Martin Suter
Abschalten
Die Business Class
macht Ferien
Die Erstausgabe
erschien 2012 im Diogenes Verlag
Nachweise am
Schluss des eBooks
Covermotiv: Foto von
Dave & Les Jacobs (Ausschnitt)
Copyright © Dave & Les Jacobs/
Blend Images/Corbis/Dukas
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2022
Diogenes Verlag AG Zürich
www.diogenes.ch
ISBN Buchausgabe 978 3 257 24262 1
ISBN E-Book 978 3 257 60180 0
[9] Glaser lässt abschalten
Als Glaser dreißig war, galt es in Kreisen des mittleren Jungmanagements als unmännlich, mehr als fünf Stunden zu schlafen. In der Euphorie eines anständigen Schlafmankos wirkte alles, was man tat, viel effizienter. Stress war ein Stimulans. Man prahlte, wie viel man davon vertrug, und versuchte, sich gegenseitig unter den Tisch zu stressen.
Später, auf der oberen Führungsebene, war Stress zwar nicht mehr Modedroge Nummer eins, aber immer noch gesellschaftsfähig. Wer nicht unter Stress stand, wirkte halt doch irgendwie ersetzlich. Man konnte unter Männern über Stress reden wie über sonst ein Laster, und der andere wusste genau, wovon man sprach.
Aber heute, wo es Glaser in die Führungsspitze geschafft hat, gilt Stress, offen zur Schau getragen oder vertraulich eingestanden, als uncool. Manager, die unter Stress leiden, sind ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Glaser wird also zum heimlichen Stresser. Er wacht zwar immer noch um vier Uhr auf und grübelt darüber nach, worüber er bis sieben Uhr nachgrübeln könnte. Aber er stellt sich jetzt schlafend dabei. Es schnürt ihm immer noch den Brustkorb ein, wenn er zur Agenda greift. Aber er greift jetzt verstohlen zu ihr, wie ein Trinker [10] zum Flachmann. Und er reißt sich immer noch die Brille vom Gesicht, um mit beiden Handballen wütend die Augen zu reiben. Aber er tut das jetzt heimlich zwischen Sitzungen.
Doch während der offen zelebrierte Stress inspirierend und der freimütig eingestandene immerhin noch stimulierend waren, fängt der heimliche an, ihm auf die Gesundheit zu schlagen. Glaser leidet neuerdings unter Anfällen von Herzklemmen, Sodbrennen und Nachtschweiß.
Eine Weile schaut er dem zu. Dann beschließt er, sich den Stress abzugewöhnen.
Stress, sagt sich Glaser, ist ja nur die Unfähigkeit abzuschalten. Und Unfähigkeiten jeder Art sind für Glaser, wenn überhaupt, vorübergehende Erscheinungen. Er nimmt sich also vor, in Zukunft beim Verlassen des Büros abzuschalten.
Aber er findet den Schalter nicht.
Glaser sitzt am Sonntag mit seiner verwunderten Familie scheinbar entspannt beim Brunch und hat einen Klumpen aus Terminen und Pendenzen im Magen.
Oder er sitzt prustend in der Sauna und ertappt sich dabei, wie er seinen nackten Oberkörper nach einem Kugelschreiber abklopft.
Schließlich gesteht er sich ein, dass ihn das Abschaltenwollen mehr stresst, als es das Nichtabschaltenkönnen je vermocht hatte. Und Glaser tut, was er immer tut in den seltenen Fällen, in denen er zugibt, dass er etwas nicht selber kann: Er delegiert.
Er lässt sich bei seinem Arzt, einem Geheimtipp unter [11] Führungskräften, einen Termin während einer Randstunde geben und zieht ihn ins Vertrauen. Der hört sich Glaser eine Weile an, schielt ab und zu auf die Uhr und sagt dann: »IMAP. Eine Spritze pro Woche, und nach vier Wochen bist du entkoppelt. Und wenn der Stress wiederkommt, wiederholst du die Kur.«
Glaser lässt sich also abschalten. Bereits nach der ersten Behandlung fühlt er sich, als hätte man seine Seele eingeölt. Nichts kommt an ihn heran, alles perlt ab wie Seewasser vom Gefieder der Zwergtaucherli.
