Erhard Dietl lebt als freier Autor und Illustrator in München. Er hat bisher über 100 Kinderbücher veröffentlicht, mit großem nationalem und internationalem Erfolg. Dafür wurde er u. a. von der Stiftung Buchkunst und mit dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet. Zu seinen erfolgreichsten Figuren gehören die anarchischen Olchis, die sogar Büchermuffel zum Lesen und Lachen bringen. Auch Erhard Dietls Serie über Gustav Gorky, den Außerirdischen, bereitet ihren Lesern viel Vergnügen – ganz besonders den Olchi-Fans!

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Cover und farbige Illustrationen von Erhard Dietl
E-Book-Umsetzung: Reemers Publishing Services GmbH, Krefeld 2012
ISBN 978-3-86274-214-1

Willkommen in Schmuddelfing!

In dem kleinen Städtchen Schmuddelfing kannst du wunderbar Urlaub machen. Du kannst eine Wanderung in die blauen Berge unternehmen oder das Schloss der Gräfin Kreszentia von Wurm und Bakschisch besichtigen. Es gibt eine Tropfsteinhöhle mit uralten Höhlenmalereien, einen Fußballplatz und einen Zoo. Und wenn du willst, kannst du über den Marktplatz bummeln und dir eine Tasse heiße Schokolade kaufen.

Die größte Attraktion von Schmuddelfing ist natürlich der olchige Müllberg. Diese Müllkippe ist etwas ganz Besonderes, denn dort hat vor einigen Jahren die Olchi-Familie ihre Muffelhöhle gebaut: Olchi-Mama, Olchi-Papa, Olchi-Opa, Olchi-Oma, die beiden Olchi-Kinder und das kleine Olchi-Baby.

Als Haustiere haben die Olchis fette Kröten, Schnecken, Ratten, Mäuse und Wanzen, aber am liebsten mögen sie ihren Drachen Feuerstuhl. Mit ihm können sie durch die Gegend fliegen, wenn sie irgendwo hinwollen. Er schläft den ganzen Tag, aber wenn er einmal in Fahrt ist, dann knattert er los, dass einem Hören und Sehen vergeht. Wie die Autos der Schmuddelfinger steht der Olchi-Drache in einer Garage, und die hat ihm Olchi-Papa selbst gebaut.

Ein herrlich sorgenfreies Leben führen die Olchis da auf ihrer Müllkippe. Den lieben langen Tag muffeln und pupsen sie gemütlich vor sich hin. Dabei sind sie so bärenstark, dass sie Kühlschränke mit einer Hand in die Luft stemmen können. Sie fischen sich die krötigsten Leckereien aus dem Müllberg, und alles, was die Schmuddelfinger wegwerfen, können sie gut gebrauchen. Mit großem Appetit verdrücken sie die unmöglichsten Dinge: Schuhsohlen, Autoreifen, Dosen, Flaschen, Gräten und weiß der Teufel was sonst noch alles. Trotzdem bekommen sie nie Bauchweh, und Übelkeit kennen sie gar nicht.

Nur bei frischen Sachen wird es gefährlich für die Olchis. Wenn sie versehentlich etwas Frisches erwischen, werden sie krank und bekommen überall bunte Flecken.

Regenwetter haben sie besonders gern. Dann hüpfen sie durch die schlammigen Pfützen und pfeffern sich fette Matschknödel auf die dicken Knubbelnasen.

In Schmuddelfing hat man sich längst an die Olchi-Familie gewöhnt, und die meisten Schmuddelfinger mögen sie ganz gern. Aber das war nicht immer so. Es gab Zeiten, da rümpften die Leute die Nase, wenn sie einen Olchi zu Gesicht bekamen. Diese kleinen Stinkerlinge müffeln nämlich ganz entsetzlich. Sie waschen sich nie, und ihr Mundgeruch lässt sogar die Fliegen abstürzen und tot auf den Boden fallen. So etwas ist nicht jedermanns Sache. Man kann verstehen, dass einige Leute lieber Abstand halten und die Olchis nur aus der Ferne besichtigen.

Doch in Schmuddelfing merkte man bald, dass diese Olchis eigentlich ganz nützlich waren. Sie verdrückten Unmengen von Müll und waren außerdem eine prima Reklame für den Ort. Der olchige Müllberg hatte sich inzwischen weit herumgesprochen, und in letzter Zeit zog er immer mehr Neugierige an. Die Besucher kamen von weit her, um Fotos von den Olchis zu machen. Das war den Leuten aus Schmuddelfing sehr recht, denn die Touristen übernachteten in den Pensionen und im Hotel, sie kauften Andenken, aßen Eis und tranken Bier, und daran verdienten die Schmuddelfinger viel Geld.

