cover

John Irving

Die wilde Geschichte

vom Wassertrinker

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Edith Nerke und Jürgen Bauer

 

 

 

 

 

 

 

 

Titel der 1972 bei Random House, New York,
erschienenen Originalausgabe:
›The Water-Method Man‹
Copyright © 1972 by John Irving

Die deutsche Erstausgabe erschien 1989
im Diogenes Verlag

Die Übersetzer danken Anthony Tranter
für seine wertvolle Mithilfe

Umschlagillustration von
Edward Gorey

Mit freundlicher Genehmigung des
Edward Gorey Charitable Trust, New York

 

 

 

 

Alle deutschen Rechte vorbehalten

Copyright © 2012

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 22445 0 (22. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60132 9

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

 

 

Für Shyla

 

[6] Danksagung

Der Autor dankt dem Regisseur Irvin Kershner für ein wertvolles, aufregendes Filmerlebnis in den Jahren 1969 und 1970 sowie der Rockefeller Foundation für ihre Unterstützung in den Jahren 1970 und 1971.

Besonderen Dank schuldet der Autor Donald Harrington für eine essentielle Passage dieses Romans.

 

[7] Inhalt

  1. Joghurt und jede Menge Wasser  [9]

  2. Zeug aus dem Krieg  [26]

  3. Alte Aufgaben und neue Klempnerarbeiten  [32]

  4. Abendliche Rituale in Iowa  [40]

  5. Jetzt ein schöner Traum  [46]

  6. Präludium zu einem Untergang mit fliegenden Fahnen  [54]

  7. Ralph Packer Films,
Inc.109 Christopher Street
New York, New York 10014  [62]

  8. Noch mehr alte Post  [80]

  9. Mäuse,Wasserschildkröten und Fische zuerst!  [98]

10. Wir wollen bestimmte Statistiken nicht aus den Augen verlieren  [111]

11. Notre Dame–Iowa 52:10  [129]

12. Willst du ein Kind haben?  [152]

13. Erinnerungen an Merrill Overturf  [175]

14. Die einen guten Kampf gekämpft  [209]

15. Erinnerungen an meine Liebe zu Biggie  [229]

16. Väter und Söhne (zwei Sorten), unerwünschte Schwiegertöchter und vaterlose Freunde  [265]

17. Überlegungen zum Scheitern der Wassermethode  [310]

18. Ein langer, beschissener Tag  [325]

19. Axelrulf bei den Grethen  [372]

20. Sein Schritt  [398]

21. Amateurfilme  [414]

22. In Overturfs Fußstapfen  [421]

23. Wenn man’s persönlich nimmt  [446]

[8] 24. Wie weit kommt man mit einem Pfeil im Busen?  [452]

25. Vorbereitung auf Ralph  [468]

26. »Gra! Gra!«  [477]

27. Wie ist alles mit allem anderen verbunden?  [495]

28. Was geschah mit dem Haschisch?  [509]

29. Was geschah mit Sprog?  [520]

30. Was geschah mit Merrill Overturf?  [531]

31. Filmriß unter Narkose  [546]

32. Dantes Hölle – Neuauflage  [559]

33. Willkommen im Orden vom goldenen Schwanz  [604]

34. Auf in ein Leben für die Kunst: Präludium zu einem Panzer auf dem Grunde der Donau  [622]

35. Der alte Thak wird fertiggemacht! Biggie nimmt zu!  [651]

36. Akthelt wird von Zweifeln geplagt! Trumper kommt schlitternd zum Stillstand!  [667]

37. Publikum tobt, Kritik lobt: Begeisterte Besprechungen von ›Der Griff in die Scheiße‹  [689]

38. Treffen der alten Freunde zum Throgsgafen Dag  [715]

[9] 1

Joghurt und jede Menge Wasser

Ihr Gynäkologe hat ihn mir empfohlen. Wie könnte es anders sein: Der beste Urologe in New York ist ein Franzose. Dr. Jean-Claude Vigneron: NUR NACH VEREINBARUNG. Also vereinbarte ich einen Termin. »Gefällt Ihnen New York besser als Paris?« fragte ich ihn.

»In Paris war es mir nicht zu gefährlich, ein Auto zu besitzen.«

»Mein Vater ist auch Urologe.«

»Dann kann er nur ein zweitklassiger sein«, antwortete Vigneron, »wenn er nicht weiß, was Ihnen fehlt.«

»Es ist unspezifisch«, erwiderte ich. Ich kannte meine Krankengeschichte sehr gut. »Manchmal ist es unspezifische Urethritis, einmal war es unspezifische Prostatitis. Einmal hatte ich Tripper – aber das ist eine andere Geschichte. Und noch ein anderes Mal war es ein einfacher Bazillus. Aber jedes Mal: unspezifisch.«

»Also mir sieht das sehr spezifisch aus«, meinte Vigneron.

»Nein«, sagte ich, »manchmal reagiert es auf Penizillin, manchmal krieg ich es mit Sulfonamid weg. Oder auch mit Furadantin.«

»Na also, da haben Sie es!« erwiderte er. »Urethritis und Prostatitis sprechen nicht auf Furadantin an.«

»Na also«, sagte ich, »da haben Sie es! Das war halt was anderes. Unspezifisch.«

»Spezifisch.« Vigneron war beharrlich. »Etwas viel Spezifischeres als den Urogenitaltrakt gibt’s doch kaum.«

Er zeigte es mir. Auf der Untersuchungsliege bemühte ich mich, ganz ruhig zu sein. Er gab mir eine vollendete Plastikbrust, eine schönere hatte ich noch nie gesehen: Farbe und Gestalt absolut naturgetreu, und eine wunderschöne, aufrechte Brustwarze.

[10] »Meine Güte…«

»Beißen Sie ruhig drauf rum«, ermunterte mich Vigneron. »Denken Sie nicht mehr an mich.«

Ich hielt diese außergewöhnliche Brust fest und sah ihr fest ins Auge. Ich bin ganz sicher, daß mein Vater keine solchen modernen Instrumente in seiner Praxis verwendet. Wenn er steht, geht das gräßliche Abstrichröhrchen etwas leichter hinein. Ich erinnere mich daran, daß ich total verkrampft war und einen Schrei unterdrückte.

»Sehr spezifisch«, meinte Jean-Claude Vigneron, und der Fuchs antwortete auf französisch, als ich ihm sagte, daß es doch zumindest etwas ungewöhnlich sei, eine Brust in der Hand halten und ohne Rücksicht auf Verluste hineinbeißen zu können.

Vignerons Diagnose wird besser verständlich, wenn man die Hintergründe meiner Krankheit kennt. Schwierigkeiten und Schmerzen beim Pinkeln habe ich schon lange.

Siebenmal habe ich in den letzten fünf Jahren unter dieser seltsamen Unpäßlichkeit gelitten. Einmal war es Tripper, aber das ist eine andere Geschichte. Normalerweise ist das Ding morgens einfach total verklebt. Mit einem vorsichtigen Zwicken bringe ich es wieder in Ordnung, oder zumindest halbwegs in Ordnung. Das Urinieren erweist sich oft als eine Herausforderung, das Gefühl ist immer wieder neu und überraschend. Und es nimmt sehr viel Zeit in Anspruch – man lebt den ganzen Tag mit dem Gedanken daran, daß man irgendwann bestimmt wieder pinkeln muß. Und was den Sex angeht, na ja… Der Orgasmus ist wirklich eine bewegende Erfahrung – die lange und wundersame Reise eines rauhen, überdimensionalen Kugellagers. Schließlich hatte ich die ganze Sache aufgegeben. Das trieb mich zum Alkohol, und davon brannte es noch mehr beim Pinkeln – ein unschöner Kreislauf.