Nach vier Wochen ist Glaser entkoppelt. Zwar ist er nach wie vor gestresst. Aber jetzt ist es ihm wurst.
[13] Burn-out
[15] Männer unter Stress: Perrig
Ehrlich gesagt: Perrig braucht den Stress. Ohne Stress fehlt ihm das Gefühl zu arbeiten. Oder die Leistung zu erbringen, die er sich abverlangt: Höchstleistung. Wenn Perrig nicht immer, wenn er sich mit einer Sache befasst, in Gedanken schon bei der nächsten ist, fehlt ihm der Druck, der ihn zur richtigen Entscheidung treibt. Je enger die Räume, je rarer die Alternativen, desto zwingender die Entscheidung. Einer, der immer vorneweg entscheiden muss, hält sich nicht mit Prioritäten auf.
Aber dass Perrig den Stress braucht, bedeutet nicht, dass er nicht unter ihm leidet. Im Gegenteil: Perrig leidet ganz schrecklich unter seinem Stress. Und mit ihm die ganze Abteilung. Wenn er als Letzter ins Büro kommt, noch Rasierschaum an den Ohrläppchen und einen Bissen Grahambrot im Mund, lässt er es die ganze Abteilung spüren, dass sie schon hier ist. Leute, die pünktlich bei der Arbeit sind, sind nicht ausgelastet. Es gibt eine höhere Form der Pflichterfüllung als die pünktliche: die aufopfernde. Die, die nicht unterscheidet zwischen Tag und Nacht, Geschäft und Privat, Bürozeiten und Überstunden. Wenn Perrig ins Büro kommt, verlegt er lediglich den Schauplatz seiner totalen beruflichen [16] Hingabe. Pünktlichkeit ist das Gegenteil von Engagement. Sie degradiert die Tätigkeit zu einer, der man nach einem bestimmten Stundenplan nachgehen kann.
Nicht, dass Perrig von seiner Abteilung nicht absolute Pünktlichkeit verlangen würde. Von Leuten, die durch die Pünktlichkeit, mit der sie ihrer Aufgabe nachgehen, beweisen, dass sie nicht mit Leidenschaft bei der Sache sind, ist Pünktlichkeit das Mindeste, was man verlangen darf. Es ist die demonstrative Art, wie sie alle schon da sind, wenn er eintrifft, abgekämpft schon morgens um neun und ohne Hoffnung, den Rückstand auf den Tag jemals aufzuholen, die er ihnen vorwirft.
Sobald Perrig im Büro ist, macht er sich daran, Dinge, die die höchste Stufe der Überfälligkeit noch nicht erreicht haben, zu verschieben. Eine Arbeit, zu der er etwa drei Tassen starken Kaffee braucht. Danach gönnt er sich eine Kaffeepause, reißt die Fenster auf, leert die Aschenbecher, schließt die Fenster, zündet sich eine an und beginnt, eine Pendenzenliste aufzustellen. Bis Mittag lässt er sich von der Aussichtslosigkeit lähmen, auch nur eine der anstehenden Aufgaben auch nur annähernd befriedigend lösen zu können. Dann geht er zum Lunch, wo er praktisch keinen Bissen runterkriegt und ein wenig überzieht mit Glogger, der auch ein Liedchen singen kann vom Stress.
Am Nachmittag kommt er zu nichts, weil alles auf ihn einstürzt. Alle wollen etwas von ihm, nichts geht ohne ihn. Was kann man anderes erwarten von Leuten, die nur darauf warten, bis es fünf Uhr ist und sie den Griffel fallen lassen können?
[17] Perrig läuft langsam zu seiner Hochform auf. Erledigt gleichzeitig drei Dinge nicht und trifft nebenbei noch ein paar wichtige Entscheidungen, die Vertagung einiger wichtiger Entscheidungen betreffend. Doch genau als er sich die Pendenzenliste vorknöpfen will, wird er von seiner Sekretärin an die Abteilungsleitersitzung erinnert, die vor zehn Minuten begonnen hat. Über eine Stunde verbringt er wie auf Nadeln mit Leuten, die offenbar nichts anderes zu tun haben, als zu quasseln, während es in seiner Abteilung an allen Ecken brennt, meine Herren.
