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Nr. 2696

 

Delorian

 

Er kennt Zukunft und Vergangenheit – und manipuliert eine Superintelligenz

 

Hubert Haensel

 

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Wir schreiben das Jahr 1470 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Auf bislang ungeklärte Weise verschwand das Solsystem mit seinen Planeten sowie allen Bewohnern aus dem bekannten Universum.

Die Heimat der Menschheit wurde in ein eigenes kleines Universum transferiert, wo die Terraner auf seltsame Nachbarn treffen, die sich alles andere als freundlich verhalten. Nach zahlreichen Verwicklungen kann jedoch Reginald Bull einen Waffenstillstand erreichen.

Nun müssen die Menschen ein Eindringen QIN SHIS befürchten, jener negativen Superintelligenz, die sich dieses Taschenuniversum geschaffen hat. Allerdings konnte der Feind nicht damit rechnen, dass sich seine ehemaligen Verbündeten neu orientiert haben und an der Seite

Terras stehen.

Um die Anomalie zu stabilisieren, bedarf es vielerlei Faktoren. Perry Rhodans Sohn weiß das, und daher hat er schon vor geraumer Zeit eine Entwicklung eingeleitet, mit der die Terraner bereits konfrontiert wurden und die sich nun ihrem Abschluss nähert. Allmählich erfahren diese die

Hintergedanken von DELORIAN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Delorian Rhodan – Perry Rhodans Sohn berichtet von seinem Werdegang.

Ennerhahl – Der Agent von ES stellt dessen abtrünnigen Chronisten.

Perry Rhodan – Ein Vater kennt seinen eigenen Sohn nicht.

Mondra Diamond – Eine Mutter sitzt zwischen den Stühlen.

Prolog

Aus den Zeittafeln von Amringhar

 

Es ist im Großen wie im Kleinen: Gleichnisse, Metaphern und Allegorien helfen, das Unanschauliche begreifbar zu machen.

Wenden wir uns der Zeit zu, die von der Genese im INSHARAM ausgehend ziemlich genau achtzehn Millionen Jahre in der Zukunft liegt. Hyperphysiker werden dann für das Multiversum samt den darin geborgenen einzelnen Universen und den Kosmonukleotiden des Moralischen Kodes eine bildliche Darstellung wählen, die in gewisser Hinsicht ebenso für die Zeittafeln von Amringhar und das in ihnen gespeicherte Wissen gültig ist.

Die Zeittafeln stehen für das vom Chronisten angelegte und verwaltete Wissen ebenso wie für den Chronisten selbst, aber auch für ES als Geisteswesen und spätere Superintelligenz. Und das einschließlich ihrer pararealen, alternativen und sonstigen Existenz im Bann der Großen Zeitschleife.

Der Chronist und ES müssen sich selbst als aktiven und passiven Bestandteil der Zeit erleben; sie gestalten die Zeit und sind ihr trotzdem unterworfen. Sie bergen in sich alle vergangenen und zukünftigen Existenzformen, verkörpert durch die Zeittafeln als Chronik der achtzehn Millionen Jahre.

Die Ereignisse sind festgelegt – ebenso wie die Erinnerung eines Menschen an den vergangenen Tag. Dazu genauso offen und von der Freiheit des Willens geprägt wie jede gestrige Entscheidung, bevor sie konkret getroffen wurde.

Grundlegend ist der Zwiespalt, der über die Erfahrung normalsterblicher Wesen hinausreicht. Wer kann, wenn er über sich selbst nachdenkt und gleichzeitig Objekt der Erkenntnis und Erkennender ist, zu einer Erkenntnis kommen?

Im Zen gibt es dafür nur eine Lösung: Satori – die blitzartige, umfassende Erleuchtung, in der Objekt und Subjekt der Erkenntnis miteinander verschmelzen und Erfahrungen erleben, die mit Worten nicht mehr zu schildern sind.

1.

 

Im Holo stand das Sternenmeer der Zwerggalaxis Dranat. Eine orangefarbene Sonne war in der Darstellung hervorgehoben. Ihre vier Planeten wurden grafisch abgebildet, ebenso die von der Ortung im System erfassten Flotten. Aus der Distanz des Beobachters zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, fiel nicht leicht.