Und immer die Diagnose: unspezifisch. Der Verdacht auf furchtbare Varianten irgendwelcher asiatischer [11] Geschlechtskrankheiten wurde nie erhärtet. »Irgendeine Infektion« wird immer vorsichtig umschrieben. Die verschiedensten Medikamente werden durchprobiert, schließlich hilft dann eines. Dem Gesundheitslexikon zufolge lassen sich vage und schreckliche Symptome von Prostatakrebs feststellen. Aber die Ärzte sagen immer, dafür sei ich zu jung. Ich stimme ihnen immer zu.

Und jetzt steckt Jean-Claude Vigneron sein Abstrichröhrchen in das Problem. Ganz spezifisch, ein Geburtsfehler. Das überrascht mich nicht – meiner Meinung nach ist es auch keineswegs der einzige.

»Ihr Urogenitaltrakt ist ein schmaler, gewundener Gang.«

Ich nahm diese Nachricht ziemlich gefaßt hin.

»Die Amerikaner sind reichlich komisch, wenn es um Sex geht«, sagte Vigneron. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen fühlte ich mich nicht in der Lage, darüber zu diskutieren. »Ihr glaubt, man könne alles abwaschen, aber die Vagina ist und bleibt das schmutzigste Ding auf der Welt. Wußten Sie das? Jede versteckte Öffnung beherbergt Hunderte von harmlosen Bakterien, und die Vagina ist dazu geradezu prädestiniert. Ich sage ›harmlos‹, aber nicht für Sie. Bei einem normalen Penis werden sie einfach rausgespült.«

»Aber nicht aus meinem schmalen, gewundenen Gang?« Dabei dachte ich an die vielen Windungen, in denen Hunderte von Bakterien ein Leben im Dunkeln führten.

»Sehen Sie? Ist das etwa nicht spezifisch?«

»Und welche Behandlung kommt da in Frage?« Ich hielt die Plastikbrust noch immer fest. Ein Mann mit einer unverletzlichen Brustwarze kann sehr tapfer sein.

»Sie können wählen zwischen vier Möglichkeiten«, erklärte Vigneron. »Es gibt jede Menge Medikamente, und eines tut’s immer. Siebenmal in fünf Jahren ist gar keine Überraschung, bei solch einem Trakt, wie Sie ihn haben. Und so schlimm sind die Schmerzen nun auch wieder nicht, oder? Sie können doch mit [12] dieser zeitweiligen Unpäßlichkeit beim Pinkeln und Bumsen ganz gut leben, oder?«

»Ich will sowieso mein Leben ändern«, entgegnete ich. »Ich möchte ein ganz neues Leben führen.«

»Dann lassen Sie das Bumsen sein«, schlug Vigneron vor. »Wie wäre es mit Masturbieren? Ihre Hände können Sie ja waschen.«

»So sehr möchte ich mich nun auch wieder nicht verändern.«

»Erstaunlich!« rief Vigneron. Er ist ein gutaussehender Mann, groß, und verdammt selbstsicher; ich preßte den Plastikbusen fest zusammen. »Erstaunlich, wirklich erstaunlich… Sie sind jetzt mein zehnter amerikanischer Patient, der die Wahl zwischen diesen Möglichkeiten hat, und allesamt habt ihr die ersten beiden abgelehnt.«

»Und was ist daran so erstaunlich?« wollte ich wissen. »Besonders reizvoll sind sie nicht gerade.«

»Nicht für Amerikaner rief Vigneron aus. »Drei meiner Patienten in Paris haben sich entschieden, damit zu leben. Und einer – und der war nicht mal alt – hat das Bumsen ganz aufgegeben.«

»Sie haben mir die beiden anderen Möglichkeiten noch nicht genannt«, entgegnete ich.

»Hier mache ich immer eine kleine Pause. Ich möchte raten, wofür Sie sich entscheiden. Bei Amerikanern hab ich noch nie danebengetippt. Ihr seid ein berechenbares Volk. Immer wollt ihr euer Leben ändern. Nie akzeptiert ihr das, womit ihr geboren seid. Und bei Ihnen? Bei Ihnen kann ich es ganz deutlich spüren. Bei Ihnen kommt nur die Wassermethode in Frage!«

Der Tonfall des Arztes erschien mir beleidigend. Ich hielt immer noch den Busen fest in der Hand und war entschlossen, daß die Wassermethode für mich auf gar keinen Fall in Frage kommen würde.

»Natürlich ist auch diese Methode nicht unfehlbar«, räumte Vigneron ein. »Sie ist bestenfalls ein Kompromiß. Statt [13] siebenmal in fünf Jahren, vielleicht einmal alle drei Jahre – da haben Sie bessere Karten, mehr nicht.«

»Gefällt mir nicht.«

»Sie haben es doch noch gar nicht ausprobiert«, erwiderte er. »Es ist ganz einfach. Sie trinken jede Menge Wasser vorm Bumsen. Und Sie trinken jede Menge Wasser nach dem Bumsen. Und sachte mit dem Sprit. Bei Alkohol werden die Bakterien munter. Bei der französischen Armee hatten sie eine geniale Kontrollmethode für Tripperpatienten. Sie bekamen die normale Dosis Penizillin. Dann, wenn sie meinten, sie seien wieder gesund, drei Bier vor dem Schlafengehen. Wenn sie dann am Morgen Ausfluß hatten, mehr Penizillin. Aber Sie brauchen einfach nur Wasser, jede Menge. Bei Ihrem Urogenitaltrakt brauchen Sie soviel Spülung wie nur irgend möglich. Nach dem Verkehr müssen Sie lediglich daran denken, aufzustehen und pinkeln zu gehen.«

Der Busen in meiner Hand war nur aus Plastik. Ich sagte: »Sie meinen also, ich soll den Geschlechtsakt mit voller Blase vollziehen? Das tut doch weh.«

»Es ist schon anders«, stimmte Vigneron mir zu. »Aber Sie haben auch größere Erektionen. Wußten Sie das?«

Ich fragte nach der vierten Möglichkeit. Er lächelte.

»Eine einfache Operation«, sagte er. »Ein kleiner chirurgischerEingriff.«

Ich grub meinen Daumennagel in die Plastikbrustwarze.

»Wir werden Sie etwas begradigen«, erklärte Vigneron. »Wir erweitern den Gang. Es dauert nicht mal eine Minute. Natürlich unter Narkose.«

In meiner Hand befand sich eine absurde synthetische Brustdrüse, ganz offensichtlich eine Imitation. Ich legte sie zur Seite. »Es muß doch weh tun«, sagte ich zögernd, »ich meine, nach der Operation.«

»Etwa achtundvierzig Stunden lang.« Vigneron zuckte mit [14] den Schultern; alle Schmerzen schienen ihm gleichermaßen erträglich zu sein.