Als er endlich wieder im Büro sitzt, ist schon die halbe Abteilung gegangen. Das hat den Vorteil, dass er in Ruhe seine Pendenzen aufarbeiten kann, aber den Nachteil, dass das dazu nötige Feedback nicht abrufbar ist, weil die zuständigen Apparatschiks natürlich schon längst zu Hause auf dem Balkon in die Holzkohle pusten.
Es bleibt ihm nichts übrig, als das Ganze um eine schlaflose Nacht zu verschieben.
[18] Widmann, Workaholic
Auf Widmanns Ebene sind alle Workaholics: Tauber, Eicher, Schmutz, sogar Baumler auf seine Art. Obwohl dieser lange Trockenperioden hat, in denen sein Parkplatz wochenendelang leer steht. Aber danach packt es ihn umso heftiger. Ein Quartalsworkaholic.
Widmann selbst ist eher ein Gesellschaftsworkaholic. Er tut es einfach, weil es gesellschaftlich erwartet wird. Wenn er ehrlich ist, mag er es nicht, das Arbeiten. Er muss sich richtig überwinden. Er könnte ohne Probleme ganz ohne auskommen. Er könnte monatelang keinen Finger rühren, ohne auch nur die Spur einer Entzugserscheinung. Er könnte die Wochenenden unrasiert im Trainingsanzug durchbrunchen, mit kurzen Erholungsphasen auf dem Liegestuhl, dem Sofa oder dem Bett, je nach Wetter und Tageszeit.
Stattdessen muss er im gemäßigten Freizeitlook mit Exposés in der Hand durch die leeren Gänge tigern und darauf achten, dass er dabei von Tauber, Eicher, Schmutz oder Baumler gesehen wird.
Wenn es nach ihm ginge, würde er Punkt siebzehn Uhr nullnull den Griffel fallen lassen und auf einen Drink oder zwei in die Big-Ben-Bar gehen oder auf die Lago-Terrasse, je nach Jahreszeit und Witterung. Aber der [19] gesellschaftliche Zwang, bis neunzehn Uhr Dinge zu erledigen, die ohne weiteres bis morgen warten könnten, und dann zu Hause anzurufen, dass es – guess what? – wieder einmal später werde, ist stärker. So sitzt er Abend für Abend am Schreibtisch, erledigt längst Erledigtes und beteiligt sich am Lichterwettbewerb der oberen Kader: Wessen Licht geht zuletzt aus?
Widmann würde auch sein Ferienguthaben voll ausschöpfen. Er wäre ein Naturtalent im Brückenschlagen zwischen Wochenenden und offiziellen Feiertagen. Er würde aus seinen fünf Wochen mit ein paar Kniffen über sechs machen, in günstigen Kalenderjahren sogar über sieben. Aber nein, er stößt in den Ferien später dazu und reist früher ab. Er verbringt die Siestas vor dem Laptop und ist rund um die Uhr auf dem Handy erreichbar. Er legt sich einen Vorrat an nicht bezogenen Ferienwochen an, als Konversationsthema für Tauber, Eicher, Schmutz oder Baumler.
Am Kaffeeautomaten begegnen sie sich manchmal bei einem kurzen Boxenstopp. Während der bittere Espresso ins Styropor fließt, bleibt Zeit zum Austausch einiger Stoßseufzer über den momentanen Stand der Überlastung.
Wenn nämlich einer auf Widmanns Ebene kein Workaholic ist, gerät er leicht in den Verdacht, nicht überlastet zu sein. Überlastung ist jedoch das untrüglichste Anzeichen für Unersetzlichkeit. Jemand, der nicht überlastet ist, macht einen Job, den auch andere erledigen können.
So bleibt Widmann nichts anderes übrig, als [20] mitzuhalten. Sechzig, siebzig, sogar achtzig Wochenstunden hinzulegen und sooft wie möglich im Kreis von Mitbetroffenen darüber zu reden. »Mein Name ist Widmann, ich bin Workaholiker.«
[21] Wartners Veto
Wartner steht am Strand, träge Wellen umspielen seine Knöchel, er spürt, wie das Meer den weißen Sand unter seinen Fußsohlen wegspült. Vor ihm planschen wunderschöne junge Frauen genau so tief im Wasser, dass er nicht erkennen kann, ob sie auch unten nichts anhaben.
