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George MacDonald Fraser

Flashman und der Berg des Lichts

Die Flashman Manuskripte, Band 9

Kuebler Verlag

Das Buch

In diesem Band zieht Harry Flashman, höchst dekorierter Soldat seiner Königin, in den 1. Sikh-Krieg (1845 – 46). Er soll die feindliche Khalsa-Armee im Pandschab ausspionieren und trifft dort nicht nur auf den Koh-i-Noor-Diamanten, sondern natürlich auch eine schöne Maharani, die ihm (oder er ihr?) nicht widerstehen kann.

Der Autor

George MacDonald Fraser wurde vor allem berühmt durch die „Flashman Manuskripte“, einer Serie historischer Romane. Dabei handelt es sich um die fiktiven Memoiren von Sir Harry Flashman, einem hoch dekorierten britischen Offizier im Ruhestand, der auf seine Abenteuer zwischen 1840 und 1890 zurückblickt, die ihn unter anderem mit Bismarck, Abraham Lincoln, Crazy Horse, General Custer, Lola Montez und vielen anderen zusammengeführt hatte. Geboren wurde Fraser 1925, wurde Soldat und kämpfte in Burma. Er wurde Journalist, Schriftsteller und Drehbuchautor (unter anderen „Die drei Musketiere“ und den James-Bond-Film „Octopussy“). Er starb 2008.

Der Titel

Der Buchtitel „Flashman und der Berg des Lichts“ spielt auf den Koh-i-Noor an, den „Berg des Lichts“ („The Mountain of Light“), der in diesem Band eine Rolle spielt. Er hatte 186 Karat, wurde durch Schleifen auf 108 Karat gebracht, stammt vermutlich aus Indien und ist heute in der Krone von Königin Elizabeth eingearbeitet.

Flashman und der Berg des Lichts

Flashman im 1. Sikh-Krieg im Pandschab 1845-46

Band 9 der Reihe „Die Flashman Manuskripte“

Aus den nachgelassenen Papieren Harry Flashmans

Herausgegeben und bearbeitet von

George MacDonald Fraser

Herausgeber der deutschen Ausgabe: Martin Compart

Ins Deutsche übertragen von Dr. Marion Vrbicky

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Impressum

Weitere Informationen: www.kueblerverlag.de

Copyright © 1990 by George MacDonald Fraser, FLASHMAN AND THE MOUNTAIN OF LIGHT

Deutsche Übersetzung von Dr. Marion Vrbicky.

Neu durchgesehene, überarbeitete und ungekürzte Ausgabe:

Copyright © 2015 Kuebler Verlag GmbH, Lampertheim. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Einscannen oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herausgegeben von Martin Compart

Umschlaggestaltung: Grafissimo! Daniela Hertel

ISBN Buchausgabe: 978-3-942270-99-1

ISBN Digitalbuch, EPUB: 978-3-86346-115-7

Vorbemerkungen

Der Lebenslauf des Sir Harry Flashman, VC, war so ungewöhnlich und exzentrisch, dass es niemanden überraschen kann, wie sprunghaft er auch mit seinen Memoiren verfahren ist. Jene bildhafte Aneinanderreihung von Unglücksfällen, Skandalen und militärischen Berichten kam vor weit über zwanzig Jahren in einem Auktionshaus in den Midlands ans Licht des Tages, in Ölpapier eingeschlagene Pakete, welche seitdem in einer Reihe von Bänden herausgegeben wurden. Der vorliegende ist der neunte von ihnen.

Bezeichnender Weise begann der alte viktorianische Held seine Lebensgeschichte im Jahre 1839 mit seinem Hinauswurf aus Rugby wegen Trunkenheit (und gab sich damit, sehr zum Erstaunen der Literaturhistoriker, als der feige Rüpel aus Tom Brown's Schooldays zu erkennen). Er fuhr fort, wie ihm gerade zu Mute war, mit Sprüngen vorwärts und rückwärts in der Zeit, bis er am Ende des achten Pakets im Jahre 1860 nach dem Krieg in China wieder einmal im Zustand der Volltrunkenheit aus einem Billard-House in Singapur verschleppt wurde. Dazwischen hatte er sich von 1842, während des ersten Krieges in Afghanistan, bis zum Kampf gegen die Sioux 1876 herumgetrieben (eine kleine, noch nicht veröffentlichte Episode führt uns gar zu einer Prügelei im Jahr 1894 in der Baker Street, als er im 72. Lebensjahr stand). Viele zeitliche Lücken in seiner Geschichte müssen noch gefüllt werden, aber mit der Veröffentlichung des vorliegenden Bandes, der sich mit seinen frühen Mannesjahren beschäftigt, ist die erste Hälfte seiner Lebensgeschichte fast vollständig bekannt. Nur eine die Neugier weckende Lücke in den frühen 1850ern bleibt und ein paar einzelne Monate hier und da.

