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Hansjörg Schneider

Silberkiesel

Hunkelers erster Fall

Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Erstausgabe erschien

1993 im Ammann Verlag, Zürich

Eine erste Ausgabe im Diogenes Verlag

ist 2011 im Taschenbuch erschienen

Umschlagfoto (Ausschnitt):

Copyright © Sodapix

 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2013

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 24231 7 (1. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60290 6

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] Sehen Sie, erzählen, einfach erzählen, ein Bilderbuch schreiben, in dem der Zug, das Haus, die Straße vorkommen, die Dinge, die der Mann jeden Tag sieht und die er gar nicht mehr sieht, weil sie ihm zu geläufig sind.

Friedrich Glauser

[7] Der Intercity Frankfurt–Basel rollte durch die oberrheinische Tiefebene, ein schöner, schlanker Zug. Es war Mitte Februar, der Schnee lag fingerhoch auf den kahlen Rebstöcken, die sich ostwärts den Hang hinaufzogen. Eine Bilderbuchlandschaft, in der einige Krähen herumflatterten und spitzgieblige Dörfer herumstanden.

Guy Kayat, ein fünfunddreißigjähriger Libanese in hellem Kamelhaarmantel, stand im Gang des fahrenden Waggons, hinter sich das leere Abteil mit seinem reservierten Platz, neben sich auf dem Boden die schwarze Reisetasche aus afrikanischem Antilopenleder, vor sich das breitflächige Fenster. Er hatte die linke Hand auf die leicht vorspringende Fensterumrandung gestützt, um die Fahrbewegung besser auspendeln zu können, die rechte Hand hielt eine Zigarette. Er fühlte sich müde, da er am frühen Morgen in Nikosia nach Frankfurt am Main abgeflogen war. In Nikosia war es angenehm warm gewesen, der Himmel blau, und jetzt dieses Grau da draußen und diese Kälte. Wie können Menschen in diesem unfreundlichen Klima leben, fragte sich Kayat, warum wandern sie nicht aus? Für ihn selber war das kein Problem, er hatte vor, nur wenige Tage in Basel zu bleiben, er war auf Geschäftsreise.

Der Zug preschte in einen Tunnel hinein, Kayat lehnte sich zurück, um dem scheppernden Geräusch zu entgehen. Er ließ die Zigarette zu Boden fallen und trat sie aus. Nervös schaute er durch den leeren Gang nach vorn, dann nach [8] hinten. Niemand war zu sehen. Kayat griff sich an die Krawatte, prüfte den Knopf, der einwandfrei am Hemdkragen saß. Alles in Ordnung, und auch der Rest der Reise würde problemlos sein.

Als der Zug wieder ins Freie hinausfuhr und das Scheppern schlagartig aufhörte, erschienen im hinteren Teil des Ganges zwei Männer, in unauffälliges Grau gekleidet. Kayat sah sofort, dass es zwei Beamte waren. Einer der beiden zog die Tür des ersten Abteils auf und trat ein. Der andere schaute scheinbar gelangweilt nach vorn zu Kayat.

Kayat spürte, wie sein Mund trocken wurde. Er kannte dieses Gefühl, er wusste, dass er jetzt ruhig am Fenster stehen bleiben und abwarten musste. Es war ganz normal, dass Beamte des schweizerischen Zollamtes die Reisenden nach Basel kontrollierten, er war darauf vorbereitet. Ruhe bewahren, freundlich lächeln und sich unter keinen Umständen etwas anmerken lassen, das war schließlich sein Beruf.

Kayat nahm sich eine neue Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Seine rechte Hand mit dem Feuerzeug zitterte, in den Achselhöhlen brach ihm der Schweiß aus. Was war das? Warum verlor er die Nerven?

Er zog den Rauch tief in die Luftröhre hinunter. Dann drehte er den Kopf nach links zu den Männern. Einer war offenbar immer noch im Abteil. Der andere stand breitbeinig im Gang, in der Hand ein dickes schwarzes Buch, das er aus der Mappe genommen hatte, die zu seinen Füßen stand. Er blätterte sorgfältig darin, bis er die richtige Seite fand, nahm dann einen Stift aus der Jackentasche und schrieb etwas hinein. Er versorgte den Stift wieder, klappte das Buch zu und schaute durch den Gang nach vorn, mit [9] leicht zusammengekniffenen Augen, wie es schien, als ob dort etwas Auffälliges zu sehen wäre.

Kayat wusste, dass er hierzulande eine auffällige Erscheinung war, schließlich war er Araber. Er kannte diese versteckten Blicke zur Genüge, die seiner Person galten, wenn er durch die Straßen Frankfurts ging, diesen heimlichen, kaum eingestandenen kleinen Hass, der sich sogleich hinter verlogen aufgesetzte Freundlichkeit zurückzuziehen pflegte. Die Menschen waren eben Rassisten, hier und anderswo, auch wenn sie das nie und nimmer zugeben würden. Sie waren Rassisten, weil sie in sich selber, in ihrer eigenen weißen oder andersfarbigen Haut unsicher waren und deshalb alles Fremde als Bedrohung empfanden. Schlimm war das nicht. Und wenn man sich korrekt verhielt und immer genug Geld bei sich trug, wurde man auch als Araber korrekt behandelt.