Ewald und Elisabeth

Auch der Bürgermeister von Schmuddelfing schätzte die Olchis sehr. Gerade heute Vormittag hatte er an einem Reklameprospekt für Schmuddelfing gearbeitet. Der Prospekt sollte den Besuchern die Attraktionen der Stadt erklären. Und besonders natürlich den olchigen Müllberg.

Der Bürgermeister war gerade nach Hause gekommen. Er hängte seine Jacke an die Garderobe und hielt Ausschau nach seiner Frau. »Elisabeth! Wo bist du?«

Elisabeth saß draußen auf der Terrasse und telefonierte.

Sicher redet sie schon wieder mit Herrn von Schramm, dachte der Bürgermeister.

Herr von Schramm war Vorsitzender des Schmuddelfinger Kulturvereins, in dem Elisabeth sehr engagiert war.

Sie umgab sich gern mit vornehmen Leuten. Wenn diese Leute auch noch adelig waren, dann imponierte ihr das umso mehr.

Ewald seufzte. Dieses vornehme Getue seiner Frau war ein regelrechter Tick. Je vornehmer und adeliger, desto besser.

Er selbst kam aus bescheidenen Verhältnissen und war froh, dass er es zum Bürgermeister von Schmuddelfing gebracht hatte. Elisabeth wäre Gammelsberg natürlich lieber gewesen. Drüben in Gammelsberg war viel mehr los als hier im kleinen Schmuddelfing.

»In Schmuddelfing versauert man«, hatte sich seine Frau schon oft beschwert.

Jetzt hatte sie ihr Telefonat beendet.

»Hallo, Ewald!«, rief sie. »Habe gerade mit Herrn von Schramm gesprochen. Auch er findet die Idee mit dem Festspielhaus famos!«

»Welches Festspielhaus?« Der Bürgermeister musste überlegen, was sie meinte.

»Herr von Schramm denkt auch, dass es eine gute Idee wäre, hier in Schmuddelfing ein Festspielhaus zu bauen. Für Richard-Wagner-Festspiele. Ich möchte, dass in Schmuddelfing große Opern aufgeführt werden. Das hab ich dir doch schon erzählt.«

»Ah ja, richtig.« Der Bürgermeister erinnerte sich wieder. Seine Frau war neuerdings im Richard-Wagner-Verein. Er selbst mochte Opern nicht besonders, und Wagner-Musik konnte er nicht ausstehen.

»Es geht jetzt um den Standort«, erklärte ihm Elisabeth. »Wir überlegen, wo wir das Festspielhaus bauen könnten. Weißt du, wir dachten da an die Stelle, wo diese Müllkippe steht …«

»Keine gute Idee«, sagte der Bürgermeister schnell.

Elisabeth verdrehte die Augen. »Aber auch Herr von Schramm und Herr von Lauenstein finden den Platz ideal. Man hat von dort eine so schöne Aussicht auf die Stadt. Herr von Lauenstein hat schon erste Entwürfe für das Gebäude machen lassen.«

»Na sieh mal einer an«, brummte der Bürgermeister. »Ganz schön voreilig, dieser Lauenstein.«

»Wieso voreilig? In Gammelsberg haben sie ein Konzerthaus. Und sie haben die Mozart-Tage. Und was haben wir? Nichts. Wir sind eine kulturelle Wüste!«

»Aber wir haben … äh, wir haben zum Beispiel unsere Olchis …«, entgegnete der Bürgermeister. »Jetzt sieh dir das bitte mal an.« Er reichte Elisabeth ein Blatt Papier. »Habe heute einen Entwurf gemacht, für einen Werbeprospekt. Wie findest du ihn?«

Elisabeth nahm das Blatt mit spitzen Fingern. »Immer diese Olchis«, brummte sie. »Ich kann es schon nicht mehr hören. Das ist doch nun wirklich unter unserem Niveau.« Sie warf einen Blick auf den Prospekt, und mit entrüsteter Stimme begann sie vorzulesen:

»Willkommen im schönen Schmuddelfing!

Besuchen Sie unsere wunderbare Müllkippe!

