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Die Handlung dieses Romans sowie alle darin vorkommenden Personen wurden frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.
KRIMI AUS HANAU
Matthias Grünewald, Dieter Kögel:
Mörderische Bilderrätsel, Hanau Krimi Nr. 3
Erschienen im CoCon-Verlag
In den Türkischen Gärten 13, 63450 Hanau
Tel.: 06181 17700 Fax: 06181 181333
Email: kontakt@cocon-verlag.de
www.cocon-verlag.de
ISBN 978-3-86314-234-6
eISBN 978-3-86314-734-1
Hanau 2012
Titelgestaltung: Manfred Nachtigal
Titelmotiv: Kim Taylor/Warren Photographic
Matthias Grünewald
Jahrgang 1961, Schauspieler und Regisseur. Theaterprojekte mit jugendlichen Migranten in Offenbach und Hanau. Seit einigen Jahren mit unterschiedlichen Angeboten an einer Frankfurter Hauptschule. Lebt in Langenselbold.
Dieter Kögel
Jahrgang 1954, Bühnendarsteller in mehreren Stücken, freier Journalist. Seit 1994 Mitglied im Theateratelier des Offenbacher Künstlerprojekts Bleichstraße 14 H.
Aufgewachsen in Hanau-Steinheim, lebt in Langenselbold.
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Dank
Mario Weinrich stellte die Reisetasche im Flur seiner Zwei-Zimmer-Wohnung im Hanauer Stadtteil Großauheim ab und ließ sich erschöpft auf die Ledercouch fallen.
Zwölf Stunden Flug von der Trauminsel Réunion im Indischen Ozean zurück nach Frankfurt waren kein Pappenstiel gewesen, und dazu eine nervige Zollkontrolle bei der Rückreise am „Rhein Main Airport“, nur weil der Jungkommissar den falschen Ausgang gewählt hatte. Anstatt den grün beschilderten Durchgang für nicht zu verzollende Waren zu nehmen, war er in die Hände der Kollegen vom Zoll geraten.
„Wenn Sie bitte den Koffer öffnen würden!“ Die müde Stimme des Zöllners hatte Mario aus seinem Irrtum geweckt.
„Ich habe nichts anzumelden. Ich habe nur den falschen Weg genommen“, hatte sich Weinrich um Wiedergutmachung bemüht und nach seinem Koffer gegriffen, um auf der Stelle umzukehren. Doch ein zweiter Beamter hatte sich Weinrich in den Weg gestellt und ihm den Rückzug versperrt.
„So geht das nicht!“, hatte er trocken bemerkt und Weinrich zum Ausfüllen der Zolldeklaration aufgefordert.
„Ich habe nichts“, hatte Weinrich entnervt wiederholt.
Doch davon hatten sich die Zöllner lieber selbst überzeugen wollen, eine Kofferöffnung verlangt und Weinrichs Reiseutensilien genüsslich auf dem Tisch ausgebreitet. Schmutzwäsche, Fotoapparat und diverse Plastiktüten mit Reisemitbringseln waren zum Vorschein gekommen. Es hatte sich angefühlt, als läge er selbst dort, nackt und wehrlos, während ihn die Blicke der Beamten sezierten. Es hatte ihn gefröstelt. Er hatte geglaubt, das kalte Metall des Tischs spüren zu können.
Doch das Ergebnis der Untersuchung hatte Weinrichs Angaben bestätigt. Selbst ein paar bunte Batikhemden mit dem Aufdruck „I Love Ile Réunion“, die die Beamten zutage förderten, hatten sich als zollfrei erwiesen. Mit säuerlicher Miene, der man die Enttäuschung, keinen international gesuchten Hehler gefasst zu haben, ansehen konnte, hattten die Beamten ihren vermeintlichen Schmuggler mit dem Hinweis verabschiedet, beim nächsten Mal die Schilder bitte genauer zu lesen.
Weinrich legte die Füße auf den Couchtisch und schwelgte in den Erinnerungen an die Reise. Sonne satt, ein warmes Meer, köstliches Essen – und vor allem Britta.
Britta war blond und ein Kracher. Sie beriet Firmen bei Finanzgeschäften und legte die Zahlen, zumindest nach Ansicht der Steuerbehörden, ein wenig zu kreativ aus. Das hatte ihr eine Vorladung vor Gericht eingebracht. Doch statt der Finanzaufsicht Rede und Antwort zu stehen, hatte sie es vorgezogen, sich nach Réunion abzusetzen. Für Mario war nur eine Postkarte geblieben.
„Schade, es hätte etwas mit uns werden können“, hatte sie geschrieben, bevor sie auf die Insel entschwand.
Weinrich war aus allen Wolken gefallen. Gut, er hatte sie im Unklaren gelassen, was seinen Beruf betraf, und das hatte für zusätzlichen Sprengstoff in ihrer Beziehung gesorgt. Seinen kleinen Schuhhandel mit italienischen Markentretern, den er in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung betrieb, hatte er ihr gegenüber zum Import-Export-Kaufmann aufgemotzt. Nicht genug, dass er auf Unternehmer gemacht und sich zum Golfspieler erklärt hatte in der Hoffnung, sie so beeindrucken zu können, auch Seniorermittler und Freund Herbert Schönfelder hatte als Geschäftsführer seines Schuhimperiums herhalten müssen. Das alles hatte er nur begonnen, um dem harmlosen Exknacki Antonio einen Start ins ordentliche Geschäftsleben zu ermöglichen. Doch der Schwindel war aufgeflogen und Britta davongerauscht. Und damit seine Traumfrau.
Weinrich hatte sich zur Rettung seines Liebeslebens entschlossen, einen Flug gebucht – und war hinterhergereist. Er sah noch immer den staunenden Gesichtsausdruck Brittas vor sich, als er an ihre Hotelzimmertür angeklopft hatte, und musste unwillkürlich lächeln.
„Wie hat du mich gefunden?“, hatte sie erstaunt gefragt.
„Ich bin Bulle. Ich habe eine Spürnase“, und mit Stolz hatte er ihr die Postkarte mit ihrer Handschrift entgegengehalten. „Ich finde, dass es etwas mit uns werden könnte.“
Dass ihm ein einheimischer Polizist und ein Fünfzig-Euro-Schein bei der Suche geholfen hatten, verschwieg er vorsorglich.
Dann waren sie sich in die Arme gefallen. Ein tropisches Feuerwerk voller Glücksmomente, das in Weinrich explodierte, hatte volle acht Tage angedauert. Vergessen war der Mordfall Schneider in Hanau, vergessen Brittas undurchsichtige Finanzgeschäfte. Und auch die Aufklärung von Weinrichs Lügengeschichte als Großimporteur für Calzature di Milano hatte angesichts ewiger Sonne und immergrüner Palmen warten können. Bis zu jenem letzten Abend vor der Rückreise.
„Ich fliege morgen“, hatte Weinrich den Tag der Abreise und damit das Ende des Urlaubs in Erinnerung gebracht.
