Christian Jacq
Ramses.
Band 3: Die Schlacht von Kadesch
Aus dem Französischen von Annette Lallemand
Rowohlt Digitalbuch
Christian Jacq, geboren 1947 in Paris, promovierte in Ägyptologie an der Sorbonne. Er veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze und wurde von der Académie française ausgezeichnet. Im Zuge seiner Forschungen gründete er das Institut Ramsès, das sich insbesondere der Erhaltung gefährdeter Baudenkmäler der Antike widmet. Neben Beiträgen zur Fachliteratur schrieb er mehrere erfolgreiche Romane. Mit «Ramses» gelang ihm auf Anhieb der Sprung auf die Bestsellerliste.
Nach seiner glanzvollen Thronbesteigung hatte Ramses von einer friedvollen Regierungszeit geträumt. Er wollte Ägypten zu einem reichen, glücklichen Land machen. Doch der junge Pharao muss sich nicht nur seiner intriganten Feinde im Inneren erwehren, er muss auch der Bedrohung durch die Hethiter mutig entgegentreten. Mit zwanzigtausend Fußsoldaten und einer Eliteeinheit von Streitwagenlenkern zieht er gen Osten. Vor der Stadt Kadesch am Orontes lockt der Hethiterkönig Muwatalli die Ägypter in einen Hinterhalt.
Die Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel «Ramsès. La Bataille de Kadesh» bei Éditions Robert Laffont, S.A., Paris.
Redaktion Heiner Höfener
Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, April 2013
Copyright © 1998 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
«Ramsès. La Bataille de Kadesh» Copyright © 1996 by Éditions Robert Laffont, S.A., Paris
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages
Umschlaggestaltung C. Günther/W. Hellmann
Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.
ISBN Buchausgabe 978-3-499-22473-7 (11. Auflage 2012)
ISBN Digitalbuch 978-3-644-21001-1
www.rowohlt-digitalbuch.de
ISBN 978-3-644-21001-1
In gestrecktem Galopp ritt Danio den glühend heißen Weg zur Stadt des Löwen, einem Marktflecken, den der berühmte Pharao Sethos im südlichen Syrien gegründet hatte. Danio, dessen Vater Ägypter war und dessen Mutter aus Syrien stammte, hatte sich für den ehrenwerten Beruf eines Sendboten entschieden und sich als Überbringer besonders eiliger Nachrichten ausgezeichnet. Wie es seinem Amt gebührte, erhielt er Pferd, Nahrung und Kleidung vom ägyptischen Staat, bewohnte ein Haus in Sile, der nordöstlichen Grenzstadt, und bekam freie Unterkunft in allen Botenstationen. Ein schönes Leben! All diese Reisen, all diese syrischen Mädchen, die so freizügig waren, allerdings manchmal nur allzu gern einen Beamten geheiratet hätten, der sich aber schleunigst aus dem Staub machte, wenn es brenzlig wurde.
Es lag in Danios Wesen – das hatte ja schon der Dorfastrologe den Eltern gesagt –, dass er es nicht ertrug, wenn ihn etwas beengte, und das galt eben auch für die Umarmung der jeweiligen Geliebten, mochte sie noch so gewitzt sein. Nichts konnte ihn mehr beglücken, als die Weiten zu durchmessen und dahinzustürmen auf staubigen Wegen.
Gewissenhaft und zielgerichtet übte er seinen Beruf aus, und das schätzten seine Vorgesetzten. Noch nie war ein ihm anvertrautes Schreiben verlorengegangen, und wie oft hatte er schon seine freie Zeit geopfert, um einen Absender, der es eilig hatte, zufriedenzustellen. Die Sendschreiben so schnell wie möglich zu überbringen war ihm eine heilige Pflicht.
Als nach Sethos’ Tod Ramses an die Macht kam, hatte Danio – wie so viele Ägypter – befürchtet, der junge Pharao sei kriegslüstern und würde sein Heer sofort in Bewegung setzen, um die Ostländer zu erobern und wieder ein riesiges Reich zu schaffen, mit Ägypten als Mittelpunkt. In den ersten vier Jahren seiner Regierung hatte der ungestüme Ramses den Tempel in Luxor ausgebaut, die gewaltige Säulenhalle in Karnak vollendet, mit dem Bau seines Tempels für die Ewigkeit auf dem Westufer Thebens begonnen und im Delta die neue Hauptstadt Pi-Ramses errichtet. Doch von der Außenpolitik seines Vaters, die darin bestanden hatte, die Hethiter, diese gefährlichen Krieger aus den Bergen, aufgrund einer Übereinkunft nicht anzugreifen, war er nicht abgewichen; und auch diese schienen auf einen Angriff gegen Ägypten verzichtet zu haben und das südliche Syrien dem Schutz Ägyptens zu überlassen.
Die Zukunft hätte rosig aussehen können, doch in letzter Zeit herrschte ein ungewöhnlich reger Schriftverkehr zwischen den Militärbefehlshabern von Pi-Ramses und den Festungskommandanten entlang dem Horusweg.
Seine Vorgesetzten und auch Offiziere hatte Danio schon befragt. Keiner hatte eine Erklärung, aber man munkelte, im nördlichen Syrien und sogar in der Provinz Amurru, die ägyptischem Einfluss unterstand, sei es zu Unruhen gekommen.
Allem Anschein nach enthielten die Sendschreiben, die Danio zu überbringen hatte, die Aufforderung an die Festungskommandanten entlang dem Horusweg, der nordöstlichen Befestigungslinie, schleunigst Vorkehrungen zu treffen, um eine Bedrohung abzuwenden.
Dank Sethos und seinem unermüdlichen Einsatz bildeten Kanaan, Amurru und das südliche Syrien eine breite Pufferzone, die Ägypten vor einem plötzlichen Überfall schützte. Gewiss, die Fürsten dieser aufrührerischen Regionen mussten ständig überwacht und auch immer wieder von neuem zur Vernunft gebracht werden, aber das nubische Gold hatte bisher noch jeden mundtot gemacht, den es gelüstet hätte, Verrat zu üben, und daran war man gewöhnt wie an den Wechsel der Jahreszeiten. Die Anwesenheit ägyptischer Krieger und die Truppenaufmärsche bei großen Festen waren ebenfalls wirkungsvoll zur Aufrechterhaltung des stets gefährdeten Friedens.
Es war in der Vergangenheit auch schon mehrmals vorgekommen, dass die Festungen entlang dem Horusweg ihre Tore schlossen und jedem Fremdling das Überschreiten der Grenze verwehrten. Die Hethiter hatten sich jedoch bislang zurückgehalten, und so war die Furcht vor erbitterten Kämpfen allmählich geschwunden.
Daher blieb Danio auch diesmal zuversichtlich: Die Hethiter kannten den Kampfgeist des ägyptischen Heeres, und die Ägypter fürchteten die gewalttätigen und grausamen Krieger aus den Bergen des Nordens. Beide Länder riskierten bei einem direkten Zusammenstoß einen hohen Blutzoll, daher lag es in beider Interesse, die jeweilige Stellung zu halten und sich auf Säbelrasseln zu beschränken.
