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Zum Buch

Kansas im Jahre 1857: Hier, im Mittleren Westen der USA, lebt der junge Sklave Henry Shackleford. Hier tobt auch der Krieg zwischen überzeugten Sklavenhaltern und bibeltreuen Abolitionisten besonders wüst. John Brown ist einer derjenigen, die beseelt davon sind, Gottes Willen durchzusetzen und die Schwarzen in die Freiheit zu führen. Als er zufällig in einer Kneipe auf Henrys grausamen Master trifft – einen weithin bekannten und berüchtigten Sklavenhalter –, kommt es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung, in deren Folge beide fliehen müssen: sowohl John Brown als auch der junge Henry, der irrtümlicherweise für ein Mädchen gehalten wird und schnell begreift, dass dies seine Vorteile hat …

Zum Autor

James McBride – Autor, Musiker, Drehbuchschreiber, Journalist – wurde weltberühmt durch seinen autobiografischen Roman »Die Farbe von Wasser«. Das Buch gilt inzwischen als Klassiker in den Vereinigten Staaten, es stand zwei Jahre lang auf der New York Times-Bestsellerliste. McBrides Debüt »Das Wunder von St. Anna« wurde vom amerikanischen Kultregisseur Spike Lee verfilmt. Für »Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford« erhielt McBride den renommierten National Book Award.

James McBride

Das verrückte Tagebuch
des Henry Shackleford

Roman

Aus dem Amerikanischen
von Werner Löcher-Lawrence

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Die Originalausgabe erschien 2013 bei Riverhead Books, New York, unter dem Titel »Good Lord Bird«

Copyright © 2013 by James McBride

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015 by btb Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Umschlaggestaltung: Semper Smile, München

nach einem Umschlagentwurf von © Oliver Munday

Redaktion: Frauke Brodd /write and read

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-15375-5
V002

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Für Ma und Jade,
die immer für eine Mordsgeschichte
zu haben waren.

Prolog

Seltene Neger-Unterlagen gefunden

von A. J. Watson

Wilmington, Del. (AP), 14. Juni 1966 – Der Brand einer der ältesten Neger-Kirchen der Stadt hat die völlig verrückten Schilderungen eines Sklaven ans Licht gebracht, in denen eine wenig bekannte Zeit der amerikanischen Geschichte im Mittelpunkt steht.

Die Erste Vereinte Abessinische Neger-Baptisten-Kirche an der Ecke 4th und Baindbridge Street wurde in der letzten Nacht durch ein Feuer zerstört. Als Grund sehen Experten eine defekte Gasheizung. Verletzt wurde niemand, aber unter den verkohlten Resten befanden sich angesengte Notizbücher eines verstorbenen Diakons der Kirche, die landesweit akademisches Interesse erregen.

Charles D. Higgins, Gemeindemitglied seit 1921, starb im vergangenen Mai. Higgins war Koch und Amateurhistoriker und hat offenbar den Bericht eines anderen älteren Gemeindemitglieds, Henry »Zwiebel« Shackleford, aufgezeichnet. Shackleford behauptete, der einzige überlebende Neger des Überfalls des amerikanischen Gesetzlosen John Brown auf Harpers Ferry, VA, im Jahr 1859 zu sein. Brown, ein weißer Abolitionist, plante, das landesweit größte Waffenarsenal in seine Gewalt zu bringen und damit einen Krieg gegen die Sklaverei zu entfachen. Sein misslungener Angriff löste eine landesweite Panik aus und führte somit zum amerikanischen Bürgerkrieg. Brown wurde gehängt, der Großteil seiner neunzehn Komplizen kam ebenfalls zu Tode, darunter vier Neger.

Bis heute wurde kein ausführlicher Bericht über Brown oder seine Männer gefunden, geschweige denn ahnte man etwas von seiner Existenz.

Die Papiere befanden sich in einer feuersicheren Metallkiste, die unter den Bodendielen hinter der Kanzel verborgen war, unter dem Stuhl des Diakons, wo Higgins mehr als dreiundvierzig Jahre treulich jeden Sonntag Hof hielt. Mit in der Kiste befanden sich ein Umschlag mit zwölf Konföderierten-Dollar, die seltene Feder eines Elfenbeinspechts, einer so gut wie ausgestorbenen Vogelart, und eine Notiz von Mr Higgins’ verstorbener Ehefrau, die lautet: »Wenn ich dich je wieder zu Gesicht bekomme, kriegst du einen derartigen Tritt in den Arsch, dass du hochkant und heulend aus meiner verdammten Tür fliegst.«

Mr Higgins hatte keine Kinder. Neunundzwanzig Jahre arbeitete er als Koch für Mrs Arlene Ellis aus Chadds Ford, PA. Er war das älteste Gemeindemitglied der Ersten Vereinigten Baptisten, von denen er liebevoll »Mr Geschichtenerzähler« und »Diakon Shimmy Wimmy« genannt wurde. Wie alt genau er bei seinem Tod war, ist unbekannt, aber verschiedene Mitgläubige schätzten ihn auf fast hundert. Auch bei den örtlichen Stadtratsversammlungen gelangte er zu einiger Bekanntheit, da er diese des Öfteren in Bürgerkriegsaufmachung zu besuchen pflegte und den Rat dazu bringen wollte, den Dupont Highway in »John Brown Road« umzubenennen.