„Ich weiß“, hatte sie mit einem Lächeln erwidert und verführerisch ihr langes blondes Haar in den Nacken geworfen. „Deshalb habe ich im Lagon einen Tisch für uns reserviert.“
Das Grand Hotel du Lagon war Réunions beste Adresse, mit kleinen Pavillons direkt am Strand gelegen und wie geschaffen für ein Romantikdinner, bei dem man sich gegenseitig die ewige Liebe versprechen konnte.
Und während der Kellner mit den geschmorten Langusten beschäftigt war, hatte Weinrich die Erinnerungen vor seinen Augen vorbeiziehen lassen. Das erste Treffen. Sein Rowdyverhalten an der Ampel, als er sie mit einem Kavalierstart auf Machotour bedrängt hatte, und sein großspuriges Unternehmergetue. Weinrich hatte nach den richtigen Worten gesucht und hilflos Entschuldigungen aneinandergereiht: Wenn er gewusst hätte, welche Lawine er mit seinen Ausreden lostreten würde, es täte ihm leid, und am Ende der Erklärungsversuche hatte er Besserung gelobt. Von nun an wolle er ihr gegenüber aufrichtig und ehrlich sein. Und als die Sonne begonnen hatte, im Meer unterzugehen, hatte er noch eine Liebeserklärung angefügt.
Britta hatte die meiste Zeit geschwiegen. Doch dann hatte sie seine Hand genommen und gelächelt. „Ist schon gut. Ich war schließlich auch nicht die ganze Zeit aufrichtig.“
Damit waren für Britta die Auseinandersetzungen der Vergangenheit offenbar weggewischt wie die Spuren im Sandstrand, die von jeder neu ankommenden Welle ausgelöscht wurden. Weinrich hatte genickt und sich unangenehm an das Schreiben der Finanzaufsicht erinnert.
„Du musst mit dem Finanzamt reden“, hatte er sie eindringlich aufgefordert.
Britta hatte versprochen, gleich nach ihrer Rückkehr einen Termin zu machen, um die Missverständnisse, wie sie sagte, auszuräumen.
„Da ist noch etwas. Macht es dir nichts aus, wenn meine Brieftasche ein wenig dünner ist als deine?“
Britta hatte geseufzt. „Größer, länger, dicker, dass ihr Männer immer gleich Komplexe ...“
Weinrich hatte sich an die Konversation beim Italiener im heimischen Hanau erinnert. Schon damals hatte sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie sich nicht viel aus Statussymbolen mache. Aber da war er wohl zu abgelenkt und mit dem Mordfall Schneider beschäftigt gewesen, um die Botschaft zwischen den Zeilen lesen zu können.
„Also dann ist alles ...“
„... gut“, hatte Britta ergänzt und ihm einen gehauchten Kuss über den Tisch geschickt.
Mario Weinrich lächelte angesichts der schönen Erinnerung. Die Traumreise hielt ausnahmsweise das, was Reisen dieser Art versprechen. Versöhnung mit Britta.
Sein Blick fiel auf den bis zur Unkenntlichkeit zerknitterten Kofferanhänger der Fluggesellschaft und schreckte ihn aus den Urlaubserinnerungen auf. Wollte er nicht genauso mitgenommen aussehen, brauchte er jetzt erst einmal eine Dusche. Weinrich warf die Reiseklamotten über die Couchlehne und machte sich auf den Weg ins Bad. Heißes Wasser würde seine Lebensgeister wiederbeleben und die Erinnerung an die Tropen frisch halten. Da klingelte das Telefon. Automatisch griff Weinrich nach dem Hörer und bereute es sogleich. „Dienststelle“ verriet der Blick aufs Display. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Bernd Stieglitz, der Kollege, den Weinrich bereits aus der Zeit kannte, als er, frisch von der Polizeischule kommend, seinen Dienst im Hanauer Stadtteil Großauheim angetreten hatte.
„Schön, dass du schon da bist“, begann Stieglitz, ein Mitfünfziger, Ortsansässiger von Kindesbeinen an und Mitglied im örtlichen Gartenbauverein. Als Hobby betrieb er eine kleine Obstbrennerei.
„Woher ...?“
„Ich habe im Internet nachgeguckt, wann dein Flieger gelandet ist“, beantwortete Stieglitz die Frage Weinrichs, noch bevor dieser sie stellen konnte.
„Sehr zuvorkommend“, spöttelte Weinrich. „Weißt du, wie viele Stunden ich im Flieger gesessen hatte?“
„Zwölf Stunden und 16 Minuten. Steht auch im Internet.“
Weinrich stöhnte. „Ich bin kaputt.“
„Weiß ich“, sagte Stieglitz mitfühlend. „Ist auch keine große Sache. Wenn der neue Dienststellenleiter sich nicht so aufspielen würde, hätte ich dich gar nicht angerufen.“
„Und wie ist der Neue?“, fragte Weinrich nach.
„Das erzähle ich dir lieber bei einem Obstler.“ Stieglitz‘ Stimme war um einige Tonstufen leiser geworden, als er fortfuhr: „Auf jeden Fall spricht er von der Polizei als einem Unternehmen, das betriebswirtschaftlich denken lernen muss. Aber das wirst du ja selbst noch mitkriegen, wenn du wieder im Büro bist“, schloss Stieglitz, dem dieses Thema einiges Unbehagen zu bereiten schien.
Weinrich hatte ein Einsehen mit dem Leiden seines Kollegen, der offensichtlich den Druck der neuen Polizeiführung verspürte, die sich mit neuem Wind, neuen Ideen und Konzepten beweisen wollte, und kehrte zum eigentlichen Grund seines Anrufs zurück.
„Und was habt ihr? Hab ich noch Zeit für eine Dusche?“
„Sicher“, sagte Stieglitz, „es ist ja kein Mordfall.“
„Was denn?“ Weinrich war neugierig geworden.
„Im Museum ist etwas geklaut worden. Irgendwelche alten Ölschinken. Tätest mir echt nen Gefallen, wenn du mal mit dem Museumsleiter sprichst. Ich bin da nämlich kein Experte.“
„Denkst du, ich?“, wandte Weinrich ein. Seine Bildersammlung beschränkte sich auf den Kalender „Die Impressionisten“, der ihm jährlich mit unterschiedlichen Motiven von seiner Apotheke überreicht wurde, als Geschenk für seine Kundentreue. Und dann hing in seinem Flur ein Bild von Kandinsky mit wirren geometrischen Formen, das er zusammen mit der Couch in einem Möbelhaus erstanden hatte, weil es farblich gut zur Garderobe passte. Von wirklichem Kunstverständnis konnte also keine Rede sein.
„Also gut“, willigte er schließlich ein. „Bin in einer Viertelstunde da.“
Als Weinrich wenig später mit seinem Wagen in den Hof des Philippsruher Schlosses fuhr, war er aufs Neue vom imperialen Glanz der frühen Fürsten beeindruckt. Mit Blick auf die erhabene Architektur des Schlosses, in dem das Historische Museum untergebracht war, beschloss Weinrich, Britta zu einem Sonntagsausflug hierher mitzunehmen. Bei ihrem Sinn für hochherrschaftliche Prachtentfaltung würde ihr das gefallen, vermutete er. Löwenporträts und Marmorsäulen waren so ganz nach ihrem Geschmack.
