Brechts Liebesgedichte handeln von der Liebe zu einem einzelnen Menschen ebenso wie von der Liebe zu den Menschen, die dazu aufgerufen sind, den Planeten Erde »bewohnbar« zu machen. Die vorliegende Auswahl enthält alle »klassischen« Liebesgedichte Brechts, die von Werner Hecht 1982 erstmals edierten »priapeischen« Gedichte und die – mit ihrem Bezug auf bestimmte Geliebte – bis dahin zurückgehaltenen Werke. In chronologischer Anordnung zeigen diese Gedichte eine beeindruckende Fülle von Aspekten irdischer wie himmlischer Liebe, aufgeschrieben von einem Mann, den dieses Thema durch alle Jahrzehnte hindurch bis zu seinem Tod beschäftigte.

Bertolt Brecht, geboren am 10. Februar 1898 in Augsburg, starb am 14. August 1956 in Berlin. Sein Werk ist im Suhrkamp Verlag erschienen.

Bertolt Brecht

Liebesgedichte

Ausgewählt von
Werner Hecht

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4125.

© dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2002

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.

eISBN 978-3-518-74376-8

www.suhrkamp.de

Zu dieser Ausgabe

Werner Hecht, der Herausgeber von Brechts Gedichten über die Liebe (1982), hat mit den Liebesgedichten eine neue, leicht gekürzte Auswahl zusammengestellt, die erstmals 2002 als insel taschenbuch 2824 erschien. Die Texte folgen der neuen Gesamtausgabe: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Herausgegeben von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei und Klaus-Detlef Müller. Band 11 bis 15. Berlin und Weimar / Frankfurt am Main 1988, 1993. © Stefan S. Brecht. Die Anmerkung zur Zuhälterballade (S. 70) stammt von Brecht.

Die Legende der Dirne Evlyn Roe

Als der Frühling kam und das Meer war blau

Da fand sie nimmer Ruh –

Da kam mit dem letzten Boot an Bord

Die junge Evlyn Roe.

Sie trug ein härenes Tuch auf dem Leib

Der schöner als irdisch war.

Sie trug kein andres Gold und Geschmeid

Als ihr wunderreiches Haar.

»Herr Kapitän, laß mich mit dir ins heil’ge Land fahrn

Ich muß zu Jeses Christ.«

»Du sollst mitfahrn, Weib, weil wir Narrn

Und du so herrlich bist.«

»Er lohn’s Euch. Ich bin nur ein arm Weib.

Mein Seel gehört dem Herrn Jesu Christ.«

»So gib uns deinen süßen Leib!

Denn der Herr, den du liebst, kann das nimmermehr zahln

Weil er gestorben ist.«

Sie fuhren hin in Sonn und Wind

Und liebten Evlyn Roe.

Sie aß ihr Brot und trank ihren Wein

Und weinte immer dazu.

Sie tanzten nachts. Sie tanzten tags

Sie ließen das Steuern sein.

Evlyn Roe war so scheu und so weich:

Sie waren härter als Stein.

Der Frühling ging. Der Sommer schwand.

Sie lief wohl nachts mit zerfetztem Schuh

Von Rah zu Rah und starrte ins Grau

Und suchte einen stillen Strand

Die arme Evlyn Roe.

Sie tanzte nachts. Sie tanzte tags.

Da ward sie wie ein Sieches matt.

»Herr Kapitän, wann kommen wir

In des Herrn heilige Stadt?«

Der Kapitän lag in ihrem Schoß

Und küßte und lachte dazu:

»Und ist wer schuld, daß wir nie hinkommen:

So ist es Evlyn Roe.«

Sie tanzte nachts. Sie tanzte tags.

Da ward sie wie ein Leichnam matt.

Und vom Kapitän bis zum jüngsten Boy

Hatten sie alle satt.

Sie trug ein seiden Gewand auf dem Leib

Der siech und voll Schwielen war

Und trug auf der entstellten Stirn

Ein schmutzzerwühltes Haar.

