cover

GUILLEM BALAGUÉ

PEP GUARDIOLA

Die Biografie

Mit einem Vorwort
von Alex Ferguson

Aus dem Englischen übertragen
von Werner Roller

Die Originalausgabe ist 2012 unter dem Titel »Pep Guardiola.
Another Way of Winning« bei Orion, London, erschienen.

Die Rechte an den Fotos im Bildteil liegen bei Miguel Ruiz
mit Ausnahme der anders gekennzeichneten.

1. Auflage

© 2012 by Guillem Balagué

© der deutschsprachigen Ausgabe 2013 by C. Bertelsmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: buxdesign, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-10920-2

www.cbertelsmann.de

Für meinen Bruder Gustavo (Culé),

meine Schwester Yolanda (seit Neuestem Culé),

Luis Miguel García (der nie ein Culé sein wird)

und Brent Wilks (der uns immer wieder daran erinnert,
dass es beim Fußball nicht um Leben und Tod geht)

Inhalt

Vorwort

Rom, 27. Mai 2009: Champions-League-Finale

Prolog

Teil I

Warum ist er gegangen?

1 Die Gründe

2 Die Entscheidung

Teil II

Vom Dorfplatz in Santpedor
auf die Trainerbank im Camp Nou

Teil III

Pep, der Trainer

1 Die Anfänge

2 Das außergewöhnliche 6:2 im Bernabéu-Stadion

3 Sechs Titel in einem Kalenderjahr

4 Die beiden Champions-League-Endspiele

5 Pep und seine Spieler

6 Pep Guardiola und José Mourinho

7 Der Abschied – und davor noch ein weiteres Finale

8 Die Geschichte geht weiter

Anhang 1: La Masía

Anhang 2:
Statistik vier wundervoller Jahre

Dank

Literatur

Namensregister

BILDTEIL

Vorwort

Von Sir Alex Ferguson

Als Pep Guardiola erkannte, dass er als Spieler in Barcelona keine Zukunft mehr hatte, gelang es mir nicht, ihn unter Vertrag zu nehmen. Es gab für ihn damals zwar keinen offensichtlichen Grund, den Verein zu verlassen, aber wir sprachen mit Guardiola, und ich dachte, dass ich eine gute Chance hätte, ihn auch zu bekommen. Vielleicht stimmte das von mir gewählte Timing nicht. Es wäre wohl eine interessante Zusammenarbeit geworden. Er war der Spielertyp, zu dem sich Paul Scholes dann entwickelte: Kapitän, Führungsspieler und Spielmacher im Mittelfeld des von Johan Cruyff trainierten unglaublichen Dream Teams von Barcelona. Er zeigte eine Spielübersicht und Fertigkeiten im Umgang mit dem Ball und bei der Gestaltung des Spielrhythmus, die ihn zu einem der größten Spieler seiner Generation machten. Nach Qualitäten dieser Art suchte ich und verpflichtete schließlich aus genau diesem Grund Juan Sebastián Verón. Manchmal sagt man sich beim Nachdenken über einen echten Spitzenspieler: »Wie wäre es wohl gelaufen, wenn er zu United gekommen wäre?« Bei Pep Guardiola hatte ich solche Gedanken.

Ich kann Peps Situation als Spieler verstehen. Ist man bei einem Klub wie Barcelona unter Vertrag, denkt man vielleicht, dass das ein Leben lang so bleibt. Als wir damals Kontakt zu ihm aufnahmen, dachte er möglicherweise, er hätte immer noch eine Zukunft im Klub, obwohl er ihn schließlich am Saisonende verließ. Es ist zwar jammerschade, aber im Fußball hat nichts auf Lebenszeit Bestand: Das Alter und die Zeit setzen einem zu, und es kommt der Tag, an dem man selbst und der Klub getrennte Wege gehen müssen. Damals dachte ich, wir würden Pep eine Lösung bieten, einen anderen Karriereweg, aber es wurde nichts daraus. Das erinnert mich an Gary Neville. Gary war im Alter von zwölf Jahren zu Manchester United gekommen und wurde mit der Zeit fast zu einem Familienmitglied: Er war wie ein Sohn, wie jemand, auf den man sich verlässt, dem man vertraut und der ein Teil des Mannschaftsgefüges ist. Aber eines Tages ist alles zu Ende. In Peps Fall muss die Erkenntnis, dass seine Spielerlaufbahn zu Ende ging, eine schwierige Angelegenheit gewesen sein. Ich konnte seine Zweifel verstehen, sein Zögern, sich klar festzulegen, aber die Sache kam an einen Punkt, an dem wir uns anderweitig umsehen mussten, und diese Gelegenheit verstrich ungenutzt.

