Euch, als er in Rom eintraf?»
«Er wohnte eine Weile bei einem Priester, der ihn aufnahm, um seinen Gönnern aus der Familie Colonna einen Gefallen zu tun.»
Scipiones Blick bekam etwas Abwesendes. Del Monte verstand, dass der Kardinalnepot Caravaggios Rang innerhalb des Einfluss- und Herrschaftszirkels abschätzte, über den ein Mann seiner Stellung jederzeit verfügte. Die Colonnas gehörten zu den mächtigsten Familien Roms.
«Ich verstehe.» Scipiones Bewegungen verlangsamten sich, als benötigte er seine gesamte Kraft, um die politischen Vorteile zu ermessen, die ihm durch den Künstler entstünden.
«Er kam vor mehr als zehn Jahren zu mir», sagte del Monte. «Ich überließ ihm ein Zimmer und ein Studio und einen Platz am Tisch der Musiker und Männer der Wissenschaft, die ich aushalte.»
«Die toskanische Botschaft hat sich unter Eurer Führung den Ruf eines Orts der Kunst und Vernunft schlechthin erworben. Hat Caravaggio keinen anderen Schirmherrn?»
Del Monte konnte kaum ein Lächeln unterdrücken. Er will wissen, wen er sonst noch um die Ecke bringen muss, um über Caravaggio zu verfügen. Dieser Mensch hat es noch eiliger, als ich dachte. «Die Familie Mattei hat einige Werke in Auftrag gegeben.»
Scipiones Arithmetik von Rang und Geltung schien sich auf seinen Gesichtszügen abzuzeichnen, als würde er seine Gleichungen als Fresken ausführen. «Kardinal Mattei ist –» Er verdrehte fragend das Handgelenk, als ob es ungehörig sei, die Frage auszusprechen.
«Kein Kunstliebhaber. Aber seine Brüder sind große Bewunderer Caravaggios und neigen dazu, Geld für Vergnügungen auszugeben, die sich der hochwürdige Kardinal nicht gestattet.» Del Monte wartete, bis Scipione begriff, welche Beziehungen er mit dem Geschenk eines Gemäldes untermauern oder wessen Galerie er durch Beschlagnahme um eins von Caravaggios Werken erleichtern konnte.
Ich werde ihm gestatten, selbst dahinterzukommen, wie viele andere Verbindungen Caravaggio in den zwölf Jahren seines Aufenthalts hier geknüpft hat, dachte del Monte. Scipione würde früh genug Kenntnis bekommen von den Aufträgen des Marchese Giustiniani, des Bankiers Don Ottavio Costa und Monsignore Barberinis, von dem viele glaubten, dass er eines Tages Papst werden würde. Und was die Werke in der Sammlung der Dame Olimpia Aldobrandini anbelangte, hielt er es für besser, zu schweigen. Sie war die Nichte des alten Papstes Clemens, dessen Familie Scipione um allen Einfluss und Reichtum zu bringen versuchte, seitdem nun sein Onkel im Vatikan herrschte. «Trotz all seiner Bewunderer steht Maestro Caravaggio immer noch unter meiner ausschließlichen Protektion.»
Scipione zwirbelte seinen Schnurrbart, als wollte er sich über den Wert solcher Sicherheit, die del Monte dem Künstler bot, lustig machen. «Ich wette, er braucht Euch als Bürgen, wenn er verhaftet und betrunken in den Tor di Nona geworfen wird.»
«Es ist bekannt, dass er bei solchen Gelegenheiten meinen Schutz in Anspruch genommen hat. Wie Ihr schon sagtet: Diese Künstler sind raue Gesellen. Sein Werk ist allerdings unvergleichlich.»
Sie erreichten das Treppenende. «Meine eigene Sammlung befindet sich hier», sagte del Monte. «Sie umfasst auch sieben Leinwände unseres Maestros Michelangelo aus Caravaggio. Bitte, Eure Durchlaucht, hier entlang.»
Er zog Scipione in eine geräumige Galerie. Die Wände waren fast bis zur Decke mit Gemälden bedeckt. Die besten hingen auf Augenhöhe und waren durch grüne Vorhänge vor Sonne und Fliegendreck geschützt. Die Kardinäle gingen durch den Raum. Del Monte griff zu einer gelben Brokatkordel, um einen der Vorhänge aufzuziehen.
∗
Ein junges Dienstmädchen schrubbte Bienenwachs auf die Terrakottafliesen des Palazzos, als ein Mann von Mitte dreißig den Fuß der Treppe erreichte. Sie hockte sich auf die Fersen, wischte sich über die Stirn und schob sich eine rotbraune Haarsträhne hinters Ohr. Auf ihren Zügen brüteten Groll und Schicksalsergebenheit, die der Mann aus all den Jahren, während deren er in den Palästen reicher Mäzene gewohnt hatte, nur allzu gut kannte, obwohl er spürte, dass sich in diesem Fall weder Bitterkeit noch ein Zusammenbruch ankündigten. Aus ihrer olivenfarbenen Haut, den scharf geschwungenen Augenbrauen und der schrägen Nase schloss er, dass sie aus dem Süden kam, wo die Leute von frühen griechischen Kolonisten der italienischen Halbinsel abstammten. Ihre Hände starrten vor Dreck. Jeder einzelne Fingernagel war mit einem schwarzen Schmutzrand bekränzt.