Ramses mit seinen großen Bauvorhaben beabsichtigte gewiss keine kriegerische Auseinandersetzung.
In gestrecktem Galopp ritt Danio an der Stele vorbei, die Grenzstein war für den zur Stadt des Löwen gehörenden Landbesitz. Ruckartig hielt er sein Pferd an und ritt zurück: Eine Veränderung war ihm aufgefallen.
Vor der Stele angekommen, sprang er aus dem Sattel.
Empört stellte er fest, dass der Umfassungsring beschädigt und mehrere Schriftzeichen zerstört waren. Die unleserlich gewordene Inschrift bot dem Ort nun keinen Schutz mehr! Wer diesen Frevel begangen hatte, würde schwer bestraft werden: Die Beschädigung eines lebenden Steines war ein Verbrechen, das nur mit der Todesstrafe geahndet werden konnte.
Ohne Zweifel war er der erste Augenzeuge dieser Schandtat, die er dem Militärbefehlshaber der Stadt auch unverzüglich melden würde. Sobald der von diesem Frevel erführe, würde er einen entsprechenden Bericht für den Pharao verfassen.
Die Stadtmauer bestand ringsum aus Ziegelsteinen, und zu beiden Seiten des Eingangstors wachten zwei liegende Sphingen. Verdutzt hielt der Bote inne: Die Umfassungsmauern waren zum größten Teil zerstört und die beiden Sphingen zertrümmert.
Die Stadt des Löwen war angegriffen worden.
Im Ort war kein Geräusch zu hören. Für gewöhnlich herrschte hier reges Leben: Fußtruppen exerzierten, Reiter wurden ausgebildet, und beim Brunnen auf dem Hauptplatz traf man sich zum Gespräch, unterbrochen von Kinder- und Eselsgeschrei … Die ungewohnte Stille schnürte dem Boten die Kehle zu. Um das Brennen des Speichels loszuwerden, nahm er einen kräftigen Schluck aus dem Wasserschlauch.
Die Neugier besiegte die Angst. Er hätte umkehren und die nächste Garnison verständigen müssen, aber er wollte der Sache auf den Grund gehen. Danio kannte fast alle Bewohner der Stadt des Löwen, vom Statthalter bis zum Schankwirt, und war mit einigen sogar befreundet.
Das Pferd wieherte und stieg, ließ sich durch ein Tätscheln am Hals aber beruhigen, doch zum Weitergehen war es nicht zu bewegen.
Also musste Danio zu Fuß in die gespenstisch stille Stadt gehen.
Geplünderte Getreidespeicher, zerschlagene Krüge. Von den Nahrungs- und Getränkevorräten war nichts mehr übrig.
Die kleinen zweistöckigen Häuser waren nur mehr Ruinen: Kein einziges hatte der zerstörungswütige Angreifer verschont, nicht einmal das des Statthalters.
Nicht eine Mauer des kleinen Tempels stand noch. Das Standbild der Gottheit war enthauptet und zertrümmert worden.
Überall diese lastende, beklemmende Stille.
Im Brunnenschacht lagen verendete Esel. Auf dem Hauptplatz glommen noch Reste eines Feuers, in dem Mobiliar und Papyrus verbrannt worden waren.
Dieser Gestank!
Ein fauliger, beißender, ekelerregender Geruch stieg ihm in die Nase und trieb ihn ans nördliche Ende der Stadt, wo eine breite Vorhalle dem Schlachthaus als Sonnenschutz diente. Dort wurden die Ochsen zerlegt, in einem großen Kessel die Fleischbrocken gekocht und am Drehspieß das Geflügel gebraten. An diesem lärmenden Platz aß der Bote gern zu Mittag, nachdem er die Sendschreiben überbracht hatte.
Als er sie sah, verschlug es Danio den Atem.
Alle waren sie dort: Soldaten, Händler, Handwerker, Greise, Frauen, Kinder, Säuglinge. Allen war die Kehle durchgeschnitten worden. Den Statthalter hatte man gepfählt, die drei Wachoffiziere am Balken unter dem Dach des Schlachthauses aufgehängt.
Eine hölzerne Säule trug eine Inschrift in hethitischen Schriftzeichen: «Sieg der Armee des mächtigen Herrschers von Hatti, Muwatalli. So werden alle seine Feinde enden.»
Die Hethiter – erbarmungslos grausam, wie es ihre Art war – hatten diesen Ort überfallen und keinen ihrer Gegner verschont. Doch diesmal waren sie über ihr Einflussgebiet hinausgestürmt, um unweit der nordöstlichen Grenze Ägyptens zuzuschlagen.
Panische Angst befiel den Boten. Was, wenn der hethitische Sturmtrupp noch in der Nähe wäre?
Danio wich zurück, er vermochte den Blick nicht zu lösen von dem Grauen, das sich ihm hier bot. Wie konnte man nur so grausam sein, Menschen abzuschlachten und unbegraben liegen zu lassen?
Der Kopf glühte ihm, als er auf das Sphingentor zuging.
Sein Pferd war verschwunden.
Beklommen suchte er den Horizont ab, voller Furcht hielt er Ausschau nach hethitischen Soldaten. Dort hinten, am Fuße des Hügels … eine Staubwolke!
Wagen … Wagen rollten auf ihn zu!
Wahnsinnig vor Entsetzen rannte Danio los; er konnte kaum noch atmen.
Pi-Ramses, die von Ramses erbaute neue ägyptische Hauptstadt, beherbergte bereits mehr als hunderttausend Einwohner. Da zwei Arme des Nils, die Wasser von Re und Auaris, sie umfingen, war das Klima dort sogar im Sommer angenehm. Zahlreiche Kanäle durchzogen die Stadt, ein See lud zu vergnüglichen Bootsfahrten ein, und die fischreichen Weiher boten Anglern schöne Beute.
Die Stadt, die sich aus dem Umland mit Nahrungsmitteln aller Art versorgen konnte und im Überfluss lebte, erhielt bald schon den Beinamen «Die Türkisfarbene», da sämtliche Häuserfassaden mit leuchtend blaugrünen Kacheln geschmückt waren.
Eine merkwürdige Stadt, wenn man’s recht besah: Friedlich und gelassen lebte es sich hier, und dabei war sie doch auch eine Kriegsfestung mit ihren vier großen Kasernen und der Waffenschmiede gleich neben dem Palast. Seit einigen Monaten arbeiteten die Handwerker hier Tag und Nacht, bauten Streitwagen, fertigten Rüstungen und Schutzschilde, schmiedeten Schwerter, Lanzen und Pfeilspitzen. Den Mittelpunkt bildete eine großangelegte Gießerei mit einer eigenen Werkstatt für Bronzeguss.
Ein robuster und dennoch leichter Streitwagen rollte soeben dort aus dem Tor. Als er die obere Rampe erreicht hatte, die zum großen verschlossenen Hof führte, tippte der Vorarbeiter dem Stellmacher, der gerade eine letzte Überprüfung vornahm, auf die Schulter und sagte:
«Dort unten, unten an der Rampe … Das ist er!»