»Können Sie mich nicht achtundvierzig Stunden lang betäuben?« fragte ich ihn.

»Hundert Prozent!« brüllte Vigneron. »Das fragen sie immer!«

»Achtundvierzig Stunden?« überlegte ich. »Und wie soll ich da pinkeln?«

»So schnell Sie können«, riet er mir und drückte auf die aufrechte Brustwarze auf dem Untersuchungstisch, als sei sie eine Ruftaste für Krankenschwestern und Anästhesisten – die ihm das blankpolierte Skalpell für seine chirurgische Heldentat bringen würden. Ich konnte es mir genau vorstellen. Eine schlanke Version einer Abflußspirale. Eine lange, röhrenförmige Rasierklinge, wie der Mund eines Neunauges in Miniaturausgabe.

Dr. Jean-Claude Vigneron beäugte mich, als sei ich ein Bild, das er noch nicht ganz fertiggemalt hätte. »Die Wassermethode?« tippte er.

»Erraten«, sagte ich. »Hat irgendeiner Ihrer Patienten sich je für die Operation entschieden?«

»Nur einer«, meinte er, »und bei dem wußte ich’s von Anfang an. Das war ein praktischer, wissenschaftlicher Mensch, sehr konsequent. Er war der einzige, der auf dem Untersuchungstisch die Titte sofort weglegte.«

»Ein harter Mann.«

»Ein gefestigter Charakter«, meinte Vigneron. Er zündete sich eine übelriechende, dunkle Gauloise an und inhalierte unerschrocken.

Später, als ich schon mit der Wassermethode lebte, dachte ich über seine vier Möglichkeiten nach. Mir fiel eine fünfte ein: französische Urologen sind Quacksalber, frag nach einer anderen Meinung, frag nach vielen anderen Meinungen…

Ich hatte meine Hand auf einem echten Busen liegen, als ich [15] Vigneron anrief, um ihm von dieser fünften Methode zu erzählen, damit er sie seinen Patienten anbieten konnte.

»Erstaunlich!« schrie er.

»Sagen Sie nichts. Wieder hundert Prozent?«

»Hundert Prozent!« polterte er los. »Und immer ungefähr drei Tage nach der Untersuchung. Sie liegen zeitlich genau richtig!«

Ich sagte nichts mehr in die Sprechmuschel. Die Brust in meiner Hand fühlte sich wie Plastik an. Aber nur für diesen kurzen Augenblick; sie erwachte zum Leben, als Vigneron lautstark weiterredete.

»Es geht nicht um eine andere Meinung. Machen Sie sich doch nichts vor. Die Geographie Ihres Urogenitaltraktes ist eine Tatsache. Ich könnte sie Ihnen genau aufzeichnen, eine Skizze anfertigen…«

Ich legte auf. »Die Franzosen konnte ich noch nie leiden«, sagte ich zu ihr. »Dein Gynäkologe kann mich wohl nicht ab, daß er mir diesen Sadisten empfiehlt. Er haßt die Amerikaner, und deshalb ist er wahrscheinlich mit seinen gottverdammten Abstrichröhrchen dahergekommen und…«

»Schwachsinn«, meinte sie, bereits mit geschlossenen Augen. Sie ist kein großer Redner vor dem Herrn. »Worte«, sagt sie einfach nur. Sie hat eine ganz bestimmte Geste, mit der sie ausdrückt, was sie von Worten hält: Sie lupft mit ihrem Handrücken eine Brust. Sie hat schöne, volle Brüste, aber sie braucht einen BH. Ich liebe ihren Busen; ich frage mich jetzt, wieso ich dieses Tittenimitat von Vigneron auch nur angeguckt habe. Wenn ich noch mal da wäre, würde ich die Titte nicht in die Hand nehmen. Oder doch. Sie jedenfalls würde so ein Ding nie brauchen. Sie ist ein praktischer, nüchterner Mensch, sehr konsequent und gefestigt. Wenn sie unter diesen vier Möglichkeiten auswählen müßte, würde sie sich für die Operation entscheiden. Das weiß ich genau. Ich hab sie danach gefragt.

[16] »Den Eingriff«, sagte sie. »Wenn man was reparieren kann, dann soll man es auch tun.«

»Das mit dem Wasser ist gar nicht so schlecht«, entgegnete ich. »Ich mag Wasser. Es tut mir gut, hat viele Vorteile. Und ich habe auch größere Erektionen. Wußtest du das?«

Sie hebt die Hand an, und eine Brust steht aufrecht. Ich mag sie wirklich sehr gern.

Sie heißt Tulpen. Ihre Eltern wußten weder, daß es ein deutsches Wort ist, noch, was es bedeutet, als sie ihr diesen Namen gaben. Ihre Eltern waren Polen. Sie starben friedlich in New York, aber Tulpen wurde in einem Militärkrankenhaus bei London geboren, mitten im Krieg. In diesem Krankenhaus gab es eine nette Krankenschwester, die Tulpen hieß. Sie mochten die Krankenschwester, wollten alles, was mit Polen zusammenhing, vergessen, und sie dachten, die Krankenschwester sei Schwedin. Niemand wußte, was Tulpen bedeutet, bis Tulpen auf der High School in Brooklyn Deutsch hatte. Sie kam nach Hause und sagte es ihren Eltern, die sehr überrascht waren; aber es war nicht der Grund dafür, daß sie starben oder so etwas; es war einfach eine Tatsache. Das ist alles überhaupt nicht interessant, es sind einfach nur Tatsachen. Aber das sind die Momente, in denen Tulpen redet; wenn es um Tatsachen geht. Und die sind selten.

Um ihrem Beispiel zu folgen, habe ich mit einer Tatsache angefangen: Mein Urogenitaltrakt ist ein schmaler, gewundener Gang.

Tatsachen sind wahr. Tulpen ist ein sehr aufrichtiger Mensch. Ich bin nicht so aufrichtig. Im Gegenteil, ich kann ganz gut lügen. Leute, die mich wirklich kennen, glauben mir mit der Zeit immer weniger. Sie neigen zu der Annahme, ich würde immerzu lügen. Aber im Moment sage ich die Wahrheit. Bitte berücksichtigen Sie: Sie kennen mich nicht.

Wenn ich so rede, lupft Tulpen mit ihrem Handrücken eine Brust.

Was zum Teufel haben wir gemeinsam? Ich werde bei den [17] Tatsachen bleiben. Namen sind Tatsachen. Tulpen und ich haben gemeinsam, daß unsere Namen nachlässig ausgesucht wurden. Ihrer beruht auf einem Irrtum, aber es stört sie nicht. Ich habe mehrere, und genau wie bei ihr sind sie alle mehr oder weniger zufällig. Meine Eltern haben mir den Namen Fred gegeben, und es schien sie nie gestört zu haben, daß fast keiner mich je so nannte. Biggie nannte mich Bogus, den Schwindler. Das war der Spitzname, den mir mein ältester, teuerster Freund Couth gegeben hat, als er mich das erste Mal beim Schwindeln erwischte. Dieser Name blieb an mir haften. Die meisten meiner alten Freunde nannten mich so, und Biggie hat mich damals auch schon gekannt. Merrill Overturf, der immer noch verschollen ist, hat mich Boggle genannt. Wie bei jedem Namen, so gab es auch hierfür ein paar vage Gründe. Ralph Packer hat mir den Namen Thump-Thump gegeben, und den kann ich nicht ausstehen. Es ist der Name des Hasen in Walt Disneys Film ›Bambi‹. Und Tulpen nennt mich bei meinem Nachnamen, Trumper. Ich weiß auch, warum: Sie kann Französisch. Und es ist so nah, wie man überhaupt mit einem Namen an eine Tatsache herankommen kann. Nachnamen ändern sich bei Männern selten. Also bin ich meistens Fred »Bogus« Trumper. Das ist eine Tatsache.

