SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung
Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für
die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften,
Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-7751-7133-5 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5415-4 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: Satz & Medien Wieser, Stolberg
© der deutschen Ausgabe 2012
SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: info@scm-haenssler.de
Originally published in English under the title: Kisses from Katie
© 2011 by Katie Davis
German Translation © 2012 by SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH
All Rights Reserved.
Published by arrangement with the original publisher, HOWARD BOOKS, a Division of Simon & Schuster, Inc.
Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:
Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006
SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Witten / Holzgerlingen.
Weiter wurde verwendet:
Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
Übersetzung: Herta Martinache
Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch
Titelbild: Front Cover photograph of Katie Davis © Kristin Laughlin; all others © Joseph Terranova;
Back Cover © Kim Nunn
Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg
Für Jesus. Jedes Wort, jeder Atemzug ist für dich.
Und für meine Mädchen Prossy, Margaret, Agnes, Zuula, Mary, Hellen,
Tibita, Sarah, Scovia, Joyce, Sumini, Jane, Grace und Patricia,
denn von euch lerne ich jeden Tag mehr über Gottes
unerschöpfliche Liebe.
Über die Autorin
Stimmen zu »Katie«
Dank
Vorwort
Einleitung
1 – Verliebt – in ein Land
2 – Im Kreuzfeuer des Widerspruchs
3 – Keine Bitte, sondern ein Auftrag
4 – Einfach nur Ja sagen
5 – »Darf ich Mama zu dir sagen?«
6 – Ein verändertes Herz
7 – Großer Hunger, tiefe Freude
8 – Willkommen zu Hause
9 – Alles, was ich brauche
10 – Ein Versprechen, das gehalten werden muss
11 – Das Geheimnis leben
12 – Ein Vorgeschmack auf den Himmel
13 – Unvorstellbare Gnade
14 – Kein Studium, aber eine Ausbildung
15 – Dreitausend Freunde
16 – Nur eines mehr
17 – Ein Zuhause für die Einsamen
18 – Die Kosten berechnen
19 – Eine Jja Ja für uns
20 – Immer genug
Anmerkungen
Leseempfehlungen
Katie Davis Majors hat ihr Herz an Afrika verloren.
Sie leitet das Sozialprojekt Amazima in Uganda.
Ihr erstes Buch »Katie – Leben für Ugandas Kinder« war ein New York Times Bestseller und auch in Deutschland ein großer Erfolg.
»Katie ist ein wunderbarer Hinweis darauf, dass es nicht vom Alter oder der Erfahrung eines Menschen abhängt, wenn er ›Großes‹ für das Reich Gottes leistet, sondern von einer tiefen, überfließenden Liebe. Ich empfehle Ihnen wärmstens, diesen fesselnden Bericht über den Gehorsam gegenüber dem Ruf Gottes zu lesen und zu überlegen, was Sie für ›die Geringsten unter ihnen‹ tun.«
— Dr. Wess Stafford, Vorstandsvorsitzender, Compassion International
»Die Geschichte von Katie Davis lässt sogar Talkshow-Moderatoren stutzen und ungläubig ausrufen: ›Nein, das kann sie nicht wirklich getan haben.‹ Doch, sie hat es getan!
Katie Davis ist eine junge, dynamische Persönlichkeit, die das Evangelium eindrücklich vorlebt und nicht nur ihren Kindern, sondern einem ganzen Dorf, ja einem ganzen Gebiet Liebe und Freude bringt. Ihr Leben bezeugt, was Gott tut, wenn jemand bereit ist, sich von ihm gebrauchen zu lassen.«
— Hugh Hewitt, Moderator der Hugh Hewitt Radio Show
»Ich war schwer beeindruckt, als ich zum ersten Mal Katies unglaubliche Geschichte hörte und freue mich, dass viele Menschen jetzt angeregt und herausgefordert werden.«
— Scott Harrison, Gründer und Vorstandsvorsitzender von Charity: Water
»Ich war in meinem Innersten bewegt, herausgefordert und überzeugt, als ich Katie las und empfand den Wunsch, Jesus so wie Katie kennenzulernen. Dieses Buch ist ein ehrlicher, fesselnder Bericht über den Gehorsamsweg einer jungen Frau gegenüber diesem Jesus, der die ganze Welt liebt, insbesondere die Vergessenen und an den Rand Gedrängten.«
— Mike Erre, Autor von Why the Bible Matters und The Jesus of Suburbia
»Eine atemberaubende Reise in den Schmerz und die Schönheit der Hingabe an Jesus Christus. Katie Davis ist jung und lernt jeden Tag, wie sie noch besser dienen kann. Ihre verwegene, petrusähnliche Liebe stellt ein Christentum bloß, das Jesus ›Herr‹ nennt, aber nur beschränkt bereit ist, zu tun, was er sagt. Lesen Sie dieses Buch nicht, wenn Sie sich nicht in Ihrer Bequemlichkeit, Ihrem Komfort und Ihrem Recht auf Selbstbestimmung stören lassen wollen. Wenn Sie jedoch bereit sind, Glauben in die Tat umzusetzen, erleben Sie hier den tiefen Schmerz und die Freude, die auf einen Menschen warten, der es wagt, sich Gottes Herz zu nähern, sei es durch eine Adoption oder eine andere Art der Liebe gegenüber Notleidenden Waisenkindern.«
— Jedd Medefind, Vorsitzender, Christian Alliance for Orphans
»Katie gehört zu den Büchern, die man nicht einfach weglegen kann. Es wird Sie, im wahrsten Sinne des Wortes, verändern und Ihnen zeigen, wie Sie aus Ihrem alltäglichen Leben etwas Außergewöhnliches machen können.«
— Tom Davis, Autor von Red Letters, Fields of the Fatherless und Priceless
»Als ich Katies Buch las, musste ich unwillkürlich an Amy Carmichael denken. Wie Amy Carmichael zeigt Katie, nicht nur in ihren Schriften, sondern auch mit ihrer selbstlosen Fürsorge für die Vaterlosen, wie erstaunlich und wunderbar Jesus ist. Wenn Sie Jesus mehr lieben und seine Liebe zu den Verlassenen besser verstehen wollen, lesen Sie Katie. Sie ist für unsere Generation das, was Amy Carmichael für ihre Generation war: Eine Heldin, die Gottes Ruf zur Betreuung von Waisen gefolgt ist.«
— Dan Cruver, Leiter von Together for Adoption, Autor von Reclaiming Adoption
»Katie Davis ist für mich als Ehefrau, Mutter und Nachfolgerin von Christus ein Vorbild. Ihre Hingabe an den Herrn und ihre Liebe zu seinen Kindern fordern mich heraus, aufopferungsvoll zu geben, selbstlos zu dienen und meine Erlösung mit radikaler Einsatzbereitschaft zu leben!«
— Heather Platt, Adoptivmutter und Ehefrau von David Platt, Autor von Radical
Für die, die mir am nächsten stehen, ist ein Danke einfach nicht genug, und doch möchte ich folgenden Menschen meinen aufrichtigen Dank aussprechen:
Meinen wunderbaren Kindern: Danke, dass ihr mich zur Mutter gemacht habt. Danke für das Geschenk, das jedes von euch für mich ist, danke für jeden Augenblick, den ich bisher mit euch verbringen durfte. Danke, dass ihr bereit seid, an so vielen Abenden Frühlingsrollen zu essen.