«Wer?»
Der Handwerker richtete den Blick auf die Rampe.
Tatsächlich, da stand er, der Pharao, der Herrscher über Ober- und Unterägypten, Ramses, der Sohn des Lichts.
Seit vier Jahren regierte er nun schon, dieser Sechsundzwanzigjährige, der Sethos nachgefolgt war, und erfreute sich der Liebe und Bewunderung seines Volkes. Ein im Kampf erprobter, hochgewachsener Körper, ein schmales Gesicht, gekrönt von goldblonder Haarpracht, eine breite, freie Stirn, auffällig buschige Augenbrauen, eine lange, schmale, leicht gebogene Nase, ein leuchtender und tiefer Blick, runde, wohlgeformte Ohren, üppige Lippen, ein ausgeprägtes Kinn und zu alledem noch eine Kraft, die nicht wenige als übermenschlich betrachteten.
Harten Prüfungen hatte der Vater ihn unterzogen, damit er lernte, mit der Macht umzugehen, und allmählich Einblick gewann in das Amt des Königs. Und da Ramses auch noch die strahlende Autorität seines bewunderten Vaters Sethos geerbt hatte, flößte er auch im Alltagsgewand allein durch seine Gegenwart Respekt ein.
Der König schritt die Rampe hinauf und prüfte den Streitwagen. Vorarbeiter und Stellmacher standen wie versteinert und erwarteten sein Urteil. Dass der Pharao höchstpersönlich unangemeldet hierherkam, bewies doch, wie wichtig ihm die Tauglichkeit der hier gefertigten Kriegsgeräte war.
Ramses beschränkte sich nicht auf eine oberflächliche Prüfung. Er nahm jedes Holzteil in Augenschein, betastete die Deichseln und überprüfte die Räder auf ihre Haltbarkeit.
«Eine schöne Arbeit», befand er dann, «aber wie widerstandsfähig dieser Wagen ist, muss auf freiem Feld erprobt werden.»
«Das war auch vorgesehen, Majestät», betonte der Vorarbeiter. «Sollte etwas nicht in Ordnung sein, benennt der Wagenlenker uns das schadhafte Teil, das wir dann unverzüglich ausbessern.»
«Kommt so etwas häufig vor?»
«Nein, Majestät, aber die Werkstatt kann dann sogleich die Irrtümer beheben und das Material verbessern.»
«Werde nur nicht nachlässig!»
«Majestät … darf ich mir eine Frage erlauben?»
«Ich höre.»
«Wird es … bald Krieg geben?»
«Hast du etwa Angst?»
«Wir stellen Waffen her, fürchten aber den Kampf. Wie viele Ägypter würden dabei sterben, wie viele Frauen zu Witwen werden, wie viele Kinder ihrer Väter beraubt? Mögen die Götter uns so etwas ersparen!»
«Mögen sie dir Gehör schenken! Aber was sollten wir tun, wenn Ägypten bedroht wird?»
Der Vorarbeiter senkte den Kopf.
«Ägypten ist unsere Mutter, unsere Vergangenheit und unsere Zukunft», gemahnte Ramses. «Es gibt mit freien Händen, beschenkt uns jeden Augenblick … Sollen wir das mit Undankbarkeit, Eigensucht und Feigheit vergelten?»
«Wir wollen nur leben, Majestät!»
«Wenn es nötig ist, wird der Pharao sein Leben hingeben, damit Ägypten weiterlebt. Lass dich nicht beirren, Vorarbeiter.»
Wie sie strahlte, seine Hauptstadt! Pi-Ramses war ein verwirklichter Traum, dem die Zeit Tag um Tag Dauer verlieh. Das ehemalige Auaris, die verfemte Stadt der Eindringlinge aus dem Osten, war in eine betörende und anmutige Stadt umgestaltet worden, wo Akazien und Sykomoren Arm und Reich Schatten spendeten.
Der König liebte die Spaziergänge auf dem Land mit den üppigen Weideflächen, den blumengesäumten Pfaden und all den Kanälen, die zum Baden einluden; mit Wonne kostete er einen Apfel, der nach Honig schmeckte, eine süße Zwiebel, vergnügt lief er durch den Olivenhain, der so viel Öl spendete, wie Sand am Ufer lag, er genoss den Duft aus den Gärten und beendete seinen Spaziergang am Binnenhafen, wo das Treiben immer reger wurde und all die Lagerhäuser standen, in denen sich die Reichtümer der Stadt – Edelmetalle, seltene Hölzer, Getreidevorräte – stapelten.
Doch in den letzten Wochen sah man Ramses weder auf dem Land noch in den Straßen seiner türkisfarbenen Stadt, denn er verbrachte seine Zeit fast ausschließlich in den Kasernen, in Begleitung höherer Offiziere und Soldaten der Wagen- und Fußstreitkräfte, die sich mit ihrer Unterbringung in neuen Gebäuden sehr zufrieden zeigten.
Die Soldaten, zu denen auch viele Söldner gehörten, freuten sich über ihren Sold und die gute Ernährung. Doch viele klagten über den erbarmungslosen Drill und bedauerten jetzt, sich vor Jahren, als der Friede verbürgt zu sein schien, verpflichtet zu haben. Der Gedanke, den Exerzierplatz – und mochte es dort noch so rau zugehen – mit dem Schlachtfeld zu vertauschen, um gegen die Hethiter anzutreten, begeisterte keinen von ihnen, nicht einmal die erprobtesten Kämpfer. Sie alle fürchteten die Grausamkeit dieser Krieger, die noch nie eine Niederlage erlitten hatten.
Ramses hatte gespürt, dass die Angst sich in die Köpfe einschlich. Um gegen dieses Übel anzukämpfen, besuchte er reihum jede Kaserne und nahm auch an Übungen jeder Waffengattung teil. Der König musste Gelassenheit zur Schau tragen und das Vertrauen seiner Soldaten gewinnen und stärken, auch wenn er selbst innerlich aufgewühlt war.
Wie konnte er glücklich sein in dieser Stadt, aus der Moses, sein Freund aus frühen Kindertagen, geflohen war, nachdem hebräische Ziegelmacher unter seiner Leitung hier Paläste, Prunkhäuser und Wohnstätten errichtet hatten? Gewiss, man hatte Moses beschuldigt, einen Ägypter ermordet zu haben, Sary, den Schwager des Königs. Aber das bezweifelte Ramses nach wie vor, denn Sary, sein ehemaliger Erzieher, hatte eine Verschwörung gegen ihn angezettelt und sich schändlich verhalten gegenüber den ihm unterstellten Arbeitern. War Moses so vielleicht in einen Hinterhalt geraten?
Wenn seine Gedanken nicht bei dem verschwundenen und immer noch unauffindbaren Freund waren, verbrachte der König Stunden um Stunden mit seinem älteren Bruder Chenar, der die Außenpolitik leitete, und seinem Freund Acha, dem er die Geheimdienste unterstellt hatte. Chenar hatte zwar alles versucht, um seinem jüngeren Bruder das Amt des Pharaos streitig zu machen, doch schien er aus seinem Misserfolg gelernt zu haben, denn seine jetzige Aufgabe nahm er sehr ernst. Und Acha, der scharfsinnige und geistreiche Gesandte, war mit Ramses und Moses seit Studienzeiten befreundet und genoss ohnehin das volle Vertrauen des Königs.