»Nie seh ich dich, Herr Jesus Christ

Mit meinem sündigen Leib.

Du darfst nicht gehn zu einer Hur

Und bin ein so arm Weib.«

Sie lief wohl lang von Rah zu Rah

Und Herz und Fuß tat ihr weh:

Sie ging wohl nachts, wenn’s keiner sah

Sie ging wohl nachts in die See.

Das war im kühlen Januar

Sie schwamm einen weiten Weg hinauf

Und erst im März oder im April

Brechen die Blüten auf.

Sie ließ sich den dunklen Wellen und die

Wuschen sie weiß und rein

Nun wird sie wohl vor dem Kapitän

Im heiligen Lande sein.

Als im Frühling sie in den Himmel kam

Schlug Petrus die Tür ihr zu

Gott hat mir gesagt: Ich will nit han

Die Dirne Evlyn Roe.

Doch als sie in die Hölle kam

Sie riegeln die Türen zu:

Der Teufel schrie: Ich will nit han

Die fromme Evlyn Roe.

Da ging sie durch Wind und Sternenraum

Und wanderte immer zu.

Spät abends durchs Feld sah ich sie schon gehn:

Sie wankte oft. Nie blieb sie stehen.

Die arme Evlyn Roe.

Was brauchen den Dirnen die Stirnen breit sein

Viel besser, die Hüften sind breit.

Es kommt mehr heraus und es geht mehr hinein

Und das fördert die Seligkeit.

Liebeslied

Man muß schon Schnaps getrunken haben

Eh man vor Deinem Leibe stand

Sonst schwankt man ob der trunknen Gaben

Von schwachen Knien übermannt.

O Du, wenn im Gesträuche kreisend

Der Wind die Röcke flattern läßt

Und man, das weiche Tuch zerreißend

Die Kniee zwischen Deine preßt.

Den Abendhimmel macht das Saufen

Sehr dunkel, manchmal violett.

Dazu Dein Leib im Hemd zum Raufen

In einem breiten weißen Bett.

Die Wiese schwankt nicht nur vom Trinken

Wenn man in Deinen Knieen liegt.

Der dunkle Himmel will versinken

Indem er sanft sich schneller wiegt.

Und Deine weichen Kniee schaukeln

Mein wildes Herz in Deine Ruh

Und zwischen Erd und Himmel schaukeln

Wir leichtgeschwellt der Hölle zu.

Der Jüngling und die Jungfrau
Keuschheitsballade in Dur

Ach, sie schmolzen fast zusammen

Und er fühlte: Sie ist mein.

Und das Dunkel schürt die Flammen.

Und sie fühlt: Wir sind allein.

Und er küßte ihr die Stirne

Denn sie war ja keine Dirne –

Und sie wollte keine sein.

Oh, das süße Spiel der Hände!

Oh, ihr Herz ward wild wie nie!

Daß er die Kurasche fände

Betet er und betet sie.

Und sie küßte ihm die Stirne

Denn sie war ja keine Dirne

Und sie wußte nur nicht wie …

Und um sie nicht zu entweihen

Ging er einst zu einer Hur

Und die lernte ihm das Speien

Und die Feste der Natur.

Immerhin ihr Leib war Lethe

Bisher war er kein Askete

Jetzt erst tat er einen Schwur.

Um zu löschen ihre Flammen

Die er schuldlos ihr erregt

Hängt sie sich an einen strammen

Kerl, der keine Skrupel hegt.

(Und der haute sie zusammen

Auf die Treppe hingelegt.)

Immerhin sein Griff war Wonne

Und sie war ja keine Nonne

Jetzt erst war die Gier erregt.

Und er lobte sein Gehirne

Daß es klug gewesen sei:

Als er sie nur auf die Stirne

Einst geküßt im sel’gen Mai –

Er als Mucker, sie als Dirne

Sie gestehn Scham auf der Stirne:

Es ist doch nur Sauerei.

Baals Lied

Hat ein Weib fette Hüften, tu ich sie ins grüne Gras.