*

Bis jetzt ist es keine Geschichte zur moralischen Erbauung und dieses neueste Kapitel passt dazu. Es zeichnet einen unmoralischen und skrupellosen Schurken, dessen einzige lobenswerte Eigenschaft (Begriffe wie „Tugend“ oder „Skrupel“ können nicht auf einen verwandt werden, der stolz darauf war, nichts von beiden zu besitzen) seine Gabe zur genauesten Beobachtung war. Diese und das neue und oft überraschende Licht, welches er auf große Ereignisse und berühmte Personen seiner Zeit warf, waren verantwortlich für das starke Interesse der Geschichtsforscher und führten dazu, seine Memoiren mit den Boswell-Papieren zu vergleichen. Sei es, wie es ist, er setzte diese Begabung voll ein, wenn auch mit zitternden Nerven, in diesem fast vergessenen englischen Feldzug, der im vorliegenden Band beschrieben wird als „der kürzeste, blutigste und wohl auch seltsamste, denke ich, in meinem ganzen Leben“. Tatsächlich war er seltsam, schon wegen seiner Ursache, und Flashmans Bericht ist ein bemerkenswertes Fallbeispiel, wie ein Krieg beginnen kann und welche Intrigen, Schurkereien und Wechselfälle seinen Verlauf bestimmen. Er gibt auch die Geschichte eines sagenhaften Juwels wieder und eines außerordentlichen Quartetts – einer indischen Königin, eines Sklavenmädchens und zweier abenteuerlicher Söldner – welches selbst in einer erfundenen Geschichte kaum glaubhaft schiene (auch wenn Kipling einen von ihnen offensichtlich verwendet hat), wenn ihre Lebensläufe nicht anhand zeitgenössischer Quellen leicht überprüfbar wären.

Das war meine größte Besorgnis, wie auch bei den früheren Paketen der Flashman-Papiere, die mir ihr Eigentümer, Mr. Paget Morrison, anvertraut hat – mich davon zu überzeugen, dass Flashmans Erzählung mit den historischen Fakten übereinstimmt, soweit sie belegbar sind. Darüber hinaus habe ich lediglich Rechtschreibfehler verbessert sowie die üblichen Fußnoten, Anhänge und Register hinzugefügt.

George MacDonald Fraser

Kapitel 1

„Nun, mein lieber Sir Harry, ich muss Euch sagen“, sprach Ihre Majestät und senkte ihren Kopf dabei auf eine Weise, welche Palmerston immer auf den Gedanken brachte, sie wollte ihn damit in den Bauch boxen, „ich bin fest dazu entschlossen, Hindustani zu lernen.“

Und das, man bedenke, im Alter von 67 Jahren. Fast hätte ich sie gefragt, wozu zum Teufel sie das wollte, in ihrem Alter, aber glücklicherweise war mein dummes Eheweib schneller, klatschte begeistert in die Hände und rief, das sei eine großartige Idee. Nichts stärke so sehr den Verstand und erweitere den Geist wie die Bekanntschaft mit einer Fremdsprache, ist das nicht so, mein Lieber? (Elspeth, kann ich Ihnen sagen, spricht nur Englisch – nun gut, Schottisch, wenn Sie so wollen – und gerade genug Kindermädchen-Französisch, um damit durch den Zoll zu kommen und Bedienstete zu quälen, aber was immer die Queen auch sagt, wie verrückt es auch sein mag, reißt sie zu Begeisterungsstürmen hin). Treuherzig stimmte ich zu, natürlich, sagte ich, es sei eine wundervolle Idee, Madame, welche sicher von großem Nutzen sein werde, aber meine Zweifel müssen auf meinem Gesicht zu lesen gewesen sein, denn unsere souveräne Herrscherin füllte meine Teetasse ziemlich hastig, ließ sogar den Brandy weg, und meinte streng, dass Dr. Johnson mit 70 noch Holländisch gelernt hatte.

„Und ich habe ein ausgezeichnetes Gehör für Sprachen“, fuhr sie fort. „Ja, ich kann mich immer noch ganz genau der indischen Worte besinnen, welche Ihr gesprochen habt, als Euch mein Herzensgemahl dazu aufforderte, vor so vielen langen Jahren.“

Sie seufzte, trank einen Schluck und sprach sie dann aus, zu meiner Bestürzung. „Hamare ghali ana, achha din.“ Ich erinnere mich daran, dass Lord Wellington gesagt hatte, es sei ein Hindugruß.