An Guardiola fiel mir vor allem seine große Bescheidenheit auf, die für seinen gewaltigen Erfolg als Trainer enorm wichtig ist. Er hat niemals versucht zu prahlen, hat sich sehr respektvoll verhalten, und das ist sehr wichtig. Es ist gut, über solche Qualitäten zu verfügen, und in der Rückschau ist es offensichtlich, dass er in seiner gesamten Karriere so bescheiden aufgetreten ist. Als Spieler war er niemals der Typ für die Titelseiten. Er hatte einen bestimmten Spielstil, war nicht übermäßig schnell, zeigte aber eine fantastische Übersicht. Als Trainer ist er sehr diszipliniert in Bezug auf die Spielweise seiner Mannschaft, aber ob sie nun gewinnt oder verliert: Er ist immer dieselbe elegante, unprätentiöse Persönlichkeit. Ehrlich gesagt bin ich der Ansicht, dass es gut ist, jemanden wie ihn zum Kollegen zu haben.

Es sieht jedoch so aus, als hätte er in seiner Trainerlaufbahn einen Punkt erreicht, an dem ihm die Bedeutung seiner Tätigkeit in Barcelona bewusst war, aber zugleich erlebte er die damit verbundenen Anforderungen. Ich bin mir sicher, dass ihn die folgenden Fragen einiges Nachdenken gekostet haben: Wie lange wird es dauern? Wird es mir gelingen, ein weiteres Team zu formen, das Titel gewinnt? Werde ich ein weiteres Champions-League-Team zusammenbekommen? Kann ich dieses Erfolgsniveau halten?

Wäre ich rechtzeitig genug gekommen, um ihm Ratschläge zu erteilen, hätte ich Pep gesagt, er solle sich keine Sorgen machen. Schafft er es nicht, die Champions League zu gewinnen, so sagt das noch lange nichts über seine Qualitäten als Trainer oder über die Fähigkeiten seines Teams aus. Ich glaube, dass er auf eine gewisse Art sogar in einer günstigen Position war, weil er sich nur um eine einzige Sache Gedanken machen musste: wie er die gegnerische Mannschaft knacken und sie am Siegen hindern konnte.

Meiner persönlichen Ansicht nach geht es ums Weitermachen. Warum also sollte man weggehen? Die Frage mag sein, wie man die Spieler unter Kontrolle hält oder neue Taktikkonzepte entwickelt, weil andere Mannschaften nach und nach BarÇas Spielstil entschlüsseln. Oder wie man das Team motiviert. Nach meiner Erfahrung suchen die Menschen in ihrem Leben nach dem allereinfachsten Weg. Ich kenne zum Beispiel einige Leute, die mit 50 Jahren in den Ruhestand gegangen sind – fragen Sie mich nicht, warum! Der Tatendrang, den bestimmte Menschen zeigen, unterscheidet sich also vom Elan eines Scholes, eines Giggs, eines Xavi, eines Messi oder eines Puyol. Sie alle sind meiner Ansicht nach Ausnahmeerscheinungen, und Motivation ist für sie eigentlich kein Problem, weil ihnen ihr Stolz über alles andere geht. Ich bin mir sicher, dass es in Peps Kader reichlich Typen gab, die anderen als Vorbild und Motivationsquelle dienten: keine Typen, die vor der Zeit an Ruhestand dachten.

Ich kenne Gerard Piqué aus seiner Zeit hier bei Manchester United. Ich kenne diesen Persönlichkeitstyp: Jenseits des Fußballplatzes kann er ein entspannter, lockerer Bursche sein, aber auf dem Platz ist er ein Siegertyp. Das war er bereits hier bei uns, wir wollten nicht, dass der Junge wegging, und er ist auch bei Barcelona ein Siegertyp. Die Spieler, die Pep unter seinen Fittichen hatte, benötigten weniger Motivation als die meisten anderen. Vielleicht unterschätzte Pep seine Fähigkeiten als Motivator? Man konnte sehen, was er mit diesem Barcelona-Team konstant erreichte, und ein Trainer braucht eine besondere Begabung, um eine Wettkampfmannschaft mit so großem Erfolg und so lange Zeit auf diesem Niveau zu halten. Aber ich bin überzeugt, dass er über ein ausreichendes Instrumentarium verfügt, um so etwas wieder zu erreichen. Immer und immer wieder.

