1. Auflage 2015
© Delius Klasing & Co. KG, Bielefeld
Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:
ISBN 978-3-667-10179-2 (Print)
ISBN 978-3-667-10357-4 (E-Book)
ISBN 978-3-667-10358-1 (E-Pub)
Idee: Motorliebe
Vespa-Fahrer: Michael Blumenstein, Dani Heyne, Lars Ringel
Text: Dani Heyne
Layout: Lars Ringel, Dani Heyne
Fotos: Daniel Phakos, Dani Heyne
Lektorat: Alexander Failing
Lithografie: Lithotronic, Berchtesgarden
Datenkonvertierung E-Book: HGV Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice, München
Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis
des Verlages darf das Werk, auch Teile daraus, nicht vervielfältigt
oder an Dritte weitergegeben werden.
www.delius-klasing.de
Dies ist die Geschichte eines Traums. Eines Abenteuers. Einer kleinen Therapie. Einmal mit alten Vespas quer durch die USA – wer je den italienischen Rollern verfallen war, spürt den Reiz dieser Unternehmung. Die wunderbare Unvernunft. Und die drohenden Schmerzen. Alle anderen stellen sich vor, ihren Bürostuhl für acht Wochen gegen einen einbeinigen Holzschemel zu tauschen. Und dazu bei geöffnetem Fenster die Alpen sehen zu dürfen.
Die Idee für diese Kultur-Tour war irgendwann da, die Freunde schnell begeistert. Als Team Motorliebe starten sie, um das Land der unbegrenzten Möglichkeiten besser kennenzulernen. Im Tank: Die Gewissheit, dass am Ende aller Tage die Gedanken nicht um Geld oder Karrieren kreisen – sondern um die starken Träume, die in Erfüllung gingen. Diese Geschichte soll Mut machen, anstiften und vor allem Freude bereiten.
LOS GEHT’S …
Alle drei Reise-Vespas sind serienmäßige PX 200* und rund 30 Jahre jung. Ihre luftgekühlten Zweitakt-Herzen entwickeln an guten Tagen zehn PS, die sich mit vier Gängen verwalten lassen. Die Problemzonen bei so einer Tour?
* Die Profis werden erkennen, dass es sich bei einer der drei Vespas um eine P 80 X (V8X1T) handelt, die mit einem 200er Motor verändert wurde
01 Von SANTA MONICA nach L. A. DOWNTOWN
02 Von L. A. DOWNTOWN nach PASADENA
03 Von PASADENA nach NEEDLES
04 Von NEEDLES zum MONUMENT VALLEY
05 Vom MONUMENT VALLEY hoch auf den PIKES PEAK
06 Vom PIKES PEAK nach STURGIS
07 Von STURGIS nach MINNEAPOLIS
08 Von MINNEAPOLIS nach CHICAGO
09 Von CHICAGO nach PITTSBURGH
10 Von PITTSBURGH nach NEW YORK CITY
NACHWORT
Unglaublich, jetzt geht die Reise tatsächlich los: in acht Wochen auf der Vespa durch die USA. Von Los Angeles nach New York City. Der Sonne auf vergessenen Straßen entgegen. Es wird ein amerikanischer Roadtrip der kleinen Geschwindigkeiten und großen Träume. Ob wir gut überlegt haben? Ach was. Wir waren viel zu beschäftigt, die Auszeit zu organisieren. Auf die vielen „Warum?“ war die Antwort schnell gefunden: Warum nicht!
Der Engel kichert mit heller Stimme. Er steht auf einer der alten Vespas, hat die Arme ausgebreitet und versucht, zu beruhigen: „Alles geschafft Jungs – Willkommen in Amerika!“
Der Engel heißt Connie, ein Import-Profi aus Los Angeles. Für uns hat sie einen acht Monate dauernden Transportkrimi gelöst. Drei kleine Vespas sollten auf günstigstem Weg aus Deutschland in die USA; zu einer Zeit, in der sich die Menschen permanent große und kleine Dinge zuschicken. In diesem Fall unterbreiteten sieben Transportfirmen acht Vorschläge. Die Bandbreite reichte von „Müsst nicht mal Benzin ablassen“ bis „Motor ausbauen und alles in spezielle Kisten verpacken.