Nun gut, das riefen die Huren in Bengalen, um ihre Kunden anzulocken, also hatte er Recht, irgendwie. Es waren die einzigen Worte gewesen, die mir in den Sinn gekommen waren, an diesem denkwürdigen Tag '42, als der Alte Herzog mich nach meinen Heldentaten in Afghanistan in den Palast gebracht hatte. Ich war zitternd und halb betäubt vor den Hoheiten gestanden, und als Albert mich bat, etwas in Hindi zu sagen, sprudelten sie heraus. Glücklicherweise war Wellington geistesgewandt genug gewesen, sie nicht zu übersetzen. Die Queen war damals ein hübsches, zartes Mädchen gewesen, scheu hatte sie gelächelt, als sie mir die Medaille ansteckte, die ich nicht verdient hatte. Jetzt war sie eine dicke, alte Person, grau und verblasst, die mit den Teetassen klimperte und das Konfekt vernichtete. Aber ihr Lächeln, das war noch da, oh ja, Kavallerieschnurrbärte, selbst weiß gewordene, ließen immer noch die junge Vicky zum Vorschein kommen.

„Es ist eine solch fröhliche Sprache“, sagte sie. „Ich bin sicher, sie kennt viele Scherze, nicht wahr, Sir Harry?“

Mir fielen schon ein paar ein, aber ich dachte, lieber sollte ich ihr den alten harmlosen Witz erzählen, der so beginnt: „Doh admi joh nashe men the, rail ghari men safar kar raha ta …“

„Aber was bedeutet das, Sir Harry?“

„Nun, Madame, es heißt, dass zwei Kerle mit dem Zug fuhren und sie waren, wie ich bedaure, sagen zu müssen, ziemlich angeheitert …“

„Aber Harry!“, rief Elspeth und tat schockiert, aber die Queen kippte nur noch einen Schuss Whisky in ihren Tee und befahl mir fortzufahren. So erzählte ich ihr, dass der eine Kerl sagte: „Wo sind wir?“ und der andere antwortete „Mittwoch!“, worauf der erste Kerl rief: „Himmel, hier muss ich aussteigen!“ Wie Sie sich denken könnt, fanden die zwei das ziemlich komisch und während sie sich bei ein paar Ingwerkeksen erholten, fragte ich mich wohl zum zwanzigsten Mal, warum wir hier waren, nur Elspeth und ich und die Große Weiße Mutter, und zusammen Tee tranken.

Sehen Sie, obwohl ich in diesen späten Jahren gewohnt war, jeden Herbst nach Balmoral[ 1 ] befohlen zu werden, um sie herumzukutschieren und ihren Schal zu holen, ihr Geschwätz zu ertragen und jeden Abend diese verdammten Dudelsäcke auch noch. Aber ein Ruf nach Windsor[ 2 ] im Frühling war etwas völlig Neues. Wenn er dazu auch „der lieben Lady Flashman, unserer schönen Rowena“ galt – sowohl die Queen als auch Elspeth gaben vor, Scott zu mögen –, kannte ich mich nicht mehr aus. Nachdem Elspeth sich von ihrer Begeisterung erholt hatte, „an den Hof gerufen zu werden“, wie sie es nannte, war sie ziemlich sicher, ich würde bei den Feiern zum Jubiläum die Peerswürde erhalten (ihr verrückter Optimismus kennt keine Grenzen). Ich dämpfte sie, indem ich ihr sagte, dass die Queen sicher nicht Adelskronen im Kasten liegen hatte, um sie an Besucher zu verteilen. Das ging nur über offizielle Kanäle und Salisbury war noch nicht so verkalkt, um mich zu adeln; ich war es nicht wert, bestochen zu werden. Elspeth rief, ich sei ein furchtbarer Zyniker und wenn Ihre Majestät selbst unsere Anwesenheit forderte, dann musste es um was Großartiges gehen, und was zum Himmel sollte sie anziehen?!