Was Guardiola in seinen vier Trainerjahren mit der ersten Mannschaft von Barcelona erreicht hat, übertrifft alles, was frühere Trainer im Camp Nou geleistet haben – und es waren einige große Namen darunter: van Gaal, Rijkaard und Cruyff, um nur ein paar von ihnen zu nennen. Aber Guardiola hat einige Dinge auf ein höheres Niveau geführt – etwa das Pressing –, und Barcelonas disziplinierte Spielweise und ein entsprechendes Arbeitsethos wurden zu einem Markenzeichen aller Teams unter seiner Leitung. Pep schuf eine Kultur, bei der die Spieler wissen, dass sie im Klub nichts verloren haben, wenn sie nicht hart arbeiten. Sie können mir glauben, dass das nicht so leicht durchzusetzen ist.

Was immer Pep nach seiner Auszeit als Nächstes tun wird, ob er nun in die Premier League wechselt oder nicht: Über seine Zukunft wird immer viel spekuliert werden. In Barcelona arbeitete er bei einem fantastischen Klub, und er wird es an keinem anderen Ort besser haben, wohin er auch gehen mag. Der Wechsel zu einem anderen Klub wird weder den auf ihm lastenden Druck noch die Erwartungen, die sich mit seiner Person verbinden, reduzieren. Er wird überall die gleichen Erfahrungen machen, wohin er auch geht: Er ist ein Trainer; er muss entscheiden, was für seine Mannschaft das Beste ist, er muss Spieler auswählen und die Taktik festlegen. So einfach ist das. In dieser Hinsicht erlebt man überall das Gleiche, weil der Trainerberuf immer mit Druck verbunden ist. Ich war bei Manchester United viele Jahre lang erfolgreich, aber das bekommt man nicht so ohne Weiteres – Stunde um Stunde und Tag für Tag wird man auf irgendeine Art gefordert. Letztlich geht es immer um die Tatsache, dass man es mit Menschen in der Welt des Fußballs zu tun hat. Dabei gibt es vieles, was einem Sorgen bereiten kann: Spielerberater, Familien, die Form, Verletzungen, das Alter, das persönliche Profil, das Ego und vieles andere. Ginge Pep zu einem anderen Klub, würde er es dort mit denselben Fragen zu tun bekommen wie bisher. Und die Erwartungen würden ihm folgen.

Warum also? Warum sollte er sich dafür entscheiden, wegzugehen? Hätte man mich gefragt, bevor Pep seine Entscheidung bekanntgab, hätte ich gesagt, es wäre unklug, diese Arbeit nicht weiterzuführen. Man denke an Real Madrid, das 1956 bis 1960 fünfmal nacheinander den Europapokal der Landesmeister gewann – und es gibt keinen Grund für die Annahme, dass er mit BarÇa nicht das Gleiche hätte erreichen können. Das wäre für mich eine persönliche Motivation, wenn ich dieses Team zu betreuen hätte. Und wäre ich Pep, wäre ein Weggang für mich die allerschwierigste Entscheidung gewesen.

Sir Alex Ferguson
Frühjahr 2012

Rom, 27. Mai 2009: Champions-League-Finale

Wir sind in der 8. Spielminute. Der FC Barcelona hat seinen Rhythmus noch nicht gefunden. Alle Spieler haben ihre Position eingenommen, aber keiner von ihnen ist bereit zuzubeißen, aufzurücken und den ballführenden Spieler unter Druck zu setzen. Sie spielen zurückhaltend, zeigen zu viel Respekt vor Manchester United. Víctor Valdés pariert einen Schuss von Cristiano Ronaldo. Es folgt ein weiterer Schuss. United kommt einem Tor näher. Ronaldo schießt knapp neben den Pfosten, um wenige Zentimeter. Das macht den Unterschied aus: wenige Zentimeter neben das Tor.

Es fehlten nur wenige Zentimeter, und die Fußballwelt wäre zu einer anderen Einschätzung von Pep Guardiola und seiner Camp-Nou-Revolution gekommen.

Giggs, Carrick und Anderson lassen den Ball nach Belieben in den eigenen Reihen laufen. Es muss etwas geschehen. Pep springt von der Trainerbank auf und bellt in rascher Folge Anweisungen, die Spieler hören seine Stimme trotz des Höllenlärms, der im ausverkauften Olympiastadion in Rom herrscht.

