Gerhard Ebert

WOLLUST ACH - Uwe, der Student

Report

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

1.Das neue Leben

2.Liebe als Abenteuer

3.Knutschen im Kollektiv

4.Einfach so im Stehen?

5.Küsschen in der „Melodie“

6.Das erotische Magazin

7.Hast du Lust?

8.Wärmflasche mit Ohren

9.Ist der Trieb für die Liebe zuständig?

10.Anders herum?

11.Damenwahl

12.Fatale Niederlage

13.In Weimar kein Puff

14.Nackt unterm Rock

15.Mein Leipzig lob ich mir

16.Weinen vor Glück

17.Intermezzo in der Muldentalbahn

18. Bockmist

19.Stets aus vollem Herzen

20.Die kleine Ziemann

21.Eine heiße Pforte

22.Zwischen zwei Frauen

23. Zärtlich brutal

Impressum neobooks

1.Das neue Leben




Im Spätsommer saß Uwe eines Morgens erwartungsfroh und durchaus auch ein wenig stolz im D-Zug nach Weimar. Er fuhr zum Studium der Theaterwissenschaften am renommierten Deutschen Theaterinstitut auf Schloss Belvedere. Und während der Zug durchs Thüringer Land ratterte, wanderten die Gedanken zurück. Er sah seinen ehemaligen Chef vor sich, den Herrn Berger, der ihn nach seiner Rückkehr von der Prüfung mit seinen blanken Äuglein unter struppigen Brauen erwartungsvoll angeblickt hatte. Uwe hatte ihm sagen müssen, dass er angenommen und auch gesonnen sei, in Weimar anzufangen. Er versteckte sich ein wenig hinter Vater. Mit ihm habe er alles noch einmal besprochen. Und er habe ihm geraten, sich in diesen unvergleichlichen Zeiten nicht auf ein so ungewisses Geschäft einzulassen. Herr Berger hatte nur müde genickt, „ja, ja“ gemurmelt und gesagt, dass er alles verstehe. Er spüre sehr wohl: Die Zeiten des Handwerks seien vorbei. Wer wisse, ob in einigen Jahrzehnten oder gar schon Jahren überhaupt noch Schriftsetzer gebraucht werden. In Amerika werde gewiss schon daran herumgedoktert, künftig alles elektrisch zu machen. Er werde seine Druckerei schließen und sein Blei verramschen müssen. Das war bitter, gewiss. Uwe hatte stumm gestanden und nichts zu sagen gewusst. „Alles Gute, mein Junge!“ hatte der Chef gesagt. Er war eben ein Lieber! So war Uwe denn doch irgendwie im Guten ausgeschieden.

Auch seine „Film-Karriere“ hatte Uwe beendet. Er hatte dem Chef der Film-Form GmbH, dem Herrn Güntler, mit einer gewissen Genugtuung geschrieben, dass er vorerst aus dem Film-Schreibkurs aussteige, weil er im Begriff sei, ein Studium zu beginnen. Das werde ihn gewiss so beanspruchen, dass fürs Schreiben als reinem Luxus keine Zeit mehr zur Verfügung stehen werde.

Ja, es war toll, angenommen zu sein! Aber er durfte sich keinen Illusionen hingeben. Auch jetzt hämmerte er sich den Vorsatz ein, die Dinge grundsätzlich so zu nehmen, wie sie kommen würden und nicht zu lamentieren. Auf keinen Fall wollte er sich gehen lassen, wenn dies oder jenes schief gehen sollte. Was ja wohl nicht zu vermeiden sein würde.

Das ruhige und entspannte Sitzen im sanft rüttelnden Wagen führte indessen zu einem Ereignis, das Uwe gnadenlos aus seinen Erinnerungen ins aktuelle Dasein holte. Sein arg vernachlässigter kleiner Uwe machte nämlich so unverkennbar wie nachhaltig auf seine Existenz aufmerksam. Ohne dass Uwe auch nur irgendwie eine gegenteilige Maßgabe hätte an ihn richten können, forderte sein Schwengel in der Hose Beachtung ein und begann, sich aufzurichten. Welche im Moment ganz und gar ungewollte Aktivität Uwe brutal unterdrückte, indem er rasch aufstand und aus dem Abteil hinaus in den Gang trat. Dort stellte er sich nah an ein Fenster, um die unerwünschte Erhebung möglichst unsichtbar zu machen. Aber die Gefahr ging rasch vorüber. Sein lüsterner Schlingel nahm übel und sackte in sich zusammen.

Uwe indessen blieb höchst nachdenklich zurück. Ihm war von der Natur soeben ein überdeutliches Signal zuteil geworden. Und das hieß, künftig trotz aller Studiererei nicht zu vergessen, dass auch gelebt werden musste, und zwar ganz besonders in bestimmter Hinsicht. Uwe war bewusster denn je, dass er einen mächtigen Nachholbedarf hatte. Nachdenklich ging er zurück ins Abteil. Die paar Leute, die dort saßen, hatten wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, dass er kurz draußen gewesen war. Nun saß er wieder in seiner Ecke und schwor sich, das Thema Sex endlich und endgültig nicht mehr nur von der theoretischen Seite anzugehen. Die Theorie, nahm er sich vor, sollte fortan der Theaterwissenschaft vorbehalten sein, und die Praxis seinem Geschlecht. Sozusagen!

Und er ahnte gleichsam greifbar, da würden so oder so noch viele Enttäuschungen zu verkraften sein. Denn eine wirklich liebreizende Frau, die ihm geradezu mystische Schauer durch den Körper jagte, wenn er sie nur sah, lief höchstwahrscheinlich nicht auf den Straßen von Weimar herum. Und wie es damit auf Belvedere bestellt war, wusste er ja schon aus eigener Anschauung. Möglicherweise, gestand er sich ein, waren seine Sehnsüchte nach einer schönen Frau einfach nicht von dieser Welt, weil total fern jeder Realität. Wie auch immer, er musste ran an das Problem, musste verhindern, als schrulliger Intellektueller zu enden.

Die neuerliche Beschäftigung mit Thema eins der Männer hatte Uwe die Reise nach Weimar verkürzt. Als er auf Belvedere eintraf, erwartete ihn die erste Überraschung. Er würde gar nicht in einem der Kavaliershäuser unterkommen, sondern in einem zusätzlich angemieteten Wohnhaus am Rande von Weimar. Er sollte sein Gepäck deutlich kennzeichnen, es würde vom Fahrer zum Ratstannenweg gebracht. Er selbst sollte sich schon mal zu Fuß auf den Weg machen; denn Studenten des 2.Studienjahres seien schon vor Ort und würden ihn im Empfang nehmen. So trabte er denn los und machte die erste Bekanntschaft mit seinen künftigen Kommilitonen.

Der kleine Trupp, der sich gebildet hatte, suchte zunächst einmal mit Mühe, die Unterkunft zu finden. Am Restaurant Falkenberg waren sie nach links abgebogen, von wo es nachhaltig bergauf ging, und die Max-Liebermann-Straße erwies sich als elend lang. Sie hatten schließlich fast eine Stunde gebraucht, bis sie nach ein, zwei unnötigen Umwegen endlich an dem für damalige Verhältnisse wohlerhaltenen, schmucken Haus anlangten.