Er selber trägt eine leuchtend orangefarbene Badehose. Etwas knapp geschnitten, aber er kann es sich leisten. Wenn er an sich runterschaut, entdeckt er kein Gramm Fett. Unter dem Brustkorb, dort, wo sonst ein weißer schwammiger Bauch war, befindet sich jetzt ein Sixpack Muskeln.
Die schönen Frauen werfen sich anmutig große bunte Bälle zu. Manchmal springt eine hoch genug, um seine Vermutung zu bestätigen, dass sie unten dasselbe tragen wie oben.
Wartner winkt ihnen. Jetzt fliegen ihm die Bälle zu. Rote, blaue, gelbe, gestreifte, gepunktete, geblümte. Er fängt sie alle und wirft sie zurück. Auch zwei, auch drei auf einmal. Und die, die er nicht fassen kann, spielt er zurück. Mit der Faust, mit dem Absatz, mit der Brust. Auch die unerreichbarsten. Stößt sich ab im weichen Sand und steigt hoch hinauf in den tintenblauen karibischen Himmel.
[22] Die schönen Frauen jauchzen und klatschen. Wartner steigt immer höher, springt Figuren, Volten, Salti, Spiralen, Butterflys, bleibt kurz in der Luft stehen und winkt den Schönen zu, die ihm Kusshände und Blütenkränze zuwerfen.
Er gleitet pfeilgerade in den glatten Meeresspiegel und schwimmt Slalom zwischen den makellosen Körpern, verspielt wie ein junger Delphin.
Und er springt in Zeitlupe durch die blumenbekränzten Reifen, die die Badenixen über ihren reizenden Köpfen hochhalten. Sein Haar glitzert in der Sonne, von seiner geölten braunen Haut perlt das Salzwasser.
Und jetzt jagen sie über den weißen, einsamen Strand. Acht, nein, zehn, nein, fünfzehn lachende, jauchzende, kreischende, herrliche Geschöpfe, dicht gefolgt von Wartner.
Aber seine Beine werden schwerer, der Sand tiefer, die Frauen kleiner, die Stimmen leiser. Und plötzlich wird es still. Wartner steckt fest. Er schaut an sich hinunter, und da ist er wieder: der weiße schwammige Bauch.
»Nein!«, ruft er.
Er schlägt die Augen auf und blickt in die gespannten Gesichter seines obersten Kaders.
Der Protokollführer notiert: »Dr. Wartner lehnt den Vorschlag der Task Force dezidiert ab. Die Lancierung der neuen Modellreihe wird gestoppt.«
[23] Werders Burn-out-Syndrom
Bis jetzt war Werder einfach gestresst. Total gestresst. Wenn er einen Raum betrat, fing der an zu vibrieren. Wenn er durch den Korridor ging, flatterten die Anschläge am Brett. Und jede Minute, die er einer Sache widmete, stahl er einer andern. Werders Stress-Performance war vielleicht die höchste innerhalb des Unternehmens. Vielleicht sogar innerhalb der Holding.
Aber das Burn-out-Syndrom erwischt Werder auf dem falschen Fuß. Ihn! Mit seinem Riecher für Trends! Während er sich noch vom Stress zu Höchstleistungen peitschen lässt, sitzt die Avantgarde bereits mit ausdruckslosem Blick gelähmt an ihren Schreibtischen und fühlt sich leer und ausgebrannt.
Und er Idiot betrachtet Stress nach wie vor als Stimulans, während die Trendsetter der Führungskräfte längst daran zerbrechen.
Noch nie in seinem ganzen Leben hat er sich so von gestern gefühlt. Er nimmt den Begriff Burn-out-Syndrom zum ersten Mal bewusst zur Kenntnis, als Grieder bereits in der Rehaklinik liegt. Ausgerechnet 50-Stunden-Grieder, der immer entweder noch nicht gekommen oder schon gegangen ist, wenn Werder kommt und geht.