Die bronzenen Löwenfiguren, die in der Auffahrt jeden Besucher empfingen, hatten jedoch ihre abschreckende Wirkung auf den Dieb oder die Diebe verfehlt. Weinrich legte seine Hand tätschelnd auf das Löwenhaupt.
„Alles nur Fake“, kam es ihm über die Lippen. Damit könnte man vielleicht die Untertanen des 18. Jahrhunderts beeindrucken, genauso wie mit all jenem Gold und den unzähligen Kronen, die die Herrscher im Mauerwerk und in der Schlossumzäunung anbringen ließen. Letztlich wurden die Fürsten am Ende doch überrollt von der Zeit. Statt zu neuen Ufern aufzubrechen, klammerten sie sich an ihren Status und ihre Privilegien.
Weinrich zog die Hand vom Löwenkopf zurück und machte sich auf den Weg zu Museumsleiter Horst Jaschke. Der kam ihm bereits über die geschwungenen Stufen aus dem ersten Stock entgegen. Ein drahtiger Mann kurz vor der Pensionierung, der mit seinen lebendigen und wachen Augen jünger wirkte. Eine elegante Erscheinung, stellte Weinrich fest. Mit edlem Sakko und farblich abgestimmtem Halstuch passte er gut zu den Exponaten des Museums, als sei er mit ihnen symbiotisch verwoben.
„Ich bin seit 30 Jahren Museumsleiter“, begann er aufgeregt. „So etwas ist hier noch nie passiert.“ Das sei für ihn unfassbar, sagte er wie ein Hundebesitzer, dessen Kläffer gerade einem Passanten ins Bein gebissen hat, obwohl der Vierbeiner doch sonst ein ganz lieber Kerl ist.
Weinrich kannte diesen Ausspruch zur Genüge. Täglich geschahen Dinge zum ersten Mal, entgegen der Erwartung und erst recht entgegen den Berechnungen der Mathematiker, die ein Unglück vielleicht erst in 1000 Jahren für möglich hielten.
Doch Weinrich behielt seine Gedanken für sich. Stattdessen folgte er dem Museumsleiter durch die Räume zum Tatort. Vorbei an großformatigen Porträts von Männern in Rüstungen oder ausgestattet mit den Insignien der Macht. Fast immer schauten sie von einem Feldherrenhügel auf das ihnen zu Füßen liegende Volk herab. Weinrich hatte Verständnis dafür, dass die Diebe diese Bilder hängen gelassen hatten. Wer wollte sich schon beständig klein und mickrig fühlen und Glanz und Gloria gottähnlicher Grafen huldigen müssen? Vor einer leeren Wand blieben sie stehen.
„Hier“, sagte Jaschke und deutete auf die leere Fläche mit der Geste eines Magiers, der gerade eine Jungfrau vor den Augen des staunenden Publikums hat verschwinden lassen. Weinrich starrte auf die weiße Wand und wartete.
„Hier hing er, der Soreau“, fuhr Jaschke fort. „Ein Soreau. Ein Meisterwerk. Eine Katastrophe.“ In Satzfetzen schilderte er das Unglück des Verlustes.
„Beruhigen Sie sich. Wir finden den Täter.“
„Der Täter ist mir egal“, brach es aus Jaschke hervor. „Ich will das Bild. Das Bild, verstehen Sie?“
Ein alter Schinken mehr oder weniger, davon ging die Welt nicht unter, dachte Weinrich.
„Was ist an dem Bild denn so besonders?“, wagte er eine Frage.
Jaschke verzog gequält das Gesicht. Zu oft hatte er mit ansehen müssen, wie Museumsbesucher achtlos an dem guten Stück vorbeizogen und allenfalls einen flüchtigen Blick für das Werk des berühmten Stilllebenmalers übrig hatten.
„Soreau, das ist ein Stück Identität der Stadt“, begann Jaschke seine Erläuterungen. „Er kam als Glaubensflüchtling nach Hanau und gründete gemeinsam mit anderen Wallonen die Hanauer Neustadt. Seine Bilder sind wahre Schätze und Ausdruck des Glaubens. Sie symbolisieren die Vergänglichkeit des Lebens und die Größe Gottes.“
Jaschke redete sich in einen Rausch der Begeisterung, erzählte vom Bildersturm der Reformation in den Niederlanden, als die Abbildungen Christi aus Kirchen entfernt und dann verkauft oder vernichtet wurden. Darstellungen von Jesus waren für die Reformierten Götzendienst. Als Rechtfertigung diente das Verbot der bildlichen Darstellung Gottes, das schon in der Bibel erwähnt wird.
„Und jetzt hat es ihn selbst erwischt“, konnte sich Weinrich eine spitze Bemerkung nicht verkneifen. Jaschke schaute irritiert, so als beginne er, am Ermittlungseifer des Beamten zu zweifeln.
„Einen Soreau zu klauen ist so, als reiße man der Stadt das Herz heraus“, beschwor Jaschke ein dramatisches Bild. Weinrich zeigte sich unerschütterlich, was Jaschke dazu veranlasste, ein weiteres Beispiel für die Tragweite des Verlustes zu zitieren. „Stellen Sie sich vor, Sie fahren nach Paris und dort, wo der Eiffelturm stehen sollte, finden Sie nur ein großes Loch.“
Das verstand Weinrich und nickte.
„Ein Drama“, bestätigte er, wobei ihm der Verlust des Eiffelturms als größere Katastrophe erschien.
„Herr Jaschke?“, meldete sich plötzlich die Assistentin des Museumsleiters, die wartend im Türrahmen stand.
„Melanie Mertens“, stellte sie sich kurz vor. Mit ihrer feinen schwarzen Brille entsprach sie dem Klischee der zurückhaltenden Sekretärin, die ganz für ihren Chef lebt. „In Ihrem Büro wartet ein Vertreter der Versicherung.“
Er komme sofort, ließ Jaschke ausrichten.
„Eine Frage noch“, beeilte sich Weinrich, „wie viel ist das Bild denn wert?“
„200 000 Euro“, antwortete der Museumsleiter, bevor er sich verabschiedete, um sich dann dem Papierkram zu widmen.
Wäre die weiße Stelle nicht gewesen und die durch das fehlende Bild etwas gestörte Symmetrie in der Ordnung der noch hängenden Gemälde, der Verlust wäre ihm, Weinrich, wohl gar nicht aufgefallen. Oben, im hinteren Bereich des Ausstellungsraums, nahm der Kommissar ein kleines Kameraauge wahr. Extrem gebogene Linse, Superweitwinkeltechnik, ausreichend, um den gesamten Raum zu überwachen. Die Aufzeichnungen dieser Kamera würde er sich nachher ansehen.
„Herr Kommissar?“
Weinrich, der gerade in die Betrachtung eines weiteren Bildes vertieft war, fuhr erschrocken herum. Melanie Mertens, die Assistentin des Museumsleiters, stand mit einem Lächeln hinter ihm.
„Herr Jaschke wird noch einen Moment mit dem Versicherungsvertreter beschäftigt sein. Wenn Sie Fragen haben, ich stehe Ihnen zur Verfügung.“
Weinrich erwiderte das Lächeln.