So viel stand schon mal fest: Der tägliche Fußmarsch hoch nach Belvedere würde, was die Gesundheit betraf, gewiss gut sein, was jedoch den Zeitaufwand betraf, mehr als ärgerlich. Die launig theatralische Begrüßung vor Ort indessen ließ solche Abwägungen erst einmal vergessen. Für die Studenten standen Erdgeschoss und erstes Stockwerk mit Bad und Küche zur Verfügung. Natürlich hatte das ältere Semester, das sie jetzt so fröhlich begrüßte, bereits die Einzelzimmer belegt, und Uwe fand sich in einem Eckzimmer für drei Personen wieder. Seine Mitbewohner: Heinrich aus dem fernen Mecklenburg und Erich aus dem nahen Halle. Für jeden standen ein Bett, ein Schrank, ein Tisch und ein Stuhl zur Verfügung. Nun lag es an ihnen, daraus etwas zu machen.

Studium! Neben allerhand Theorie überraschend auch Praxis. Vor allem das Stanislawski-Seminar! Die Leitung der Hochschule war der Meinung, dass künftige Dramaturgen und Regisseure auch einmal auf der Bühne gestanden haben sollten, und wenn es die einer Probebühne an einer Schule gewesen war. Für Uwe eine arge Herausforderung. Er ahnte, dass ihm die Schauspielerei Ärger machen würde. Weil er wusste, dass er im Grunde total verklemmt war. Und nicht nur ein kundiger Dozent, auch seine Mitstudenten würden das zu sehen bekommen. So kam es denn auch. Und das war echt demütigend.

Stanislawski-Seminar - genannt nach dem russischen Schauspieler, Regisseur und Theaterpädagogen Konstantin S. Stanislawski und eigentlich eingerichtet und durchgeführt als Grundausbildung für Schauspieler. Für Theaterwissenschaftler sollte es nur eine allerdings wichtige Übung sein. Das hieß: Gespielt musste werden, selbst wenn es amateurhaft blieb. Die Studenten des Seminars bekamen zur Aufgabe, vorbereitet zu erscheinen, und zwar mit der Idee zu einer Etüde, die sie ihren Kommilitonen aus dem Stegreif vorspielen sollten.

Geradezu Horror für Uwe! Er verstand die Welt nicht mehr. Da hatte er einst in seiner Kammer an Ideen für Filme gewerkelt, und jetzt versagte er, wenn es um simple Einfälle für kurze Spielchen ging. Das Problem war, dass man die Idee dann selbst realisieren musste. Also schien es ratsam, der Phantasie nicht zu viel Freilauf zu lassen, sondern besser dicht am selbst erlebten Alltag zu bleiben. So ernüchternd prosaisch das Spiel auch ausfallen würde! Für Laien war es kompliziert genug; denn die Requisiten, die man eigentlich gebraucht hätte, musste man sich vorstellen! Und dann auch noch so damit umgehen, dass die Zuschauer erkennen konnten, womit man hantierte.

So kam denn Uwe auf die Idee, den Leuten vorzuführen, was er jüngst mit seinem Proviant erlebt hatte, den sie in der Mensa in Empfang nehmen konnten. Meist war das Brot und Marmelade, auch Margarine und Obst. Diesmal hatte es neben Marmelade auch einen Hering gegeben, aber einfach so, ganz ohne Verpackung! Wie das kostbare Stück rund eine Stunde lang neben Büchern, Schreibblock und Turnschuhen in einer Aktentasche transportieren? Uwe opferte für den Hering zwei Blatt Papier vom Schreibblock und hoffte, dass die Tüte, in der die Marmelade immerhin gereicht wurde, den Transport überstehen würde. Aber das war nicht gelungen. Hering und Marmelade waren sich innig nahe gekommen. Und Uwe war nicht bereit gewesen, auf beides zu verzichten. Also hatte er die Marmelade gründlich vom Hering abgeleckt. Und er hielt diesen Vorgang für eine interessante physische Handlung. Denn darauf vor allem kam es an im Stanislawski-Seminar, auf die physische Handlung!

Wobei, wie gesagt, auf der Bühne grundsätzlich nicht die realen Gegenstände zur Verfügung standen. Was bezüglich eines Herings ja sogar recht plausibel war. Manchmal gelangen den Studenten mit vorgestellten Gegenständen sogar verblüffend genaue Darstellungen. Meist aber wurde lange herumgerätselt, was da wohl eben zu sehen gewesen war. Uwe hatte sich an dem Tag wirklich redlich Mühe gegeben, hatte gründlich geleckt. Aber ein Hering war nicht zu sehen gewesen. Also begann die Raterei. Allen voran Professor Otto Lang, der mit seinen funkelnden Augen noch im Nachhinein geradezu entgeistert auf die Bühne starrte, so dass Uwe ordentlich mulmig wurde. Da die Seminarteilnehmer bei bestem Willen nicht dahinter kamen, was er da soeben vorgeführt hatte, musste Uwe Auskunft geben. Welch Entsetzen! Vor allem beim Professor. Er konnte einfach nicht fassen, dass man Marmelade von einem Hering ableckt. Igittigitt! Der Mann hatte offenbar keine Ahnung, was Hunger ist. Was man ihm natürlich nicht aufs Brot schmieren konnte. Ab diesem Tag war das Seminar für Uwe gelaufen. Da auch andere Wissenschaftler mit dem Spielen so ihre Probleme hatten, wurden sie noch im ersten Semester zu einer Gruppe zusammengefasst, die in besonderen Seminaren für Kunst aufgeschlossen werden sollte. So lernte Uwe ganz außerplanmäßig die Uta von Naumburg kennen.

Welch steinerne Schönheit indessen ganz und gar kein Ersatz war für die Befriedigung natürlicher Bedürfnisse. Mit Uwes Mannwerdung sah es nach wie vor erschreckend elend aus. Aus den verschiedensten Gründen. Zunächst einmal verhinderte die Dreierbelegung des Zimmers, dass man irgendwie ein Weib mit auf Bude hätte bringen können. Abgesehen davon, dass Uwe ja gar keine Bettgespielin zur Verfügung stand. Zum anderen war just auf Belvedere eine Moraldebatte im Gange. Auf strenge Trennung zwischen Mädchen- und Männer-Kavalierhaus wurde gedrungen. Weil nämlich ein Student zwei Studentinnen geschwängert hatte. Gleichzeitig! Dieser Dussel!

Die Hochschulleitung sah sich gezwungen, strengere Maßstäbe anzulegen. Doch diese Strenge tangierte Uwe ja gar nicht. Sein Problem war nach wie vor, überhaupt erst einmal an eine Frau heranzukommen. Er lebte, wie auch seine Zimmergenossen, im Ratstannenweg ausgesprochen isoliert. Wenn sie abends ihr Zimmer erreichten, war grundsätzlich noch Selbststudium angesagt. Meist bis spät in die Nacht. Von Frauen war nur die Rede. Bei dem Thema hatte meist Heinrich das Sagen, denn er hatte in Schönberg in Mecklenburg eine Freundin und war fest entschlossen, ihr treu zu bleiben. Erich war solo, hatte aber wohl schon bisschen Erfahrung. Jedenfalls verstand er, diesen Eindruck zu erwecken.

Was für Uwe durchaus nahe gelegen hätte, nämlich sich im Studienjahr eine Freundin anzulachen, kam nicht zustande, weil – zumindest nach allererster Sondierung – in der Gruppe keine Frau war, die sein Interesse geweckt hätte. Einige Wochen später allerdings, sozusagen nach zweiter Sondierung, kam ihm Ellen ins Visier, und zwar beim Fechten. Nicht nur, dass er gegen sie antreten musste, er konnte sie während dieses Unterrichtes stets gut beobachten. Und er fand, dass sie nicht nur eine attraktive Figur hatte, sondern dass sie überhaupt ein echt appetitliches Mädchen war. Forsch, agil, und immer gut gelaunt.