Eine auf dem Forum Romanum ausgegrabene Herkules-Statue bewachte den Fuß der Treppe. Der Mann warf sich den Schoß seines kurzen, schwarzen Umhangs über die Schulter und lehnte sich gegen die Steinfigur. Für gewöhnlich war sein Gesichtsausdruck abweisend, forsch und stolz, und deshalb begriff er, als er sie anlächelte, dass das Mädchen nicht damit rechnete, dass es solchen Zügen möglich sein sollte, entspannt oder fröhlich zu wirken. Seine Zähne schimmerten weiß zwischen dem schwarzen Schnurr- und Spitzbart. An Herkules’ Schulter warf er sich in eine heroische Pose, strich sich mit der Hand durchs lange, gewellte, schwarze Haar, räusperte sich und ahmte den edlen Blick des heidnischen Gottes nach.
«Wie sehe ich aus?», fragte er.
Das Mädchen lachte.
«Wer macht eine bessere Figur? Ich oder dieser Kerl?» Er tätschelte den muskulösen Oberarm der Statue. «Na, sag schon, der hat tausendfünfhundert Jahre unter der Erde gelegen. So schlecht sehe ich doch wohl nicht aus?»
«Ihr seht aber ein wenig krank aus.»
«Ach das. Tja, liebes Mädchen, ich war bis spät in die Nacht unterwegs mit Maestro Onorio Longhi, dem namhaften Architekten, und wir hatten viel Spaß.» Er berührte seine Schurrbartspitze mit der Zunge und rieb über die körnige Steinhand des Herkules. «Armer Kerl, seine Glieder aus antikem Marmor erlauben es ihm nicht, die Arme auszustrecken, um die vor ihm liegende Schönheit zu liebkosen.»
«Das ist ein Jammer.»
Seine Brauen zogen sich über braun glühenden Augen zusammen, Indischrot leuchtete in rotbrauner Wärme, und er ging auf sie zu. «Aber ich bin kein Held auf einem Podest. Ich darf zupacken.»
Er ging neben ihr auf die Knie, roch das Wachs auf ihren Händen und den kalten Schweiß in ihrem derben Arbeitskittel, den sie an der Seite hochgeschlagen hatte, um knien zu können. Sie betrachtete ihn weder mit der dümmlichen Verständnislosigkeit eines einfachen Dienstmädchens noch mit der lasziven Vertraulichkeit der Huren aus der Taverna del Moro. In ihren Augen sah er eine stille Schönheit von solcher Ruhe, dass sein Plan, sie zu verführen, ihm für den Moment aus dem Blick geriet und er nicht wusste, was er nun sagen sollte.
Ein Lakai betrat den Korridor und räusperte sich. «Maestro Caravaggio. Seine Durchlaucht erwarten in der Galerie das Vergnügen Eurer Gesellschaft.»
«Es ist mir ein Vergnügen.» Der Mann gewann seine Munterkeit zurück und winkte dem Mädchen zu.
Sie tunkte die Bürste ins Bienenwachs. Er beobachtete ihr Gesicht noch einen Augenblick länger. Es war etwas zu breit, aber ihr Unterkiefer war schmal und verjüngte sich zu einem äußerst zarten Kinn. Ohne aufzusehen spürte sie seinen Blick und lächelte. «Ich habe zu arbeiten. Geht und studiert lieber Seine Durchlaucht.»
Er ging über die Fliesen, die als Resultat ihrer geleisteten Arbeit glänzten. Als er die Gemächer des Kardinals betrat, sah er sich noch einmal nach ihr um. Während sie sich nach vorn über die Bürste beugte, standen die Sohlen ihrer nackten Füße senkrecht. Sie waren derart mit schwarzen, braunen und grauen Schmutzschichten bedeckt, dass er den Dreck auf der Zunge zu schmecken meinte.