Tatsachen kommen mir nur langsam. Damit ich den Faden nicht verliere, wiederhole ich sie. Jetzt gibt es schon zwei. Nummer eins: Mein Urogenitaltrakt ist ein schmaler, gewundener Gang. Nummer zwei: Tulpen und ich haben gemeinsam, daß unsere Namen nachlässig ausgesucht wurden; und möglicherweise nicht viel mehr.

Moment! Da kommt mir eine dritte Tatsache in den Sinn. Nummer drei: Ich glaube an Rituale! Ich meine, es hat in meinem Leben immer so etwas wie die Wassermethode gegeben, es hat immer Rituale gegeben. Allerdings hat keines dieser Rituale lange angehalten (ich habe Vigneron gesagt, daß ich jetzt ein neues Leben beginnen werde, daß ich mich ändern will, und das stimmt auch), [18] aber ich bin immer von einem Ritual zum nächsten übergegangen. Im Moment ist es die Wassermethode. Die Erörterung der Hintergründe meiner Rituale dauert eine Weile, aber die Wassermethode dürfte klar sein. Außerdem teilen Tulpen und ich gewissermaßen ein allmorgendliches Ritual. Obwohl ich aufgrund der Wassermethode morgens etwas früher aufstehe – und nachts auch ein paarmal –, haben Tulpen und ich diese Gewohnheit beibehalten. Ich stehe auf, gehe pinkeln, putze mir die Zähne und trinke jede Menge Wasser. Sie stellt die Kaffeemaschine an und legt einen Stapel Platten auf. Wir treffen uns im Bett wieder und essen Joghurt. Immer Joghurt. Sie hat ein rotes Schälchen und ich ein blaues, aber wenn wir verschiedene Geschmacksrichtungen haben, tauschen wir die Schälchen öfter aus. Ein flexibles Ritual ist immer das beste, und Joghurt ist ein vernünftiges, gesundes Nahrungsmittel und morgens sehr mundfreundlich. Wir reden nicht. Das ist bei Tulpen nichts Neues, aber selbst ich rede nicht. Wir hören uns die Platten an und essen unseren Joghurt. Ich kenne Tulpen nicht sehr gut, aber offenbar hat sie es immer so gemacht. Ich habe noch einen Zusatz zu ihrem Ritual eingeführt: Wenn der Joghurt alle ist, lieben wir uns in aller Ausführlichkeit. Dann ist der Kaffee durch, und wir trinken ihn. Wir reden nicht, solange der Plattenspieler läuft. Die einzige Variation, die die Wassermethode mit sich bringt, ist eher nebensächlich, sie liegt irgendwo nach dem Lieben und während des Kaffees. Ich stehe auf, gehe pinkeln und trinke jede Menge Wasser.

Ich wohne noch nicht sehr lange bei Tulpen, aber es kommt mir vor, als würde ich sie auch nicht besser kennen, wenn wir schon ewige Jahre zusammenlebten.

Wir sind beide achtundzwanzig, aber eigentlich ist sie älter als ich; sie ist schon aus dem Alter raus, in dem man ständig über sich selbst reden muß.

Es ist Tulpens Wohnung, und alle Sachen darin gehören ihr.

[19] Ich habe meine Sachen, und mein Kind, bei meiner ersten und einzigen Ehefrau gelassen.

Ich habe Dr. Jean-Claude Vigneron gesagt, daß ich ein neues Leben anfangen will usw.; ich habe gesagt, daß die Erörterung der Hintergründe meiner Rituale eine Weile dauert; ich habe auch gesagt, daß ich nicht ganz aufrichtig bin. Aber Tulpen ist es. Sie hilft mir, bei der Wahrheit zu bleiben, indem sie ihre Brust mit dem Handrücken lupft. Im Handumdrehen habe ich gelernt, nicht zu reden, solange der Plattenspieler läuft. Ich habe gelernt, nur die wichtigen Dinge zu sagen (obwohl die Leute, die mich kennen, zu der Meinung tendieren würden, daß ich selbst jetzt lüge. Die können mich mal, diese Pessimisten!).

Mein Urogenitaltrakt ist ein schmaler, gewundener Gang, und im Moment gibt’s Joghurt und jede Menge Wasser. Ich werde mich an die Tatsachen halten. Ich will mich ändern.

[20] 2

Zeug aus dem Krieg

Etwas anderes, was Fred Bogus Trumper leidenschaftlich gerne tut, ist, sich an Merrill Overturf, den Diabetiker, zu erinnern. In seiner Iowa-Phase sind diese Erinnerungen besonders angenehm. Und mit Hilfe einiger Tonbandaufzeichnungen von Overturf auch recht detailliert.

Nichts als Flucht nach hinten. Er hört Merrill, in Wien – und schaut aus seinem Fenster in Iowa, durch ein rostiges Fliegengitter und den Flügel einer dicken Laubheuschrecke; er sieht einen Laster langsam näher kommen, gerammelt voll mit Schweinen, völlig zugeschissen. Durch die Klagelaute der Schweine hindurch lauscht er den Liedchen, die Merrill am Prater komponiert hatte – und die später, wie Merrill behauptete, dazu dienten, Wanga Holthausen, eine Gesangslehrerin der Wiener Sängerknaben, zu verführen. Die Hintergrundmusik kommt von der Go-Kart-Bahn am Prater, wo Merrill einst den 20-Runden-Rekord hielt. Wahrscheinlich ist der noch immer ungebrochen.

Die Aufnahme ist an manchen Stellen leicht verzerrt; dann erzählt Merrill seine Schwimmgeschichte, bei der es um einen Panzer auf dem Grunde der Donau geht. »Man kann ihn nur bei Vollmond sehen. Man muß das Mondlicht mit dem Rücken abschirmen«, sagt Merrill, »dann reflektiert das Wasser nicht.« Dann hebt man den Oberkörper irgendwie aus dem Wasser und hält den Kopf »ungefähr fünfzehn Zentimeter über der Wasseroberfläche – und dabei muß man ständig auf die Anlegestelle bei Gelhafts Keller schauen«. Irgendwie verharrt man in dieser Position, ohne das Wasser aufzurühren, »und wenn kein Lufthauch das Wasser kräuselt, schwingt das Kanonenrohr des Panzers [21] hoch, so nah, daß man meint, es berühren zu können oder daß es direkt auf einen gerichtet sei, als wolle es einen zerfetzen! Und mitten im Fluß, auf der Höhe von Gelhafts Keller, öffnet sich die Einstiegsluke des Panzers, das heißt, sie bewegt sich im Wasser, beziehungsweise sie scheint sich zu öffnen. Aber länger habe ich nie mein Gesicht ungefähr fünfzehn Zentimeter über der Wasseroberfläche halten können…« Dann beginnt Merrill, diabetisch zu denken und erklärt, diese Anstrengung beeinflusse immer seinen Blutzuckerspiegel.