Tag für Tag erörterten die drei Männer die Sendschreiben, die aus Syrien eingingen, und versuchten sich ein Bild zu machen von der Situation.
Wie weit konnte Ägypten das Vorgehen der Hethiter noch dulden?
Ramses vermochte seinen Blick nicht zu lösen von der großen Karte in seinem Arbeitszimmer, wo all die nördlichen und östlichen Fremdländer eingezeichnet waren. Da lag im Norden das Königreich Hatti mit seiner Hauptstadt Hattuscha im Kern des Hochlands. Weiter südlich das große Syrien, durch das der Orontes floss. Und da lag die Festung Kadesch, unter Oberhoheit der Hethiter. Südlich die Provinz Amurru und die Häfen Byblos, Tyros und Sidon, alle unter ägyptischer Oberhoheit, noch weiter südlich Kanaan, dessen Fürsten dem Pharao treu ergeben waren.
Viele Tagesreisen lagen zwischen Pi-Ramses, der ägyptischen Hauptstadt, und Hattuscha, wo der hethitische Herrscher Muwatalli residierte. Weil zwischen der nordöstlichen Grenze und dem syrischen Kernland ein Festungsgürtel verlief, wähnten sich Ober- und Unterägypten geschützt vor Überfällen.
Doch die Hethiter schienen das Abkommen, das Sethos durchgesetzt hatte, mehr und mehr zu missachten. Krieger waren aus ihrem Gebiet ausgerückt und hatten einen Vorstoß auf Damaskus gewagt, die größte Stadt in Syrien.
Das war zumindest Achas Überzeugung, die sich auf Berichte seiner geheimen Kundschafter stützte. Ramses verlangte eine Bestätigung, bevor er sich an die Spitze seines Heeres setzte, um den Gegner zurückzudrängen. Weder Chenar noch Acha konnten sich entschließen, voreilig eine Meinung zu äußern: Der Pharao und nur er allein hatte seine Entscheidung abzuwägen und zu handeln.
Ungestüm, wie er war, hätte Ramses am liebsten sofort, als er von den hethitischen Scharmützeln erfuhr, zum Gegenschlag ausgeholt. Aber die Vorbereitung seiner Truppen, die zum großen Teil von Memphis nach Pi-Ramses verlegt worden waren, erforderte noch etliche Wochen. Durch diese Frist, die der König nur mit Ungeduld ertrug, konnte vielleicht ein sinnloser Zusammenstoß vermieden werden. Zumindest gab es seit zehn Tagen keine beunruhigende Meldung aus dem syrischen Kernland.
Ramses schlenderte hinüber zur Vogelvoliere des Palastes, wo Kolibris, Häher, Meisen, Wiedehopfe, Kiebitze und eine Vielzahl anderer Vögel, gehegt und gepflegt, sich im Schatten der Sykomoren und am Wasser der Becken voll blauer Lotosblüten ihres Lebens freuten.
Er war überzeugt, dass er sie dort finden würde, wo sie ihrer Laute die Töne einer Melodie aus alten Zeiten entlockte.
Nefertari, die Große königliche Gemahlin, süß an Liebe, die einzige Frau, die sein Herz beglückte. Sie war zwar nicht adliger Abstammung, aber schöner als alle anderen Schönheiten, die den Palast bevölkerten, und aus ihrem Munde mit der sanften Stimme kam nie ein überflüssiges Wort.
Einst, als die junge Nefertari sich in der Abgeschiedenheit eines kleinen Tempels auf ein Leben als Priesterin vorbereitete, hatte Prinz Ramses sich unsterblich in sie verliebt. Weder er noch sie hatten damals geahnt, eines Tages als Königspaar die Geschicke Ägyptens lenken zu müssen.
Nefertari mit ihrem schimmernden schwarzen Haar und den blaugrünen Augen, diese Frau, die Stille und innere Sammlung so liebte, hatte schnell alle Herzen bei Hofe erobert. Durch ihre Zurückhaltung und Zuverlässigkeit unterstützte sie Ramses und vollbrachte das Wunder, die Rolle der Königin und die der Gemahlin in Einklang zu bringen.
Merit-Amun, die Tochter, die sie dem König geschenkt hatte, war ihr ähnlich. Nefertari würde keine weiteren Kinder mehr bekommen können, doch dieses Leid schien sie nur zu streifen wie der Frühlingswind. Aus der Liebe, die sie und Ramses nun seit neun Jahren verband, schien das Volk sein Glück zu schöpfen.
Ramses betrachtete sie. Sie hatte ihn nicht kommen sehen. Sie rief einen Wiedehopf, der um sie herumflatterte, ein paar lustige Töne von sich gab und sich dann auf ihrem Unterarm niederließ.
«Du bist in meiner Nähe, nicht wahr?»
Er ging auf sie zu. Wie gewöhnlich hatte sie seine Gegenwart und seine Gedanken erspürt.
«Die Vögel sind heute aufgeregt», bemerkte die Königin. «Ein Gewitter zieht auf.»
«Worüber redet man im Palast?»
«Man betäubt sich, reißt Witze über die Feigheit des Feindes, rühmt die Macht unserer Waffen, verkündet bevorstehende Hochzeiten, lauert auf zu erwartende Auszeichnungen.»
«Und was sagt man über den König?»
«Dass er seinem Vater immer ähnlicher wird und das Land vor Unheil bewahren wird.»
«Wenn die Höflinge nur recht behielten …»
Ramses schloss Nefertari in die Arme und bettete seinen Kopf an ihrer Schulter.
«Schlechte Nachrichten?»
«Alles scheint ruhig.»
«Haben die Übergriffe der Hethiter aufgehört?»
«Acha hat keine beunruhigende Kunde erhalten.»
«Sind wir kampfbereit?»
«Keiner unserer Soldaten lechzt danach, diesen Kriegern gegenüberzutreten. Die Altgedienten sind überzeugt, dass wir nicht die geringste Chance haben, sie zu besiegen.»
«Ist das auch deine Meinung?»
«Ein Krieg solcher Tragweite erfordert eine Erfahrung, die ich nicht besitze. Selbst mein Vater hat darauf verzichtet, sich auf ein so gewagtes Abenteuer einzulassen.»
«Wenn die Hethiter ihr Verhalten geändert haben, dann glauben sie, den Sieg für sich verbuchen zu können. In früherer Zeit haben die Königinnen Ägyptens mit all ihren Kräften darum gekämpft, die Unabhängigkeit ihres Landes zu bewahren. Obwohl ich Gewalt verabscheue, werde ich an deiner Seite sein, falls der Kampf der einzige Ausweg ist.»
Plötzlich geriet die ganze Voliere in helle Aufregung.
Der Wiedehopf flatterte auf einen Ast hoch oben in der Sykomore, und die Vögel im Käfig stoben auseinander.
