Hannibal und Fatzke jagen die Geschmacksdiebe 

 

- Zwei bärenstarke Nasen in Istanbul -
 

 

Erzählt von Fatzke persönlich 

Aufgeschrieben von Antonie Linden 

 

 

PROFIL Verlag Bonn 

 

Umschlag-/Titelfoto: © Petra May 2010 

 

 

ISBN 978-3-00-040262-3 

Auflage: Dezember 2012 

 

 

Alle Rechte vorbehalten 

 

 

© Petra May 2012 

PROFIL Verlag Bonn 

Villiper Allee 20 

53125 Bonn 

 

 

www.baerenstarke-nasen.de 

 

„Nun, Watson …“

 

 

 „Nun, Watson, was ersiehst du daraus?“ 

Holmes saß mit dem Rücken zu mir und ich hatte mir meine Beschäftigung in keiner Weise anmerken lassen. 

„Woher wusstest du, was ich tue? Mir scheint, du hast Augen im Hinterkopf!“ 

„Ich habe zumindest eine gut polierte silberne Kaffeekanne vor mir stehen“, antwortete er. 

 

 

 (Zitat nach Arthur Conan Doyle, Der Hund von Baskerville, Kriminalroman) 

 

Dramatis Personae - die handelnden Personen

 

 

mit anderen Worten: Wer spielt mit?  

 

 

Hannibal – Detektiv, sehr klug 

Fatzke – Detektiv, auch klug und immer hungrig 

 

SBZ – erteilt den Detektiven die Aufträge zur Ermittlung, persönlich nicht anwesend 

 

Hasan – guter alter Freund der Detektive vor Ort 

 

Die Familie Celik: 

Attila – Vater von Z. und N., Sohn von E.  

Elena – Mutter von A. und Oma von Z. und N.  

Zeki – Sohn von A., Enkel von E.,14 Jahre 

Nursel – Tochter von A., Enkelin von E.,10 Jahre 

 

Paul – Zekis deutscher Schulfreund von der internationalen Schule, auch 14 

Pauls Vater – deutscher Zeitungs-korrespondent  

 

Ein Trupp Helfer, darunter: 

Salman – ist zurückgekehrt 

Okan – kennt sich unter der Erde aus 

 

sowie 

eine Blondine – mit langen Fingernägeln, 

der mit der Sonnenbrille  

und 

 

N’ÄHRO 

 

Kapitel 1: Die Ankunft - Istanbul auf den ersten Blick

 

Die Möwen, die vor unserem Fenster hoch über der Stadt schon eine ganze Weile in der Luft gekreist hatten, steigerten ihr ohnehin ohrenbetäubendes Gekreische in nie gehörte Töne und machten uns schier verrückt. In der Gasse schrie eine winzige Katze einen viermal so großen Hund in die Flucht. Fensterläden schepperten, Türen knallten. Nur der Trommler im Haus gegenüber trommelte unverdrossen gegen den Regen, den Donner und die Möwen an. Bei offenem Fenster. 

Kaum hatten wir uns ins Bett gelegt, war das Unwetter über uns hereingebrochen. Aber was für eins! Blitze heller als die Feuer der Hölle und Donner lauter als mein Herzklopfen vorm Auspacken der Geburtstagsgeschenke. Dazu eine Sintflut vom Himmel, in der wohl selbst Noahs Arche Mühe gehabt hätte, nicht unterzugehen. 

Unsere erste Nacht hatte mit Ruhe so gar nichts zu tun. 

* 

„Pack die Ohrstöpsel ein, wir fliegen nach Istanbul“, hatte  Hannibal gesagt. Das war gestern. 

„Ohrstöpsel??“ 

„Ja, und vergiss das Wörterbuch nicht!“ 

Okay, also Ohrstöpsel, Wörterbuch – diesmal türkisch – Sonnenbrille und die leichte Sommergarderobe, das übliche Arbeitsgerät wie Fotoapparat, Handy. Die Vorbereitungen für unseren neuen Einsatz nahmen nicht viel Zeit in Anspruch.  

Unser Flug am nächsten Morgen nach Istanbul dauerte nur drei Stunden, ließ mir aber Zeit genug, über unseren neuen Auftrag nachzudenken. SBZ hatte angerufen. Seine Informanten hatten leise, nicht näher beschriebene Unruhen gemeldet. In einem besonders auch von Touristen gefragten Stadtteil Istanbuls war Gerede entstanden. Gerüchte auf der Straße, dass sich etwas tue, etwas verändere. Ob da alte Häuser platt gemacht werden sollten, ob die weltbekannte Marmeladenbrötchen-Kette die einheimischen Dönerbuden verdrängen oder ob alle Geldautomaten verstopft werden sollten – alles schien denkbar.  

