Für hilfreiche Impulse danke ich Joachim Böhm, Anni Eschenbach, Marianne Hermann, Judith Jäger, Sigrid Pflug, Franz Ruf, Peter Seidel, Gretl Uhl, Heidi Weitmann und Brigitte Wendl.
Günzburg, im Januar 2013
Hermann Wohlgschaft
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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1. Auflage 2013
© 2013 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter-verlag.de
Umschlag: Peter Hellmund
© Titelbild / Foto: Heidrun Bauer SDS, anlehnungsbedürftig (Variante ROT), 2007, Acryl-Mischtechnik auf Leinwand, 40 × 80 cm
Satz: Hain-Team, Bad Zwischenahn (www.hain-team.de)
Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
ISBN
978-3-429-03587-7 (Print)
978-3-429-04697-2 (PDF)
978-3-429-06091-6 (ePub)
Einführung
1. Die Realität in der Partnerbeziehung
2. Die grundlegende Gottesbeziehung
3. Die Zielbestimmung der Partnerliebe
Kapitel I
Die erotische Partnerliebe
1. Zur gesunden Selbstliebe
2. Zur notorischen Bindungsangst
3. Zur Geschlechterbeziehung
4. Zum kirchlichen Eheverständnis
5. Zum kirchlichen Sexualkomplex
6. Zur sinnlichen Lust in protestantischer Sicht
7. Zur Sexualität als Quelle der Spiritualität
8. Zu den Maßstäben und Werten
9. Zur eschatologischen Perspektive
Kapitel II
Für immer und ewig
1. ›Same Same But Different‹
2. Das umfassende Ja
3. Die Facetten des Intimen
4. Die Seelenfreundschaft
5. Das Sakrament der Treue
6. Fußangeln der Liebe
7. Nähe und Distanz
8. Die bleibende Bindung
Kapitel III
Wenn die Ehe zerbricht
1. Ohne Wenn und Aber
2. Trennungsgründe
3. Das katholische Eherecht
4. Biblische Einwände
5. Lösungsvorschläge
6. Zur reformatorischen Ehepastoral
7. Wider die neue Spaltung
8. Getrennt und wieder verbunden
Kapitel IV
Der unendliche Horizont
1. Zur ›Vergänglichkeitsbewältigung‹
2. Die »Scheunen der Vergangenheit«
3. Die unbegrenzte Hoffnung
4. ›Die Schöne und das Biest‹
5. Die größere Liebe Gottes
6. Im göttlichen Licht
7. Zum Erlösungsgedanken
8. Vom Fragment zur Vollendung
Kapitel V
Ehelosigkeit und Partnerbeziehung
1. Der Pflichtzölibat
2. Gesetz und Charisma
3. »… um des Himmelreichs willen«
4. Die Sadduzäerfrage
5. Keine Ehe im Himmel
6. »Die Menschen werden sein wie die Engel«
7. Die Sehnsucht ohne Ende
8. Der Eros und die ›Gottesminne‹
Kapitel VI
Unbeschränkte Kommunikation
1. ›Bin ich, wenn ich nicht mehr bin?‹
2. Ein Plädoyer für das ›Ich‹ und das ›Wir‹
3. Die personale Vollendung
4. Die Auferstehung zum Leben
5. Die himmlische ›Hochzeit‹
6. Zur neuen Leiblichkeit
Kapitel VII
Mann und Frau – sub specie aeternitatis
1. Sinnlichkeit als Verheißung
2. Intimes im Himmel?
3. Zur Vielfalt der Beziehungen
4. Das göttliche Fest
Anmerkungen
Personenregister
Die Liebe allein versteht
dies Geheimnis,
andere zu beschenken
und dabei selbst reich zu werden.
Clemens Brentano
Leben heißt immer in Beziehungen leben. Ich lebe, wenn ich in Beziehung lebe zu mir selbst, zu anderen Geschöpfen, zu Gott. Beziehungen aber können gut sein oder auch schlecht. Leben im Vollsinn können wir nur, wenn wir in guten Beziehungen leben. Anders gesagt: Leben im eigentlichen Sinne können wir nur, wenn wir lieben, wenn wir Gott und die Schöpfung, wenn wir bestimmte Menschen und uns selbst wirklich lieben.