∗
Seit Caravaggios letzten Besuchen der Galerie im Palazzo Madama hatte del Monte seine Sammlung erweitert. Ein spastischer Franziskus von Assisi schmückte nun die Wand neben einer Version des gleichen Heiligen von Caravaggio. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums wandte sich ihm ein unbekanntes Gesicht zu, ein Kardinal, der ihm in Erwartung eines Hofschranzenkusses die Hand hinhielt. Aber Franziskus bannte Caravaggios Blick auf das neue Werk. Der Kopf des Heiligen war nach hinten geworfen, die Augen unter die Schädeldecke verdreht. Die plumpen, kurzen Finger waren gespreizt. Eher schien er sich mitten in einem epileptischen Anfall zu befinden als in der Ekstase, in der man ihn glauben sollte. Ein fetter Cherub deutete auf eine Dornenkrone, aber wie man von dem Heiligen, in seinem gegenwärtigen Zustand, erwarten sollte, zu ihr hinschauen, entzog sich Caravaggio. Es war genau jene unsinnliche Gestik, die er auf Leinwänden so sehr hasste. Dass dergleichen neben seinem eigenen Franziskus hing, stieß ihn ab. Sein Heiliger war atemlos, an der Seite von den Stigmata gezeichnet und von einem Engel geleitet, der Anteil an Franziskus’ Erfahrung göttlicher Liebe nahm.
«Ihr habt meine Neuerwerbung aus dem Atelier Maestro Bagliones bemerkt», sagte del Monte. «Sie ist exquisit, nicht wahr?»
Caravaggio stieß ein leises, verächtliches Lachen aus. Ich hätte mir gleich denken können, dass es eine Arbeit des Schwachkopfs Baglione ist, dachte er. Inzwischen war es schwierig geworden zu sagen, welcher römische Maler ihn im jeweils gegebenen Fall nachgeahmt hatte, weil so viele darum bemüht waren, sich seinen Stil anzueignen. Keiner wusste, was hinter seinem Einsatz von Licht und Schatten steckte, seine Arbeit mit Spiegeln und Linsen, die Wahl der Modelle aus seinen ärmsten Bekanntenkreisen. Andere Maler hielten dergleichen nur für eine Trickkiste, aus der sich hübsche Dekorationen hervorzaubern ließen. Männern wie Baglione entging, dass das, was Caravaggio machte, abgründig war – dass er die Dinge nahm, die jedermann schon unzählige Male gesehen hatte, die Betrüger in Kneipen und die hübschen, geldgierigen Bengel, die gemarterten Heiligen und sogar den Herrn Jesus, aber er stellte sie so dar, dass man glaubte, sie zum ersten Mal zu sehen.
«Er hat sich etwas von Eurem Stil abgeschaut, Maestro Caravaggio», sagte der neue Kardinal.
Sag es bloß nicht, Cazzo mio, sagte Caravaggio zu sich selbst. Sag nicht: «Was zum Teufel versteht Ihr denn schon davon?» Wenn sich del Monte die Zeit nimmt, dich vorzustellen, muss es sich um jemand Wichtigen handeln. «Von meinem Stil?»
«Ganz recht.» Die Augen des Kardinals glänzten in seinem langen, weichen Gesicht. «Das Licht, das auf die bedeutungsvollsten Einzelheiten des Motivs fällt. Die dichte, intensive Bildschärfe. Das Fehlen eines Hintergrunds. Das sind doch gewöhnlich Eure Kunstgriffe, nicht wahr? Auf denen Euer Ruhm basiert.»
Meine Ideen, zur Manier erniedrigt für’s schnelle Urteil eines Mannes, der so tut, als sei er ein Kenner. Caravaggio schloss die Augen.
Del Monte klatschte in die Hände. «Was haltet Ihr also von meinem neuen heiligen Franziskus?»
Caravaggio murmelte etwas hinter vorgehaltener Hand.
«Wie war das doch gleich?», sagte del Monte.
Caravaggio streckte angeekelt den Arm in Richtung des Gemäldes aus. «Ich sagte, er muss mal gevögelt werden.»
Del Monte verbarg sein Lächeln hinter der Hand. Der andere Kardinal strich sich mit dem Finger an der Nase entlang. «Ich habe auch schon gehört, dass man von Maestro Baglione sagt, dass er ein keuscher Mann ist, der nicht der Fleischeslust frönt.» Er strich sich mit den Händen über die Brust, um die Aufmerksamkeit auf sein Kardinalsgewand aus rotem Samt zu lenken. «Habt Ihr etwas gegen ein Leben einzuwenden, das sich dem Zölibat widmet?»
Caravaggio hatte geschminkte Straßenmädchen gesehen, die zerschrammt aus Gassen stolperten, vorwärtsgestoßen von betrunkenen Trupps spanischer Soldaten, und die Mädchen hatten immer noch zölibatärer ausgesehen als dieser Kardinal. «Ein derart entsagungsvolles Leben ist eine Sache für einen Mann des Klerus. Aber für einen Künstler? Wie soll man Haut malen, wenn man sie noch nie berührt hat?»
«Ihr habt doch die Haut unseres Herrn gemalt, wie ich in der Kirche San Luigi gesehen habe. Habt Ihr die je berührt? Oder wollt Ihr mir etwa weismachen, dass Ihr sie in Form der heiligen Kommunion geschmeckt habt?»
«Haut ist Haut. Sei sie nun ein Sack für meine Knochen oder für die unseres Herrn Jesus Christus – oder die von Eurer Durchlaucht.»
