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Ziemer & Falke, Burkholder

Fallbeispiele für

Hundetrainer

Die 12 häufigsten Verhaltensprobleme

© 2015 Kynos Verlag Dr. Dieter Fleig GmbH

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eBook-Ausgabe der Printversion

eBook-ISBN: 978-3-95464-052-2

ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-95464-034-8

Bildnachweis: Alle Bilder Privat Ziemer/Falke außer:

S. 9 u. Burkholder;

S. 52, 54, 62,65, 67, 87, 124-125, 136 u., 148-150, 161 Oliver Berkhausen;

S. 167 Stefan Kirchhoff;

S. 78 u. 171 www.fotolia.de

Umschlag: Kynos Verlag/www.fotolia.de

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Inhaltsverzeichnis

Unsere Autoren

Vorwort

Informationen zum Umgang mit diesem Buch

 

Praxisbeispiele

1 Mathilda – Plötzliche Aggressionen gegen Artgenossen

2 Lucy – bleibt nicht allein

3 Teddy – ein Hund, der Angst vor seinem Futter hat

4 Nudel – ein Goldie mit „Biss“

5 Lilli – in ihrer Welt gefangen

6 Gino – der kleine Ressourcenwächter mit dem Bindungsproblem

7 Luna – die Trauernde

8 Hannes – der Beziehungsschreck

9 Milla – eine Berner Sennen-Hündin wird nicht stubenrein

10 Otto – ein Pechvogel ohne Grenzen

11 Lino – der Auswanderer

12 Spike – ein Hovawart beißt plötzlich ein Kind

13 Zusammenfassung wichtiger Begrifflichkeiten für Hundetrainer

Nachsatz

Danksagung

Sie möchten mehr?

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Unsere Autoren

Kristina Ziemer-Falke und Jörg Ziemer

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Kristina Ziemer-Falke und Jörg Ziemer sind behördlich zertifizierte Hundetrainer mit jeweils diversen Zusatzqualifikationen auf dem Gebiet der Hundeerziehung und Verhaltensberatung. Gemeinsam gründeten sie das Schulungszentrum Ziemer & Falke, das sich auf die qualitativ hochwertige Ausbildung von Hundetrainern in Deutschland und Österreich spezialisiert hat und auf die behördliche Zertifizierung vor den Tierärztekammern vorbereitet. Darüber hinaus bilden sie Hundeverhaltensberater, Diabetikerwarnhunde sowie Blindenführhunde aus und leiten mehrere Hundeschulen. Als Fachbuchautoren haben sie bereits etliche Bücher veröffentlicht und schreiben für diverse Zeitschriften und Magazine.

Victoria Burkholder

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Victoria Burkholder studierte Germanistik und Psycholinguistik an der LMU München und ist seit vielen Jahren als Zeitschriften-Redakteurin und in der Objektleitung/-konzeption im Special-Interest-Bereich Tiere, insbesondere Hunde, tätig.

Seit 2013 gehört sie unter anderem mit zum Team des Schulungszentrums Ziemer & Falke.

Vorwort

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Die Tätigkeit als Hundetrainer ist spannend und abwechslungsreich. Nahezu jeden Tag lernen wir neue Hunde, deren Halter und auch ihre Probleme kennen. Unsere tägliche Arbeit wird durch die unterschiedlichen Charaktere und Beziehungen ungemein bereichert. Hunde und ihre Halter unterstützen zu dürfen und zu einer verbesserten Mensch-Hund-Beziehung beizutragen, ist auch nach vielen Jahren immer noch herausfordernd und befriedigend zugleich.

Mit diesem Buch möchten wir Hundetrainern das während ihrer Ausbildung erlernte Fachwissen noch einmal in Fallbeispielen veranschaulichen. Wir haben daher zwölf häufige Verhaltensauffälligkeiten von Hunden ausgewählt und ausführlich beschrieben. Jedes Kapitel behandelt ein Thema wie beispielsweise trennungsbedingte Störungen, Aggressionen gegenüber Männern, territoriale Aggressionen, Aufmerksamkeit forderndes Verhalten, Unkontrollierbarkeit et cetera. Warum? Ganz einfach: In einer spannend erzählten Geschichte verpackt können wir uns wissenschaftliche Erkenntnisse noch besser einprägen, als wenn wir die Informationen einfach nur einem reinen Fachbuch entnehmen. Darüber hinaus werden Trainingsansätze und Techniken wie Clicker, Alltags-Planungen, Grundgehorsam, Medikamentengabe, Ritualisierung und Deritualisierung im Kontext des jeweiligen Falles noch einmal genau erklärt.

Dieses Handbuch ist in erster Linie für ausgebildete Hundetrainer geschrieben worden, daher ist es dem Fachjargon entsprechend angepasst. Doch auch für Nicht-Hundetrainer ist dieses Buch sicherlich interessant und aufschlussreich, daher finden Sie, lieber Leser, im letzten Teil des Buches eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Fachbegriffe noch einmal erklärt.

Informationen zum Umgang mit diesem Buch

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Lieber Leser, liebe Leserin,

bevor Sie mit dem Lesen dieses Buches beginnen, möchten wir Ihnen gerne noch einige Informationen zur Handhabung geben.

