Wie Frauen Glück erleben
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in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013
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ISBN (E-Book) 978-3-451-34576-0
ISBN (Buch) 978-3-451-61150-6
Inhalt
Vorwort
Annäherung an das Alltagsglück
Was ist Glück? Warum das Forschen über Glück so schwierig ist
Waren die Menschen früher glücklicher? Glück im Wandel der Zeit
Warum Goldmarie glücklich wurde und die Frau des Fischers nicht – Alltagsglück im Märchen
Glückserlebnisse und Lebensglück
Die einfachen Dinge des Lebens
»Hier hat man viel mehr das Bewusstsein, was brauch’ ich eigentlich zum Leben.« Vera (Lederkunsthandwerkerin, erzählt von ihrem Leben in einem Wagendorf)
Macht Erfolg glücklich?
»Man ist vielleicht nicht so toll, wie man sein möchte, aber auch nicht so schlecht, wie man sein könnte.« Luise Kinseher (Kabarettistin und Schauspielerin)
Ist das noch Arbeit oder ist das schon Entspannung?
»Ich habe meine Leidenschaft für Filme und Bücher zum Beruf gemacht.« Brigitte (Wissenschaftlerin und Geschäftsführerin)
Liebe, Familie, Freundschaft
»Wenn die ganze Familie beieinander ist und wir zusammen Musik spielen, das ist für mich das größte Glück.« Gertraud Well (Musikerin, Mutter von 15 Kindern, vielfache Großmutter und Urgroßmutter)
Mutterglück: Illusion oder eine andere Dimension von Glück?
»Meine Kinder sind die Erfüllung meines Lebenstraums.« Elisabeth (Lehrerin in Elternzeit, Mutter von sieben Kindern)
Vom Glück, Teil eines größeren Ganzen zu sein: Glaube und Heimat
»Ohne meinen Glauben hätte ich den Ausstieg aus dem Orden nicht geschafft.« Majella Lenzen (ehemalige Nonne und Missionsschwester, Autorin)
Wenn das Glück pausiert
»Das Glück liegt nicht auf der Straße.« Jana (Verkäuferin einer Straßenzeitung)
Auf der Suche nach dem Alltagsglück
Dank
Anmerkungen
Literatur
»Alle Menschen wollen glücklich sein.« Treffender könnte man die Befindlichkeit unserer Zeit nicht charakterisieren. Das zeigt sich nicht nur an den vielen Glücksrezepten in Büchern und Zeitschriften, sondern auch an der Werbung, die kaum noch ohne Glücksversprechen auskommt, ob sie nun ein Wellness-Wochenende oder eine Waschmaschine verkaufen will. In Glücksseminaren kann man lernen, wie man glücklich wird. Wer etwas mehr Geld ausgeben will, kann sich seinen ganz persönlichen Glückscoach buchen. Immer mehr Schulen setzen inzwischen Glück als Unterrichtsfach auf den Lehrplan. »Alle Menschen wollen glücklich sein« – dieser Satz stammt nicht von einem scharfsinnigen Gesellschaftsanalytiker aktueller Entwicklungen oder von einer psychologisch geschulten Werbetexterin, sondern von einem Philosophen der Antike: von Aristoteles. Aber weiß ein Mann, was Frauen wollen? Auch wenn uns leider keine Aussagen von einer klassischen Philosophin über Glück überliefert sind, so können wir doch davon ausgehen, dass Aristoteles mit dieser allgemeinen Aussage recht hat. Auch Frauen wollen glücklich sein. Dieser Wunsch liegt im Innern unseres Menschseins. Das ist nun keine überraschende Erkenntnis. Doch kaum jemals wurde so viel dafür getan, das Glück zu finden, wie heute. Vom Zwang, glücklich zu sein, wird vereinzelt gewarnt, es verhallt aber ungehört im Halali der allgemeinen Glücksjagd.