Ramses und Nefertari blickten hoch und entdeckten eine Brieftaube mit schwerem Flügelschlag; das erschöpfte Tier schien vergebens seinen Zielort zu suchen. In einer Willkommensgeste streckte der König ihr die Arme entgegen. Die Taube ging vor dem Herrscher nieder.
An ihrem rechten Fuß war eine kleine, etwa fingerlange Papyrusrolle befestigt. Der in winzigen, dennoch lesbaren Hieroglyphen geschriebene Text war von einem Armeeschreiber unterzeichnet.
Während Ramses las, hatte er das Gefühl, dass ihm ein Schwert in den Leib gebohrt wurde.
«Du hattest recht», sagte er zu Nefertari gewandt, «ein Gewitter hing in der Luft … Und nun ist es ausgebrochen.»
Der große Audienzsaal in Pi-Ramses war eines der Wunder Ägyptens. Eine Prunktreppe führte hinauf, rechts und links gesäumt von Bildnissen besiegter Feinde. Sie stellten die Mächte des Bösen dar, die überall von neuem heranwuchsen und die nur der Pharao der Maat unterstellen konnte, dem Gesetz der Harmonie, das die Königin verkörperte.
Rings um die Eingangstür die Krönungsnamen des Herrschers, blau auf weißem Grund, in ovalen Ringen, die den Kosmos darstellten, das Reich des Pharaos, Sohn des Weltenschöpfers und dessen Stellvertreter auf Erden. Wer über diese Schwelle zu Ramses vorgelassen wurde, war bezaubert von so viel erlesener Schönheit.
Der Fußboden war kunstvoll aus farbigen glasierten Fliesen gefertigt, die sich zu Bildern von Wasserbecken und blühenden Gärten fügten. Da schwamm auf blaugrünem Teich eine Ente, dort ein Kugelfisch zwischen weißen Lotosblüten. An den Wänden eröffnete sich eine Zauberwelt in blassgrünen, dunkelroten, hellblauen, goldgelben, gebrochen weißen Tönen: die Vogelwelt der Sümpfe. Und folgte der Blick den Blütenranken, dann fiel er auf Lotos, Schlafmohn, Klatschmohn, Margeriten und Kornblumen.
Doch das Meisterwerk in diesem Saal, eine einzige Hymne auf die Natur, war das Antlitz einer in Meditation versunkenen jungen Frau vor einem Rosenbeet. Die Ähnlichkeit mit Nefertari war so auffallend, dass für niemanden ein Zweifel bestand: Dies war die Huldigung des Königs an seine Gemahlin.
Als er die Stufen zu seinem goldenen Thron hinaufschritt – auf der obersten hielt ein Löwe einen Feind aus der Unterwelt in den Fängen –, warf Ramses einen flüchtigen Blick auf diese Rosen: Sie wurden aus dem Süden Syriens eingeführt, der unter ägyptischem Schutz stand, doch jetzt bohrten ihre Dornen sich ihm ins Herz.
Vollzählig und schweigend stand der Hofstaat versammelt.
Die höchsten Beamten mit ihren Stellvertretern, die Vorlesepriester, die königlichen Schreiber, die Opferpriester aus den Tempeln, die Wahrer der Geheimnisse, die hohen Damen, die mit Ämtern betraut waren, und noch viele andere, die Romet, dieser leutselige, aber höchst gewissenhafte Palastvorsteher, eingelassen hatte.
Es kam selten vor, dass Ramses eine so zahlreiche Versammlung einberief, die den Inhalt seiner Ansprache gleich darauf übers Land verbreiten würde. Jeder hielt den Atem an, weil er fürchtete, der Herrscher könnte jetzt gleich ein Unheil verkünden.
Der König trug die rotweiße Doppelkrone, das Symbol der Herrschaft über Ober- und Unterägypten, der unverbrüchlichen Einheit des Landes. Das Zepter vor seiner Brust bezeugte, dass der Pharao auch über die Elemente und die Lebenskräfte gebot.
«Hethitische Angreifer haben die Stadt des Löwen zerstört, eine von meinem Vater gegründete Siedlung. Die Barbaren haben sämtliche Bewohner abgeschlachtet, auch Frauen, Kinder und Säuglinge.»
Ein Murmeln der Empörung machte sich breit. Kein Heer, kein Soldat durfte so etwas tun.
«Ein Sendbote hat diese Schandtat entdeckt», fuhr der König fort. «Eine unserer Streifen hat ihn, der vor Entsetzen den Verstand verloren hatte, aufgegriffen und mir die Nachricht übermittelt. Nach diesem Gemetzel haben die Hethiter dann noch das Ortsheiligtum zerstört und die Sethos-Stele entweiht.»
Zutiefst erschüttert trat ein ehrfurchtgebietender Greis, der den Titel «Bewahrer der Geheimnisse» trug, da ihm das Palastarchiv unterstand, aus der Masse der Höflinge heraus und verneigte sich vor dem Pharao.
«Majestät, gibt es Beweise, dass es die Hethiter waren, die dieses Verbrechen begangen haben?»
«Eine Inschrift bezeugt es: ‹Sieg der Armee des mächtigen Herrschers von Hatti, Muwatalli. So werden alle seine Feinde enden.› Ferner teile ich euch mit, dass die Fürsten von Amurru und Palästina sich soeben zu Untertanen der Hethiter erklärt haben. Ägyptische Siedler wurden erschlagen, die Überlebenden haben in unseren Festungen Zuflucht gesucht.»
«Das, Majestät, bedeutet …»
«Krieg.»
Weiträumig und hell war der Saal, in dem Ramses arbeitete. Dank der Fenster mit ihrer blauweißen Kachelumrahmung erfreute der König sich am Anblick jeder Jahreszeit und berauschte sich am Duft von tausenderlei Blüten. Auf vergoldeten Konsolen standen Liliensträuße. Auf einer langen Tischplatte aus Akazienholz lagen Papyrusrollen ausgebreitet. In einem Winkel stand eine Statue aus Diorit: der thronende Sethos, das Jenseits schauend.
Ramses hatte seine engsten Berater um sich geschart: Ameni, den Freund, seine rechte Hand, seinen Bruder Chenar und Acha.
Der kleine, schmächtige, ja fast magere, hellhäutige und mit seinen vierundzwanzig Jahren fast kahlköpfige Ameni hatte sein Leben ganz in den Dienst des Freundes gestellt. Tag und Nacht verbrachte er in seinem Arbeitszimmer, gönnte sich nur wenig Schlaf und prägte seinem Geist in einer Stunde mehr Vorgänge ein, als seine Schreiber, die alle tüchtig waren, in einer Woche zu bewältigen vermochten. Als Sandalenträger des Herrschers hätte Ameni auf jedes hohe Amt Anspruch erheben können, doch er hielt sich lieber im Schatten des Pharaos.
«Die Magier haben das Nötigste bereits getan», erklärte er. «Sie haben Wachsfigürchen mit den Gesichtszügen der Hethiter und derer aus dem Osten angefertigt und dem Feuer überantwortet. Außerdem haben sie die Namen der Feinde auf Vasen und Tonschalen geschrieben und diese dann zerbrochen. Ich habe darum ersucht, diesen Ritus Tag für Tag fortzusetzen, bis unser Heer ausrückt.»