Das Transportholz aber bitte zuvor gründlich begasen lassen.“ Einigkeit gab es bei den benötigen Papieren – da blickte nämlich keiner richtig durch. Nur bei den aufgerufenen Preisen waren sich alle sicher, gut und günstig zu sein … Das Spektrum glich grob umrissen dem Alpenpanorama.
Dann übernahm Special Agent Connie und dirigierte die Vespas sicher über den großen Teich. Leicht angestaubt warten sie nun in der Ankunftshalle, nicht wissend, dass gleich ein großes Abenteuer beginnt.
Auf der Vespa durch die USA. In acht Wochen von Los Angeles nach New York City. „Warum macht ihr das?“, fragt Connie. Die Antwort ist denkbar einfach: Nach Ausbildung, Studium und ein paar intensiven Jahren im Job ist es höchste Zeit, einem Traum nachzugehen. Sich in ein Abenteuer zu stürzen, das der Bauch möchte. Und dabei nicht an die Folgen zu denken, sondern sich auf die Reise zu freuen.
Die Wahl der Fahrzeuge? Wohl überlegt. Autos – vor allem ältere – bieten sich zwar an, verwässern so einen Roadtrip aber doch extrem. Schließlich sitzt man in einer metallenen Kapsel und saust behütet, aber abgeschottet, durchs Land. Moderne Cowboys reisen auf zwei Rädern, soviel steht fest. Alte Vespas erzeugen keine Vorurteile. Sie sind nicht schnell, nicht laut, nicht böse. Jeder (Zweiradfan) hat sie auf seine Art lieb. Die gewählten Modelle heißen PX 200, sind rund 30 Jahre alt, besitzen vier Gänge und an guten Tagen zehn PS. Damit werden sie uns gerade schnell genug durch ein Land tragen, das einen einmaligen Mix aus Küsten und Gebirgen, Wüsten und Wäldern, Flüssen und Seen sowie Einöden und Metropolen vorweist. Und gerade weil die USA politisch oft so rätselhaft bleiben, wird es interessant sein, den Menschen dieses Landes zu begegnen. Und einigen von ihnen einfache Fragen zu stellen. Dazu später mehr.
Jetzt möchte noch ein Van abgeholt werden – er wird in den kommenden Wochen Kamerawagen, Rettungsfahrzeug, Teiletransporter, mobile Küche und Wohnmobil sein.
Als das Team komplett ist, wiegen sich die Palmen am Strand von Santa Monica sanft hin und her. Von hier aus tastet der Blick über eine Reihe sauteurer Bungalowhäuser, die auf Stelzen thronen. Helden wie Steve McQueen haben es sich hier einst gemütlich gemacht – und kleine Anekdoten zurückgelassen. Ende der 1970er soll McQueen eines Nachts mit der Schrotflinte im Arm seinen Nachbarn besucht haben. Der hieß Keith Moon und war Schlagzeuger bei der Rockband The Who. Nicht die berühmten Partys von Moon brachten Steve auf die Palme, sondern der Lichtschein aus seinem Badefenster – er traf McQueens Bett. Der Überlieferung zufolge soll er seinen Nachbarn höflich darum gebeten haben, das Licht nachts auszuschalten. Ohne Erfolg. In jener Nacht marschierte McQueen also rüber, es gab einen Knall und nie wieder störendes Licht.
Ob es sich nun so abgespielt hat oder nicht: Dieses Fleckchen Erde ist nicht so falsch, wenn man sich im Tanz der Wellen verlieren möchte. Oder knappe Bikinihöschen mag.