„Das ist nett von Ihnen“, sagte er und wandte sich wieder dem Bild zu, das er vor der Unterbrechung in Augenschein genommen hatte.
„Das“, und dabei deutete der Kommissar auf das etwa 50 mal 70 Zentimeter große Werk, „ist ja auch ein Soreau?“
Die Assistentin kam näher und nickte. „Ja, das ist das Bild ‚Stillleben mit Obst, Gemüse, Nüssen und einem Nelkenstrauß‘ von Peter Soreau. Entstanden um das Jahr 1627.“
„Ja und das gestohlene Bild?“ Weinrich war verwirrt.
„Bei dem gestohlenen Bild handelt es sich um eine Arbeit von Isaak Soreau, Zwillingsbruder von Peter Soreau. Es ist wohl das letzte gesicherte Gemälde des Künstlers und hat den Titel ‚Früchtekörbe, Früchteschale, Porzellankumme, Blumenvase mit Nelken und Gemüse‘ und wurde im Jahr 2010 aus bayerischem Privatbesitz angekauft. Entstanden ist es vermutlich um 1645, und es zählt zu den Schlüsselwerken des Künstlers.“
Schlüsselwerke. Aha. Was immer das bedeuten mag. Zu fragen traute sich Weinrich indes nicht. Er kam sich ohnehin fast blöd vor angesichts des Obst- und Gemüseallerleis in Öl, dessen Verschwinden er nun aufzuklären hatte und dessen Wiederbeschaffung zum zweiten Teil seines neuen Auftrags gehörte. Eins wird geklaut, das andere wird hängen gelassen. Komische Geschichte.
„Wann ist der Verlust des Bildes denn entdeckt worden?“, zog sich der Kommissar auf sicheres Ermittlerterrain zurück. Melanie Mertens legte die Stirn in Falten, als wolle sie die Geschehnisse der letzten Stunden ordnen.
„Geöffnet hat das Museum um zehn Uhr. Da war alles ganz normal, dann kam der Anruf von der Museumskasse gegen drei. Ein Besucher hatte sich gemeldet und gemeint, dass im Ausstellungsraum im ersten Stock ein Bild fehlen würde. Daraufhin hat die Aufsicht nachgesehen und den Diebstahl bestätigt. Also wir haben den Verlust so gegen 15 Uhr registriert und auch gleich die Polizei und die Versicherung alarmiert.“
„Ah, und die Polizei ist auch schon da. Sehr schön!“
Weinrich und die Assistentin fuhren herum. Um den Hals hatte der eintretende, füllige Mann in kurzen, bunten Hosen und einem ebensolchen Hemd zwei Kameras baumeln. Rainer Breitschuh, Chronist im Dienst des „Kinzigspiegels“, schob sich die dicke Sonnenbrille von den Augen über die Stirn, während er Weinrich fixierte. „Na, Herr Kommissar, was sagt denn Ihre Spürnase?“
Mario Weinrich war dieses Treffen nicht gerade angenehm. Schließlich gab es noch nichts, was der nach Neuigkeiten hungernden Presse mitgeteilt werden konnte. Und die Schlagzeile, dass die Ermittler wegen des gestohlenen Bildes vollkommen im Dunkeln tappten, sah er im Geiste in der morgigen Ausgabe schon vor sich.
„Nichts“, antwortete er offen und ehrlich, konnte sich aber den Nachsatz „Nasen sagen nämlich nichts, die schnüffeln nur“ nicht verkneifen.
„Haha, der war gut“, erwiderte Breitschuh und zog eine der Kameras vor das Auge. „So. Wo hing denn das teure Gemüse? Darf ich die Assistentin mit dem Kommissar gerade einmal vor den leeren Haken bitten?“ Und schon hatte der Neuigkeitenjäger den Finger auf dem Auslöser. „Frau Mertens! Sie lächeln so charmant. Das passt nicht zum größten Kunstraub in der Geschichte Hanaus. Die Mundwinkel bitte etwas mehr nach unten und traurig auf den leeren Haken sehen. Vielleicht noch mit dem Finger draufzeigen. Geht das? Prima.“ Und schon wieder eröffnete Breitschuh das Dauerfeuer seiner Digitalkamera. „Gut! Herr Kommissar, könnten Sie sich vielleicht hinknien und auf dem Boden nach Spuren suchen? Geht das?“ Weinrichs Geduld war am Ende.
„Jetzt reichts aber, Breitschuh! Das hier ist ein Tatort und ich bitte Sie, den Raum jetzt zu verlassen, bis die Spurensicherung ihre Arbeit getan hat!“
Breitschuh ließ die Kamera sinken und schob sich die Sonnenbrille wieder vor die Augen.
„Schon gut, schon gut“, wiegelte er ab, „ich mache nur meinen Job“, und drehte auf dem Absatz um. Das Quietschen seiner Sohlen auf dem Parkett entfernte sich langsam durch die angrenzenden Räume des Historischen Museums.
„Die Videoaufzeichnungen“, wandte sich Weinrich wieder der Assistentin zu. „Ich würde mir gerne mal die Videoaufzeichnungen aus diesem Raum hier ansehen.“
Melanie Mertens nickte und winkte dem Kommissar im Gehen zu. „Ja. Natürlich. Die sind unten im Erdgeschoss. Kommen Sie bitte mit!“
Vorbei an den streng blickenden Porträts Hanauer Grafen und Fürsten, Öl auf Leinwand an holzvertäfelten Wänden unter reich verzierten Deckengemälden, ging es bis ins Museumscafé und dann auf der mit einem dicken roten Teppich ausgelegten Treppe hinab ins Erdgeschoss des Schlosses, wo sich eine stattliche Menschenmenge angesammelt hatte und den Durchgang zum Kassenbereich nahezu hermetisch abriegelte. Männer in dunklen Anzügen, aufgeregte Frauen in schicken Kleidern, herausgeputzte Kinder, denen offenbar langweilig war.
„Das Standesamt. Wir konnten die gebuchten Hochzeiten nicht mehr rechtzeitig absagen“, erklärte Melanie Mertens entschuldigend dem Kommissar.
Klar, das Standesamt in Schloss Philippsruhe. Eines der schönsten in ganz Deutschland. Und eines der Gefragtesten. Wenn schon der Bund fürs Leben, dann aber unvergesslich und in fürstlichem Prunk. Beifall brandete auf, als sich die Türen des Standesamtes plötzlich öffneten, Braut und Bräutigam, Brauteltern, Trauzeugen und einige Familienmitglieder im Blitzlichtgewitter durch das Spalier der Gratulanten schritten. Feierstimmung, Hochrufe auf das Brautpaar, Tränen und Reis, der auf die Brautleute herabregnete. Nicht ungestraft.