Aber jetzt, als der Beamte sein schwarzes Buch eingesteckt hatte und sich entschlossenen Schrittes näherte, verlor Kayat die Nerven. Er fing an zu husten, als ob ihm der eingesogene Tabakrauch die Luftröhre ätzen würde. Er beugte den Oberkörper nach vorn und hustete, dass ihm die Tränen kamen. Er trat die Zigarette auf dem Boden aus, zog ein weißes Taschentuch aus der Hosentasche, hielt es sich hustend und fast erbrechend vor den Mund, packte die Reisetasche und ging schnell durch den Gang nach vorn. Als er am Wagenende angekommen war und vom Gang her nicht mehr zu sehen war, drückte er mit aller Kraft den Griff der Schiebetür zur Seite, um die Automatik zu beschleunigen. Er hörte überdeutlich das Rauschen der Fahrt über den Schwellen, das Klopfen der Räder auf den [10] Schienen, er sah den feinen Schneestaub, der durch die Fugen der Passage hereingeweht war, er riss auch die zweite Tür mit aller Kraft auf und rannte weiter. Er hatte aufgehört zu husten, mit zittrigen Fingern steckte er das Taschentuch ein. Was war eigentlich los? War er auf der Flucht? Aber wohin sollte er fliehen? Der Zug war begrenzt, er war eingesperrt in diesen Zug, und abspringen konnte er nicht bei dieser Geschwindigkeit.

Er riss die Tür zum Speisewagen auf. Es saßen nur wenige Reisende an den Tischen. Sie schauten neugierig auf, als er hereingestürzt kam. Er war viel zu schnell, gar nicht wie ein normaler Reisender. Dazu war er verschwitzt, und bestimmt stand ihm die Panik im Gesicht.

Er hielt an und versuchte, ruhig zu atmen. Er nahm das linke Handgelenk vor die Augen und schaute auf seine Uhr. Dann blickte er um sich, als ob er einen freien Tisch suchen würde. Vielleicht sollte er sich hinsetzen, ganz unauffällig, überlegte er, wie ein gewöhnlicher Mann auf Dienstreise, Kaffee bestellen, in aller Ruhe das Auftauchen des Zollbeamten abwarten und auf dessen Bitte hin den Pass vorzeigen. Der war gültig und in Ordnung, es gab keinen Grund zur Aufregung.

Kayat drehte sich um und schaute zur Tür, durch die er eben hereingekommen war. Sie bestand aus schwach durchsichtigem Glas, dahinter bewegte sich nichts. Durch die Fenster sah er ein Weindorf drüben am Hang vorbeiziehen, die Dächer weiß verschneit. Die Leute an den Tischen hatten sich beruhigt, einige dösten vor sich hin, andere lasen in Zeitschriften, niemand schaute mehr auf.

Als ihn der Kellner, ein Südländer offensichtlich, mit [11] dickem, rotem Gesicht, an einen Tisch bitten wollte, fasste Kayat einen Entschluss. Er war jetzt wieder ganz ruhig, Herr jeder Situation, und wäre sie noch so kritisch gewesen, er lehnte dankend ab, ging zwischen den Tischen hindurch nach vorn zum Ausgang. Er berührte leicht den Griff der automatischen Tür und wartete, bis sie sich zur Seite schob, er betrat den nächsten Wagen. Es war ein Erstklass-Waggon in hellen Farben, der fast geräuschlos über die Schienen glitt.

Kayat stieß die Tür zur Toilette auf. Er trat ein, schloss hinter sich zu und öffnete die Reisetasche. Er riss den aufgeklebten doppelten Boden weg, warf ihn ins Klosett und spülte ihn hinunter. Dann entnahm er dem bloßgelegten Taschenboden einen flachen Plastikbeutel mit Diamanten drin. Er riss eine Packung Präservative auf, klaubte eines heraus und füllte die Diamanten hinein. Er nahm aus einem Lederbeutel eine Spraydose mit Rasierschaum, öffnete seinen Hosenbund und zog sich die Unterhosen herunter. Er sprayte sich Schaum in die Hand, rieb damit das gefüllte Präservativ ein, beugte sich vor, indem er sich mit der anderen Hand am Lavabo abstützte, und schob sich die Diamanten tief in den After. Er erhob sich wieder aus seiner gekrümmten Haltung, wenn auch unter einigen Schmerzen. Er wartete eine Weile mit geschlossenen Augen, um zu prüfen, ob die Diamanten drinblieben. Sie blieben drin.