Die Glücksratgeber und Glücksrezepte, die fast schon die Anzahl der Kochrezepte erreichen, zeigen viele Wege zum Glück. Die Ratschläge, die dort gegeben werden, stimmen ja auch alle irgendwie. Natürlich macht es glücklicher, mit Freundinnen am See ein Picknick zu machen, als alleine in seiner Wohnung durch die Fernsehprogramme zu zappen. Und der heiße Glückstipp, sich selbst anzunehmen, wie man ist, wäre ja auch kein Problem, wenn man es erst mal geschafft hat, seine überflüssigen Pfunde loszuwerden.
Weder die Glücksangebote noch die Glücksrezepte machen uns glücklicher. Im Gegenteil, der Druck, glücklich zu sein, wird immer größer, denn auch die Forschung zeigt: Glückliche Menschen sind gesünder, sie sind kreativer, sie sind klüger und sie sind auch noch netter. Wer will das nicht erreichen? Gleichzeitig nehmen psychische Erkrankungen zu. Immer mehr Menschen leiden unter Depressionen, Angstzuständen oder dem Burn-out-Syndrom. Bei der Suche nach Glück sind wir nicht sehr erfolgreich, obwohl die Glücksforschung in den letzten Jahren boomt und beachtliche Erkenntnisse hervorgebracht hat. Woran liegt das? An unserem fehlenden Wissen liegt es nicht, an unserem guten Willen auch nicht und an unserem Bemühen, das Glück zu finden, erst recht nicht.
Je mehr wir uns auf das Glück konzentrieren, desto weniger erreichen wir es, so scheint es. Irgendetwas läuft da falsch. Vielleicht ist uns das Glück zu wichtig geworden. So wichtig, dass wir alles andere aus dem Blick verlieren und nur um uns selbst und das Glück kreisen. Wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen, wie zum Beispiel der Philosoph Ulrich Pothast oder der Neurologe und Psychotherapeut Viktor E. Frankl oder der Gehirnforscher Manfred Spitzer, haben gezeigt, dass das Glück ein Nebenprodukt ist. Das bestätigt auch unsere eigene Erfahrung. Deshalb müssen wir unseren Blick wieder auf andere Dinge richten. Vielleicht weicht auch das moderne Glücksverständnis zu sehr von unserer Alltagserfahrung ab und es ist diese Diskrepanz, die uns unglücklich macht. Oder wir haben die Glückslatte so hoch gehängt, dass wir sie nicht erreichen können, auch nicht mit Anlauf.
Glück hat für unser Leben eine große Bedeutung. Das steht außer Frage. Doch unser heutiges Verständnis von Glück hat seine Gefahren. Der Philosoph Wilhelm Schmid schreibt, dass man auch aufgrund von Begriffen krank werden kann. Wenn man unter Glück ein Dauerwohlgefühl versteht und sich an denen misst, die scheinbar das Glück gepachtet haben, und wenn man ignoriert, dass es Auszeiten vom Glück gibt, dann kann das eigene Leben nur scheitern.
Viele Glücksbücher entwerfen ein Bild von Glück, das mit unserer eigenen Glückserfahrung nicht mehr viel zu tun hat, ebenso die Werbung: Produkte werden heute mit Glücksversprechen verkauft, ob es die Anti-Aging-Creme, die Designer-Müslischale oder eine Kreuzfahrt auf dem Luxusliner ist. Wir brauchen diese Dinge nicht wirklich, zumal schon genug Cremes im Badezimmer stehen, wir gar kein Müsli mögen und es uns auf dem Schiff schlecht wird. Das wissen auch die Produktmanager und Werbefachleute. Deshalb versprechen sie das, was wir haben wollen: ein glückliches Leben.
Wenn wir wissen wollen, was wirklich glücklich macht, sollten wir andere Menschen nach ihrem ›Glück-Erleben‹ fragen. Das empfiehlt der Harvard-Professor Daniel Gilbert, einer der renommiertesten Glücksforscher. Im Glückserleben sind wir einander ähnlicher, als wir es wahrhaben wollen.
In diesem Buch stehen deshalb persönliche Glückserfahrungen im Mittelpunkt, und zwar die von Frauen. Warum Glückserlebnisse und warum die von Frauen? Viele Bücher über Glück bleiben im Allgemeinen. Die hier erzählten Glücksgeschichten sind nah am realen Alltagsleben. Und mit der Fokussierung auf Frauen wird das Glückserleben noch mehr herangezoomt und dadurch detaillierter betrachtet. Über Glück wurde schon viel geschrieben, darüber, wie einzelne Menschen Glück erleben, schon weniger und wenn wir wissen wollen, wie Frauen Glück erleben, dann müssen wir ganz schön lange suchen.