„Hören Sie auf! Hören Sie auf. Bitte keinen Reis werfen. Das ist strengstens untersagt! Steht auch dort auf dem Hinweisschild!“ Die Standesbeamtin war außer sich und lotste die Gesellschaft so freundlich, wie es ihr eben gerade noch möglich war, hinaus auf den Vorplatz. „Und bitte hier auch keinen Reis werfen! Ich bitte Sie! Haben Sie bitte Verständnis.“ Und schon regnete es wieder Reis vom Himmel, auch auf die Frisur der Standesbeamtin, die sich schüttelte, um die kleinen Körner wieder aus den Haaren zu bekommen. Sie gab auf und stapfte wütend durchs Foyer zurück ins Standesamt.
Die bestellten Fotografen warteten bereits am Schlosseingang, um den ersten Tag eines künftigen, ungewissen Ehelebens zumindest bildlich als den schönsten zu arrangieren. Die Menge drängte hastig, fast in Panik, aus dem Foyer nach draußen. Jeder wollte schließlich aufs Gruppenbild mit Bräutigam und Braut. Drinnen war der Weg zur Überwachungstechnik wieder frei.
„Ja, mir hawwe in jedem Raum Überwachungskameras“, erklärte die diensthabende Kassiererin dem Kommissar und der Assistentin. „Da wird rund um die Uhr aufgezeischnet. Also, wenn offe ist. Wenn zu iss, dann geht die Außenhauptsicherung an. Wenn die anschlägt, dann springe die Kameras auch widder an.“
Kommissar Weinrich überflog die kleinen Monitore. Leicht vergrießelte Übersichten über die Museumsräume in blassem Schwarz-Weiß waren da zu sehen. In regelmäßigen Abständen sprangen die Bilder zu einem anderen Ausstellungsraum.
„Ich hätte gerne das Band mit der Übersicht über den Raum, in dem der Soreau hing“, bat Weinrich. „Ja, aufgezeichnet wird nebenan. Hier kann mer nur sehn, was grad bassiert“, war die entschuldigende Antwort der Dame an der Kasse.
„Na ja, dann gehen wir eben nach nebenan“, folgerte Weinrich mit einer auffordernden Handbewegung.
„Tschuldigung, da bin isch net zuständisch und isch hab auch kein Schlüssel. Den hat unser Herr Herbert.“
Weinrichs Frage klang schon leicht genervt. „Und wo können wir diesen Herrn Herbert auftreiben?“
Die Dame an der Kasse zuckte mit den Schultern. „Der ist irschendwo im Haus unterwegs.“ Sie reckte den Hals Richtung Foyer und rief: „Ilse, hast du unsern Herrn Herbert gesehen?“ Die Frau mit Namen Ilse hatte nicht.
„Vorhin war er noch im Café obbe. Wieso?“
„Sein Typ wird verlangt!“, war die knappe Antwort.
„Ja, wenn er net im Café ist, dann weiß ich auch net.“
Mario Weinrich spürte, wie sein Geduldsfaden sich langsam aufdröselte und immer dünner wurde. Er sandte einen Hilfe suchenden Blick zu Melanie Mertens.
Aber auch die zuckte mit den Schultern und stellte klar: „Damit habe ich ja eigentlich gar nichts zu tun. Das ist alles Sache der Haustechnik, also von unserem Herrn Herbert.“
Die Dame an der Kasse schien eine Idee zu haben.
„Ilse!“, rief sie wieder ins Foyer. „Könne mer unsern Herrn Herbert net anpiepse?“
Keine Antwort.
„Ilse!“
Das Foyer blieb stumm. Ein Blick auf die alte Wanduhr zeigte, warum. „Ach herrjeh, guck da. So spät schon. Da hat die Ilse Feierabend. Und der Herr Herbert ist sicher auch schon auf dem Heimweg. In der ganze Aufregung merkt mer garnet, wie die Awweitszeit vergeht. Überischens – isch hab jetzt auch Schluss. Mir schließe jetzt. Könne Sie morsche wiederkomme?“
Mario Weinrich kam sich vor wie in einem schlechten Film, den er am liebsten angehalten oder verlassen hätte. Weder das eine noch das andere war möglich.
„Hören Sie, Frau, äh, Wieauchimmer ...“
„Maiwatz. Gertrud Maiwatz bitteschön.“
„Ja, Frau Maiwatz! Ich will hier einen Diebstahl aufklären und Sie wollen so einfach mir nichts dir nichts Feierabend machen? Ich glaube, es geht los!“
Falsche Tonlage des Kommissars, denn jetzt legte Gertrud Maiwatz los.
„Nein, nix geht los. Es ist Schluss für heut! Des Bild ist doch fort, und wenn isch jetzt Üwwerstunde mach, dann kommts auch net schneller bei. Für heut hatte mir genuch Aufreschung! Morsche ist auch noch ein Taach, Herr Kommissar!“
Weinrich fühlte Zorn in sich aufsteigen.
„Frau Maiwatz, Sie verkennen die Lage ...“
„Des mag sein. Aber Lage hin oder her, isch kenn meinen Awweitsvertrag. Und der sacht eindeutisch: Gertrud, geh jetzt heim. Un isch halt misch an mein Vertrag!“
Sprachs, schnappte sich die Jacke vom Garderobenständer und die Handtasche vom Bürostuhl und stapfte mit den Worten von dannen: „Frau Mertens, Sie schließe dann bitte hinner mir ab, gell?“
„Wir sind eben im Moment alle ein bisschen angespannt“, versuchte Melanie Mertens eine Entschuldigung. Weinrich ließ sich resigniert in den Bürostuhl der Kassiererin fallen.
„Und jetzt?“, fragte er, ohne mit einer zufriedenstellenden Antwort zu rechnen, und blickte auf dem Schreibtisch mit der Kasse umher. Prospekte über das Hessische Puppenmuseum in Wilhelmsbad, Ausstellungsprogramme des Goldschmiedehauses, Postkarten und Kunstdrucke mit Museumsexponaten, Stoffeinhörner der Brüder-Grimm-Märchenfestspiele, Ausschneidebögen für Papiertheaterstücke, hochglänzende Imagebroschüren der Stadt, die unter dem Motto „Hanau baut um“ im Begriff war, ihr Gesicht zu verändern.
Weinrichs Blick blieb an einem der Monitore hängen, die gerade das Bild des Schlossfoyers übertrugen. Schritte auf dem Steinboden des benachbarten Foyers. Doch auf dem Monitorbild erschien kein Mensch. Auch nicht, als Museumsdirektor Horst Jaschke plötzlich im Eingang auftauchte und fast erleichtert feststellte: „Ach, hier sind Sie. Schön, dass Sie noch da sind.“
Mario Weinrich schreckte hoch.
„Raus! Gehen Sie bitte noch einmal raus!“
Jaschke runzelte die Stirn, er verstand nicht. Weinrich schob nach: „Bitte gehen Sie noch mal in das Foyer und kommen dann wieder zurück!“
Jaschke sah Hilfe suchend zu seiner Assistentin, hob dann die Schultern und lief wieder ins Foyer zurück.
„Stopp! Wieder zurück!“, gab Weinrich seine Anweisung, den Blick starr auf den kleinen Bildschirm gerichtet.
„Was ist denn los?“ Jaschke trat an den Schreibtisch heran.