Seine ordentlich gebundenen Notizbücher behaupten, dass er die Informationen zu Shacklefords Leben 1942 in einer Reihe Interviews sammelte. Laut eigener Aussage lernte er Shackleford kennen, als sie beide in den frühen Vierzigern als Sonntagsschullehrer in der Ersten Vereinigten tätig waren, bis Shackleford 1947 aus der Kirche geworfen wurde, weil er, wie Higgins schreibt, »ein schnelles kleines Etwas namens Peaches ungehörig an komischen Stellen berührt hatte …«

Offenbar, folgt man Higgins’ Aufzeichnungen, hatten die Kirchenmitglieder Shackleford bis dahin für eine Frau gehalten. Er sei ein kleiner Mann gewesen, schreibt Higgins, »mit mädchenhaften Zügen, lockigem Haar … und dem Herzen eines Spitzbuben«.

Higgins behauptet, Shackleford sei zur Zeit der Niederschrift einhundertdrei Jahre alt gewesen, obwohl: »Es könnte mehr sein, da er mir wenigstens dreißig Jahre voraus war.«

Obwohl Shackleford im Kirchenregister des Jahres 1942 aufgeführt ist, welches das Feuer ebenfalls überlebte, ist keines der gegenwärtigen Gemeindemitglieder alt genug, sich an ihn zu erinnern.

Die Gemeinde hat verkündet, den Bericht über Shackleford von einem Experten für Neger-Historie prüfen zu lassen und die Notizbücher dann an einen Verlag zu verkaufen. Die Einnahmen sollen für die Anschaffung eines neuen Gemeinde-Transporters verwendet werden.

TEIL I
FREIE TATEN

(Kansas)

1

Lerne den Herrn kennen

Ich wurde als farbiger Mann geboren, vergiss das nicht. Aber siebzehn Jahre hab ich als farbige Frau gelebt.

Pa war ein Vollblut-Neger aus Osawatomie im Kansas-Territorium, nördlich von Fort Scott, nicht weit von Lawrence. Pa war Barbier, obwohl ihn das nie richtig befriedigt hat. Das Evangelium zu predigen, das war seine Leidenschaft. Er hatte keine feste Kirche wie eine von denen, wo du nur mittwochs abends Bingo spielen darfst und die Frauen sitzen rum und schneiden Papierpuppen aus. Er rettete die Seelen eine nach der anderen beim Haareschneiden in Dutch Henrys Kneipe. Die lag an einer Kreuzung vom California Trail, der in Süd-Kansas am Kaw River langführt.

Pa kümmerte sich hauptsächlich um Abschaum, Aufschneider, Sklavenhändler und Trinker, die über den Kansas-Trail zogen. Mit seiner Statur machte er nicht viel her, aber dafür putzte er sich gerne raus. Am liebsten trug er einen Zylinder, Hochwasserhosen, ein Hemd mit hohem Kragen und Stiefel mit Absätzen. Der Großteil seiner Kleider war Zeugs, das er irgendwo fand oder von weißen Toten klaute, die in der Prärie von der Wassersucht hingerafft worden waren oder denen ein Streit den Garaus gemacht hatte. In seinem Hemd waren Einschusslöcher so groß wie ein Vierteldollar, und sein Hut war ihm zwei Nummern zu klein. Seine Hose bestand aus zwei verschiedenfarbigen Exemplaren und war an der Stelle zusammengenäht, wo sich die Hinterbacken trafen. Seine Haare waren kraus genug, um ein Streichholz dran anzureißen, und die meisten Frauen hielten möglichst Abstand von ihm, meine Ma eingeschlossen, die ihre Augen für immer schloss, als sie mich in dieses Leben beförderte. Es heißt, dass sie ein sanftes Halbblut war. »Deine Ma war die einzige Frau in der Welt, die Manns genug war, meinen heiligen Gedanken zu lauschen«, tönte Pa, »denn ich bin ein Mensch mit vielen Talenten.«

Was immer das für Talente sein sollten, größer machten sie ihn nicht, denn aufrecht und rausgeputzt wie nur was, komplett mit Stiefeln und zehn Zentimetern Zylinder, kam Pa gerade mal auf knapp eins vierundvierzig, und davon war noch einiges Luft.

