Inhaltsverzeichnis
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1.
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4.
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6.
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8.
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10.
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13.
14.
15.
Epilog
Kommentar
Leserkontaktseite
Risszeichnung ANÄIRY
Impressum
–PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2699
Das Neuroversum
Ein unheimlicher Transfer beginnt – und eine letzte Reise
Uwe Anton
Wir schreiben das Jahr 1470 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5057 christlicher Zeitrechnung. Auf bislang ungeklärte Weise wurde das Solsystem mit seinen Planeten sowie allen Bewohnern in ein eigenes kleines Universum transferiert.
Dort trafen die Terraner im Verlauf der vergangenen Monate auf seltsame Nachbarn, die sich teilweise alles andere als freundlich verhielten. Nach zahlreichen Verwicklungen kann jedoch Reginald Bull einen Waffenstillstand erreichen.
Nun müssen die Menschen ein Eindringen QIN SHIS befürchten, jener negativen Superintelligenz, die sich dieses »Taschenuniversum« geschaffen hat. Allerdings konnte der Feind nicht damit rechnen, dass sich seine ehemaligen Verbündeten neu orientiert haben und nun an der Seite der Menschheit stehen.
In der Galaxis Escalian und in dem kleinen Universum treiben nun alle Pläne ihrer Erfüllung entgegen: QIN SHI möchte das Taschenuniversum beherrschen, aber Delorian Rhodan und Samburi Yura ebenfalls – während Perry Rhodan ein solches Experiment für ebenso gefährlich und töricht hält wie die Kosmokraten.
Es entbrennt der finale Kampf um DAS NEUROVERSUM ...
Perry Rhodan – Ein Terraner erreicht das Ende eines Weges.
Mondra Diamond – Eine Terranerin muss Abschied nehmen.
Delorian Rhodan – Ein Sohn will Vater eines ganzen Universums werden.
Alaska Saedelaere – Der Todgeweihte beginnt eine neue Reise.
Am 17. Januar 1470 NGZ um 11.30 Uhr Terrania-Standardzeit trat Alaska Saedelaere durch das Ultradimfenster, das sich in der Zentrale des Weltenschiffs geöffnet hatte. Er tat einen einzigen Schritt und befand sich in einer anderen Welt. Hinter ihm schloss sich das Fenster wieder.
Er sah sich um. Der Raum, den er soeben betreten hatte, war völlig leer. Wände, Decke und Boden schienen aus grob behauenen Steinblöcken zu bestehen, doch Saedelaere war schon einmal lange genug an Bord der LEUCHTKRAFT gewesen, um sich nicht darüber zu wundern. In diesem Schiff hatten Raum und Zeit keine Bedeutung, und die Einrichtung mutete manchmal seltsam an. Ein Bordrechner in einer Kaverne oder eine Zentrale in einer Tropfsteinhöhle waren nicht ungewöhnlich. Daher störte Saedelaere sich nicht daran, dass er offenbar mitten in ein mittelalterliches Verlies getreten war.
Er musste nicht lange warten, dann öffnete sich ein weiteres Fenster wie das, das er benutzt hatte, und heraus sprang das Kaninchen. Sein Fell war weiß, und es wies keinerlei Geschlechtsmerkmale auf. Es trug ein kariertes Sakko. Saedelaere wusste, dass daran mit einer Kette eine altmodisch wirkende Taschenuhr befestigt war, in Wirklichkeit ein hochmodernes Kommunikationsgerät.
Das Kaninchen war etwa einen Meter groß, genau wie Gucky, und musterte ihn aus großen roten Augen. Es stand keinen Augenblick lang still, hoppelte vor ihm auf und ab, hielt den Blick jedoch stets auf ihn gerichtet.