Über die Liebe wurde, auch von mir, schon sehr viel geschrieben. Was Liebe eigentlich ist, ist freilich umstritten. Nicht jeder versteht unter Liebe dasselbe. Ob es eine verlässliche, eine wirklich dauerhafte oder gar eine ewige Liebe gibt, ist erst recht eine Streitfrage. Die Beantwortung dieser Frage wird mit persönlichen Erlebnissen und mit der religiösen Einstellung zusammenhängen.
Wer Gott nie wirklich erfahren hat (oder wer meint, dass er Gott nie erfahren hat), wird wohl nicht an die ewige Liebe und nicht an das ewige Leben glauben. Aber auch der Atheist, der Skeptiker, der an keine unsterbliche Seele, an keine Auferstehung der Toten, an keine Art des Weiterlebens glaubt, wird einräumen müssen: Zumindest als literarisches Thema ist die Liebe unsterblich und unerschöpflich. Für mich als Christ allerdings ist die Liebe als solche die belebende Energie, die göttliche Kraft, die unser Leben unsterblich macht.
Warum nun schreibe ich ein weiteres Buch über die Liebe, warum lässt mich dieses Thema nicht los? Die Antwort ist einfach: Es gibt noch so vieles zu sagen! Ich werde nie an ein Ende kommen, alles was über die Liebe geschrieben wird, bleibt immer ein Stückwerk. Aber gerade das macht die Liebe so schön! Sie hört nie auf, unser Leben zu bereichern, zu erneuern, zu inspirieren.
Ich schreibe gern über die Liebe, weil ich vieles erlebt habe und weil es auf diesem Gebiet stets neue Überraschungen gibt. Die Liebe ist das tiefste Geheimnis des Lebens und das tiefste Geheimnis der Lebensfreude. Sie ist die größte Gabe und die größte Aufgabe des Menschen. Für mich jedenfalls kann es nichts Schöneres geben als Liebe zu schenken und dabei auch selbst sehr beschenkt zu werden. Schon so oft habe ich dies an Leib und Seele erfahren. Ich hoffe, dass dies auch künftig so bleiben wird, dass ich in der Liebe noch wachsen werde und dass in der Ewigkeit Gottes diese Liebe zum endgültigen Ziel kommen wird.
Nun gibt es bekanntlich sehr viele und sehr unterschiedliche Arten der Liebe. Warum schreibe ich als ›Single‹, als zölibatärer Priester ausgerechnet über die Liebe von Mann und Frau? Warum schreibe ich nicht ausschließlich über die Liebe zu Gott bzw. über die Liebe Gottes zum Menschen?
Ich schreibe gerne auch über die Partnerliebe, weil ich als katholischer Pfarrer, als Seelsorger und Konfliktberater ja nicht auf einem anderen Stern lebe. Ich schreibe über die Partnerbeziehung, weil ich viele Ehepaare (oder Paare, die in einer eheähnlichen Beziehung leben) seelsorglich oder privat sehr gut kenne und weil ich als Theologe der Meinung bin, dass die Partnerliebe von anderen Arten der Liebe – etwa der Seelenfreundschaft, der intensiven Nächstenliebe und vor allem der Gottesliebe – zwar zu unterscheiden, aber nicht wirklich zu trennen ist.
Wenn ich über die ›Partnerliebe‹, ihre vielfältigen Aspekte und Dimensionen schreibe, kann es realistischerweise nicht ausschließlich um die Ehe gehen. Zwar weiß ich als Christ um den hohen Wert der sakramental geschlossenen Ehe, die es zu schützen und zu fördern gilt. Als praktizierender Seelsorger weiß ich aber zugleich, dass es alternativ zur Ehe, zur Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, ja nicht nur die Lebensform der Ehelosigkeit (des freiwilligen oder des unfreiwilligen Zölibats) gibt. Nein, es gibt neben der Ehe auch andere Arten der Partnerbeziehung. Es gibt andere, nichteheliche Formen der Liebe von Mann und Frau. Und es gibt auch die gleichgeschlechtliche Paarbeziehung.