Chenar zuckte mit den Achseln. Der ältere Bruder von Ramses, der untersetzte, beleibte Chenar mit den prallen Wangen, den üppigen, genießerischen Lippen, den kleinen braunen Augen, der öligen und unsteten Stimme, hatte sich zum Zeichen der Trauer um seinen Vater Sethos einen Bartkranz stehen lassen.
«Auf die Magie sollten wir uns nicht verlassen», riet er. «Ich, der ich für die Beziehungen mit den Fremdländern zuständig bin, schlage vor, unsere Gesandten aus Syrien, Amurru und Palästina zurückzurufen. Diese Asseln haben sich als unfähig erwiesen, das Spinnennetz zu erkennen, das die Hethiter in unseren Schutzgebieten gewoben haben.»
«Auch das ist bereits geschehen», unterbrach Ameni.
«Das hätte man mir mitteilen können», erwiderte Chenar gekränkt.
«Dass es geschehen ist, ist doch das Wichtigste.»
Ramses schien dieses Gezänk nicht zu beachten. Er stand vor der großen ausgerollten Karte und deutete mit dem Finger auf einen Landstrich.
«Sind die Garnisonen an der Nordwestgrenze in Alarmbereitschaft versetzt?»
«Ja, Majestät», erwiderte Acha. «Kein Libyer wird sie überschreiten.»
Acha, der einzige Sohn einer reichen adeligen Familie, war unverkennbar ein Aristokrat: elegant, feinste Manieren, geschmackvoll nach der Mode gekleidet, ein schmales, gutgeschnittenes Gesicht, blitzende Augen, ein etwas herablassender Blick, mehrerer Sprachen mächtig und ein ausgewiesener Kenner der internationalen Beziehungen.
«Unsere Streifen überwachen den libyschen Küstenzugang und das Wüstengebiet im Westen des Deltas. Unsere Festungen sind in Alarmbereitschaft und würden einen Angriff, der unwahrscheinlich ist, mühelos abwehren. So wie es im Augenblick aussieht, dürfte es keinem Krieger gelingen, die libyschen Stämme zu einem Zusammenschluss zu bewegen.»
«Vermutung oder Gewissheit?»
«Gewissheit.»
«Endlich einmal eine beruhigende Nachricht!»
«Die einzige, Majestät. Soeben übermittelten mir meine Gewährsleute Hilferufe der Bürgermeister von Megiddo, wo die Karawanen ankommen, von Damaskus und den phönizischen Häfen, wo viele der Handelsschiffe einlaufen. Hethitische Überfälle und die Wirren in der Umgebung behindern bereits die Abwicklung der Geschäfte. Wenn wir nicht augenblicks eingreifen, werden die Hethiter uns von unseren Handelspartnern abschneiden und diese anschließend vernichten. Dann wäre die Welt, die Sethos und seine Vorgänger errichtet haben, vollends zunichte.»
«Glaubst du, Acha, das sei mir nicht bewusst?»
«Macht man sich je hinreichend klar, was Lebensgefahr bedeutet, Majestät?»
«Sind wirklich alle Möglichkeiten der Diplomatie ausgeschöpft?», fragte Ameni.
«Ein ganzer Ort wurde abgeschlachtet», sagte Ramses. «Welche Maßnahme könnte eine solche Schandtat aus der Welt schaffen?»
«Der Krieg wird Tausende von Menschenleben fordern.»
«Möchte Ameni etwa vorschlagen, wir sollten klein beigeben?»
Ameni ballte die Fäuste.
«Nimm diese Frage sofort zurück, Chenar!»
«Wärst auch du kampfbereit, Ameni?»
«Schluss jetzt!», befahl Ramses. «Spart euch eure Kräfte, um Ägypten zu verteidigen. Chenar, redest du sofortigem und gezieltem Eingreifen das Wort?»
«Ich zögere … Sollten wir nicht lieber abwarten und unsere Verteidigungsstellungen verstärken?»
«Die Truppen sind noch nicht so weit», warf Ameni ein. «Sie planlos ins Feld zu schicken würde zu einer Katastrophe führen.»
«Je länger wir zögern», gab Acha zu bedenken, «desto weiter greift in Kanaan Aufruhr um sich. Der muss schnell niedergeschlagen werden, damit wir diese Pufferzone zwischen uns und den Hethitern behalten. Sonst verfügen wir bereits über Stellungen, die einen Einfall in Ägypten ermöglichen.»
«Der Pharao darf sein Leben nicht leichtfertig aufs Spiel setzen», betonte Ameni gereizt.
«Solltest du mir Leichtfertigkeit vorwerfen?», fragte Acha eisig.
«Du kennst den tatsächlichen Ausbildungsstand unserer Truppen nicht! Sie sind noch ungenügend gerüstet, obwohl die Waffenschmiede unermüdlich arbeiten.»
«Ungeachtet unserer Schwierigkeiten muss die Ordnung in unseren Schutzgebieten unverzüglich wiederhergestellt werden. Es geht um das Überleben Ägyptens!»
Chenar hütete sich, in den Wortwechsel der beiden Freunde einzugreifen. Ramses, der Ameni und Acha gleich viel Vertrauen entgegenbrachte, hatte sehr aufmerksam zugehört.
«Lasst mich jetzt allein», befahl er.
Nachdem der Hofstaat sich zurückgezogen hatte, betrachtete der König die Sonne, den Schöpfer des Lichts, dem er entstammte.
Als Sohn des Lichts vermochte er dem Tagesgestirn ins Antlitz zu blicken, ohne blind zu werden.
«Richte dein Augenmerk stets auf die Ausstrahlung und den Geist des Menschen und suche bei jedem, was unersetzlich ist», hatte Sethos ihn gelehrt. «Aber deine Entscheidung wirst du allein treffen müssen. Liebe Ägypten mehr als dich selbst, dann wird der Weg sich dir eröffnen.»
Ramses überdachte die Ratschläge seiner Männer. Der unentschlossene Chenar wollte vor allem kein Missfallen erregen; Ameni wollte das Land wie ein Heiligtum schützen und nicht wahrnehmen, was sich außerhalb tat; Acha besaß den Überblick, er dachte nicht daran, den Ernst der Lage zu verschleiern.
Aber noch andere Sorgen quälten den König: War Moses in all den Wirren untergetaucht? Acha, der ihn doch suchen sollte, hatte keine Spur aufnehmen können. Seine Spitzel schwiegen. Wenn es dem Hebräer gelungen war, Ägypten zu verlassen, hatte er sich entweder gen Libyen oder zu den Fürstentümern Edom und Moab, oder aber in Richtung Kanaan oder Syrien auf den Weg gemacht. In ruhigen Zeiten hätte man ihn längst ausfindig gemacht. Falls Moses überhaupt noch am Leben war, konnte man jetzt nur noch hoffen, durch einen Glücksfall herauszufinden, wo er sich verborgen hielt.