Messi erhält die Order, zwischen den beiden gegnerischen Innenverteidigern eine Position als hängende Spitze einzunehmen – und Eto’o wird auf die Außenbahn geschickt, er soll seinen Platz auf dem rechten Flügel einnehmen. Ferguson ist sitzen geblieben und gibt sich unbeeindruckt. Er ist mit dem bisherigen Spielverlauf überaus zufrieden, seine Mannschaft scheint das Geschehen zu bestimmen.

Aber das ändert sich, zunächst unmerklich. Messi spielt zu Iniesta, dieser zu Xavi, der wiederum zu Messi. Carrick und Anderson müssen plötzlich schnell reagieren, sie müssen entscheiden, wer zu bewachen, welcher Pass zu unterbinden, welcher Raum abzudecken ist. Giggs ist mit Busquets beschäftigt und kann ihnen nicht helfen.

Iniesta erhält den Ball in der Spielfeldmitte. Eto’o hat sich von Evra gelöst, und Iniesta erkennt die Gelegenheit, die sich auf der rechten Seite bietet. Er treibt den Ball nach vorn und spielt genau im richtigen Augenblick einen öffnenden, zentimetergenauen Pass zu Eto’o, der den Ball an der Strafraumkante annimmt. Vidić unternimmt noch einen Rettungsversuch, aber Eto’o zieht an ihm vorbei, er verlässt sich auf seinen Torinstinkt und versenkt den Ball einen Wimpernschlag später im kurzen Eck.

Das Ziel dieses Schusses, dieser Augenblick, der Höhepunkt eines Spielzugs – dies alles half mit, eine Idee, eine 40 Jahre zuvor ausgebrachte Saat in einen fußballerischen Tsunami umzuwandeln, der das Spiel auf Jahre hinaus verändern sollte.

Prolog

Pep verließ Barcelona und alles, was er dort ins Werk gesetzt hatte, weil er, verehrter Sir Alex, anders als die meisten anderen Trainer ist. Er ging weg, weil er schlicht und einfach nicht der typische Fußballer ist.

Sie konnten das bereits bei Ihrer ersten Begegnung mit ihm feststellen, auf der Trainerbank im Champions-League-Endspiel in Rom 2009. Guardiola hatte für dieses Finale ein Kompendium seiner Gedanken erstellt und seine Klubphilosophie auf alles übertragen, was mit diesem Spiel zusammenhing, von der Vorbereitung bis zur Taktik, von der letzten taktischen Besprechung bis zur Art und Weise, in der sie diesen Sieg feierten. Pep hatte die ganze Welt eingeladen, die Freude über die Teilnahme an einem großen europäischen Pokalfinale mit ihm und seiner Mannschaft zu teilen.

Er war zuversichtlich, die Mannschaft so gut vorbereitet zu haben, dass sie Sie besiegen konnte, und falls dies nicht gelang, sollten die Fans den Stolz mit nach Hause nehmen, es auf die BarÇa-Art versucht und im Verlauf dieses Prozesses eine düstere Phase der eigenen Geschichte überwunden zu haben. Er hatte nicht nur einen Negativtrend innerhalb des Klubs umgekehrt, sondern auch in den erst zwölf Monaten seit seinem Amtsantritt einige ungeschriebene, aber gängige Gebote beerdigt, die sehr wirkungsmächtig waren. Da war davon die Rede, dass das Gewinnen über allem anderen stehe, dass es unmöglich sei, die höchsten Ziele zu erreichen und dabei gut zu spielen und ein Spektakel zu bieten. Oder davon, dass die grundlegenden Werte der Fairness und des Respekts nicht mehr zeitgemäß seien. Wer hat diese Regeln formuliert, wer hat diese Mode in Gang gebracht? Pep war seit seinem ersten Tag auf Barcelonas Trainerbank entschlossen, gegen den Strom zu schwimmen, weil er nur daran und an nichts anderes glaubte.

Aber das war vor einigen Jahren.

Am Ende seiner Zeit in Barcelona war er nicht mehr der jugendlich wirkende, ambitionierte, begeisterte Trainer, den Sie an jenem Abend in Rom oder, im darauffolgenden Jahr, am UEFA-Hauptsitz in Nyon in einem seltenen Augenblick der Geselligkeit erlebt hatten.