Tausende Zapfenraumer bekämpften einander. Im Bereich der Steuerwelt war ein Bruderkrieg entbrannt. Dazwischen agierten terranische Einheiten, die nach den angreifenden Dosanthi aus dem Dimensionstunnel hervorgebrochen waren.

Perry Rhodan vermisste die LEIF ERIKSSON IV. Vor wenigen Minuten hatten ein Dutzend Raumer aus QIN SHIS Flotte das terranische Flaggschiff nahezu eingekesselt und massiv attackiert, seit Sekunden war die positronische Markierung für das zweieinhalb Kilometer durchmessende Kugelraumschiff im Holo verschwunden.

Die LEIF ERIKSSON vernichtet?

Eher hatte Reginald Bull den Rückzug befohlen. Obwohl kein Kontakt zustande gekommen war, glaubte Rhodan, dass sein Freund Bully die Aktion leitete.

Eine Erkundungsmission?

Ein Stoßtrupp?

Rings um das System der Steuerwelt hatten starke Strukturerschütterungen den Weltraum aufgebrochen. In dem düsteren Rot wirbelnder Tryortan-Schlünde schienen sich Raum und Zeit zu vermengen, als müsse daraus etwas völlig Neues entstehen – etwas, das kein menschliches Gehirn begreifen konnte.

Rhodan schaute zur Zeitanzeige.

Es war immer noch der 16. Januar 1470 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, wenn auch inzwischen 17.41 Uhr Terrania-Standardzeit. Der Tag schien sich endlos zu dehnen.

Rhodan verzog die Mundwinkel. Solche Anzeigen sind geduldig und taugen mitunter wenig, wollte ihm eine innere Stimme einreden. Vielleicht bist du längst Jahrtausende von deiner Gegenwart entfernt. Du und MIKRU-JON und ...

Er bemerkte, dass Mondra ihn musterte. Besorgnis lag im Blick seiner Gefährtin.

Rhodan lächelte.

»Alles wird gut!« Das sagte er nicht, er dachte es nur. Die Erfahrung dreier Jahrtausende lehrte ihn, wie schnell sich solche Behauptungen als Trugschluss erweisen konnten. Er tat besser daran, das Unerwartete zu befürchten und sich darauf einzustellen.

Etwas veränderte sich im bronzefarbenen Schimmer der Zentrale von MIKRU-JON. In einer neuen Projektion entstand das Konterfei Eroin Blitzers.

»Alraska hat sich soeben gemeldet«, sagte der Zwergandroide. »Er ist mit dem Weltenschiff und den Einheiten der BASIS-Flotte zurück.«

»Kann Alaska uns das nicht selbst mitteilen?«, fragte Rhodan.

Blitzers Miene blieb unergründlich. Nur seine Augen verengten sich leicht, als er Rhodan ansah.

»Alraska hat den Flug zehn Lichtjahre von der Steuerwelt entfernt beendet«, redete der Androide weiter. »Das modifizierte Antitemporale Gezeitenfeld wurde sofort aktiviert, das Weltenschiff hat eine nahe Sonne angeflogen. Die Kreuzer und Tender der BASIS unter dem Kommando von Oberst Anrene finden in der Sonnenkorona ausreichenden Ortungsschutz.«

»Hoffentlich bleibt es so!« Mausbiber Gucky entblößte seinen Nagezahn. »MIKRU-JON ist gut getarnt, die SCHRAUBE-B als Beiboot einer kobaltblauen Walze ebenfalls, aber ...«

»Der Sonnenorbit ist für die BASIS-Schiffe ausreichend!«, unterbrach Nemo Partijan den Einwand. »Ich gehe jedenfalls nicht davon aus, dass Oberst Anrene die Steuerwelt anfliegen wird.«

»Es gibt derzeit keine Probleme«, bestätigte der Zwergandroide, dessen SCHRAUBE-B relativ nahe vor MIKRU-JON schwebte.

»... sagt Alaska Saedelaere?«, wandte Mondra Diamond ein.