Ramses verließ den Palast und ging zu den Unterkünften seiner Generäle. Das Wichtigste war jetzt, die Kampfbereitschaft der Armee so schnell wie möglich zu stärken.
Chenar schob die zwei hölzernen Riegel vor die Tür zu seinem Arbeitszimmer. Dann blickte er durchs Fenster, um sich zu vergewissern, dass im Innenhof niemand lauerte. Vorsichtshalber hatte er sogar den Wachposten aus dem Vorzimmer ans andere Ende des Flurs verbannt.
«Nun kann uns niemand hören», sagte er zu Acha.
«Wäre es nicht klüger gewesen, dieses heikle Thema andernorts zu erörtern?»
«Wir müssen doch den Eindruck erwecken, Tag und Nacht für die Sicherheit des Landes zu arbeiten. Ramses hat angeordnet, alle Beamten, die ohne triftigen Grund ihren Arbeitsplatz verlassen, unverzüglich ihrer Ämter zu entheben. Wir befinden uns im Krieg, mein lieber Acha!»
«Noch nicht.»
«Der König hat seine Entscheidung getroffen, das ist eindeutig! Du hast ihn überzeugt.»
«Das hoffe ich, aber Umsicht ist dennoch vonnöten. Ramses tut häufig Unvorhersehbares.»
«Unsere List hat doch Erfolg gezeitigt. Mein Bruder hat mir mein Zögern geglaubt und ist überzeugt, dass ich aus Angst, ihm zu missfallen, keine Stellung beziehen wollte. Du hingegen hast durch deine klare Beurteilung meine Willensschwäche noch hervorgehoben. Wie sollte Ramses darauf kommen, dass wir Verbündete sind?»
Zufrieden füllte Chenar zwei Schalen mit Weißwein aus Imaou, der Stadt, die für ihre Weinberge berühmt war.
Im Gegensatz zum karg ausgestatteten Arbeitszimmer des Königs war hier keinerlei Zurückhaltung geübt worden. Die Lehnen der Stühle waren mit Lotosblüten bemalt, die Kissen bunt geschmückt, die Tischchen von Bronzefüßen geziert, und die Wandmalereien zeigten eine Vogeljagd in den Sümpfen. Vor allem aber standen überall auffallende Vasen aus Libyen, Syrien, Babylonien, Kreta, Rhodos, Griechenland und dem Osten. Ihnen gehörte Chenars ganze Sammlerleidenschaft. Die meisten dieser einzigartigen Stücke hatte er teuer bezahlt, und da er nie genug bekommen konnte, schmückte er auch seine Häuser in Theben, Memphis und Pi-Ramses mit solchen Kunstwerken.
Diese neue Hauptstadt, deren Gründung er zunächst als schier unerträglichen Triumph seines Bruders empfunden hatte, erwies sich als Geschenk des Himmels. Dort war er denen, die ihn an die Macht bringen wollten, viel näher: den Hethitern. Und auch den Herkunftsorten dieser unvergleichlich schönen Vasen. Es war ihm höchster Genuss, sie zu betrachten und zu berühren.
«Ameni beunruhigt mich sehr», bekannte Acha. «Er ist schlau und …»
«Ameni ist ein Dummkopf und ein Schwächling, der nur im Schatten von Ramses gedeiht. Er hört und sieht nichts vor Unterwürfigkeit.»
«Aber er hat mir doch widersprochen.»
«Dieser Schreiberling glaubt, das Höchste auf der Welt sei Ägypten, es könne sich hinter seinen Festungen verschanzen, seine Grenzen dichtmachen und jeden feindlichen Übergriff verhindern. Und da er alles andere als eine Kämpfernatur ist, glaubt er, man könne sich abkapseln und damit den Frieden bewahren. Der Zwist mit dir war zu erwarten, aber er wird uns nur nützlich sein.»
«Ameni ist der engste Berater von Ramses», warf Acha ein.
«In Friedenszeiten, gewiss; aber die Hethiter haben uns den Krieg erklärt, und deine Ausführungen waren rundum überzeugend. Und vergiss Tuja nicht, die Mutter des Pharaos, und Nefertari, die Große königliche Gemahlin!»
«Glaubst du etwa, sie liebten den Krieg?»
«Sie hassen ihn, aber um den Erhalt der Beiden Länder haben die Königinnen Ägyptens stets mit all ihren Kräften gekämpft und oftmals erstaunliche Mittel angewandt. Die Herrscherinnen von Theben haben das Heer wieder aufgebaut und es auf die Hyksos losgelassen, die ins Delta eingefallen waren. Tuja, meine verehrte Mutter, und Nefertari, diese Zauberin, die den ganzen Hof betört, werden von dieser Regel nicht abweichen. Sie werden Ramses drängen, zum Angriff überzugehen.»
«Möge deine Zuversicht sich bewahrheiten.»
Acha nippte nur von dem fruchtigen und kräftigen Wein, während Chenar gierig seine Schale leerte. Obwohl auch er kostspielige Gewänder trug, erreichte er nie die Eleganz des Gesandten.
«Sie ist berechtigt, mein Lieber, sie ist berechtigt! Bist du nicht der Drahtzieher unserer Geheimdienste und ein Jugendfreund von Ramses, der einzige Mensch überhaupt, dem er Gehör schenkt, wenn es um die Beziehungen zu anderen Ländern geht?»
Acha nickte.
«Wir sind fast am Ziel», fuhr Chenar fort. Er ereiferte sich: «Ramses wird im Kampf entweder getötet oder besiegt. Entehrt wird er die Macht abgeben müssen. In beiden Fällen werde ich als der einzige dastehen, der mit den Hethitern zu verhandeln und Ägypten vor dem Untergang zu bewahren vermag.»
«Dieser Friede wird erkauft werden müssen», warf Acha ein.
«Ich habe unseren Plan nicht vergessen. Die Fürsten von Kanaan und Amurru werde ich mit Gold überhäufen, und dem Herrscher der Hethiter werde ich traumhafte Geschenke und nicht weniger traumhafte Versprechungen machen! Das wird Ägypten vielleicht für ein Weilchen ärmer machen, aber ich werde regieren! Und Ramses wird bald vergessen sein! Das Volk ist dumm und folgt dem Herdentrieb. Heute hasst es, was es gestern noch verehrte. Diese Waffe werde ich mir zunutze machen.»
«Hast du den Gedanken an ein Riesenreich vom Herzen Afrikas bis zu den Hochebenen von Hatti verworfen?»
Chenar wirkte versonnen.
«Stimmt, davon habe ich einmal gesprochen, aber unter rein geschäftlichen Gesichtspunkten … Sobald der Friede wiederhergestellt ist, werden wir neue Handelshäfen gründen, die Karawanenwege ausbauen und Handelsbeziehungen aufnehmen zu den Hethitern. Dann wird Ägypten zu klein für mich sein.»
«Und wie wäre dein Reich … politisch gesehen?»
«Ich weiß nicht, was du meinst.»