Als es draußen an die Tür klopfte, zog er sich die Hosen hoch, schloss mit genauen, schnellen Bewegungen den Bund, sprayte sich das Kinn voll Schaum und riss eine Wegwerfklinge aus der Packung. Damit schabte er sich die linke Gesichtshälfte frei.

[12] Als es ein zweites Mal an die Tür klopfte, diesmal härter, bestimmter, öffnete er. Vor ihm stand der Zollbeamte, ein junger Mann mit blondem Schnurrbart.

»Kann ich bitte Ihren Ausweis sehen?«, fragte er.

»Aber gern«, sagte Kayat, »nur einen Moment.«

Er wusch sich sorgfältig die Hände, trocknete sie an einem der bereitliegenden Papiertücher ab, warf es in den dafür bereitstehenden Eimer und nahm den Pass aus der Jackentasche. »Bitte sehr«, sagte er freundlich lächelnd, als er ihn hinstreckte.

Der Beamte hatte wortlos zugeschaut, breitbeinig die Schläge des fahrenden Wagens auspendelnd. Er nahm den Pass, blätterte darin, biss sich fest am Foto, das er lange anstarrte.

»Sie sind Libanese«, sagte er.

Kayat schabte sich behutsam die rechte Gesichtshälfte frei. »Ja«, antwortete er, »das wird doch nicht verboten sein?«

Der Beamte entnahm seiner Mappe einen handlichen Apparat, tippte etwas ein, während sich Kayat das Gesicht abtrocknete, wartete, ohne aufzusehen, und erhielt offenbar eine Antwort, die ihm nicht gefiel.

»Okay«, sagte er, »es liegt nichts vor gegen Sie.«

»Was sollte denn vorliegen?«, fragte Kayat in bestem Deutsch, was den jungen blonden Mann offensichtlich verwirrte.

»Man weiß nie. Es treibt sich allerhand Volk herum. Darf ich mal sehen?«

»Aber gern«, sagte Kayat und stellte die offene Reisetasche auf das Lavabo. Der Beamte hob einige Hemden [13] hoch, griff darunter und brachte Unterwäsche zum Vorschein.

»Was man halt so braucht«, sagte Kayat und zuckte fast entschuldigend mit den Achseln.

»Ferien?«, fragte der Beamte.

»Ja«, sagte Kayat, »Urlaub.«

»Und das da?« Der Beamte hielt die aufgerissene Packung mit den Präservativen in der Hand.

Kayat senkte schuldbewusst die Augen. »Man weiß ja nie.«

»Also gut«, sagte der Blonde, sachlich und bestimmt, »packen Sie meinetwegen wieder zusammen.« Und nach einer Weile: »Warum sind Sie denn fortgerannt?«

»Hustenanfall«, sagte Kayat, »ich habe mich beinahe übergeben.«

Peter Hunkeler, Kommissär des Kriminalkommissariats Basel, gewesener Familienvater, jetzt geschieden, saß fest im Stau auf der Johanniterbrücke. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, obschon es noch nicht einmal 16 Uhr war, und um 16 Uhr 27 fuhr im Badischen Bahnhof der Intercity aus Frankfurt ein. Die Autos hatten die Lichter eingeschaltet, feiner Schnee rieselte aus dem Nebel. In Hochlagen, so hatte es der Wetterfrosch im Fernsehen vorausgesagt, war jetzt klare Sicht bis zu den Alpen. Dort oben lag ein roter Schimmer im Westen, wo die Sonne unterging, im Süden glänzten die mondweißen Schneeflanken, und bald würden die ersten Sterne aufglimmen.

[14] Peter Hunkeler war nervös. Es war nicht die verständliche Nervosität des Zuspätkommenden, der aus eigener Schuld einen wichtigen Termin verpasst, und das Treffen im Badischen Bahnhof war enorm wichtig. Das störte Hunkeler indessen nicht grundsätzlich. Er war schon zu lange im Dienst, um sich über eigenes Versagen aufzuregen. Manchmal klappte ein Einsatz, manchmal eben nicht. Der Unterschied für ihn, den Kriminalkommissär, war nicht groß. Klappte ein Einsatz, so hielt sich das Lob der Vorgesetzten in Grenzen. Klappte ein Einsatz nicht, so hielt sich der Tadel in Grenzen. Zudem stand er wenige Jahre vor der Pensionierung. Die Rente war ihm sicher, da er Beamter war. Ein beruflicher Aufstieg war nicht mehr möglich und eine Entlassung bei so vielen Dienstjahren äußerst unwahrscheinlich.

Und das Berufsethos des Ordnungshüters, des mutigen Kämpfers für Gerechtigkeit? Das war ihm wurscht, ehrlich gesagt. Von diesem Geschwätz hatte er die Nase voll, und zwar schon lange und endgültig. Was er gesehen hatte in den langen Jahren bei der Polizei, das hatte ihm den letzten Rest seines jugendlichen Glaubens an Gerechtigkeit genommen.