Doch was er an Größe vermissen ließ, machte er mit seiner Stimme wett. Mein Pa konnte jeden Weißen niederschreien, der je über Gottes grüne Erde lief, ohne Ausnahme. Seine Stimme war hoch und schrill, und wenn er was sagte, dachtest du, der hat ’ne Maultrommel verschluckt, denn die Worte kamen platzend und knallend aus ihm raus. Und wer mit ihm redete, dem wusch er gleich auch noch das Gesicht mit seiner Spucke. Wobei, das war noch nicht alles, da war noch sein Mundgeruch. Sein Atem stank nach Schweinsgedärm und Sägemehl, weil er viele Jahre in einem Schlachthof gearbeitet hatte, und die meisten Farbigen gingen ihm deshalb aus dem Weg.

Aber die Weißen, die mochten ihn. Oft hab ich abends gesehen, wie er sich mit Freudensaft volllaufen ließ, und dann ist er auf Dutch Henrys Theke gesprungen, hat mit seiner Schere in der Luft rumgeschnipselt und durch Rauchschwaden und Ginwolken gebrüllt: »Der Herr wird kommen! Und es wird ein großes Zähneknirschen und Haareausreißen geben!« Und mit diesem Geschrei warf er sich mitten zwischen die miesesten, übelsten, sturzbesoffensten Missouri-Rebellen, die du je erlebt hast. Und wenn sie ihn meist auch verprügelten und ihm die Zähne eintraten, waren sie ihm doch genauso wenig böse, weil er ja im Namen des heiligen Geistes über sie herfiel, wie sie’s einem Tornado gewesen wären, der sich ’ne Schneise durch die Kneipe geschlagen hätte, denn der Geist des Erlösers Der Sein Blut Vergoss war ’ne ernste Sache damals draußen in der Prärie und der einfache weiße Pionier wusste von der Hoffnung und allem. Die meisten von ihnen waren mit reichlich Hoffnung in den Westen gekommen, ohne dass es da so geklappt hätte, wie’s hätte klappen sollen, und so war alles, was ihnen aus dem Bett half, um ein paar Indianer umzubringen, besser, als vom Schüttelfrost oder einer Klapperschlange das Licht ausgeblasen zu kriegen. Helfen tat auch, dass Pa den besten Rachenputzer im ganzen Kansas-Territorium brannte. Er war zwar ein Prediger, aber deswegen keinem Schluck oder dreien abgeneigt, und was immer für ’n Rabauke ihm auch die Haare ausgerissen und ihn ausgeknockt hatte, anschließend half er ihm wieder hoch und sagte: »Trinken wir einen«, und die Bande zog los, heulte den Mond an und soff Pas Fusel. Pa war stolz auf seine Freundschaft mit der weißen Rasse, wobei er sich auch da auf die Bibel berief. »Sohn«, sagte er, »denk immer an das Buch Hiesekal, das zwölfte Kapitel und den siebzehnten Vers: ›Reiche das Glas deinem durstigen Nachbarn, Käpt’n Ahab, und lass es ihn leeren.‹«

Ich war längst ein erwachsener Mann, als ich erfuhr, dass es gar kein Buch Hiesekal in der Bibel gab. Und auch keinen Käpt’n Ahab. Tatsache ist, dass Pa keinen Buchstaben vom anderen unterscheiden konnte, und er zitierte nur Bibelverse, die er bei den Weißen aufgeschnappt hatte.

Es stimmt, dass es eine Bewegung in der Stadt gab, die meinen Pa hängen wollte, weil er sich mit dem heiligen Geist füllte und über die nach Westen ziehenden Siedler herfiel, die bei Dutch Henry haltmachten, um ihre Vorräte aufzufrischen: Spekulanten, Trapper, Kinder, Händler, Mormonen und sogar weiße Frauen. Die armen Siedler hatten genug, weswegen sie sich sorgen mussten: Klapperschlangen kamen unter den Bodendielen vor, Hinterlader gingen ohne Grund los, und wenn sie ihren Kamin falsch bauten, erstickten sie nachts. Da brauchten sie nicht auch noch einen Neger, der im Namen Des Großen Erlösers Der Die Krone Trug über sie herfiel. Tatsächlich wurde 1856, da war ich zehn Jahre alt, in der Stadt offen drüber geredet, ob sie meinem Pa nicht das Hirn rausblasen sollten.

Und sie hätten’s auch getan, denk ich, wär in dem Frühjahr nicht ein Besucher gekommen, der es ihnen abnahm.