Nichts Genaues aber war bekannt. Wir sollten uns die Lage vor Ort ansehen und wurden bereits am nächsten Tag erwartet. Ganz schön widersprüchlich, bisschen verworren, aber ... 

Halt: Vermutlich kapiert gerade kein Mensch, wovon ich rede. Also, gestattet mir bitte, dass ich ein paar Worte über uns verliere: 

Fatzke, mein Name! Ich bin unter anderem zuständig fürs Protokoll. Nein, nicht für die guten Manieren, sondern dafür, dass unsere Geschichten festgehalten werden, unsere Aufträge und wie sie enden. Mein Kollege und enger Freund heißt Hannibal. Er ist mehr fürs Denken und Kombinieren verantwortlich. Wir beide sind nach menschlichen Maßstäben ungewöhnlich. Auch eher klein. Aber da machen wir uns nichts draus. 

Die Menschen spielen immer die Hauptrolle bei unseren Aufträgen. Sie sind es, derer wir uns annehmen. Wir tun dies gern, wir sind ihre Freunde. Und wir stellen uns einer großen, einer ungeheuerlichen Aufgabe: All unsere Kraft setzen wir dafür ein, dem schlimmsten Feinde der Freiheit und der Einzigartigkeit das Handwerk zu legen. Wir kämpfen gegen den großen Gleichmacher – gegen N’ÄHRO! 

Diese Aufgabe bringt uns an die unterschiedlichsten Orte, in die ganze Welt. Der Sekretär für besondere Zukunftsfragen aller Länder, genannt SBZ, beauftragt uns. Er und seine Leute beobachten genau, wo auf der Welt es wieder Anzeichen dafür gibt, dass N’Ähro und seine Gefolgsleute unterwegs sind und ihr Unheil treiben. Wenn es soweit ist, dann setzt SBZ seine stärkste Waffe ein: uns. 

* 

Istanbul also. Am Flughafen wartete schon unser alter Freund Hasan. Hasan war nicht allzu groß, was uns gut zu Pass kam, und trug einen gewaltigen Schnauzbart unter der auch nicht gerade zierlichen Nase. Darüber funkelten listige braune Augen. Unverändert war er, na ja, bis auf die grauen Haare im Schnauzbart. Nach herzlicher Begrüßung machten wir uns auf den Weg zu Hasans Dachwohnung im Galata-Viertel.  

Auf seiner Terrasse bekamen wir den ersten Eindruck von Istanbul: Der Blick auf die Altstadt auf der anderen Seite des Wassers, des „Goldenen Horns“, mit ihren Moscheen und Palästen verschwamm zwar im Dunst der großen Stadt, ließ aber ahnen, welche Pracht uns noch erwartete. 

„Goldenes Horn“ heißt der Meeresarm, der nach Norden vom Bosporus abgeht und in der Geschichte Istanbuls einen mehr oder weniger sicheren Hafen bildete. An beiden Seiten des Goldenen Horns liegt die Stadt: der alte Teil auf der einen, das Galata-Viertel, in dem wir wohnten, auf der anderen Seite.  

Hasan schlug vor, zunächst die nähere Umgebung zu erkunden und bei der Gelegenheit nicht nur unseren Auftrag zu besprechen, sondern auch gleich einen Happen zu essen. Ja, ich muss gestehen, ein ungutes Hungergefühl machte mich schon schwindelig und auch missgelaunt. 

„Los, Jungs!“, drängelte ich. 

„Nur die Ruhe“, brummte Hasan. „Du wirst schon nicht verhungern.“ 

In Istanbul ist nicht nur das Essen meistens sehr lecker, sondern auch das Wetter ziemlich viel wärmer als bei uns zu Hause – wenigstens im Sommer. Und es riecht ganz anders. Das liegt nicht nur an den vielen Autos, sondern auch daran, dass hier die Grenze zwischen Europa und Asien verläuft. Und in diesem östlichsten Zipfel Europas duftet es nicht – nur - nach Bratwurst, sondern auch nach Zimt, nach Safran, nach Nelken und eben nach Autos, vor allem aber nach gegrilltem Fleisch auf den Straßen. Ihr wisst schon, krosses Fett ist eben besonders lecker.  