Bogus Trumper drückt auf die REWIND-Taste. Der Schweinelaster ist weg, aber jenseits des Fliegengitters hält die Heuschrecke noch immer ihren Flügel ausgestreckt, glatter und verschlungener als das Muster eines orientalischen Seidentuchs, und Trumper schielt durch dieses wundersame Gittergewebe und sieht Mr. Fitch, den pensionierten Nachbarn, wie er auf seinem trockenen, völlig zerharkten Rasen herumkratzt. Kritz-kratz macht Mr. Fitch und verscheucht die allerletzte Ameise von seinem Rasen. Nur durch einen Heuschreckenflügel ist der Anblick des rasenkratzenden Mr. Fitch erträglich.

Das Auto, das sich jetzt an die Bordsteinkante heranarbeitet – und dem Mr. Fitch mit seiner Harke zuwinkt –, beherbergt Trumpers Frau Biggie, seinen Sohn Colm und drei Ersatzreifen. Trumper schaut auf den Wagen und fragt sich, ob drei Ersatzreifen wohl ausreichen. Er drückt sein Gesicht gegen das Fliegengitter und erschreckt die Heuschrecke, die mit ihrem heftigen Flügelschlag wiederum Trumper erschreckt – welcher das Gleichgewicht verliert und das verrostete Fliegengitter aus dem Rahmen stößt. Bei dem Versuch, sich zu fangen, hebt er nun noch den Rahmen aus den Angeln, und was sich der verblüfften Biggie darbietet, ist der Anblick ihres über dem Fensterbrett hängenden, beziehungsweise aus unerklärlichen Gründen hin und her schaukelnden Mannes, mit der Hüfte als Angelpunkt.

»Was machst du da?« schreit Biggie ihm zu.

[22] Und Bogus angelt mit dem Fuß nach dem Tonbandgerät und zieht es wie einen Anker zu sich heran. Als er die Knie unten auf der Tastatur hat, kommt er wieder in die Balance. Das Tonband ist verwirrt; ein Knie drückt auf FULL SPEED FORWARD, das andere auf PLAY. Mit hoher, schriller Stimme quäkt Overturf los: »…auf der Höhe der Anlegestelle bei Gelhafts Keller öffnet sich die Einstiegsluke des Panzers, das heißt, sie bewegt sich…«

»Was?« ruft Biggie. »Was machst du da?«

»Ich repariere das Fliegengitter«, ruft Trumper zurück und winkt beruhigend zu Mr. Fitch hinüber, der mit seiner Harke zurückwinkt. Fitch ist an diverse Balanceschwierigkeiten in diesem Haus gewöhnt, und deshalb bringen ihn Bogus’ Fensterturnübungen und Overturfs schrilles Gequäke keineswegs aus der Fassung.

»Also«, sagt Biggie und stellt die Hüfte heraus, so daß Colm darauf sitzen kann, »also, die Windeln sind noch nicht fertig. Einer muß noch mal zum Waschsalon und sie aus dem Trockner holen.«

»Ich geh schon, Big«, antwortet Bogus, »sobald ich dieses Gitter repariert hab.«

»Das ist gar nicht so einfach«, bollert Mr. Fitch, auf seine Harke gelehnt. »Dieses Zeug aus dem Krieg!« schreit er. »Alles Schrott!«

»Die Fliegengitter?« fragt Bogus vom Fenster aus.

»Ihr ganzes Haus!« brüllt Fitch zurück. »Die ganzen klapprigen einstöckigen Dinger, die die Universität da hingestellt hat! Im Krieg gebaut! Billiges Material! Von Frauen gebaut! Alles Schrott!« Aber Mr. Fitch meint es gar nicht unfreundlich. Es ist nur so, daß alles, was irgendwie mit dem Krieg zusammenhängt, ihn in Fahrt bringt. Das war eine schlimme Zeit für Fitch; schon damals war er zu alt, um eingezogen zu werden, und er kämpfte zu Hause mit den Frauen.

Hinter dem Store des Terrassenfensters steht Mr. Fitchs kleine [23] Frau und sieht ihrem Mann nervös zu. Willst du etwa deinen fünften Schlaganfall kriegen, Fitch?

Als Trumper das verrostete Fliegengitter näher in Augenschein nimmt, muß er feststellen, daß die Vorwürfe gerechtfertigt sind. Das Holz fühlt sich an wie ein Schwamm, das Gitter ist rostig und bröckelt.

Biggie kommt auf dem Gehsteig näher. »Bogus«, sagt sie, »laß mich das Gitter flicken. Du hast doch zwei linke Hände.«

Trumper rutscht wieder nach drinnen, bringt das Tonband ganz oben auf einem Regal in Sicherheit und sieht zu, wie Mrs. Fitch hinter dem Store ihren Mann hereinwinkt.

Später fährt Bogus los und holt die Windeln. Auf dem Heimweg fällt ihm der rechte Scheinwerfer heraus, und er fährt drüber. Beim Wechseln des rechten Vorderreifens wünscht er sich, daß jetzt jemand käme, der meint, ein noch schlechteres Auto zu haben. Ich würde sofort mit ihm tauschen.

Aber was Trumper sich wirklich wünscht, ist, zu erfahren, ob unter dieser Einstiegsluke jemand saß. Ob es diesen Panzer überhaupt gibt; ob Merrill Overturf ihn wirklich gesehen hat; und ob Merrill Overturf schwimmen kann.

[24] 3

Alte Aufgaben und neue Klempnerarbeiten

Bogus Trumper

918 Iowa Ave.

Iowa City, Iowa

 

20. Sept. 1969

Mr. Cuthbert Bennett

Hausmeister/Pillsbury Estate

Mad Indian Point

Georgetown, Maine

 

Mein lieber Couth,

wie kommst du mit den siebzehn Badezimmern zurecht, jetzt, wo dich die Pillsburys mit den ganzen Klempnerarbeiten allein gelassen haben? Und hast du dir schon überlegt, in welchem der herrschaftlichen Schlafgemächer, mit welchem Blick aufs Meer du überwintern willst?

Biggie und ich sind dir sehr dankbar, daß du die Pillsburys davon überzeugt hast, daß wir im Bootshaus keinen Unfug machen. Es war wirklich eine erholsame Woche für uns, Couth, ein willkommener Vorwand, außer Reichweite meiner Erzeuger zu kommen.

Der Sommer bei denen war schon komisch. Great Boar’s Head bietet Sommer für Sommer das gleiche Bild: ein Genesungsheim für Sterbende, die offenbar glauben, daß ihre Lungen noch einen Winter lang mitmachen, wenn sie sich drei Monate lang Salzluft reinpfeifen. Im Sommer floriert das Geschäft meines Vaters. Er hat mir mal was über alte Menschen gesagt: Die Blase ist als erstes [25] hin. Ein wahres Urologenparadies, diese Küste von New Hampshire!