Dieses Buch ist unterteilt in zwölf Fallbeispiele. Jedes Kapitel ist für sich gesehen eine kleine Geschichte und behandelt jeweils ein Problem. Es ist daher nicht erforderlich, dass Sie die Kapitel der Reihe nach durchlesen. Da die Fallbeispiele nicht aufeinander aufbauen, können Sie auch erst mit dem Praxisbeispiel beginnen, das Sie am meisten interessiert.

Zum besseren Verständnis sind die Fallbeispiele gleich strukturiert. Sie werden feststellen, dass zu Beginn eines jeden Kapitels die Situation geschildert wird, dann das Ziel, der Auftrag und die Beschreibung der Erwartungen der Hundehalter folgt. Wir verdeutlichen Ihnen in diesem Buch, welche Fragen ein Hundetrainer gezielt stellen sollte, um zu einer richtigen Diagnose und Prognose zu gelangen. Warum? Ganz einfach: Fragen stellen kann jeder, nur müssen es die richtigen sein, um zu einer professionellen Einschätzung zu gelangen. Sie werden erkennen, wie wichtig die „Vorarbeit“ des Hundetrainers ist. Ist eine Situation falsch eingeschätzt, können die darauf aufgebauten Trainingsansätze womöglich nicht den gewünschten Erfolg bringen oder sogar kontraproduktiv sein. Wir empfehlen daher eine genaue Durchleuchtung und intensive Beschäftigung mit dem jeweiligen Problem – und zwar von allen Seiten. Wir zeigen Ihnen, wie es geht.

Dieses Buch ist absichtlich in einer einfachen Sprache gehalten. Unser Anliegen war es, ein interessantes Buch für Sie zu schreiben, das Fachwissen aus dem kynologischen Bereich so einprägsam und präzise wie möglich behandelt. Darüber hinaus wünschen wir uns, dass Ihnen dieses Werk als Begleiter und Nachschlagewerk dient – ein guter Freund, auf den man sich stets verlassen kann.

Wir wünschen Ihnen nun viel Spaß beim Lesen!

Ihre Kristina Falke,
Ihr Jörg Ziemer
und Ihre Victoria Burkholder

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Praxisbeispiele

1

Mathilda

– Plötzliche Aggressionen gegen Artgenossen

Mathilda hatte es nicht leicht in ihrem bisherigen Leben. Der hellbraune Windhund-Schäferhund-Mischling wurde von ihren Vorbesitzern ins Tierheim gegeben. Dort musste Mathilda mehrere Monate verbringen, bis die Heßkamps sie im Alter von etwa anderthalb Jahren entdeckten und zu sich holten. Die beiden Rentner hatten im Laufe der Zeit bereits mehrere Hunde besessen und die zarte Mathilda schien ihnen der perfekte Partner für den ruhigen „Lebensabend“ zu sein.

Den Tierheim-Mitarbeitern war nie etwas Ungewöhnliches an Mathilda aufgefallen. Sie hatte Spaß am Leben und verstand sich mit allen Menschen und Artgenossen hervorragend. Diesen Eindruck hatten auch Frau und Herr Heßkamp.

Nach etwa zwei Jahren begann das Rentner-Ehepaar jedoch zunehmend Probleme mit Mathilda zu bekommen, die mittlerweile dreieinhalb Jahre alt war: Die Hündin zeigte scheinbar plötzlich und völlig ohne Grund Aggressionen gegenüber Artgenossen. Sie ließ andere Hunde nicht mehr an sich heran und biss sogar mehrfach zu. Die Heßkamps wurden ihr körperlich kaum noch Herr und beschlossen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zum Zeitpunkt unseres ersten Kontaktes war Mathilda vier Jahre alt und kastriert.

Der erste Besuch / Die erste Konsultation

Bereits per Telefon hatten uns die Heßkamps einen ersten (sehr subjektiven) Überblick über ihre Situation mit Mathilda gegeben. Um mehr zu erfahren und die Mix-Hündin live zu erleben, verabredeten wir uns zu einem ersten Treffen in unserer Praxis. Eine Konsultation zu Hause schien uns nicht notwendig, da die beschriebene Problematik stets außerhalb des häuslichen Umfeldes auftrat und offensichtlich nichts mit territorialem Verhalten zu tun hatte. Mathilda verhielt sich in unserer Praxis sehr aufmerksam, zeigte leichte Unsicherheitsanzeichen, aber erkundete die Räumlichkeiten und uns Hundetrainer sehr genau und interessiert.

Die Heßkamps waren beide sehr freundlich, offen und liebten augenscheinlich ihre Mathilda heiß und innig. Sie erzählten von den Hunden, die sie vor Mathilda in ihrem Leben begleitet hatten, und berichteten einstimmig, dass sie einen Fall wie Mathilda bisher noch nicht erlebt hatten: Die Hündin verweigere zunehmend den Kontakt mit Artgenossen, so die Heßkamps. Sie wolle inzwischen „nicht einmal beschnuppert werden“ und würde andere Hunde sofort, ohne vorheriges Drohverhalten, „wegschnappen“ und so „heftig nach vorne schießen“, dass die Heßkamps bereits Zerrungen in den Armen davongetragen hätten.

Zweimal musste der jeweils andere Hund zum Tierarzt gebracht werden, weil Mathilda ihn verletzt hatte.