Solche Fakten müssen die christlichen Kirchen zur Kenntnis nehmen. Und sie müssen, über Kritik und Klage hinaus, nach hilfreichen Antworten suchen. Außerdem müssen wir uns der Tatsache stellen, dass eine Ehe (bzw. eine andere Form der Paarbeziehung) auch scheitern kann, dass es oft zu Trennungen kommt und anschließend – oder auch schon parallel zur ›offiziellen‹ Beziehung – zu anderen Bindungen.
Die Möglichkeit des nur unzureichenden Gelingens oder des vollständigen Scheiterns besteht freilich nicht nur bei Partnerbeziehungen und intimen Freundschaften. Sie besteht auch im Falle der Ehelosigkeit als frei gewählter Lebensform. Natürlich kann es sein, dass ein Mann oder eine Frau sich für den Zölibat entscheidet und erst später begreift, dass er/sie diese Lebensform nicht wirklich und nicht glaubwürdig realisieren kann. Ist es dann in jedem Fall Untreue, ist es in jedem Fall ein persönliches Versagen, eine Schuld gegenüber Gott und den Menschen, wenn jemand die Konsequenzen zieht und sich neu orientiert?
Was mich über solche Fragen hinaus berührt und existenziell bewegt, ist die fundamentale, die philosophisch-anthropologische Frage: Hat die liebevolle Partnerbeziehung, trotz ihrer Gefährdung und trotz ihres potentiellen Scheiterns, ihrem eigentlichen Wesen nach eine Bestimmung zur Dauer, zur Verlässlichkeit, zur Nachhaltigkeit? Ja hat die Partnerliebe – sofern sie echt ist und sich auf Erden bewährt – eine Ewigkeitstiefe, eine eschatologische Relevanz?
Einem Jesuswort zufolge wird es in der Ewigkeit Gottes keine Ehe mehr geben (Mk 12,25). Gilt dieser eschatologische Vorbehalt Jesu nur für die Ehe als einer vorübergehenden Einrichtung, als einer kulturgeschichtlich bedingten Institution? Oder gilt dieser Vorbehalt Jesu auch für jede andere Art der Geschlechterbeziehung? Mit anderen Worten: Ist die Partnerliebe, von den Aussagen Jesu her gesehen, in jedem Fall etwas rein Irdisches und folglich Vergängliches? Auf diese, in meiner Sicht wichtigen und theologisch brisanten, Fragen werde ich – ebenso wie auf die Problematik der Scheidung und Wiederverheiratung – in den folgenden Kapiteln ausführlicher eingehen.
Wie gesagt, mein Thema ist nicht nur die Ehe, mein Thema ist die leib-seelische Partnerliebe in ihren vielen Facetten: die Partnerliebe, die sich ausstreckt nach einem menschlichen Du, die sich verschenkt und die selbst aufs reichste beschenkt wird. Diese – durchaus erotische – Liebe hat eine Tiefendimension, die das Nachdenken und die theologische Erhellung verdient.
Die zwischenmenschliche Liebe und somit auch die Geschlechterbeziehung sehe ich in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Gottesbeziehung.1 Wie eng die Gottesbeziehung und die Geschlechterbeziehung miteinander verknüpft sein können, ist seit langem ein Brennpunkt meines theologischen Fragens und Suchens. So zweifle ich nicht daran: In jeder Krise, in jedem Scheitern liegt auch eine neue Chance, eine Möglichkeit der Heilung und des neuen Beginns! Diese umfassende Chance hat – nach dem Zeugnis der Bibel – ihren letzten und eigentlichen Grund in Gott, der die Liebe ist (1 Joh 4, 8).
Wenn eine Freundschaft, eine Liebesbeziehung, eine Ehe zerbricht, kann es einen neuen Anfang geben. Dieser neue Anfang kann, theologisch gerechtfertigt,2 mit einem anderen Partner gefunden werden. Er kann aber, in manchen Fällen, auch mit dem ›alten‹ Partner gefunden werden. Im Vertrauen auf die unbegrenzte Liebe Gottes jedenfalls kann die irdische Partnerbeziehung, durch manche Niederlagen und manche Brüche hindurch, neu gefestigt und neu belebt werden. Ja sie kann verewigt und vervollkommnet werden im Gottesreich!