Der Kardinal sah ihn lange genug an, um zu begreifen, dass Caravaggio weder beschämt noch beunruhigt war und den Blick nicht senken würde. «Ein Häretiker. Ich verstehe, warum Ihr mit diesem Kerl so gut zurechtkommt, del Monte.»
Caravaggios alter Patron zwang sich zu einem Lächeln und verbeugte sich. «Maestro Caravaggio, Eure Anwesenheit wurde von Kardinal Borghese erwünscht.»
Der Neffe des neuen Papstes, der Mann, der den Vatikan organisiert. Caravaggio berührte den Puls an seinem Hals, spürte unter seiner Fingerspitze den Adrenalinstoß, war erregt durch die Aussicht, den mächtigsten Kunstliebhaber Roms zu beeindrucken, und zitterte im Gedanken daran, ihn beinahe beleidigt zu haben. Er fiel auf ein Knie. Mit gesenktem Kopf ergriff er die glatte, bleiche Hand, die ihm Scipione aus seiner Soutane entgegenstreckte. Er berührte sie mit den Lippen. Sie roch nach Kalbslederhandschuhen und der grauen Ambra, mit der sie parfümiert wurden.
«Der göttliche Michelangelo pflegte zu sagen, dass ein mittelmäßiges Kunstwerk niemandem wehtut», sagte Scipione. «Können wir das nicht auch von diesem heiligen Franziskus von Maestro Baglione sagen?»
«Mir tut es weh.»
«Michelangelos Formulierung war eine Methode, Beleidigungen zu vermeiden. Wie ich sehe, habt Ihr daran kein Interesse. Angesichts eines hervorragenden Kunstwerks pflegte er zu sagen, dass es entweder von einem großen Schurken oder von einem großen Schlitzohr gemalt worden sei.» Scipione zog an der Goldkordel, mit der sich der Vorhang vor Caravaggios Musikanten öffnen ließ. Er ging nahe heran und hielt den schwingenden grünen Taft mit der Handfläche zurück. «Was seid Ihr, Maestro?»
Caravaggio hatte die Leinwand seit Monaten nicht mehr gesehen. Vier Jünglinge, gekleidet in locker fallende weiße Hemden oder in Umhänge gehüllt, die Schultern und die unbehaarte Brust entblößt. Del Monte hatte gleich mehrere dieser Motive in Auftrag gegeben. Die jungen Künstler und Musiker, die im Palazzo Madama wohnten, nannten ihn wegen seiner diskreten Vorliebe für blasse, hingebungsvolle Jungen Kardinal Madama. Im Vordergrund der Komposition der hübsche Pedro, der Kastrat, Caravaggios bester Freund, seit er damals in del Montes Palazzo gezogen war, inzwischen aber wieder in Spanien.
Über der Schulter des Sängers ein Selbstbildnis. Er konnte es nicht mehr sehen. Er hatte sich so unschuldig und fahl dargestellt, die Lippen zu einem zärtlichen, sinnlichen Seufzer geöffnet. Er fand es schwierig, sich an einen Tag zu erinnern, an dem man auf seinem Gesicht tatsächlich eine solche Unerfahrenheit und Frische hätte entdecken können. Einmal vielleicht, dachte er. Mit Costanza und Fabrizio Colonna. In ihrem Palazzo in meiner Heimatstadt – bevor sie mich wegschickten.
«Ein Schurke oder ein Schlitzohr?» Er hakte die Daumen in seinem Gürtel ein. «Das hängt von der Nacht ab und davon, wie alt das Mädchen ist.»
«Oder der Junge?» Scipione klopfte mit den Fingerknöcheln auf die schwindsüchtigen Züge Pedros, der im Zentrum der Musikanten eine Laute stimmte, als würde er den Bauch eines Geliebten streicheln. «Seht Ihr das nicht auch so, del Monte?»
Der ältere Kardinal zuckte zusammen.
So, so, Scipione weiß also über Kardinal Madama und seine kleine Schwäche Bescheid, dachte Caravaggio. So, wie er die Lippen kräuselt, würde ich sagen, dass er die gleiche Vorliebe teilt. Ausgerechnet der Mann, der der Inquisition vorsteht, macht Witze über effeminierte Jungen, wo doch erst vor einer Woche vom Heiligen Officium auf dem Campo dei Fiori ein Bäcker auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, weil er einen Straßenjungen in den Arsch gefickt hat.
«Aber dies ist mein Lieblingsbild, Maestro Caravaggio. Ihre Augen verfolgen mich sogar noch durch den Vorhang.» Scipione schob den Stoff beiseite, der die Heilige Katharina verhüllte. «Das Gesicht lässt einen nicht mehr los. Bravo, bravo.»