Außerdem werden die meisten Bücher über Glück von Männern geschrieben. Das sagt nun nichts über die Qualität aus. Es gibt darunter hervorragende Arbeiten. Viele davon habe ich in dieser Studie verwendet. Eine der wenigen Forscherinnen ist die amerikanische Psychologin Sonja Lyubomirsky, die sich seit ungefähr 20 Jahren mit dem Glück beschäftigt und deren Buch Glücklich sein. Warum Sie es in der Hand haben, zufrieden zu leben zu einem Bestseller wurde. Warum sind es vor allem Männer, die das Glück untersuchen und darüber schreiben? Sind Frauen näher am Glück, während Männer immer noch danach suchen?
Doch zurück zum Thema. In diesem Buch soll es ja um Frauen gehen. Die Glücksgeschichten, die in diesem Buch erzählt werden, sollen zu einer größeren Gelassenheit im Umgang mit Glück anregen. Es geht nicht um Rezepte, wie Frauen noch glücklicher werden, sondern um die Wahrnehmung des Glücks im eigenen Alltag. Nicht ein unerreichbares Glücksideal steht im Mittelpunkt, sondern reales Glückserleben. Dies kann ein erster Schritt sein, die überhöhten Glücksansprüche an das Leben auf ein menschliches und erreichbares Maß zurückzuschrauben. Wir können wieder das in den Blick bekommen, was uns wirklich wichtig ist, nämlich ein erfülltes Leben. Und das besteht aus mehr als aus der Aneinanderreihung von Glücksmomenten und ist mehr als ein in Watte gepacktes Dauerwohlgefühl. Es besteht auch aus Zeiten zwischen dem Glück, dem Alltagstrott, den Krisenzeiten und den Schmerzen. Das alles ist unentbehrlich für das Glück. Die düsteren Seiten des Lebens ausschalten zu wollen, so erklärt Wilhelm Schmid, würde nicht nur zum Verlust der Kontrasterfahrung führen, die Glück erst spürbar macht, sondern auch zum Verlust der Orientierung im Leben. Krisen regen uns zum Nachdenken an, sie sind richtungsweisend und fördern unsere Empathiefähigkeit. Die amerikanische Moderatorin und Unternehmerin Oprah Winfrey ist nicht zuletzt deshalb so unglaublich erfolgreich, weil sie durch viele Krisen gegangen ist und dadurch glaubwürdig wirkt. Manches Unglück stellt sich hinterher als Glück heraus. Und selbst in schwierigen Zeiten erleben wir Momente des Glücks. Es gibt viele Dinge in unserem Alltag, die unser Leben reicher machen. Wir müssen sie nur entdecken. Dieses Buch soll dazu eine Anregung sein.
Was meinen die Menschen, wenn sie von Glück reden? Was ist für die Einzelnen Glück und wo erleben sie Glück? Verstehen wir alle unter Glück das Gleiche?
Wenn davon die Rede ist, wird nur selten erklärt, was damit gemeint ist. Von welchem Glück reden die Ratgeber, das es anzustreben gilt? Ist damit eine emotionale Hochstimmung gemeint, Zufriedenheit oder Erfolg? Nur wenige Wissenschaftler, die sich mit Glück befassen, differenzieren diesen Begriff. Der Philosoph Wilhelm Schmid unterscheidet zwischen Zufallsglück, Wohlfühlglück und Glück der Fülle. Das Zufallsglück ist unverfügbar, aber eine offene Haltung und Achtsamkeit begünstigen dieses Glückserleben. Wenn ich auf eine Party gehe, stehen die Chancen besser, dass ich mich amüsieren werde, wenn ich auf andere Gäste zugehe und mich für sie interessiere, als wenn ich mich in eine Ecke verziehe und hoffe, dass mich dort jemand anspricht. Das Wohlfühlglück hat in der Moderne einen sehr hohen Stellenwert bekommen, so sehr, dass Krisen und Traurigkeit am liebsten das Existenzrecht verweigert würde – wenn man es denn könnte. Dass das Wohlfühlglück nicht von Dauer sein kann, zeigt schon die Vorstellung, wie es einem erginge, wenn man eine Woche lang jeden Tag sein Lieblingsessen vorgesetzt bekäme. Das Glück der Fülle beschreibt das Leben in seiner Polarität, das neben Höhen auch Tiefen oder länger andauernde Phasen der Melancholie beinhaltet.