Der mittlerweile brüllende Hunger, die Düfte und die Sehnsucht nach einer wohlgefüllten Gabel, das alles zusammengenommen führte mich wie an der Gummileine gezogen zum nächsten Imbiss-Schuppen, den ich auf der Straße sah. Nur Hannibals leicht angeekeltes Gesicht hielt mich davon ab, dort einzutreten. Dabei spinnt der ein bisschen. Er hatte sich nämlich vom Äußeren abstoßen lassen. Der erste Blick fiel leider auf einen großen Kühlschrank mit Wasserflaschen und Limo-Dosen - den Schwerpunkt der Einrichtung. Nur, das ist häufig so in einfachen Garküchen und zeugt höchsten vom Vorhandensein der Elektrizität, hat aber nicht immer mit der Qualität des Essens zu tun. Also, weiter auf den Tatzen mit leerem Magen immer Hasan hinterher, den unser stummes kleines Intermezzo schwer amüsiert hatte!  

„Mach dir keine Sorgen, Fatzke“, grinste er zu mir herunter. „Ich zeig euch was Netteres. Ich dachte, wir gucken uns mal was ganz Modernes an, um zu sehen, ob sich bereits etwas tut. Ihr wisst schon!“ 

Ohne Hasan hätten wir diesen ausgefallenen kulinarischen Ort nie gefunden. Der Eingang lag in einer der kleinen Seitengassen, die wie so viele hier mit gelben Eisen-Zacken auf dem Pflaster oder dem Asphalt gesperrt war.  

Was? Gelbe Eisen-Zacken auf dem Pflaster? Na ja, so sorgt der Istanbuler dafür, dass die Richtung in den Einbahnstraßen beachtet wird. Fährt ein Auto richtig herum in die Straße, drückt es die beweglichen gelben Zacken runter. Fährt das Auto in die falsche Richtung, rammt es stramm die spitzen Zacken, kommt nicht weiter oder zerfetzt sich die Reifen. Einheimische allerdings kennen einen Trick, wie es trotzdem geht. Sie nehmen einfach starkes Paketband und kleben es auf die runtergedrückten Zacken. Oder sie legen ein Brett drauf, das denselben Zweck erfüllt.  

Also, vorsichtig über die Zacken gestiegen, die auch unseren kleinen Zehen nicht unbedingt gut tun, rechts geguckt und vor dunklem Eingang gestanden.  Hier ging es rein. Hinein in einen dunklen Keller. Nur schwach beleuchtet sahen wir vom Eingang aus Regale, auf denen wohl Flaschen lagen. Sollten wir es wagen? Oder war dies wieder einmal eine Falle, die uns unser „Freund“ N’Ähro gestellt hatte? Aber wir hatten schließlich unseren einheimischen Freund dabei. 

„Komm“, sagte Hannibal dann auch, fasste mich am Arm und zog mich hinein. „Lass uns wenigsten gucken. Wir wissen ja, wo es wieder hinausgeht.“ 

Gesagt, getan. Wir gingen langsam und sehr vorsichtig die Stufen hinunter ins Dunkle. Angenehm kühl war es, und als wir die Biegung der Treppe passiert hatten, wurde es auch heller. Ein Riesenkeller lag vor uns. Geradeaus blickten wir auf eine hell erleuchtete Theke mit vielen unterschiedlichen Käsestücken darin. Eine Sorte fiel immer wieder auf: Ein weißer Käse, der aussah wie ein geflochtener Zopf. Den wollten wir probieren.  

Also bestellte Hasan einen Teller mit Zöpfen. Auf der Platte lagen dann doch verschiedene Käse, allerdings fast alle aus Schafsmilch. Weiche und harte, weiße und weniger weiße und eben Zöpfe. Vorsichtig nahmen wir Stückchen für Stückchen und wurden mit jedem Bissen gieriger. So lecker waren diese Käse. Hier war N’Ähro ganz gewiss noch nicht hingekommen. Darin waren wir uns mit Hasan einig. 

Mittlerweile hatten wir Hasan aufgeklärt über unsere Mission in Istanbul und beschlossen, am nächsten Tag unsere Arbeit aufzunehmen. 

Satt und müde und nicht wirklich unzufrieden gingen wir nach Hause und guckten uns von unserer Dachterrasse die jetzt beleuchtete Silhouette der Altstadt auf der anderen Seite des Goldenen Horns an. Welch ein Anblick! 

„Ihr schlaft ja schon im Stehen ein“, meinte Hasan väterlich. „Wollt ihr nicht ins Bett? Morgen haben wir viel vor und werden den ganzen Tag unterwegs sein.“ 

Er hatte ja so Recht. Hannibal und ich zogen uns zurück und betteten unsere müden Häupter auf die Kissen. Da ging das Getöse los. 

* 

„Aufstehen, N’Ähro fangen!“, hörte ich wie durch Watte von ganz weit her eine tiefe Stimme rufen. Mann, war ich gerädert. Ich blickte auf Hannibal, der immer noch wie erschlagen im Bett neben mir lag und die Augen nicht öffnete. 