Die Heilige lehnte an dem mit Zacken versehenen Wagenrad, mit dem man sie gefoltert hatte, und liebkoste das Schwert, das ihren Tod und ihr Märtyrertum besiegelt hatte. Sie kniete auf einem roten Kissen und war in ein wallendes, schwarzes, reich besticktes Seidenkleid gehüllt. Ihr rotblondes Haar war zu beiden Seiten zu Zöpfen gebunden. Sie schaute aus der Leinwand direkt den Betrachter an. Fillide. Caravaggio lächelte in sich hinein. Sie streicht über den Degen, als sei er das steife Glied eines großzügig zahlenden Kunden.
«Seit ich sie gesehen habe, konnte ich kaum noch an etwas anderes denken. Ihr Blick ist hypnotisch. Aber warum schaut sie nicht gen Himmel, wie die Heiligen es im Moment ihres Martyriums tun?» Scipiones Stimme klang schärfer, und Caravaggio begriff, dass der Kardinal trotz der Lässigkeit, die er ausstrahlte, mit Vorsicht zu genießen war.
«Sie starrt Euch an, weil ich zeigen wollte, dass Eure Beziehung zur Heiligen wichtiger ist als ihre Verbindung mit dem Himmel», sagte Caravaggio. «Ihr Martyrium ist kein längst vergangenes Leid, für das wir lediglich Ehrfurcht empfinden sollen. Ich wünsche, dass man ihre Qual als seine eigene spürt.»
«Meine?»
«Selbst ein Kardinal dürfte –»
«Ach, Bedrängnisse gibt es viele, da habt Ihr recht. Konferenzen und Papierkrieg, Gesuche um dies und jenes, Handwerker, die sich nicht an die Baupläne halten. Es gibt Kriminelle, die begnadigt werden wollen, und Anhänger dieses oder jenes heiligen Scharlatans, der unbedingt heiliggesprochen werden muss, um den Glauben der Leute in einer eiskalten bayerischen Stadt zu festigen.» Scipione warf del Monte einen Hoffnungslosigkeit bekundenden Blick zu. «Aber ist es ausschließlich Eure großartige Technik, die das Gesicht der Heiligen so überzeugend macht, Maestro? Ich habe das Gefühl, dass es noch etwas anderes ist. Vielleicht bin ich ja mit der Dame bekannt.»
«Mit ihr? Dem Modell?»
Del Monte hob hinter Scipiones Rücken warnend eine Hand.
«Ganz recht», sagte der Kardinalnepot.
«Das bezweifele ich, Eure Durchlaucht und Hochwürden.»
«Ach ja? Warum?»
«Sie ist eine Hure.»
Del Monte ließ die Hand sinken und seufzte.
«Eure Durchlaucht würden doch niemals Vergnügen bei einer Frau suchen», sagte Caravaggio mit ironischem Unterton. «Bei so einer Frau, meine ich.»
Scipione entkam dem Blick der heiligen Katharina immerhin lange genug, um sich Caravaggio zuwenden zu können. Seine sybaritischen Gesichtszüge verhärteten sich, und in seinen weinerlichen Äuglein sah Caravaggio Rachsucht und Erbarmungslosigkeit. Seht euch vor, Römer, dachte er. Der hier hat nur so lange Zeit, euch mit Steuern auszurauben, wie sein Onkel noch lebt. Und er wird die Zeit nicht verschwenden.
Der Kardinal musterte den Maler. Sein Blick richtete sich auf jeden einzelnen der kleinen Risse und Flicken im schwarzen Samt von Caravaggios Wams. Verachtung stach durch den ärmlichen Stoff bis auf die Haut des Künstlers.
Caravaggio kratzte sich im Nacken. Bleib nett, Michele. Versuch es wenigstens. Er überlegte, ob er erwähnen sollte, dass Fillide keine billige Straßenhure war, obwohl sie als Begleiterin Scipiones zweifellos nicht teuer genug wäre. Der durchlauchtige Kardinal benötigte eine versiertere Musikantin und Sängerin, ein Mädchen oder einen Jungen, die einen Vers improvisieren konnten, wenn ihre Dienste ihm nicht zusagten. In den sechs Jahren, seit er Fillide als heilige Katharina porträtiert hatte, hatte sie sich mit der halben Priesterschaft und dem halben niedrigen Adel Roms gepaart, dabei ihr Repertoire aber nicht um Fertigkeiten erweitert, die über die rein fleischlichen hinausgingen.
«Mir gefällt diese Arbeit, Maestro Caravaggio.» Scipiones Stimme klang ruhig und scharf. «Aber ich mag den schwarzen Rahmen nicht. Ich würde ihn austauschen. Mir gefällt ein vergoldeter Rahmen besser.»
Caravaggio war drauf und dran zu sagen, dass Scipione gut daran täte, zuerst einmal ein Gemälde für den Rahmen in Auftrag zu geben, biss sich aber auf die Lippen. Schweig, Michele.
«Ja, ein vergoldeter Rahmen wäre am besten», sagte Scipione.
«Meint Ihr, Eure Durchlaucht?»
