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»Du fragst dich, warum es guttut,
wenn du uns berührst oder dich an uns anlehnst.
Es ist, weil wir dich mit den Sternen verbinden.«
Aus «Nachrichten vom Geist der Pferde«
von Linda Tellington-Jones
Ich widme dieses Buch dem Dressurpferd »Meggles Weltall VA« in Anerkennung seines großen Herzens. Ich durfte mit diesem 18 Jahre alten, 1,80 Meter großen Hannoveraner-Wallach arbeiten und konnte erleben, wie er Vertrauen zum Menschen entwickelte. Sein Mut hat in mir die Hoffnung geweckt, dass dieses Beispiel viele Pferdefreunde inspirieren wird, sich mit ganzem Herzen auf ihre Pferde einzulassen. Pferde sind ein unglaubliches Geschenk und bereichern unser Leben.
Ein Lächeln auf Ihrem Gesicht
Respekt und Vertrauen gehen Hand in Hand. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil des Pferdetrainings – unabhängig von Rasse oder Disziplin. Die Beziehung zwischen Pferd und Reiter hängt zu großen Teilen von gegenseitigem Respekt und Vertrauen ab. Das ist der Schlüssel meines Erfolgs und meiner Freude am Trainieren von Pferden – genau wie es Bestandteil der Arbeit meines Vaters als Reiter, Trainer und Lehrer war. Mein Vater, Dr. Reiner Klimke, sagte mir, als er mir das erste Exemplar seines Buches »Grundausbildung des jungen Reitpferdes« gab: »Ingrid, wir wollen die Natur des Pferdes verstehen, seine Persönlichkeit respektieren und sicherstellen, dass wir es während des Trainings nie unterdrücken. Dann sind wir auf dem richtigen Weg.«
Wenn ich aufgefordert werde, Reitern einen Ratschlag zu geben, sage ich oft, dass sie Geduld haben müssen und dass sie ihrem Pferd zuhören sollen. Pferde, besonders junge Pferde, suchen Sicherheit – sie müssen wissen, dass Sie, ihr Reiter, sie führen werden und ihnen die Sicherheit geben, nach der sie suchen.
Die klassische Ausbildungsskala ist wichtig, weil sie Ihnen und Ihrem Pferd eine Grundlage gibt, auf der Sie das Training aufbauen können. Wenn eine fremde Situation dem Pferd Angst macht, vereinfachen Sie die Umstände – anstatt es vorwärts zu zwingen, und es wird lernen, Ihnen zu vertrauen.
Dadurch verschwindet der Moment der Angst wieder, Sie »überleben« ihn zusammen, ohne dass Ihre Beziehung zerbricht. Pferde müssen Ihnen vertrauen. Wenn sie in einer neuen Situation zögern oder scheuen, brauchen sie vielleicht keine Rüge, sondern Rückversicherung.
Pferde müssen auch wissen, was sie gut gemacht haben und wofür sie Lob verdienen, sogar mitten in einer Dressurprüfung. Reichlich wurde das kleine Klopfen diskutiert, das ich meinem Pferd manchmal nach einem guten fliegenden Wechsel angedeihen lasse. Vielen fiel es auf in meiner olympischen Dressurprüfung oder in der Europameisterschaft. Aber wenn mein Pferd so gut zugehört hat und so eine tolle Leistung erbracht hat, dann muss es, egal wann, auch meinen Dank für seine Leistung bekommen.
Vertrauen, Rückversicherung, Dankbarkeit – das sind einige der Prinzipien, die Linda Tellington-Jones in diesem Buch umreißt. Ich kenne Linda seit vielen Jahren. Sie besuchte die Anlage meines Vaters, als er noch lebte, um ihre Tellington-Methode mit ihm und seinen Mitarbeitern zu teilen, und arbeitete in den folgenden Jahren häufig mit ihm.
Linda hat ihre Methode auch mit mir und meinen Pferden in Deutschland eingesetzt. Ihre Ideale und meine Ideale gehen Hand in Hand. Grundlegend in Lindas Arbeit ist Vertrauen: Vertrauen beim Pferde schaffen, das Vertrauen nähren und so stärken, dass die Partnerschaft mit Ihrem Pferd allen Herausforderungen von außen und innen widerstehen kann. Linda betont auch den großen Wert der Ausbildungsskala und stellt kreative Möglichkeiten vor, wie wir heute damit arbeiten können – zum Wohle unserer Pferde.
Als ich mein Vielseitigkeitspferd »FRH Butts Abraxxas« 2008 für die Olympischen Spiele vorbereitete, halfen Lindas Ohren- und Maul-TTouch, ihn zu entspannen und den Stress von Reise und Wettkampf zu reduzieren. Ich war sehr beeindruckt vom Halsring, den ich jetzt für alle meine Pferde verwende. Abraxxas damit zu reiten hat unsere Beziehung vertieft, meine Hand leichter gemacht und dazu geführt, dass er so gut zuhört. Meine Tochter verwendet TTouches und den Halsring mit ihrem Pony. Es ist mir eine Freude zu sehen, wie gut sie zusammenarbeiten – sowohl von meinem Standpunkt als Mutter und Lehrer wie auch als Reiter, Trainer und Wettkämpfer.
Pferde geben uns so viel. Sie wollen ihre Sache gut und richtig machen. Sie sind Individuen und müssen als solche behandelt werden. Im Pferde- und im Dressurbusiness muss man mit Menschen umgehen und diplomatisch sein, aber wenn Sie Pferde wirklich lieben, müssen Sie vor allem auf Ihr Herz hören. Mit Pferden zusammen zu sein sollte bei allen Höhen und Tiefen jeden Tag ein breites Lächeln auf Ihr Gesicht zaubern. Diese guten Vorsätze kann Lindas Arbeit jeden Tag für jeden von uns Wirklichkeit werden lassen.
Ingrid Klimke
Gewinnerin der Olympischen Goldmedaille (Vielseitigkeit) mit der Mannschaft in Beijing, 2008, und London, 2012
Autorin der Bücher »Grundausbildung des jungen Reitpferdes« und »Cavaletti«
Es gibt einige Dinge, auf die ich Sie gerne aufmerksam machen möchte, bevor Sie mit dem Lesen beginnen.