Eine solche Differenzierung des Glücksbegriffs wird nur selten vorgenommen. Für viele Ratgeber genügt das auch, denn alles andere würde die Fast-Food-Rezeptur nur unnötig verkomplizieren. Doch selbst in der Glücksforschung wird kaum eine Unterscheidung gemacht. Dort wird häufig der Begriff Subjektives Wohlbefinden bzw. Subjective Wellbeing verwendet oder es wird einfach nur von Glück bzw. Happiness geredet.
Die Glücksforschung ist ein starker Forschungszweig geworden, der mit einer eigenen Zeitschrift (Journal of Happiness Studies) und einer großen Datenbank (World Database of Happiness) aufwarten kann. Sie hat viele wertvolle Erkenntnisse hervorgebracht und dennoch darf sie nicht so unkritisch betrachtet werden, wie es oft geschieht. Wenn die Begriffe nicht geklärt sind, redet man leicht aneinander vorbei. Wie aussagekräftig sind denn die vielen Umfragen, die auf der einen Frage basieren: »Alles zusammengenommen: Wie glücklich schätzen Sie Ihr Leben ein: sehr glücklich, glücklich, ziemlich glücklich oder nicht glücklich?« Oder wenn man sein Glück in einer Zehn-Punkte-Skala einstufen soll. Wie soll man denn sein Leben so schnell mal zusammennehmen und dann noch eine Beurteilung des gesamten Lebens mit seinen Höhen und Tiefen abgeben? Und was heißt denn »ziemlich glücklich«? Die Antwort fällt nämlich völlig anders aus, wenn man vor der Befragung mit einer Freundin im Café gesessen und die erste Frühlingssonne genossen hat, oder wenn man eine Stunde lang mit zunehmender Verzweiflung in der Stadt herumgeirrt ist, um einen Parkplatz zu finden. Was soll man dann antworten, wenn die wissenschaftliche Assistentin fragt, wie glücklich man sei?
Das Glück ist schwer zu fassen und eine ungenaue Begriffsbestimmung macht es noch schwieriger. Ein Stimmungstief heißt noch lange nicht, dass man sein Leben als unglücklich einschätzt. Eine Unterscheidung zwischen Glücksmomenten und Lebensglück würde mehr Klarheit bringen.
Die Ergebnisse solcher Statistiken müssen hinterfragt werden. Sind wirklich alle Menschen so glücklich, wie sie bei der Befragung angeben? Tatsächlich ist es immer wieder erstaunlich, wie gut die Deutschen abschneiden. Eine Nation, die den Begriff »Weltschmerz« als unübersetzbaren Begriff in die Welt getragen hat! Wie passt es damit zusammen, dass Depressionen als Volkskrankheit Nummer eins gelten und sich das Burn-out-Syndrom immer mehr ausbreitet? Es kann ja nicht sein, dass man bei der Befragung zufällig nur die Glücklichen erwischt hat. Solche Ergebnisse legen nur eine Schlussfolgerung nahe: Sie zeigen nicht so sehr, wie sich die Menschen tatsächlich fühlen, sondern welch einen hohen Wert Glück in unserer Gesellschaft hat.
Die Aussagekraft der Statistiken ist begrenzt. Manchmal führen sie sogar zu einem völlig falschen Ergebnis. Das veranschaulicht ein vielzitiertes Beispiel aus der Wissenschaft: Eine statistische Untersuchung zeigt, dass in Städten und Gemeinden, in denen sich viele Störche angesiedelt haben, auch die Geburtenrate signifikant höher ist. Werden die Babys also doch vom Storch gebracht? Die Analyse eines einzigen Falles, eines Storches oder eines Babys, hätte gezeigt, dass es sich um eine Scheinkorrelation handelt. Statistiken verleiten zu schnellen und falschen Schlussfolgerungen. Deshalb machen sie am meisten Sinn, wenn man sie anhand von Einzelfällen überprüft.