Vorerst jedoch, so lange seine Erkundungen gewissermaßen aus der Ferne erfolgten, war für Uwe nach zwei, drei Wochen ziemlich gewiss: Auf ganz Belvedere gab es nur eine Studentin, die ihn erregen konnte, wenn er an sie dachte: Ruth-Maria! Sie war von stattlicher Figur, vollbusig, sehr impulsiv, und verdammt gut anzusehen. Doch leider zu groß für ihn. Und außerdem schon liiert, nämlich mit Götz, der im letzten Studienjahr war und wie sie schon einen gewissen Sonderstatus genoss. Also Ruth-Maria, eine zweifellos künftige Film-Diva, musste Uwe sich aus dem Kopf schlagen.

Das war sein Problem. Er träumte noch immer von einer auffallenden Schönheit, eben von einer potentiellen Film-Diva. Schließlich hatte er noch zu Hause im Kino genug davon bewundern können. Allen voran: Sonja Ziemann. Sie war zurzeit seine heimliche Geliebte. Für sie wäre er durchs Feuer gegangen. Auch im Kreistheater hatte Uwe noch eine heimliche Flamme gehabt. Ingeborg Ottmann, eine junge Schauspielerin, die neben dem gastierenden Erich Ponto als Faust ein himmlisches Gretchen gespielt hatte.

Solch hinreißend schöne Frauenzimmer waren leider auf Belvedere nicht auszufinden. Uwe ergriff Ernüchterung. Er nahm sich vor, bescheidener zu sein. Ein schönes, aber eben leider unerreichbares Idol im Kopf blockiert fürs Leben! Das musste sich ändern! Auch durfte er auf gar keinen Fall wie früher völlig die Übersicht verlieren, wenn er sich denn doch verknallen sollte. Er musste es grundsätzlich ruhiger angehen. Der tägliche Umgang mit teils sehr viel erfahreneren Männern hatte ihn ohnehin desillusioniert.





2.Liebe als Abenteuer


Mittlerweile war Uwes Überzeugung: Man muss Liebe als Abenteuer begreifen, wenn nicht gar als Lotterie. Das heißt, Nieten waren hinzunehmen. Und eigentlich galt nur ein Grundsatz: Keine Gelegenheit verpassen! Nach einer Niederlage musste sofort zu neuem Angriff übergegangen werden. Er fühlte sich durchaus gerüstet. Immerhin war sein Selbstvertrauen gewachsen. Und er war auch nicht mehr geradezu mittellos. Als gelernter Schriftsetzer galt er als Arbeiter. Das hatte zu einem recht ordentlichen Stipendium geführt. So wurde er denn fast zu eigener Überraschung sofort aktiv, als ihm eines Tages eine junge Frau unübersehbar auffiel.

Der Ort des Ereignisses war das Nationaltheater Weimar. Dort fanden sich die Studenten aus verständlichen, nämlich beruflichen Gründen relativ oft ein, wenn auch nur in den obersten Rängen. Dort konnten sie, ohne besonderes Aufsehen zu erregen, auch mal hämisch über Schauspieler unten auf der Bühne lachen; denn natürlich bildeten sie sich ein, dass man dies und jenes hätte besser spielen können. Abgesehen davon, dass das Training möglichst wahrhaften Spiels im Seminar durchaus die Befähigung förderte, auf der Bühne realistisches Spiel von äußerlicher und leerer Theatralik zu unterscheiden.

In den Pausen wurde jedoch nicht nur über die jeweilige Aufführung debattiert, man hielt stets auch Ausschau nach dem schönen Geschlecht. Als Uwe sich am Buffet eine Selters holen wollte, geschah Unerwartetes. Vor ihm stand eine junge Frau und hatte Schwierigkeiten. Sie hatte sich einen Kaffee bestellt und auch schon serviert bekommen, aber in ihrer Tasche fand sie kein Geld. Bestürzt und beschämt wollte sie verzichten, doch Uwe griff die Gelegenheit beim Schopf und bat, ihr die Tasse bezahlen zu dürfen. Ihm war das Angebot offenbar so nett und höflich gelungen, dass die junge Frau ihn erfreut anlächelte und dankend annahm. Was bedeutete, dass sie Uwe, als er ihr zu einem Tischchen folgte, nicht verwehren konnte, neben ihr Platz zu nehmen.

Beglückt stellte Uwe alsbald fest, dass er einer attraktiven Frau gegenüber saß. Kecke, energische Nase, dunkle, blitzende Augen unter kräftigen Augenbrauen, ebenmäßige Lippen, langes schwarzes Haar – einfach total hübsch! Und nicht mundfaul!

„Sie sind Student?“ fragte sie ihn neugierig. Offenbar wollte sie ihn a priori irgendwie einordnen.

„Ja, ja, im ersten Studienjahr“, rutschte es Uwe heraus. So ist das, wenn man ehrlich sein will. Sie schien nicht enttäuscht.

„Schauspieler?“ hörte er sie fragen.

„Nein, Wissenschaftler! Oben in Belvedere.“

„Schön“, sagte sie jetzt.

„Und Sie?“ fragte er zurück.

„Hm“, meinte sie, „ich sitze in einer Verwaltung herum.“

Sie sagte es so, dass Uwe spürte, dass sie darüber nicht gern sprechen wollte. Wozu auch keine Gelegenheit gewesen wäre; denn die Klingel verkündete das Ende der Pause.

„Ich muss Sie unbedingt wiedersehen!“ erklärte Uwe prompt geradezu pathetisch.

„Oh!“ sagte sie überrascht, lachte ein wenig und wie es schien, nicht ganz und gar abgeneigt.

„Bitte nach der Vorstellung am rechten Portal! Ja?“

Jetzt lachte sie.

„Muss das sein?“

„Unbedingt! Ich will doch mein Geld zurück haben!“

„Ah, ein Geizkragen sind Sie. Da kann ich nicht nein sagen!“ – sagte es und huschte davon.

Uwe war zufrieden mit sich. Der Einfall mit dem Geld war wahrscheinlich ein gelungener. Aber die Ungewissheit blieb, ob sie wohl nach der Vorstellung am Portal eintreffen würde. Als er seinen Platz wieder erreicht hatte, versicherten ihm seine Zimmergenossen, die natürlich alles aus gebotener Entfernung genau beobachtet hatten, dass er einen tollen Käfer an Land gezogen habe.

Fürs weitere Geschehen auf der Bühne hatte Uwe jedes Interesse verloren. Viel wichtiger war jetzt die Frage, wie er sich verhalten sollte, wenn die Fremde tatsächlich kommen würde. Er überlegte angestrengt. Sie zum Besuch des Theaterrestaurants einzuladen, war zwar möglich, aber aussichtslos; denn nach einer Vorstellung war dort immer total überfüllt. Viel eher schien ihm ratsam zu versuchen, auf ein Bier in irgendeine Kneipe zu gelangen. Alles würde davon abhängen, ob sie überhaupt ein Quäntchen Interesse für ihn haben würde.