Nun das Großartige stellte sich als Buffalo Bill's Wild West Show [ 3 ] heraus. Ich kam zu dem Schluss, dass ich deswegen dorthin mitgeschleppt wurde, weil ich selbst im Westen gewesen war und als Autorität für alles galt, was wild und weit weg war. So saßen wir in üblem Gedränge in Earl's Court mitten unter einer Bande von Höflingen, während Cody auf seinem weißen Pferd prunkte, mit seinem Hut winkte und einen Hirschlederanzug trug, der am Yellowstone für Lachstürme gesorgt hätte. Ich sah genug Kriegsbemalung und Federn, um den ganzen Stamm der Sioux damit auszustatten, die Krieger heulten ihre Kriegsgesänge und schwangen ihre Tomahawks, die tapferen Reiter tänzelten, eine Kutsche voller zu Tode verängstigter Jungfrauen wurde überfallen und im letzten Moment erschien der tapfere Held und gab Dauerfeuer, sodass man vor lauter Pulverdampf nichts mehr sah. Die Königin sagte, das sei äußerst kurios und interessant und was bedeutet denn die Kriegsbemalung, mein lieber Sir Harry?

Gott allein weiß, was ich ihr geantwortet habe. Tatsache ist, während alle anderen das Spektakel bejubelten, dachte ich darüber nach, dass ich nur elf Jahre zuvor am Little Bighorn vor den echten Kriegern davongerannt war, als hätte ich den Teufel persönlich auf den Fersen, und dennoch mein Haar verloren hatte. Nachdem Cody der Queen vorgestellt worden war, sagte ich ihm das auch. Er rief: „Ja, beim Donner, das war ein Scharmützel, das ich versäumt habe!“, und wie er mich beneidete um meine Erlebnisse! Alter lügnerischer Schwindler. Aber darum geht es hier nicht. Als die Queen mit mir und Elspeth nach Windsor zurückfuhr und uns für den nächsten Tag zum Tee à trois einlud, erkannte ich, dass unsere Anwesenheit bei der Show nur ein Zufall war und der wahre Grund für die Einladung ein völlig anderer. Eigentlich eine unbedeutende Sache, wie sich herausstellte, aber sie inspirierte mich zu diesem Bericht, den Sie gerade lesen.

Sie wollte unsere Meinung hören, sagte sie, in einer außerordentlich wichtigen Angelegenheit – und wenn Sie es für seltsam befinden, dass sie solchen wie uns ihr Vertrauen schenkte, dem Diener des Empire im Ruhestand, ausgezeichnet für seine Tapferkeit und bekannt für seinem schlechten Ruf, und der Tochter eines Händlers aus Glasgow … nun, dann haben Sie sie nicht gekannt, unsere tiefbetrauerte Herrscherin. Oh, sie bestand auf ihren Rang und ihre Bedeutung, wie ein türkischer Sultan. Zweifellos die höchste, mächtigste Monarchin, die es je gab, und wie sie es betonte, aber – war man erst einmal ihr Freund, so war das eine völlig andere Geschichte. Elspeth und ich waren meilenweit vom Hof entfernt, bestenfalls auf halbem Weg in die bessere Gesellschaft, aber, sehen Sie, wir kannten sie seit sehr langer Zeit – und, nun ja, sie hatte immer eine Schwäche für mich (welche Frau nicht?). Elspeth hatte, abgesehen davon, dass sie eine ungekünstelte, glückliche Schönheit war, die sogar von ihrem eigenen Geschlecht gemocht wurde, die unbezahlbare Gabe, die Queen zum Lachen zu bringen. Als junge Frauen waren die beiden voneinander ganz eingenommen und jetzt, bei den seltenen Gelegenheiten zum Tête-à-tête, tratschten sie wie die Großmütter, die sie ja auch waren. Ja, am selben Tag (als ich gerade außer Hörweite war) erzählte sie Elspeth, dass es einige Leute gab, welche von ihr wünschten, sie solle an ihrem Goldenen Jubiläum zugunsten ihres widerlichen Sohnes abdanken, „aber das werde ich nicht tun, meine Liebe! Ich habe vor, ihn zu überleben, falls ich es schaffe, denn dieser Mann ist nicht fähig zu regieren, wie niemand besser weiß als Euer Ehemann, der die undankbare Aufgabe hatte, ihn zu unterrichten.“ Stimmt, bei einigen Gelegenheiten hatte ich für ihn den Zuhälter gemacht, aber es war verschwendete Liebesmüh' gewesen, er wäre auch ohne meinen Unterricht der gleiche großartige Lebemann und Hurenfreund geworden.