Sie werden in diesem Buch viele Verweise auf die verschiedenen Facetten oder Elemente meiner Methode finden. Die Tellington-Methode basiert auf den Tellington TTouches®, der Bodenarbeit, bestehend aus Übungen an der Hand, die ich auch »Tanzen mit dem Pferd« nenne, und Hindernissen auf dem »Spielplatz für höheres Lernen« oder einfacher »Lernparcours« und der Arbeit unter dem Sattel, auf die ich mich gerne als »Reiten mit Freude« beziehe.
Ich verwende besondere »lustige« Namen und Abkürzungen, damit man sich die Übungen besser merken kann (zum Beispiel einen TTouch, der sich »Das Lecken der Kuhzunge« nennt oder eine Übung mit dem Namen »Den Tiger zähmen«) und um beide Gehirnhälften zu aktivieren. Mehr dazu ab hier.
Anfangs denken Sie vielleicht, dass diese Namen und Bezeichnungen ein bisschen sonderbar sind, aber ich verspreche Ihnen, dass der Sinn dahinter durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt wird. Und wenn sie Sie zum Lachen bringen, umso besser! Lachen kann Stress reduzieren und Ihre Verbindung mit Ihrem Pferd stärken. Wir müssen mehr Gründe dafür finden, zu lächeln, wenn wir mit unseren Pferden arbeiten (siehe hier).
Bevor wir jedoch zu den Eckpfeilern meiner Methode kommen, möchte ich auf die Grundlagen meines Denkens eingehen. Ich lade Sie ein, sich mit mir zusammen Gedanken zu machen, wie wir am besten mit den Herausforderungen umgehen können, die sich einem Reiter im 21. Jahrhundert stellen. Weiterhin lade ich Sie ein, mit mir zusammen die unzähligen Möglichkeiten zu erforschen, die sich uns hier und heute bieten. Wissenschaft und Spiritualität kommen vermehrt in ein Gleichgewicht und wir sind am besten beraten, beide Facetten zu beobachten und zu verinnerlichen, um einen Zustand der Balance zu erreichen – des mentalen, emotionalen und physischen Gleichgewichts.
Ich habe das Gefühl, dass diese Balance für die Reiterin und den Reiter wie für das Pferd nötig ist. Das werde ich ab hier näher ausführen.
Lassen Sie sich überraschen, was Sie auf den folgenden Seiten lesen werden. Mein Ziel ist es, Ihnen unendlich viele Möglichkeiten anzubieten, die die Erfahrung für Sie und Ihr Pferd freudvoller und bedeutsamer werden lassen. Einen Augenblick Geduld – Sie sind erst am Anfang.
Linda Tellington-Jones
Kailua-Kona, Hawaii
Ich habe dieses Buch in zwei Abschnitte unterteilt. Der erste Teil »Reiten lernen und lehren – Einführung in einen neuen Weg« ist eine Zusammenfassung meiner Theorien über das Lernen und Unterrichten des Reitens und Dressurreitens im Speziellen sowie eine allgemeine Beschreibung der Tellington-Methode und wie sie funktioniert.
Einige dieser Konzepte sind Ihnen vermutlich bereits bekannt, andere werden Ihnen fremd erscheinen. Sie alle bieten Möglichkeiten, die Grundlagen der klassischen Lehre zu klären und in die Praxis zu integrieren. Gleichzeitig sind es vielleicht relativ neue Ideen, wie man ein besserer Reitpartner für sein Pferd werden kann.
Der zweite Teil »Dressurreiten mit der Tellington-Methode« beschäftigt sich mit der Arbeit, für die ich weltweit bekannt bin, speziell im Bereich des Dressursports. In diesem Teil werde ich Ihren Fokus von den breiten Pinselstrichen, die die Schwerpunkte meiner Arbeit darstellen – die Konzepte, die Mensch und Pferd, Familien- und Reiterleben miteinander in Verbindung und Austausch bringen – auf die Details richten.
Im zweiten Teil zeige ich Ihnen, wie Sie die Tellington-Methode in den täglichen Umgang mit Ihrem Pferd integrieren können. Außerdem werde ich Ihnen auf den Bildseiten einige Top-Dressurpferde vorstellen, mit denen ich im Laufe meines Lebens gearbeitet habe. Ihre Geschichten, ihre Schwierigkeiten und schließlich ihre Erfolge sollen Ihnen als Inspiration auf Ihrem eigenen Weg dienen.
In beiden Teilen verweise ich immer wieder auf die verschiedenen Facetten der Tellington-Methode: TTouches, Bodenarbeit und die Arbeit unter dem Sattel können in speziellen Trainingssituationen hilfreich sein, um Verhaltensprobleme zu lösen, zur Stressreduktion, bei der täglichen Pflege und im Umgang. Zu allen TTouches und Übungen, die in diesem Buch kursiv gedruckt sind, finden Sie jeweils eine kurze Zusammenfassung – in alphabetischer Reihenfolge – in der Übersicht ab hier. Weil aber die Menge an Techniken, die meine Methode beinhaltet, zu umfassend für eine kurze Auflistung ist, möchte ich auf mein Buch »Tellington-Training für Pferde: Das große Lehr- und Praxisbuch« verweisen. Dort finden Sie detaillierte Erklärungen und Beschreibungen mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen.
Noch etwas möchte ich betonen, bevor ich beginne. Viele Menschen, die meine Arbeit kennen, denken, dass »TTouch« (mit Doppel-T) für »Tellington-Touch« steht. Eine Zeit lang schien das stimmig zu sein, aber ich bevorzuge nun eine andere Erklärung. Erstens gibt es viele verschiedene Formen von Körperarbeit, die das Wort Touch (deutsch: Berührung) beinhalten. Zweitens ist Vertrauen (englisch: trust) ein Hauptteil meiner Arbeit – in der Art, wie ich meiner Intuition und wissenschaftlichen und spirituellen Wegweisern gefolgt bin, um meine Methode so zu nähren, wie sie sich jeden Tag weiterentwickelt. Vertrauen ist eines der wichtigsten Ziele in meiner Arbeit mit Tieren und Menschen. Ich verdiene ihr Vertrauen, mit jeder Berührung mehr. Stellen Sie sich die TTouches also als »Vertrauens-Berührungen« vor, als ganzheitlichen Schritt, um die Beziehung mit Ihrem Pferd zu verbessern.