Nach der Vorstellung war von dem oberen Rang nicht so schnell zum vorgeschlagenen Treffpunkt zu gelangen. Doch hurra! Da stand sie schon und wartete. Entschlossen und sehr froh ging er auf sie zu und sagte:

„Schön, dass Sie da sind. Ich bin Uwe.“

„Ich bin Liselotte“, antwortete sie, „ich muss in diese Richtung.“

Damit war klar: Sie wollte nach Hause. Und dieses zu Hause lag irgendwie in Richtung des Rathauses. So gut kannte Uwe nun schon die Stadt. Und er hoffte, dass ihr zu Hause nicht zu nahe lag; denn je länger der Weg, desto größer die Chance, der Unbekannten näher zu kommen. Der Versuch musste unbedingt unternommen werden; denn auch ihre schlanke Gestalt nahm sofort für sie ein.

„Ja, gehen wir“, meinte daher Uwe und schritt an ihrer Seite los, a priori darauf bedacht, das Schritttempo möglichst gemächlich zu halten. Bei angenehmer Temperatur war sogar ein nächtlicher Bummel denkbar. Vielleicht zum Park! Doch gemach! Zunächst mussten sie am hell erleuchteten Theaterrestaurant vorbei.

„Schade, dass hier immer so voll ist nach einer Vorstellung!“ nahm Uwe einen Gesprächsfaden auf.

„Ja, das ist blöd“, meinte sie und fügte hinzu, sie habe aber leider heute sowieso keine Zeit dafür. Das war hart! Aber noch lief sie neben ihm, und sogar irgendwie schlendernd, so, als sei sie durchaus ein bisschen neugierig auf Uwe. Und da kam auch schon die Bestätigung.

„Wie fanden Sie denn die Vorstellung?“ wollte sie nämlich wissen.

„Naja“, nahm Uwe Anlauf, „der Ibsen mit seiner Nora, irgendwie ist das doch überholt! Die ganze Aufregung mit dem Schuldschein! Wen interessiert das noch!“

Mit welcher Meinung er sich arg aus dem Fenster lehnte. Was er sofort zu spüren bekam.

„Ist das nicht symbolisch und irgendwie immer gültig?“ fragte sie zurück und ergänzte, „die vom Theater haben sich doch etwas gedacht, wenn sie das Stück in den Spielplan nehmen. Oder?“

„Ja, ja, wahrscheinlich!“ musste Uwe zugestehen.

Und sie hakte nach:

„Ganz bestimmt! Dass Frauen ihren Ehemännern davon laufen, dass wird es ewig geben.“

„Da mögen Sie recht haben“, gestand Uwe ihr zu. Donnerwetter! Die Frau hatte wahrscheinlich Haare auf den Zähnen. Möglicherweise war sie sogar schon einmal einem Ehemann davon gelaufen.

„Haben Sie eigene Erfahrungen?“ hörte er sich fragen.

„Ach, nicht unbedingt! Ich denk nur so darüber nach. Ich glaube, man muss als Frau auch heutzutage sehr, sehr viel Kraft haben, wenn man eine Ehe abschütteln will, in der vieles stimmt, ich meine, was das Auskommen betrifft, Wohnung und so - aber der Mann sich als Tyrann entpuppt. Ich würde das nicht aushalten, ich würde auch abhauen.“

„Ich könnte gar kein Tyrann sein!“ versuchte Uwe, dem Gespräch eine Wende zu geben. Sie blieb abrupt stehen und schaute ihn an:

„Sie? Kein Tyrann?“

Und schon lief sie weiter.

„Keinesfalls!“ sagte Uwe.

„Ja, ja, so sind die Männer! Und wir Frauen fallen immer wieder auf sie herein.“

An der Stelle wandte sie sich nach rechts in Richtung Goethehaus. Sie hatte vermutlich bewusst eine kleine Biege gewählt.

„Das Thema ist unerschöpflich“, spann Uwe den Faden weiter, „ich schlage vor, bei einem Bier weitere Klärung zu versuchen.“

„Bei einem Bier?“ Sie lachte.

„Oder Wein! Natürlich Wein!“

„Danke, lieb von Ihnen, aber ich bin zu Hause.“

Und damit trat sie an eine Haustür, nahm ihren Schlüssel und schloss auf. Dann drehte sie sich recht entschlossen noch einmal um und sagte:

„Nochmals Dank! Oder wollen Sie Ihr Geld zurück?“

„Um Gottes willen! Nein!“ antwortete er prompt und fuhr fort: „Darf ich Sie wiedersehen?“

„Schwierig!“ entgegnete sie irgendwie zögerlich. „Sie wissen ja jetzt, wo ich wohne. Kommen Sie gut nach Belvedere. Gute Nacht.“

Und schon war sie in der Tür verschwunden.

Liselotte! Das war jetzt alles, was er von ihr wusste. War sie eine Kandidatin für künftige Begegnungen? Warum hatten sie nicht wenigstens einen Termin ausgemacht? Uwe stand ratlos. Ihm dämmerte, dass er wahrscheinlich soeben wieder einmal einfach dämlich gewesen war. Sie hatte ihm sein Geld zurückgeben wollen! War das nicht indirekt die Einladung gewesen, zu ihr hoch auf Zimmer zu kommen? Wie hieß es doch? Es kommt auf die Sekunde an bei einer schönen Frau! Wozu hatte er eigentlich Operette geguckt, wenn er nicht einmal in der Lage war, solche Binsenwahrheit zu beherzigen?

Niedergeschlagen machte er sich auf in Richtung Ratstannenweg. Dort angekommen gab Uwe den Zimmergenossen, die schon wieder beim Selbststudium saßen, nur ausweichend Auskunft. Ja, wahrscheinlich spinne sich da etwas an. Die Frau sei wohl beruflich sehr eingespannt. Naja, mal sehen. Er begann kein Selbststudium mitten in der Nacht, er zog sich ins Bad zurück. Es war eine Entladung fällig. Er musste ohnehin sehr darauf achten, dass nicht irgendwelche unliebsame Spuren die Belvederer Bettwäsche zierten.

Sobald es in den nächsten Tag seine Zeit erlaubte, eilte Uwe in die Stadt. Er fand die Gasse wieder, er fand das Haus. Ein ehrwürdiges, wohl erhaltenes Bürgerhaus mit schmucker Fassade und schwerer eichener Haustür. Im Flur die Briefkästen, und siehe da, einer für Lieselotte Mattuzack. Nicht geleert, was dafür sprach, dass sie nicht zu Hause war. In der Tat! Im zweiten Stock im Hinterhaus fand sich der Name an einer Tür. Aber selbst wiederholtes Klingeln und Klopfen blieb erfolglos. Und Uwe war einmal wieder wütend auf sich. Hatte er doch weder Bleistift noch Zettel bei sich, um irgendeine Botschaft hinterlassen zu können. Was war er für ein erbärmlicher Anfänger!

Wenn das doch einfacher gewesen wäre, diese Liselotte zu erreichen! Tag für Tag verging, und es fand sich keine Zeit, einen neuen Anlauf zu nehmen. Als sich endlich eine Möglichkeit bot, hatte Uwe vorgesorgt. In einem Umschlag trug er die Einladung zu einem Theaterbesuch bei sich. Das war zwar höchst risikovoll, aber mehr, als nichts zu unternehmen. Wieder stand er vor verschlossener Tür, wieder klopfte er vergebens. Also plumpste der Brief in den Kasten. Was eine blöde Zeit der Ungewissheit bedeutete; andererseits verhinderte, dass er sich wegen Untätigkeit Vorwürfe machte.