Aber gerade wegen des Jubiläums wollte sie unseren Rat, „und ganz besonders den Euren, Sir Harry, Ihr allein habt die notwendigen Kenntnisse.“ Das konnte ich mir zwar nicht vorstellen, sie hatte in den letzten Monaten viel zu viele gute Ratschläge bekommen, wie sie am besten ihr 50. Jahr auf dem Thron feiern sollte. Das ganze Empire befand sich im Jubiläums-Taumel, mit Gedenkansprachen und Festlichkeiten und Enthüllungen und Schulfeiertagen und Einweihungen von allem und jedem, jede Art von Extravaganz war gefragt. Die Geschäfte waren voll mit Jubiläumstassen und -tellern und Schnickschnack, auf denen der Union Jack und das verdammt düster blickende Gesicht Ihrer Majestät zu sehen waren. Es gab Jubiläumslieder in den Konzerten und Jubiläumsmärsche bei den Paraden, und selbst Gesäßpolster mit Musik, die „God Save the Queen“ spielten, wenn die Trägerin sich niedersetzte. Ich wollte Elspeth dazu bringen, sich einen zu kaufen, aber sie sagte, das sei respektlos, und außerdem könnten die Leute glauben, sie würde Geräusche machen.

Natürlich hatte die Queen in allem und jedem ihre Nase drin, nur sie konnte sicherstellen, dass die Feiern würdig und nützlich abliefen. Nur sie konnte die Beleuchtung in Kapstadt billigen und die Schachteln mit Schokolade für die Eskimokinder, die Planungen für Jubiläumsparks und Gärten und Konzerthäuser und Vogelbäder von Dublin bis Dunedin, die besonderen Jubiläumsroben (ich schwöre es bei Gott!) für die buddhistischen Mönche in Burma und die Sonderzuteilung von Stoff für die Leprakranken in Singapur. Wenn sich die Welt einmal nicht an 1887 und die Großmutter des Empire erinnerte, von der alle Wohltaten ausgingen, so würde es nicht ihre Schuld sein. Und nach Jahren in der Abgeschiedenheit hatte sie damit begonnen, sich im großen Stil herumzutreiben, auf Jubiläums-Festessen und -Versammlungen und -Abendgesellschaften und -Einweihungen – zum Teufel, sie hatte sogar Liverpool einen Besuch abgestattet.

Aber was ihr am meisten schmeichelte war, in den vollen Regalia der Kaiserin von Indien fotografiert zu werden, sie hatte eine Art Indisches Fieber bekommen und sie war fest entschlossen, dass die Jubiläums-Feiern einen Geschmack nach Curry haben sollten – daher ihr Entschluss, Hindi zu lernen. „Was sonst, Sir Harry, könnte denn unsere besonders hohe Achtung für unseren indischen Untertanen beweisen, denkt Ihr?“

Geld, Schnaps und Klunker wäre die richtige Antwort gewesen, aber ich kaute bedächtig schauend an einem Keks und sagte, sie solle ein paar indische Bedienstete einstellen, das würde einen guten Eindruck machen. Es würde auch die hochherrlichen Diener und Kriecher wütend machen, die sie umgaben, darauf konnte ich wetten. Nach einigem Nachdenken nickte sie und sagte, das sei ein kluger und passender Gedanke – wie sich herausstellte, war er es weder noch, denn der indische Wallah, der ihr besonderer Liebling wurde, war kein Gentleman aus hoher Kaste, wie er vorgab, sondern der Sohn eines prügelnden Aufsehers im Gefängnis von Agra. Als wäre das noch nicht genug, verbreitete er ihre geheimen indischen Staatspapiere in allen Bazars und trieb den Vizekönig halb zum Wahnsinn. Jaja, der alte Flashy weiß schon, was er tut.[ 4 ]

Damals aber war sie ganz begeistert davon und dann kam sie zur Sache. „Jetzt habe ich zwei Fragen an Euch, Sir Harry. Äußerst wichtige Fragen, so bitte hört genau zu.“ Sie rückte ihre Brille zurecht und kramte schweratmend in einem flachen Koffer, der neben ihrem Ellenbogen lag. Schließlich zog sie ein vergilbtes Blatt Papier heraus.

„Hier habe ich es. Colonel Mackesons Brief …“ Sie kniff die Augen zusammen. „… datiert vom 9. Februar 1852 … na, wo steht es denn … ah, hier! Der Colonel schreibt unter anderem: ‚In dieser Sache wird es am besten sein, jene Offiziere des Regiments zu befragen, welche ihn wirklich gesehen haben, vor allem Leutnant Flashman …‘“ Sie warf mir einen Blick zu, als wollte sie sichergehen, dass ich den Namen erkannt hatte. „… der ihn angeblich als erster gesehen hat und zweifellos genau sagen kann, wie er damals getragen wurde‘.“ Sie legte den Brief weg und nickte. „Seht, ich hebe alle meine Briefe sorgfältig gereiht auf. Man weiß nie, wann einer bedeutsam werden könnte.“