Tellington Training als App
© Archiv KOSMOS
Seit 2012 gibt es eine fabelhafte App für iPhone und iPad. So können Sie die TTouch-Richtlinien direkt auf Ihrem Handy oder Tablet lesen. Die App enthält kurze Videosequenzen verschiedener TTouches zusammen mit meinen persönlichen Anleitungen und Erklärungen, wie man sie ausführt und welchen Nutzen sie bringen. Der dazugehörende Text erklärt ausführlich, wie viel Druck man verwendet, wie der TTouch ausgeführt wird und welchen TTouch man am besten für konkrete Verhaltens-, Gebäude-, körperliche oder Trainings-Herausforderungen anwendet. Die App beinhaltet Anleitungen für TTouches und Übungen, die bei Sattelzwang helfen, Muskelverspannungen lindern, Scheuen reduzieren, die Schrittlänge vergrößern, Vertrauen fördern, Puls und Atmung beruhigen, Widerstand überwinden, Schmerz und Schock reduzieren, Spannungen lösen, Stolpern reduzieren und nervöse oder ängstliche Pferde beruhigen. Die App Tellington Training für Pferde findet man im App-Store.
Anmerkung: In diesem Buch spreche ich überwiegend von der Reiterin. Das tue ich nicht, weil ich denke, dass Männer nicht reiten können, wollen oder sollen. Ich möchte damit vielmehr den Lesefluss erleichtern, während ich die Themen anspreche, die für uns alle von Interesse sind, egal ob Mann oder Frau.
Reiten lernen und lehren
Die Wurzeln der Tellington-Methode reichen bis in die 1960er Jahre zurück, als mein erster Mann Wentworth Tellington und ich die »Pacific Coast Equestrian Research Farm and School of Horsemanship« in Badger, Kalifornien, gründeten. Dort wurde unter anderem ein neun Monate dauerndes Trainingsprogramm für Reitlehrer angeboten, die zwischen 1964 und 1974 aus neun Ländern zu uns kamen.
Zu dieser Zeit schrieben wir auch gleichzeitig Kolumnen für viele verschiedene Pferdezeitschriften und verschickten unseren Newsletter in 22 Länder.
1974 schloss ich die Horsemanship-Schule in Kalifornien und begann in Europa und den USA zu reisen und die Tellington-Methode zu unterrichten. Seitdem bin ich ständig unterwegs, um diese Arbeit zu verbreiten. Ich fühle mich reich gesegnet, dass ich 19 Bücher, die in 13 Sprachen übersetzt wurden, veröffentlicht und 20 DVDs produziert habe, die meine Methode veranschaulichen. Darunter ist auch ein Video (TTouch für Dressurpferde, 1995) mit Klaus Balkenhol und Nicole Uphoff, das sich speziell an Dressurpferde und Dressurreiterinnen wendet.
Ich habe schon lange einen Bezug zum Dressurreiten. In den 1960er Jahren war ich Gründungsmitglied der »California Dressage Society« und hatte das große Glück, Anfang der 1970er Jahre in Kalifornien Zeit mit Alois Podhajsky zu verbringen, dem ehemaligen Leiter der Spanischen Hofreitschule und Autor des Klassikers »Meine Lehrmeister, die Pferde« (Kosmos, 2001). Damals arbeitete er mit Kyra Downton zusammen, die mit »Kadett« die Vereinigten Staaten bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko vertrat. Dort war sie die am höchsten platzierte amerikanische Reiterin und führte ihr Team im Finale auf den achten Platz.
Das ist umso bemerkenswerter angesichts der Tatsache, dass Dressurreiten in den 1960er Jahren in den USA nicht besonders populär war: Die Kavallerie war aufgelöst worden und die »United States Dressage Federation« (USDF) wurde erst 1973 gegründet.
Als junge Reiterin war ich fasziniert von den Trainingsmethoden des französischen Reitmeisters James Fillis und von seinem Buch »Grundsätze der Dressur und Reitkunst«. Ich studierte die Klassiker und hatte das Glück, bei Hermann Friedlander zu reiten und von ihm die Kunst des Richtens zu lernen. Ich habe mit einigen der besten Dressurreiter der Welt in Ställen und Reithallen rund um den Globus gearbeitet.
Ich hatte die Ehre, Grand-Prix-Pferde zu reiten, und die Freude, die Lektionen der Hohen Schule zu absolvieren. Trotz meiner Erfahrung weiß ich, dass andere diese Lektionen sehr viel besser erklären können. Ich möchte Ihnen eine neue Art des Lernen und des Lehrens aufzeigen und Ihnen so schlussendlich helfen, Wissen aufzunehmen, während Sie Ihren Weg als Dressurreiterin gehen und dieses Wissen immer besser im Training Ihres Pferdes einsetzen können.
Meine Methode lässt sich gleichermaßen auf das Unterrichten von Vorhandwendungen wie von Einerwechseln anwenden. Sie eignet sich für ein Pferd in der Grundausbildung wie für ein Turnierpferd im Grand Prix St. Georges. Sie ist wie eine neue Brille, durch die man die Welt der Dressurwettkämpfe und des Dressurtrainings betrachtet.
Ich hoffe, dass sie eine Welle von glücklichen, zufriedenen, international auf höchstem Niveau startenden Pferden hervorbringen wird. In dieser neuen Welt, so stelle ich mir vor, werden die Resultate im Viereck nur so gut sein wie die Methoden, mit denen man sie erreicht, und wird die Kommunikation mit dem Pferd genauso großzügig belohnt wie Gehorsam gegenüber dem Gebiss.
Vergangene Trends in der Dressur – vor allem im Sport – haben mich sehr verwirrt. Es ist klar, dass ein neuer Weg nötig ist, um Höchstleistungen zu erbringen, ohne das Wohlbefinden des Pferdes oder die Integrität des Sports zu opfern. Dieses Buch ist deshalb das Ergebnis meines Abwägens und Ringens mit dem Zustand vieler Dressurpferde heute, die ich in Ställen, Trainingsanlagen und Reithallen weltweit gesehen habe.
