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Theo Fischer

Yu wei

Die Kunst, sich das Leben schwer zu machen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

We try harder

Erleuchtung und die Folgen

Gedanken über das Ich

Von Ängsten und Sorgen

Noch mehr über Sorgen

Missgunst contra Einklang mit den Dingen

Zwischenhalt

An der Wiege eines Vorurteils

Reflexionen über das Denken

Bauchgefühl

Das Sissi-Syndrom

Integrität

Was Liebe ist

Natürlichkeit

Die zweite Individuation

Das Tao

Literatur

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

als ich mit dem neuen Buch schwanger ging und gelegentlich Freunden gegenüber den Titel erwähnte, löste dies regelmäßig die Reaktion aus: «Ah, so was wie Anleitung zum Unglücklichsein?» Nun, es wäre nicht schwierig, aus der langen Liste seltsamen menschlichen Verhaltens eine Anzahl Karikaturen herauszufiltern. Aber ich möchte mit dieser Arbeit mehr erreichen, als nur ein Leserpublikum zu erheitern, indem ich die Leute ironisch auf ihre Schwächen hinweise. Yu wei, die Kunst, sich das Leben schwer zu machen ist ein Buch über das Tao, und es ist ein spirituelles Buch, obgleich es an Ihre Vernunft und nicht an Ihren Glauben appelliert. Yu wei bedeutet wörtlich übersetzt in etwa «Willentliche Anstrengung» und ist das genaue Gegenteil von Wu wei, dem intelligenten Prinzip des Nichthandelns. Yu wei an einigen plausiblen Beispielen zu erklären ist bedeutend einfacher, als etwas zu beschreiben, das seinem Wesen nach gar nicht stattfindet. Das ist wie die Aufforderung zu erklären, was Gesundheit ist. Es funktioniert im Grunde dadurch, dass ich aufzähle, was sie nicht ist. Die Abwesenheit von Krankheit macht Gesundheit aus. So ähnlich verhält sich auch Wu wei zu Yu wei.

 

Yu wei steht für Stress, Beziehungskrisen, Geldnöte, Kopfkino und für die Jagd nach Glück, Schönheit, Erfolg und Ruhm um jeden Preis. Willentliche Anstrengung wird in unserer Gesellschaft allerdings eher als Tugend denn als Laster angesehen. Im Grunde fällt das meiste, was wir anstellen, während wir uns um materiellen oder geistigen Fortschritt oder auch nur um die Erhaltung des Status quo bemühen, unter dieses Prinzip. Der Werbeslogan auf den Buttons des bekannten Autoverleihers trifft den Kern von Yu wei am deutlichsten: «We try harder», was auf gut Deutsch «Wir strengen uns noch mehr an» bedeutet. Der Satz passt als Wahlspruch an die Wand jedes Arbeitsraums von der Vorstandsetage bis zur Hobbywerkstatt, und er würde in der Vergangenheitsform auch gut auf so manchen Grabstein passen.

 

Es soll laut einschlägiger Literatur im menschlichen Leben 49 dramatische Grundsituationen geben. Carl Gustav Jung leitete daraus mit Bezug auf das klassische Drama seine Archetypen ab, und er zählt glückliche Zustände ebenso dazu wie die unglücklichen, krisenhaften. Im Sinne von Yu wei ist bemerkenswert, dass wir zur Bewahrung glücklicher Situationen annähernd die gleichen Anstrengungen aufwenden wie im Kampf gegen das Unglück. Die Probleme, denen wir beizukommen suchen, haben an der Oberfläche den möglichen Grundsituationen entsprechend viele Gesichter, aber genau betrachtet nur einige wenige, dafür aber markante Wurzeln. Wir halten unsere Sorgen und Nöte für die Ursachen unseres Unglücklichseins, aber unsere Probleme sind nicht die Ursachen – sie sind bereits Wirkungen von etwas anderem. Es sind die Auswirkungen einer Reihe fundamental falscher Grundannahmen über unsere Position im Universum, unsere Identität und unsere Chancen im Leben. In den folgenden Kapiteln möchte ich die Hindernisse bloßlegen, die der Entfaltung einer Lebensweise im Geist des Tao im Weg stehen. Ich möchte ein paar Szenen ausleuchten und Ihre Aufmerksamkeit darauf richten, damit Sie von sich aus Antworten auf Fragen entdecken, wie zum Beispiel, weshalb das einfache, federleichte Prinzip des Nichthandelns aus Unkenntnis in Anstrengung ausartet und die Last, mit den alten Fehlern weiterzuleben, leichter scheint als der emotionale Aufwand für den Wandel. Von Chuang tzu sind uns viele Schriften überliefert, in denen er das menschliche Fehlverhalten und seine Abweichungen vom Weg des Tao anhand kleiner skurriler Geschichten und erfundener Dialoge entlarvte. Er stattete seine Helden und Gegenspieler mit Phantasienamen wie Lückenbeißer, Keimwalter, Meister Blinkeblick, Sorglos, Gratewohl, Klarblick, Schwalbensohn oder Freigeber aus. Ich werde in diesem Buch auf seinen Spuren wandeln und die zugegeben oft schwer verständlichen taoistischen Metaphern durch einige aus dem heutigen Leben gegriffene Geschichten oder Zwiegespräche verdeutlichen. In der alten chinesischen Literatur kommt Yu wei als Begriff nur in homöopathischen Dosen vor. Kein Mensch hielt es vor 2500 Jahren für nötig, dieses Umkehrprinzip von Wu wei in Gestalt von Geboten mit dem Anfang «Du sollst nicht» unters Volk zu bringen. Dafür war zu jener Zeit Konfuzius zuständig, der ausgiebig für kategorische Verhaltensregeln sorgte. Der Taoismus steht unserem westlichen Kulturkreis vielleicht darum so fern, weil er im Gegensatz zu seinen Religionen den Menschen mit keinem Gerüst von Vorschriften das selbständige, verantwortliche Denken abnimmt.

 

Um die Prinzipien des Nichthandelns zu verstehen, wissen wir heute nicht zu wenig – wir wissen zu viel, und zwar zu viel vom Verkehrten, Unnützen. Wir müssen lernen, in die Richtung zu segeln, wohin uns der Wind weht, statt verbissen unter Einsatz aller unserer Kräfte unverrückbaren Zielen entgegenzurudern. Ich werde von Ihnen in der Folge die Bereitschaft zur Selbstkritik und zum Nichtwissen einfordern, und in dem Maß, wie Sie sich von den alten Überzeugungen verabschieden, öffnen Sie sich dem Neuen, Unbekannten. Dieses Neue existiert in den ungenutzten Räumen Ihres Gehirns. Wenn dieses Gehirn seine krampfhaften Bemühungen um Lösungen aufgibt, wird das Tao aktiv. Dann ist Ihr Geist mit dem Tao identisch, und es setzt ein Strom positiver Ereignisse ein, die Sie selbst im Traum nicht für möglich gehalten hätten.