Saedelaere lächelte schwach. »Wie ich sehe, hast du es wieder einmal eilig.«
»Ich habe wirklich keine Zeit«, antwortete der Märzhase, wie er sich auch nannte. »Die Aufgabe als amtierender Kommandant der LEUCHTKRAFT beansprucht mich stark. Aber das weißt du ja. Du bist schließlich mitverantwortlich für die Probleme, die mich plagen.«
»Ich bin hier, um diese Probleme zu beseitigen. Oder nicht?«
»Zuerst einmal willkommen an Bord, Alaska Saedelaere«, sagte das Kaninchen. Es klang zynisch. »Wir wollen doch keinen schlechten Anfang haben, nicht wahr? Ich hoffe, du wirst deinen Aufenthalt an Bord der LEUCHTKRAFT genießen. Er wird ziemlich lange dauern ...«
Saedelaere ließ sich nichts anmerken. Er würde dem Märzhasen nicht verraten, dass er seinen Zellaktivator Samburi Yura gegeben hatte. Somit konnte Delorian seinen Traum von einem eigenständigen Universum verwirklichen, auf das die Hohen Mächte keinen Zugriff hatten.
Er hatte einen hohen Einsatz gewagt und darauf gehofft, dass seine Freunde nicht daran denken würden.
Denn in der LEUCHTKRAFT gab es keinen linearen Zeitablauf. Das Schiff war weniger ein Raumfahrzeug als eine Welt für sich, ein Kaleidoskop hinter einem eigenen Ereignishorizont, in dem er eine nicht enden wollende Fülle von Entdeckungen machen konnte, sobald er sich als neuer Kommandant etabliert hatte.
Die LEUCHTKRAFT existierte in einem eigenen Bezugssystem, war erfüllt von Pararealitäten. An Bord des Schiffes war nichts so, wie es auf den ersten Blick zu sein schien. Was das für ihn genau bedeutete, konnte Saedelaere noch nicht sagen, doch er hoffte, dass er es schnell herausfinden würde. Ohne den Zellaktivator blieben ihm noch 61 Stunden zu leben.
»Ich weise dir eine Kabine zu«, fuhr das Kaninchen fort. »Bis die Situation bewältigt ist, wirst du dort bleiben. Danach werden wir dich an einen Ort bringen, an dem entschieden werden wird, ob und gegebenenfalls wann du als Kommandant der LEUCHTKRAFT eingesetzt wirst. Abgesehen davon benötigst du eine qualifizierte Ausbildung ...«
Saedelaere nickte. Damit hatte er gerechnet. Also war der Märzhase nicht befugt, eine so weitreichende Entscheidung selbst zu treffen.
Das Kaninchen öffnete ein weiteres Ultradimfenster. Saedelaere wusste, dass Widerstand sinnlos war, und ging darauf zu.
Als er hindurchtreten wollte, hob das Kaninchen eine Hand.
Saedelaere blieb stehen, tat den Schritt noch nicht.
»Hast du etwa darauf gehofft, dass ich es nicht bemerke?«, fragte es betont beiläufig.
»Was?«, erwiderte Saedelaere, obwohl er ahnte, worauf das Kaninchen hinauswollte.
»Du trägst keinen Zellaktivator mehr.«
»Das ist richtig.« Saedelaere sah keinen Sinn darin, es zu leugnen.
»Warum? Ist das wieder ein Trick von euch? Wolltest du mich wieder betrügen?«
»Weil ich davon ausgegangen bin, dass ich ihn hier nicht brauche. Die Kommandanten der LEUCHTKRAFT sterben nicht einfach.«
»Normalerweise würdest du bald sterben. Hier an Bord der LEUCHTKRAFT spielt das allerdings keine Rolle. Das hat nur eine Folge, aber die muss für uns nicht unangenehm sein. Du wirst die LEUCHTKRAFT nie mehr verlassen können, wenn du nicht sterben willst.«
*
Saedelaere schwieg.
Das Kaninchen deutete auf das Ultradimfenster, und Saedelaere trat hindurch.
Das Ultradimfenster löste sich hinter ihm auf. Er fand sich in einer luxuriös eingerichteten Suite wieder, die aus mehreren Zimmern bestand, wie er auf den ersten Blick sah, und offensichtlich eigens für seine Bedürfnisse eingerichtet worden war.
Er erinnerte sich kurz an die einfache Kabine mit dem niedrigen Lager, in der er zu Beginn seiner Suche nach Samburi Yura untergebracht gewesen war. Später, als er bei den Proto-Enthonen gelebt hatte, hatte er nur noch gelegentlich die geräumige Hygienezelle seiner Kabine aufgesucht. Nein, diese neue Unterkunft hatte nichts mit seinen menschlichen Bedürfnissen zu tun, sie war ein Anzeichen für seinen neuen Status an Bord.