Ein Verbrechen, was war das? Wenn ein armer Schlucker, geplagt und gestresst von materieller Not und seelischem Elend, bloß einmal in seinem Leben kurz durchdrehte und eine Untat beging, die er wenig später nicht mehr begriff und bitter bereute, wurde er vom Gesetz zum Unmenschen gestempelt und eingelocht. Wenn ein reicher Geldsack, der ein Dutzend Juristen an der Hand hatte und sich in den Gesetzen auskannte wie ein Fuchs in seinem Bau, jahrelang [15] die Leute beschiss und nach Strich und Faden ausnahm, war das ein Ehrenmann. Zudem musste man ja einen Verbrecher erst einmal erwischen und überführen. Peter Hunkeler war in dieser Beziehung skeptisch. Natürlich, so pflegte er in seiner Stammbeiz Sommereck zu dozieren, natürlich ist es leicht, einen Mann zu überführen, der aus Eifersucht seine Frau erschlägt und sich anschließend auf dem nächsten Polizeiposten stellt. Aber versuche einmal, einem reichen Herrn, der auf dem Bruderholz oben wohnt in einer Villa mit Swimmingpool und zwei, drei Schafen im Garten, zu beweisen, dass er seine Millionen mit dem Waschen von Drogengeld verdient hat.

Hunkeler schaute nach rechts durch das eiserne Brückengeländer auf den Rhein. Die Wasseroberfläche schimmerte matt. Das war ein dunkles Wasser dort unten zu dieser Jahreszeit, ein kaltes Wasser, ein trübes Wasser, das da Richtung Meer trieb. Im Sommer floss es tanggrün und warm, er liebte es, an den Abenden darin zu schwimmen. Jetzt lag der Fluss wie geronnen da. Weiter oben stand quer die Mittlere Brücke, auch sie voller Autos, und dahinter ragte der Chor des Münsters in den Abend, nur noch schwach erkennbar im rieselnden Schnee.

Hunkeler schaute zu, wie die beiden Wischer Dreiecke auf die Frontscheibe drehten. Er versuchte, seiner Unruhe Herr zu werden. Er stellte den Motor ab, legte die Hände auf die Knie, schloss die Augen und atmete ruhig. Er sagte sich die Sätze vor, die er in einem Gratiskurs des Basler Polizeikorps für autogenes Training gelernt hatte. Ich bin ganz ruhig und entspannt, sagte er in gedämpftem Tonfall vor sich hin, und auch mein rechter Arm ist ganz schwer [16] und warm. Er merkte, wie diese idiotischen Sätze zu wirken begannen, wie er aus der Außenwelt immer tiefer in seinen Körper hineinrutschte. So empfand er das. Als er ganz wegzutauchen drohte in ein angenehmes Schweben, riss er die Augen wieder auf.

Es hatte sich nichts verändert um ihn herum inzwischen, nur dass ein feiner Rieselschnee auf der Frontscheibe lag.

Im Grunde gefiel ihm dieses Festsitzen im Stau, dieses Eingeklemmtsein zwischen Vorder- und Hinterwagen, dieses allgemeine sinnlose Warten auf etwas, was demnächst geschehen sollte, was aber nie geschah. Es war ein beruhigendes Aus-dem-Verkehr-gezogen-Sein, ein Aufgehoben-Sein in der allgemeinen Versteinerung.

Als der Wagen hinter ihm hupte, schrak Peter auf. Er war doch noch eingenickt, er hatte an seine Tochter Isabelle gedacht, er hatte von der guten Zeit mit ihr geträumt, von der schönen, gescheiten, fröhlichen Isabelle, die er seit über einem Jahr nicht mehr gesehen hatte.

Er schaute in den Rückspiegel. Dahinten hockte ein Mann am Steuer, der wütend seine Arme verwarf und sich mit eindeutiger Gestik an die Stirn tippte. Peter hob entschuldigend die Achseln, was den Hintermann nur noch in heißere Weißglut trieb und zu mehrmaligem Hupen veranlasste. Dann startete er den Motor und fuhr an.

Jenseits der Brücke standen zwei ineinandergekrachte Wagen. Ein Blaulicht drehte, ein Polizist winkte Hunkeler durch.

Er kam auf die Minute genau beim Badischen Bahnhof an, parkte, stieg aus und rannte in die große Halle. Sein Kollege, Detektiv-Wachtmeister Michael Madörin, stand [17] beim Kiosk hinter einem Gestell mit Zeitungen und gab ihm unauffällig ein Zeichen. Der große Zeiger der Uhr im Kuppelbogen oben – eine Abdankungshallen-Architektur, dachte Hunkeler – rutschte soeben auf 16 Uhr 30.