Ihr seid die besten Kinder, die eine Mutter sich wünschen kann, und ich liebe euch für immer und ewig.
Mama, Papa und Brad: Danke, dass ihr an mich glaubt, egal, was geschieht, dass ihr mich immer angespornt habt, meinen Träumen zu folgen und dass ihr mit mir träumt. Mama und Papa, von euch habe ich gelernt, was Liebe ist, wie man mit Stärke, Freundlichkeit, Gelassenheit und Freude lebt. Ich bin überwältigt, wie ihr euch weiterhin für mich und meine Töchter einsetzt. Brad, meine starke Schulter zum Anlehnen und mein größter Mutmacher. Ich bin so stolz, dass du mein Bruder und bester Freund bist. Ich liebe euch alle.
Beth, Curtis und Karen: Danke dafür, dass ihr so viel Zeit und Herzblut in dieses Buch gesteckt habt. Nur deshalb konnte es entstehen. Dass ihr gerade zu dieser Zeit in mein Leben getreten seid, ist ein kostbares Geschenk Gottes. Danke für eure Freundschaft.
Dem Team vom Howard-Verlag: Danke, dass ihr an die Botschaft unserer Geschichte geglaubt habt. Danke für eure harte Arbeit, eure Weisheit und unglaubliche Geduld mit mir, denn ich war nicht fähig, auch nur eine einzige Frist einzuhalten. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich einmal mit solch entgegenkommenden Menschen zusammenarbeiten werde.
Shana, Renee und Matt: Danke, dass ihr dieses Manuskript, lange bevor es ein Buch war, gelesen habt, und dass ihr davon überzeugt wart, dass es ein Buch wird. Danke für all eure Ratschläge, für eure Weisheit, für all die abgewischten Tränen und das Miteinander-Lachen, nicht nur jetzt, sondern immer. Ihr wisst, dass ich diese Liste immer weiter fortsetzen könnte. Ihr drei gehört zu den großartigsten Geschenken, die Gott mir gegeben hat. Danke, dass ihr meine Freunde seid, dass ich bei euch ganz ungezwungen sein kann.
Meinen Freunden und meiner Familie und den bewundernswerten Menschen in Uganda: Danke, dass ich an eurem Leben und euren Empfindungen teilhaben darf und dass ihr mir erlaubt habt, über unsere Beziehungen zu schreiben. Ohne euch gäbe es nichts zu erzählen.
Allen Betern: Allen, die etwas zu essen brachten, die Mädchen tagsüber beaufsichtigten, Besorgungen machten, mir in Ferngesprächen Mut zusprachen, spät abends mit Keksen vorbeikamen und den Kühlschrank mit Cola light füllten. Ihr seid so viele, dass ich euch nicht namentlich nennen kann, aber eure Gebete und eure Freundlichkeit haben mich getragen – mich aufgerichtet und meine Seele erfrischt. Danke.
Mein Gott, der all das geschaffen hat: Ich kann dir nicht genug danken dafür, dass du mich an deinem Plan mitwirken lässt, obwohl du alles alleine hättest machen können. Ich kann nur bitten, dass diese unverdiente Gnade für dich viel bewirkt.
Menschen, die in der Welt wirklich etwas bewegen wollen, tun es meistens auch auf die eine oder andere Weise. Und mir ist eines an den Menschen aufgefallen, die etwas in der Welt bewegen: Sie sind fest davon überzeugt, dass jeder Einzelne überaus wichtig ist, dass jedes Leben zählt. Ein Lächeln macht sie glücklich. Sie sind bereit, einen Hungrigen zu speisen, einen Lernbegierigen zu unterrichten und eine Wunde zu verbinden. Sie wollen nicht unbedingt die Welt mit einem Schlag von Grund auf umgestalten; sie freuen sich über kleine Veränderungen. Mit der Zeit jedoch summieren sich die kleinen Veränderungen. Manchmal können sie sogar Städte und Länder, ja die Welt verwandeln.
Menschen, die in der Welt etwas bewegen wollen, sind auch mal frustriert. Aber sie geben nach einem besonders stressigen Tag nicht auf. Sie machen weiter. Bei all ihren Leistungen sind die meisten erschreckend normal und führen ein recht alltägliches Leben. Sie halten keine großartigen Vorträge, nach denen plötzlich ganzen Gemeinden die Augen aufgehen, sondern sie leiten an, sodass Männer und Frauen, Mädchen oder Jungs sich schrittweise verbessern können. Sie tun nichts, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sondern achten auf die alltäglichen Bedürfnisse von anderen. Sie bewirken Veränderungen, von denen nie jemand liest und mit denen sie keinen Applaus ernten. Und diese Weltveränderer sind so gepolt, dass sie gar nicht daran denken, anders zu leben.
Diese Erkenntnis bekam ich gleich an meinem ersten Tag in einem kleinen Dorf in der Nähe von Katies Zuhause in Jinja in Uganda. Mein Fahrer brachte mich vom Flughafen Entebbe direkt in das Dorf Masese, in dem Katie sich gerade aufhielt. Das Dorf ist ein Ort bitterer Armut; es ist schmutzig und riecht nach dreckigem Abwasser, das in der heißen Sonne in Fäulnis übergeht, ein Geruch, der sich mit dem deutlichen Gestank von schwarz gebranntem Schnaps mischt. Auf einer Fahrt durch Masese sieht man eine unerträgliche Szene nach der anderen … und Katie ist total angerührt, weil sie die Menschen, die hier leben, liebt.
Masese liegt am Fuß eines kleinen Berges. Auf dem Berg liegt eine Schule. Durch das von Katie geleitete Hilfswerk werden die Schüler und, aufgrund einer Sondervereinbarung mit den Schulleitern, auch die Kinder des Dorfes mit Essen versorgt. Auch wenn sie nicht in der Schule eingeschrieben sind. Diese Schule war mein erstes Ziel in Uganda. Es fiel mir nicht gerade schwer, die Schulkinder von den Dorfkindern zu unterscheiden. Das lag natürlich auch an der Uniform, die die Schüler trugen, aber vor allem waren sie sauber, trugen Schuhe und hatten keine laufende Nase und keinen blutenden Mund.