Ich verstand gar nichts. Wo bei Gott war ich 1852 gewesen und wer zum Kuckuck war „er“, von dem ich anscheinend genau wusste, wie er getragen wurde? Die Queen lächelte über meine Verwunderung. „Er mag sich ein wenig verändert haben“, sagte sie, „aber ich bin sicher, Ihr werdet euch an ihn erinnern.“

Sie nahm ein kleines Lederetui aus dem Koffer, legte es zwischen die Teetassen und öffnete den Deckel, mit der Miene eines Zauberers, der gerade ein Kaninchen aus seinem Hut zieht. Elspeth stieß einen Seufzer aus, ich sah hin – und mein Herz machte einen Sprung.

Es ist schier unmöglich, ihn zu beschreiben, man muss ihn aus der Nähe sehen … diese glitzernde Pyramide aus Licht, so breit wie eine Kronenmünze, fast lebendig durch das eisige Feuer, dass aus seinem Herzen zu strahlen scheint. Er ist ein unvergleichliches, böses Ding, er sollte gar kein Diamant sein, sondern ein Rubin, rot wie das Blut der Tausenden, die seinetwegen gestorben sind. Aber das war er nicht und auch nicht seine schreckliche Schönheit, die mich erschüttert hatten. Es war die Erinnerung, so unerwartet. Jaja, ich hatte ihn schon einmal gesehen.

„Der Berg des Lichts“, sagte die Queen zufrieden. „So nannten ihn die Nabobs, nicht wahr, Sir Harry?“

„Ja, Madame“, sagte ich, ein wenig heiser. „Koh-i-Noor.“

„Er ist ein bisschen kleiner als in Eurer Erinnerung, nicht? Er wurde unter der Anleitung meines lieben Albert und des Herzogs von Wellington umgeschliffen“, wandte sie sich erklärend an Elspeth, „aber er ist immer noch das größte, kostbarste Juwel der gesamten Welt. Erobert in unserem Krieg gegen die Sikhs, wisst Ihr, vor mehr als 40 Jahren. Aber hatte Colonel Mackeson Recht, Sir Harry? Saht Ihr in wirklich in seiner natürlichen Umgebung? Könntet Ihr mir das beschreiben?“

Bei Gott, das konnte ich! Aber nicht dir, altes Mädchen, und ganz bestimmt nicht vor meinem geliebten Eheweib, das gerade atemlos zitterte, als die Queen den glitzernden Stein mit ihren dicken Fingern ins Licht hielt. „Natürliche Umgebung“ war schon richtig. Ich sah ihn nun vor mir, wie ich ihn damals gesehen hatte, strahlend in seinem Bett aus bronzefarbenem Fleisch – im entzückenden Nabel dieser herrlichen Schlampe, der Maharani Jeendan, sein blendendes Licht beschämte die Tausenden von kleineren Juwelen an ihren Armen und Beinen. Das war ihre ganze Kleidung gewesen, als sie trunken zwischen den Polstern herumstolperte und kreischend lachte über die Grapschereien ihrer Tänzer. Sie trank ihren goldenen Becher leer und warf ihn durch den Raum, kichernd glitt sie auf mich zu, schlug im Takt der Trommeln auf ihre nackten Hüften, während ich, sturzbetrunken aber voller guter Absichten, versuchte, über einen Fußboden zu ihr zu kriechen, der scheinbar voller kaschmirischer Huris und ihrer Liebespartner war. „Komm und hol ihn dir, mein Engländer! Aii-ee, wenn der alte Runjeet das sehen könnte! Er würde von seinem Scheiterhaufen springen, nicht wahr?“

Sie fiel auf die Knie, ihr Bauch zitterte und der große Diamant blitzte in blendendem Licht. „Willst du ihn nicht nehmen? Soll Lal ihn haben? Oder Jawaheer? Nimm ihn, gora Sahib, mein englischer Bahadur!“[ 5 ] Ihr leicht geöffneter roter Mund und die kajalgeschminkten, drogenbetäubten Augen verspotteten mich durch den wirbelnden Dunst aus Parfum und Alkohol … „Harry! Warum schaust du so erregt? Was ist denn los?“ Elspeth war besorgt und die Queen schnalzte mitfühlend und sagte, ich sei verwirrt und das sei ihre Schuld, „denn ich bin sicher, meine Liebe, der plötzliche Anblick des Steins hat ihm all die schrecklichen Kämpfe gegen die Sikhs ins Gedächtnis zurückgerufen und den Verlust von, oh, so vieler seiner tapferen Kameraden. Habe ich nicht Recht?“ Liebevoll tätschelte sie meine Hand und ich wischte über meine schweißnasse Stirn und gestand, dass ich erschüttert war, weil schmerzvolle Erinnerungen wachgerufen worden waren … alte Kameraden, wisst Ihr, gefährliche Begegnungen, harte Zeiten, schlimme Sache. Aber ja, ich erinnerte mich an den Diamanten, er gehörte zu den Kronjuwelen des Hofes von Lahore, und er war …