Gönnen Sie sich und Ihren Kindern etwas ganz Besonderes! Machen Sie Fotos! Schauen Sie sich die berühmte Olchi-Familie an. Haare hart wie Draht! Starke Muskeln, wie aus Eisen! Zähne, die alles knacken! Schleime-Schlamm-und-Käsefuß, Olchis sind ein Hochgenuss!

Karten für eine olchige Fotosafari bekommen Sie bei uns im Rathaus …«

Elisabeth mochte gar nicht mehr weiterlesen.

»Ach Ewald!«, seufzte sie. »Findest du, dass das so eine gute Idee ist?«

»Na klar! Und ich hab sogar noch eine zweite gute Idee. Wir gehen morgen in den Zirkus! Der Zirkus Mombelli ist seit heute in der Stadt, und ich hab natürlich jede Menge Freikarten.«

»Ein Zirkus? Muss das sein?« Elisabeth verdrehte die Augen. »So etwas kann ich mir doch auch im Fernsehen ansehen. Da gibt es viel bessere Zirkusshows als diesen mickerigen Mopsbello.«

»Mombelli heißt der Zirkus.«

»Ist doch egal, wie er heißt.«

»Und ich dachte, du freust dich.« Der Bürgermeister machte ein sehr enttäuschtes Gesicht.

»Na gut, jetzt schau nicht so.« Elisabeth gab endlich nach. »Natürlich freue ich mich, wenn du unbedingt willst.«

Sie ging nach oben ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen und sich noch ein wenig zurechtzumachen. Drüben in Gammelsberg war heute eine Veranstaltung des »Vereins zur Pflege musikalischer Tradition«. Die durfte sie auf keinen Fall versäumen, denn dort traf man immer ganz schön wichtige Leute.

Freikarten!

Am nächsten Tag steuerte der Bürgermeister von Schmuddelfing seinen dunkelblauen Mercedes die Landstraße entlang. Er sang vergnügt vor sich hin.

»Hab mein’ Wagen vollgeladen, voll mit schönen Mädchen …« Er schaltete in den vierten Gang.

»Musst du immer so rasen, Ewald?«, fragte Elisabeth.

Sie war nicht so guter Laune wie ihr Mann. Beim »Verein zur Pflege musikalischer Tradition« hatte sie gestern wohl ein Glas Champagner zu viel getrunken. Und nun hatte sie Kopfschmerzen.

»Musst du immer meckern?«, fragte Ewald, aber er fuhr nun ein bisschen langsamer.

»Wieso sagst du immer?«, rief seine Frau. »Wieso sagst du immer immer

»Ich sage doch gar nicht immer immer!«, meinte Ewald entrüstet.

»Doch! Immer sagst du dieses dumme Immer! Du solltest es dir abgewöhnen. Du sagst es nur immer, um mich zu ärgern.«

Der Bürgermeister hatte sich heute Nachmittag freigenommen. Er freute sich auf den Zirkus Mombelli.

Drüben am Stadtrand von Schmuddelfing hatten die Leute vom Zirkus ihr Zelt und ihre Wohnwagen aufgebaut. Höchstpersönlich hatte er ihnen dazu die Genehmigung erteilt.

Das Zirkusgelände lag nicht weit entfernt von der Schmuddelfinger Müllkippe. Deshalb schlug der Bürgermeister vor: »Ich will einen kleinen Abstecher zu den Olchis machen.«

»Muss das sein?« Elisabeth rümpfte die Nase. »Dazu habe ich nun wirklich überhaupt keine Lust.«

»Nur für einen Moment«, meinte der Bürgermeister. »Ich möchte ihnen ein paar Freikarten für den Zirkus geben. Du weißt, dass die Olchis neuerdings auf unserer Ehrenbürgerliste stehen.«

»Du und deine Olchis!«, brummte Elisabeth ungehalten. »Findest du es nicht übertrieben, sie jetzt auch noch zu Ehrenbürgern zu machen?«

Ewald bog in den holprigen Feldweg ein, der hinüber zur Müllkippe führte.

»Sie sind die wichtigste Reklame für unseren Ort«, erklärte er. »Wieso vergisst du das immer wieder?«

Elisabeth wusste, dass er recht hatte. Die Olchis und ihr Müllberg waren inzwischen eine echte Attraktion in Schmuddelfing. Diese kleinen grünen Müllfresser waren schon etwas Besonderes.