Wieder der erbarmungslose Blick. «Das habe ich gesagt. Ihr müsst also davon ausgehen, dass ich das auch meine. Aber ich kann natürlich nicht sagen, dass Ihr Euch sicher sein dürft.»
Das war die Falle, die die Mächtigen für die sie Umgebenden aufstellten – und besonders für Künstler. Ein von einem Höfling ausgesprochenes, undiplomatisches Wort ließ sich schnell korrigieren, aber ein gegen die Regeln verstoßendes Gemälde, das in einer Kirche oder an einer Palastwand hing, war ein unbezweifelbarer Nachweis von Irrtum und Lasterhaftigkeit des Künstlers. Maler käuten die Werke Raffaels und Michelangelos wieder, weil diese verstorbenen Meister sie vor dem Vorwurf schützten, sie würden gefährlichen neuen Ideen anhängen. Doch wenn Caravaggio malte, folgte er dem Ruf seines Herzens, seiner Lesart der Schrift, seiner Hoffnung auf Erlösung, und er malte, was er auf der Welt sah, nicht das, was Leonardo ein Jahrhundert vor ihm gesehen hatte. Manchmal war er vorsichtig und überprüfte seine Kompositionen gemäß den Richtlinien für Maler religiöser Motive, die das Konzil von Trient erlassen hatte. Aber jetzt entschied Scipione darüber, ob eine Arbeit orthodox oder pietätlos, zu loben oder zu verdammen war. Würde man ein Bild malen, das nicht mit den Vorstellungen des Kardinalnepoten über die Weltordnung übereinstimmte, würde der Künstler mehr als nur seinen Auftrag aufs Spiel setzen. Es wäre die Hölle für ihn.
Del Monte legte Scipione eine Hand auf den Ellbogen und drückte die andere Caravaggio dringlich auf die Schulter. Er manövrierte beide Männer ans hohe Fenster, von dem aus man die schlichte Fassade der Kirche San Luigi sehen konnte. «Seine Durchlaucht der Kardinalnepot hat die Berufung des heiligen Matthäus sehr bewundert, als ich sie ihm heute Nachmittag gezeigt habe.»
Durch den Druck von del Montes Hand angespornt, nahm Caravaggio die große Anstrengung auf sich, den Kopf tief über sein ausgestrecktes Bein zu beugen.
Unter dem Strumpf zeichnete sich sein Knie ab. Woher stammt dieser Riss?, dachte er. Er erinnerte sich vage an einen Sturz gestern Nacht auf der Straße. Bei den Tennisplätzen in der Nähe der Piazza Navona. Jemand hat mich angerempelt. Eine verlorene Wette, die ich nicht begleichen wollte, ganz recht. Wem schulde ich das Geld? Die Zocker auf den Tennisplätzen neigen nicht dazu, einem die Wettschulden zu erlassen. Er schluckte heftig, spürte im Magen eine bedrohliche Übelkeit.
Scipione redete über die Berufung des heiligen Matthäus. Es war nichts, was Caravaggio in den fünf Jahren, seit denen er es gemalt hatte, nicht längst wieder und wieder zu hören bekommen hätte. Doch musste die Sensation, die sein Stil bei der Berufung ausgelöst hatte, erst einmal abklingen. Er hatte viele Erläuterungen von Kennern über sich ergehen lassen, die sich über die Originalität ausließen, mit der er Unseren Erlöser durch die Düsternis eines Kellers verhüllte, um Ihn damit zugleich umso strahlender zu erleuchten, als es all das teure Ultramarinblau auf der Palette eines konventionellen Malers hätte zustande bringen können. Er hatte aber auch genauso viele Flüche und Verhöhnungen ertragen müssen.
Doch niemand sah es so, wie Caravaggio es sah. Sie alle meinten, das Licht fiele auf die graubärtige Figur am Tisch, weshalb diese der Steuereintreiber Matthäus sein müsste, der mit dem Finger auf sich selbst zeigte, als fragte er Christus, ob er ihn berufen hätte.
Aber das war der falsche Mann. Der Finger zeigte nämlich an dem bärtigen Alten vorbei auf einen jungen Mann, der den Kopf über den dunklen Tisch beugte. Mürrisch und unzufrieden mit seinem Beruf, rührte er in seinen Münzen herum. Die meisten, die das Gemälde sahen, erblickten in diesem jungen Mann ein Symbol des elenden Lebens, das Matthäus nun hinter sich lassen würde. Aber alle anderen Gestalten auf der Leinwand waren damit zufrieden, dass es in ihrer Welt nichts anderes als ein trübes Kontor geben würde. Der niedergeschlagene junge Mann am Tischende sah die Welt durch einen Schleier der Nichterfüllung. Er war derjenige, der auf seine Berufung wartete.