«Muwatalli regiert die Hethiter mit eiserner Faust, aber am Hof von Hattuscha wird viel intrigiert. Als mögliche Nachfolger gelten der hochtrabende Uriteschup und der zurückhaltende Hattuschili, Priester der Göttin Ischtar. Sollte Muwatalli im Kampf den Tod finden, würde einer von beiden die Macht ergreifen. Jeder dieser beiden hasst aber den anderen, und die jeweiligen Anhänger sind bereit, einander zu zerfleischen.»
Chenar befingerte sein Kinn.
«Mehr als die üblichen Streitigkeiten im Palast, deiner Meinung nach?»
«Weit mehr. Dem hethitischen Königreich droht der Zerfall.»
«Zerfiele es in mehrere Teile, könnte ein Retter es unter seinem Banner wieder vereinen … und diese Gebiete zu ägyptischen Provinzen machen. Welch ein Reich, Acha, welch riesiges Reich! Babylonien, Assyrien, Zypern, Rhodos, Griechenland und die nördlichen Gefilde – sie alle wären meine Schutzgebiete!»
Der junge Diplomat lächelte.
«Die Pharaonen haben zu wenig Ehrgeiz entfaltet, weil ihnen nur am Glück ihres Volkes und am Wohlstand Ägyptens lag. Du, Chenar, bist aus anderem Holz geschnitzt. Daher muss Ramses beseitigt werden, so oder so.»
Chenar fühlte sich nicht als Verräter. Sethos’ scharfer Verstand war durch seine Krankheit beeinträchtigt gewesen, sonst hätte er ihn, den ältesten Sohn, auf den Thron erhoben. Er, Chenar, war Opfer einer Ungerechtigkeit geworden, und nun musste er sich erkämpfen, was ihm rechtmäßig zustand.
Fragend blickte er Acha an.
«Du hast Ramses natürlich nicht alles gesagt, oder?»
«Natürlich nicht, aber alle Botschaften, die ich von meinen Kundschaftern erhalte, sind natürlich jederzeit auch dem König zugänglich. Sie sind ordnungsgemäß hier eingetragen, keine kann unterschlagen oder vernichtet werden, das würde ja Aufmerksamkeit erregen und den Verdacht der Untreue auf mich lenken.»
«Hat Ramses sich schon genauer umgesehen?»
«Bis jetzt noch nicht, aber wir stehen kurz vor einem Krieg. Ich muss also Vorkehrungen treffen und darf mich der Gefahr einer unerwarteten Überprüfung nicht aussetzen.»
«Und was gedenkst du zu tun?»
«Ich sage es nochmals: Kein Bericht fehlt, keiner wurde zurechtgestutzt.»
«Dann weiß Ramses ja alles!»
Behutsam strich Acha mit dem Finger über den Rand der Alabasterschale.
«Spionage ist eine Kunst, Chenar, die Fingerspitzengefühl erfordert. Die nackte Tatsache ist zwar wichtig, doch mehr noch die Ausdeutung. Meine Aufgabe besteht darin, Vorgänge zusammenzutragen und sie dahingehend auszuwerten, dass der König handelt. Im gegebenen Fall wird er mir weder Trägheit noch Unentschlossenheit vorwerfen können. Ich habe nichts unversucht gelassen, damit er schnellstens zum Gegenschlag ausholt.»
«Also schlägst du dich auf seine Seite, nicht auf die der Hethiter!»
«Du siehst nur die nackte Tatsache», warf Acha ein. «So wird auch Ramses reagieren, und wer könnte ihm das verübeln?»
«Erklär dich genauer.»
«Die Verlegung der Truppen von Memphis nach Pi-Ramses hat viele Versorgungsprobleme mit sich gebracht, die noch lange nicht gelöst sind. Wenn wir Ramses zur Eile drängen, ergibt sich daraus für uns bereits ein Vorteil: Unsere Streitkräfte sind unzureichend gerüstet, sowohl was die Menge als auch die Schlagkraft ihrer Waffen anbelangt, und das ist ein unüberwindlicher Nachteil.»
«Und was sind die anderen Vorteile für uns?»
«Allein schon das Kampfgebiet und die Abtrünnigkeit unserer Verbündeten. Ich habe es Ramses nicht verhehlt, aber auch nicht betont, wie bedrohlich die Lage bereits ist. Die barbarischen Überfälle der Hethiter und das Gemetzel in der Stadt des Löwen haben die Fürsten von Kanaan und Amurru in Angst und Schrecken versetzt, genauso wie die Statthalter der Küstenhäfen. Sethos hielt die hethitischen Krieger im Zaum, Ramses nicht. Sämtliche Gebietsherren fürchten ihrerseits den Untergang und werden es vorziehen, sich unter Muwatallis Schutz zu flüchten.»
«Sie sind also überzeugt, dass Ramses ihnen nicht zu Hilfe kommen wird, und haben sich entschlossen, Ägypten als Erste anzugreifen, um ihrem neuen Herrn, dem Herrscher von Hatti, wohlgefällig zu sein. Habe ich das richtig verstanden?»
«So kann man die Vorgänge deuten.»
«Ist das auch … deine Deutung?»
«Für mich kommen da noch einige Dinge hinzu. Bedeutet die Tatsache, dass wir von einigen unserer Festungen nichts hören, dass der Feind sie bereits eingenommen hat? Wenn das der Fall sein sollte, würde Ramses auf weit größeren Widerstand stoßen, als er ahnt. Außerdem ist anzunehmen, dass die Hethiter den Aufständischen eine beträchtliche Menge Waffen geliefert haben.»
Chenars Lippen wölbten sich genüsslich.
«Himmlische Aussichten für die ägyptischen Streitkräfte! Ramses könnte gleich in der ersten Schlacht besiegt werden, bevor er den Hethitern überhaupt gegenübersteht!»
«Ein nicht unwesentlicher Gesichtspunkt», befand Acha.
Nach diesem anstrengenden Tag gönnte sich Tuja, die Mutter des Königs, im Palastgarten ein wenig Ruhe. Sie hatte den Morgenritus in einer der Kapellen der Göttin Hathor, der weiblichen Sonne, gefeiert, anschließend den Ablauf des Tages geregelt, sich etliche nörgelnde Höflinge angehört, auf Bitten von Ramses mit dem Obersten Verwalter der Felder und Haine ein Gespräch geführt und dann mit Nefertari geplaudert, der Großen königlichen Gemahlin.
Tuja – schlank, streng und durchdringend blickende, mandelförmige Augen, schmale, gerade Nase, fast eckiges Kinn – war die unbestrittene moralische Autorität. Sie trug eine Nacken und Ohren bedeckende Perücke mit spiralförmigen Strähnen und ein wunderbar gefälteltes Leinengewand. Eine sechsreihige Amethystkette schmückte den Hals und goldene Armbänder die Handgelenke. Zu jeder Stunde des Tages war Tuja mustergültig gekleidet.
Sethos fehlte ihr jeden Tag mehr. Mehr und mehr quälte sie die Vorstellung, dass der Pharao für immer gestorben war, und sie sehnte sich nach jenem letzten Übergang, der sie mit dem Gemahl wieder vereinen würde.