In der Spanischen Hofreitschule
1985 unterrichtete ich ein Seminar für die Bereiter der Spanischen Hofreitschule im Privatstall von Arthur Kottas, dem damaligen Oberbereiter. Wenige Tage zuvor war ein Vollblüter, ein Springpferd zur Dressurausbildung in den Stall gekommen. Der Wallach war angespannt, und Arthur war neugierig, was ich mit dem Pferd machen würde.
Ich demonstrierte TTouches wie den Ohren-TTouch, den Aufgerollte Python-TTouch, um Vertrauen aufzubauen und Entspannung zu erreichen. Danach habe ich das Pferd geritten.
Anmerkung: Alle TTouches sowie die Übungen aus der Bodenarbeit und dem Reiten sind kurz in der Übersicht ab hier beschrieben. Sie sind ausführlicher in meinem Buch »Tellington Training für Pferde, Das große Lehr- und Praxisbuch« erklärt und beschrieben.
Der Wallach trug den Kopf hoch und war verspannt. Um ihn ins Gleichgewicht zu bringen, verwendete ich den Balancezügel und übte die von mir sogenannten »Halben Schritte«. Mit hoher Hand, eine Haltung, die ich von einem System, das sie im »Cadre Noir« in Saumur, Frankreich, verwenden, übernommen habe, forderte ich den Wallach auf, halb so lange Schritte wie normalerweise zu machen.
Nach sechs oder sieben so verkürzten Schritten, senkte ich meine Hände und ließ die Zügel durch meine Finger gleiten. Das Pferd senkte seinen Kopf, machte seinen Hals lang und den Rücken weich. Seine Schritte wurden lang und rhythmisch.
Ein pensionierter Reiter der Spanischen Hofreitschule, der am Seminar teilnahm, kommentierte: »Dieser verkürzte Schritt war früher als der »Dritte Schritt« bekannt.« Er sagte, dass diese Übung »verloren gegangen« sei. (Im Lauf der Zeit habe ich diesen Dritten Schritt in Kombination mit dem Balancezügel wie oben beschrieben bei vielen angespannten Pferden erfolgreich eingesetzt.)
Der damals erst kürzlich pensionierte Leiter der Spanischen Hofreitschule, Brigadier General Kurt Albrecht, nahm an einem meiner Kurse in Österreich teil. Ich traf ihn anschließend zwei Wochen später auf einem Dressurturnier, wo er als Richter fungierte. Er erzählte mir, dass er »beeindruckt« sei, begeistert und jedem von der Tellington-Methode »vorschwärmte«. Ich war hocherfreut!
Zuschauer und Liebhaber des Dressurreitens sind enttäuscht und desillusioniert. Im Zuge einer immer größeren Online-Gemeinschaft gab und gibt es einen konstanten Strom von Gesprächen und Diskussionen. Wir haben es aus vielen Quellen gehört, von Top-Experten und beunruhigten Zuschauern. Wir fangen an zu verstehen, dass LDR (»low, deep and round«), Rollkur (Hyperflexion), »blaue Zungen«, blutiger Schaum und andere »Nebenwirkungen« dieser und anderer Trainingsmethoden unakzeptabel sind, grässlich und manchmal – wenn nicht meistens – grausam. Ich habe viele unglückliche Dressurpferde gesehen, die in Hyperflexion geritten wurden, obwohl einige Tierärzte und Wissenschaftler sagen, dass die Luftwege des Pferdes in dieser Position eingeengt werden (was die »Fédération Equestre Internationale« = FEI zugibt) und dass der Stress, dem ein Fluchttier ausgesetzt ist, wenn es nicht sehen kann (was bei einem Pferd in Hyperflexion der Fall ist) erheblich und schädlich ist.
Zusätzlich sind Fragen offen, ob diese Position zu neurologischen Problemen führen kann, zu Verletzungen, die eine Karriere beenden und zu früher Arthrose. Meiner Erfahrung nach leiden diese Pferde signifikant häufiger an Schmerzen – besonders im Hals, Rücken und den Hinterbeinen bis hinunter zu Sprunggelenk und Hufen –, ganz abgesehen von den psychischen Qualen, die eine weitere (negative) Anspannung im Körper erzeugen und so das Unwohlsein verstärken.
Trotzdem wurde noch nicht genug getan, um eine weitere Verbreitung dieser Techniken zu verhindern. Während die Rollkur (Hyperflexion) inzwischen von der FEI als aggressive Form des Reitens eingestuft wird, die Gewalt anwendet und deshalb eine unakzeptable Trainingsmethode darstellt, wurde sie, was meiner Meinung nach dieselbe abnormale Position darstellt, unter dem Namen »LDR« als akzeptabel eingestuft.
Die Ausbreitung solcher Trainingspraktiken ist nicht unbedingt den durchschnittlichen Dressurreiterinnen anzulasten. Viele von ihnen sind von Trainern und Professionellen abhängig, die viel mehr wissen, um ihnen durch das Labyrinth der Dressurtheorie und der vielen Unterstützungsmöglichkeiten zu helfen.
Es liegt in der Verantwortung derer, die sowohl verstehen, wie Pferde empfinden, als auch, wie man wunderschönes Horsemanship im Gleichgewicht durch innovative Trainingsmethoden und nicht durch Zwang erreicht.
Obwohl ich mich in den siebziger Jahren aus dem wettkampfmäßigen Dressursport zurückgezogen habe, verfeinere ich meine Fähigkeit, mit Pferden auf jedem Niveau zu kommunizieren. Ich habe viel darüber nachgedacht, was heute anders als gestern ist und was morgen anders als heute sein sollte. Die Ergebnisse dieses Forschens werde ich auf den folgenden Seiten mit Ihnen teilen.
Dieses Buch soll als Anschauungsmaterial für einen neuen Weg, mit Brillanz und Balance zu reiten, dienen und eine Trainingsmethode vorstellen, die Ihrem Pferd genauso viel Spaß macht wie Ihnen – der Reiterin oder dem Reiter. Durch den thematischen Gebrauch der Farben und ein Erforschen der Idee des »Mind Mapping« (siehe hier und hier) soll es sowohl Ihre linke als auch Ihre rechte Hirnhälfte ansprechen.
Es soll umsichtige Kritik gegenüber heute akzeptierten Normen anregen, die vielleicht nicht zum Besten der Pferde sind. Es soll denen Hoffnung machen, die wie ich traurig über den Zustand des Sports sind und vielleicht Zweifel hegen, ob er »gerettet« (in Ermangelung eines besseren Ausdrucks) werden kann.