Es war für mich eine bedeutsame Entdeckung, dass ich mit dieser – die jetzige Welt überschreitenden – Lebensauffassung durchaus nicht allein stehe.3 Zwar schreiben viele Autoren in erster Linie über die Vergeblichkeit, das Elend, das Scheitern der Liebe. Nicht selten wird dieses Scheitern auch dargestellt in der bildenden Kunst. Eine mögliche Rettung aber, eine innere Heilung der Partnerbeziehung scheint in Kunst und Poesie – zumal in neuerer und neuester Zeit – kein häufiges Thema zu sein. Und eine Transzendenz, eine Ewigkeitsrelevanz der Partnerliebe ist erst recht kein bevorzugtes Motiv.
Man kann auch nicht sagen, dass allen, die über die Liebe schreiben (oder sie künstlerisch darstellen), die Frage nach einem göttlichen Grund der Liebe besonders wichtig sei. Immerhin aber ist mir beim Nachforschen in der Kulturgeschichte eine ansehnliche Reihe von – sehr hochrangigen – Vertreter/innen der Weltliteratur, der Schönen Künste und der Philosophie begegnet, die genau um diese eine besondere Frage kreisen: Gibt es einen göttlichen Urgrund, der der zwischenmenschlichen Liebe – die Freundes- und die Partnerliebe mit eingeschlossen – eine letzte Tiefe, ja einen Ewigkeitscharakter verleiht?
Als Christ darf ich glauben: Der Grund und das Ziel jeder Liebeserfahrung ist Gott. Da Gott den Menschen aber »nach seinem Bilde« erschaffen hat (Gen 1,26 f.) und da Gott selbst, in Jesus Christus, Mensch geworden ist, lassen sich göttliche und menschliche Liebe im Grunde nicht trennen. Eben deshalb brauchen ja alle Menschen, auch »Gott geweihte« Priester und Ordensfrauen, ›intime‹ Beziehungen: das heißt menschliche Wärme und Geborgenheit (die es, wie ich aufzeigen will, auch in Seelenfreundschaften geben kann).
Warum aber kann sich die Liebe, gerade auch die Geschlechterliebe, nicht wirklich abfinden mit der Vergänglichkeit? Ist es nur Dummheit und Trotz, nur kindische Unreife, nur fehlende Einsicht in die Endlichkeit des Lebens? Oder hat das Verlangen nach Ewigkeit, nach »tiefer, tiefer Ewigkeit« (Nietzsche),4 einen ganz anderen Grund? Beruht die Liebe, als Sehnsucht nach Unendlichkeit, auf einem heimlichen ›Wissen‹, auf einer Glaubensgewissheit – begründet im Urvertrauen auf Gott, der das Leben »in Fülle« (Joh 10,10) ist?
Was eigentlich ist das Wesen der Liebe von Mann und Frau? Was ist das Wesen der Liebe überhaupt, unabhängig von ihren unterschiedlichen Arten und Formen? Wo kommt die Liebe her, worauf will es mit ihr hinaus? Diese ›Menschheitsfragen‹ stehen im Fokus der folgenden Buchkapitel. Die irdische Liebe also mit ihren vielfachen Begrenzungen, speziell aber die Partnerliebe mit ihren weitreichenden Unzulänglichkeiten ist mein durchgängiges Thema.
Nicht zuletzt aber steht das Ziel, die tiefere Sehnsucht, die himmelwärts gerichtete Grundbestimmung der Liebe im Blickfeld meiner Betrachtungen. Die eschatologische Hoffnung also, die Hoffnung auf Unsterblichkeit auch der Liebe von Mensch zu Mensch – und von Mann und Frau – ist ein wichtiger Beweggrund für meine Überlegungen.
Nichts auf der Welt ist schwieriger
als die Liebe,
aber ein Leben ohne Liebe
heißt sterben vor dem Tod.