»Sagt Alraska«, bestätigte Blitzer. »Im Übrigen wünscht er, dass ich ihn jetzt zuschalte.«

Die Projektion des Maskenträgers entstand. Der hagere Mann schaute sich kurz um, zumindest war seine knappe Kopfbewegung so zu deuten. Die porzellanfarbene, sanft geschwungene neue Maske, die er seit einiger Zeit trug, verdeckte nicht nur sein Gesicht, sondern umschloss den Kopf fast vollständig. Hinter den Augenschlitzen glühte das Cappinfragment; die Reaktion auf die nahe der Steuerwelt tobenden Energien war unverkennbar heftig.

Saedelaere hob knapp die Hand zum Gruß. »Ich bin überrascht. Ich war nur wenige Stunden fort, aber schon kämpfen im Bereich des Dimensionstunnels Zapfenraumer gegeneinander. Außerdem misst das Weltenschiff eindeutig terranische Einheiten an. Woher ...? – Aus dem Dimensionstunnel?«, gab er sich selbst zur Antwort, wenn es auch wie eine zweite Frage klang.

Perry Rhodan nickte knapp.

Von Pean kommend, hatte das Weltenschiff das System der Steuerwelt knapp vierzig Minuten nach Mitternacht erreicht. Saedelaere wusste daher ohnehin, dass der zweite Planet von Tausenden Zapfenraumern abgeriegelt worden war. Ebenso, dass rund zwei Stunden später 48 Schiffe in Kreisposition um den Planeten gegangen und mit den Blütenblättern der Zeitrose verschmolzen waren. Innerhalb weniger Minuten war von diesen Einheiten ein gewaltiger energetischer Ring über der Ekliptik projiziert worden – der Dimensionstunnel, der augenscheinlich zum Solsystem oder wenigstens in dessen Nähe führte. Alles in Rhodan drängte danach, diese Passage zu nutzen. Trotzdem: Zumindest zum aktuellen Zeitpunkt wäre es unvernünftig gewesen, so zu handeln.

»Du bist gegen vier Uhr morgens mit dem Weltenschiff abgeflogen.« Perry Rhodan blickte das Holo des Maskenträgers abschätzend an. »Danach wurden die Entladungen im Eingangsbereich des Tunnels intensiver, bis sie kurz vor 14 Uhr den Höhepunkt erreichten. Einige Sonden lieferten uns die nötigen Daten. Außerdem maßen die Strukturtaster starke Erschütterungen an.«

»Es hatte den Anschein, als transitierten beachtliche Massen!«, platzte Gucky heraus.

Schweigend schaute Saedelaere von einem zum andern.

»Ein großes Kontingent aus QIN SHIS Flotte bereitete sich darauf vor, in die Anomalie vorzustoßen«, fuhr Rhodan fort. »Das war eindeutig. Um 15.23 Uhr kamen allerdings von der anderen Seite her Zapfenraumer durch den Tunnel – und nach ihnen an die hundert LFT-BOXEN ...«

»Aus dem Solsystem?«, fragte Saedelaere.

»Die Anwesenheit der LEIF ERIKSSON IV, des Flaggschiffs der Liga, beantwortet die Frage ziemlich eindeutig«, sagte Mondra Diamond.

Saedelaere hob beide Arme, als müsse er den Kugelgiganten umfassen. »Demzufolge wurde wirklich ein Durchgang ins Solsystem geöffnet. Von QIN SHI? Oder aufgrund terranischer Intervention?«

Mit beiden Händen machte Rhodan eine abwägende Geste. »Womöglich von dritter Seite ... das ist bislang nicht eindeutig. Jedenfalls gab es wenige Minuten nach Öffnung des Dimensionstunnels kurzzeitig eine seltsame Ortung. Zwei Raumschiffe scheinen mit der Flotte angekommen zu sein. Beide getarnt, aber für einen Sekundenbruchteil wurde diese Tarnung durchlässig.«

»Wir haben keine Ahnung, warum das so war«, wandte Diamond ein. »Vielleicht steckte Absicht dahinter ...«

»Handelt es sich bei den beiden um uns bekannte Schiffe?«, fasste Saedelaere nach.