Dieser Grieder erscheint eines Tages nicht zur [24] Arbeit, und im Board-Meeting flüstert man ehrfurchtsvoll: »Burn-out.« Zuerst denkt Werder, es handle sich um eine besonders exklusive Feriendestination, Grand Hotel Burn-out, das Burn-out-Atoll oder Martha’s Burn-out, und ärgert sich, dass Grieder sich das zeitlich und finanziell leisten kann. Aber bald wird ihm klar, dass es sich um eine Krankheit handelt, und er zwingt sich, sein Gesicht in mitfühlende Falten zu legen.
Nach dem Meeting googelt er im Internet und stellt erschüttert fest, dass das Burn-out-Syndrom die Folge von – Überengagement ist. Grieder!
Burn-out-Syndrom bekommen Leute, die für ihre Arbeit leben. Die glauben, mehr zu arbeiten als ihre Kollegen und im Unternehmen unentbehrlich zu sein. Grieder! Im Unternehmen unentbehrlich!
Im Vorzimmer bemerkt er zu Frau Kaiser, die sonst Sinn für Humor hat: »Wissen Sie, wovon man das Burnout-Syndrom bekommt? Überengagement.«
Sie antwortet: »Ich weiß. Armer Herr Grieder.« Als wäre ihm soeben postum das Purple Heart überreicht worden.
Ab sofort beginnt Werder, fließend von Stress auf Burn-out zu wechseln. Nicht, dass er die körperlichen Symptome vortäuschen müsste. Sich am Morgen erschöpft und unausgeschlafen fühlen? Unter Schlafstörungen leiden? Unter Alpträumen? Herzklopfen? Hohem Blutdruck? Verspannungen? Hat er alles im Repertoire. Nur hat er es bisher ignoriert. Weggesteckt, als unvermeidliche Nebenwirkungen seiner täglichen Dosis Stress.
[25] Aber jetzt, wo es um den Aufstieg von der Stress- in die Burn-out-Liga geht, beginnt er gezielt unter den Symptomen zu leiden. Unter den angenehmeren – mehr Alkohol als früher, beschleunigte Gewichtszunahme – und unter den heikleren – Verdauungsstörungen, Probleme im Bett.
Nach wenigen Wochen hat Werder alles drauf: leer, ausgebrannt, unnütz, pessimistisch, hilflos, unmotiviert, gleichgültig. Alles auf Abruf.
Jetzt arbeitet er noch am Plötzlich-grundlos-Weinen.
[26] Der Mensch im Mittelpunkt
Wer sagt es denn: Der Trend geht wieder Richtung Mensch. Haben die es auch schon gemerkt. Hat aber gedauert. Nach Jahren der Profitmaximierung, Kostenreduzierung, Synergetisierung, Restrukturierung, Shareholder Validierung, Liberalisierung stoßen sie plötzlich auf den Menschen als prioritären Unternehmenswert.
Mosimann sitzt in der Lobby des Majestic und arbeitet Management-Fachliteratur auf. Ab und zu braucht er das, sonst ist er weg vom Fenster.
Bei den meisten Neuerscheinungen genügt es zwar, die minutes zu lesen, um mitreden zu können. Aber es ist auch immer wieder mal ganz wirkungsvoll, mit einem Zitat aufzutrumpfen, das nicht in den Kurzzusammenfassungen steht. Deshalb deckt er sich einmal im Monat mit einem aktuellen Querschnitt ein und haut für ein paar Tage ab. No calls.
Diesmal hat er sich für das Majestic entschieden. Nicht so penetrant business. Davon hat er auf Geschäftsreisen genug. Wirklich gut ausgebildetes Personal. Diskret und trotzdem aufmerksam. Nette Suiten. Nichts Protziges, Schlafzimmer, Wohnzimmer, Umkleidezimmer, Bäder. Aber die Details stimmen. Das ist wichtig in einer [27] Klausur. Sonst ist die Konzentration futsch. Da darf der Kamin keine Attrappe sein. Wenn er es als effizienzfördernd erlebt, vor dem Kaminfeuer zu arbeiten, dann braucht es einen Kamin, der funkioniert, und jemanden, der ihn anfeuern kann. Nur als Beispiel.
Dass er jetzt in der Lobby arbeitet, hat wirklich nichts mit der Qualität der Suite zu tun. Es hat, hübscher Zufall, genau mit dem Thema des Buches zu tun, das er im Moment mit einem leuchtgrünen Marker durchhighlighted: Der Mensch.
Der Mensch, nicht als human resource,