García Márquez
Die Liebe ist allgegenwärtig. Sie hat viele Gestalten und begegnet uns überall. Sie schaut uns an im normalen Alltag, in herausgehobenen Glücksmomenten und in den Werken der Kunst. Sie macht uns lebendig, sie gibt unserem Dasein den Sinn und den bleibenden Wert. Ohne Liebe wäre unser Leben erbärmlich, ja ohne die Liebe wären wir »nichts« (1 Kor 13,2).
Ob bewusst oder unbewusst, nach Liebe sehnen sich alle. Natürlich setzt auch die Paarbeziehung, die echte, tragfähige Verbindung zwischen den Partnern, immer schon Liebe voraus – eine wechselseitige Zuneigung, die den anderen als wirklichen ›Schatz‹ erlebt. Zwar ist diese Art der Liebe noch keineswegs die Seligkeit. Und sie ist, mit ihrem Geben und Nehmen, gewiss nicht der einzige Weg zum Glück. Aber sie ist ein Weg, ein möglicher Weg zum Himmel.
In jedem Fall hat die Partnerbeziehung eine existentielle Bedeutung. Das wissen besonders die Schriftsteller und Dichter, die das Leben in verdichteter Form auf den Punkt bringen. Es versteht sich von selbst, es entspricht dem Wesen des menschlichen Daseins, wenn die Partnerbeziehung das Thema in der Literatur aller Regionen und aller Zeiten ist. So gibt es wohl keinen Roman, fast keine Märchen oder Legenden, kaum ein lyrisches Gedicht oder sonstige Werke der Weltliteratur, in denen die Liebe – meist als Liebe von Mann und Frau – keine tragende Bedeutung hat und keine maßgebliche Rolle spielt.
Die Liebe ist die Energie, die treibende Kraft, die alles Leben hervorlockt. Sie ist, wie die Musik, eine Himmelsmacht. Auch in den Opern, Operetten und Musicals, in den volkstümlichen Liedern und oft auch in der bildenden Kunst – und natürlich im Kino oder Fernsehen – geht es zentral um die Liebe: um die Paarbeziehung, um die erotisch-sinnliche Liebe, die ja nicht selten als ›ewige‹ Liebe verherrlicht und in allen Tonarten beschworen wird.
Doch die Welt des Musiktheaters und der klassischen Liebesromane scheint vom heutigen Leben weit entfernt. Vor allem dann, wenn die Liebe – wie in den Opern Verdis oder in den Romanen Dostojewskis – mit Gott in Verbindung gebracht wird. Denn von der großen Mehrzahl der Leute, jedenfalls im ›christlichen‹ Abendland, wird die Beziehung zwischen Mann und Frau als etwas rein ›Weltliches‹ angesehen. Die Partnerliebe gilt als etwas nur Diesseitiges, das mit dem ›Ewigen‹, dem ›Heiligen‹ oder gar mit dem Glauben an Gott, an den Gott der biblischen Offenbarung, überhaupt nichts zu tun hat.
Entgegen dieser Auffassung, und mag sie noch so verbreitet sein, glaube ich an die Ewigkeit der Liebe. Ich will gewiss nicht bestreiten, dass die Liebe auch scheitern kann und dass es schwierig ist, sie zu ›lernen‹. Dennoch glaube ich an die Liebe, auch an die Liebe von Mann und Frau, die uns zutiefst beglücken kann, die uns mit Gott in Berührung bringt und die nach Unsterblichkeit verlangt.
Wir müssen jedoch unterscheiden. Nicht alles was sich Liebe nennt, ist Liebe. Es gibt auch Vorformen und gewiss auch Fehlformen der Liebe. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen und ernsthaft bedenken.
Im Brennpunkt meiner Überlegungen, ja in der Mitte meines Lebens steht freilich die Hochform der Liebe, die in meiner Sicht der Sinn und das eigentliche Ziel des menschlichen Daseins ist. Diese Hochform der Liebe sollte einerseits ein Leben lang angestrebt und schrittweise gelernt werden. Doch andererseits ist sie ein Geschenk der Liebe Gottes, das wir nicht herbeizwingen können und über das wir niemals verfügen können.