Viele der Dorfkinder schienen krank zu sein, aber ein kleines Mädchen, das ungefähr zwei oder drei Jahre alt war, fiel mir besonders auf. Ihr winziger Körper schien kaum in der Lage, ihren riesigen Bauch zu tragen, und ihre schmutzige Haut war mit nicht identifizierbaren Beulen übersät, die wie Warzen, Blasen und eine Art Ausschlag aussahen. Eine Wunde, die teils schorfig, teils offen war und nässte, bedeckte die Hälfte ihres kleinen Mundes. Ich beobachtete, wie Katie auf dieses kränkliche Kind zuging, es sanft hochhob und auf einen Blick seine Bedürfnisse abschätzte. Sie begann, den anderen Kindern Fragen über die Kleine zu stellen:
»Wer ist dieses Kind?«
»Wie heißt sie?«
»Wo wohnt sie?«
»Wo ist ihre Mutter?«
Zunächst konnte niemand ihre Fragen beantworten. Doch es sprach sich wohl schnell herum, dass »Tante Katie« etwas über dieses Kind wissen wollte, denn bald kam die Tante des Mädchens auf Katie zu und sagte, dass die Kleine Napongo heiße und dass ihre Mutter vor ein paar Monaten nach Kampala gegangen sei. Ihr Vater sei ebenfalls »fortgegangen«. (Fortgegangen ist ein Ausdruck, der in Uganda allzu oft mit Vätern in Verbindung gebracht wird.) Die Tante, die vielleicht zwölf oder 13 Jahre alt war, trug die Verantwortung für das kleine Mädchen.
Nur Minuten später saß ich in Katies 16-Sitzer-Kleinbus, zusammen mit der kränklichen Kleinen, ihrer Tante und vier von Katies Kindern, und wir rumpelten über die holprige Straße zum Haus von Katies Freundin Renee, um Napongo zu baden. Es war das nächstgelegene Haus mit sauberem fließenden Wasser, von dem Katie wusste.
Ehrfürchtig und etwas angewidert beobachtete ich, wie das kleine Mädchen regungslos in der Badewanne stand, während Katie mit der Brause etwas Wasser auf ihre Handgelenke laufen ließ. Ich fragte mich, warum sie bei dem Badevorgang nicht schneller vorging. Doch dann dämmerte es mir: Wahrscheinlich hatte das kleine Mädchen vorher noch nie in einer Badewanne gestanden. Vermutlich hätte Katie sie verängstigt, wenn sie Napongo plötzlich den ganzen Körper abgeduscht hätte. Katie tropfte also etwas Wasser auf ihre eigenen Handgelenke, dann auf die Handgelenke der Kleinen, um ihr zu helfen, sich sicher und wohlzufühlen.
Napongo bewegte sich kaum, als Katie sie zärtlich einseifte. Das klare, saubere Wasser, das aus der Dusche floss, wurde schnell dunkelrot. Und dann trat, überraschend für Katie und mich, die Tante ins Badezimmer, nahm Katie die Seife aus der Hand und begann, das kleine Mädchen abzuschrubben. Ich fürchtete, das Kind würde in Tränen ausbrechen, doch Napongo stand einfach regungslos da, ohne zu protestieren.
Katie und ich schauten zu und stellten uns im Stillen dieselbe Frage: Wie ist es möglich, dass diese junge Tante, die selbst ungewaschen ist und in einem schmuddeligen Dorf im Schmutz lebt, weiß, wie wichtig und dringend Sauberkeit für dieses Kind ist? Sie wusch das kleine Mädchen entschlossen und konzentriert, als würde sie verstehen, dass dies für das Wohlbefinden des Kindes unerlässlich ist. Höchstwahrscheinlich wollte die Tante wirklich, dass Napongo immer sauber und wohlauf sein könnte, hatte aber einfach nicht die Mittel, ihr zu helfen.
Als das Kind gründlich gewaschen war, hüllte Katie sie in ein Handtuch und trug sie zum nächsten Bett. Sie kniete vor ihr nieder und begann, Sandflöhe aus ihren Füßen zu entfernen. In Uganda sind Sandflöhe überall und verursachen viele Probleme. Diese kleinen Insekten nisten sich meist unbemerkt unter der Haut von Menschen ein und legen dort einen winzigen Eibeutel an, der zu einer kleinen Beule wird und wie eine Entzündung aussieht. Das verursacht keine Schmerzen, bis eine ganze Körperfläche befallen ist, aber das Entfernen kann qualvoll sein. Trotzdem: Napongo wimmerte nicht, schrie nicht, ja zuckte nicht einmal, als Katie die Sandflöhe entfernte und die abgestorbene Haut im Umfeld abschnitt. Sie saß einfach still da, während kleine Tränen über ihr Gesicht liefen.
Ich trat ein paar Schritte zurück, lehnte mich in eine Ecke und dachte, so falle ich wenigstens nicht nach hinten um, wenn ich ohnmächtig werde, sondern gleite einfach an der Wand entlang zu Boden. Ich sagte mir, es liegt an der Müdigkeit und dem Jetlag, und das stimmte – zum Teil. Und zum Teil lag es an einer Mischung aus Ekel, Traurigkeit und Schock darüber, dass das Kind so bereitwillig und ruhig diese schmerzhafte Prozedur ertrug.
Unter anderen Umständen wäre mir wohl der Gedanke gekommen, dass das kleine Mädchen zu krank war, um wieder gesund zu werden. Doch weil ich sie in Katies Obhut wusste, hatte ich allen Grund zu der Annahme, dass es ihr bald gut gehen würde.
Ich kannte die Geschichten. Ich hatte Katies Blog gelesen, die Aufzeichnung ihres Lebens und Wirkens in Uganda seit 2007. Ich wusste, wenn es jemanden gibt, der diesem kleinen Mädchen die Liebe und Aufmerksamkeit schenken kann, die es braucht, dann Katie. Mir war klar, dass sie das Kind nicht nur ein paar Stunden an diesem Nachmittag versorgen würde, sondern, falls erforderlich, tage- oder monatelang.
Katie schaute etwa zehn Tage später in Masese nach Napongo. Ihr Zustand hatte sich nicht so sehr verbessert, wie Katie es gehofft hatte. Zwar sah sie schon besser aus als an dem Tag, an dem ich sie das erste Mal gesehen hatte: Ihre Wunde am Mund war fast vollständig verheilt, wahrscheinlich, weil ihre Tante die antibiotische Salbe, die Katie ihr gegeben hatte, weisungsgemäß auftrug. Aber der Bauch des Kindes war immer noch riesig und hart. Die Wunden auf dem ganzen kleinen Körper waren noch da. Die Ugander kennen diese Krankheit und haben einen Namen dafür, den mir aber niemand übersetzen konnte.
Während meines restlichen Aufenthalts in Uganda wohnte Napongo mit uns allen bei Katie. Sie bekam nährstoffreiches Essen und Vitamine, und dazu die Liebe und Zuwendung von vierzehn Schwestern. Dieses Kind, das buchstäblich in Lumpen gekleidet war und immer barfuß ging, weil es keine andere Wahl hatte, trug ein nagelneues Sonntagskleid und ein Paar Schuhe, als es am Sonntag zum ersten Mal in die Kirche ging.