Mein Einstieg in die Glücksforschung begann mit der Frage: Was verstehen Menschen unter Glück? In meinem Seminar Glücksuche und Glückserleben im Alltag, das ich an der Ludwig-Maximilians-Universität in München veranstaltete, führte ich eine Studie zusammen mit meinen Studentinnen und Studenten durch. Wir fragten Menschen aus unserem Umfeld, was für sie Glück sei. Das waren dann die Oma in Niederbayern, die Tante in Bulgarien, der chinesische Mitbewohner im Studentenwohnheim, die alte Dame von nebenan oder die Freundin aus Hamburg. Weil wir es umgehen wollten, allgemein bekannte Definitionen zu sammeln, wie beispielsweise »Glück ist Zufriedenheit« oder »Glück ist, wenn man noch was zu lachen hat«, baten wir die Menschen, uns ihr Verständnis von Glück anhand eines persönlichen Glückserlebnisses zu erzählen. Am Ende hatten wir mehr als 700 Geschichten zusammengetragen. Für dieses Buch wurden jedoch nur die Glückserlebnisse der Frauen verwendet.
Die Geschichten haben gezeigt, dass der Glücksbegriff unterschiedlich verstanden wird. Für die einen ist Glück ein euphorischer Moment, ein Hochgefühl, das oft ganz überraschend kommt, aber leider nicht sehr lange andauert, wie zum Beispiel Verliebtheit. Andere verstehen unter Glück ein freudiges Gefühl, auch Vorfreude, zum Beispiel wenn man seinen Urlaub plant. Und wieder andere verstehen unter Glück Zufriedenheit mit dem Leben, also einen länger andauernden Zustand.
Ich präzisiere den Begriff Glück, indem ich zwischen Glückserlebnis und Lebensglück unterscheide. Glückserlebnisse beziehen sich auf kürzere oder längere Momente des Wohlbefindens. Mit Lebensglück ist eine langfristige Zufriedenheit gemeint, die auch das Akzeptieren von Krisen beinhaltet. Da wir in unserem Seminar vor allem Glücksgeschichten gesammelt haben, führte ich zusätzlich einige biografische Interviews mit sehr verschiedenen Frauen, um etwas über Glück im Lebenszusammenhang zu erfahren. Was ist also Glück?
Was Frauen in der Antike über Glück dachten, wissen wir nicht – die großen Philosophen waren Männer. Sie waren es, die sich Gedanken über das Glück machten und sich mit anderen klugen Männern im Garten, in den Schulen oder auf den Plätzen von Athen darüber austauschten, während die Frauen Wäsche gewaschen, gekocht und die Kinder erzogen haben. Die geistreichen Gedanken der Männer sind der Nachwelt erhalten geblieben. Das, was Frauen über Glück gedacht haben, wenn sie überhaupt Zeit fanden, darüber nachzudenken, findet sich leider in keinen Aufzeichnungen. Nur wenige Frauen aus der Antike sind uns heute noch bekannt, und diese kamen eher zu zweifelhafter Ehre, so zum Beispiel Xanthippe, die als zänkische Ehefrau von Sokrates in die Geschichte einging und heute noch als Schreckgespenst der Ehemänner herumgeistert.
Wird über die Geschichte des Glücks geschrieben, so stehen vor allem ideengeschichtliche Aspekte im Vordergrund, also die Frage, wie die alten Griechen in der Antike, die strengen Theologen im Mittelalter oder die nüchternen Aufklärer im 18. Jahrhundert über Glück gedacht haben. Frauen tauchen dabei nicht auf. Doch auch das Alltagsglück der Frauen, abseits der großen Denker, wird ausgespart, denn darüber gibt es kaum Quellen.