An jenem Tag, an dem er vor Medienvertretern aus aller Welt ankündigte, dass er den Klub, dem er seit seiner Kindheit angehörte, nach vier Jahren als Trainer der ersten Mannschaft verlassen werde, konnte man sehen, welchen Tribut diese Zeit gefordert hatte. Es war abzulesen an den Augen und am zurückweichenden, inzwischen auch grau durchwirkten Haaransatz. Ja, die Augen – besonders gut sichtbar war die Entwicklung, wenn man ihm in die Augen sah. Er war nicht mehr so lebhaft und beeinflussbar wie an jenem Morgen in der Schweiz, als Sie ihm ein paar weise Worte und väterlichen Rat mit auf den Weg gaben. Wussten Sie schon, dass er dieses Gespräch, diese 15 Minuten mit Ihnen, immer noch als einen der Höhepunkte seiner Laufbahn bezeichnet? Er klang wie ein vom Starruhm geblendeter Teenager, der danach noch tagelang wiederholte: »Ich begegnete Sir Alex, ich unterhielt mich mit Sir Alex Ferguson!« Damals war das alles neu und aufregend. Hindernisse waren eher Herausforderungen als unüberwindliche Hürden.

Die moderne, rechteckige UEFA-Zentrale am Ufer des Genfer Sees war an jenem sonnigen Morgen im September 2010 bei der jährlichen Trainerkonferenz der Schauplatz für die erste gesellige Begegnung zwischen Ihnen und Pep Guardiola, seit Sie beide Trainer geworden waren. Vor diesem Termin war Ihnen in Rom kaum Zeit geblieben, mehr als bloße Höflichkeitsfloskeln auszutauschen, und Pep hatte sich darauf gefreut, etwas Zeit in Ihrer Gesellschaft verbringen zu können, weit weg vom Druck des Wettkampfgeschehens. Die Konferenz bot den Trainern die Gelegenheit für Klatsch, die Erörterung von Trends, für Kritik und Konsens im Rahmen einer Elitegruppe von Führungspersönlichkeiten, die den Rest des Jahres im Zustand fortwährender Einsamkeit verbringen sollten, intensiv beschäftigt mit der Betreuung von 20 oder mehr Egos, samt deren Familien und Beratern.

Unter den Gästen war auch ein gewisser José Mourinho, der schillernde neue Trainer von Real Madrid und aktuelle Champions-League-Sieger mit Inter Mailand, der Mannschaft, die Peps FC Barcelona in der vorhergehenden Saison im Halbfinale aus dem Wettbewerb geworfen hatte. Am mittleren Vormittag, am ersten von zwei Konferenztagen, trafen Sie mit einem von zwei Minibussen in der UEFA-Zentrale ein. Im ersten Bus saßen unter anderem der portugiesische Trainer, der damalige Chelsea-Coach Carlo Ancelotti und Claudio Ranieri vom AS Rom. Guardiola und Sie kamen mit dem zweiten Bus. Als Sie das Gebäude betraten, kam Mourinho auf die Gruppe zu, die sich um Sie herum gebildet hatte, während Guardiola ein Stückchen beiseitetrat, um diese Szene in sein Gedächtnis aufzunehmen: Er fotografierte den Augenblick, im stetigen Wissen um die Bedeutung dieser Ereignisse für seine eigene Lebensgeschichte. Schließlich war er von einigen der bedeutendsten Köpfe der Fußballwelt umgeben, er war hier, um zuzuhören, zu beobachten und zu lernen. So wie er das immer gehalten hat.

Pep blieb eine Weile für sich und hielt sich von den Gesprächen fern, die sich umgehend entwickelten. Mourinho nahm ihn aus den Augenwinkeln heraus wahr und löste sich aus der Gruppe, bei der er stand. Er begrüßte Guardiola und schüttelte ihm überschwänglich die Hand. Die beiden lächelten sich an. Einige Minuten lang führten sie ein angeregtes Gespräch, dann gesellte sich Thomas Schaaf, der Trainer von Werder Bremen, hinzu und fand gelegentlich die Aufmerksamkeit seiner Kollegen.

Es war das letzte Mal, dass Pep Guardiola und José Mourinho ein freundschaftliches Gespräch dieser Art führten.