Ich möchte »harte Fakten« – erwiesene Techniken und Methoden, am Boden und im Sattel, die die Gesundheit des Pferdes und seine Leistungsfähigkeit sicherstellen – mit Spiritualität verschmelzen. Spiritualität ist das »Gespür« und der Glaube an etwas Größeres, das zwischen Ihnen und Ihrem Pferd existiert. Sie und Ihr Pferd werden zu begeisternden und begeisterten Wettkämpfern, die sich als Einheit bewegen.
In den folgenden Kapiteln werde ich mehr über die Studien und Theorien berichten, die ich in der Arbeit mit Pferden als besonders wirkungsvoll erfahren habe.
Ich lade Sie ein, diese ebenfalls auszuprobieren. Ich werde auch darüber sprechen, wie Sie eine Atmosphäre kreieren können, in der sich Ihr Pferd wohlfühlt – in seiner Box, im Paddock, in der Reithalle, zu Hause und auf Wettkämpfen. Ich werde Ihnen auch einige Problemlösungen vorstellen, mit denen Sie dafür sorgen können, dass es so gesund wie möglich bleibt, und sich wohlfühlt, wenn Sie zusammen sind und reiten.
Ich werde auch einen Blick auf die Ausbildungsskala des Pferdes werfen und neue Wege vorstellen, wie man ihre Bestandteile interpretieren kann, sodass sie Ihnen und Ihrem Pferd den größtmöglichen Nutzen bringen.
Es gibt viele hervorragende Bücher über das Dressurreiten. In ihnen steht, wie man die Lektionen trainiert, eine Prüfung korrekt reitet, sich kleidet und auf Wettkämpfen präsentiert. Dieses Buch soll anders sein. Es ist eine Abhandlung über das, was der Dressursport zu bieten hat. Was ich in diesem Buch teile, ist die Möglichkeit, all das zu sein, was Sie sein können – in jeder Facette Ihres Lebens, indem Sie das Dressurreiten als einen Weg nutzen, Ihr größtmögliches Potenzial zu visualisieren –, auch für Ihr Pferd.
Wie ist das möglich? Dressurreiten beinhaltet Logik und Gefühl, linke und rechte Gehirnhälfte. Wenn Sie dadurch Ihr Verständnis für Ihr Pferd verbessern können, hilft es Ihnen auch, sich selbst besser zu verstehen. Wenn Sie jedes Mal, wenn Sie auf Ihr Pferd steigen, voller Freude und freudiger Erwartung auf den vor Ihnen liegenden Ritt sind, wird Ihr Pferd glücklicher und gesünder sein – und, ob Sie es glauben oder nicht, das gilt auch für die Welt um Sie herum.
Ich verstehe es, wenn Sie jetzt zögern. Vielleicht hegen Sie Zweifel, wie Ihre individuelle Praxis einer athletischen Tätigkeit einen Einfluss auf Sie und Ihr Pferd haben soll, der über eine bessere physische Kondition hinausgeht.
Während der physiologische Nutzen eines systematischen Trainings wie dem Dressurreiten offensichtlich ist, sind die positiven Entwicklungen, die unter der Oberfläche stattfinden, schwerer zu akzeptieren. Und selbst wenn dem so ist, ist es noch immer schwierig, sich vorzustellen, dass das psychische und emotionale Wohlbefinden von Ihnen und Ihrem Pferd einen Einfluss auf die Allgemeinheit hat.
Aber ob Sie es glauben oder nicht, dieses Buch zu lesen kann und wird verändern, wie Sie mit Ihrer Familie umgehen, Leistung bei der Arbeit erbringen und mit den Herausforderungen des Alltags umgehen. Es kann und wird Ihrem Pferd helfen, ein erfüllteres, geistig neugieriges, soziales Dasein zu leben. Das klingt sehr unterschiedlich im Vergleich dazu, wie wir normalerweise über das Training von Dressurpferden denken. Es liegt in der Natur des Sports, dass Wettkämpfe und das Erreichen immer höherer Levels immer eine Rolle spielen, und es gibt keinen Grund, warum Leistung nicht einen genauen und positiven Spiegel der Arbeit darstellt, die Sie und Ihr Pferd geleistet haben. Ihr Pferd in Wettkämpfen zu zeigen kann edel sein und Spaß machen.
Heute sehen wir in den Dressurvierecken leider viele Individuen, die ganz klar keinen Spaß haben. Wir sehen bemitleidenswerte, verkrampfte Pferde und Reiterinnen, die erschöpft sind von alldem Krampfen und Ziehen, das sie für notwendig halten, um Ihr Pferd zu Leistungen anzuspornen. Ich glaube, dass sie keine Wahl haben – oder noch keine Wahl gehabt haben.
Die Tellington-Methode kann eine Alternative sein. Ich werde eine Reihe von Theorien illustrieren, die die Art und Weise, wie Sie im Dressurviereck trainieren oder reiten, zu kleinen oder großen Teilen verbessern kann. Sie können sich einen einzigen Aspekt meiner Philosophie herauspicken, der Sie anspricht, aber dieses eine Teil kann reichen, Ihre »Dressur-Arbeit« zu einer »Dressur-Entdeckungsreise« zu transformieren.
Dieses eine Teil kann Ihnen neue Möglichkeiten der Kommunikation eröffnen. Es kann alles sein, was Sie brauchen, um eine (oder zwei) Klassen besser zu reiten. Es kann das Ticket sein, mit dessen Hilfe Sie gleichmäßige und wunderbare Ergebnisse erzielen, ohne Gewalt oder Trainingsmittel einzusetzen, um die Noten zu erreichen, von denen Sie träumen.
Die Ecksteine meines Denkens
Fühlen. Dieses eine, kleine Wort besteht nur aus sechs Buchstaben und beinhaltet vermutlich alles, worum es beim Dressurreiten geht. Wir alle haben eine Idee davon, wie vage auch immer, was »Gefühl« für uns als Reiterin bedeuten soll. Im Allgemeinen beinhaltet das Wort »Gefühl« das Empfinden von Berührung – was unsere Nervenenden aufnehmen, absorbieren und worauf sie reagieren, wenn wir eine Hand auf eine warme Oberfläche legen, wenn wir die Wange eines Babys kitzeln, wenn wir den Hals unseres Pferdes streicheln. Das ist die greifbare Seite des Fühlens.