Er hatte so kalkuliert: Das Stück, zu dem er sie einlud, war gewiss nicht ausverkauft, so dass er noch kurz vor der Vorstellung Karten kaufen konnte. Kam sie nicht, würde er allein gehen und sich von dem ungewöhnlichen Stück ablenken lassen. Es handelte sich um die „Optimistische Tragödie“, in der eine Frau die tragische Hauptrolle spielte. Was diese Lieselotte eigentlich interessieren müsste. Aber sie kam nicht an diesem Abend. Nein, sie kam nicht. Uwe zögerte bis zum allerletzten Moment. Dann kaufte er sich eine Karte. Und was nicht unbedingt zu erwarten gewesen war, trat ein. Wischnewskis Tragödie lenkte ihn ab von seinem aktuellen Kummer. Doch nach der Vorstellung gab es kein Halten. Er wusste, dass absoluter Blödsinn war, was er machte, aber er machte es. Er eilte zum bewussten Haus – und stand vor verschlossener Haustür. Was logisch war kurz vor Mitternacht.




3.Knutschen im Kollektiv


Das war schon eine feine Erfindung: das Kollektiv. Alles, was man irgendwie gemeinsam unternahm, vollbrachte man als Kollektiv. Im Kollektiv wurde gelernt. Im Kollektiv wurden Exkursionen unternommen. Im Kollektiv wurden wesentliche, zuweilen allerdings auch ausgesprochen unnütze Fragen diskutiert. Doch das Wichtigste war: Im Kollektiv fand man in der Regel zu einer Meinung, nämlich der richtigen. Jedenfalls zu dem, was man just für richtig hielt.

Für Uwe - wie auch immer - meist mit beträchtlichem Erkenntnisgewinn. Was hatte er bisher schon gewusst von der Welt! Nichts! So gut wie nichts! Und jetzt lernte er, dass es überall dialektisch zuging, und zwar dialektisch-materialistisch! Das hieß: Das Sein des Menschen bestimmt dessen Bewusstsein! Also alle möglichen Widersprüche im Kopf waren da nicht, weil dort in Selbstschöpfung aus sich selbst heraus entstanden, sondern weil aus der Realität dorthin gekommen! Selten bewusst, aber letztlich unabwendbar spiegelten sich faktisch bei jedem Menschen im Kopfe mehr oder weniger einstige, vor allem jedoch aktuelle soziale Prozesse.

Uwe war für die neuen Erkenntnisse überaus aufgeschlossen. Zuweilen allerdings kam er ins Grübeln. Letztlich unausgesprochen und also auch nicht diskutiert blieb beispielsweise die Frage, wie das Proletariat nun eigentlich seine Oberen findet, die Leute, die wissen, wo es lang geht, also die, die das Volk regieren. Eigentlich war das die Kardinalfrage: Wer kürt wen zum Oberen? Geschieht dies durch Wahlen? Und was kann der Bürger damit entscheiden? Oder entscheidet letztlich die Partei? Aber weshalb unnötig Fragen stellen! Im Moment lief eigentlich alles ganz gut im Lande. Und Uwe war ja auch nicht hier, um unangenehm aufzufallen. Schließlich und endlich war er recht gut aufgehoben im Kollektiv.

Obwohl man diese neuartige Gemeinschaftlichkeit auch nicht überbewerten sollte. Zuweilen war von Gemeinschaft und gemeinsamen Intentionen herzlich wenig zu spüren. Der ideale Mensch – es gibt ihn nicht; das ideale Kollektiv – es gibt es nicht.

Eine bedenkliche Erfahrung in dieser Hinsicht machte Uwe, als das gesamte Studienjahr eines Tages aufbrach, um das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald auf dem Ettersberg zu besichtigen. Uwe hatte sich prompt an seinen alten Biologielehrer erinnert, der völlig ausgerastet war, als damals die Nazi-Verbrechen bekannt geworden waren. Für Uwe war der Gang nach Buchenwald daher a priori ein außergewöhnlicher Vorgang, geprägt von ehrfürchtigem Gedenken an die unschuldigen Opfer. Und er hatte gedacht, es würde allen so gehen.

Höchst befremdlich für ihn war daher die Art, wie sich seine Kommilitonen auf den Weg machten. Nachdem sie den Bus verlassen hatten, zogen sie auf dem Waldweg los, lösten sich in Gruppen auf und schienen alsbald auf fröhlicher Kaffeefahrt zu sein. Keine Einstimmung auf den verhängnisvollen Ort vor ihnen, sondern Blödelei da, Hänselei dort. Uwe sonderte sich ab. So viel Teilnahmslosigkeit konnte er nicht fassen. Hatten die Menschen, die dort oben auf dem Berg grausam umgekommen waren, nicht verdient, dass man sich ihnen ruhig und würdig näherte und so ihr Opfer irgendwie heiligte?

Als die Studenten schließlich einzeln oder in Gruppe durch das eiserne Lagertor schritten, das den Passanten noch immer absurd mit der Inschrift „Jedem das Seine“ empfing, wurden sie denn doch still. Der Ort ungeheuerlicher deutscher Verbrechen ergriff jetzt alle Sinne. Unschlüssig blieb das Häuflein junger Leute zunächst am Tor stehen. Es sollte eine Führung stattfinden.

Alsbald kam ein alter, ergrauter Herr heran, musterte die Ankömmlinge aufmerksam und grüßte mit brüchiger Stimme. Er schien ein ehemaliger Häftling gewesen zu sein; denn seine Schilderungen, die er nun gab, beeindruckten durch Sachkunde, aber auch durch einen wehmütigen Sprachton, der emotional berührte. Zunächst verharrten sie am Torgebäude, in dem sich Arrestzellen befanden und in dem Häftlinge gefoltert und auch ermordet worden waren.

Dann gingen sie zum 15000 qm großen Appellplatz, von dem aus noch Reste von Wachtürmen und vom hohen Stacheldrahtzaun zu sehen waren. Wenn man ins Lager verbracht wurde, erfuhren die Studenten, genoss man sogenannte „Schutzhaft“ - ein Begriff, der besonders abscheulich verschleierte, worum es eigentlich gegangen war, nämlich um Mord. Über 50000 Menschen, Juden, Christen, Kommunisten, Sozialdemokraten, kriegsgefangene Russen, waren im Lager auf unterschiedliche Weise umgebracht worden, zum Beispiel im Keller des Krematoriums, wo sie an eigens installierten Wandhaken hingerichtet wurden, um dann nebenan in den Verbrennungsöfen der Erfurter Firma „Topf- und Söhne“ verbrannt zu werden. Stumm standen die Studenten vor diesen Öfen, von Empfindungen ergriffen, die sich nicht beschreiben lassen. Geradezu verzweifelt, gleichsam als geistigen Schutz, als ob sich das Grauen damit fern halten ließe, wiederholte Uwe in Gedanken unablässig den Schwur: Nie wieder Faschismus! Nie wieder! Von den anderen unbemerkt, aber sehr bewusst, verneigte er sich dann am Eingang des Ofenraums an der Stelle, an der am 18. August 1944 auf Befehl Hitlers der KPD-Vorsitzende und Reichstagsabgeordnete Ernst Thälmann erschossen worden war.