Die gesamte Gruppe begab sich zur ersten von zwei Sitzungen an jenem Tag in den großen Konferenzsaal, wo Sie über taktische Trends sprachen, die in der zurückliegenden Champions-League-Saison zu beobachten gewesen waren. Ein weiterer Punkt waren die Themen, die mit der Weltmeisterschafts-Endrunde in Südafrika zu tun hatten, bei der Spanien kurz zuvor den Titel gewonnen hatte. Alle Teilnehmer posierten am Ende der ersten Sitzung für ein Gruppenfoto. Didier Deschamps saß in der Mitte der ersten Reihe zwischen Guardiola und Mourinho. Auf der linken Seite saßen Sie neben Ancelotti. Es wurde gescherzt und gelacht, die Veranstaltung entwickelte sich zu einem recht unterhaltsamen Tag.

Kurz vor der zweiten Sitzung blieb Zeit für einen Kaffee, und Sie und Guardiola fanden sich gemeinsam in einer Sitzecke wieder. Von dort hatte man eine atemberaubende Aussicht auf das klare, blaue Wasser des Genfer Sees und die Luxusvillen auf dem gegenüberliegenden Ufer.

Pep wurde in Ihrer Gegenwart ganz demütig. In seinen Augen sind Sie ein Riese der Trainerzunft, aber an jenem Morgen waren Sie ein freundlicher Schotte, der entspannt lächelte – so wie Sie das fernab des Rampenlichts oft halten. Sie bewunderten die Bescheidenheit, die der junge Trainer an den Tag legte, trotz der Tatsache, dass Pep bis zu diesem Zeitpunkt sieben von neun möglichen Titeln gewonnen und außerdem die Fußballwelt in Diskussionen darüber gestürzt hatte, ob er beim FC Barcelona eine Evolution oder eine Revolution in Gang gesetzt hatte. Ein Konsens bestand damals in der Feststellung, dass Pep mit seiner Jugend und positiven Einstellung zumindest für frischen Wind gesorgt hatte.

Der Kaffeeplausch verwandelte sich rasch in eine improvisierte Unterrichtsstunde zwischen dem Lehrer und seinem Schüler. Pep genießt es, zu beobachten und die Neuerungen aufzunehmen, die die Fußballlegenden zum Spiel beigetragen haben. Mit großem Detailreichtum erinnert er sich an Louis van Gaals Ajax Amsterdam und die Erfolge des AC Mailand mit Arrigo Sacchi. Über beide Themen könnte er eine halbe Ewigkeit reden. Ein Sieg in der Champions League ist ihm fast so viel wert wie ein Autogramm von Michel Platini auf seinem Trikot. Auch Sie gehören zu Peps persönlicher Hall of Fame.

Der Respekt des Schülers, der jedes Wort begierig aufnahm, verwandelte sich beim Zuhören in Verehrung, und zwar nicht nur wegen des symbolischen Gehalts dieses Gesprächs und Ihrer Vorstellung vom Berufsbild des Trainers. Es waren nicht nur die Einsichten, es war die Statur des Mannes, der hier das Wort führte.

Er bewundert Sie für die Länge Ihrer Amtszeit bei Manchester United, für die Zähigkeit und innere Stärke, die man braucht, um dieser Tätigkeit so lange nachgehen zu können. Pep hat immer gedacht, der Druck in Barcelona und der in Manchester müssten von unterschiedlicher Art sein. Er möchte unbedingt verstehen, wie man sich den Erfolgshunger bewahrt und dabei den Appetitverlust vermeidet, der unweigerlich auf eine Siegesserie folgt. Er glaubt, dass eine Mannschaft, die immer nur gewinnt, auch einmal verlieren muss, um die Lehren zu ziehen, die nur eine Niederlage bereit hält. Pep möchte entdecken, wie Sie das handhaben, Sir Alex. Wie Sie den Kopf wieder frei bekommen. Wie Sie mit einer Niederlage umgehen. Sie hatten nicht die Zeit, über all dies zu sprechen, aber diese Themen werden bei Ihrer nächsten Begegnung angesprochen werden, da können Sie sicher sein.

Pep verehrt Ihre Beherrschung in Sieg und Niederlage und die Art und Weise, in der Sie Ihre eigene Auffassung von Fußball mit Zähnen und Klauen verteidigen – und Sie rieten ihm außerdem, seinem eigenen Stil treu zu bleiben, seinen Überzeugungen und seinem Ich.