Dutch Henrys Kneipe lag direkt an der Grenze zu Missouri. Sie diente gleichzeitig als Postamt, Gerichtshaus, Gerüchteküche und Gin-Kaschemme für Missouri-Rebellen, die aus dem Kansas-Territorium kamen, um zu trinken, Karten zu spielen, Lügen zu erzählen, Huren zu besuchen, den Mond wegen der Nigger anzuheulen, die drauf aus waren, die Welt zu übernehmen, und drüber zu lamentieren, dass die Rechte des weißen Mannes von den Yankees im Scheißhaus versenkt wurden, und so weiter. Ich achtete nicht weiter auf das Gerede, mein Ziel war’s in jenen Tagen, Schuhe zu putzen, während mein Pa Haare schnitt, reichlich Fladenbrot zu verdrücken und so viel Ale in meinen kleinen roten Schlund zu trichtern wie nur möglich. Aber als der Frühling kam, gingen bei Dutch Gerüchte über einen gewissen blutrünstigen Weißen namens Old John Brown um, einen Yank aus dem Osten, der ins Kansas-Territorium gekommen war, um mit seinem Gefolge, den Pottawatomie Rifles, Unruhe zu stiften. Wenn man den Leuten glauben wollte, hatten Old John Brown und seine blutrünstigen Söhne vor, jeden Mann, jede Frau und jedes Kind der Prärie in den Tod zu schicken. Old John Brown stahl Pferde. Old John Brown brannte Häuser nieder. Old John Brown tat Frauen Gewalt an und schnitt den Leuten die Köpfe ab. Old John Brown tat dies, Old John Brown tat das, und bei Gott, wenn sie endlich von ihm aufhörten, kam er dir wie der Furcht erregendste, mörderischste, übelste Hurensohn vor, von dem du je gehört hattest, und ich beschloss, sollte ich ihm je über den Weg laufen, o mein Gott, dann würde ich ihn selbst einen Kopf kürzer machen, einfach wegen dem, was er den guten weißen Menschen, die ich kannte, angetan hatte und noch antun würde.

Nicht lange, nachdem ich diesen Beschluss gefasst hatte, kam ein alter, wackliger Ire bei Dutch Henry reingewankt und setzte sich auf Pas Barbierstuhl. Da war nichts Besonderes an ihm dran, in jenen Tagen liefen Hunderte Prärieärsche durchs Kansas-Territorium, die in den Westen mitgenommen werden wollten und oder auf ’n Job als Viehtreiber aus waren. Der Bursche war wirklich nichts Besonderes. Er war bucklig, dünn, kam frisch aus der Prärie, stank nach Büffeldung und hatte so ’n nervöses Zucken im Kiefer. Sein Kinn war voller struppiger Zotteln und sein Gesicht so voller Falten und Furchen zwischen Mund und Augen, dass man gebündelt ’n Kanal draus hätte machen können. Die dünnen Lippen hielt er ständig hochgezogen. Jacke, Weste, Hose und Schleife sahen aus wie von ’ner Mäuseplage heimgesucht, und die Stiefel waren völlig hinüber. Die Zehen ragten allesamt vorne raus. Der Mann machte einen bemitleidenswerten Eindruck, rundum, selbst nach Präriemaßstäben, aber er war weiß, und als er sich zum Haareschneiden und Rasieren auf Pas Stuhl setzte, hängte der ihm den Latz um und machte sich an die Arbeit. Wie üblich kümmerte sich Pa ums obere Ende und ich mich ums untere und putzte dem Kerl die Stiefel, die in dem Fall eben mehr aus Zehen als aus Leder bestanden.

Nach ein paar Minuten ließ der Ire den Blick schweifen, und als er sah, dass niemand zu nah war, fragte er Pa leise: »Sind Sie ein Mann der Bibel?«

Nun, Pa war ein Verrückter, wenn’s um Gott ging, und die Frage munterte ihn gleich auf. »Klar, Boss, das ganz sicher. Ich kenn alle Arten Bibelsprüche.«

Der alte Kauz lächelte. Ich kann nicht sagen, ob’s ein echtes Lächeln war, weil sein Gesicht so was von hart war, dass es gar nicht lächeln konnte. Aber die Lippen zogen sich was breiter. Die Rede vom Herrn gefiel ihm sichtlich, und recht hatte er, saß er doch nur mit dessen Gnade noch an Ort und Stelle, denn er war der Mörder John Brown höchstpersönlich, die Plage des Kansas-Territoriums. In Dutchs Kneipe. Fünfzehnhundert Dollar hatten sie auf seinen Kopf ausgesetzt, und das halbe Kansas-Territorium war scharf drauf, ihm das Licht auszupusten.

»Wunderbar«, sagte er. »Aber sagen Sie mir: Welche Bücher der Bibel mögen Sie am liebsten?«

»Oh, alle gleich«, sagte Pa. »Aber Hesiekial ganz besonders. Ahab, Trotter und Pontifex, den Kaiser.«

Der Alte Mann runzelte die Stirn. »An die erinnere ich mich nicht«, sagte er, »und ich hab die Bibel wieder und wieder gelesen, von vorne bis hinten.«

»So genau kenn ich sie nicht«, sagte Pa. »Aber was für Verse Sie auch mögen, Fremder, also, wenn’s Ihnen Spaß macht, lassen Sie ’n paar hörn, ich mag das.«

»Das macht mir in der Tat Spaß, Bruder«, sagte der Fremde. »Hier ist einer: ›Wer auch immer den Ruf Gottes nicht mehr hört, soll selber rufen.‹«

»Gütiger! Das issen Renner!«, sagte Pa, sprang in die Luft und schlug die Stiefel zusammen. »Noch einen!«

»›Der Herr strecket seine Hand aus, berühret alles Böse und tötet es.‹«

»Das wärmt mir die Seele«, rief Pa, hüpfte gleich wieder rum und klatschte in die Hände. »Mehr!«

Der alte Kauz kam langsam in Schwung. »›Lass einen Christen die Sünde erleben, und er geht ihr an die Kehle‹«, sagte er.