Wir fühlen aber auch etwas, wenn wir jemanden, den wir lieben, nach einer langen Trennung wiedersehen, wenn wir verlieren, wenn wir gewinnen.
Vielleicht denken wir, dass diese beiden Arten des Fühlens unterschiedlich sind, die eine physisch, die andere emotional. In Wirklichkeit sind sie aber beide emotional, weil sie untrennbar miteinander verbunden sind. Die physische Empfindung der Sonne warmer Strahlen auf unserer Haut erzeugt zum Beispiel im Allgemeinen ein Wohl- oder Glücksgefühl. Und eine kühle, harte Oberfläche kann ein ängstliches Gemüt beruhigen.
Unsere inneren Reaktionen auf äußere Empfindungen haben einiges gemeinsam, aber in erster Linie sind sie beeinflusst von vergangenen Erfahrungen und unserer Individualität. Was also für den einen Menschen das eine bedeutet, bedeutet für einen anderen Menschen etwas total anderes.
Ich werde in diesem Buch nicht mit diesen Ideen spielen (wenn es ein Wort gibt, das im Dressursport überanstrengt und übererklärt ist, dann ist es Fühlen). Während ich aber reise und meine Arbeit mache – was inzwischen seit fast 50 Jahren weltweit der Fall ist, habe ich den Eindruck, dass diese Zutat Dressurreitern heute am offensichtlichsten fehlt. Ja, natürlich, technische Einzelheiten sind notwendig, wichtig, sogar wesentlich für ein korrektes und erfolgreiches Streben nach dieser höheren Form des Reitens, aber letztendlich sind Techniken ohne Gefühl nur eine Abfolge von Bewegungen und Gesten, das Pferd ist eine Marionette und die Reiterin eine Puppenspielerin.
Gefühl hängt eng mit einem weiteren Element zusammen, das für eine Dressur, bei der Reiterin und Pferd sich in Einheit, als ein Wesen, harmonisch in Körper, Geist und Seele bewegen, wesentlich ist. Ich nenne es die Kunst des Herzens.
Ich bin eine eifrige Leserin. Mein enger Reiseplan gibt mir Zeit, Neues zu lesen, während ich im Flugzeug sitze oder auf den Abflug warte. Ich habe außerdem das Glück, zu den Menschen zu gehören, die wenig Schlaf brauchen. In den frühen Morgenstunden zwischen 3:30 und 5:30 Uhr finde ich Inspiration beim Lesen auf meinem iPad.
Wer meine Homepage besucht hat oder meinen Newsletter bekommt, kennt meine Liste der Bücher, die ich empfehle, die ständig wächst und sich verändert. (Eine Liste, die ich speziell für Leser dieses Buches angepasst habe, finden Sie hier.)
Ein Buch, das ich liebe, wurde 2005 veröffentlicht und heißt »The HeART of Nursing«. Zusammengetragen wurde es von meiner guten Freundin und Koautorin meines Buches »TTouch for Healthcare«, Dr. M. Cecilia Wendler. Cecilia ist Krankenschwester und Ausbilderin mit einer Spezialisierung in Intensivmedizin. Ihre Hingabe gilt der, wie sie es nennt »Wieder-Humanisierung« der Krankenpflege und des Gesundheitswesens ganz allgemein. In »The HeART of Nursing« zelebriert Cecilia Jahrhunderte der »Pflegekunst« mit einer modernen Sammlung von Kunstwerken (Gedichte, Geschichten, Gemälde), die Pflegefachleute während einer Versammlung der »Honor Society of Nursing« gefertigt haben. Ihr Ziel war es, in diesem Zeitalter der Technologie zu demonstrieren, dass das Gesundheitswesen von einer Auseinandersetzung mit sich selbst vor einem ganzheitlichen und humanistischen Ansatz profitieren kann. »Nursing art« ist eine ästhetische Darstellung der Beziehung, die der Pfleger oder die Pflegerin mit sich selbst eingeht, und der Beziehung, die er oder sie mit dem Patienten und dessen Familie hat. Cecilia verwendet den Begriff »heART« (Anmerkung des Übersetzers: Dabei handelt es sich um ein Wortspiel aus den Begriffen heart = Herz und art = Kunst) als ein Motto, das ich Ihnen hier vorstellen möchte.
Im Dressurkontext halte ich es für wesentlich. Ich finde es interessant, dass von dieser Reitdisziplin oft als »Kunst des Dressurreitens« gesprochen wird, obwohl sie, wie bereits erwähnt, von einer rechtshirnigen, kreativen mehr und mehr zu einer linkshirnigen und logischen (siehe hierzu meine Ausführungen zur linken und rechten Hirnhälfte hier) Aktivität geworden ist. Dies hat meiner Meinung nach dem Sport seine Seele geraubt.
Ohne die Idee vom Dressurreiten als »Kunst« und ohne die Charakteristika, die es uns ermöglichen, diese Kunst zu schaffen (Imagination, Vision, Empathie, Botschaft, Gefühl, Denken und, ja, das Herz), bleiben wir mit einer bedeutungslosen Demonstration ohne persönliche oder soziale Relevanz zurück. Ich werde den Begriff »heART« in diesem Buch verwenden, um all das zusammenzubringen, was meiner Meinung nach wieder einen Platz im Sport finden muss. Es soll Sie daran erinnern, dass die Kunst des Dressurreitens eine ästhetische Repräsentation Ihrer Beziehung zu Ihnen selbst – als Freund, Elternteil, Mitarbeiter, Berufstätiger – und zu Ihrem Pferd darstellt.
Ich möchte, dass dieser Begriff Ihnen jedes Mal, wenn Sie ihn lesen, ein warmes, vibrierendes Gefühl vermittelt. Mein Wunsch ist es, Sie immer mehr für die Erfahrung, »eins« mit Ihrem Pferd zu sein, zu öffnen. (Ich führe diese Idee in den Kapiteln 5 und 6 ab hier weiter aus, wenn ich die Konzepte der Absicht und Herzkohärenz mit ihren sehr realen, wissenschaftlich nachgewiesenen Effekten und ihrem Einfluss auf Ihr Reiten beschreibe.)