„Sicherlich sehr geschätzt und mit Würde und Stolz getragen worden!“

„Oh, ja, Madame! Manchmal wurde er sogar herumgereicht.“

Die Queen war entsetzt. „Doch nicht von Hand zu Hand?“

Nein, sondern von Nabel zu Nabel, das Spiel war, ihn herumzureichen von Mann zu Frau, ohne die Hände zu benutzen, und jeder, der dabei erwischt wurde, dass er seinen Nabel mit Wachs beschmiert hatte, wurde disqualifiziert. Ich gab mir Mühe, ihr zu versichern, dass nur die königliche Familie und ihre, äh, engsten Freunde ihn je berührt hatten, und sie sagte, sie sei erfreut, das zu hören.

„Ihr werdet mir eine genaue Schilderung aufzeichnen, wie er getragen und gezeigt wurde“, sagte sie. „Natürlich hab ich ihn selbst schon auf verschiedenste Art und Weise getragen, denn obwohl man ihm nachsagt, er brächte Unglück, so bin ich doch nicht abergläubisch, und außerdem soll er nur Männern Unglück bringen. Auch wenn Lord Dalhousie ihn mir persönlich überreicht hat, so denke ich doch, er gehört allen Frauen des Empire.“ Jaja, ging mir der Gedanke durch den Kopf, Eure Majestät trägt ihn am Montag und die Putzfrau am Dienstag …

„Das führt mich zu meiner zweiten Frage und Ihr, Sir Harry, der Ihr Indien so gut kennt, müsst mich beraten. Wäre es passend, ihn für den Jubiläums-Gottesdienst in der Abbey in die Staatskrone einsetzen zu lassen? Würde das unseren indischen Untertanen gefallen? Könnte es irgendjemanden auch nur im geringsten beleidigen – zum Beispiel die Prinzen? Denkt darüber nach, bitte, und teilt mir Eure Meinung schleunigst mit.“ Sie starrte mich an, als wäre ich das Orakel von Delphi und ich musste mein Hirn von meinen Erinnerungen befreien, um zu verstehen, was sie da wollte.

Nach all der langen Einleitung war das also ihre Frage von „höchster Wichtigkeit“? So ein Schwachsinn! Als ob ein einziger von einer Million Nigger den Stein erkennen würde oder auch nur wüsste, dass er existiert. Und die, die ihn erkannten, würden fette, kriecherische Radschas sein, die selbst dann begeistert applaudieren würden, sollte sie vorschlagen, den Taj Mahal weiß, rot und blau zu bemalen und ihren verdammten Diamanten an die Spitze zu kleben. Trotzdem, sie zeigte mehr Einfühlungsvermögen, als ich ihr zugetraut hätte; gut, dann konnte ich sie beruhigen, wenn ich das wollte. Aber dessen war ich mir gar nicht so sicher. Es war richtig, wie sie gesagt hatte, dass der Koh-i-Noor nur Männern Unglück gebracht hatte, von Aladdin bis Schah Dschahan, Nadir, dem alten Runjeet und dem armen Zuhälter Jawaheer – ich konnte immer noch seine Todesschreie hören und erschauderte dabei. Aber er hatte auch Maharani Jeendan nicht viel Glück gebracht und sie war so weiblich, wie ein Mensch nur sein kann … „Nimm ihn, Engländer!“ – Gott, redet nur von Feiern! Nein, ich wollte nicht, dass er unserer Vicky Unglück brachte.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin auch nicht abergläubisch. Aber ich habe gelernt, den fremden Göttern zu misstrauen, und ich gestehe, dass der Anblick dieses infernalischen Dings mitten zwischen den Teetassen mich geschafft hatte … vierzig und mehr Jahre … Ich hörte wieder das Trampeln der Khalsa, wie sie Reihe um vollbärtige Reihe aus dem Mochi-Tor strömten: „Wah Guru-ji! Auf nach Delhi! Auf nach London!“ Das Donnern der Kanonen und das Pfeifen der Raketen, als die Dragoner Säbel schwingend aus dem Rauch hervorbrachen. Der alte Paddy Gough in seinem weißen Kampfmantel, der seinen Schnurrbart zwirbelte … „Ich bin nie besiegt worden und ich werde nicht besiegt werden!“, in seinem breiten irischen Dialekt … ein schlankes Pathanen-Gesicht unter einem türkischen Turban … „Ihr wisst, wie sie diese Schönheit nennen? Den Mann, der König sein wollte!“ … eine Prinzessin wie aus Tausend und Eine Nacht, sich zur Schau stellend vor ihrer Armee wie ein Tanzmädchen, sie verspottend … sie verhöhnend, halb nackt und tobend, ein Schwert in der Hand … Kohlen, die unter dem eisernen Rost schrecklich glosten … Liebende Hand in Hand in einem verzauberten Garten unter dem Mond des Pandschab … ein großer Fluss übersät mit Leichen von Ufer zu Ufer … ein kleiner Junge im goldenen Gewand, der den Diamanten hochhält, Blut rinnt über seinen kleinen Finger … „Koh-i-Noor! Koh-i-Noor!“