»Weiter, Fremder!«

»›Befreie den Sklaven von der Tyrannei der Sünde!‹«, schrie der alte Kauz jetzt fast.

»Predige, Fremder!«

»›Und zerstreue die Sünder wie Stoppeln, damit der Sklave für immer frei ist!‹«

»Ja, Sir!«

Sie legten also mitten in Dutch Henrys Kneipe los, und keine zwei Meter um sie rum waren zehn Leute, Händler, Mormonen, Indianer, Huren (und Old John Brown selbst), die sich zu Pa hätten rüberlehnen und ihm ein, zwei Worte zuflüstern können, um ihm das Leben zu retten, hatte die Frage der Sklaverei das Kansas-Territorium doch in einen Krieg gestürzt. Lawrence war geplündert worden, der Governer geflohen. Es gab kein Gesetz, das den Namen verdient hätte. Jedem Yankee-Siedler zwischen Palmyra und Kansas City wurde von den Missouri-Raubeinen der Schädel eingeschlagen, doch davon hatte Pa keine Ahnung, er hatte sich nie weiter als ein, zwei Kilometer von Dutchs Kneipe entfernt. Aber keiner sagte ein Wort, und Pa, so verrückt er war, wenn’s um Gott ging, sprang rum, schnipste mit der Schere und lachte. »Oh, der heilige Geist kommet hernieder! Das Blut Christi! Ja, so isses. Zerstreu die Stoppeln! Zerstreu sie! Ich fühl mich, als wär ich dem Herrn selbst begegnet!«

Die Kneipe um ihn rum verstummte.

Dutch Henry Sherman war ein Deutscher, ein mächtiger Kerl, der Pa in seinen Stiefeln um sechs Handbreit überragte. Seine Hände hatten die Größe von Metzgerbeilen, die Lippen schimmerten kalbsrosa, und seine Stimme war wie ’n Donnergrollen. Wir gehörten ihm, ich, Pa, meine Tante, mein Onkel und ein paar Indianer-Squaws, an denen er sich gütlich tat. Was er im Übrigen auch mit weißen Männern tat, wenn er dabei auf seine Kosten kam. Pa war Dutchs allererster Sklave, und so genoss er ein paar Privilegien, konnte kommen und gehen, wann er wollte, aber jeden Mittag, pünktlich um zwölf, kam Dutch, um sein Geld abzukassieren, das Pa treulich in einer Zigarrenkiste hinter dem Barbierstuhl aufbewahrte. Und wie’s der Zufall wollte, war es gerade zwölf.

Dutch kam, langte hinter dem Stuhl nach der Geldkiste, leerte sie und wollte sich schon wieder wegdrehen, als sein Blick auf den Alten Mann auf Pas Stuhl fiel und ihm irgendwas nicht gefiel.

»Sie kommen mir bekannt vor«, sagte er. »Wie heißen Sie?«

»Shubel Morgan«, sagte der Alte Mann.

»Was machen Sie hier in der Gegend?«

»Ich suche Arbeit.«

Dutch legte eine kleine Pause ein und betrachtete den Alten Mann. Er roch den Braten. »Ich hab hinten Holz, das gehackt werden muss«, sagte er. »Ich geb Ihnen fünfzig Cent für ’n halben Tag.«

»Nein, danke«, sagte der Alte Mann.

»Fünfundsiebzig.«

»Nee.«

»Und wenn ich einen Dollar zahle?«, fragte Dutch. »Ein Dollar ist ’ne Menge Geld.«

»Ich kann nicht«, knurrte der Alte Mann. »Ich warte auf den Dampfer, der den Kaw runterkommt.«

»Der Dampfer kommt erst in zwei Wochen«, sagte Dutch.

Der Alte Mann runzelte die Stirn. »Ich sitze hier und genieße mit einem Christenbruder die Heilige Schrift, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte er. »Warum kümmern Sie sich ’n nicht um Ihren eigenen Kram, mein Freund? Hacken Sie Ihr Holz doch selbst, wenn Sie nicht wollen, dass der Herr Sie als fette, fußkranke Sau betrachtet.«

Dutch hatte in jenen Tagen immer eine Pepperbox bei sich. Einen hübschen kleinen Bündelrevolver mit vier Läufen. Ein fieses Ding so ganz aus der Nähe. Vorn in der Tasche hatte er ihn, um schnell ranzukommen. Nicht im Halfter. Vorn in der Tasche. Und schon zog er ihn raus, den Lauf auf den Boden gerichtet (alle vier zeigten sie nach unten), und sprach den faltigen Alten Mann mit einer Waffe in der Hand an.

»Nur ein feiges Yankee-Muttersöhnchen kann so reden«, sagte er. Einige Männer standen auf und gingen raus, aber der Alte Mann saß reglos da und war ruhig wie nur was.