Ich wünsche mir, dass Sie sich beim Lesen der folgenden Kapitel durch das Konzept von »heART« immer belebter fühlen und vielleicht zu seiner Verbreitung beitragen möchten.
Wenn Sie »heART« zu einem Bestandteil Ihres Reitens und von allem, was Sie mit Ihrem Pferd tun, machen, wird es mit Enthusiasmus, Bereitwilligkeit und – ein Begriff, den ich in diesem Buch häufiger verwenden werde – »Funkeln« reagieren.
Wunder sind überall, große und kleine. Jeder entscheidet persönlich, ob ein Geschehnis für ihn als Wunder gilt. Mein Leben ist voller Wunder – vom kleinen unerwarteten zu den außergewöhnlichen. Viele davon hatten mit Tieren zu tun, in Gärten, auf Weiden, in Seen, in Savannen, Steppen und auf Bergen, in der Wildnis und zu Hause. Sie haben mein Leben bereichert.
Während die außergewöhnlichen Wunder leicht zu erkennen sind, ist es wichtig, dass Sie die eher alltäglichen nicht als selbstverständlich erachten. Häufig kann ein höchst unscheinbarer Moment entweder einen Wechsel der Gezeiten ankündigen (ein kleiner Schritt, der zusammen mit vielen anderen kleinen Schritten Evolution bedeutet) oder er ist ein so wesentlicher Bestandteil des Fortschritts, dass Ihr Pferd von diesem Augenblick an vollkommen anders lernt und auftritt.
Ein Pferd zu reiten ist wie eine Abfolge von vielen kleinen Wundern. Es ist ein Wunder, dass dieses mächtige Tier Sie auf seinem Rücken duldet. Es ist ein Wunder, dass es (meistens) Ihren Anweisungen folgt, Ihre Freundschaft gewonnen hat, Ihr Lob und Ihre Loyalität – und das in einer intensiven Form der Gegenseitigkeit, die es selten zwischen Mensch und Tier gibt.
Aber damit noch nicht genug der Wunder – jedes Mal, wenn Sie eine ganz bestimmte Bewegung verlangen, sich auf eine ganz subtile Hilfe konzentrieren, mit Ihrer Wade über seine Seite streichen und eine sanfte, kontrollierte Reaktion bekommen, ist das ein kleines Wunder, für das Sie dankbar sein sollten. Denken Sie daran, sich zu bedanken. Dieser Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen, sollte etwas sein, woran Sie jeden Tag arbeiten. Daran erinnere ich mich jeden Morgen beim Aufwachen und jede Nacht, bevor ich meine Reise ins Reich der Träume antrete.
Das Wunder von Avignon
Im Januar 2010 habe ich meine lieben Freunde Frédéric Pignon und Magali Delgado (die weltberühmten Stars der Pferdeshow »Cavalia«) in Südfrankreich besucht. Ihr 13 Jahre alter Hund Bulle, der fast blind und taub war, war weggelaufen und blieb tagelang verschwunden. Frédéric und Magali waren am Boden zerstört und sicher, dass ihrem geliebten Freund etwas Schreckliches zugestoßen sein musste.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Ideen von Gregg Braden in seinem kleinen Buch »Verlorene Geheimnisse des Betens: Die verborgene Kraft von Schönheit, Segen, Weisheit und Schmerz« (Echnaton-Verlag, 2009) am ehesten meinen eigenen Ideen entsprechen, das Herz zu öffnen und von tief innen mit Liebe und positiver Energie nach außen zu reichen, um meinen Weg durch schwierige oder emotional herausfordernde Zeiten zu finden. Anstatt uns vorzustellen, wie Bulle gestresst, einsam, traumatisiert und voller Angst ist (was so einfach gewesen wäre), »hielten« wir alle das Bild von Bulles sicherer Rückkehr und die Freude und Dankbarkeit, die wir wieder fühlen würden, wenn wir ihre Wärme wieder spüren und über ihren Kopf streicheln würden.
Nur wenige Stunden, nachdem wir begonnen hatten, die Gefühle in unserem Herzen zu verändern, bekamen Frédéric und Magali einen Anruf. Orientierungslos und schwach war Bulle mehrere Kilometer von zu Hause gefunden und in einer Tierarztpraxis abgegeben worden. Durch einen glücklichen Zufall kannte der diensthabende Tierarzt Frédéric und Magali und erkannte ihren Hund. Wir sprechen von Bulles wunderbarer Rückkehr als dem »Wunder von Avignon«. (Mehr von Frédéric und Magali hier).
Ob Wunder gottgegeben sind, darüber lässt sich vielleicht diskutieren, aber das soll nicht Inhalt dieses Buches sein. Stattdessen möchte ich lieber anerkennen, dass es Dinge in unserem Leben gibt, die überraschend, inspirierend und in jeder Hinsicht »gut« sind. In diesen Fällen habe ich entschieden, von Wundern zu sprechen. Mit dieser Haltung als Teil Ihres täglichen Seins können Sie eine einzigartige Beziehung zu Ihrem Pferd erreichen.
Nur weil Sie Ihr Pferd gern haben, weil Sie nett zu ihm sind und bewusst mit »heART« (hier) reiten, heißt das nicht, dass Sie keine sicheren und fairen Grenzen setzen dürfen. Das ist meiner Meinung nach der Schlüssel zu jedem Pferdetraining. Oft habe ich Reiterinnen in meinen Kursen, die mit ihrem Pferd auf eine meiner Meinung nach unpassende und nicht effektive Art und Weise reden: »Ginger, mache bitte, was Mutti will« oder »Blitz, schubs Mutti nicht so herum«. Pferde sind keine Kinder. Sie schlafen nicht bei Ihnen im Bett und legen ihren Kopf nicht in Ihren Schoß.