Aber es war schon allerhand für den alten Herrn, uns das Souterrain für Juli und August zur Verfügung zu stellen. Seit meiner Enterbung hegt Mutter offensichtlich großmütterliche Gefühle; das Sommerangebot ist wohl auf ihren Wunsch hin zustande gekommen, Colm zu sehen und nicht etwa Biggie und mich. Und mein Vater schien geneigt, sein finanzielles Ultimatum umzustoßen – obwohl mich diese Tatsache ebenso kalt ließ wie damals die Streichung des Geldes. Außerdem hat er für das Souterrain Miete verlangt.

Bevor wir uns wieder auf den Heimweg machten, hielt uns der ehrenwerte Doktor eine kleine Rede: »Belassen wir es dabei, Fred. Du willst dich also vier Jahre lang auf die eigenen Füße stellen. Ich muß sagen: Das gefällt mir. Bring deine Promotion hinter dich, sieh zu, daß du gut abschneidest, und ich glaube, Mutti und ich könnten dir und Biggie und Colm etwas Startkapital beisteuern. Der kleine Colm ist ja wirklich ein Goldstück!«

Und Mutti gab Biggie einen Kuß (als mein Vater gerade nicht hinsah), und wir machten uns auf den Weg zurück nach Iowa City. Drei Reifen und zwei Keilriemen später waren wir wieder in unserem eingeschossigen Kriegsrelikt. Der Alte hat mir noch nicht mal einen Dollar für die Autobahngebühren mitgegeben.

In diesem Zusammenhang fällt mir noch was Wichtiges ein, Couth – falls du noch was übrig hast. Allein die Autobahngebühren haben über zwanzig Dollar gekostet, und ich habe bei dem Kreditkarteninstitut noch nicht mal für die Reise an die Ostküste im Juli bezahlt. Und in Michigan City, Indiana, haben wir einen Abstecher zum Holiday Inn gemacht, was wahrscheinlich zur »Zwangspensionierung« meiner Gulf Card führen wird.

Aber halt! Ein winziger Lichtstrahl tut sich auf in dieser Finsternis. Mein Doktorvater, Dr. Wolfram Holster, läßt mir was aus der Kasse für Vergleichende Literatur, so nennt er es immer, [26] zukommen. Dafür laß ich im Sprachlabor die Tonbänder für die Erstsemester in Deutsch laufen. Mein Bürokollege und Mithilfskraft ist ein hinterhältiger kleiner Pedant namens Zanther, dessen Interpretation und »supra-wörtliche« Übersetzung von Borges diesen Monat in The Linguist ganz groß angekündigt wird. Ich hab Zanther gezeigt, was ich diesen Sommer zu meiner Dissertation geschrieben habe; er hat es alles an einem Nachmittag durchgelesen und mir gesagt, er glaubt nicht, daß irgend jemand das veröffentlichen wird. Ich hab ihn gefragt, wie hoch denn die Auflage von The Linguist sei; danach haben wir nicht mehr miteinander geredet. Nach meiner Aufsicht im Sprachlabor ordne ich (wenn ich weiß, daß Zanther als nächster an der Reihe ist) die Tonbänder sehr kunstvoll falsch ein. Er hat mir eine Nachricht dazu hinterlassen: »Ich weiß, was du hier machst«, stand da zu lesen; den Zettel hatte er in mein Lieblingstonband geklemmt. Ich hab ihm auch einen Zettel hingelegt. Darauf stand: »Was du machst, weiß niemand Jetzt ist zwischen uns keine Verständigung mehr möglich.

Immerhin, es ist ein bißchen Geld in der Kasse, und ich krieg ein bißchen davon ab. Biggie jobbt wieder im Krankenhaus, schiebt den Alten von 6 Uhr früh bis mittags die Bettpfannen unter, fünfmal die Woche. Colm ist deshalb vormittags mit mir allein. Er steht auf, wenn Biggie aus dem Haus geht. Ich versuche, so lange wie möglich im Bett zu bleiben, meistens geht das bis sieben. Dann treiben mich seine wiederholten Eröffnungen, daß was mit dem Klo nicht stimmt, ans Telefon, und ich rufe Krotz, den Klempner, an.

Ich kann Krotz langsam schon nicht mehr sehen. Du weißt ja, daß ich das Haus für den Sommer vermietet hatte, an drei Footballspieler, die einen Sommerwiederholungskurs in »Kultur der Welt« belegt hatten. Ich wußte zwar, daß Footballspieler rauhe Burschen sind, daß sie vielleicht einen Stuhl zu Kleinholz verarbeiten oder das Bett kaputtmachen würden; ich war sogar schon drauf vorbereitet, in irgendeiner Ecke ein Mädchen zu finden, das [27] sie vergewaltigt und achtlos beiseite geworfen hatten; aber ich war mir sicher, daß sie sauber sind! Sportler – die duschen doch ständig und sprühen sich dauernd ein! Ich war ganz sicher, daß sie nicht im Dreck leben können.

Nun, die Wohnung war schon sauber; und es lag nicht ein einziges vergewaltigtes Mädchen rum. Ein Slip von Biggie war an die Tür genagelt, und der Schreibkundigste der drei hatte einen Zettel daran geheftet: »Vielen Dank.« Biggie war leicht säuerlich; sie hatte unsere ganze Wäsche so schön weggepackt, und der Gedanke, daß Footballspieler in ihren Unterhosen rumgewühlt hatten, war ihr unangenehm. Ich hingegen war sehr erleichtert; das Haus stand noch, und von den Stipendien der Sportler war auch die Miete bezahlt worden. Dann fingen die Klempnerprobleme an, und Biggie schloß daraus, daß das Haus nur deshalb so sauber war, weil die Footballspieler ihren ganzen Müll weggespült hatten.

Krotz hat unser Klo viermal durchgestochert. Unter anderem förderte er sechs Tennissocken, drei ganze Kartoffeln, einen kaputten Lampenschirm und einen kleinen BH zutage – ganz offensichtlich keinen von Biggie!

Ich habe das Sportinstitut angerufen und mich beschwert. Zuerst waren sie sehr entgegenkommend. »Natürlich geht es nicht an, daß unsere Jungs bei den hiesigen Vermietern bekannt wie bunte Hunde werden.« Es hieß, man werde sich darum kümmern. Dann fragte mich der Mann nach meinem Namen und welches Haus ich denn besäße. Ich mußte ihm sagen, daß ich es nicht eigentlich besitze – sondern daß ich der Mieter bin und es den Sportlern für den Sommer untervermietet hatte. Darauf meinte er: »Ach so, Sie sind Student Ich hätte das dicke Ende kommen sehen können, aber ich erwiderte: »Richtig – ich schreibe gerade meine Doktorarbeit in Vergleichender Literaturwissenschaft.« Er sagte nur noch: »Nun, mein Sohn, bestellen Sie Ihrem Vermieter, er soll uns seine Beschwerde schriftlich zukommen lassen.«

[28] Und da mir mein Vermieter gesagt hat, daß ich für jedwede Untervermietung selbst verantwortlich bin, gehen alle Rechnungen von Klempner Krotz an mich. Und glaub mir, Couth, ein Klo durchstochern ist eine kostspielige Angelegenheit.

Ich denke, du weißt, was ich meine… falls du was übrig hast.