Er sah seine Männer sogleich. Haller stand bei der Fahrkartenausgabe der Deutschen Bundesbahn und rauchte seine geschwungene Luzerner Pfeife. Schneeberger las auf der Bank in der Mitte der Halle ein Buch, Korporal Lüdi studierte den beim Ausgang an die Wand geklebten Fahrplan. Keiner schaute herüber zu Hunkeler, der zum Kiosk schlenderte, um sich Zigaretten zu kaufen.

Aus dem Gang, der zu den Bahnsteigen führte, kamen die ersten Reisenden. Der Zöllner ließ sie anstandslos passieren. Ein junges Paar, das sich mit Küssen begrüßt hatte und jetzt umschlungen und offensichtlich voll der besten Hoffnung dem Ausgang zustrebte, einige Geschäftsleute mit Aktenköfferchen, die nicht links und nicht rechts schauten, eine ältere Frau, die offenbar erwartet hatte, abgeholt zu werden, und die ratlos in der Halle stehen blieb.

Dann kam Guy Kayat. Hunkeler erkannte ihn sofort, er hatte sich das Foto genau angeschaut. Es war ein junger, kräftiger Araber in hellem Kamelhaarmantel, mit einer schwarzen Ledertasche und mit seltsam steifem Gang. Er blieb stehen, schaute sich kurz um und wandte sich dann dem Ausgang zu. Ein Mann trat vom Bankschalter weg, wo er offenbar Geld gewechselt hatte, ein ziemlich dicker Mittfünfziger mit Glatze, dem man die schweizerische Biederkeit schon von weitem ansah. Er drehte sich zu Kayat hin, versuchte, ihm unauffällig zu winken, und rannte dann, als das nichts nützte, auf ihn zu.

[18] »Das ist er«, zischte Madörin und wollte schon lospreschen. Hunkeler hielt ihn zurück. Der Glatzkopf erreichte Kayat, packte ihn am Arm und riss ihn herum. Der befreite sich, stieß den Glatzkopf weg, rief ihm etwas zu, was nicht zu verstehen war. Der Glatzkopf war verblüfft, schaute sich in der Halle um, da rannte bereits Korporal Lüdi heran. Kayat ließ seine Tasche fallen, packte den Glatzkopf und warf ihn mit erstaunlicher Kraft dem heranstürmenden Lüdi entgegen. Dann rannte er los, am Kiosk vorbei in den Gang, der zu den Toiletten führte. Hunkeler und Madörin hätten ihn wohl ohne weiteres erwischt, wenn nicht ein Ehepaar mit einem Kind und hoch beladenem Gepäckwagen um die Ecke gekommen wäre. So rannten sie bloß das Kind über den Haufen und gingen selber auch zu Boden. Hunkeler rappelte sich hoch, stieß einen kurzen, blöden Fluch aus und konnte gerade noch zusehen, wie Kayat in Richtung Herrentoiletten verschwand.

Auch Madörin war inzwischen wieder hochgekommen. »Polizei!«, schrie er, riss die Pistole heraus und spurtete zusammen mit Haller und Schneeberger den Gang hinunter.

Hunkeler verwarf entschuldigend die Hände. »Es tut mir leid«, sagte er zu den erschrockenen Eltern, »es geht hier um Diamanten. Melden Sie sich bei der Polizei.« Er sah, wie die Mutter das schreiende Kind auf die Arme nahm und zu beruhigen versuchte. Dann rannte auch er los Richtung Toilette, denn schließlich war er der Leiter der Aktion, und der Teufel mochte wissen, was dieser Madörin mit seiner Pistole anstellte.

Er kam noch rechtzeitig hin, um Haller zu stoppen, der sich eben anschickte, gedeckt von seinen Kollegen, die [19] schießbereit ihre Pistolen vorgestreckt hielten, mit der rechten Schulter die Toilettentür einzurennen.

»Stopp!«, rief Hunkeler. »Seid ihr alle übergeschnappt?« Er wartete, bis der enttäuschte Madörin zur Seite trat, ging hin, drückte die Klinke hinunter, die Tür ging auf.

Vor ihm lag ein gekachelter Raum. Rechts zwei Lavabos, links vier Pissschüsseln, hinten waren die Kabinen. Er ging hin und klopfte an die erste Tür. Nach einer Weile ging sie auf. Ein alter Mann stand dahinter, der sich offensichtlich soeben die Hosen hochgezogen hatte. Er schlotterte vor Angst.

Hunkeler wollte sich entschuldigen, da sah er, wie Madörin nebenan mit vorgehaltener Pistole eine Tür eintrat. Hunkeler riss ihn weg und schaute hinein. Ein junger Mann saß auf der Schüssel, ein Fixer, die Spritze steckte in der linken Armbeuge. Lautlos glitt sein Oberkörper nach hinten an den Spültrog, sein Kopf senkte sich mit geschlossenen Augen auf die Brust.