Wenn Sie wirklich einmal darüber nachdenken, wollen Sie, dass Ihr Pferd wie ein Kind handelt? Nein, Sie wollen, dass es wie ein intelligentes, unabhängiges Wesen handelt, das in der Lage ist, in bestimmten Situationen auf Sie zu achten, nicht nur umgekehrt. Es muss lernen, in geregelten Bahnen für sich selbst zu denken. Oft machen Reiterinnen den Fehler, dass sie, weil sie nett sein wollen, ihr Pferd alles machen lassen, was es will, oder das Pferd total abhängig von sich machen. Ich glaube, dass das eine Falle ist. Ich kann nicht sagen, wie viele Dressurpferde ich geritten habe, die, wenn ich den Kontakt mit ihrem Maul gelockert habe, total verwirrt und nicht mehr in der Lage waren zu funktionieren. Sie blieben buchstäblich stehen oder schwankten in alle Richtungen.
Von meinem ersten Mann Wentworth Tellington habe ich den alten Kavallerie-Test gelernt, dass ein Pferd, nachdem es losgegangen ist, in der Lage sein sollte, ohne Unterstützung oder Hilfe des Reiters geradeaus weiterzugehen, bis es aufgefordert wird zu wenden oder anzuhalten. Ich glaube, dass heute 80 Prozent der Dressurpferde das nicht können. Meiner Meinung nach sollte es für jedes Pferd zum Grundlagentraining gehören, vor allem aber für Dressurpferde.
Im letzten Kurs, den Dressur-Olympiasieger Dr. Reiner Klimke vor seinem Tod in den USA unterrichtete, verlangte er, dass die Reiter im Trab am losen Zügel in die Halle einreiten. Diese Übung stellte für die meisten Reiter eine Herausforderung dar, für einige war sie ein Ding der Unmöglichkeit. Der Balancezügel und das Bewusstheitsband waren in diesen Fällen eine Hilfe (mehr über diesen Kurs, bei dem ich eng mit Dr. Klimke zusammenarbeitete, siehe hier).
Wir haben Dressurpferde so abhängig von uns gemacht – von unserem Kontakt und unseren Hilfen –, dass sie nicht in der Lage sind, für sich zu denken oder sich unabhängig von der Unterstützung und den Hilfen des Reiters zu bewegen. Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass Ihr Streben nach Dressur im Herzen von gegenseitigem Respekt geprägt ist: nicht nur, dass das Pferd Sie respektiert, sondern auch, dass Sie Ihr Pferd respektieren. Sich selber »Mutti« oder »Vati« zu nennen, ist respektlos. Außerdem zeugt eine solche Haltung von Realitätsverlust. Es ist einfach nicht sicher, ein 600 kg schweres Pferd unangemessen zu behandeln.
Ich möchte hier betonen, dass es kein »Entweder, oder« sein muss, also kalt und energisch oder freundlich und weich. Es gibt viele Möglichkeiten, deutliche und faire Grenzen zu setzen. Ab hier werde ich Ihnen zeigen, wie Sie sich durch die Tellington-Methode unterstützen können, mit Ihrem Pferd gerecht, sicher und immer respektvoll zu sein.
Abhängig von Ihrer Prägung werden Sie wahrscheinlich Beweisen wissenschaftlicher oder Erkenntnissen spiritueller Natur mehr Glauben schenken. Mit anderen Worten, manche von uns sind entweder Evolutionisten oder Kreationisten, während andere offen für beide Seiten sind.
Reiner Klimke und der Aufbau von Vertrauen
Im Februar 1999, nur wenige Monate vor seinem Tod, hatte ich die Ehre, mit dem siebenmaligen Olympia-Gewinner Dr. Reiner Klimke im Ring zu stehen, als er während eines viertägigen Symposiums im »Los Angeles Equestrian Center« (LAEC) in Kalifornien Pferde und Reiter unterrichtete. Wir arbeiteten mit zwölf Pferd-Reiter-Paaren vom Einsteiger bis zum Grand-Prix-Pferd und sprachen jeden Tag zu ungefähr 2000 Zuschauern.
Es war ein besonderes Vergnügen, mit Dr. Klimke zu arbeiten. Seine Art zu reiten und zu trainieren machte die Pferde glücklich und der positive Effekt meiner Arbeit mit den TTouches, der Bodenarbeit und den Reitübungen wurde durch seine Erklärungen zur Ausbildung von Pferd und Reiter vervielfacht.
Unser Fokus während der vier Tage lag gleichsam darauf, Vertrauen zwischen Pferd und Reiter zu entwickeln und zu stärken sowie Rhythmus und Entspannung durch großzügige Aufwärm- und Abkühl-Phasen zu fördern.
»Seien Sie nett zu Ihrem Pferd«, erklärte Dr. Klimke den Teilnehmern, »dann haben Sie das Recht, es zur Arbeit aufzufordern.« Er erinnerte die Reiter ständig daran, mit den Zügeln nachzugeben, das Pferd freundlich am Hals zu berühren und es einzuladen, sich zu dehnen, seinen Körper zu spüren und einen Moment lang »Pferd zu sein« zwischen zwei Übungen.
Wir wussten beide, dass man von einem Dressurpferd nicht verlangen kann, in einer Atmosphäre, die von Angst geprägt ist, Leistung zu erbringen. Deswegen haben sich unsere Methoden so hervorragend ergänzt. Egal ob ich einen bestimmten TTouch ausführte oder Dr. Klimke eine bestimmte Aufgabe forderte, wenn es für das Pferd schwierig oder unangenehm wurde, hat er innegehalten, dem Pferd einen Augenblick Zeit gegeben und es noch mal versucht. So wurde allmählich Vertrauen aufgebaut.
Es war ein großartiges Privileg, mit Dr. Klimke auf diese Art zusammenzuarbeiten. Ich glaube, dass viele Partnerschaften zwischen Pferd und Reiter nach diesem Symposium verlässlicher, glücklicher und leistungsfähiger waren.
In Wirklichkeit geht es in der Wissenschaft und in der Spiritualität um mehr als Forschung mit Reagenzgläsern oder Bibelstudium, es geht um das Suchen und die Suche nach Bedeutung. Es geht um die linke und die rechte Gehirnhälfte. Mein Gefühl ist – wie Sie auf den folgenden Seiten sehen werden, dass beide Seiten sich auf das Horsemanship beziehen lassen, und zwar in jeder Form, sprich Disziplin.
Der Wissenschaft verdanken wir unser Verständnis der Biomechanik von Pferd und Reiter sowie das Wissen darum, wie wir den Tieren und uns beibringen können, in bestimmten Situationen eine bestimmte Art von Leistung zu erbringen.