Er ging kurz durch die Räume und sah sich um, weil er vermutete, dass er überwacht und beobachtet wurde und man solch ein Verhalten von ihm erwartete. Er täuschte Interesse vor, schaltete das eine oder andere Gerät ein und überzeugte sich ausgiebig von der Funktionalität der Nahrungs- und Getränkespender. Die Auswahl war beachtlich und auf die Bedürfnisse eines Terraners zugeschnitten. Sie enthielt sogar Alkoholika und andere Rauschmittel.
Dann ließ er sich müde auf das Bett fallen und schloss die Augen, damit ein eventueller Beobachter nicht sehen konnte, was in ihm vorging.
Erst dann ließ er seinen Gedanken freien Lauf.
Obwohl er nun wusste, dass er nicht innerhalb von 62 Stunden sterben würde, fühlte er sich so erschöpft, als wäre sein Ende nur eine Frage der Zeit.
Er hätte vor Erleichterung weinen können.
Sein Spiel war riskant gewesen, unglaublich riskant. Er hatte den höchsten nur vorstellbaren Einsatz gewagt.
Nicht mehr und nicht weniger als sein Leben.
Er hatte niemals vorgehabt, sein Leben für Samburi Yura zu opfern. Das Opfer, das er ihr gebracht hatte, war groß genug: seine Freiheit. Und in gewisser Hinsicht tatsächlich auch sein Leben, zumindest das, das er bislang geführt hatte.
Er hatte ihre Nachfolge als Kommandant der LEUCHTKRAFT angetreten und sich damit den Kosmokraten mit Haut und Haaren ausgeliefert. Irgendwann würde er bestimmt etwas tun müssen, was er niemandem erzählen, worauf er nicht besonders stolz sein würde. Doch da er dieses Schiff nie mehr verlassen konnte, würde er keine Gelegenheit erhalten, seinen Freunden davon zu berichten.
Aber er lebte! Er würde nicht sterben, weil er seinen Zellaktivator für das neue Universum gegeben hatte! Auch wenn er nun für immer und ewig in den Diensten der Kosmokraten stand.
Er hörte ein leises Räuspern. Hatte er Besuch bekommen? So bald schon? Gestattete man ihm nicht einmal ein paar Minuten, sich zu erholen?
Saedelaere öffnete die Augen und sah, dass in der Tat jemand vor seinem Bett stand.
Er erkannte sofort, dass es sich um eine Energieprojektion handelte – um die eines jungen Mannes, der eine olivgrüne Kombination trug und eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Perry Rhodan hatte.
»Delorian?«, fragte er erstaunt.
Um 11.32 Uhr gellte der nächste Alarm durch das LFT-Flaggschiff LEIF ERIKSSON IV.
Der letzte, dachte Reginald Bull, der Terranische Resident. Dieser Alarm wird ewig währen. Noch eine Minute, höchstens zwei. Länger dauert die Ewigkeit nicht. Einen weiteren Alarm wird es nicht geben. Es ist vorbei. Endgültig aus und vorbei.
Er sah zu Shanda Sarmotte, die neben ihm stand und seinen Blick mit unnatürlicher Ruhe erwiderte.
Shanda ... Er hatte, und es war noch gar nicht so lange her, den Eindruck gehabt, dass sich zwischen ihnen etwas tat. Dass sie einander nähergekommen waren. Vielleicht sogar zu nah.
Aber dann war Shanda mit Toufec auf eine Mission gegangen, und danach hatte sich dieser Eindruck verflüchtigt. Die junge Mutantin schien sich nun mehr für den Araber aus vorchristlicher Zeit zu interessieren, der sich von Delorian losgesagt hatte und vorsichtshalber irgendwo auf Terra untergetaucht war, um sich dem Zugriff von Rhodans Sohn zu entziehen.
Wieso dachte er ausgerechnet in diesem Moment daran, wo alles vorbei war? Trauerte er verpassten Gelegenheiten nach? Möglichkeiten, die er nicht genutzt hatte?