Die Queen und Elspeth waren vertieft in ein großes Buch voller Bilder von Kronen und Diademen und Reifen, „denn ich kenne meine Schwäche für Juwelen, wisst Ihr, und wie sie mich auf den falschen Weg führen kann, aber Euer Geschmack, meine liebe Rowena, ist gänzlich makellos … Nun, wenn man ihn so einpassen würde, zwischen den Lilienblüten …“

Ich sah schon, ich würde die nächsten paar Stunden kein Gehör finden, so stahl ich mich hinaus, um zu rauchen. Und mich zu erinnern.

*** Anmerkungen ***

[ 1 ] Schloss in Schottland, Sommerresidenz der britischen Könige und Königinnen seit Viktoria.

[ 2 ] Windsor Castle, eine der Hauptresidenzen der britischen Monarchen.

[ 3 ] „Ein besonders außergewöhnlicher und interessanter Anblick“, wie Königin Viktoria in ihrem Tagebuch am 11. Mai 1887 vermerkte.

[ 4 ] Ob es schließlich wirklich Flashmans Vorschlag war oder nicht, die Queen stellte im nächsten Monat zwei indische Bedienstete an, einer davon war der macht- und habgierige Abdul Karim, bekannt unter dem Titel „Munshi“ (Lehrer). Er war beinahe ein ebenso so großer königlicher Favorit wie der bekannte John Brown und war am Hof noch unbeliebter. „Munshi“ unterrichtete nicht nur die Queen in Hindi, welches sie im August 1887 zu lernen begann, er erhielt auch Zugang zu ihrer Korrespondenz, durfte ihre Unterschrift trocknen und sogar zur Tee-Zeit ihren Toast buttern. Er gab vor, der Sohn eines berühmten Arztes zu sein (ein Gerücht nannte seinen Vater Generalsarzt der Indischen Armee), aber Nachforschungen zeigten, dass sein Vater in Agra Apotheker des Gefängnisses war. Wie Flashman sagte, hatten die Jubiläumsfeiern der Queen 1887 einen starken indischen Anstrich. Während ihrer Herrschaft war die Bevölkerung im Rest des Empire von 4 Millionen auf 16 Millionen angewachsen, während die des indischen Subkontinents sprunghaft von 96 Millionen auf 254 Millionen anstieg. Die Festlichkeiten in Indien begannen am 16. Februar und reichten von Feuerwerken und Banketten bis zur Eröffnung von neuen Bibliotheken, Schulen, Krankenhäusern und Hochschulen im ganzen Land. In Gwalior wurden alle Rückstände an Grundsteuer (gesamt 1 Million Pfund) erlassen. In Britannien selbst erreichten die Feiern erst am 21. Juni ihren Höhepunkt, als die Queen in Begleitung der indischen Prinzen an der Spitze einer feierlichen Prozession in Westminster Abbey am Gottesdienst teilnahm. Überall wurden Loyalitätsbekundungen abgehalten (außer in Cork und Dublin, wo es aufrührerische Demonstrationen gab), selbst in den USA wurde gefeiert. Der Bürgermeister von New York hatte den Vorsitz bei einer großen Thanksgiving-Feier. (dargestellt in The Life and Times of Queen Victoria, 1888 von Robert Wilson, mit einer genauen Beschreibung der Jubiläumsfeierlichkeiten; ebenso in Victoria von Stanley Weintraub, 1987).

[ 5 ] Gora Sahib: Herr Engländer. Bahadur: Held, Kriegsheld. Hinweis: Ein Glossar finden Sie am Ende des Buches.