»Eine 110 Meter durchmessende kugelförmige Sphäre«, antwortete Perry Rhodan. »Offenbar darin eingeschlossen eine zweite Kugel, das Ortungsbild blieb da sehr schwammig. Jedenfalls keine uns bekannte energetische Signatur.«

»Und das zweite?«

»Eine Sphäre von vergleichbarer Größe – unzweifelhaft Ennerhahls modifizierte Lichtzelle.«

»Gibt es Hinweise auf den Verbleib beider Schiffe?«

Rhodan schüttelte den Kopf. »Sie wurden angemessen und sind wieder verschwunden – das ist alles. Wahrscheinlich wurden QIN SHIS Besatzungen nicht einmal darauf aufmerksam, weil rasch eine heftige Schlacht zwischen den Zapfenraumern entbrannte. Da kämpfen Dosanthi gegen Dosanthi, und wir können nur spekulieren, warum das so ist.«

»Ich bin sicher, deine Vermutungen gehen in die richtige Richtung.« Saedelaere winkte ab.

»Wir hätten eingreifen können, aber letzten Endes wäre das aussichtslos gewesen«, sagte Rhodan. »Allerdings dürfte es gelungen sein, eine unverfängliche Nachricht über Relaissonde abzusetzen. Niemand kann damit etwas anfangen außer Bully. Nach dem Empfang der Nachricht wird er wissen, dass ich in der Nähe bin.«

»Was für eine Nachricht?«, fragte der Maskenträger. »Hast du wieder gesungen? ›I'm forever blowing bubbles‹?«

Rhodan schürzte die Lippen. Saedelaere spielte auf die Übergabe der Trägerplattform OLD MAN an die Menschheit an. Zweieinhalb Jahrtausende lag das zurück. Mit diesem Lied hatte Rhodan sich identifizieren müssen. Immerhin: Saedelaere tippte zielsicher in die richtige Richtung.

Rhodan winkte dennoch ab. »Eine direkte Kontaktaufnahme konnte ich wegen der großen Präsenz von QIN SHIS Zapfenraumern nicht riskieren. Deshalb werde ich auch jetzt nicht mehr dazu sagen. Gegen 17 Uhr begann jedenfalls der Rückzug der LFT-Einheiten und der offensichtlich mit ihnen verbündeten Zapfenraumer.

Eine halbe Stunde später stießen die ersten Schiffe aus QIN SHIS Flotte nach – und bisher scheint nicht eines von ihnen zurückgekehrt zu sein.«

»Das heißt dann wohl, dass Bully den Gegnern einen heißen Empfang bereitet«, vermutete der Maskenträger. »Zuzutrauen ist ihm das in jeder Hinsicht.«

»Es gibt noch keine Rückmeldung auf meine Identifikation«, sagte Rhodan. »Solange die Bestätigung fehlt, bewegen wir uns womöglich auf sehr brüchigem Eis.«

»Wieso Eis?«, fragte Partijan verwirrt.

»Das ist eine uralte terranische Redewendung.« Gucky klärte den Hyperphysiker auf. »Bedeutet ungefähr, dass wir jederzeit den Boden unter den Füßen verlieren können. Habe ich recht, Perry?«

Rhodan bestätigte mit einer knappen Geste und wandte sich wieder Saedelaeres Projektion zu. »Ich möchte, dass MIKRU-JON und die SCHRAUBE-B im Weltenschiff einschleusen. Aber nicht in der Nähe der BASIS-Einheiten, um sie nicht zu gefährden.«

»Du bist übervorsichtig.« Saedelaere nickte knapp. »Aber wenn du meinst: Da ist eine Sonne vom Soltyp, fünfeinhalb Lichtjahre von meiner Position entfernt – treffen wir uns dort. Die Koordinaten werden sofort übermittelt.«

 

*

 

Manchmal, meist vor bedeutenden Ereignissen, hatte er das Gefühl gehabt, die Zeit würde zunehmend langsamer vergehen, mitunter sogar stehen bleiben.

Der 16. Januar 1470 NGZ war von Anfang an ein solcher Tag.

Perry Rhodan fragte sich, ob nur er so empfand. Keiner in der Zentrale redete, jeder schien seinen ganz persönlichen Gedanken nachzuhängen. Gucky hatte den Nagezahn entblößt und klopfte mit dem Zeigefinger dagegen. Das war kein erkennbarer Rhythmus, nur eine schläfrig wirkende Bewegung.

Rhodan atmete tief ein. Er hielt die Luft an und konzentrierte sich auf das sanfte Pulsieren des Aktivatorchips unterhalb seines linken Schlüsselbeins.