Die Heßkamps konnten sich das merkwürdige Verhalten nicht erklären. Da beide erneut betonten, dass die ersten beiden Jahre mit Mathilda ohne Schwierigkeiten verlaufen waren, vermuteten wir ein einschneidendes Ereignis, welcher Art auch immer, als Auslöser für die plötzliche und sich steigernde Verhaltensänderung. Auch, wenn die Heßkamps das verneinten! Vielleicht handelte es sich um etwas, das sie selbst gar nicht wahrgenommen hatten bzw. nicht als möglichen Auslöser betrachteten. Zeit für uns, genauer in die nähere und weitere Vergangenheit der Hündin einzutauchen, um ihrer Verhaltensveränderung auf den Grund zu gehen!

Anamnese

Nach der ersten, doch sehr einstimmigen Schilderung des Ehepaares Heßkamp kristallisierten sich für uns bereits einige Punkte heraus, die wir genauer hinterfragen wollten.

1.Seit wann genau zeigte Mathilda verstärkt Aggressionen?

2.Gegen wen richten sich diese Aggressionen?

3.Wie heftig sind die Attacken (Beißgrad-Bestimmung)?

Antworten der Heßkamps

Zu 1:Die Heßkamps schätzten, dass Mathilda seit ca. einem halben Jahr verstärkt Aggressionen zeigt.

Zu 2:Speziell gegen Hündinnen, aber auch gegen Rüden und Welpen! Menschen gegenüber ist Mathilda jedoch friedlich, auch ältere „gestandene“ Hunde geht sie nicht an.

Zu 3:Für die Interpretation von Mathildas Problematik ist dies ein wichtiger Punkt, da Biss nicht gleich Biss ist.

Der erste von Mathilda angegriffene Hund wurde dem Tierarzt vorgestellt. Es gab jedoch keinen schriftlichen Bericht, nur die mündliche Mitteilung des Hundehalters, dass es sich bei den Verletzungen um zwei Kratzer gehandelt hatte. Beim zweiten Hund wurden die Verletzungen genauer dokumentiert. Ein Bericht des Tierarztes lag vor. Der Hund wurde mit dem Beißgrad 3 an Hals und Kopf verletzt.

Beißgrad

Aggression gegen Menschen

Aggression gegen Hunde

Vergleich: menschliches Verhalten

Grad 1

Knurren, Zähne zeigen, Bellen, Fixieren, Schnappen, kein Beißkontakt

Knurren bis Schnappen, kein Beißkontakt (Schlappohr kann verletzt werden)

Streiten, Drohen

Grad 2

Einzelner leichter Biss, kein Blut, Kratzer/blauer Fleck bis zum länglichen Riss

Einzelner leichter Biss, kein Blut

Stoßen, Schubsen

Grad 3

Einzelner Biss, 1 bis 4 Bissverletzungen, die höchstens halb so tief gehen wie die Länge eines Hundezahnes

Einzelner Biss, Biss in den Rücken, Kopf oder Hals, 1 bis 4 Bissverletzungen, die höchstens halb so tief gehen wie die Länge eines Hundezahnes

körperlicher Angriff, Schlag

Grad 4

Mehrfacher oder einzelner Biss mit Verletzungen, die tiefer gehen als die Länge eines halben Hundezahns, Beuteschütteln

Mehrfacher oder einzelner Biss mit Verletzungen, die tiefer gehen als die Länge eines halben Hundezahns oder Bisse in Füße, Beine oder den Bauch

Angriff mit Körperverletzung

Grad 5

Mehrfache Bisse, die tiefer gehen als die Länge eines halben Hundezahns, Beuteschütteln, schwere Verletzungen

Mehrfache Bisse, (schwere) Verletzungen

Angriff mit schwerer Körperverletzung

Grad 6

Todesfall

Todesfall

Angriff mit schwerer Körperverletzung und Todesfolge

Beißgradtabelle nach James O`Heare

(James O‘ Heare, Das Aggressionsverhalten des Hundes, Animal Learn Verlag, 2003)

WICHTIG FÜR UNS:

Zwischen den beiden Beißvorfällen lagen etwa zwei Wochen. Eine Steigerung der Intensität war also zu notieren.

Die Heßkamps hatten den Eindruck, dass Mathilda aus beiden Beißereien als „Gewinnerin“ hervorging.

Subjektive Wahrnehmung berücksichtigen!

Sämtliche Beschreibungen unserer Kunden können wir nur unter Vorbehalt mit ins „Protokoll“ aufnehmen. Denn wir können ihr kynologisches Wissen, zumindest zu Beginn der Verhaltensberatung, nicht einschätzen. Wir müssen berücksichtigen, dass es für einen Laien sehr schwer ist, richtig einzuordnen, wer beispielsweise in einer Auseinandersetzung von Hunden „angefangen“ oder wer „gewonnen“ hat. Wir wissen ebenfalls nicht, ob subtile Drohgebärden des Hundes vielleicht übersehen wurden. Durch menschliches Einwirken kann es zudem häufig zu Kommunikationsänderungen zwischen den Hunden kommen – und das verändert den Gesamtverlauf des Konfliktes.

Es ist daher das A und O einer erfolgreichen Verhaltensbehandlung, alles genau zu hinterfragen, um sich ein bestmögliches Bild von der Problematik zu machen.