»Sir«, sagte er, »das ist eine Beleidigung.«

Ich sollte hier gleich sagen, dass ich auf Dutchs Seite stand. Er war kein schlechter Kerl. Tatsache ist, er hat sich gut um mich gekümmert, um Pa, meine Tante und meinen Onkel, und um die Indianer-Squaws natürlich, die er für seine Spielchen brauchte. Im Übrigen hatte er zwei jüngere Brüder, William und Drury, die er flüssig hielt, schickte Geld an seine Ma in Deutschland und fütterte und kleidete all die Squaws und Huren, die sein Bruder William vom Mosquite Creek und der Gegend da unten anschleppte. Das waren nicht wenige, denn sein Bruder war keinen Cent wert und freundete sich mit allen und jedem im Kansas-Territorium an, nur mit seiner Frau und seinen Kindern nicht. Gar nicht zu reden davon, dass Dutch einen Stall, eine Scheune, etliche Kühe und Hühner, zwei Maultiere, zwei Pferde, einen Schlachthof und ebendiese Kneipe am Hals hatte. Damit hatte er reichlich zu tun, und er schlief nachts nicht mehr als zwei, drei Stunden. Tatsache ist, wenn ich’s so im Nachhinein bedenke, dass Dutch Henry selbst ’ne Art Sklave war.

Er tat einen Schritt zurück von dem Alten Mann, hielt seinen Revolver dabei immer noch auf den Boden gerichtet und sagte: »Steh von dem Stuhl auf.«

Der Babierstuhl stand auf einem hölzernen Podest. Der Alte Mann stieg langsam davon runter. Dutch sah zum Barmann hinter der Theke und sagte: »Gib mir ’ne Bibel«, was der auch tat, und mit der Bibel in der einen und dem Revolver in der anderen Hand trat Dutch vor den Alten Mann hin.

»Ich lass dich jetzt hier auf die Bibel schwörn, dass du für die Sklaverei und die US-Verfassung bist«, sagte er. »Wenn du das tust, du alter Sack, kannst du hier so wieder rausspazieren. Solltest du aber ’n verlogener, blaubäuchiger Freistaatler sein, zieh ich dir eins mit dieser Pistole hier über den Schädel, dass dir das Gelbe aus den Ohren kommt. Leg die Hand drauf«, sagte er.

Ich sollte in den kommenden Jahren noch ziemlich was von Old John Brown erleben, er machte ein paar mörderische, fürchterliche Dinge. Aber eins, was er nicht gut konnte, war so tun, als ob, besonders nicht mit der Hand auf der Bibel. Er saß in der Klemme, legte die Hand auf das Buch und wirkte zum ersten Mal richtig angespannt.

»Wie heißt du?«, sagte Dutch.

»Shubel Isaac.«

»Ich dachte, Shubel Morgan?«

»Isaac ist mein Mittelname«, sagte er.

»Wie viele Namen hast du?«

»Wie viele brauch ich?«

Das Hin und Her weckte einen alten Säufer namens Dirk auf, der an einem Tisch gleich in der Ecke geschlafen hatte. Dirk richtete sich auf, linste durch den Raum und platzte raus: »Na, Dutch, der sieht ja ganz wie Old John Brown aus.«

Als er das sagte, standen Dutchs Brüder William und Drury und ein junger Bursche namens James Doyle (alle drei sollten an einem anderen Tag ihren letzten Atemzug tun) von ihrem Tisch bei der Tür auf, richteten ihre Colts auf den Alten Mann und kreisten ihn ein.

»Stimmt das?«, fragte Dutch.

»Stimmt was?«, sagte der Alte Mann.

»Dass du Old Man Brown bist?«

»Hab ich das gesagt?«

»Dann bist du’s also nicht«, sagte Dutch. Er schien erleichtert. »Wer bist du dann?«

»Ein Kind meines Schöpfers.«

»Für ein Kind bist du zu alt. Bist du jetzt Old John Brown oder nicht?«

»Ich bin der, den der Herr in mir sieht.«

Dutch warf die Bibel auf den Boden, drückte den Revolver fest in den Nacken des Alten Mannes und spannte den Hahn. »Hör auf, rumzuschwätzen, du gottverdammter Knollenkopf! Old Man Brown, bist du das oder nicht?«

In all den Jahren, die ich ihn kannte, hat sich Old John Brown nie richtig aufgeregt, auch nicht, wenn’s um Leben und Tod ging (seinen oder den von Leuten neben ihm), es sei denn, Gottes Name kam ins Spiel. Und als er jetzt sah, wie Dutch Henry die Bibel auf den Boden warf und wegen nichts und wieder nichts so gotteslästerlich fluchte, da reichte es ihm. Der Alte Mann ertrug’s einfach nicht. Sein Gesicht verspannte sich, und seine nächsten Worte hörten sich nicht mehr wie die von ’nem Iren an, sondern er sprach mit seiner wirklichen Stimme. Hoch. Dünn. Straff wie ’n Messdraht.