Weiter oben, auf dem überschaubaren Streifen Teer, flaniert bis heute viel teures Blech. Obwohl der Highway 1 den Verkehr ein paar Meilen vom Strand weg führen soll, herrscht auf der bekannten Küstenstraße dichtes Gedränge. Drei alte Vespas sind mittendrin – als wäre es das Normalste der Welt. Ihre ersten Meilen rollern sie gemütlich ab. Sanft schalten, vorsichtig beschleunigen, genau hinhören, ob irgendwas klappert.
Tut es aber nicht. Die lange Schiffsreise hat den drei alten Damen nix ausgemacht. Nicht mal die Vergaser müssen gereinigt werden. Etwas Staub von den Blechen wedeln, Benzin- und Ölstand checken, zweimal antreten, los geht’s. Da sage nochmal einer, Italiener könnten nur hübsch designen …
Das Einfahren dauert bis zum Santa Monica Pier, wo die Route 66 auf einem breiten Holzsteg Anfang und Ende hat. Es ist der ideale Startpunkt für diese Reise.
Das sieht auch Jessica so, die beim Anblick der Vespas am Pier auf die Straße stürmt, die Combo stoppt und zur Freude aller Beteiligten einen astreinen Willkommens-Tanz (gekonntes Popowackeln) zelebriert. Wir hatten im Vorfeld noch kurz über Cheerleader nachgedacht – das aber toppt alles. Nach dem Tänzchen schüttelt Jessica fast schon schüchtern die Hände der Crew und wünscht eine gute Reise. Positiver Nebeneffekt ihrer Showeinlage: Wir haben auf einen Schlag die Aufmerksamkeit der anderen Besucher, was im überreizten Amerika nicht üblich ist. Nach zwei, drei erklärenden Sätzen und wohlwollendem Kopfnicken tuckern die Vespas wieder über die breiten, amerikanischen Straßen, die sich im Vergleich zu den Gässchen in Italien wie mehrspurige Autobahnen anfühlen. Die Fahrbahnübergänge sind jedoch oft derart schlecht verarbeitet, dass Vespas und Piloten böse durchgeschüttelt werden.
Kennt Amerika etwa keine Liebe zum Detail? Ein symbolträchtiges Stück Architektur in der Nähe von Venice Beach will trotz seiner Gräulichkeit das Gegenteil beweisen. Wenn auch in diesem Fall das große Ganze sehr speziell rüberkommt.
Nein, weder die CIA noch die NSA stecken hinter diesem XXL-Fernglas. Zumindest nach aktuellem Stand. Das Gebäude wurde von einer Werbeagentur Ende der 1980er-Jahre in Auftrag gegeben – und zwar bei Frank Gehry. Wer ihn nicht kennt: Die hübsch geschwungene Walt Disney Concert Hall im Herzen von L. A. ist ebenfalls sein Baby. Das Fernglas sollte den Besitzern Aufmerksamkeit sichern – dafür erhält Gehry noch heute volle Punkte. Der große Meister dachte beim Bau seines letzten Werkes durchaus sehr praktisch: Zwischen den beiden Fernrohren befindet sich die Einfahrt zum Parkhaus.
Verrückt geht es auch am bekannten Strand von Venice zu, dessen 4,5 Kilometer lange Promenade nicht nur für Surfer, Volley- und Basketballer sowie bunt bemalte Häuser steht. Diverse Hollywood-Filme verbreiten hartnäckig das Gerücht, in Venice Beach würden aufgepumpte Männer und Frauen draußen rumhanteln – am sogenannten Muscle Beach. Dabei befand sich der echte Muscle Beach zwei Kilometer nördlich von hier, bis er 1959 geschlossen wurde. Bodybuilding war damals aus der Mode gekommen. Die paar übrig gebliebenen stählernen Sportler pumpten fortan in Venice Beach weiter.