Ein erstes Fazit

Weiterhin sind wir der Ansicht, dass es ein Ereignis für den Beginn von Mathildas Problemen gegeben haben muss. Denn anfangs war die Hündin unauffällig – und scheinbar aus heiterem Himmel zeigte sie steigerndes aggressives Verhalten. Weitere Detektivarbeit war also nötig, um den Grund herauszufinden.

Am einfachsten lassen sich die Informationen über eine Tendenz oder eine Entwicklung von Verhalten gemeinsam mit dem Besitzer in Form einer Grafik erarbeiten.

 

Es gibt folgende Verlaufsformen:

Progressiv

Stabil

Abnehmend

Zyklisch

 

Eine steigende Tendenz (progressiv) deutet auf erlerntes Verhalten durch eine instrumentelle Konditionierung hin.

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Progressiver Verlauf

Wenn ein progressiver Verlauf verlangsamt oder stabilisiert werden kann, sieht es für die Halter häufig immer noch wie ein Misserfolg aus: Eine weitere Verschlimmerung wurde zwar gestoppt, das Problem besteht aber noch.

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Abstoppen des progressiven Verlaufs

Bei einem zyklischen Verlauf (sehr leicht möglich bei Scheinträchtigkeit, Läufigkeit) kann eine spontane Besserung irrtümlich wie ein Behandlungserfolg aussehen.

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Zyklischer Verlauf

Ein plötzlich auftretendes Verhalten deutet auf ein Trauma hin. Was ist zu dieser Zeit vorgefallen, als das Verhalten begann?

Weitere Maßnahmen

Organische Erkrankungen ausschließen

Wie immer müssen vor Beginn einer Verhaltenstherapie zunächst organische Ursachen als Grund für Verhaltensveränderungen ausgeschlossen bzw. vorhandene mit einbezogen werden. Bei Mathilda hätte durchaus eine schmerzinduzierte Aggression vorliegen können. Krankheiten können plötzliche Aggression auslösen, die Konzentration und Lernfähigkeit einschränken oder die Frustrationstoleranz senken.

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Plötzlich auftretendes Verhalten

Wir sahen uns den Verlauf von Mathildas Gesundheitszustand an. Doch Mathilda war im Großen und Ganzen vital. Keine auffälligen, sich wiederholenden Krankheiten. Auch Schilddrüsenprobleme waren bereits vom Tierarzt ebenso ausgeschlossen worden, wie andere Erkrankungen, die aggressives Verhalten zur Folge haben können (Tumore, verminderte Sehkraft, Taubheit, schmerzhafte Erkrankungen z.B. des Bewegungsapparates, etc.). Auch wir sahen uns Mathilda noch einmal gründlich an, beobachteten ihre Reaktionen auf Geräusche und ihre Bewegungen. Alles schien normal, keine Anzeichen von Schmerz oder irgendwelchen Handicaps.

Einmal hatte sich Mathilda mit einer Erkältung von Frau Heßkamp angesteckt, aber ohne Auswirkungen auf ihr Verhalten.

Das Einzige, was auffiel, war, dass Mathilda mit etwas über drei Jahren aufgrund von Mamma-Tumoren kastriert wurde. Der Eingriff verlief komplikationslos.

Da sich Heßkamps, wie erwähnt, nicht an einen konkreten Auslöser für Mathildas Verhalten erinnern konnten, beschlossen wir einen sogenannten Zeitstrahl anzulegen. Hier werden alle (bekannten) Lebensereignisse von Geburt des Hundes an chronologisch aufgelistet. Besitzerwechsel, Todesfälle in der Familie, Umzüge, Geburten, Scheidungen der Besitzer, Erkrankungen des Hundes oder seiner Besitzer, Operationen und so fort. Die Geschichte eines Hundes und seines Umfeldes wird sozusagen gründlich rekapituliert.

Anlegen eines Zeitstrahls

Ein Zeitstrahl ist ein wichtiges Diagnoseinstrument

1.Er dient der Visualisierung der bisherigen Lebensabschnitte des Hundes.

2.Die Erinnerung des Hundehalters wird durch das Rekonstruieren und schriftliche Festhalten des Lebenslaufes angekurbelt.

3.Mögliche Unstimmigkeiten, aber auch bisher unbemerkte Zusammenhänge können aufgedeckt werden.

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In Mathildas Fall war über ihre Vorgeschichte wenig bekannt. Daher blieb der erste Teil des Strahles, sprich die ersten anderthalb Jahre ihres Lebens, relativ leer. Zur Verdeutlichung der fehlenden Information zeichnen wir in diesen Teil eine „Blackbox“ ein.

Androgenisierung (= Vermännlichung)

Dieses Phänomen zeigt sich bei weiblichen Welpen, die in einem Wurf mit einem deutlichen Überschuss an Rüden geboren werden. In diesem Fall kann im Laufe der ca. 63-tägigen Trächtigkeit eine „Vermännlichung“ der weiblichen Föten stattfinden, da sie im Mutterleib einem sehr hohen Anteil männlicher Hormone ausgesetzt sind. Erkennen kann man eine Androgenisierung bei Hündinnen später unter anderem an verstärkter Aggressionsbereitschaft im Umgang mit Artgenossen und/oder anderen Sozialpartnern.