Die Hochform der Liebe kann (muss aber nicht) in der Partnerbeziehung gesucht und gefunden werden. Ganz leicht oder gar billig ist die Liebe in der Paarbeziehung allerdings nicht zu bekommen. Die erotische Liebe kann – ebenso wie der zölibatäre Verzicht – misslingen. Es ist eine bedauerliche, aber nicht zu leugnende Tatsache: Schon viele Freundschaften, schon viele Liebesbeziehungen und viele Ehen haben sich abgenützt und verbraucht. Sie verlaufen im Sande und sterben den Tod der inneren Auszehrung.
Es kann ganz unterschiedliche Gründe geben, die eine stabile Paarbeziehung erschweren oder verhindern. Ein häufiger Grund für das Scheitern sind zu hohe, unrealistische Erwartungen an den Partner. Wer den anderen ›vergöttert‹, ihn verabsolutiert, ihn gleichsam an die Stelle Gottes setzt, ihm also keine menschlichen Schwächen mehr zugesteht, der überfordert den Partner total und programmiert die Beziehungsprobleme schon voraus.
Manchmal zerbrechen Paarbeziehungen auch am fehlenden Selbstvertrauen, am zu geringen Selbstwertgefühl eines Partners oder auch beider Partner. Denn wer zum eigenen Ich eine gestörte Beziehung entwickelt, wer von sich selbst sehr wenig hält, wer sich selbst im Grunde nicht mag, wer also das Gebot der Selbstliebe (Mt 19,19) missachtet, ist auch nicht fähig zur Partnerbeziehung.
Warum aber lehnen viele Menschen sich selbst mehr oder weniger ab? Letztlich wohl deshalb, weil sie nicht spüren, dass sie bedingungslos gewollt und geliebt sind. Sie verneinen sich selbst, sie finden sich ungenügend und minderwertig, weil sie nicht wahrnehmen, dass sie geliebt sind von Gott, dem Urgrund des Seins. Umgekehrt aber gilt dann genauso: Aus einem Grundgefühl des Bejahtseins durch Gott heraus könnte ich zu mir selbst eine gute Beziehung finden und ein positives Selbstbild entfalten. Das heißt natürlich nicht, dass ich in narzisstischer Selbstverliebtheit die eigenen Schwächen und die eigenen Fehler nicht wahrnehmen soll. Aber es heißt, dass ich trotz meiner Fehler ja sagen darf zu mir selbst.
Die echte Partnerliebe setzt eine gesunde Selbstliebe der Partner voraus. Nur wer zu sich selbst eine gute Beziehung hat, kann auch andere bejahen und eine gute Beziehung zu ihnen knüpfen. Denn er sucht die ›Erlösung‹ jetzt nicht mehr in der Zuwendung durch andere Menschen, sondern er weiß sich erlöst durch die göttliche Liebe. Folglich kann er ohne überzogene Erwartungen an andere, also ohne andere zu überfordern, auf andere Menschen zugehen. Somit aber wird er beziehungsund liebesfähig.
Ein schlechtes Selbstbild und eine zu hohe, ja maßlose Erwartung an den Lebenspartner sind oft nur zwei Seiten derselben Medaille. Selbstverachtung und psychische Abhängigkeit vom menschlichen Partner können die Folgen desselben Grundphänomens sein: die Folgen einer defizitären Gottesbeziehung, eines mangelnden ›Urvertrauens‹ in die tragende und Leben spendende Kraft des göttlichen Geistes. Doch wie schon gesagt, es kann für das Misslingen – oder das Nichtzustandekommen – einer Paarbeziehung auch noch weitere, ganz verschiedenartige Gründe geben.
Manche finden nie einen Partner, weil ihnen keiner gut genug oder klug genug oder schön genug ist. Sehr oft auch lässt die Bindungsangst ein gemeinsames Leben nicht zu. Die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann zum Beispiel schrieb als 24-Jährige an den Lyriker Paul Celan: »Du wirst dir ja denken können, dass die Zeit seit dir für mich nicht ohne Beziehungen zu Männern vergangen ist … Aber nichts ist zur Bindung geworden, ich bleibe nirgends lang, ich bin unruhiger als je und will und kann niemandem etwas versprechen.« Zwei Jahre später erklärte sie ihrem Freund und Liebhaber Celan: »Ich liebe dich und will dich nicht lieben, es ist zu viel und zu schwer.«5
Für eine Bindungsangst im Sinne Ingeborg Bachmanns fehlt mir nicht jedes Verständnis und nicht jegliche Sympathie. Nein, ich kann das durchaus verstehen. Sich für immer für einen bestimmten Menschen zu entscheiden ist ja nun wirklich keine Kleinigkeit. Es ist vielmehr ein Wagnis.