Die Sehnsucht nach Glück gab es wohl schon immer, aber hat das Glück im Alltag der Frauen eine so große Rolle gespielt wie heute? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir wissen, was Frauen früher unter Glück verstanden haben und was sie heute darunter verstehen. Wenn wir uns genauer ansehen, was hinter der heutigen Glückssuche steckt, wird schnell deutlich, dass damit der Lebenssinn gemeint ist. Der Sinn des Lebens ist eine existenzielle Frage und er erschließt sich am leichtesten über das Glück. Solange man glücklich ist, fragt man nicht nach dem Sinn des Lebens, denn der Sinn ergibt sich von selbst. Unglückliche Menschen hingegen stellen sich häufig die Frage: Was hat mein Leben (noch) für einen Sinn?
Lange Zeit war das anders. Für die meisten Menschen war der Sinn klar. Und der zeigte sich früher in der täglichen Arbeit viel deutlicher als heute. Kühe zu füttern und sie zu melken machte Sinn, denn mit der Milch konnte die Bäuerin ihre Familie ernähren. Sie bereitete daraus Essen zu oder verarbeitete die Milch zu Butter, um sie zu verkaufen und damit zum Lebensunterhalt beizutragen. Heute ist der Sinn nicht immer so ersichtlich. Wenn keine Milch im Haus ist, trinken wir eben Limo.
Ob die Bäuerin beim Kühe füttern glücklich war, wissen wir nicht, aber sie war sich wahrscheinlich über den Sinn ihres Lebens sicher. Dazu trug auch ihr Glaube an Gott bei. Allein das Wissen, dass Gott die Menschen erschaffen hat, gab dem Leben einen Sinn. Einen Sinn, den man vielleicht nicht immer verstand, aber man war ja auch nur ein Mensch und nicht Gott. Oder wie der Kirchenvater Augustinus (354–430) es ausdrückte: »Ich bin berufen, etwas zu tun oder zu sein, wofür kein anderer berufen ist. Ich habe einen Platz in Gottes Plan, auf Gottes Erde, den keiner sonst hat. Ob ich reich bin oder arm, verachtet oder geehrt bei den Menschen, Gott kennt mich und ruft mich bei meinem Namen, und ich merke auf und höre: Da bist du ja.« Eine schöne Antwort auf die Sinnfrage. Dieses Gefühl, einen gottgewollten Platz im Leben zu haben, hatten auch die Frauen, die an der Seite ihres Mannes für die Familie sorgten. Für den modernen Menschen hingegen, mit den vielen Optionen, die sich ihm bieten, ist es eine der größten Herausforderungen geworden, »seinen« Platz zu finden. In der sich rasant verändernden Welt ist der flexible, ungebundene Mensch gefordert. Er kann und soll sich nicht mehr festlegen. Auch als Ehepartner ist er inzwischen ersetzbar. Dennoch liegt es an uns, ob wir den Platz, an dem wir stehen – in der Familie, im Beruf oder im Freundeskreis –, ausfüllen wollen, ohne ständig nach einem besseren Platz zu suchen.
Das Verständnis von Glück war früher näher am realen Leben dran. Heute bestimmen Medien unsere Wirklichkeit. Obwohl wir heute ebenfalls die Erfahrung machen, dass es im Leben viele harte Nüsse zu knacken gilt, haben wir den Anspruch, dass unser Dasein so leicht ist wie eine Sommerkomödie. Doch zum Leben gehört beides: Gutes und Schlechtes, Schönes und Schwieriges. Das zeigt auch die frühere Begriffsverwendung von Glück. Das Wort stammt aus dem mittelhochdeutschen gelücke und meinte den zufälligen Ausgang einer Sache, der sowohl positiv als auch negativ ausfallen konnte.
Wie erlebten nun Frauen Glück? Darüber gibt es, wie erwähnt, nur wenige Quellen. Eines der seltenen Dokumente sind die biografischen Aufzeichnungen der Dienstmagd Christina Gabriel (1766–1835), die sie mit »Mein Leben« überschrieb. Nur wenige konnten damals lesen oder schreiben, Frauen schon gar nicht. Und kaum jemand wäre auf die Idee gekommen, sein Leben, seine Gedanken oder seine Gefühle niederzuschreiben. Dazu schätzte man sein eigenes Leben als zu bedeutungslos ein. Heute wird jedes Tun und jeder Gedanke als wichtig genug empfunden, um sie der Welt über das Internet mitzuteilen.