 

WICHTIG: Zeigt eine Hündin allgemein ein stärkeres Aggressionsbild als normal, das aber weder zyklusabhängig ist, noch durch traumatische Erlebnisse ausgelöst wurde, sollte man als Ursache stets die Möglichkeit einer Androgenisierung im Mutterleib in Erwägung ziehen. In diesem Fall sollte von einer Kastration abgesehen werden, da diese absolut kontraproduktiv wäre. Denn mit der Entfernung der Eierstöcke werden auch die wichtigsten „Produktionsstätten“ der weiblichen Hormone entfernt. Dadurch entsteht ein ungünstiges Verhältnis von weiblichen zu männlichen Sexualhormonen und damit eine höhere Aggressionsbereitschaft.

Wir halten es für besser, eine „Blackbox“ zu verwenden, als auf dem Zahlenstrahl reine Vermutungen zu notieren, die möglicherweise zu falschen Schlussfolgerungen verleiten.

Das Wenige, das aus Mathildas Zeit vor den Heßkamps bekannt war, erwies sich allerdings als sehr aufschlussreich! Denn: Mathilda stammte offensichtlich aus einem sehr großen Wurf, in dem sie die einzige Hündin war. Und in solchen Fällen kann es zu einer sogenannten Androgenisierung der weiblichen Welpen kommen.

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Anhand des Zeitstrahles rekapitulierten wir weiter:

Mathilda wurde als Welpe zum ersten Mal vermittelt. Ihre Besitzer kamen jedoch mit ihrem Charakter nicht klar. Sie entschieden sich für einen anderen Hund und gaben Mathilda in einem Tierheim ab, wo sie sieben Monate blieb, bis die Heßkamps sich in sie verliebten.

WICHTIG: Wir sehen auch das Tierheim oder eine weitere Pflegestelle als „Übergangsfamilie“ an. Denn der Hund verbringt oft eine lange Zeit dort und sieht diese als Orientierungspunkt an. Daher ist es in einem Anamnesegespräch auch immer wichtig, nachzufragen, was im Tierheim/in der Pflegestelle mit dem Hund geschah und was er dort erlebt hat.

Auch wenn der bereits unter dem Punkt „Organische Krankheiten“ erwähnte „Schnupfen“ zeitlich nicht mit dem Aggressionsbeginn in Verbindung zu stehen schien, zeichneten wir diese Krankheitsphase dennoch in den Zahlenstrahl ein, denn es darf kein Aspekt übersehen werden, der – wenn auch zunächst unwichtig scheinend – zur Lösung des Falles betragen könnte.

Als Nächstes befassten wir uns systematisch mit Mathildas Zyklus, denn auch kastrierte Hündinnen können zyklisches Verhalten zeigen. Hündinnen gelten nach einer Kastration nicht als neutral. Auch danach produziert der Körper sogenannte Neurosteroide (= Sexualhormone) im Körper aktiv weiter. Wir fragten nach dem Zyklusverlauf, ob er „nach Plan“ verlief oder ob es Auffälligkeiten gab. Frau Heßkamp berichtete, dass Mathilda stets Schwierigkeiten hatte. Sie zog sich während der Läufigkeit zurück, zeigte anfangs jedoch keine erhöhte Aggressionsbereitschaft. Auch im Tierheim hatte man Mathildas Verhaltensänderungen während der Läufigkeit bemerkt und die Heßkamps darüber informiert.

Als Mathilda etwa drei Jahre alt war, stellte sich, während einer Routineuntersuchung beim Tierarzt heraus, dass die Hündin unter Mamma-Tumoren (= Tumoren in der Gesäugeleiste, diese können gut- oder bösartig sein) litt. Der Tierarzt empfahl eine sofortige Kastration, da diese das Risiko erneuter Tumore, zumindest gutartiger, senken kann.

Heßkamps ließen ihre Hündin also drei Monate nach der letzten Läufigkeit kastrieren. Die Wahl des optimalen Zeitpunktes ist dabei wichtig, um Komplikationen zu vermeiden. Drei Monate nach der Hitze ist der Spiegel an Östrogen und anderen Geschlechtshormonen besonders niedrig. Die Heßkamps hatten sich hier also ganz richtig verhalten und der Eingriff konnte unter den besten Bedingungen vorgenommen werden. Mathilda überstand den Eingriff sehr gut.

WICHTIG: Nachdem wir die Kastration auf dem Zahlenstrahl eingetragen hatten, wurde deutlich: die Aggressionen begannen etwa fünf Monate nach der OP, ein wichtiges Indiz für uns!

An dieser Stelle nahmen wir uns die Zeit und erklärten den Heßkamps, was im Körper einer Hündin bei der Kastration passiert und wie lange es dauert, bis der Körper nach dem Eingriff den neuen „Normalzustand“ erreicht hat.

Wir sahen uns nun den Zeitpunkt zwischen Kastration und Aggression noch intensiver an. Es stellte sich nach genauerer Nachfrage unsererseits folgendes heraus:

Die Heßkamps hatten sich tatsächlich getäuscht. Mithilfe des Zeitstrahls erinnerten sie sich: Mathildas Aggressionen steigerten sich langsam und traten nicht „plötzlich“ auf. Anfangs ist diese schrittweise Veränderung den Heßkamps nur schlicht nicht aufgefallen. Erst auf unser Nachhaken hin fielen ihnen kleinere Vorfälle wieder ein. Ihre subjektive Wahrnehmung hatte nicht den Tatsachen entsprochen. Die Fragen, die wir stellten, waren folgende:

Hatte Mathilda sich innerhalb der nächsten sechs Monate nach der Kastration verändert? Optisch wie auch in ihrem Verhalten?

