George Lowe
Briefe vom Everest
Tagebuch der Erstbesteigung 1953
Herausgegeben von Huw Lewis-Jones
Vorwort von Jan Morris
Nachwort von Peter Hillary
Aus dem Englischen von Ursula Bischoff
Mit 32 Abbildungen
Herbig
Das Original erschien 2013 unter dem Titel »Letters from Everest« bei Silverbear – ein Imprint von Polarworld Ltd., www.polarworld.co.uk
Alle Abbildungen aus dem Archiv von George Lowe außer Bild im Kapitel »Geschichte(n) vom Mount Everest«: © shutterstock
www.herbig-verlag.de
© 2013 George Lowe
© für die deutsche Ausgabe und das eBook:
2013 F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München,
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
Umschlagmotiv: Archiv George Lowe
Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering
ISBN 978-3-7766-8173-4
Der Stein altert.
Die Ewigkeit ist nicht der Steine Los.
Doch werde ich hinabsteigen aus dieser luftigen Höhe,
dem beflügelten weißen Frieden, dem glühenden
Hochgefühl.
Auf dass sich die Zeit um mich schließen, meine Seele
in den Kreis des täglichen Gleichmaßes eingehen möge.
Gleichwohl, darum wissend, wird mich das Leben nicht
mehr so stürmisch bedrängen,
Und ich werde immerzu spüren, wie sich die Zeit
rings um mich verschleißt.
Denn einst blickte ich ins Antlitz der weißen,
windumtosten Ewigkeit.
Eunice Tietjens, 1917
Alle Menschen träumen: jedoch nicht alle gleich. Diejenigen, deren Träume des Nachts in den staubigen Schlupfwinkeln des Geistes entstehen, erwachen und stellen im Laufe des Tages fest, dass sie nichtig waren; doch die Tagträumer sind gefährlich, denn sie könnten geneigt sein, ihren Traum offenen Auges auszuleben, um ihn zu verwirklichen.
Thomas Edward Lawrence, 1922
VORWORT
Die Briefe vom Everest sind nicht nur ein erinnerungswürdiges Zeitdokument, sondern kommen von Herzen, in doppelter Hinsicht. Sie wurden von einem 29-jährigen Neuseeländer mit »Herzblut« an seine Lieben in der fernen Heimat geschrieben. Und sie wurden während eines Zeitraums verfasst, der das Herzstück eines spannenden, weltbekannten Abenteuers ausmachte.
Diese beiden Herzen waren in gewisser Weise füreinander geschaffen. George Lowe war ein Bergsteiger von klassischem Format, geradlinig, unermüdlich, selbstlos, wie geschaffen für Unterfangen, die Ausdauer angesichts weiter Wege und scheinbar unüberwindlicher Hindernisse erfordern. Das Abenteuer war die britische Mount-Everest-Expedition von 1953, der es als erster gelang, den höchsten Berg der Welt zu bezwingen, und ihre Vorgehensweise war gleichermaßen von Beharrlichkeit, Achtung und Einfühlsamkeit geprägt, wie es der Tradition entsprach.
In den 60 Jahren, die seither vergangen sind, wurden unzählige Bücher und Artikel über diese Expedition geschrieben, doch niemand beschreibt die Gefühle, die mit dieser Erfahrung verbunden waren, eingehender als George Lowe in seinen stets lebendigen und oft berührenden Briefen vom Everest. Sie wurden vor Ort verfasst, inmitten des Geschehens, und an seine Schwester Betty in Neuseeland geschickt, welche die Aufgabe hatte, sie an die restlichen Familienmitglieder weiterzuleiten. Lowe schildert banale und bedeutungsschwere, erheiternde und verstörende, leichtlebige und schicksalhafte Situationen, berichtet unverblümt und mit erfrischender Klarheit von Experimenten zur künstlichen Sauerstoffzufuhr, von Dosenerbsen, Freundschaften und verhängnisvollen Gletscherspalten. Dadurch stutzt er atemberaubende Erfahrungen auf ein Maß zurecht, das gewöhnliche Sterbliche nachvollziehen können.
***
Die Welt ist mit Namen wie Edmund Hillary und Tenzing Norgay vertraut, die den Gipfel erreichten, oder mit dem von John Hunt, der die Expedition leitete. George Lowe hielt sich stets im Hintergrund, doch er war von zentraler Bedeutung für den Verlauf und Erfolg des Vorhabens. Er spielte in jeder Phase der Expedition eine entscheidende Rolle, harrte lange in extremer Höhe aus, bereit, bei jeder Aufgabe Hand anzulegen, sich in jede Notsituation einzubringen und Probleme während der anspruchsvollsten Etappen der Route in Angriff zu nehmen.
Hillary, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband, erklärte später, wäre Lowe Teil des Gipfelteams gewesen, hätte er das Ziel mit Sicherheit erreicht, und jeder, der die Briefe vom Everest liest, wird ihm beipflichten. Ihre Aussagekraft wird weder durch ein Gefühl der Enttäuschung noch Ironie beeinträchtigt. George genoss das Abenteuer Everest in vollen Zügen, und was er seiner Schwester Betty darüber berichtete, klingt rundum aufrichtig, zufrieden und authentisch.
Seine Einstellung spiegelt den Geist dieser Expedition wider, die heute noch genauso bewundernswert ist wie 1953. Einige kleinliche Unstimmigkeiten trübten eine Zeit lang den Ruf, den sie genoss – Wer war als Erster auf dem Gipfel? Warum wurde Tenzing nicht genau wie Hillary geadelt? –, doch das wagemutige Unternehmen hat Tausende Männer und Frauen bewogen, den Everest zu besteigen. In meinen Augen zeichneten John Hunts Expedition gleichwohl ein zutiefst achtungsvoller Umgang mit der Natur und ein beinahe achtloser Umgang mit dem Triumph aus. Beides trug dazu bei, sie bis zum heutigen Tag in respektvoller Erinnerung zu bewahren.
Auch die Geschichte hat ihren Teil dazu beigetragen. In der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts näherte sich die britische Nation dem Ende ihres Status als legendäre Weltmacht – sie dankte ab, obwohl das Volk dies nicht immer bemerkte nach den spektakulären Siegen, unfassbaren Tragödien und herausragenden Errungenschaften. Zufälligerweise trat in jenem Jahr 1953 die junge englische Königin die Thronfolge an, und Visionäre hofften, dass dieses Ereignis eine Art Wiedergeburt einleiten möge, den Beginn eines neuen Elisabethanischen Zeitalters.
Am 2. Juni 1953 fanden die Krönungsfeierlichkeiten in Westminster statt, und an diesem Morgen traf in London die Nachricht ein, dass der Everest bezwungen war. Nicht nur die ganze Nation, sondern Menschen in allen Teilen der Welt jubelten über die schicksalhafte Fügung. Für das britische Imperium erwies sie sich jedoch nicht als der erhoffte Neubeginn, sondern als Abgesang. Doch der Erfolg der Everest-Besteigung überdauerte den Niedergang. Diese Briefe legen nicht nur Zeugnis vom Charakter eines historischen Ereignisses, sondern auch von dem Charakter eines Mannes ab, der seinen Platz in der Geschichte redlich verdient.