Tief eingeprägt hat sich mir eine Situation: Katie hatte beschlossen, Napongo auf HIV testen zu lassen. Alle 14 Mädchen und ich stiegen mit Katie und Napongo in den Kleinbus und fuhren zu Renees Haus, denn Renee hatte HIV-Test-Sets.
Napongo saß auf dem Küchentisch. Ich hatte mich vorsichtshalber wieder an die Wand gelehnt. Das Kind, das die schmerzhafte Entfernung der Sandflöhe so stoisch ertragen hatte, kreischte panisch, als die Nadel sich in ihre Vene bohrte. Ich hatte das Gefühl, ein Schraubstock presse mein Herz zusammen, als ich beobachtete, wie ihre Blutstropfen auf den Teststreifen fielen. Katie, Renee, ich und ein paar Freunde warteten nervös, denn wir wussten, was das Testergebnis für Napongos Leben und Zukunft bedeuten konnte.
Und dann, nach einem tiefen Seufzer, verkündete Renee fast unhörbar das Ergebnis: »Sie ist positiv.«
In der Küche war es totenstill.
Inzwischen ist Napongos Mutter aus Kampala zurückgekommen und hat gelernt, ihre Tochter zu lieben und für sie zu sorgen. Mit Katies Hilfe bekommt Napongo regelmäßig HIV-Behandlungen, die ihren Körper, der noch vor wenigen Monaten dahinsiechte, neu beleben. Sie geht jetzt in den Kindergarten und rennt und lacht und tanzt und kichert – wie es vierjährige Mädchen normalerweise tun. Katie und ihre Familie besuchen Napongo oft und sind erstaunt und voller Freude darüber, wie sich ihr Leben gewandelt hat.
Napongos Geschichte ist eine von vielen. Viele andere in Katies Gemeinde könnten davon erzählen, wie sie ihre Bedürfnisse erkannt und mit Hilfe und Mitgefühl darauf eingegangen ist. Während meines kurzen Aufenthalts in Uganda konnte ich ein ständiges Kommen und Gehen von Menschen beobachten, die aus den verschiedensten Gründen in Katies Haus kamen oder sie auf der Straße ansprachen. Eine Frau kam mitten in der Nacht. Sie hatte Fieber und fühlte sich schlecht. Schnell zog Katie ein Paar Latexhandschuhe an, entnahm ihr etwas Blut aus dem Finger und machte einen Malariatest. Dann kam jemand zu Katie und bat sie um ein Empfehlungsschreiben, damit er ein Visum für die Vereinigten Staaten bekommt. Ein anderer kam, um mit ihr über seine Schulausbildung zu sprechen. Eine Nachbarin schüttete ihr Herz aus und erzählte von ihren gesundheitlichen und finanziellen Problemen. Als ich sah, dass Katie sich so um jeden kümmerte und tat, was sie konnte, erkannte ich: In Katies Leben gibt es keine Statistiken – es gibt nur Menschen, und jedes Leben zählt.
Das werden Sie auf den folgenden Seiten immer wieder erkennen. Beeindruckend ist nicht nur, dass Katie so lebt, sondern vor allem, wie jemand leben kann, wenn er ein bestimmtes Ziel verfolgt. Menschliches Leid und Not gibt es überall. Katie ist kein Übermensch. Sie ist eine ganz normale Frau, die vor allem Gott gehorchen und Ja zu dem sagen wollte, was er von ihr verlangte. Sie gehorchte Gott und ein großes Abenteuer wartete auf sie. Und jetzt befindet sie sich mitten in einer außergewöhnlichen Geschichte, die jeden Tag viel Freude aber auch Schmerz mit sich bringt und Unverzagtheit erfordert.
Seit Langem schreibt Gott seine Geschichte in Uganda. Er hat in diesen Jahren viele Menschen berufen, um das zu bewirken, was er dort tun wollte. Einige von ihnen haben in diesem Land ihr Leben verloren, und obwohl wir sie nicht kennen, gilt ihnen unsere Anerkennung. Während wir dieses Buch schreiben, geben manche ihr Leben, um bei allem, was Gott heute in diesem Land tut, mitzuwirken. Es sind Einheimische aus Uganda und Menschen aus weit entfernten Ländern; es sind Katies Freunde und Kollegen; es sind ganz gewöhnliche Leute, die einen außergewöhnlichen Gott lieben. Sie sind Teil von Katies Geschichte und Teil von Gottes Wirken in diesem Land.
Wenn Sie ein ganz normaler Mensch sind und Gott nachfolgen wollen, dann finden Sie auf diesen Seiten vielleicht Denkanstöße und Ermutigung. Mögen Sie die Kraft für ein Ja finden und Ihre eigene erstaunliche Geschichte beginnen.
Beth Clark
Ich hatte nicht vor, Mutter zu werden. Oder vielleicht schon, aber nicht jetzt. Nicht bevor ich verheiratet bin. Nicht mit 19 Jahren. Nicht für so viele kleine Leute. Nur gut, dass meine Pläne Gottes Plan nicht wirklich durcheinanderbringen können.
Ich hatte auch nie vor, in Uganda zu leben, einem Fleck auf der Landkarte irgendwo in Ostafrika, auf der anderen Seite des Planeten, weit weg von meiner Familie und allem, was behaglich und vertraut ist. Glücklicherweise sind Gottes Pläne viel besser als meine.
Jesus hat mein Leben komplett umgekrempelt. Solange ich mich erinnern kann, hatte ich alles, was in meiner Welt als wichtig gilt. An der Highschool war ich Klassensprecherin, Ballkönigin und unter den Klassenbesten. Ich ging mit tollen Jungen aus, trug hübsche Schuhe und fuhr einen schicken Sportwagen. Ich hatte wunderbare Eltern, die mich unterstützten und meinen Erfolg so sehr wünschten, dass sie mir jedes Studium bezahlt hätten, das mein Herz begehrte.
Aber ich liebte Jesus.
Meine Liebe zu ihm begann allmählich die Pläne, die ich für mein Leben hatte, und mit Sicherheit auch die Pläne, die andere für mich hatten, zu durchkreuzen. Mein Herz wurde von einer großen Liebe erfüllt, einer Liebe, die mich zwang, anders zu leben als geplant.
Ich war in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen, war zur Kirche gegangen und hatte von klein auf immer wieder von Jesus gehört. Mit zwölf oder dreizehn Jahren begann ich, mich ernsthaft mit der Bibel zu beschäftigen. Je mehr ich las und verstand, was Jesus sagte, umso weniger gefiel mir der Lebensstil, den ich in meinem Umfeld wahrnahm. Allmählich wurde mir klar, dass Gott mehr von mir wollte, und ich wollte mehr von ihm. Er weckte in mir den Wunsch, bewusster und anders zu leben, als die Menschen, die ich kannte.