»Pepe«, sagten Sie zu ihm – und er hatte zu viel Respekt, um Sie wegen dieses Namensirrtums zu korrigieren –, »Sie müssen darauf achten, dass Sie sich selbst nicht aus dem Blick verlieren. Viele junge Trainer verändern sich, aus welchen Gründen auch immer, aufgrund von Umständen, auf die sie keinen Einfluss haben, weil manche Dinge zunächst nicht glücken oder weil der Erfolg einen Menschen verändern kann. Plötzlich wollen sie die Taktik ändern, sich selbst. Sie begreifen nicht, dass der Fußball ein Ungeheuer ist, das man nur besiegen und aushalten kann, wenn man immer bei sich selbst ist, unter allen Umständen.«

Für Sie war das vielleicht nur wenig mehr als ein freundlicher Rat, mit dem Sie einen väterlichen Instinkt zufriedenstellten, dem Sie gegenüber neuen Gesichtern der Fußballszene häufig folgten. Und dennoch enthüllten Sie – vielleicht unbeabsichtigt – Pep die Geheimnisse Ihres großen Durchhaltevermögens im Fußballgeschäft, Ihres Drangs zum Weitermachen und Ihrer seltsamen Beziehung zu dem Sport, in dem Sie sich manchmal gefangen und zu anderen Zeiten befreit fühlen.

Ihre Worte kamen ihm mehr als einmal in den Sinn, als er angestrengt über seine Zukunft nachdachte. Er versteht, was Sie damals sagten, konnte aber nicht vermeiden, dass er sich in den vier Jahren als Cheftrainer der ersten Mannschaft des FC Barcelona veränderte. Der Fußball, das Ungeheuer, veränderte ihn.

Sie warnten ihn davor, das wahre eigene Ich aus dem Blick zu verlieren, aber er veränderte sich. Das hatte zum einen mit dem Druck zu tun, der von einer dankbaren und hingebungsvollen Fanbasis ausging, die vergaß, dass er nur ein Fußballtrainer war. Zum anderen auch mit seinem eigenen Verhalten, denn er war schließlich unfähig, Entscheidungen zu treffen, die ihn und seine Spieler verletzen würden. Der emotionale Verschleiß wurde am Ende zu groß, war in der Tat nicht mehr zu verkraften. Das ging bis zu dem Punkt, an dem Pep der Überzeugung war, dass er einem Teil seines Ichs Erholung nur dann verschaffen kann, wenn er all das hinter sich lässt, an dessen Aufbau er mitgewirkt hatte.

Es stellte sich heraus, dass Pep nicht wie Sie ist, Sir Alex, sosehr er Ihren Rat auch beherzigen wollte. Sie vergleichen Fußball manchmal mit einem eigenartigen Typ von Gefängnis, dem besonders Sie selbst nicht entkommen wollen. Arsène Wenger teilt Ihre Ansicht und kann Guardiolas Entscheidung, ein zu Ruhm und Erfolg gekommenes Team aufzugeben, in dem ihm der beste Spieler der Welt zur Verfügung steht, ein Team, das allgemein verehrt und bewundert wird, weder nachvollziehen noch verstehen.

An dem Morgen, an dem Pep seinen Abschied von Barcelona bekanntgab, drei Tage nachdem Chelsea die Fußballwelt schockiert und den Titelverteidiger der Champions League im Halbfinale ausgeschaltet hatte, sagte Wenger vor Journalisten: »Die Philosophie von Barcelona muss mehr umfassen als einen Titelgewinn oder Titelverlust. Nach dem Ausscheiden aus der Champions League ist das vielleicht nicht der richtige Augenblick für eine solche Entscheidung. Ich hätte es gerne gesehen, wenn Guardiola – auch nach einem enttäuschenden Jahr – geblieben und zurückgekommen wäre und an seiner Philosophie festgehalten hätte. Das wäre interessant.«

Guardiolas Denkprozess verläuft oft unruhig, vor jeder Entscheidung ist er auf 180 – und er stellt eine Entscheidung auch weiter infrage, selbst wenn er zu einem Entschluss gekommen ist. Er konnte seiner Bestimmung nicht entgehen (als Trainer, der zu Barcelona zurückging), aber er ist nicht imstande, den Grad der Intensität auszuhalten, der ihn letztlich zermürben würde. Seine Welt ist voller Unsicherheit, Diskussionen, Zweifel und Anforderungen, die er niemals miteinander in Einklang bringen, denen er niemals genügen kann. Sie sind stets gegenwärtig. Ob er nun mit Freunden Golf spielt, daheim auf dem Sofa liegt, mit seiner Lebensgefährtin Cris und seinen drei Kindern einen Film anschaut oder nachts nicht schlafen kann. Wo immer er sich aufhält, er ist immer bei der Arbeit, denkt nach, entscheidet, hinterfragt. Und die einzige Weise, auf die er sich von seiner Tätigkeit (und den gewaltigen Erwartungen) lösen kann, besteht darin, alle Bande zu kappen.