Caravaggio hatte den Heiligen in dem Moment gemalt, bevor er den Kopf hob und das Dunkel sich lichten sah. So war es für mich, dachte er. Diese Gemälde waren für seine Kunst die verlängerte Hand Christi, die ihn zu seiner Berufung führte. Er folgte ihr immer noch und fragte sich, wohin sie ihn führen würde – wie ja auch Matthäus noch nicht gerettet war, als Christus ihn berief. Der Heilige musste jahrelang warten, hart an seinem Glauben arbeiten und immer das Licht im Blick behalten. Bis zu seinem Martyrium.
«Die Dunkelheit, Maestro Caravaggio. Ja, die Dunkelheit.»
Er spürte Scipiones Nähe, spürte auf seiner Wange den Atem des Kardinals, süß wie der einer Frau.
«Wir sind an biblische Szenen mit lieblicher, toskanischer Landschaft im Hintergrund gewöhnt», fuhr Scipione fort. «Aber als ich Euren Matthäus sah, der in einem Keller eingesperrt ist, war es mir nicht möglich, mich von der seelischen Kraft des Anblicks zu lösen. Meinen Augen bot sich keine Möglichkeit, in die umgebende Szenerie auszuweichen.»
Caravaggio neigte den Kopf, um seinen Dank auszudrücken. Dabei fiel ihm wieder der Riss in seinem Strumpf auf. Wem schulde ich etwas?
«Lässt sich in jedem Motiv seelische Kraft finden?», fragte Scipione.
«Das hängt von der jeweiligen Seele ab, Eure Durchlaucht.»
«Durchaus. Nun ja, ich bin mir sicher, dass Ihr das, was aufzudecken ist, in seinem Gesicht findet.»
Wem schulde ich etwas? Caravaggio sah Scipione an. «In seinem Gesicht? Wie meinen Eure Durchlaucht?»
«Ich gebe Euch den Auftrag, etwas zu machen, mit dem sich der hübsche vergoldete Rahmen füllen lässt, der, wie ich bemerkt habe, Euch bereits bei der bloßen Nennung die Stirn runzeln ließ.»
Sein Gesicht? «Ein Porträt?» Caravaggio neigte den Kopf, als wollte er das Gesicht des Kardinals in einen Rahmen einpassen.
Scipione senkte das Kinn. «Nicht meins, Maestro Caravaggio. Seit mein Onkel gewählt wurde, den Ring des Fischers zu tragen, und mich nach Rom gerufen hat, habe ich zu viele andere Verpflichtungen, denen ich nachkommen muss.»
«Natürlich.»
«Eine dieser Angelegenheiten besteht darin, die Züge des Heiligen Vaters im Augenblick seiner Ernennung festzuhalten.»
«Ihr wollt, dass ich –?»
«Macht es im Palazzo Quirinale. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euer eigenes Material mitbringen, aber Ihr sollt mit den Sitzungen am Sonntagnachmittag beginnen.»
Caravaggio fiel auf die Knie und ergriff Scipiones Hand. Er drückte sein Gesicht auf die Fingerknöchel des Mannes und riskierte zugleich einen fragenden Seitenblick zu del Monte. Sein alter Gönner schürzte die Lippen. Er wusste, was das bedeutete. Nach Jahren, in denen Caravaggio bei päpstlichen Aufträgen von konventionelleren Künstlern ausgestochen worden war, hatte er den Gipfel des Ansehens und finanziellen Erfolgs erreicht. Er hatte den Chefkenner einer neuen Regierung im Vatikan beeindruckt. Malen würde er Camillo Borghese, Papst Paul V., und es würde ein Signal an alle Kirchen und Kardinäle sein, an jede wohltätige Vereinigung und an jeden Adeligen, dass Caravaggio der größte aller Künstler in der Welt der Christenheit war.
Auf dem Korridor rieb das Dienstmädchen mit der Bürste Wachs auf Terrakotta.
∗
Caravaggio bahnte sich auf dem Corso einen Weg durch die Menge aus Dienstmädchen und Kavalieren auf ihrer abendlichen Promenade. Die Aufregung, in die ihn das Treffen mit dem Kardinalnepoten versetzt hatte, hielt immer noch an. Er würde dem Papst gegenübersitzen. Würde seine Arbeit dann trotzdem noch wahrhaftig sein? Würde er der Versuchung erliegen, eine Unreinheit der Haut zu übertönen, einen gierigen, geizigen Blick gütig und großzügig aussehen zu lassen? Er wich einer Kutsche aus, die dicht vor seinen Füßen vorbeiratterte, und stolperte im Rinnstein über ein Schwein.
Die Arbeit würde vom Gedanken an Erfolg und die damit möglicherweise einhergehende Bestechlichkeit ablenken. Er machte sich auf den Weg zur Taverna del Moro, um ein Modell zu mieten. Er brauchte eine Schwester für die Magdalena, die er in seinem Atelier gemalt hatte. Die Huren würden sich jetzt wohl für die nächtlichen Ausschweifungen des Fleisches mit Wein stärken. Unter ihnen würde er das Gesicht der Heiligen finden.