Christina Gabriels Lebenserinnerungen waren nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Sie wollte sich nur ihren Kummer von der Seele schreiben.
Glück erlebte Christina Gabriel in jungen Jahren, weil ihr die Arbeit als Dienstmagd in einem Landschloss gefiel und sie von ihrer Herrin sehr geschätzt wurde. Und auch als sie den Stallmeister heiratete, der sich sehr lange um sie bemüht hatte, war sie glücklich: »Mein Mann trug mich auf Händen. Er war gutmütig gegen alle Menschen, das hatte ich lange gewusst, und der zärtlichste Ehemann, dass er aber leichtsinnig war, wusste ich noch nicht. Wir lebten eine Zeit lang sehr glücklich.«1 Leichtsinnig – das bedeutete: Er war spielsüchtig, verschwand oft monatelang und verprasste das ganze Geld. Dabei belog und betrog er sie. Christina Gabriel erlebte eine sehr schwere Zeit zwischen Glück, Hoffnung und Verzweiflung. Als ihr Mann eines Tages nicht mehr zurückkehrte, musste sie ihre drei Kinder alleine versorgen und lebte in großer Armut. Der einzige Lichtblick war ihr Glaube. Mehrere Male erzählt sie, wie Gott ihr ganz konkret in Schwierigkeiten half. Nach solch einer Situation schreibt sie: »Gott, du bist wunderbar, und ich sage noch heute, wer auf ihn sich ganz verlässt, dessen Glück steht felsenfest.«2 Schließlich schaffte sie es, auf eigenen Füßen zu stehen, indem sie den Beruf der Hebamme erlernte.
Über Glück haben Frauen früher nicht so viel nachgedacht wie wir heute. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, für das tägliche Überleben zu kämpfen. Glück war, wie die Biografie von Christina Gabriel vermuten lässt, wenn man die Fürsorge Gottes erfahren hat. Dass wir uns heute so viel mit Glück befassen können, zeigt, wie gut es uns geht. Wir haben alles, was zum Leben notwendig ist, und meistens noch viel mehr. Das, wonach wir uns sehnen, ist nicht so sehr ein Gefühl von Wohlbefinden, sondern eher das Finden von Sinn in unserem Tun und Sein.
»Und so lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage.« So enden viele Märchen. Doch das Glück fällt den Märchenhelden nicht einfach so zu. Sie müssen zuvor in die Welt hinaus und sich bewähren. Märchen setzen sich mit Lebensfragen auseinander, die Menschen schon seit jeher beschäftigt haben. Dazu gehört auch die Frage nach Glück. Was ist Glück und wie kann man es erlangen?
Glück ordnen wir den Emotionen zu. Doch im Märchen herrscht eine seltsame Gefühlsarmut. Stirbt die Königin, so wird die Trauer des Königs nicht weiter thematisiert. Der Vater von Schneewittchen tröstet sich nach dem Tod seiner Frau schnell mit einer schönen, aber bösen anderen, die er zu seiner Königin macht. Auch Wut erscheint selten im Märchen. Eine Ausnahme ist Rumpelstilzchen, das sich aus lauter Wut in zwei Stücke riss.
In älteren Märchen wurde Glück in seiner früheren Bedeutung verwendet, nämlich Glück als Schicksal, das sowohl positiv als auch negativ sein konnte. Erst später wurde Glück als »gutes Geschick« gedeutet. Häufig war damit Reichtum gemeint.
Um das Glück zu finden, benötigten auch die Märchenhelden eine gute Portion Zufallsglück. Schneewittchen hatte Glück, dass zufällig ein Prinz des Weges kam und sich in die Schöne im gläsernen Sarg verliebte. Wie im richtigen Leben, so macht auch das Märchen einen Unterschied zwischen dem zufälligen Glück und dem Glück, das man sich erarbeiten muss.
So erging es auch Goldmarie in dem Märchen Frau Holle