Eigentlich sollte MIKRU-JON die Zielsonne schon erreicht haben. Aber die Sekunden reihten sich so träge aneinander, als mutiere die Zeit zu einem zähen Medium, zum Sumpf, der begierig festhielt, was in seine Reichweite kam. Über kurz oder lang, argwöhnte Rhodan, würde es kein Weiterkommen geben. Es war ein absonderlicher Gedanke, in der Zeit festzustecken, nicht vorwärts zu können und ebenso wenig zurück.

MIKRU-JON jagte dennoch mit mehrtausendfacher Überlichtgeschwindigkeit dem Treffpunkt entgegen. Zumindest behaupteten das die Kontrollen.

... vor bedeutenden Ereignissen fühlst du so, hallte es in Perry Rhodans Gedanken nach.

Er war Terra nahe – endlich! Terra und Luna, dem Solsystem und den dort lebenden Milliarden Menschen.

Was mochten sie seit der Entführung erduldet haben, erlebt und erlitten? Verzweiflung ... Hoffnung ... Todesangst und trotzdem wieder neue Zuversicht? Rhodan kannte alle diese Gefühle, weil er ihrem Wechselbad oft genug ausgesetzt gewesen war. Er hatte sich damit arrangiert, daran gewöhnen würde er sich nie.

Am 5. September 1469 NGZ, um 18.31 Uhr Terrania-Standardzeit, war das Solsystem von seinem angestammten Platz in der Milchstraße verschwunden. Diesen Zeitpunkt und das Datum würde er wohl nie vergessen.

Er würde auch nie sein Bemühen aufgeben, das Geschehene rückgängig zu machen. Schon zur Zeit der Lareninvasion hatten die Erde und ihr Mond die Heimatgalaxis verlassen. Es war gelungen, beide zurückzuholen.

MIKRU-JON flog im Trafitron-Modus. Die Außenbeobachtung zeigte außer dem schwer definierbaren Brodeln des im Aufruhr befindlichen Raumsektors keine Besonderheiten.

Immerhin Bewegung ... Das bedeutete, dass Zeit verstrich. Perry Rhodan empfand jede Minute wie eine quälende Ewigkeit. In Gedanken war er ohnehin bei Reginald Bull. Hatte der Freund die Nachricht empfangen? Verstehen würde er sie auf jeden Fall: Knochen und ein Damenschuh – Rhodan ist in der Nähe. Die Frage war nur, wie Bully darauf reagieren würde, reagieren konnte.

Vorübergehend bedauerte Rhodan, dass er keinen direkten Kontakt aufgenommen hatte. Seine Vorsicht berücksichtigte eben auch, dass QIN SHI im Hintergrund lauerte.

MIKRU-JON fiel ins Standarduniversum zurück.

Das Manöver hatte das Obeliskenschiff nahe an die Treffpunktsonne herangeführt. Unter voller Tarnung durchstieß das Schiff die Partikelschleier einer davontreibenden Protuberanz. Wenngleich nur für Sekunden, so ließ MIKRU-JON doch eine vorübergehend deutlich sichtbare Spur hinter sich.

»Die SCHRAUBE-B befindet sich auf Parallelkurs!«, meldete Mikru. »Entfernung noch fünfzigtausend Kilometer. – Wir empfangen das Peilsignal des Weltenschiffs. Keine Kurskorrektur erforderlich.«

MIKRU-JON verzögerte mit hohem Wert. Kurz darauf erschien das drei Kilometer durchmessende Weltenschiff in der optischen Erfassung. Im freien Raum, ohne einen nahen Größenvergleich, war es trotzdem nur wie ein Staubkorn. Einen Hauch seiner Besonderheit vermittelten lediglich die fünfzig symmetrisch aus dem Rumpf aufragenden Aufsätze. Sie erinnerten an halbierte Blütenblätter und damit an das BOTNETZ, dessen sich QIN SHI bediente.

18.15 Uhr.

Es war wie eine Vorahnung, die Perry Rhodan zur Zeitanzeige blicken ließ. Sekunden danach meldete Mikru einen eintreffenden Funkspruch.