„Das werde ich Ihnen zeigen, Herr Jaschke. Behalten Sie nur diesen Monitor im Auge.“ Der Kommissar verließ den Raum, spazierte durch das Foyer und kam wieder zurück. „Na, haben Sie etwas gesehen, Herr Jaschke?“
Jaschke hob den Blick vom Bildschirm. „Nein. Nichts.“
Auch Melanie Mertens hatte die Übertragung der Videoüberwachung verfolgt.
„Wir hätten Sie doch sehen müssen ...“
„Hätten Sie. Haben Sie aber nicht“, resümierte Weinrich. „Sie haben Standbilder auf den Monitoren. Und zwar auf allen, schätze ich.“
Jaschke starrte den Kommissar ungläubig an.
„Das ist doch unmöglich. Das kann doch gar nicht sein!“
Und Mario Weinrich musste noch mehrmals ins Foyer laufen, damit Museumsleiter Jaschke das, was nicht sein konnte, langsam als Sicherheitslücke der Videoaufzeichnungen im Historischen Museum zu begreifen begann. Standbilder von allen Ausstellungsräumen, die Weinrich und Mertens durchquerten, damit Jaschke überzeugt war.
„Wir könnten die ganze Bude ausräumen und den Plunder beim nächsten Flohmarkt im Fronhof meistbietend verhökern“, sagte Weinrich zu Melanie Mertens beim Gang durchs Museum, den der Museumsleiter an den Monitoren nicht mitverfolgen konnte.
„Das alles hier“, erwiderte Melanie Mertens fast andächtig, „ist kein Flohmarktplunder. Was hier illegal rausgeht, das finden Sie weder auf dem großen Kunstmarkt noch auf einer Auktion.“
Dann zogen beide weiter durch die Museumsabteilungen, ohne dass Jaschke einen Stock tiefer auch nur einen Schatten der beiden auf dem Bildschirm mitbekam. Gottlob auch nicht den kurzen Dialog im Raum mit den Hanauer Fayencen. Kostbare und reich verzierte Porzellanarbeiten aus längst vergangenen Hanauer Manufakturtagen.
„Ming-Dynastie?“, meinte Weinrich unbedarft. Seine Begleiterin reagierte zunächst mit einem erstaunten Blick, dann mit einem herzhaften Lachen.
„Man muss nicht immer bis ins Reich der aufgehenden Sonne blicken. Viele Kulturschätze liegen direkt vor der eigenen Haustür“, meinte Melanie Mertens mit einem gütigen Seitenblick, der den jungen Kommissar und sein Unwissen über die lokalen Kunstschätze nicht bloßstellen sollte.
Es gab keinen Zweifel. Die Überwachungsanlage hatte entweder einen technischen Defekt oder sie war manipuliert worden. Der Bilderklau im Hanauer Museum bekam eine neue Dimension. Langsam wurde die Sache auch für Kommissar Mario Weinrich spannend.
„Ah, der Herr Kommissar ist wieder im Dienst“, begrüßte ihn der diensthabende Beamte an der Pforte zur Polizeidirektion. „Wie war der Urlaub?“
Weinrich zeigte den erhobenen Daumen. „Super“, rief er zurück, während er sich auf den Weg zum gegenüberliegenden Aufzug machte.
Der typische Geruch nach billigen Reinigungsmitteln empfing ihn. Ein Blick auf die abgewetzten Wände des Flurs machte ihm deutlich, dass sich die Sparmaßnahmen nicht auf das Museum beschränkten. Auch die Aufzugstür wartete seit Monaten auf Ausbesserung. Ein randalierender Gast, der sich weigerte, die Arrestzellen im Keller aufzusuchen, hatte hier eine markante Delle hinterlassen. Wenigstens die flackernde Leuchtstoffröhre an der Decke war ausgetauscht worden. Ein flüchtiger Blick auf seinen Schreibtisch erinnerte Weinrich daran, dass auch auf ihn eine Menge Arbeit wartete. Der Aktenberg war während seiner Abwesenheit auf wundersame Weise angewachsen. Ein beliebtes Spiel unter Kollegen, unliebsame Arbeiten dem sich jeweils in Urlaub befindlichen Beamten aufzutischen. Weinrich fühlte, wie sich der Erholungswert der letzten Wochen verflüchtigte und der drückenden Schwere des Alltags Platz machte.
„Na, noch im Urlaub?“, klopfte ihm ein vorbeieilender Kollege, der Weinrichs im Aktenberg versunkenen Blick bemerkte, aufmunternd auf die Schulter.
„Das gibt sich.“ Weinrich verzog die Mundwinkel. Es war wie immer, stellte er fest und zog den Bürostuhl näher an den Tisch. Eine hausinterne Mitteilung des neuen Polizeidirektors lag obenauf.
„Die Polizei auf dem Weg zu mehr Effizienz“, lautete die Überschrift. Der Text war gespickt mit Schlagworten wie Motivation, Nachhaltigkeit und Mehrwert und sollte den Weg von der Behörde zu einem Unternehmen skizzieren. „Wir müssen täglich besser werden“, hieß es. Unterschrieben war das Blatt mit „Ihr Werner Rother“.
Weinrich ließ die Aufforderung zu Mehrarbeit fallen, als habe er sich die Finger verbrannt. Rendite und Cash Flow waren die einzigen Worthülsen der neuen Unternehmenskultur, die Weinrich vergeblich suchte. Was glaubte dieser Mann, was er und seine Kollegen den ganzen Tag über taten? Bleistifte spitzen? Zeitung lesen? Jedes Wort war eine in Buchstaben geformte Daumenschraube, die Weinrich mit Macht abzustreifen versuchte.
„Sie sind Mario Weinrich?“, meldete sich plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund. Abrupt drehte sich Weinrich um. Vor ihm stand sein oberster Dienstherr. Die Uniform Rothers mit ihren akkuraten Bügelfalten und den glänzenden Sternen auf den Schulterepauletten als Zeichen des gehobenen Ranges wirkte auf Weinrich wie aus einem Designerladen. Mit einem energischen Händedruck, der keine Fragen offen ließ, wer hier das Sagen hatte, stellte er sich vor. „Schön, Sie hier auf meinem Polizeischiff begrüßen zu können“, sagte er mit einem Lächeln, das auf Weinrich einstudiert wirkte, als habe sein Vorgesetzter es sich auf einem Rhetorikseminar abgeschaut. „Ich möchte Sie gleich an das Wochenprotokoll erinnern, das finden Sie auf der Rückseite des Blattes, das Sie eben haben fallen lassen.“
Weinrich heuchelte ein Versehen, griff erneut nach dem Strategiepapier seines Vorgesetzten und drehte das Blatt um.
„Was können Sie persönlich tun, um den Erfolg der Polizei zu erhöhen? Machen Sie zehn verschiedene Angebote!“ Weinrich biss die Zähne aufeinander und lächelte kalt in Richtung Rothers. Ein Lächeln, das dieser ebenso frostig erwiderte. Für beide Seiten war entschieden: Der Kalte Krieg fand eine Fortsetzung in den Amtsstuben der Polizeidirektion – Versöhnung ausgeschlossen.