Es gab Trinkflaschen, Rucksäcke und Federmäppchen mit Bildern von den Olchis, man verkaufte olchige Spiele, Kuscheltiere, Bleistifte, Schlüsselanhänger und sogar olchige Furzkissen und Schleime-Schlamm in Dosen. Und das alles brachte ziemlich viel Geld in die Schmuddelfinger Stadtkasse.

Trotzdem konnte Elisabeth diese Olchis nicht leiden. Gab es auf der Welt etwas Unvornehmeres als diese Stinkerlinge? Sie konnte es sich nicht vorstellen.

Jetzt waren sie an der olchigen Müllkippe angekommen.

»Was für ein schrecklicher Gestank!«, grummelte die Frau Bürgermeister. »Bitte beeil dich, Ewald. Ich bleibe natürlich hier im Auto.«

»Ist gut«, sagte der Bürgermeister. Auch er wollte lieber nicht aussteigen. Er kurbelte nur das Fenster ein Stückchen herunter und rief zu den Olchis hinüber: »Hallo! Wollt ihr mal herkommen? Ich habe etwas für euch!«

Zum Glück war der Drache Feuerstuhl nirgends zu sehen. Der lag sicher wie immer schlafend in seiner Garage.

Dem Feuer spuckenden Drachen wollte der Bürgermeister nicht so gern begegnen, denn vor ihm hatte er großen Respekt.

Aber die anderen Olchis waren alle da.

Olchi-Papa stand neben der Olchi-Höhle und bastelte an einem merkwürdigen Ding herum, das aussah wie ein riesiger Drachenkopf aus Müllteilen. Mit einem Hammer schlug er gerade lange Nägel in ein Brett.

Die beiden Olchi-Kinder sah man an einem Turm aus Müllteilen herumklettern.

Es sieht aus, als spielten sie Bergsteiger, dachte der Bürgermeister schmunzelnd.

Olchi-Mama badete ihr Olchi-Baby in einer rostigen Wanne. Sie rieb es mit brauner Matschbrühe ein, und das Olchi-Baby quiekte fröhlich vor sich hin.

Olchi-Opa hatte es sich auf einem alten Kohleofen gemütlich gemacht. Er hielt eine fette, verwarzte Kröte im Arm und streichelte ihr den Kopf.

Und Olchi-Oma lag in einer Badewanne und schlief. Sie schnarchte so laut, dass man es über den ganzen Müllberg hören konnte.

»Hallo, Olchis!«, rief der Bürgermeister noch einmal.

Endlich legte Olchi-Papa seinen Hammer zur Seite. Er kam über den Müllberg gestapft und rief: »Muffelfurzteufel! Das ist ja der Herr Bürgermeister! Schleimiger Pappenstiel! Und die liebe Frau Bürgermeister ist auch gekommen!« Olchi-Papa steckte seine lange Knubbelnase durch das Autofenster.

Der Bürgermeister zuckte zurück. »Ich habe ein paar Freikarten für den Zirkus«, sagte er und kramte in seiner Jackentasche. Instinktiv versuchte er, möglichst wenig zu atmen. Olchi-Papas Nase verströmte wirklich einen sehr mülligen Geruch.

Auch die beiden Olchi-Kinder kamen jetzt angelaufen. Sie drückten ihre Knubbelnasen an die Fensterscheiben und befummelten das Auto mit ihren kleinen Olchi-Händen.

Die Frau Bürgermeister hielt sich ihr parfümiertes Taschentuch vor die Nase und blickte mit großen Augen auf die Olchi-Kinder.

»Sie machen uns Kratzer in den Lack!«, zischte sie Ewald zu.

Der Bürgermeister räusperte sich und sagte zu den Olchis: »Gleich beginnt die erste Vorstellung. Habt ihr Lust auf Zirkus?«

»Was für ein Kuss?«, fragten die Olchi-Kinder, und Olchi-Papa meinte: »Hab leider keine Zeit. Muss für unseren Drachen Feuerstuhl ein Geschenk basteln. Er hat morgen seinen dreitausendsten Gefurztag. Ein runder Gefurztag, verstehst du?«

»Äh, klar, das verstehe ich natürlich.« Der Bürgermeister nickte.

»Können wir jetzt endlich weiterfahren?«, sagte Elisabeth hinter ihrem Taschentuch.

Doch die Olchi-Kinder riefen: »Aber wir wollen in den Zirr-Kuss! Wir waren noch nie in einem Zirr und noch nie in einem Kuss!«