Es war eine gerichtete Sendung, der bestehenden Tarnung zum Trotz. Demnach verfügte der Anrufer über bessere technische Möglichkeiten als QIN SHIS Flotte. Keines der Zapfenraumschiffe hatte MIKRU-JON bemerkt.

»Ich habe deine Kontaktaufnahme bereits erwartet, Ennerhahl!«, sagte Rhodan, schon während sich das Übertragungsholo aufbaute. »Du siehst mich keineswegs überrascht.«

»Dir ist demnach der unbedeutende Zwischenfall mit der Tarnung aufgefallen. Nun gut ...«

Da stand Ennerhahls lebensgroßes Abbild. Rhodan hätte nur den Arm auszustrecken brauchen, um den hochgewachsenen Humanoiden scheinbar zu berühren. Stattdessen verschränkte er die Arme vor der Brust – eine abwartende Geste, die Ennerhahl mit dem Hochziehen einer Augenbraue quittierte.

»Wie lange bist du mit deiner Lichtzelle schon in diesem Sektor?«, fragte Rhodan. »Du interessierst dich für die terranische Flotte ...?«

»Unterstell mir nicht Interesse an einer Handvoll einfacher Schiffe!«

Ennerhahls tiefschwarze glatte Haut glänzte im fahlen Bronzelicht der Zentrale. Der stete Schweißfilm gehörte zu dem geheimnisvollen Beauftragten von ES ebenso wie sein schulterlanges schwarzes Haar und der Kontrast der grünblauen Augen.

»Es gibt bedeutend Wichtigeres als ein paar LFT-BOXEN oder Schwere Trägerkreuzer«, sagte Ennerhahl dumpf. »Ich habe deinen Sohn gestellt, Perry Rhodan.«

Rhodans Mundwinkel zuckten leicht.

Gucky hörte auf, gegen seinen Zahn zu klopfen. Aus erwartungsvoll weit geöffneten Augen blickte der Ilt das Holo an. Mondra Diamond trat langsam näher. Forschend musterte sie Ennerhahl, als erwartete sie von ihm Antworten auf unausgesprochene Fragen.

»Ich habe es noch nicht auf die letzte Konfrontation ankommen lassen; ich gehe den zweiten Schritt nicht vor dem ersten«, sagte Ennerhahl. »Aber ich habe mit Delorian ein Gespräch vereinbart.«

»Natürlich«, murmelte Rhodan.

Ennerhahl reagierte nicht darauf. »Ich will hören, was Delorian über ES und seine Pläne zu berichten weiß«, fuhr er fort. »Ich erwarte von dieser Unterhaltung wichtige Informationen, die vielleicht dazu beitragen, die undurchsichtige Lage endlich aufzuklären.«

Der Beauftragte von ES machte eine auffordernde, herrisch anmutende Geste.

»Du, Perry Rhodan. Und du, Mondra Diamond. Ich erwarte, dass ihr beide an diesem Gespräch ebenfalls teilnehmt. Es muss an einem neutralen Ort stattfinden – die Gegebenheiten dafür habe ich bereits festgelegt. Ihr beide werdet aber nicht mit MIKRU-JON kommen, sondern mit der SCHRAUBE-B.«

»Warum nicht mit MIKRU-JON?«, wandte Diamond ein.

»Das Gespräch findet umgehend statt, Diskussionen vorher sind unerwünscht und ohnehin wenig zielführend«, entgegnete Ennerhahl schroff. »In diesem Moment werden die Koordinaten für die Zusammenkunft an die SCHRAUBE-B übermittelt. Die kleine Walze muss eine Gesprächsplattform erschaffen ...«

»Wo?«, fragte Rhodan. »Warum treffen wir uns nicht in MIKRU-JON oder an Bord des Weltenschiffs – meinetwegen in dieser seltsamen Doppelkugel. Ist Delorian mit ihr gekommen?«

Ennerhahl verriet mit keiner Regung, ob Rhodan richtig vermutete.

»Eine Plattform im Weltraum ... einige Kilometer von dem kleinen Walzenraumer entfernt!«, sagte der Schwarzhäutige. »Und vor allem: Zögert nicht!«

Übergangslos erlosch die Projektion.

»Was ist mit mir?«, krähte der Mausbiber.

»Nichts. Du hast es gehört.« Rhodan schaute Diamond an.