Langsam aber sicher begann ich, die Wahrheit über mein Leben zu erkennen: Ich hatte Jesus geliebt, bewundert und angebetet, ohne zu tun, was er sagte. Diese Erkenntnis kam nicht über Nacht, ich glaube, sie war schon in meinem Herzen, lange bevor ich es wusste. Sie keimte auf, als ich darüber nachdachte, Freiwilligendienst im Ausland zu leisten. Sie wuchs während meiner ersten dreiwöchigen Reise nach Uganda, und ich verliebte mich in dieses wunderbare Land mit seinen freundlichen, fröhlichen Menschen, die in schrecklicher Armut und in Schmutz leben. Das drängte mich dazu, mehr zu tun. Die Bestätigungen kamen auf so vielen verschiedenen Wegen, dass ich sie nicht ignorieren konnte. Ich wollte wirklich tun, was Jesus sagte.
Also ließ ich mein bisheriges Leben hinter mir.
Zunächst sollte das nur vorübergehend für ein Jahr sein, bevor ich mit dem Studium beginnen und wieder in das normale Leben einer jungen Amerikanerin zurückkehren wollte. Aber nach diesem Jahr in Uganda war es mir nicht möglich, in die amerikanische »Normalität« zurückzukehren. Ich hatte begriffen, worum es im Leben geht und konnte nicht einfach so tun, als wüsste ich es nicht. Also ließ ich mein Leben ein zweites Mal hinter mir, und dieses Mal für immer.
Ich gab mein Studium, meine Designerklamotten und mein kleines gelbes Cabrio auf. Ich verließ meinen Freund. Ich habe jetzt keins mehr von all den Dingen, die westliche Menschen für wichtig halten. Ich habe keine Rentenversicherung und an manchen Tagen habe ich nicht einmal elektrischen Strom. Trotzdem habe ich alles, was wirklich wichtig ist. Ich lebe mit einer Freude und einem inneren Frieden, die so unvorstellbar sind, dass sie nur von einem Ort kommen können, der besser ist als diese Erde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man dieses Glück noch steigern könnte. Jesus hat mein altes Leben genommen, es komplett umgekrempelt und viel schöner als vorher gemacht.
In den ersten Monaten in Uganda, im Herbst 2007, schrieb ich: »Bei meiner Arbeit in einem Dritte-Welt-Land habe ich manchmal den Eindruck, ich würde versuchen, das Meer mit einem Fingerhut auszuschöpfen.« Heute habe ich oft immer noch diesen Eindruck. Ich habe gelernt, dieses Gefühl zu akzeptieren, weil ich erkannt habe, dass ich die Welt nicht verändern werde. Das wird Jesus tun. Ich kann jedoch die Welt für einen Einzelnen verändern. Ich kann die Welt für 14 kleine Mädchen und für 400 Schulkinder und für eine kranke, sterbende Großmutter und für ein unterernährtes, verwahrlostes, missbrauchtes fünfjähriges Mädchen verändern. Und wenn ein Mensch in mir die Liebe von Christus sieht, dann lohnt sich jede Mühe. Dafür lohnt es sich zu leben.
An manchen Tagen bin ich immer noch bestürzt über die Größe der Not und die unglaubliche Zahl von Menschen, die Hilfe brauchen. An vielen Tagen sehe ich die bettelarmen, kränklichen Kinder auf den Straßen der Dörfer, in denen ich arbeite, und ich möchte jedes einzelne aufnehmen, mit nach Hause nehmen, es mit Essen und Kleidung versorgen und lieben. Dann schaue ich auf das Leben von Jesus, der wegen eines einzelnen Menschen stehen geblieben ist.
Also bleibe auch ich stehen und liebe diesen einen Menschen. Denn das ist meine Berufung als Christin. Ich kann nur tun, was eine alleinstehende Frau tun kann, aber das will ich auch tun. Jeden Tag macht mich Jesus fähig, mehr zu tun als ich es je für möglich gehalten hätte.
Oft fragen mich Leute, ob ich mein Leben für gefährlich halte, ob ich Angst habe. Aber ich habe viel mehr Angst davor, bequem zu werden. In Matthäus 10,28 lesen wir, dass wir keine Angst vor denen haben sollen, die den Körper töten können, sondern vor denen, die die Seele töten. Ich bin von Dingen umgeben, die den Körper töten können. Ich komme fast täglich mit Menschen zusammen, die an tödlichen Krankheiten leiden, und oft bin ich die Einzige, die ihnen irgendwie helfen kann. Ich lebe in einem Land, in dem einer der am längsten dauernden Kriege der Welt nur ein paar Stunden von mir entfernt tobt. Kein Ort der Welt ist wirklich sicher. Aber ich lebe in einem Zentrum von Unsicherheit und Gefahren, inmitten von Dingen, die den Körper zerstören können und es auch tun. Warum? Weil ich vor den Dingen fliehe, die meine Seele zerstören können: Selbstgefälligkeit, Behaglichkeit und Unwissen. Ich fürchte mich viel mehr vor einem bequemen Leben in einer eigennützigen Gesellschaft und davor, dass ich es dort nicht schaffe, Jesus nachzufolgen als vor einer Krankheit oder einem Katastrophenfall.
Jesus hat seine Nachfolger zu vielen Dingen berufen, aber ich habe bisher nirgendwo gelesen, dass er uns ermahnt, für unsere Sicherheit zu sorgen. Wir sind nicht zu einem Leben in Sicherheit berufen; uns wurde nur versprochen, dass Gott bei uns ist, wenn wir in Gefahr sind. Und es gibt keinen besseren Zufluchtsort als in seiner Hand.
Solange ich zurückdenken kann, ist einer meiner Lieblingsverse Psalm 37,4: »Freu dich am Herrn, und er wird dir geben, was dein Herz wünscht.« Ich dachte immer, dieser Vers bedeutet, dass Gott alle meine Wünsche erfüllt und meine Träume Wirklichkeit werden lässt, wenn ich tue, was er von mir will, wenn ich seine Gebote befolge und ein »liebes Mädchen« bin. Dieser Vers gehört immer noch zu meinen Lieblingsstellen in der Bibel, aber ich verstehe ihn inzwischen ganz anders. Es geht eben nicht darum, dass Gott meine Träume Wirklichkeit werden lässt, sondern Gott gibt meinem Herzen seine Träume für mein Leben.
Heute lebe ich diese Träume und ich kann mir nicht vorstellen, glücklicher zu sein; ich kann mir kein anderes Leben vorstellen als dieses hier, das sich Tag für Tag weiter entfaltet. Aber Sie können mir glauben mein eigener Lebensplan sah ganz anders aus. Ich dachte, dass ich mit meinem Freund zusammen zur Uni gehe, heirate, Karriere mache, Kinder bekomme, in einem hübschen Haus in der Nähe meiner Eltern wohne, und dort glücklich und zufrieden lebe. Tatsächlich bin ich aber eine alleinstehende Frau, die viele Mädchen großzieht und versucht, in einem Land, das weit entfernt von ihrer Heimatstadt und Kultur ist, anderen Menschen die Liebe von Jesus nahezubringen. Auf diesen Herzenswunsch wäre ich alleine bestimmt nicht gekommen. Nun beobachte ich Gottes Werk und »freue mich am Herrn«, indem ich tue, was er von mir will und indem ich Ja zu den Nöten sage, die er mir jeden Tag zeigt. Er ändert meine Herzenswünsche und bringt sie mit seinen Wünschen in Einklang. Ich gehe mit ihm an finstere Orte, und er verwandelt sie in die schönsten, die ich mir vorstellen kann.