Haben sich Unarten gezeigt, die sie vorher nicht zeigte? Bei dieser Frage erinnerte sich Herr Heßkamp, dass es etwa zwei Monate nach der Kastration zu einer Situation kam, die er als ungewöhnlich empfand: Mathilda ging eine ihr bekannte Hündin an, als diese in ihre Nähe kam. Herr Heßkamp führte das auf mögliche Schmerzen nach der OP zurück. Diese Schilderung war ein wichtiger Schritt in unserer Ursachenforschung: Mathilda konnte natürlich tatsächlich Schmerzen gehabt haben, das Verhalten konnte aber auch mit der Androgenisierung in Zusammenhang stehen – und damit ein erster Beleg für unseren Verdacht sein. Ausgehend von dieser Geschichte arbeiteten wir nun nach dem Ausschlussverfahren.

1.Ließ sich Mathilda nur schwer an der OP-Narbe oder unter dem Bauch anfassen? – Nein

2.Leckte sie die Stelle nach dem Fädenziehen öfters? – Nein

3.Zeigte sie im Gangwerk Einschränkungen? Beim Springen, Strecken, Treppen laufen? – Nein

4.Verweigerte sie Handkontakt unter dem Bauch? – Nein

Herr Heßkamp konnte alle folgenden Fragen verneinen, so dass die Wahrscheinlichkeit einer schmerzinduzierten Aggression sehr gering war und vernachlässigt werden konnte.

Dann stellten wir eine weitere Frage und zwar, ob sich Mathildas Ausdrucksverhalten verändert hatte bei dem Zusammentreffen mit der Hündin. Herr Heßkamp bejahte dies. Sie wirkte imposanter und willensstärker. Nach weiteren Fragen musste es sich um eine offensive Körperhaltung gehandelt haben. Sowohl die offensive Stimmung als auch die nicht vorhandenen Schmerzen stützen unsere These. Hat eine Androgenisierung stattgefunden, so will die Hündin den Konflikt und den Streit. Mathilda hatte mit anderen Hunden Konflikte erlebt und entsprechende Erfahrungen gemacht.

Heßkamps störte Mathildas Veränderung erst, als sie immer kräftiger wurde, sich die ersten Gelenkschmerzen durch den Leinenzug einstellten und die Aggressionen aus Sicht der Heßkamps „gefährlich“ wurden. Nun stimmte auch Frau Heßkamp zu, dass Mathildas Verhalten anderen Hunden gegenüber schleichend offensiver wurde.

Bei Frau Heßkamp fiel der Groschen, als wir ihr den Unterschied zwischen defensivem und offensivem Drohen erläuterten. Nun hatte sie ein Bild und erkannte die Veränderungen bei Mathilda wieder. So natürlich für uns Hundetrainer die vielfältigen Facetten des Ausdrucksverhaltens sind, dürfen wir nicht vergessen, dass die meisten Hundehalter dies nicht kennen und wir ihnen eine Anleitung geben müssen.

Kastration: Allgemeine Infos

Eine Pauschalantwort zur Kastration kann es nicht geben. Wir müssen bedenken, dass wir immer nur die Sicht der Verhaltensberatung vertreten können. Ein Tierarzt hat eine andere medizinische Sichtweise auf den Organismus des Hundes. Folgende Eckdaten zu wissen, helfen aber auf jeden Fall bei der Beratung des Kunden:

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Eine Kastration kann nur in bestimmten Fällen bei einem Verhaltenstraining hilfreich sein.

Lernen hat positiven Einfluss auf den Gesamtorganismus und verspricht größere Erfolge als eine „Kastration zur Abhilfe“.

Eine Kastration wirkt bei Rüden oftmals erleichternd, wenn es sich um testosteron-abhängige Handlungen handelt, wie etwa Aufreiten (sexuell motiviert, nicht aber, wenn es Übersprungshandlungen sind!), Markieren, Suche nach Hündinnen (Streunen), und so weiter. Ebenso auch bei Aggressionen, deren Ursache im erhöhten Testosteronspiegel liegen.

Eine Kastration bei einer Hündin wirkt sich erleichternd aus, wenn die Aggressionen in Zusammenhang mit ihrem Zyklus stehen. Darunter fallen auch die Läufigkeit und die Scheinträchtigkeit mit allen ihren Verhaltensweisen.

Bei der Kastration einer Hündin steigt im Ganzen jedoch der vorher eher geringe prozentuale Anteil des Testosterons, da durch den Eingriff die zuvor dominierenden weiblichen Sexualhormone sinken. Das könnte Aggressionen fördern.

Eine Frühkastration ist laut vieler Tierärzte aus medizinischer Sicht förderlich, um das Risiko von Krankheiten zu reduzieren, dennoch bleiben viele Hunde in der Entwicklung stehen und verhalten sich nicht immer ihrem Alter entsprechend. Das kann unter Umständen zu Kommunikationsproblemen mit anderen Hunden führen. Daher sind eine ausführliche Beratung und ein individuelles Abwägen vor einer Kastration unumgänglich.