Er kam 2007 voller Energie als Trainerneuling zur zweiten Mannschaft. Und er ging ausgelaugt als Trainer der ersten Mannschaft – fünf Jahre und 14 Titelgewinne später. Man nehme hier nicht mich zum Zeugen: Pep selbst sagte bei der Pressekonferenz, bei der er seinen Abschied bestätigte, wie erschöpft er sich fühle.

Erinnern Sie sich, wie Sie 2011, vor der Verleihung des Goldenen Balls, nach Pep gefragt wurden? Sie waren beide bei der Pressekonferenz anlässlich der Auszeichnung für Ihr Lebenswerk und Peps Auszeichnung als Trainer des Jahres. Sie antworteten sehr direkt: »Wo wird Guardiola etwas Besseres vorfinden als das, was er zu Hause hat? Ich wüsste keinen Grund, warum er all das hinter sich lassen sollte.«

Andoni Zubizarreta, der Sportdirektor des FC Barcelona und langjährige Freund von Pep, der um die Wirkung jenes Gesprächs in Nyon und die Wertschätzung, die Pep Ihnen entgegenbringt, wusste, bezog sich noch am selben Tag im Gespräch mit Guardiola auf Ihre Worte: »Hör mal, was Alex Ferguson, dieser weise Mann, mit seiner Welt- und Fußballerfahrung zu sagen hat …« Pep, der Zubizarreta bereits gesagt hatte, dass er zum Saisonende ans Aufhören denke, erwiderte darauf: »Du Mistkerl. Du suchst immer nach Möglichkeiten, mich zu verwirren!«

Sir Alex, sehen Sie sich einmal die Bilder von Pep zu der Zeit an, als er 2008 Barcelonas erste Mannschaft übernahm. Er war ein jugendlich wirkender 37-jähriger Mann. Erwartungsvoll, ehrgeizig, voller Energie. Schauen Sie ihn heute an, vier Jahre später. Er sieht nicht wie ein 41-Jähriger aus, nicht wahr? An jenem Morgen in Nyon war er ein Trainer, der seinen Klub gerade auf ein neues, schwindelerregendes Niveau hob, der einem Team dazu verhalf, Fußballgeschichte zu schreiben. Als Sie beide mit Blick auf den Genfer See miteinander sprachen, hatte Pep bereits innovative taktische Konzepte entwickelt. Aber in den folgenden Spielzeiten würde er auf noch revolutionärere Art verteidigen und angreifen, und seine Mannschaft sollte fast jeden Wettbewerb gewinnen, an dem sie teilnahm.

Das Problem bestand darin, dass er mit jedem Sieg auf diesem Weg sich nicht vom Ende entfernte, sondern diesem näher kam.

Ein Land, dem es an aktuellen Vorbildern fehlte, das mit einer Rezession kämpfte, erhob Pep zur gesellschaftlichen Leitfigur, zum perfekten Mann, zu einem Ideal. Das wurde selbst Pep unheimlich. Wie Sie wissen, Sir Alex, ist kein Mensch ohne Fehler. Und Sie mögen vielleicht widersprechen, aber es gibt nur ganz wenige Menschen, die eine solche Last auf ihre Schultern nehmen können.

Das Traineramt in Barcelona erfordert eine Menge Energie, und nach vier Jahren, nach denen er die europäischen Fußballabende nicht mehr genoss und nach denen Real Madrid die spanische Liga zu einer ermüdenden Herausforderung auf dem Platz und jenseits davon gemacht hatte, spürte Pep, dass es an der Zeit war, sich von der alles verschlingenden Organisation zu verabschieden, der er gedient hatte, seit er 13 Jahre alt war – mit einer Unterbrechung von nur sechs Jahren. Und wenn er zurückkehrt – denn er wird zurückkehren –, ist es dann nicht am besten, es zu tun, wenn man einst auf den Höhen des Erfolgs weggegangen ist?

Sehen Sie sich die Bilder von Pep noch einmal an, Sir Alex. Wird jetzt nicht deutlicher, dass er für den FC Barcelona alles gegeben hat?

Teil I

Warum ist er gegangen?