Das klingt irgendwie gut, abenteuerlich, sogar romantisch, nicht wahr? Es ist gut. Und das Verrückte ist, dass es so einfach ist. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist nicht leicht. Aber es ist einfach, da letztendlich jeder von uns geschaffen wurde, um eine bestimmte Sache zu tun. Dieses Tun wird bei jedem anders aussehen. Es findet möglicherweise in einem fernen Land oder auch in Ihrem Garten statt. Aber ich glaube, dass jeder von uns geschaffen wurde, um die Welt für jemanden zu verändern. Jemandem zu dienen. Jemanden so zu lieben, wie Christus uns zuerst geliebt hat, sein Licht leuchten zu lassen. Das ist ein Traum, den wir verwirklichen können. An manchen Tagen ist es scheinbar unerträglich schwer, doch der Segen macht alle Mühsal mehr als wett.
Das hier soll kein Buch über mich sein. Es ist ein Buch über Christus. Es ist ein Buch über einen Christus, der heute lebt und der nicht nur jedes Haar auf meinem Kopf kennt, sondern auch wichtig nimmt. Jedes Ihrer Haare auch. Ich kann es selbst gar nicht fassen, aber ich weiß, dass es stimmt, weil ich es in meinem eigenen kurzen Leben so eindrucksvoll erfahren habe. Ich habe es bei außergewöhnlichen Wundern erlebt und bei Ereignissen, die so alltäglich sind, dass man sie leicht übersieht. Deshalb schreibe ich dieses Buch. Vielleicht erinnert Sie ein Blick in mein Leben und das meiner Familie, das von meiner Dummheit und der Gnade Gottes geprägt ist, an diesen lebenden, liebenden Christus und daran, was es bedeutet, ihm zu dienen. Ich schreibe in der Hoffnung, dass Sie beim Weinen und Lachen mit meiner Familie neuen Mut finden, weil Gott immer noch fehlerhafte Menschen gebraucht, um die Welt zu verändern. Und wenn er mich gebrauchen kann, kann er auch Sie gebrauchen.
Wie ein Blitz durchfährt mich manchmal der Gedanke: Mein Leben ist verrückt! Ich bin 22 Jahre alt und habe 14 Kinder, von denen zurzeit elf zu Hause unterrichtet werden müssen.
Häufig leben noch viele andere Personen bei uns, die Hilfe brauchen: sterbende Großmütter, mittellose Flüchtlinge oder ein paar unterernährte Kinder. Jedes Mal, bevor ich anfange zu kochen, zähle ich sicherheitshalber die Personen, die sich gerade in meinem Haus aufhalten.
Andererseits erscheint es mir an den meisten Tagen völlig normal, wenn ich mit meinem 16-Sitzer-Kleinbus voll singender (oder kreischender) Kinder, Nachbarinnen und gelegentlich unserem zahmen Äffchen über die roten Staubpisten holpere, dass es mir schwerfällt, darüber zu schreiben. Für mich ist an diesem täglichen Wahnsinn nichts Spektakuläres; dieses verrückt klingende Leben entsteht nur daraus, dass ich Jesus in das Unmögliche nachfolge; ich tue das bisschen, das ich tun kann und vertraue darauf, dass Jesus den Rest macht.
Ich habe, wie gesagt, nie daran gedacht, eines Tages ans andere Ende der Welt zu fahren und dort eine große Familie zu gründen. Aber wenn ich zurückschaue, dann sehe ich, wie Gott mich mein ganzes Leben lang schon darauf vorbereitet hat: Er brachte die richtigen Leute zur richtigen Zeit an den richtigen Ort und er stellte mich in Lebensumstände hinein, von denen ich mir nie hätte träumen lassen, dass sie schließlich seiner Ehre dienen würden.
Jahre bevor ich nach Uganda ging, malte ich mir aus, wie ich für Gott und die anderen etwas Unvorstellbares tun würde. Ich habe inzwischen gelernt, dass ich nichts Unvorstellbares tun kann. Aber wenn ich Gott – auch in unmöglichen Situationen – nachfolge, kann er in mir und durch mich Wunder wirken.
An meinem sechzehnten Geburtstag erzählte ich meinen Eltern zum ersten Mal ernsthaft von meinem Wunsch, etwas Ungewöhnliches tun zu wollen. Sie hatten mich zur Feier des Tages in mein Lieblingsrestaurant zu meinem Lieblingsessen, Sushi, eingeladen. Wir waren fröhlich und unbeschwert – bis ich nervös eine Bemerkung fallen ließ, die die Stimmung komplett kippte: »Ich glaube, ich werde nach der Schule für ein Jahr in die Mission gehen, bevor ich mit dem Studium anfange.«
Das Lächeln auf dem Gesicht meiner Eltern verschwand und sie starrten mich verwirrt an. Das ausgelassene Geplauder an unserem Tisch verstummte und mein Ausspruch hing unkommentiert über der fassungslosen Geburtstagsgesellschaft. Es herrschte bleierne Stille.
Eine ähnliche Wirkung hätte es wohl gehabt, wenn ich gesagt hätte, dass ich in der ersten Football-Liga mitspielen oder zum Mond reisen möchte. Ein Jahr Missionsarbeit klang in ihren Ohren genauso abwegig. So etwas hatte es in der Familie Davis noch nie gegeben und ich erwartete schon, dass es für sie völlig indiskutabel war. Mein Vater bestand immer felsenfest auf seinen Wünschen für mein Leben, Wünsche, die auf seiner Liebe zu mir und seiner Sorge um meine Sicherheit und mein Wohlergehen beruhten. Wie die meisten Eltern wollten mein Vater und meine Mutter alles in ihrer Macht Stehende tun, damit ich ein erfolgreiches und angenehmes Leben führen konnte, und sie waren davon überzeugt, dass ein Studium mir eine »gute« Zukunft garantieren würde.
Aber meine Eltern erholten sich von ihrem Schock und sie reagierten bestmöglich: Sie sagten nicht Nein. Sie sagten nur, dass sie noch nicht wüssten, was sie von dieser Idee halten sollten, dass sie aber darüber nachdenken würden. Ich selbst war davon überzeugt, dass mein Wunsch richtig war. Ich war bereit zu gehen; Gottes Sache war es jetzt, meine Eltern zu überzeugen.