Nein, dachte Bull. Es waren seine letzten Gedanken, und die sollten etwas Schönem gelten. Mühsam verdrängte er Toufec aus seinen Gedanken.
»Die Lage wird immer kritischer!«, meldete Oberst Faustus Baeting ruhig. Der Kommandant der LEIF ERIKSSON nickte zu der Hologalerie in der Mitte der Zentrale. »Uns bleiben nur noch Sekunden!«
Bull bewunderte Baetings Selbstbeherrschung und sah ebenfalls zu den Holos.
QIN SHIS Avatar von fünf Kilometern Durchmesser hatte sich wieder in die systemumspannende modifizierte Sextadimblase katapultiert. Die Sonnenkugel hing darin fest, flackerte hell, während das Feld unentwegt schwächer wurde. Auch die bläulichen Objekte, die Bull an Kristall-Spiegelkugeln erinnerten und welche die Blase offensichtlich mit Energie versorgten, leuchteten immer greller. Der Resident befürchtete, dass sie jeden Augenblick explodieren würden.
In der Zentrale der LEIF ERIKSSON jagte eine Meldung die andere, doch Reginald Bull hörte nicht mehr hin. Sie hatten alles durchdacht, vergeblich nach einer Lösung gesucht.
Die Wissenschaftler konnten noch nicht einmal genau sagen, wieso QIN SHI imstande war, der Sextadimblase Energie zu entziehen. Sie hatten ein paar Theorien, aber niemand wollte die Hand dafür ins Feuer legen, dass irgendeine davon auch zutraf. Mehrdimensionale Struktur der Superintelligenz ... Höherdimensionaler Konflikt ...
Papperlapapp!, dachte Bull. Sie wussten es einfach nicht! Raumschiffe hielt die modifizierte Blase vom Solsystem fern, bei Superintelligenzen war das etwas anderes.
»Delorian hat sein Wort gebrochen«, murmelte Bull. »Er hat uns an QIN SHI verkauft. Die Sextadimblase wird jede Sekunde zusammenbrechen, und dann ...«
»Vielleicht hat er es nicht besser gewusst«, sagte Shanda. »Gegen Raumschiffe wirkt das Feld schließlich ...«
Ja, gegen Raumschiffe wirkte es. QIN SHIS Flotte von etwa 90.000 Schiffen blieb der Zugang verwehrt. Sie beschränkte sich darauf, von außen in das Feld zu feuern und es zusätzlich zu schwächen, bis es endgültig zusammenbrechen würde.
Und er konnte es nicht verhindern. Irgendwo da draußen war Perry Rhodan, arbeitete vielleicht ebenfalls an einer Lösung. Aber der alte Freund würde sie nicht mehr finden, konnte auf keinen Fall rechtzeitig Hilfe bringen. Es war zu spät.
So kurz vor dem Ziel ..., dachte Bull wehmütig.
Sie hatten eine Gnadenfrist bekommen, als ARDEN aufgetaucht war und QIN SHI angegriffen hatte. Doch die Teilentität von TANEDRAR war zu schwach gewesen und der negativen Superintelligenz in einem Kampf auf Leben und Tod unterlegen. QIN SHI war nun sogar stärker als zuvor.
»Diesmal ist QIN SHI überzeugt, es zu schaffen«, murmelte Shanda Sarmotte. Die Mutantin nahm QIN SHIS Ausstrahlung durch winzige Strukturrisse in der Sextadimblase wahr. Nicht seine genauen Gedanken, aber doch Stimmungen und Tendenzen. Normalerweise wäre das eine unschätzbare Hilfe gewesen, doch in diesen Minuten war es nur eine Bestätigung des Untergangs.
Die Kristallkugeln entlang des Kreises auf der Ebene der Ekliptik des Solsystems leuchteten immer heller. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihren Dienst einfach aufgaben oder unter der Beanspruchung explodierten. Wie sollte er vorhersagen können, wie Delorians Kristallkugeln auf permanente Überlastung reagieren würden? Diese Technik war keine von Menschenhand, sie wirkte auf sein hyperphysikalisches Verständnis wie magische Handwedelei.