Eine einzelne Laterne baumelte an einem Balken überm Tresen der Taverne. Schlecht rasierte, feindselige, schweigende Gesichter flackerten im Dämmerlicht. Er hatte den Eindruck, als beträte er das Krankenzimmer eines ungeliebten Verwandten. An jedem Tisch griffen Hände unter die Platten, um jederzeit eine Waffe zücken zu können, und jeder musterte misstrauisch den Neuankömmling. Neben der Tür schnarchte ein Mann, den Kopf neben einem Weinkrug; seine Haare waren vom Tag in einer Steinmetzwerkstatt weiß bestäubt. Der Kellner kam mit einem Teller gebratener Artischocken vorbei. «Alles in Ordnung, Signore?»
«Ist Menica hier, Pietro?»
Der Kellner setzte den Teller ab. Ein Mann mit einem breitkrempigen Hut griff mit seinen dicken, dreckigen Händen nach den Artischocken, riss die Schuppenblätter ab und tunkte sie ins Olivenöl auf dem Teller. Er legte einen Arm um sein Essen, als rechnete er damit, dass es ihm weggenommen werden könnte.
«Menica? Schon so früh so geil, Signore?», sagte der Kellner. «Wollt Ihr nicht erst einmal essen? Wir haben schönen Ricotta und gekochtes Fleisch. Das gibt Euch Mumm für die abendliche Ertüchtigung.»
Der Artischockenesser stieß ein verächtliches Kichern aus. Selbstzufrieden grinste der Kellner ins Dunkel, wo der Mann saß.
Caravaggio näherte sich ihm.
Pietro sah ihm in die Augen und verlor seine Selbstgefälligkeit. «War nur ein Scherz, Signore. Ich kenne Euch gut, und ich würde mich nie über Euch lustig machen.»
Die Tür wurde geöffnet. Sie schlug gegen den Tisch, an dem der Steinmetz schlief. Aufgeschreckt hob er den Kopf, wobei der Staub als dünne weiße Wolke aufstieg. Zwei Männer kamen herein, die sich gegenseitig stützten, als wären sie bereits betrunken. Der größere trug ein schwarzes Wams mit rot und türkis gestreiften Ärmeln. Er hielt eine Tonflasche hoch und setzte sie seinem Kumpan an den Mund. «Michele, wo steckst du denn, Cazzo?»
Onorio Longhi schlang Caravaggio einen Arm um den Hals. Er war blass, hatte Sommersprossen und einen rotblonden Kinnbart. Das Haar hing über seine Augen und verschattete tiefe Augenhöhlen. Selbst wenn er gute Laune hatte, war Onorios Blick furchteinflößend, und das wusste er ganz genau. Angst zu verbreiten machte ihm Spaß. Er zog Caravaggio zu sich heran und küsste ihn auf die Stirn. «Mario hat das Riesenarschloch Ranuccio vom Tennisplatz gefegt. Stimmt’s, Maestro Minniti, mein kleiner sizilianischer Arschficker?»
Der Mann unter Onorios anderem Arm umarmte lachend Caravaggio. Er war klein und schmächtig und hatte um die Mundwinkel immer noch den ironischen Zug, den Caravaggio vor sechs Jahren seinem Ebenbild eingezeichnet hatte, als er ihn als den von einer handlesenden Zigeunerin Betrogenen porträtiert hatte. Er trug immer noch das gleiche senffarbene Samtwams, in dem er damals posiert hatte, nur dass es inzwischen an den Ellbogen geflickt und mit Ölfarbe und Weinsoße befleckt war. Caravaggio strich Mario durch die schwarzen Haare.
«Ich hab Ranuccio gehetzt wie ein fettes Schwein, das den Bauch voller Bohnen hat», sagte Mario.
Ach ja, Ranuccio. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Das Geld, das er am Tag zuvor beim Tennis verloren hatte. Kein guter Mann, um bei ihm Schulden zu haben.
Der Kellner verschwand im Dunkeln. Caravaggio wusste, dass er heute Abend nicht mehr arbeiten würde, nachdem er Onorio getroffen hatte. Er rief dem Kellner nach: «Pietro, dann bring mir eben den Ricotta.»
Sie setzten sich an einen Tisch neben der Küche. Caravaggio wollte sich mit dem Rücken zur Wand auf die Bank setzen, aber Onorio kam ihm zuvor, behielt die Tür im Auge und war sogar noch in seinem wüsten Zustand wachsam.
Caravaggio setzte sich auf einen im Schatten stehenden Hocker. «Ich habe Menica gesucht», sagte er.
«Hab sie eben erst gesehen», sagte Onorio. «Mit Gaspare, dem kleinen Poeten. Deinem größten Verehrer.»
«Ich habe neue Bewunderer, gegen die Gaspare ein ganz kleiner Fisch ist.»
«Rieche ich da etwa einen Auftrag?»