In den folgenden 18 Monaten dachte ich immer wieder mal an dieses Gespräch und gab in die Suchmaschinen im Internet das Wort Waisenhaus ein, um mich über mögliche Freiwilligeneinsätze zu informieren. An Uganda speziell dachte ich dabei nicht. Etwa ein Jahr vor meinem Schulabschluss begann ich, mich bei verschiedenen Waisenhäusern zu bewerben. Die erste Antwort kam von einem Heim für Babys in Uganda; sie schrieben, dass sie Freiwillige brauchten. Ich war begeistert und meine Eltern erlaubten mir, in den kommenden Winterferien dort hinzufahren, in der Hoffnung, dass ich dann »geheilt« wäre. Ihre einzige Bedingung war, dass ich einen Erwachsenen finde, der mit mir fahren würde.
Das war klug von meinen Eltern: Natürlich stellte es sich als unmöglich heraus, einen Erwachsenen zu finden, der bereit war, drei Wochen seiner Urlaubszeit, noch dazu über Weihnachten, mit mir in Afrika zu verbringen. Deshalb bat ich meine Mutter inständig, mich zu begleiten. Als sie merkte, wie gerne ich dort hin wollte, und dass ich diesen Wunsch nicht so einfach aufgab, meinte sie, sie würde es sich durch den Kopf gehen lassen. Bald erkannte sie, dass es für mich keine fixe Idee war, sondern dass diese Reise mir wirklich am Herzen lag. Weil sie eine Mutter ist, die sich wirklich wünscht, dass ihre Kinder glücklich sind, sagte sie schließlich widerwillig Ja zu diesem Abenteuer. Es dauerte nicht lange, bis dieser Widerwille sich in gespannte Begeisterung verwandelte, und sie freute sich, dass sie an meinem Traum teilhaben durfte.
Im Dezember 2006 machten wir uns auf den Weg nach Uganda, wo wir drei Wochen Freiwilligenarbeit in dem Heim für verlassene oder verwaiste Babys leisten wollten. In diesen drei Wochen verlor ich einen Teil meines Herzens an einen Ort, den ich noch nie gesehen hatte. Sofort nach meiner Ankunft verliebte ich mich in Uganda. Als ich am ersten Morgen unseres Aufenthaltes aufwachte und mich umschaute, sah ich ein strahlend weißes Lächeln in ebenholzschwarzen Gesichtern, hörte glückliche Stimmen, eine melodische Sprache und leises Lachen. In den Augen der Menschen erkannte ich ihre Kraft und ihren Tiefgang. Ich stellte fest, dass Uganda ein wunderbares Land mit liebenswerten Menschen ist.
Jinja, die meinem Dorf am nächsten gelegene Stadt, liegt am Ufer des Victoriasees und an der Quelle des Nils. Als ich beides zum ersten Mal sah, verschlug es mir den Atem. Genauso erging es mir mit der Farbenpracht an den holprigen, vibrierenden roten Staubpisten, die die üppig grüne Landschaft durchziehen.
Die Menschen, die in diesem faszinierenden Land leben, erstaunten mich mit ihrer Freundlichkeit und sanftmütigen Persönlichkeit. Ich beobachtete staunend, wie Rinder, Ziegen und Hühner sich frei in den Dörfern bewegten, während neugierige Kinder zwischen den Hütten und behelfsmäßigen Geschäften (es waren kleine Läden, die Dosengetränke oder Waschbecken oder Handyguthaben verkauften) umherliefen. In der Stadt erlebte ich einen Alltag, wie man ihn überall auf der Welt finden kann: Die Leute in den Hauptstraßen von Jinja kauften ein, gingen zur Bank oder trafen Freunde und plauderten auf dem Gehsteig. In den Dörfern sah ich Männer und Frauen, die Mais schälten, kochten, miteinander sprachen oder einfach am Straßenrand saßen und das Dorfgeschehen beobachteten.
Egal, ob ich in der Stadt oder draußen in einem Dorf war, Kinder waren überall. Wenn sie jemanden mit einer anderen Hautfarbe sahen, kicherten und kreischten sie. Manche rannten fröhlich auf einen zu, andere schrien und flohen beim Anblick jedes Ausländers. Diejenigen, die keine Angst vor mir hatten, ergriffen begierig meine Hände, als ob wir beste Freunde wären. Es fiel mir leicht, mich in sie und dieses Land voll unvorstellbarer Schönheit aber auch extremer Armut zu verlieben.
Die meiste Zeit verbrachten wir im Heim, wo wir die vielen Kinder fütterten, ihre Windeln wechselten, mit ihnen spielten und Unterricht gaben. Immer mehr schloss ich die Kinder und die Frauen, die im Waisenhaus arbeiteten, in mein Herz. Schon damals ging eine einschneidende Veränderung in mir vor.
In Tränen aufgelöst verließ ich am Ende unserer Reise das Land und die Menschen, die jetzt ein Teil von mir waren. Ich weinte auf dem ganzen Weg zurück nach Tennessee und es war mir klar, dass ich eines Tages zurückkehren würde. Mit Komfort, Bequemlichkeit und Luxus konnte ich nach dieser Reise nichts mehr anfangen. Stattdessen entschied ich mich dafür, die Herausforderungen anzunehmen, Opfer zu bringen und alles zu wagen, um etwas zu tun, an das ich glaubte. Das war mir klar geworden, als ich im Waisenhaus Babys gebadet und Windeln gewechselt hatte, als ich mit größeren Kindern zusammen Steine in den Fluss geworfen hatte, und alles in meiner Macht Stehende versucht hatte, um die offensichtlichsten Grundbedürfnisse dieser Menschen zu befriedigen. Mein Herz hatte seine Freude darin gefunden, den wunderbaren Menschen zu dienen, die die Welt »arm« nennt, die aber reich an Liebe sind. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Gott viele Jahre bevor ich Uganda auf einer Landkarte finden konnte, mein Herz für dieses Land vorbereitete; es gibt keine andere Erklärung für diese Liebe auf den ersten Blick.
Nach meiner Rückkehr in die USA, es war das letzte Halbjahr vor meinem Abschluss, war ich wie besessen von Uganda. Während des Unterrichts schaute ich häufig auf die Uhr und rechnete aus, wie spät es dort war, und dann stellte ich mir vor, was meine Freunde in Uganda gerade machten. Ich erzählte so viel über Uganda, dass bestimmt alle meine Freundinnen in Amerika das Bedürfnis hatten, mir zu sagen, ich solle den Mund halten. Ich wusste, dass ich zurückkehren musste.
Während der drei Wochen in Uganda hatte ich einen Pastor kennengelernt, der ein Waisenhaus am Stadtrand von Jinja leitete. Er hatte vor, eine Vorschulklasse zu eröffnen und fragte mich, ob ich dort unterrichten würde. Der Gedanke schien mir etwas abwegig zu sein, denn ich hatte außer meiner Mitarbeit im Kindergottesdienst kaum pädagogische Erfahrung. Doch er war sich sicher, dass ich die geeignete Person für diese Arbeit sei. Zurück in Amerika, stellte ich fest, dass ich zu allem bereit war, nur um in mein geliebtes Uganda zurückzukehren, auch wenn es bedeutete, plötzlich Vorschullehrerin zu sein.