In einer Kabine weiter hinten ging die Spülung. Eine Tür öffnete sich, Kayat kam heraus, sehr erstaunt über die Männer, die ihn sogleich packten. Hunkeler sah, wie sich Madörin zum Klo hinstürzte, in dem immer noch die Spülung lief, wie er sich die Jacke vom Leib riss, den Hemdärmel nach hinten streifte und die Hand bis über den Ellbogen in die Röhre hinunterstreckte. »Nichts«, sagte er.

[20] Erdogan Civil, achtunddreißigjähriger Saisonnier aus dem türkischen Selçuk, verheiratet und Vater dreier Kinder, stand in der Garderobe der Basler Kanalarbeiter (Hochbergerstraße) unter der Dusche. Er hatte zusammen mit seinen ausländischen Kollegen sechseinhalb Stunden in den unterirdischen Röhren verbracht, teils in den hohen, drei Meter breiten Hauptleitungen, die das Abwasser der umliegenden Quartiere aufnahmen und bündelten, teils in den nicht einmal mannshohen, engen Zubringern. Er hatte über Mittag einen Imbiss zu sich genommen, den er in einer Plastiktasche mitgebracht hatte, und eine Flasche Bier getrunken. Jetzt hatte er sein Tagewerk hinter sich und spülte unter der Brause den Kanalisationsgeruch weg.

Er hätte nicht behaupten können, dieser Geruch sei ihm unangenehm. Was hieß hier schon unangenehm. Dies war eine sehr gut bezahlte Arbeit. In der Türkei verdiente ein ungelernter Arbeiter wie er, wenn er überhaupt Arbeit fand, umgerechnet rund hundert Schweizer Franken im Monat. Hier bekam er dreißigmal mehr. Er konnte mit diesem Lohn ganz gut leben und erst noch seine Familie, die er in der Türkei hatte zurücklassen müssen, samt Großeltern, Tanten und Schwägerinnen ohne weiteres am Leben erhalten. Zudem brachte er es noch fertig, pro Monat zwei-, dreihundert Franken auf die hohe Kante zu legen, je nachdem, und damit würde er sich in einigen Jahren in seinem Heimatort ein kleines Hotel mit einem Dutzend Gastbetten kaufen können. Selçuk lag neben Ephesus, der alten Griechenstadt, es wimmelte von Rucksacktouristen, welche die Ruinen besuchen und möglichst billig übernachten wollten. Erdogan würde seine Betten voll haben. Voraussetzung [21] dafür war, hier in dieser kalten Stadt einige Jahre in den Röhren herumzukriechen, das lohnte sich schon.

Zudem war ihm aufgefallen, dass jeder Geruch eine eigene Dynamik entwickelte. Manchmal war ein Geruch ein Gestank, der einen fast zum Erbrechen zwang. Doch im Handumdrehen war er ein vertrautes Stück Heimat, das einen anheimelte und beruhigte. Man gewöhnt sich an alles, das hatte Erdogan gelernt, nur nicht an die demütigende Hoffnungslosigkeit.

Er drückte noch einmal auf den an der Wand befestigten Shampoo-Behälter, rieb sich die milchige Flüssigkeit in die Haare und achtete darauf, dass nichts davon in seine Augen rann. Er schrubbte seinen Kopf sauber, denn dort saß der Kanalgeruch porentief, er ließ das warme Wasser darüberströmen und spürte, wie sich die Wärme in seinem Körper ausbreitete. Er hörte, wie seine Kollegen nebenan in lautes Gelächter ausbrachen, sie waren bereits daran, sich umzuziehen. Erdogan war immer der Letzte unter der Dusche. Der Italiener, dachte er, der Luigi, hat wohl wieder einen dieser Witze erzählt, von einem Weib und einem geilen Mann.

Er stellte die Dusche ab, trat durch die Tür zum Umkleideraum und sah, dass der Vorarbeiter Berger zwischen den beiden Bänken stand. Das war der einzige Schweizer in ihrer Equipe, kein schlechter Chef, aber manchmal ziemlich stur, wie eben Schweizer waren. Aber dieser machte wenigstens keinen Unterschied zwischen Italienern und Türken.

»Du da«, sagte Berger und schaute zu Erdogan, »du musst noch einmal hinunter.«

[22] »Warum ich?«, fragte Erdogan.

»Einer muss es tun«, sagte Berger, »und du bist noch nicht angezogen.«

Die anderen schwiegen, keiner schaute auf, sie waren froh, dass sie nicht dran waren.

»Ich habe eine Verabredung«, sagte Erdogan, »ich kann leider nicht.«

»Los jetzt«, sagte Berger, »der Anschluss Badischer Bahnhof ist verstopft, Schwarzwaldallee–Markgräflerstraße. Du nimmst die Rute mit, in einer halben Stunde bist du wieder hier. Das gibt eine Überstunde.«

Erdogan wusste, dass es keinen Sinn hatte zu widersprechen. Also rieb er sich trocken und stieg wieder in die Arbeitsklamotten. Er würde sich zwar bei seiner Freundin Erika verspäten, aber sie wusste, dass er ab und zu nach Feierabend seine Kollegen im Café Ankara besuchte. Zudem war eine Überstunde auch nicht schlecht.