Was mir gefällt, ist die absolute Ehrlichkeit, mit der sich Ingeborg Bachmann (die zeitweilig, 1958 bis 1962, auch mit dem Dichter Max Frisch eine Liebesbeziehung hatte) zu ihrer Bindungsangst bekennt. Ob die Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan – bzw. Bachmann und Frisch – vielleicht dennoch auf wirklicher Liebe beruhte, dies zu bewerten steht mir nicht zu. Worauf ich hinaus will, ist vielmehr die These: Suchende wie Ingeborg Bachmann stehen exemplarisch für viele Frauen und Männer in der heutigen Zeit, die sich mit einer dauerhaften Beziehung, aus welchen Gründen auch immer, sehr schwer tun.
Ein Kulturkritiker, ein Pessimist könnte nun klagen: In sehr vielen Fällen bleibt die Begegnung der Geschlechter ein Intermezzo. Nicht selten auch bleibt die ›Liebe‹ etwas Banales, etwas rein Oberflächliches, etwas sehr Kurzweiliges, das über Spaß und sexuelles Vergnügen kaum hinausreicht. Wenn ein junger Mann und eine junge Frau sich heftig verlieben und anschließend ›zusammen‹ sind, so dauert das oft nur wenige Wochen. Lebendige Paarbeziehungen auf Lebenszeit sind eher die Ausnahme. Denn die hohen Scheidungsraten in den westlichen Industrieländern sind ja sicherlich nur die Spitze eines riesigen Eisbergs. Sehr häufig kommt es nach kurzer Zeit – manchmal auch nach sehr langer Zeit – zur äußeren oder inneren Trennung, auch ohne förmliches Scheidungsverfahren.
Oftmals, so könnte der Kritiker hinzufügen, wird eine feste Beziehung – eine Eheschließung oder ein eheähnliches Zusammenleben – von Anfang an gar nicht angestrebt. Die ›Liebesbeziehung‹ wird von vornherein als Episode, als vorübergehendes Abenteuer betrachtet. Man trennt sich im gegenseitigen Einvernehmen (oder auch gegen den Willen des anderen), sobald es die ersten Schwierigkeiten gibt. Oder man bleibt zwar nach außen hin ein Paar, hat sich aber schon längst entfremdet und auseinandergelebt.
Solche oder ähnliche Analysen werden im Kern ja wohl zutreffen. Dennoch wende ich ein: Was als Abenteuer, was als Flirt, als unverbindliches Spielchen beginnt, kann immer noch Liebe werden. Das Leben insgesamt ist ja Übung. Gerade auch die Liebe will eingeübt sein – oft über tragische Umwege, manchmal über längere Irrwege und schwerwiegende Fehler. Es kann dann unter Umständen sein, dass eine Paarbeziehung als zerrüttet, als nicht mehr lebbar erscheint und deshalb beendet wird – um mit einem anderen Partner eine neue Chance zu erleben und mit ihm einen neuen Anfang zu suchen.
Dem Bruch oder der inneren Aushöhlung einer Partnerbeziehung geht meist ein mehr oder weniger schuldhaftes Verhalten auf beiden Seiten voraus. Das heißt aber nicht, dass die Trennung vom Partner in jedem Fall etwas Verwerfliches wäre. Es kann – wie noch genauer zu erörtern ist6 – Situationen geben, in welchen die Trennung um der Würde der Partner willen sogar zwingend erforderlich ist.
Aber ihrem eigentlichen Wesen nach ist die Liebe von Mann und Frau, das ist meine innerste Überzeugung, auf Dauer hin angelegt. Dieses Wesen der Partnerliebe kann zwar nicht immer realisiert werden. Umso wichtiger aber ist es, dieses eigentliche Ziel der Liebe nicht gänzlich aus den Augen zu verlieren.
in sich selbst