Als mein letztes Schuljahr dem Ende zuging und nach vielen Gesprächen und zahlreichen Gelegenheiten, die bewiesen, dass es mir mit meiner Rückkehr nach Uganda ernst war, erklärten sich meine Eltern damit einverstanden, dass ich den Beginn des Studiums ein Jahr hinausschiebe. Ich versprach, nur ein Jahr in Uganda zu bleiben und nach diesem Jahr in die Vereinigten Staaten zurückzukehren und mich an der Universität einzuschreiben. In der Zwischenzeit hatte ich mich bereit erklärt, Vorschullehrerin in einem kleinen Elendsviertel am Rand von Jinja in Uganda zu werden.
Viele meiner Freundinnen und Angehörigen konnten meinen Wunsch, so lange so weit weg zu leben, nicht nachvollziehen, aber niemand konnte dadurch meine Begeisterung dämpfen. Ich war zwar immer wieder auch etwas nervös, doch die meiste Zeit war ich vor lauter Vorfreude auf dieses Abenteuer überglücklich.
Mein Vater, der immer noch nicht besonders begeistert von meinem Studiumsaufschub war, machte sich viele Sorgen. Er hatte immer hart gearbeitet, um seiner einzigen Tochter alles zu geben, was sie brauchte oder wollte, und auch deshalb hatte er viele Bedenken gegen das Abenteuer, auf das ich mich so freute. Er weigerte sich, mich allein so weit wegfahren und fast ein Jahr lang an einem Ort leben zu lassen, den er nicht einmal kannte. Deshalb beschloss er, mit mir nach Uganda zu fliegen und eine Woche mit mir dort zu bleiben, damit er den Ort, der mich so fesselte, gründlich unter die Lupe nehmen und sich versichern konnte, dass ich dort gut aufgehoben sein würde.
Ich erinnere mich gut, wie ich an dem Morgen, an dem mein Vater und ich abreisten, in meinem überaus komfortablen Bett aufwachte. In einem Nobelviertel, in dem die meisten Frauen regelmäßig viel Geld dafür bezahlten, dass ihre Hände perfekt manikürt und der Rasen tadellos gepflegt war, und wo wahrscheinlich die wenigsten den Wunsch verspürten, für ein Jahr nach Ostafrika zu gehen, aß ich mein letztes Stück Toastbrot mit Erdnussbutter, als alle meine Freundinnen hereinströmten, um sich tränenreich zu verabschieden. Das Abschiednehmen von meinen besten Freundinnen, von meinem Freund, in den ich so verliebt war, dass ich ihn eines Tages heiraten wollte, und von meinem kleinen Bruder, ging mir sehr ans Herz. Ein Teil von mir fragte sich, wie ich all das zurücklassen konnte, doch der andere Teil war mehr als bereit zu gehen.
Der Flug von den USA nach Uganda ist lang, egal für welche Strecke man sich entscheidet. Er ist lang, egal ob man über Amsterdam, über London oder über den Nahen Osten fliegt. Ich hatte viel Zeit, mich auf das kommende Jahr zu freuen, aber teilweise weinte ich, wenn mir bewusst wurde, wie lange ich meine Familie und meine besten Freundinnen nicht sehen würde.
Mein Vater verbrachte die gesamte Zeit seines Aufenthaltes in Uganda mit dem Versuch, mich zu überreden, mit ihm am Ende der Woche zurück in die USA zu fliegen. Er mochte den Schmutz nicht, den er sah.
Ihm gefielen die offensichtlich zu erkennenden Krankheiten vieler Leute hier nicht; und es gefiel ihm gar nicht, wie manche Männer hier eine junge weiße Frau anschauten oder mit ihr sprachen. Er wollte mich ungern in diesem Land zurücklassen, das ihm so fremd war, doch er konnte auch beobachten, wie glücklich ich hier war. Am Ende der Woche wusste er, dass mein Herz hier schon zu Hause war und er alleine in die USA zurückkehren würde.
Die folgenden Wochen brachten viel Freude, aber auch Frustration. Ich richtete mich langsam in meinem Zimmer ein, das nicht größer als zwei Quadratmeter war und im hinteren Teil des Hauses des Pastors lag. Das Haus stand auf dem Gelände des Waisenhauses, in dem 102 Kinder im Alter von zwei bis 18 Jahren lebten.
Es fällt mir schwer, mit Worten zu erklären, welche Liebe ich für diese Kinder empfand oder warum ich überhaupt Liebe für sie empfand. Ich glaube, viele Leute hätten bei einem Blick auf die Kinder nur ihre schmutzigen Kleider, den Wundschorf auf den Köpfen oder den Rotz gesehen, der sich als Kruste um ihre Nasenlöcher legte. Sie hätten sich in den Schlafräumen des Waisenhauses umgesehen, mit dem glatten Zementboden, wo Ratten und Kakerlaken hausten, und hätten sich geekelt. Gott ließ mich diese Dinge nicht sehen.
Um ehrlich zu sein, ich sah mich selbst in diesen kleinen Gesichtern. Ich schaute sie an und empfand unvorstellbare Liebe, und ich wusste, dass Gott mich genauso sieht. Die Kinder rannten auf mich zu und brachten mir Steine oder Schmutz als Geschenke und ich sah mich selbst, wie ich mein sündiges und gescheitertes Leben Gott, dem Herrn des Universums, hingebe und ihn bitte, etwas Schönes daraus zu machen. Ich sitze hier, klein und verdreckt, in einer kaputten Welt zu seinen Füßen, und er, der so hoch oben ist, beschließt trotzdem, mit mir Gemeinschaft zu haben und mich zu lieben. Er verschließt die Augen vor meiner Sünde und vor dem Dreck in meinem Leben, sodass er eine Beziehung mit mir aufbauen kann. Und genauso hatte er es in mir für diese wertvollen Kinder vorbereitet. Er hatte meine Augen vor dem Schmutz und der Krankheit verschlossen, und ich sah nur Kinder, die nach der Liebe hungerten, die ich ihnen geben wollte. Ich liebte sie so sehr, aber nicht aus eigener Kraft, sondern weil Gott so groß ist. Ich setzte mich einfach auf den kalten Boden und schmiegte meine Nase an ihre schmutzigen Hälse und küsste die mit Ekzemen bedeckten Köpfchen und sah das alles nicht einmal. Ich war verliebt.
Von dem Augenblick an, an dem ich hier ankam, war ich immer beschäftigt, glücklich und erschöpft, da ich unaufhörlich Babys in den Schlaf wiegte, Kleinkindern vorlas, mit Vorschulkindern spielte und die Fünf- bis Sechsjährigen betreute. Am Vormittag arbeitete ich in der Vorschule und die meisten Nachmittage verbrachte ich mit den Zwei- bis Sechsjährigen im Waisenhaus, denn die älteren Kinder waren tagsüber in der Schule und kamen erst gegen 17 Uhr zurück.