Diagnose

Mathildas Probleme entstanden eindeutig durch die Kastration. Die Steigerung des aggressiven Verhaltens innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten nach der Operation verlief exakt parallel zum Einpendeln ihres Körpers auf den neuen Hormonspiegel. Ein Paradebeispiel dafür, dass die Kastration bei Hündinnen in einem zeitlichen Zusammenhang zur Entwicklung von Aggressionen steht, die im Wesentlichen durch den Mangel an weiblichen Hormonen hervorgerufen wird. Zusätzlich dazu war Mathilda ohnehin von Geburt an eine sehr männliche Hündin (siehe Androgenisierung). Salopp gesagt: Die Kastration hat ihre „Männlichkeit“ noch verstärkt, da die regulierenden weiblichen Hormone nun endgültig zu wenig waren und damit die Konfliktbereitschaft des Hundes erhöhen.

Therapie

Ein kniffliger Fall, denn: Eine Kastration ist nicht mehr rückgängig zu machen. In diesem Fall arbeiten wir hauptsächlich über Managementmaßnahmen und Verhaltenstraining.

Die Heßkamps fragten uns, ob man mit der Gabe weiblicher Hormonen eine Art „künstlichen Nicht-Kastrationsorganismus“ herstellen könne. Wir rieten ihnen jedoch ab, da noch weitere Eingriffe in Mathildas Hormonhaushalt nicht ratsam wären. Zudem belastet die dauerhafte Gabe von Medikamenten den Organismus sehr stark.

Wir schlugen folgendes vor

1.Heßkamps sollten in ihren Führungsqualitäten geschult werden. Mathilda soll entspannt Herrchen und Frauchen folgen können, die beiden wiederum souverän den Chefsessel ausfüllen. Dazu gehören die bekannten Basics wie Sitz, Platz, Hier, Leinenführigkeit und auch ein Abbruchsignal.

2.Des Weiteren empfahlen wir die Konsultation eines guten Tierheilpraktikers, der sich auf gynäkologische Probleme spezialisiert hat. Alternative Heilmethoden können hervorragend begleitend und unterstützend zur Verhaltenstherapie eingesetzt werden und haben im Gegensatz zu chemischen Medikamenten keine oder nur sehr geringe Nebenwirkungen.

3.Mathilda wird zunächst unter unserer Anleitung, später von den Heßkamps selbstständig, kontrolliert mit anderen Hunden in Kontakt gebracht.

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Techniken dazu:

Desensibilisierung: Mathilda soll in möglichst entspanntem Zustand mit Hunden zusammengebracht werden. Zunächst aber nur aus der für Mathilda gewünschten Distanz, so dass sie keine Stressanzeichen zeigt! Die Distanz darf nur schrittweise verringert werden, und nur solange Mathilda es mit gutem Gefühl akzeptiert.

Auch mit einer Umkonditionierung (= alternatives Verhalten anbieten und belohnen) und instrumenteller Gegenkonditionierung (= positives Bestärken des gewünschten Verhaltens) soll eine Verhaltensverbesserung erzielt werden

Troubleshooting

Heßkamps wurden von uns geschult, in „Gefahrensituationen“ richtig zu reagieren beziehungsweise diese zu umgehen. Dazu sollten sie lernen:

Die Körpersprache von Mathilda deutlich lesen zu können.

 

Wir nutzen dazu verschiedene Lerntechniken:

Videoaufnahmen von Mathilda in verschiedenen Situationen, wie beim Schlafen, Spielen, Fressen, in Interaktion mit Menschen und anderen Hunden, bei Stadtbesuchen und auf normalen Spaziergängen. Mathilda zeigte auf den Videos viele Facetten und Heßkamps lernten mit uns, diese zu deuten.

Bewusst andere Hunde zu lesen. Dazu filmten sie fremde Hunde und analysierten gemeinsam mit uns deren Körpersprache.

Frühzeitig – etwa durch eine Umkonditionierung – zu reagieren, wenn Mathilda erste Drohgebärden zeigt. Durch ein früheres Erkennen können Heßkamps die Aggressionen eher umlenken und unschöne Situationen im Keim ersticken.

Auch den Kontakt zu anderen Hundehaltern zu suchen und mögliche Probleme durch Management-Maßnahmen im Vorfeld auszuschließen. Dies kann durch einfache Kommunikationsmaßnahmen geschehen: „Bitte leinen Sie jetzt Ihren Hund an“, „Wir sind im Training, bitte gehen Sie weiter“, und so weiter. Vorausschauendes Handeln steht auf dem Programm.

Prognose

Ohne Fleiß würde es bei Mathilda keinen Preis geben! Wir wiesen die Heßkamps darauf hin, dass viel Geduld und vor allem konsequentes Gegensteuern nötig sei, um Mathildas Problem in den Griff zu bekommen. Die einzige Komponente, die nämlich noch trainiert werden kann, ist die Konsequenz und Führungsqualität der Heßkamps. Mathildas Wesen wird bleiben, wie es ist.

Erfolg

Von einem 100%-igen Erfolg waren die Heßkamps zunächst meilenweit entfernt. Herr Heßkamp hielt sich nicht an die Spielregeln und wurde es zunehmend leid, einen so „schwierigen Hund“ zu besitzen. Die Tatsache, dass die Kastration „Schuld“ war und diese nicht mehr rückgängig zu machen war, frustrierte ihn sehr.