Ich bin wirklich davon überzeugt, Couth, daß du fein raus bist. Ein Hausmeister meistert alles, nicht nur das Haus! Aber Gott sei Dank ist dies mein letztes gottverdammtes Jahr als Student. Mein Vater sagt: »Mit einem Doktor hast du einen ordentlichen Beruf. Aber dafür muß man während seiner Ausbildung auch Entbehrungen auf sich nehmen.«

Mein Vater – das hat er dir bestimmt schon mal erzählt – hat meine Mutter erst geheiratet, nachdem er mit der Schule fertig war, nach dem Medizinstudium, nach der Zeit als Assistenzarzt und nachdem er in Great Boar’s Head, New Hampshire, Fuß gefaßt hatte. Der einzige Urologe im Krankenhaus von Rockingham-by-the-Sea. Nach sechsjähriger Verlobung mit meiner guten Mutter– nach zweitausendeinhundertneunzig Nächten Wichsen – beschloß mein Vater, daß die Zeit zum Heiraten reif war.

Diesen Sommer hab ich zu ihm gesagt: »Schau dir doch mal Couth an. Der hat’s gut. Neun Monate im Jahr ein Herrenhaus, ganz für sich allein, alles umsonst. Und nur drei Monate im Sommer kümmert er sich um das Anwesen der Pillsburys, hält ihnen ihr riesiges Grundstück in Ordnung, dichtet ihre Boote ab und wäscht ihnen die Wagen; und sie behandeln ihn wie ein Familienmitglied. Was sagst du dazu?«

Mein Vater antwortete: »Couth hat aber keinen Beruf.«

Also, Couth, Biggie und ich finden beide, daß du jeden mit einem Beruf in die Tasche stecken kannst.

Spül alle siebzehn Klos einmal auf mein Wohl.

Dein Bogus

[29] 4

Abendliche Rituale in Iowa

Nach seiner Enterbung hatte er gelernt, kleine Ungerechtigkeiten in sich hineinzufressen, und er wünschte, sie würden miteinander verschmelzen und in ihm eines Tages eine große Wunde zurücklassen, die ihm fürderhin einen Grund gab, sich wie ein Märtyrer zu fühlen.

Bogus drückt die Aufnahmetaste. »Ich habe mir schon immer auch die nichtigsten Ungerechtigkeiten gemerkt«, erzählt er dem Mikrophon, wenig überzeugend, »und war schon im zarten Kindesalter für Selbstmitleid anfällig.«

»Was?« ertönt Biggies Stimme, tief und müde, von draußen aus dem Flur. »Nichts, Big«, ruft er ihr zu und bemerkt, daß er das auch mit aufgenommen hat. Beim Löschen überlegt er: Woher hab ich eigentlich das Selbstmitleid? Er hört seinen Vater antworten: »Von einem Virus.« Aber Bogus ist sicher, daß er ganz allein darauf gekommen ist. »Das ist alles selbstgemacht«, sagt er, mit erstaunlicher Überzeugung in der Stimme; dann bemerkt er, daß er das nicht aufgenommen hat.

»Was hast du selbst gemacht?« fragt Biggie, jetzt mit hellwacher Stimme, aus dem Schlafzimmer.

»Nichts, Big.« Aber ihr Erstaunen über die Möglichkeit, daß er etwas selbst machen könnte, schmerzt.

Er bläst ein Haar von den Tasten und befingert vorsichtig seine Stirn; schon seit einiger Zeit befürchtet er, sein Haaransatz werde sich eines Tages so weit zurückziehen, daß sein Gehirn freiliegt. Aber wäre das eine Erniedrigung, die der Rede wert ist?

Er nimmt auf: »Es ist gefährlich, wenn man sich zu sehr mit emotionalen Trivialitäten befaßt.«

[30] Doch beim Versuch, das wiederzugeben, bemerkt er, daß er seine Ansage zu nah bei einem Krankenbericht seines Vaters aufgenommen hat – einem Bericht, der im Arbeitszimmer des hochverehrten Doktors in Great Boar’s Head aufgezeichnet wurde, vor einem Live-Publikum, bestehend aus Biggie und seiner Mutter, die der Beschreibung eines normalen Arbeitstages lauschen. Bogus ist sicher, daß er das alles bereits gelöscht hat, aber offenbar nicht restlos. Oder vielleicht sind bestimmte Teile der Reden seines Vaters in der Lage, sich selbst zu reproduzieren. Bogus kann dies nicht gänzlich ausschließen.

»Es ist gefährlich, wenn man sich zu sehr mit emotionalen Trivialitäten… wie Blasen, die leicht infizierbar sind, obwohl das wesentliche Problem die Nierenkomplikationen sind…«

STOP. REWIND. ERASE.

Mit einem unterdrückten Kichern nimmt Bogus auf: »Ich beschließe, besser darauf zu achten, wie ich pinkle.«

Mitternacht ist schon vorbei, als Bogus in Fitchs Haus ein Licht angehen sieht und Mr. Fitch in einem breitgestreiften Pyjama durch die Diele trippelt. Seine Blase, denkt Trumper. Aber Fitch erscheint auf der Veranda; im Licht der Straßenlaterne wirkt sein Gesicht gräulich. Fitch kann seinen Rasen nicht in Ruhe lassen! denkt Bogus. Er hat Angst, daß im Dunkel der Nacht ein Blatt darauf heruntergedonnert ist!

Doch Mr. Fitch steht einfach nur mit hocherhobenem Haupt da; seine Gedanken sind längst weitergewandert. Ehe er wieder hineingeht, schaut er zu dem hellerleuchteten Fenster, hinter dem Bogus wie versteinert sitzt. Dann winken sie einander zu, und Fitch schleicht zurück in seinen düsteren Flur und löscht das Licht.

Diese nächtlichen Begegnungen. Bogus erinnert sich daran, wie Colm in Great Boar’s Head einen Zahn bekam. Colm hatte beim Zahnen Schwierigkeiten gehabt; er hielt Biggie und Bogus’ [31] Mutter nachts immer auf Trab. Einmal löste Bogus die beiden ab und schlich sich weg, an den Strand. Er ging an all den kleinen Häuschen vorbei, bis er das Haschisch vor Elsbeth Malkas Veranda roch. Elsbeth kifft mit ihren Eltern! Sie waren schon als Kinder miteinander befreundet gewesen; er war mit ihr aufgewachsen (einmal in ihrer Hängematte). Jetzt ist sie Lehrerin an einem Mädchenpensionat und wird in Bennington, wohin sie nach dem Abschluß als Lehrerin zurückkehrte, die Dichterin genannt.

»Eigentlich ist es Inzest«, hatte sie einmal zu Biggie gesagt.

Und Biggie hatte geantwortet: »Da kann ich nicht viel dazu sagen.«

Heute gilt ein Kind als akzeptiert, dachte Trumper, wenn es seine Eltern so weit bringt, daß sie mit ihm kiffen. Er versuchte sich in dieser Rolle vorzustellen. In Doktorrobe hält er eine kurze Ansprache und drückt dann seinem Vater einen Joint in die Hand!

Bogus schlich näher, um sich diese wunderbare Eintracht der Generationen anzusehen, aber das Haus der Malkas war dunkel. Elsbeth erspähte Trumpers gebückte Silhouette vor dem helleren Hintergrund des Meeres und setzte sich in ihrer Hängematte auf der Veranda auf. Elsbeth Malkas hatte einen gedrungenen, öligen Körper; nackt und schwitzend saß sie in ihrer Hängematte und kiffte.

