»Ein Buch über Syrien herauszubringen ist sicherlich kein einfaches Unterfangen, aber ein notwendiges.«1 An diesem Statement hat sich vier Jahre nach dem Ausbruch der Revolte gegen Baschar al-Assad und zwei Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Auflage des Bandes »Syrien. Hintergründe, Analysen, Berichte« nichts geändert. Der ehemalige regionale Player befindet sich nicht nur am Rande des Abgrunds, er droht auch, seine Nachbarländer, allen voran den kriegszerrütteten Irak, mitzuziehen. Nach der Verdrängung der »Freien Syrischen Armee« (FSA) als führender militärischer Widerstandsorganisation durch dschihadistische Bewegungen, den Erfolgen des »Islamischen Staates« (IS) im Norden und Osten des Landes und den Luftbombardements der internationalen Koalition gegen den IS ist eine Befriedung in noch weitere Ferne gerückt. Und: Baschar al-Assad konnte aus den immer höher steigenden Eskalationsstufen bisher unbeschadet hervorgehen. Die Anzeichen für seinen Verbleib an der Spitze des syrischen Staates sind deutlicher als es einige Autoren (einschließlich der Ko-Herausgeberin) noch in der ersten Version des vorliegenden Buches erwartet haben. Angesichts des vom »Islamischen Staat« ausgehenden Drohpotenzials dürfte im internationalen Anti-Assad-Bündnis, mit Ausnahme der Türkei und der erzkonservativen Golfmonarchien, das Interesse an einem Regimewechsel gesunken sein. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass Russland seinen syrischen Verbündeten fallen lässt – nicht zuletzt auch deshalb, weil sich die Fronten mit dem Westen angesichts der blutigen Ukraine-Krise völlig verhärtet haben.
Ein Entwirren der zahlreichen Konfliktstränge ist ein zentrales Anliegen der beiden HerausgeberInnen. Freilich können nicht alle Aspekte des aktuellen Konflikts und des drohenden regionalen Flächenbrandes in einer einzigen Publikation behandelt werden. Nichtsdestotrotz bietet »Syrien. Ein Land im Krieg. Hintergründe, Analysen, Berichte« einen Einblick in die vielschichtigen Aspekte der modernen syrischen Geschichte und Gesellschaft wie auch der jüngsten Krise.
Wir freuen uns, dass in der nun vorliegenden, völlig überarbeiteten Auflage der Kurdistan-Problematik mehr Raum gegeben werden konnte. In dem Kapitel »Die Kurden in Syrien und die Selbstverwaltung in Rojava« von Nikolaus Brauns werden der steinige Weg zur Selbstverwaltung bis hin zur Schlacht um die Stadt Kobanê nachgezeichnet und mögliche Perspektiven einer kurdischen Autonomie in Syrien beleuchtet. Mit der Frage nach der Legalität humanitärer Interventionen, die sich ja aufgrund der Luftangriffe internationaler Streitkräfte gegen Stellungen des IS in Syrien zwangsläufig ergibt, befasst sich der Völkerrechtler Norman Paech in dem aktualisierten Kapitel »Die Schlacht um Damaskus: Syrien und das Völkerrecht«.
Die Dauer des Konflikts und die unklaren Machtverhältnisse im syrischen Staat machen eine tiefergehende Auseinandersetzung wichtiger denn je. Einen grundlegenden Einstieg bietet hierfür der Beitrag »Die Religion ist für Gott – das Land ist für alle« von Liselotte Abid, der sich mit der syrischen Gesellschaft als einem historisch-politischen Mosaik und mit deren unterschiedlichen Volksgruppen befasst. Eine fundierte Auseinandersetzung mit der (Staats-)Ideologie des Baathismus findet sich im Kapitel »Syrien und Irak: Panarabische Paradoxien und der Bankrott des Baathismus« von Carsten Wieland. Die Nahostexpertin Karin Kneissl widmet sich wiederum den fragilen Nachbarschaftsbeziehungen, mit einem besonderen Fokus auf den Libanon – jenem kleinen Land, dessen Souveränität nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Ereignisse in Syrien mehr denn je in Frage gestellt wird.
Im Kapitel »Baschar al-Assads uneingelöste Versprechen« werden die strukturellen Ursachen des Aufstands vom März 2011 beleuchtet, galt der junge Assad doch bei seinem Machtantritt als ein Reformer, der das Land öffnen wollte. Gemeint war allerdings keine politische, sondern lediglich eine wirtschaftliche Öffnung. Um beim Thema Wirtschaft zu bleiben: Bis zum Ausbruch der Revolte gegen das Assad-Regime war die Europäische Union ein wichtiger Handelspartner Syriens. Wesentliche Aspekte dieser Kooperation bis hin zum Bruch in Form von Sanktionen werden von Stefan Brocza in einem aktualisierten Beitrag erörtert.
Karin Kulow widmet sich in ihrem geopolitischen Text der russischen Sicht auf den Konflikt und weist auf die traditionsreichen Beziehungen der beiden Länder hin, die bereits in den 1950er Jahren einsetzten. Eine nüchterne Bilanz zur Rolle der Türkei im Syrienkrieg und ihrer Regionalpolitik zieht der mittlerweile verstorbene Assad-Biograf Patrick Seale. Werner Ruf analysiert wiederum in seinem Beitrag »Revolution und Konterrevolution in Nahost: Vom arabischen Frühling zum islamistischen Winter?« das politische Umfeld, das durch den »Arabischen Frühling« etabliert wurde, sowie die besondere Rolle der Islamisten und ihrer Unterstützer in den Golfstaaten.
Aus der ursprünglich friedlichen Protestbewegung wurde ein Stellvertreterkrieg, dessen Ausgang immer unklarer wird. In »Vom Aufstand zum Krieg in Syrien« berichtet die Journalistin Karin Leukefeld von ihrer Zeit in Damaskus seit Beginn der Revolte. Spätestens dieser Beitrag erweckt den Eindruck, dass die Berichterstattung durch die großen Medien dem Konflikt bisher selten gerecht wurde.
Der leichteren Lesbarkeit wegen haben wir uns entschlossen, bei Eigennamen anstelle der arabischen Transkription eine eingedeutschte Schriftweise zu verwenden.
Wir hoffen mit dem Band eine sachliche Auseinandersetzung zum Thema Syrien anzustoßen und dadurch eine Annäherung an den aktuellen Konflikt zu ermöglichen. Es kommen zahlreiche ExpertInnen und Syrien-KennerInnen zu Wort, die keine einheitliche Position im aktuellen Konflikt einnehmen.
Fritz Edlinger & Tyma Kraitt
Wien, im April 2015
1. Mit diesem Satz begann das Vorwort der ersten Auflage im Jahr 2013.