„Machen Sie sich keine Illusionen, Genossen“, sagte der Alte auf einmal mit merklich gehobener Stimme, „die Mörder sind unter uns! Der Mörder von Thälmann lebt unbehelligt in Westdeutschland. Jetzt hier lang.“

Genug der Einzelheiten, genug des Grauens! Uwe drängte es an die frische Luft, hinweg von diesem Ort unfassbarer deutscher Verbrechen. Mit einem scheuen „Danke“ zu dem alten tapferen Mann ergriff er die Flucht. Andere folgten ihm. Und obwohl sie das perverse Haupttor schon lange hinter sich gelassen hatten, kam lockere, gelöste Stimmung unter den Kommilitonen nicht auf. Irgendwie lief jeder für sich, musste jeder erst einmal für sich mit dem ins Reine zu kommen versuchen, was sie da an unbeschreiblichen Eindrücken in sich hatten aufnehmen müssen. Erst als sie wieder im Bus saßen, der sie zurück nach Weimar brachte, löste sich die entsetzliche Spannung und schlug in einen Gegensatz um - in den Willen, die Eindrücke möglichst bald abzuschütteln, ja zu vergessen.

Noch hatten sie Weimar nicht erreicht, war schon ein Termin ausgemacht, nämlich der Besuch des schwedischen Films „Sie tanzte nur einen Sommer“. In der Nachmittagsvorstellung würde man wahrscheinlich noch Plätze bekommen. Auch Uwe hatte den Film natürlich schon gesehen, aber diese erregende Liebesgeschichte konnte man sich zweifellos mehr als einmal ansehen. Im Moment war sie bestens dafür geeignet, sich nach Buchenwald wieder dem Leben zuzuwenden.

Zunächst also zum Kino, um Karten zu kaufen. Mehr oder weniger zufällig hatte sich ergeben, dass sich dem „Ratstannen-Kollektiv“ Heinrich, Erich und Uwe drei Kommilitoninnen angeschlossen hatten: Marie-Luise, Gabriele und Gudrun. Die drei entpuppten sich als glühende Verteidigerinnen der Nacktszene des heiß diskutierten Films. Ein guter Grund mehr für die drei Männer, ihre Angel auszuwerfen.

Nach einem kurzen Imbiss in der Nähe des Kinos und einem Thüringer Bier zogen die drei Paare los. Wofür man sie hätte halten können, was sie aber natürlich nicht waren. Doch Tendenzen zeichneten sich ab. Heinrich, der stürmische Gefühlsmensch, hatte sich a priori für die kräftige, mitunter drastisch direkte Marie-Luise entschieden. Erich, der kleine erotische Angeber, machte der in der Regel Sittsamkeit demonstrierenden Gabriele versteckte Avancen. Und Uwe, der Ahnungslose, begriff, dass er, wollte er überhaupt irgendwelche Chancen haben, Gudrun zumindest ein gewisses Interesse signalisieren musste. Dergestalt in gewisser Weise vorsortiert saßen die sechs denn auch im Kino. Wo der Film allerdings die eine oder andere stattgehabte leise Annäherung erst einmal wieder vergessen machte.

Beim ersten Besuch des Films hatte Uwe an sich halten müssen; denn bei der ungewöhnlichen Nacktszene war sein Glied unruhig geworden. Da er sich inzwischen für erwachsen gehalten hatte, was ja nun wirklich stimmte, hatte er sich verkniffen, dem Unabhängigen auch nur die geringste Chance einzuräumen. Im dunklen Kino hätte gemäße Behandlung während der Szene durchaus mächtigen Lustgewinn bedeuten können, aber er hatte widerstanden.

Nun beim zweiten Besuch des Films konzentrierte sich Uwe von vorn herein darauf, möglichst keine Einzelheit der Szene zu verpassen. Und als sich die wunderschöne nackte Kerstin ihrem Geliebten, dem ebenfalls nackten Göran, zum Kusse näherte, wäre ihm beinahe ein tiefer Seufzer entschlüpft. Irgendetwas in der Richtung musste ungewollt sogar passiert sein, denn Gudrun neben ihm schaute überrascht her. Und ihr Blick, so empfand Uwe, schien verständnisinnig.

Nach der Vorstellung war ihnen schnell klar: Das Gesehene musste ausgewertet werden! Ein, zwei Bier und bisschen Wodka mussten jetzt drin sein! Auch ohne Alkohol schon ziemlich aufgekratzt zogen sie denn los und fanden sich alsbald in einer gemütlichen Kneipe wieder an einem Tisch für sechs Personen.

Noch bevor sie etwas getrunken hatten, begann Heinrich, der Gefühlsmensch, zu schwärmen. Ihn hatte der Film an seine Freundin erinnert und daran, dass man in unmittelbarer Nähe seines Heimatdorfes in kleinen, klaren Weihern nicht nur erfrischend baden, sondern auch einer Freundin nahe kommen konnte. Marie-Luise giftete. Was er in Mecklenburgischen Weihern treibe, gehöre jetzt nicht hier her. Sie fand es kühn und gut, dass die Schweden nicht prüde gewesen waren, dass sie sich hier Naturalismus geleistet hatten. Nach einigem Für und Wider wurden sie sich jedoch einig, dass es sich nicht um Naturalismus gehandelt habe; denn dann hätte auch gezeigt werden müssen, wie es die beiden im flachen Wasser treiben. Das aber sei von den Filmemachern der Phantasie des Zuschauers überlassen worden. Also handelte es sich um Realismus!

Inzwischen waren die sechs bei der zweiten Runde Bier plus Wodka angekommen. Uwe gab ihrer Debatte ein neues Thema. Hatte es diese Kerstin verdient, fragte er, bei einem Motorradunfall ums Leben zu kommen? Da regte sich Gudrun. Leidenschaftlicher als bei ihr vermutet argumentierte sie, dass das ja die Tragödie sei. Deshalb sei man als Zuschauer letztlich so mitgenommen. Nicht wegen der nackten Leiber, sondern wegen dieses unverdienten Schicksals.

Das war der Moment, in dem Uwe zum ersten Mal richtig auffiel, dass diese Gudrun über einen echt prächtigen Busen verfügte. Jetzt, wo sie sich aufregte, wogte er geradezu einladend auf und ab. Welch Wonne, da mal hin fassen zu dürfen! Uwe hielt an der Kontroverse fest, erzwang sich so Gudruns Aufmerksamkeit. Tragödie hin, Tragödie her, meinte er, für ihn stand fest, dass ein versöhnliches Ende der wunderbaren Liebe dieser Menschen gerechter geworden wäre. Gudrun widersprach heftig. Darum sei es doch gar nicht gegangen, sondern darum, die unlösbaren Klassenwidersprüche aufzuzeigen, nämlich zwischen der vom Pfarrer borniert gehaltenen Landbevölkerung und dem doch schon etwas aufgeklärten Bürgersohn aus der Stadt.

Nun griff Erich ein, den Kopf gewichtig anhebend und sein Bierglas fester fassend. Das mit den Klassen, meinte er, sei ja eigentlich nur ein Nebeneffekt. Viel ernsthafter müsse geprüft werden, ob das klassische Prinzip Tragödie überhaupt hier in Anwendung gebracht werden könne. Denn in der Antike spiele ja immer irgendwie eine massive Schuld eine Rolle, die dann zur Tragödie führe. Schuld im antiken Sinne könne er bei Kerstin und Göran aber nicht ausmachen.

Jetzt argumentierte Marie-Luise dazwischen. Erich solle bitte nicht anfangen, eine Vorlesung zu halten. Dazu sei morgen früh wieder Zeit. Und im Übrigen sei das Thema nun wirklich erschöpfend durchgekaut. Viel interessanter sei zu erfahren, wie die drei Junggesellen auf ihren Buden im Ratstannenweg so zurechtkämen.