Weinrich ließ sich in seinen gepolsterten Bürostuhl fallen, nahm einen Stift und kritzelte sein persönliches Zehnpunktprogramm unter die Fragen. „Weniger essen“, schrieb er. Und: „Urinieren in eine Plastikflasche während der Dienstfahrt spart täglich zwölf Minuten ein.“ Diesen Satz unterstrich er doppelt. Das Lächeln kam zurück, während er weitere Vorschläge zur Effektivitätssteigerung machte. „Verlängerung der Dienstzeit auf 24 Stunden“, oder: „‚Erst schießen, dann fragen‘ spart lästige Verhöre“. Weinrich setzte drei Ausrufezeichen hinter seine Vorschläge, dann faltete er das Papier zusammen und legte es zur Hauspost. Er spürte die Erleichterung, seinem Ärger auf diese Weise Luft gemacht zu haben, griff in die Schublade seines Schreibtischs und zog eine bereits vorbereitete Bewerbungsmappe vom Stapel. Seit Jahren versuchte er die Dienststelle zu wechseln. Er wollte in ein Großstadt-Kommissariat, doch bislang waren all seine Bemühungen vergeblich geblieben. Weinrich zielte mit einem Dartpfeil auf die große Deutschlandkarte, die an der rückwärtigen Wand befestigt war. Am Rand des Rhein-Main-Gebiets blieb der Pfeil stecken – Mainz. Weinrich notierte die Adresse des dortigen Präsidiums auf dem Umschlag, fügte der Bewerbungsmappe ein Anschreiben hinzu, legte den Brief ebenfalls zur Hauspost und griff zum Telefonhörer. Er brauchte Informationen über Kunst. Wer klaut ein Bild mit dem Namen „Früchtekörbe, Früchteschale, Porzellankumme, Blumenvase mit Nelken und Gemüse“?
Ein Gärtner? Ein Blumenhändler? Herbert Schönfelder, Freund und Exkollege im Ruhestand, würde hier sicher mehr wissen als er. Immerhin betrieb er eine kleine Rosenzucht im heimischen Garten, und als geborener Hanauer kannte er sich mit den Gegebenheiten vor Ort einfach besser aus.
„Schönfelder.“ Die Stimme klang gestresst, als befinde er sich gerade im Anstieg auf einen Berggipfel. „Meine Rosen sind krank. Rosenpilz“, sprudelte es aus Schönfelder bei der allgemeinen Frage nach seinem Wohlbefinden heraus. Ein Pilz hatte Schönfelders Rosenzucht befallen. „Ich muss alles zurückschneiden.“ Schönfelders gärtnerische Neigungen waren für Weinrich gleichbedeutend mit extraterrestrischen Aktivitäten, und so ersparte er seinem Kollegen einen Kommentar.
„Was weißt du über Soreau und dieses Bild mit den Früchten und Gemüse?“, kam er zum Grund seines Anrufs. Schönfelder stöhnte.
„Ich bin wirklich kein Kunstexperte.“ Außer, dass dieses Bild einige Bedeutung für das Hanauer Selbstverständnis hat und eine Verbindung zu religiösen Zirkeln evangelischer Fundamentalisten bestand, konnte auch er nichts Neues zur Aufklärung des Falles beisteuern. Immerhin wusste er noch zu ergänzen, dass das Bild von internationaler Bedeutung für das Genre der Stillleben war und damals beim Erwerb durch die Stadt für großes überregionales Interesse der Medien gesorgt hatte.
„Lass uns mal wieder ein Bier zusammen trinken, wenn ich hier diese Gartenplage im Griff habe“, schloss Schönfelder.
Weinrich legte auf und spürte zugleich ein großes inneres Loch. Er wusste, wie man einen vermeintlichen Ganoven festsetzt, und auch den U-Turn mit quietschenden Reifen für die schnelle Verfolgungsfahrt beherrschte er. Schießen und Kämpfen waren Grundinhalte der Polizeiausbildung, doch hier fühlte er sich hilflos. Schwarz-Weiß und Farbe, das waren seine rudimentären Kenntnisse der Kunstwelt. Damit befand er sich auf dem Niveau eines dreijährigen Kitakindes. Die Betrachtung von Ölschinken war für ihn bislang nur ein Hobby gelangweilter Bildungsbürger gewesen. Für ihn zählte nur das richtige Leben, und das bestand aus Sex und Crime.
Baulärm schreckte ihn aus seinen Betrachtungen. Vom Fenster aus sah er eine Ansammlung von Menschen auf dem Freiheitsplatz vor der Polizeidirektion. Transparente mit der Aufschrift „Startschuss für das neue Hanau“ und „Ein großes Bauvorhaben beginnt mit dem ersten Spatenstich“ flatterten im Wind. Inmitten der Menschenmenge stand der Oberbürgermeister. Mit der Hand am Presslufthammer ließ er sich von der örtlichen Presse als Mann der Tat ablichten. Routiniert präsentierte er den Fotografen mehrere Posen, von lässig bis tatkräftig. Auch Fotograf Breitschuh blitzte in der ersten Reihe und verschwand in der Menge, nachdem er sein Feuerwerk abgebrannt hatte. Das neue Hanau war das prestigeträchtige Bauprojekt, mit dem die Stadt aus dem Schatten des benachbarten Frankfurt treten und sich ihrer letzten Kriegswunden entledigen wollte. Der 19. März 1945, als die Stadt unter einem Bombenteppich der Alliierten dem Erdboden gleich gemacht wurde, war ein schmerzhafter Schicksalstag. 90 Prozent der Innenstadt wurden zerstört. Davon hatte sie sich bis heute nicht erholt, wie die schnell in die Höhe gezogenen und schmucklosen Zweckbauten, die das Stadtbild prägten, bewiesen. Die Bausünden der Nachkriegszeit zeichneten das Bild einer lähmenden Tristesse. 30 000 US-Soldaten, die hier einst stationiert waren und das Fulda Gap vor den einfallenden Russen verteidigen sollten, sorgten für den zweifelhaften Ruf Hanaus als größter Sündenpfuhl außerhalb der USA. Prostitution und Schlägereien am Pay Day gehörten zum Straßenbild der 60er-Jahre, genauso wie der legendäre Ruf als deutsche Hauptstadt des Rock ‘n‘ Roll. Jetzt, nach dem Abzug der GIs, waren die Kasernen verwaist. Kebap-Läden, Sexdiscounts und zahlreiche leerstehende Geschäften, die mit großen Plakaten „günstige Miete – direkt vom Eigentümer“ um Mieter warben, bestimmten das Stadtbild, das die Stadtoberen mit einer Umgestaltung der City nun verändern wollten. Der zentrale Platz der Stadt, seit 30 Jahren als Busbahnhof und Parkplatz in der Hand der Autofahrer, war als neues Zentrum auserkoren. Mit allen Kräften stemmte sich die Lokalpolitik gegen den Zerfall. Grimm-Center und Brüder-Grimm-Märchenfestspiele sollten dem Geburtsort der großen Söhne der Stadt zu neuem Glanz verhelfen.
Der Oberbürgermeister winkte zum Abschied in die Menge und stieg in die Dienstlimousine, um das neue Hanau an anderer Stelle zu verkünden.