»Sie beißen sich auf die Zunge, wenn Sie so gotteslästerlich fluchen«, sagte er kühl, »denn durch die Kraft Seiner Heiligen Gnade ist mir aufgetragen, in Seinem Namen Wiedergutmachung zu erwirken. Damit ist die Pistole, die Sie da halten, keinen Cent wert, der Herr wird Sie Ihnen aus der Hand nehmen.«

»Hör mit dem Geschwätz auf und sag mir deinen Namen, gottverdammt.«

»Fluchen Sie nicht in Gottes Namen, Sir.«

»Scheiße! Ich fluche in seinem schwanzschlaffen, gottverdammten Namen, wann immer es mir gottverdammt noch mal gefällt! Ich schieb ihn ’ner toten Sau in den Arsch und anschließend in deinen Scheiße fressenden Yankee-Schlund, du gottverdammter, auf links gezogener Nigger!«

Das brachte den Alten Mann in Stimmung, und schneller, als du’s sagen könntest, riss er sich den Barbierumhang runter und holte den Kolben eines Sharps-Gewehrs unter der Jacke vor. Er bewegte sich mit der Geschwindigkeit einer Klapperschlange, aber Dutch hatte seine Pistole schon an seiner Kehle und musste nichts tun, als den Abzug zu drücken.

Was er auch tat.

Nun, die Pepperbox ist ’ne kleinliche Pistole und nicht so zuverlässig wie ein Colt oder ein normales Repetiergewehr. Sie funktioniert mit Pulverhütchen und muss trocken sein, und all das Geschwitze und Gefluche hatte Wasser auf Dutchs Pranken gespült, anders kann ich’s mir nicht erklären, denn als Dutch abdrückte, brüllte der Revolver bloß: »Koah!«, und es gab eine Fehlzündung. Ein Lauf explodierte und pellte sich auf. Dutch ließ die Waffe auf den Boden fallen und schrie wie ’n Kalb. Fast hätte es ihm die Hand weggerissen.

Die anderen drei Burschen mit ihren auf Old Brown gerichteten Colts hatten sich einen Moment abgewandt, um das Hirn vom Alten Mann nicht ins Gesicht zu kriegen, das doch, wie sie dachten, jeden Augenblick durch die Kneipe spritzen musste, aber jetzt glotzten sie in den Lauf des Sharps-Gewehrs, das der alte Knabe ganz rausgezogen hatte.

»Ich habe doch gesagt, dass Ihnen der Herr die Waffe aus der Hand nehmen wird«, sagte er. »Der Herr der Heerscharen zerstört alle Plagen.« Er drückte Dutch sein Sharps in den Nacken, zog den Hahn zurück, sah die anderen drei Burschen an und sagte: »Legt die Pistolen auf den Boden, oder der hier verabschiedet sich.« Sie taten, was er sagte, worauf er sich der Kneipe zuwandte, das Gewehr immer noch auf Dutch gerichtet, und rief: »Ich bin John Brown, Captain der Pottawatomie Rifles, und ich bin mit dem Segen Gottes hier, um alle Farbigen in diesem Territorium zu befreien. Jeder, der sich mir entgegenstellt, wird Kugeln und Pulver fressen.«

Also, da muss mindestens ’n halbes Dutzend Männer mit Sechsschüssigen in der Kneipe rumgestanden haben, aber keiner griff danach, denn der Alte Mann war kühl wie Rauch und völlig geschäftsmäßig. Er sah sich in der Gaststube um und sagte: »Jeder Neger hier, alle, die sich hier verstecken, kommt raus. Ihr seid frei. Folgt mir. Habt keine Angst, Kinder.«

Nun, ein paar Farbige waren schon da, einige sollten was holen, andere bedienten ihre Master, die meisten hatten sich unter den Tischen verkrochen, zitterten und warteten, dass das Schießen losging, und als sie jetzt die Worte des Alten Mannes hörten, nun, da kamen sie hervor und liefen raus, jeder Einzelne von ihnen. Ab durch die Tür. Du sahst nur das hintere ihrer Köpfe und wie sie ihre Ärsche in Sicherheit brachten.

Der Alte Mann sah ihnen hinterher. »Die müssen vom Herrn noch errettet werden«, brummte er. Aber er war mit seiner Befreiungstat noch nicht am Ende und drehte sich zu Pa hin, der in seinen Stiefeln zitternd dastand und »O Herr, o Herr …« murmelte.

Der Alte Mann nahm das als ’ne Art Freiwilligenmeldung, waren Pas »Herrn« doch direkt auf seinen »Herrn« gefolgt, was ihm offenbar als Zustimmung reichte. Er schlug ihm auf den Rücken und freute sich wie ein Schneekönig.