Egal, die Legende füllt den Boardwalk bis heute. Daher ist viel los, als die drei Vespas am berühmten Strand ankommen. Gefahren werden dürfen hier nur Fahrräder, Rollschuhe und Skateboards. Also schieben wir die drei alten Damen über die Promenade. Langsam und anmutig. Die Besucher schauen kontrolliert weg. Das ist hier Selbstschutz, sonst bekommt man nach zehn Metern ein softes Eis, eine schnelle Massage und einen kräftigen Joint aufgequatscht. Straßenkünstler, Wahrsager, Musiker, Maler und Artisten buhlen um viel Aufmerksamkeit und ein wenig Geld. Jeder ist in seinem eigenen Rausch. Die Szenerie? Ein eigenwilliger Mix aus Kirmes und Rimini, gerahmt von warmem Sonnenlicht, mächtigen Palmen und rauschenden Wellen. Am besten genießt man es mit etwas Abstand. Einer der zum Strand gerichteten Basketballplätze bietet perfekte Sitz- und Staungelegenheit.
Nach einer halben Stunde schnattern die Motoren der Vespas wieder – dies ist schließlich ein Roadtrip. Einer, der zu ein paar besonderen Plätzen Amerikas führen soll. Auf kleinen Wegen, fern der Hauptschlagadern.
Als wir die Reise planten, träumten wir uns anfänglich auf fetten Bikes. Keine Harleys, alte BMWs oder Yamahas. Aufs Wesentliche reduziert. Fein veredelt. Solche, wie sie bei Deus Ex Machina entstehen. Einer Marke, die weltweit Fans hat und hauptsächlich alten Motorrädern neues Leben schenkt, einzigartig umgebaut. Mittlerweile hat Deus auch Fahrräder und Klamotten im Angebot und einige Läden und Cafés eröffnet. Einer ist gleich um die Ecke in Venice Beach und soll Spitzen-Kaffee ausschenken. Nichts wie hin.
Eine alte Tankstelle – war ja klar. Der Innenhof überrascht mit viel Platz und guten Wandmotiven. Die beiden Typen hinter dem Tresen passen perfekt ins Bild. Der eine schaut aus wie ein verrückter Tätowierer, der andere wie sein bester Kunde. Beide sind Künstler, lieben Kaffee. Und so bereiten sie ihn auch zu. Gegenüber der Bar stehen zwei 1A Café Racer. Dahinter wartet die Chefin des Ladens für ein kleines Interview. Als sie die Vespas sieht, möchte sie draußen plauschen. Aber gern doch!
FÜR WAS STEHT DIE MARKE DEUS EX MACHINA?
„Deus Ex steht für Lebensgefühl. Wir haben Leidenschaft und Enthusiasmus – für alles und jeden. Unser Motto: außen rau, innen soft. Hier im Emporium – so heißt der Laden in Venice – bauen wir maßgeschneiderte Motorräder auf und stellen sie entsprechend aus. Dazu gibt’s ausgewählte Klamotten und leckeren Kaffee.“
SAG
MAL,
TAMMY
WANN MACHT DEUS DIE ERSTE VESPA?
„Das ist streng geheim.“
WAS MAGST DU AN DEN USA UND WAS NICHT?
„Als ich aus London kam, stand Amerika für Hamburger, Rock ’n’ Roll und Stretch-Jeans. Jetzt aber bedeutet es tolles Essen und feinste Roadtrips durch unterschiedliche Kulturen und Klimazonen. Man kann morgens surfen und nachmittags Ski fahren. Und das alles in einem Land. Ich kann mittlerweile verstehen, warum so viele Amerikaner keinen Pass haben.
Wenn du bereit bist, hart zu arbeiten, kannst du all deine Ziele erreichen. Nicht so cool: nur zwei Wochen Urlaub pro Jahr.“
WENN DU EINE SACHE IN DEN USA ÄNDERN KÖNNTEST, WAS WÄRE DAS?
„Das Wetter sollte überall so sein wie in Kalifornien. Dann könnten alle überall das ganze Jahr lang biken.“
Interessante Typen bei Deus. Und auch, wenn die Preise im Laden relativ hoch sind, passen Anspruch und gebotene Qualität zusammen. Sogar beim Kaffee – was ja in den USA längst nicht überall Standard ist. Hellwach und glücklich werden die Vespas angekickt. Es geht weiter, Richtung L. A. Downtown.