Weinrichs Telefon klingelte und schreckte ihn aus seinen Beobachtungen.
„Wir ham ´ne Leiche“, stöhnte der Streifenbeamte am anderen Ende der Leitung.
„Ich bin nicht zuständig“, stöhnte Weinrich zurück. „Ich mach den Kunstfall.“
„Eben deshalb. Hier ist alles voller Bilder.“
„Scheiße!“, fluchte Weinrich. Wenig später war er am Tatort. Eine Straßenbaustelle in der Neustadt. Hier wurde ebenfalls im Zuge des neuen Hanau gegraben, um die Kanäle auf den Stand der Zeit zu bringen. Weinrich parkte seinen Wagen direkt davor. Zwei Streifenbeamte hatten den Tatort notdürftig mit Absperrbändern gesichert.
„Die Spurensicherung ist verständigt.“ Die Streifenbeamten, stiegen in ihren Wagen und verschwanden. Weinrich blieb allein zurück. Allein mit der Leiche, den Bauarbeitern, die den Toten gefunden hatten, und einer Gruppe Schaulustiger. In der Grube lag ein Mann auf dem Rücken, bekleidet mit einem schwarzen Anzug und Hut. Den leeren Blick gen Himmel gerichtet. Um ihn herum zerbrochene Bilderrahmen und handtellergroße Stücke verschiedener Bilder, zerrissen und verstreut wie in einem Anfall von Wut. In einem Kreis um den Toten glänzte die Erde golden. Teile einer Goldfolie in der Größe von Konfettischnipseln gaben dem Ganzen einen unwirklichen Glanz.
„Bitte zurücktreten“, wandte sich Weinrich an die Gaffer, die versuchten, einen Blick auf den Toten zu werfen und dabei immer näher an die Absperrung rückten.
Für die Arbeiter indes schien der Fund des Toten eine willkommene Arbeitsunterbrechung zu sein. Die Gruppe scharte sich um den am Straßenrand stehenden Bauwagen und packte das zweite oder dritte Frühstück aus.
„Wer hat den Mann gefunden?“, rief Weinrich. Niemand antwortete. Weinrich wollte die Frage gerade wiederholen, als sich ein Mann aus der Gruppe löste und einen Schritt auf ihn zukam.
„Wir haben gerade Material geholt. Als wir zurückkamen, lag der da“, sagte der Arbeiter und kaute dabei an seiner Brotschnitte. Die Baustelle war unbeaufsichtigt, stellte sich bei der Befragung heraus. So gesehen war es für jeden ein Leichtes, hier eine Leiche abzuladen. Weinrich strich sich ratlos durchs Haar. Inzwischen war die Spurensicherung eingetroffen. Die unvermeidbare Frage nach seinem Urlaub bog Weinrich ab. Ihm war die Lust auf ein Gespräch vergangen.
„Ich war nicht weg“, log er.
„Ja, das kenne ich“, fuhr der Beamte unbeirrt fort. „Der erste Fall nach dem Urlaub ist der schlimmste. Da fragt man sich, warum man das alles überhaupt macht. Wir sind doch die, die ständig in der Scheiße wühlen.“
Weinrich winkte ab und stoppte damit den Redefluss des Kollegen. Aus der Baugrube ließ er sich einige Schnipsel der einstigen Bilder reichen. Es waren keine Originale, sondern Nachdrucke, die der Täter hier zerrissen hatte, das erkannte er auf den ersten Blick. Also ein Kunstfreund, der es nicht über Herz brachte, ein echtes Gemälde zu zerstören, dachte Weinrich, aber dafür einen Menschen über die Klinge springen ließ. Weinrich schüttelte sich angewidert. Der Tote war jenseits der 60, schätzte er, die Haare lang und ungeschnitten. Irgendwie wirkte er mit seinem Anzug und dem schwarzen Hut eigentümlich, wie aus einer anderen Zeit. Ein Beamter der Spurensicherung kletterte aus der Baugrube und kam auf den Ermittler zu.
„Ich glaube, der Mann war Jude“, sagte er leise und reichte Weinrich einen Davidstern, den er in eine kleine Plastiktüte gesteckt hatte. „Das trug der Mann an einer Kette um den Hals.“
Weinrich nickte und ließ das Amulett wie ein heißes Eisen vorsichtig in seine Tasche gleiten. Ein Toter, womöglich Jude und vielleicht sogar ermordet. Weinrich brauchte unbedingt Klarheit seitens der KTU. Ein Judenmord würde in der Stadt für Unruhe sorgen, da war er sich sicher. Noch immer standen Schaulustige hinter der Absperrung und warteten auf Neuigkeiten.
„Eben hat der was eingesteckt“, kommentierte jemand Weinrichs Handbewegung. Das Glitzern des Amuletts war nicht verborgen geblieben und wurde von den Passanten als Hanauer Goldfund gedeutet. In Erwartung weiterer Fundstücke wollte niemand zurückweichen.
Weinrich zog einen Mundschutz aus dem Untersuchungskoffer der Spurensucher. Mit festem Schritt ging er auf die Spanner zu und verkündete mit ernster Miene: „Ich muss Sie bitten, den Platz zu räumen. Wir fürchten, dass es sich hier um ein ansteckendes Virus handelt.“
Und wie zur Bestätigung legten nun auch die untersuchenden Beamten einen Mundschutz an und forderten lautstark die Herbeischaffung eines Atemschutzgeräts. Zur Untermauerung des bösen Verdachts täuschte Weinrich einen Schwächeanfall vor. Umständlich, um so die Dramatik zu steigern, schnallte er die Sauerstoffflasche auf den Rücken und stülpte die Maske über das Gesicht.
„Ebola, vielleicht is des Ebola, wie in Afrika“, machte ein schlimmer Verdacht die Runde. Langsam wichen die Gaffer zurück. Kurz darauf war der Platz vor der Baugrube leer.
„Merkwürdig“, sagte der Gerichtsmediziner und nahm Weinrich zur Seite. „Der Tote weist keinerlei sichtbare Verletzungen auf. Sieht fast so aus, als wäre er eines natürlichen Todes gestorben und erst später hier abgelegt worden. Genaueres kann ich aber erst nach der Obduktion sagen.“
Unter der Maske lächelte Weinrich, aber das konnte niemand sehen. Das war der große Fall, von dem er geträumt hatte.
„Herbert! Ach Mensch, komm! Reiß dich doch mal zusammen und vergiss deine kranken Rosen. Du sitzt ja nur noch da und siehst aus, als hättest du selbst schon den Rosenpilz. Guck dich doch mal an!“
Gerda Schönfelder war es leid, ihren Gatten genauso leiden zu sehen wie seine Rosen im Vorgarten, die sein ganzer Stolz waren. Statt voller Blüten in berauschender Farbenpracht zeigten die Stämmchen rissige, aufgeplatzte Rinde. Die jungen Triebe waren grau verfärbt, überzogen mit einem pelzigen Belag. Der Supergau für den Rosenzüchter. Bisher hatte es immer nur die anderen züchtenden Kollegen getroffen. Jetzt war der Schrecken auch im Vorgarten an der Steinheimer Schönbornstraße eingezogen.