»Mein Freund«, sagte er, »da haben Sie eine weise Wahl getroffen. Sie und Ihre tragische Achtelblut-Tochter sind willkommen, das Ziel unseres seligen Erlösers anzunehmen, frei und rein zu leben und nicht den Rest Ihres Lebens mit diesen sündigen Wilden in dieser Höhle des Unrechts zu verbringen. Sie sind frei. Gehen Sie aus der Hintertür, während ich mein Gewehr auf diese Heiden gerichtet halte, dann führe ich Sie im Namen des Königs von Zion in die Freiheit!«

Also, ich weiß nicht, was Pa in dem Moment dachte, aber trotz all dem Gebrabbel über Könige, Heiden, Zionse und so weiter und dem durch den Raum schwenkenden Sharps-Gewehr, war ich irgendwie beim Wort »Tochter« hängen geblieben. Sicher, ich trug ’n Kartoffelsack wie die meisten farbigen Jungs damals, und meine helle Haut und mein lockiges Haar machten mich zum Gespött von einigen Gleichaltrigen in der Stadt, was ich da, wo’s ging, mit meinen Fäusten wettzumachen versuchte. Aber alle bei Dutch, selbst die Indianer, wussten, dass ich ein Junge war. Ich hatte in dem Alter noch nicht mal eine Schwäche für Mädchen, wurde ich doch in ’ner Kneipe großgezogen, wo die meisten Frauen Zigarren rauchten, scharfen Schnaps tranken und wie die Männer zum Himmel stanken. Trotzdem, selbst die Versoffensten von ihnen, die keinen Baumwollkäfer von ’ner Baumwollflocke unterscheiden konnten, kannten den Unterschied zwischen mir und einem Mädchen. Ich machte den Mund auf, um den Alten Mann in dem Punkt zu verbessern, doch da erfüllte ein hohes, lautes Jammern den Raum, gegen das ich nicht ankam. Erst nach ein paar Augenblicken wurde mir klar, dass das Bellen und Jammern aus meiner eigenen Kehle kam, und ich will hier gestehen, dass ich mein Wasser verloren hatte.

Pa schien in Panik. Er stand da und zitterte wie ’ne Kornhülse. »Massa, mein Henry da iss kein …«

»Wir haben nicht die Zeit, Ihre Gedanken zur geistigen Abhängigkeit zu besprechen, Sir!«, schnitt der Alte Mann Pa das Wort ab und hielt immer noch das Gewehr auf die Leute gerichtet. »Wir müssen uns bewegen, mein mutiger Freund. Ich werde Sie und Ihre Henrietta in Sicherheit bringen.« Also, mein richtiger Name ist Henry Shackleford, doch der Alte Mann machte aus Pas »Henry da …« kurzerhand eine »Henrietta«. So funktionierte der Kopf des Alten Mannes nun mal. Was immer er glaubte, glaubte er, und dabei spielte es keine Rolle, ob’s wirklich stimmte oder nicht. Er veränderte die Wahrheit einfach so, dass sie ihm reinpasste. Da war er ein echter Weißer.

»Aber mein S…«

»Nur Mut, mein Freund«, sagte er zu Pa, »denn wir haben einen Widder in der Hecke. Erinnern Sie sich an das Buch Joel, den vierten Vers im ersten Kapitel: ›Was die Raupen lassen, das fressen die Heuschrecken; und was die Heuschrecken lassen, das fressen die Käfer; und was die Käfer lassen, das frisst das Geschmeiß.‹«

»Was soll das heißen?«, fragte Pa.

»Dass ihr zwei bei lebendigem Leib gefressen werdet, wenn ihr hierbleibt.«

»Aber mein Kind hier iss kein …«

»Ssssch!«, sagte der Alte Mann. »Wir können nicht mehr warten. Wir reden später, wenn wir ihr gemeinsam die Heilige Schrift näherbringen.«

Er packte meine Hand und zog mich, das Sharps-Gewehr immer noch im Anschlag, zur Hintertür. Ich hörte Pferde die Gasse hinten runterstürmen. Als er zur Tür kam, ließ er meine Hand einen Moment lang los, um sie aufzustoßen, und da ging Pa auf ihn los.

Gleichzeitig stürzte Dutch zu einem der Colts auf dem Boden, schnappte ihn sich, zielte auf den Alten Mann und schoss.

Die Kugel verfehlte ihr Ziel, traf die Seite der Tür und riss einen zwanzig Zentimeter langen Holzspleiß aus ihr raus, der wie ein Messer in den Raum zeigte, waagerecht und in Brusthöhe. Pa rannte in ihn rein. Tief in die Brust traf er ihn.

Pa stolperte zurück und stürzte zu Boden, wo sein letztes Licht verlosch.

Mittlerweile war das Hufgedröhne direkt hinter uns, und der Alte Mann trat die Tür weit auf.

Dutch Henry saß auf dem Boden und brüllte: »Niggerdieb! Du schuldest mir zwölfhundert Dollar!«

»Stell sie dem Herrn in Rechnung, Heide«, sagte der Alte Mann, fasste mich bei der Hand, trat auf die Gasse raus, und weg waren wir.