In der Tat. Marie-Luises Einspruch nach dem zweiten Bier plus Wodka war gut terminiert. Alle waren prompt zu einem Themenwechsel bereit. Und ausgerechnet die als ein wenig prüde geltende Gabriele lancierte alsbald eine Idee, die zwar zunächst überraschte, aber schließlich immer verführerischer erschien: Nämlich aufzubrechen und die Buden der Junggesellen zu besichtigen. Allein die Frage, wessen Zimmer sie aufgeräumt und wessen Zimmer sie verlottert antreffen würden, erwies sich als geradezu abendfüllend.

Es hatte ja im Ratstannenweg eine erfreuliche Änderung gegeben. Da beim Schauspiel ein paar Männer den künstlerischen Anforderungen nicht hatten gerecht werden können, war Platz geworden im Männerhaus auf Belvedere und vom älteren Semester waren Jochen Hottas und Heinz Diestel vom Ratstannenweg ins Kavaliershaus gezogen. Was zur Folge gehabt hatte, dass Heiner, Erich und Uwe nun jeweils ihr eigenes Zimmer bewohnten. Sturmfreie Bude! Ob das die drei Weiber wussten? Selbstverständlich hatte keiner der Männer Einwände gegen Gabrieles Vorschlag. Alsbald zogen die sechs angenehm alkoholisiert Arm in Arm in breiter Reihe durch das dunkle Weimar hinaus zum Ratstannenweg. Und diesmal schien Uwe die Strecke, sonst durchaus eine echte Herausforderung, überraschend kurz.

Finsternis im Ratstannenweg, spärliche Laterne, dunkel das Haus, nur bei Dieter noch Licht. Eigentlich herrschte schon Nachtruhe, klar, aber die wurde erst einmal ausgesetzt. Die ursprüngliche Idee, nämlich die Zimmer zu inspizieren, war längst vergessen. Man beschloss, im großen Eckzimmer, in dem ursprünglich die drei Männer gemeinsam campiert hatten, noch ein bisschen zu tanzen. Es war dies eigentlich gar kein Beschluss, es ergab sich einfach aus der schönen Gelöstheit, mit der die sechs alkoholselig auf den drei Betten gelandet waren, die da noch standen. Dieter von nebenan, der natürlich noch überm Selbststudium gesessen hatte, brachte bereitwillig sein Radio. Und schon tanzten die Paare.

Uwe spürte sofort, dass er mit Gudrun eine fabelhafte Tänzerin erwischt hatte. Und was das Erregendste war: Sie ließ sich fest zum Körper heranziehen, so dass ihre Brüste spürbar wurden. Als Erich überraschend noch eine Flasche bulgarischen Rotwein anschleppte, die sofort von Mund zu Mund wanderte, verknüpfte sich die Zeremonie aus heiterem Himmel mit einer allgemeinen Kuss-Orgie.

Plötzlich wanderte die Flasche mit Kuss von Mund zu Mund. Gabriele, von der Uwe die Flasche bekam, küsste kurz und scheu, Gudrun hingegen, der er die Flasche weiter gab, küsste inbrünstig in bester Laune. Das konnte ja heiter werden! Uwe wurde für einen Moment unsicher, fragte sich, ob er irgendwie bremsen müsste. Heinrich agierte bereits im Unterhemd, Erich hatte die Hosenträger abgestreift. Und die Weiber hatten nicht nur ihre Jacken längst abgelegt, auch ihre Blusen luftig gemacht. Uwe fand, dass er hier nicht der Tugendwächter zu sein hatte. Außerdem war äußerst spannend, wie sich das jetzt hier entwickeln würde.

Nachdem die Weinflasche geleert war, zog Heinrich Marie-Luise zum Küssen an sich und ließ sich langsam aufs Bett niedersinken, wo beide küssend liegen blieben. Prompt rief Erich, „wir gehen mal nebenan“ und verduftete mit seiner Gabriele, die zwar offenbar überrascht war, aber ebenso wenig abgeneigt. Und Gudrun schaute Uwe groß an.

„Komm“, sagte er, „das können wir auch!“, fasste um ihre Taille und zog sie nebenan in sein Zimmer. War Uwe dieser ungewöhnlichen Herausforderung gewachsen? Wie ihm schien, durchaus. Nur nicht reflektieren jetzt, sondern tun! Maßvoll, aber tun!

Gudrun hatte sich nicht gleich aufs Bett gelegt, sondern sich erst einmal artig gesetzt. Er nahm neben ihr Platz, sagte: „Das ist mein Reich“ und entschloss sich, mit Küssen fortzufahren. Was sie erfreulicherweise nicht verweigerte, sondern erwiderte. Der Alkohol hatte ihn mutig gemacht und löste weitere Hemmschwellen. Schon tastete er nach ihrem Busen, einem griffigen Fleisch unter der Bluse. Sie ließ ihn geschehen, schob jetzt ihre Zunge vor beim Küssen. Uwe war im Rausch. Langsam zog er Gudrun nieder, lag jetzt neben ihr und versuchte, zur nackten Brust vorzudringen.

„Mann“, sagte sie jetzt fast vorwurfsvoll, setzte sich auf, zog rasch ihre Bluse aus und löste den Büstenhalter. Uwe verschlug es den Atem.

„Weib!“ keuchte er, ihren strotzenden nackten Busen bewundernd. Schon griff er wie hypnotisiert nach diesen atemberaubenden Hügeln, die sich ihm lüstern entgegenstreckten. Zunächst noch scheu zwar, doch da Gudrun ihn gewähren ließ, kostete er die Gelegenheit aus und knetete immer kräftiger. Zum allerersten Mal in seinem Leben ergötzte er sich an einer nackten Weiberbrust! Fast überforderte es seine Sinne.

Plötzlich warf sich Gudrun ruckartig zurück auf Bett und machte die Beine breit; dabei straffte sie den Rücken, so dass sich ihre Brüste keck aufreckten. Uwe erstarrte gebannt. Ihm schoss ein wilder Gedanke durch den Kopf, aber er verwarf ihn sofort. Was da soeben geschehen war, konnte eine Einladung gewesen sein, eine Aufforderung. Aber er musste, hol’s der Teufel, er musste sie übersehen! Nicht nur, weil die Tür seines Zimmers nicht verschlossen war. Vor allem, weil er keinen Gummi parat hatte!

Und gar ein Kind für geile Sekunden? Nein, kein Kind! Und schon gar nicht mit Gudrun! Er war zwar besoffen, ziemlich besoffen, aber das bewältigte er noch. Er behielt klaren Kopf. So tat er denn, als habe er diese möglicherweise eindeutige Geste gar nicht wahrgenommen, warf sich mit Leidenschaft auf die liegende Gudrun und küsste und knutschte, dass sie stöhnte. So viel nackte Brust auf einmal und ganz und gar aus heiterem Himmel, das war ohnehin mehr, als Uwe sich für diesen Tag hatte träumen lassen.