Aus sicherer Entfernung, von dem kleinen Hügel neben der Veranda aus, sprach Bogus über Colms Angewohnheit, mitten in der Nacht einen neuen Zahn zu bekommen. Später gab es dann einen Augenblick, wo er sich diskret hätte zurückziehen können – als sie ins Haus ging, um ihr Diaphragma zu holen. Doch der altmodische Charme dieser Vorrichtung rührte ihn; er stellte sich vor, wie das Diaphragma neben Radiergummis, Bleistiften und Briefmarken – den Werkzeugen dieser Dichterin, die einen ganzen Schreibtisch voller Behälter benötigte – herumlag, und er war zu fasziniert, als daß er hätte gehen können.

Er fragte sich vage, ob er sich von Elsbeth holen würde, was er [32] sich vor langer Zeit schon einmal von ihr geholt hatte. Aber in der Hängematte tat er nur seine Enttäuschung kund, daß Elsbeth das Diaphragma schon eingesetzt hatte, als sie noch im Haus war. »Warum wolltest du es denn sehen?« fragte sie ihn.

Er konnte kaum von den Radiergummis, Bleistiften und Briefmarken sprechen, und wohl auch nicht von einem zerrissenen, kleinen Fetzen eines halbfertigen Gedichtes. Schließlich konnte man doch, bei einer Dichterin, sogar Worte fruchtbar machen.

Doch die Gedichte von Elsbeth hatten ihm nie gefallen, und danach wanderte er fast eine Meile am Strand entlang, ehe er sich ins kühle Naß stürzte, um ganz sicherzugehen, daß sie ihn nicht hörte und sich beleidigt fühlte.

Bogus informiert den Kassettenrecorder: »Ich beschließe, mir sehr viel Mühe zu geben, höflich zu sein.«

Die ersten Strahlen der Morgensonne fallen auf Fitchs manikürten Rasen, und Bogus sieht, wie der alte Mann, der keinen Schlaf findet, wieder auf die Veranda herauskommt, einen Blick nach draußen wirft. Was für eine Zukunft steht mir bevor, fragt sich Trumper, wenn Fitch in seinem Alter immer noch unter Schlaflosigkeit leidet?

[33] 5

Jetzt ein schöner Traum

Ich leide nicht mehr unter Schlaflosigkeit. Dafür hat Tulpen gesorgt. Sie weiß, daß sie mich nicht mir selbst überlassen darf. Wir gehen zu einer vernünftigen Zeit zu Bett, wir lieben uns, wir schlafen. Wenn sie mich in der Nacht wach vorfindet, lieben wir uns noch einmal. Trotz jeder Menge Wasser schlafe ich ausgezeichnet. Nur tagsüber suche ich nach Beschäftigungen.

Früher habe ich sehr viel zu tun gehabt. Ja, ich war Doktorand, promovierte in Vergleichender Literaturwissenschaft. Mein Doktorvater und mein Vater hatten die gleiche Meinung über Spezialisierung. Einmal, als Colm krank war, wollte mein Vater ihm nichts verschreiben. »Ist ein Urologe etwa ein Kinderarzt?« Na ja, wer hätte das behaupten wollen? »Geh zu einem Kinderarzt. Du promovierst doch, oder? Da mußt doch gerade du wissen, wie wichtig es ist, sich zu spezialisieren.«

Und ich wußte es in der Tat. Mein Doktorvater, Dr. Wolfram Holster, gab zu, daß er es noch nie mit etwas derartig Speziellem wie bei mir zu tun gehabt hatte.

Ich hatte wirklich ein seltenes Dissertationsthema, das muß ich zugeben. Meine Arbeit sollte die Übersetzung von Akthelt und Gunnel werden, einer altniedernordischen Ballade; ja, es sollte die einzige Übersetzung überhaupt werden. Altniedernordisch ist keine sehr bekannte Sprache. In einigen altwestnordischen und altostnordischen satirischen Gedichten tauchen ein paar verächtliche Bemerkungen darüber auf. Altostnordisch ist eine tote nordgermanische Sprache, die sich zu Isländisch und Färöisch weiterentwickelt hat. Altwestnordisch ist ebenfalls tot, und auch Nordgermanisch. Das hat sich zu Schwedisch und Dänisch [34] entwickelt. Norwegisch entstand aus etwas, was zwischen Altostnordisch und Altwestnordisch liegt. Aber die toteste dieser Sprachen, Altniedernordisch, hat sich zu gar nichts entwickelt. Es ist ein so ungehobelter Dialekt, daß nur ein einziges Opus je in dieser Sprache verfaßt wurde: Akthelt und Gunnel.

Ich wollte meiner Übersetzung eine Art etymologisches Wörterbuch des Altniedernordischen anhängen, ein Wörterbuch über seine Ursprünge. Dr. Holster zeigte sehr großes Interesse an solch einem Wörterbuch; er meinte, es könnte etymologisch durchaus von Nutzen sein. Aus diesem Grunde stimmte er meinem Dissertationsthema zu; eigentlich hielt er Akthelt und Gunnel für Schrott, obwohl es ihm sehr schwerfiel, das zu begründen. Dr. Holster kann überhaupt kein Altniedernordisch.

Zuerst fand ich den Wörterbuchteil sehr schwierig. Altniedernordisch ist wirklich verdammt alt, und die Ursprünge liegen größtenteils im Verborgenen. Es war einfacher, sich vorwärts zu orientieren, zum Schwedischen, Dänischen und Norwegischen hin, um zu sehen, was später aus diesen altniedernordischen Worten wurde. Hauptsächlich, so fand ich heraus, war es nur eine schlechte Aussprache des Altwestnordischen und Altostnordischen.

Dann entdeckte ich eine Möglichkeit, mir die Sache mit dem Wörterbuch etwas leichter zu machen. Da niemand irgend etwas über Altniedernordisch wußte, konnte ich einiges erfinden. Ich habe sehr viele Ursprünge einfach erfunden. Dadurch wurde auch die Übersetzung von Akthelt und Gunnel einfacher. Ich fing damit an, mir eine Menge Wörter auszudenken. Es ist sehr schwer, richtiges Altniedernordisch von erfundenem Altniedernordisch zu unterscheiden.

Dr. Wolfram Holster schaffte das nie.

Doch es fiel mir schwer, die Dissertation zu Ende zu bringen. Ich würde gern behaupten, daß ich aus Ehrfurcht vor den Helden aufgehört habe. Es war eine sehr persönliche Liebesgeschichte, [35] und niemand wußte, was sie bedeutete. Ich würde gern behaupten, daß ich aufgehört habe, weil ich das Gefühl hatte, Akthelt und Gunnel dürften ihrer Intimsphäre nicht beraubt werden. Aber jeder, der mich auch nur ein wenig kennt, würde das für eine schamlose Lüge halten. Man würde annehmen, ich hätte einfach nur deswegen aufgehört, weil mir Akthelt und Gunnel nicht gefiel, oder weil es mich langweilte, oder weil ich zu faul war, oder weil ich so viel unechtes Altniedernordisch erfunden hatte, daß ich die Geschichte nicht mehr in den Griff bekam.

Darin stecken schon ein paar Körnchen Wahrheit. Aber es stimmt ebenso, daß mir Akthelt und Gunnel