Frau Heßkamp dagegen gab sich alle Mühe und erzielte in den ersten drei Monaten aufgrund ihres konsequenten Trainings sehr große Erfolge.

Herr Heßkamp war weiterhin demotiviert und frustriert, vor allem, weil Mathilda sich mehr und mehr seiner Frau zuwandte.

Er kam mit der Hündin nach wie vor nicht zurecht.

Jetzt, nach einem Jahr, hat sich bei den Heßkamps Einschneidendes verändert: Die beiden haben sich getrennt. Mathilda lebt bei Frau Heßkamp.

Frau Heßkamp erzählt uns von ihrem Kampf mit und für Mathilda: eine Besserung des Verhaltens um 50 bis 60% hat sie erreicht. Dies scheint das Höchste der Gefühle zu sein, doch für Frau Heßkamp ist das in Ordnung. Sie kann inzwischen sehr gut mit Mathildas Verhalten umgehen. Mathildas „Erzfeinden“ gehen die beiden einfach aus dem Weg, denn hier wäre aufgrund der hormonellen Ursache bei Mathilda Hopfen und Malz verloren.

2

Lucy

– bleibt nicht allein

Mischling Lucy kam auf einem Bauernhof zur Welt. Die Border Collie-Spitz-Mischlingshündin war die kleinste und zarteste im Wurf von sieben Welpen. Von Anfang an wurde sie liebevoll von der Bäuerin bemuttert, die sich als langjährige Hundebesitzerin außerdem um eine gute Sozialisation und Habituation der Welpen bemühte.

Habituation:

Gewöhnung an die Umwelt und Umweltreize

Sozialisation:

Erlernen von sozialen Kompetenzen

Für ihre zukünftige Familie, die Schmidtkes, war Lucy die Erfüllung eines lange gehegten Traumes. Und auch dort ging es für Lucy eigentlich unter optimalen Bedingungen weiter: Frau Schmidtke hatte sich umfangreiches kynologisches Wissen angeeignet und war sehr darauf bedacht, ihre Hündin gut zu erziehen.

Doch: Man kann sie nicht alleine lassen. Jedes Mal, wenn Lucy zurückgelassen wurde, urinierte sie in die Innenräume und setzte sogar zwischendurch Kot ab. Zum Zeitpunkt unseres ersten Besuches war Lucy drei Jahre alt.

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Der erste Besuch bei Lucy / Die erste Konsultation

Da Lucys Problem in den eigenen vier Wänden auftrat, entschieden wir uns für ein erstes Treffen mit Lucy und ihrer Familie in Form eines Hausbesuches. Herr und Frau Schmidtke waren anwesend, ebenso zwei der drei Kinder (11 und 13 Jahre alt, der 18-jährige Sohn war außer Haus). Wir stellten fest: Lucy hat es gut getroffen; sie lebt mit ihren Menschen in einem geräumigen, freistehenden Haus mit großem Garten, zur Familie gehören außerdem zwei Kaninchen und Goldfische. Die Mischlingshündin selbst war bei unserem Besuch absolut entspannt.

Wie wir von der Familie erfuhren, verliefen die ersten drei Jahre mit Lucy völlig problemlos. Gemeinsam mit Frauchen legte Lucy die Begleithundeprüfung, diverse Hundeführerscheine, den Sachkundenachweis und einen freiwilligen Wesenstest ab. Sie ist eine Musterhündin, die bestens mit Kindern, Erwachsenen, Artgenossen und anderen Tieren zurechtkommt.

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Wir baten nun Frau Schmidtke, die sich als Lucys Hauptbezugsperson herausstellte, die Problematik so genau wie möglich aus ihrer Sicht zu beschreiben: Was genau passiert und welches Verhalten bemerkt sie bei Lucy?

Schilderung von Frau Schmidtke: „Lucy macht in die Wohnung, sowohl Urin als auch Kot, wenn sie alleine ist. Außerdem kratzt sie ganz offensichtlich an der Haustüre und der Türe zum Garten, hier sind ganz deutliche und sehr starke Kratzspuren zu sehen. Lucy ist auch dünner geworden, seit sie alleine bleiben muss. Sie bellt oder jault aber nicht – zumindest hat uns noch niemand darauf angesprochen. Allerdings wohnen die Nachbarn auch ein Stückchen entfernt, sodass sie es vielleicht nicht gehört haben.“

Diese Schilderung eindeutiger Stressanzeichen (Kratzen, Abmagern) war ein erster Anhaltspunkt für uns. Auch die Tatsache, dass die Problematik erst jetzt auftrat und es die ersten Jahre keinerlei Schwierigkeiten mit Lucy gab, notierten wir uns mit Ausrufezeichen im Hinterstübchen. Jetzt wurde es Zeit für uns, ins Detail zu gehen!

Ziel

Zunächst erarbeiteten wir wie immer ein gemeinsames Ziel. Familie Schmidtke wünschte sich, dass Lucy entspannt und gut gelaunt alleine bleiben kann und sich sowohl Lucy als auch Frau Schmidtke entspannen können.

Anamnese

Jetzt galt es, durch systematisches Nachfragen die möglichen Ursachen für Lucys Problem einzugrenzen und somit die Entstehung rekonstruieren zu können. Ein wichtiger Teilaspekt dabei: die Emotionen von Lucys Besitzern.

Erstes Auftreten des Problems