Jetzt fing Gudrun an, an seiner Hose zu nesteln, nicht irgendwo, sondern ganz gezielt dort, wo eigentlich ein Strammer auf Erlösung warten müsste. Weit gefehlt! Da unten spielte sich nichts ab. Uwe registrierte es mit Verwunderung, als sie mit einem Finger schon bei seinem guten Stück angelangt war. Sein Penis hatte keine Lust! Uwe verstand das nicht. Und offenbar war auch Gudrun irritiert, denn sie hörte auf, den schlappen Kerl zu suchen. In dem Moment kam Uwe auf die ihn berauschende Idee, eine ihrer prallen Brustwarzen in den Mund zu nehmen. Gudrun ließ es geschehen, Uwe spürte aber, dass sie gleichsam als Kommentar ihre Beine zusammenpresste. Irgendwie war eine kritische Situation entstanden.

Da klopfte es an die Tür. Sie schreckten auf. Marie-Luise rief mit kräftiger Stimme: „Wir müssen los!“

Nebenan war man also am Ziel gewesen. Jedenfalls war das jetzt Uwes erster Gedanke. Er ließ ab von Gudrun, sie erhob sich und ordnete ihre Kleidung. Auch Uwe stopfte sein Hemd wieder ordentlich in die Hose. Man traf sich im Flur. Erich wartete bereits mit Gabriele, die arg ernüchtert schien. Heinrich, noch immer in Schwung, forderte emphatisch, die drei Frauen bis Belvedere zu begleiten. Uwe und Erich schauten sich erschrocken an, und Marie-Luise lachte los.

„Du bist total närrisch“, sagte sie und beteuerte, sie seien emanzipiert und fänden ihren Weg allein. Woraus Uwe schlussfolgerte, dass deren Beziehung soeben denn doch so ganz innig nicht gewesen sein konnte. Also Verabschiedung an der Tür, mäßiges Hallo. Vorbei! Auch kein Bedarf, sich noch auszutauschen. Total müde verkroch sich jeder der drei Herren in sein Zimmer.

Uwe fand keine Ruhe. Was eigentlich war da abgelaufen? Er hatte ein ausgesprochen erotisches Abenteuer mit einer Frau gehabt, ohne sie zu lieben! Es war auch keinerlei Liebe entstanden! Alle Knutscherei war rein körperliche Ergötzung gewesen. Er hatte sich an einem immerhin außergewöhnlich geeigneten Objekt einem emotionalen Rausch hingegeben, hatte tolle Brüste bestmöglich ausgekostet. Zwar hatte er keinen Sex gehabt, und das war bitter, zweifellos; aber das war bei solch einer allerersten Runde wahrscheinlich auch nicht zu erwarten gewesen. Seltsamerweise hatte sein Penis ja überhaupt nicht mitgespielt. Möglicherweise verübelte der allzu viel Alkohol. So erfolgreich der Abend verlaufen war, der offenbar lose Zusammenhang von Lust und Liebe gab neue Rätsel auf.

Worauf es auch am nächsten Morgen keine schlüssigen Antworten gab. Beim Marsch hinauf nach Belvedere ließ Erich durchblicken, dass Gabriele offenkundig noch Jungfrau sei. Womit klar war, dass er das irgendwie erfahren haben musste, andererseits aber wohl eine Entjungferung nicht stattgefunden hatte. Heinrich, in Erinnerung schon wieder gefühlig schwärmend, gab kund, dass er bis zur feuchten Muschi vorgedrungen sei. Zunächst ließ er noch offen, womit. Doch dann kam heraus, dass er nur gefingert hatte.

Nun sollte Uwe berichten. Aber er hatte Glück. Er musste nicht Rede und Antwort stehen, weil sich im nämlichen Moment ein fremder früher Wanderbursche zu ihnen gesellte, dem ihre erotischen Abenteuer nichts angingen. Insgeheim indessen schlussfolgerte Uwe, dass er die unvermutet gebotene Gelegenheit recht gut genutzt hatte. Und er fand normal, dass die Knutscherei keine Folgen hatte. Sie begrüßten die drei Emanzen an diesem Morgen immerhin mit besonderem Hallo. Aber das war’s dann auch schon. Sie gingen zur Tagesordnung über.

Gelegentlich allerdings überlegte Uwe, ob er nicht neuerlich versuchen sollte, an Gudruns berauschenden Busen zu kommen. Ihr Verhalten war ja sogar so gewesen, als ob sie geneigt sei, mit ihm zu bumsen. Endlich mal rein mit seinem Steifen in eine Muschi! Das war doch das Allernötigste für ihn. Aber irre! Völlig irre! Gudrun lockte ihn nicht. Wenn er sie während der Vorlesungen heimlich beobachtete und abtaxierte, dann war da Funkstille. Von ihr ging kein Reiz aus. Jedenfalls nicht für Uwe. Der Busen war toll! Gewiss! Aber sonst? Ungefüge Figur! Ganz und gar nicht sein Fall. Wahrscheinlich würde sie sehr anhänglich sein. Es würde schwer werden, die Frau wieder los zu werden. Seine geile Gier hatte ihn neulich fast kopflos gemacht. Sobald er nun seinen Kopf bemühte, riet der, die Finger von der Frau zu lassen. Vorlesungen, in denen Uwe über sein aktuelles sexuelles Befinden meditierte, waren für die Wissenschaft verloren.







4.Einfach so im Stehen?


Die sturmfreie Bude, über die Uwe nun verfügte, ließ sich nicht so recht ausnutzen. Bis auf die tolle Knutscherei, die neulich recht eigentlich ohne sein Zutun zustande gekommen war, spielte sich in dieser Hinsicht leider nichts ab. Abgesehen davon, dass er in das Haus am Ratstannenweg schwerlich unbemerkt eine fremde Frau hätte mitbringen können, kam er gar nicht erst in Versuchung; denn er war nach wie vor absolut solo. Und obendrein sammelte er in Sachen Frauenbekanntschaften nur Niederlagen. Die bitterste war die mit Liselotte. Er hatte doch tatsächlich eines Tages noch einen Versuch unternommen, sie in ihrer Wohnung anzutreffen. Und sie war zu Hause gewesen! Aber nicht allein. Sie hatte ihn höchst überrascht angeblickt, als sie die Tür öffnete, ihn aber dann doch hereingebeten. Wie sich prompt herausstellte, ganz offenbar mit einem raffinierten Hintergedanken. Sie hatte ihn nämlich ganz ohne Zweifel benutzt, um ihrem anwesenden Liebhaber vor Augen zu führen, dass sie eine umworbene Frau sei. Anders war ihr Verhalten schwerlich auszulegen.

Uwe hatte den Fremden mit gebotener Zurückhaltung begrüßt, was dieser ebenso korrekt erwidert hatte.

„Ich bin hier gerade in einer Besprechung“, neutralisierten Liselotte die überraschende Begegnung. Und Uwe, sich der Aussichtslosigkeit seiner Lage sofort bewusst, ging darauf ein.

„Verstehe, verstehe“, sagte er eilig und fügte hinzu: „Ich will nicht stören. Vielleicht später einmal, eilt ja nicht. Wollte Ihnen nur wieder einmal einen schönen guten Tag sagen.“

„Nett von Ihnen, wirklich!“, hörte er sie antworten.

Womit immerhin nicht alle Brücken abgebrochen schienen, worauf sich aber, wie er richtig vermutete, keineswegs bauen ließ. Schnell verabschiedete sich Uwe und zog davon. In Anwesenheit eines Gegenspielers zu versuchen, einen Treff zu vereinbaren, wäre irre gewesen. Also blieb zunächst alles offen. Bei solcher Lage konnte er noch immer bei passender Gelegenheit erneut bei ihr anklopfen. Das Bittere aber war: Kaum eine Woche später sah er die hüüü