Bull richtete seine Aufmerksamkeit kurz auf die Sphäre, unter deren Schutzschirm sich die beiden BASIS-Einheiten und das Totenhirn befanden. Seit sie ins Solsystem eingedrungen war, hatten weder das Multiversum-Okular noch die Planetenscheibe mit dem riesigen Gehirn auf Funkanfragen reagiert, und daran änderte sich nichts. Was erwartete er überhaupt von dem Okular? Dass es eine Lösung aus der Tasche zog und er daraufhin aller Probleme ledig war?
Auch die terranische Flotte bot diese Lösung nicht. Die im Solsystem versammelten eigenen Einheiten konnten gegen die angreifenden Zapfen- und Walzenraumer vermutlich bestehen, doch gegen eine negative Superintelligenz wie QIN SHI hatten sie keine Chance.
Zweiunddreißigtausend Raumschiffe, dachte Bull. Im Solsystem standen ihm 32.000 Raumschiffe zur Verfügung, doch trotz dieser Streitmacht war er völlig hilflos.
Er konnte nichts tun, gar nichts, und das war ein schreckliches Gefühl. Wenn die Sextadimblase erst einmal zusammengebrochen war, würde QIN SHI das Solsystem binnen kürzester Zeit entvölkern, wie er das Fa-System kurz vorher entvölkert hatte.
Bull hatte den Schiffen den Befehl gegeben, sich in diesem Fall zum Durchgang zum Normalraum durchzuschlagen. Vielleicht konnten sich ihre Besatzungen irgendwie nach Escalian retten.
Die Besatzung von 32.000 Schiffen ... War das alles, was vom Solsystem übrig bleiben würde?
Er spürte, wie Shanda Sarmotte seine Hand ergriff, und drückte sie ganz fest.
Und dann, um 11.33 Uhr, brach die Sextadimblase zusammen.
Es war vorbei.
Das Solsystem war für QIN SHI nun frei zugänglich, und Reginald Bull spürte wieder die fast unerträgliche mentale Ausstrahlung, die QIN SHIS Ankunft ankündigte, eine Warnung, die stets zu spät kam. Sobald man die Superintelligenz auf diese Weise wahrnahm, war man verloren.
*
Shanda Sarmotte stöhnte auf. Ein Schleier schien auf ihrem Blick zu liegen.
Reginald Bull merkte auf. Das war kein tiefes, durchdringendes Seufzen voller Angst oder Verzweiflung gewesen, eher ein überraschtes, ungläubiges Keuchen.
Er sah zu der Mutantin hinüber.
»QIN SHI«, flüsterte sie. »QIN SHI ...«
»Was ist mit ihm?«, fragte Bull. Ihm fiel auf, dass der mentale Druck nicht so stark war wie bei ihrer letzten Begegnung, als die Superintelligenz durch den Durchgang in die Anomalie eingedrungen war.
Und täuschte er sich, oder wurde der Druck jetzt schwächer? Zuerst nur ganz leicht, fast unmerklich, nun aber immer deutlicher ...
Bull stellte verblüfft fest, dass er einigermaßen klar denken konnte.
Er ging davon aus, dass diese mentale Ausstrahlung QIN SHIS Opfer lähmen, das nachfolgende Assimilieren der Superintelligenz vereinfachen sollte. Aber wenn diese Wirkung nun nachließ ...
Es griff nach Shanda, schüttelte sie. Es war das reinste Wunder, dass die Mutantin sich noch auf den Beinen halten konnte. Sie war gegenüber QIN SHIS Ausstrahlung viel empfindlicher als er.
Aber das sprach ebenfalls für seinen Eindruck!
»Shanda, was ist mit QIN SHI?«, wiederholte Bull.
»Er ... er ist in einem furchtbaren Aufruhr! In ihm tut sich etwas ... Ich ... kann es nicht nachvollziehen ... Ein Kampf ... ein innerer Kampf ...«
Bull sah zu den Ortungsholos. Sie zeigten in der Tat, dass die Miniatursonne plötzlich wie irrsinnig flackerte.
Und dann ...
Dann nahm sie langsam Fahrt auf.
Aber ihr Ziel war nicht mehr das Solsystem.
Ungläubig starrte Bull auf die Holos.
QIN SHI entfernte sich vom Sonnensystem!
Shanda Sarmotte schrie auf und brach zusammen.