Draußen setzte er sich auf sein Moped, stülpte den Helm über und fuhr stadteinwärts. Es war eiskalt, Schnee trieb in der Luft. Auf der Fahrbahn gegenüber rollten die Autos mit deutschen Schildern im Schritttempo der Grenze entgegen, am Steuer die Grenzgänger, die in Basel arbeiteten und im Badischen wohnten.

Als er über die Wiese fuhr, sah er, dass sie auf beiden Seiten zugefroren war, nur in der Mitte floss das Wasser frei. Fast wäre er in einen Laster gefahren, so sehr hatte ihn der Fluss abgelenkt. Es gelang ihm, noch rechtzeitig zu bremsen und das seitwärts ausbrechende Hinterrad aufzufangen.

In der Schwarzwaldallee-Röhre unten sah er sofort, was los war. Der Zubringer Badischer Bahnhof war verstopft [23] mit schmutzigen Windeln, Klosettpapier und einem Kleidungsstück, dessen hellgrüne Farbe sich grell von den schmutzigen Papierpampers abhob.

Das Übliche, dachte er. Die Frauen gehen mit ihren Babys in die Bahnhofstoilette, wickeln sie neu und spülen das dreckige Zeug einfach hinunter. Oder sie kommen aus irgendeinem Dorf des Wiesentales angereist, kaufen in der Basler Innenstadt ein neues Kleid, ziehen es gleich an und stopfen das alte auf der Toilette des Badischen Bahnhofs ins Klo. Und sie, die Kanalarbeiter, konnten dann nach Feierabend noch einmal in die Klamotten steigen und den Schaden beheben.

Erdogan schüttelte den Kopf. Er merkte, dass er einen schweizerdeutschen Fluch ausstieß, der in der menschenleeren Röhre seltsam deplaziert klang. Er schaute um sich und leuchtete mit der Stirnlampe ein Stück des Ganges aus, durch den er gekommen war. Er sah nur eine Ratte, die sich sorgfältig die Pfoten leckte. Eigenartig, dachte er, dass ich nicht mehr türkisch fluche.

Er stieß die Rute in den verstopften Zubringer, aber der Pfropfen saß fest. Er griff hinein und zerrte am grünen Kleid. Beinahe wäre er hintenübergestürzt, konnte sich aber mit zwei schnellen Schritten auffangen. Wieder fluchte er, diesmal auf Türkisch. Er stieß die Rute aufs Neue hinein, verbissen jetzt und tiefer, er sah, wie dunkles Wasser herauszutropfen begann. Er stieß nach, bohrte die Rute über einen Meter weit hinein und riss den ganzen, kompakten Pfropfen Zentimeter um Zentimeter heraus. Das Zeug klatschte auf den Boden. Er trat zur Seite, um dem nachfolgenden Wasserschwall auszuweichen.

[24] Als das Wasser versiegte, stieß er die Rute noch einmal in den Unrat am Boden, um ihn ins tiefere Wasser zu schieben, damit er weggeschwemmt würde. Er sah ein zerrissenes Präservativ liegen, daneben funkelte etwas im Schein der Stirnlampe.

Diese Arschlöcher, dachte Erdogan, jetzt werfen sie auch noch Gläser ins Klo.

Es war schon vorgekommen, dass er Brillen herausgefischt hatte, manchmal sogar völlig intakte. Aber das, was da am Boden glänzte, sah nicht aus wie eine Brillenscherbe. Das sah eher wie ein Glaskiesel aus. Als er genauer hinleuchtete, sah er noch mehr solche Kiesel herumliegen.

Er beugte sich nieder und nahm einen auf. Der Kiesel war ungefähr so groß wie ein Wassertropfen. Er hatte Kanten und klare Flächen, und als er ihn mit dem Taschentuch saubergerieben hatte und genau vor den Strahl der Lampe hielt, sah er, dass darin ein bläuliches Feuer aufblitzte.

Erdogan erschrak. Er wickelte den Kiesel ins Taschentuch und steckte dieses in die Seitentasche seines wasserfesten Overalls. Dann schaute er um sich. Nichts war zu hören als das Tropfen und Rieseln des Wassers, und von oben drang das ferne Rauschen des Verkehrs herab. Er leuchtete mit der Laterne links und rechts die Röhre aus. Niemand war da außer der Ratte, die sich noch immer putzte.

Erdogan spürte sein Herz pochen, es schlug bis in den Hals hinauf. Das war ein Diamant, das war ihm sofort klar. Und hier vor ihm in diesem nassen Unrat lagen noch weitere Diamanten. Aber wo waren die Leute, die sie verloren hatten?