Perry Rhodan starrte dorthin, wo sich soeben noch das Ultradimfenster befunden hatte, durch das Alaska Saedelaere in die LEUCHTKRAFT getreten war. Er empfand nur Leere, die sich nicht so schnell würde vertreiben lassen.
Alaska ..., dachte er. Sein Weggefährte über Jahrtausende ... und nun war er tot.
Oder zumindest so gut wie tot.
Rhodan hatte schon viele Freunde verloren, doch nun machte er sich Vorwürfe. Er hätte es kommen sehen müssen. Alaska war schon immer ein sehr zurückhaltender Einzelgänger gewesen, der sich seinem Umfeld nur selten geöffnet hatte, obwohl er als kosmischer Mensch galt. Aber seine kaum nachvollziehbare Hingabe an Samburi Yura hätte Rhodan eine Warnung sein müssen.
Aus Alaskas Sicht war sein Verhalten vielleicht sogar logisch, und Saedelaere war Logiker gewesen. Alaska hatte erkannt, dass er Samburi Yura niemals würde für sich gewinnen können, zumal sie sich jetzt mit Delorian zusammengetan hatte und seinen Sohn in dessen Universum begleiten würde.
Das Leben hatte seinen Sinn für Alaska verloren. So unverständlich, so unsinnig es anmutete, so logisch war es aus Saedelaeres Weltsicht. Wahrscheinlich hatte er diese Entscheidung nicht einmal vor sich selbst rechtfertigen müssen.
Aber wie hätte Rhodan es verhindern können? Hätte er Alaska befehlen sollen, diese Entscheidung nicht zu treffen? Der Mann mit der Maske hätte nicht auf ihn gehört. Er hätte sein Vorhaben trotzdem umgesetzt.
Rhodan zwang sich, den Gedanken noch einmal ganz bewusst zu fassen. Alaska Saedelaere hat Samburi Yura seinen Zellaktivator gegeben, den sie und Delorian benötigten, um das Neuroversum wie geplant zu zünden, und sich dann als Ersatz für Samburi Yura in die LEUCHTKRAFT begeben. Er hat noch 61 Stunden zu leben.
Er musterte unauffällig seine Gefährten. Mondra stand eher unbeteiligt da, Nemo Partijan wirkte völlig erschüttert, wobei er dem Hyperphysiker zugestand, dass er still verarbeitete, Zeuge eines solchen Geschehens geworden zu sein. Mondra hingegen war vielleicht froh, dass ihr Sohn einen weiteren Schritt zur Verwirklichung seiner Pläne getan hatte, so schwer Alaskas Schicksal ihr auch zu schaffen machte.
Gucky zitterte leicht, vielleicht vor Wut über seine Machtlosigkeit, seine Unfähigkeit, Alaska umzustimmen. Und Eroin Blitzer – der Zwergandroide saß wie unbeteiligt hinter seinem Pult, und sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten.
Plötzlich kam es Rhodan in der Zentrale des Weltenschiffs kalt vor, eiskalt. Er spürte, dass die Stimmung unter ihnen nach Alaskas Opfergang zu kippen drohte, und ihn wunderte, dass das bisher nicht geschehen war. Hatten Delorian vorher vielleicht noch gewisse Sympathien gegolten, weil er letzten Endes die Unabhängigkeit suchte, und Samburi Yura ein gewisses Mitgefühl, weil sie in den Dienst der Kosmokraten gezwungen worden war, drohte die Stimmung nun jeden Augenblick umzuschlagen. Außer Mondra schienen nun alle Delorian und Samburi Yura Feindseligkeit entgegenzubringen.
Wen wundert das?, fragte sich Rhodan. Die beiden haben es auf die Spitze getrieben, genau darauf angelegt. Das wird Gucky ihnen wohl nie verzeihen.
Rhodan musste unwillkürlich leise auflachen. Da konnte es nicht schaden, dass Delorian sich weiterhin betont gebrechlich in der Gestalt eines Greises zeigte. Seine gekrümmt stehende Gestalt glich dem Avatar, das die Superintelligenz ES als uralten, weißhaarigen Mann zeigte. Alte Männer schlägt man nicht so schnell, dachte Rhodan.