Er bückte sich und stocherte im Haufen herum. Er [25] kniete sich hin und fing an, was da glänzte, einzusammeln. Er arbeitete schnell, aber ohne Hektik. Er durchsuchte alles, drehte jedes Papier um und jede Zigarettenkippe, durchwühlte systematisch die Fetzen des grünen Kleides und schritt einige Dutzend Meter der Röhre in Richtung des abfließenden Wassers ab. Er leuchtete in den Zubringer des Badischen Bahnhofs hinein, schabte heraus, was dort noch lag, und fand zwei weitere Steine. Als er sicher war, dass ihm keiner entgangen war, reihte er alle in gerader Linie auf dem trockenen Röhrenrand auf und zählte sie.

Es waren zweiundvierzig große, bläulich schimmernde Brillanten. Er hatte sie gefunden, und niemand hatte ihn gesehen. Er wickelte sie ins Taschentuch, steckte dieses ein, nahm sein Werkzeug von der Wand, wo er es angelehnt hatte, und machte sich auf den Rückweg.

Erika Waldis, zweiundfünfzigjährige Innerschweizerin aus Weggis an der Rigi, ledig, ziemlich dick, saß an der Kasse des Einkaufszentrums Burgfelderstraße und tippte die Preise der Waren ein, die das schwarze Fließband in Griffnähe schob. Obschon Hochbetrieb war, tat sie das mit langsamen, sicheren Bewegungen. Die meisten Preise kannte sie längst auswendig. Nur das Gemüse und Obst, die Käse- und Fleischprodukte hielt sie sich kurz vor die Augen, las ab, was sie kosteten, und legte sie dann in den bereitstehenden Einkaufswagen. Wenn die Maschine alles zusammengerechnet hatte, nannte sie den Betrag, wartete, bis die Kundin oder der Kunde einen Geldschein hervorgesucht hatte, [26] und gab das Restgeld heraus. Das waren die kurzen Momente, in denen sie den Rücken durchstrecken, den Blick heben und die Kundschaft anlächeln konnte. Sie kannte einen großen Teil der Leute vom Sehen, sie war sehr beliebt. Denn sie ließ sich nie aus der Ruhe bringen und gab sich Mühe, auch die andern nicht aus der Ruhe zu bringen. Zeit hatte sie genug, nämlich achteinhalb Stunden pro Tag, so lange arbeitete sie. Es hatte überhaupt keinen Sinn zu hetzen. Schließlich ging es hier in erster Linie um Lebensmittel, um das Kochen und um das Essen, und damit, so dachte Erika, muss man sich Zeit lassen.

Am liebsten tat sie ihren Dienst in den flauen Stunden morgens um neun und nachmittags um drei, wenn das riesige Areal des Einkaufsparadieses fast menschenleer war. Dann lag ein eigentümlicher Charme über den Regalen, ein Duft nach schöner, heiler Welt, in der im Grunde nichts Schlimmes geschehen konnte, da ja genügend zu essen da war, und alles gesunde, vollwertige Nahrung. Es gab zum Beispiel mehr als zwölf Sorten Brot im Sortiment, solches mit Sojamehl drin, mit Weizenkleie und Dinkel. Es gab verschiedene Joghurtsorten, mit und ohne Früchte, aus Vollmilch hergestellt oder teilweise entrahmt. Es gab sogar seit kurzem Kartoffeln aus biologischem Anbau, ein bisschen teurer als normale, aber immer noch billig. Hungern musste hier niemand.

Die alten Frauen und Männer, die zu diesen flauen Stunden einkauften, bediente Erika aufs höflichste. Sie konnte am Inhalt der Einkaufswagen abschätzen, wer nur von der AHV leben musste und wer noch eine Zusatzrente hatte. Sie wartete mit freundlichem Blick, bis die alten Leute ihr [27] Portemonnaie hervorgesucht hatten. Sie schaute geduldig zu, wie sie den geforderten Betrag möglichst genau in Scheinen und Kleingeld abzählten, sie streckten niemals große Scheine hin, sie trennten sich ungern von ihnen.

Auch die Asylanten bediente sie gern, die Tamilen, die alle im Block nebenan lebten. Das waren moderne, teure Wohnungen, aber die Wohnungsnot war so groß, dass die Stadt den halben Block für Asylanten gemietet hatte. Erika wusste, dass die zierlichen braunen Männer mit dem pechschwarzen Haar zu dritt und zu viert in jenen Zimmern wohnten, zwölf Männer in einer Dreizimmerwohnung. Sie verstanden meist kein Wort Deutsch, und Erika, die neben Deutsch bloß noch Französisch konnte, da sie ein Jahr lang Kinder im Welschland gehütet hatte, hatte alle Mühe, sich mit ihnen zu verständigen.