„Hey, Meister“, sagte ich. Dann nochmals: „Hannibal!“ 

„Ich muss noch den Fall um die verlorenen Eier lösen, dann wach ich auf“, grummelte es aus seiner Richtung. Schließlich schlug er die Augen und auf und rieb sie sich. Er gähnte herzhaft. 

Hasan öffnete die Tür: „Kommt, die Sonne scheint, und wir müssen einen Plan schmieden, wie wir weiter vorgehen.“ 

Nach dieser Nacht konnte uns nur noch ein echt türkisches Frühstück retten. Wir schleppten uns mit letzter Kraft in ein Café neben dem Galata-Turm. Bei Tomaten und Gurken, schwarzen Oliven und Schafskäse, Rührei, weichem weißen Brot, Sesamkringeln, die hier Simit heißen, Tee und Kaffee und Milch und türkischer, beinahe flüssiger Marmelade mit vielen Fruchtstückchen darin erwachten langsam unsere Lebensgeister.  

„Also, Jungs“, sagte Hasan nach dem ersten Kaffee, „was liegt an?“ 

Hasan war schon früher als junger Mann ungeduldig, wenn es etwas anzupacken galt. Jetzt werdet ihr euch fragen, woher wir das alles wissen und woher wir Hasan kennen, wo wir doch zum ersten Mal in Istanbul waren. Tja, Hasan hatte sich sein Studium und seinen Lebensunterhalt im guten alten Bonn als Straßenbahnfahrer finanziert. Da hatten wir ihn kennengelernt, als die Welt noch in Ordnung ...  

„Na“, hörte ich Hannibal im Geiste, „keine Diffamierung unserer Hauptstadt.“  

‚Diff...’ was? Und wieso unserer? Ich wollte die Berliner gar nicht beleidigen. So ein Blödsinn. Ich fand die Stadt ganz in Ordnung, die Currywurst am Flughafen auch. 

Zurück zu Hasan, unserem alten Freund. 

Hasan war heute nicht etwa Professor an der Universität, sondern seinem alten Job treu geblieben und Straßenbahnfahrer in Istanbul. Allerdings nicht Fahrer irgendeiner Straßenbahn. Er fuhr die historische Bahn, die vom Tünel-Platz bis zum Taksim-Platz durch die Fußgängerzone von Beyoglu, dem früheren Pera führt. Dort liegt auch der Teil Galata, in dem wir wohnten. 

Als Istanbul noch Hauptstadt war, lagen hier entlang Hasans Strecke die Botschaften der befreundeten Länder. In deren Prachtbauten residieren heute zumeist die Konsulate. Man sagt, dass es dort immer noch schöner und prächtiger aussieht als in den amtierenden Botschaften in der aktuellen Hauptstadt Ankara. 

Straßenbahnfahren auf der Straße der Unabhängigkeit, der Ístiklal Caddesi, ist eine besonders harte Aufgabe, denn die Fußgängerzone ist ständig voll mit Menschen, welche die Schienen zwischen ihren Füßen nicht so unbedingt ernst nehmen. Die mit dem Fotoapparat vor dem Gesicht sind Touristen, die die Bahn nicht kennen und deswegen nicht auf sie achten. Die anderen sind die Istanbuler, die zwar die Bahn kennen, aber auch wissen, dass die ausgebufften Fahrer jederzeit bremsen können. Deswegen kümmern sie sich überhaupt nicht darum und bleiben mitten auf den Schienen stehen 

Wir erinnerten Hasan an unseren Auftrag in Istanbul und befragten ihn hochnotpeinlich über seine Erfahrungen mit dem immer gleichen Geschmack, den wir schon so häufig an anderen Orten der Welt feststellen mussten.  

Ha, da waren wir an den Richtigen geraten! Er war gar nicht mehr zu bremsen, nachdem er einmal angefangen hatte aufzuzählen, worüber er sich in letzter Zeit alles hatte aufregen müssen.  

Schließlich konnte er unmittelbar zusehen, was sich veränderte, wenn er Dienst hatte und mit seiner historischen Bahn durch die Ístiklal Caddesi, fuhr.  Dort war nämlich in beinahe jedem zweiten Haus ein Imbiss, ein Café, ein Eismacher, ein Süßigkeitenladen, der Schokoladenmann von Istanbul und so weiter und so fort.  

Nix dagegen zu sagen, eigentlich! Aber mitzuerleben, dass anonyme Kaffeeketten oder deren orientalische Imitate die schönsten Jugendstilcafés übernahmen, machte Hasan nicht glücklich. Er vermisste vor allem das alte Café seiner Jugend, in dem er so viele Bücher gelesen hatte, wenn er denn überhaupt Zeit hatte zu lesen vor lauter gucken. 

„Wisst ihr“, seufzte Hasan, „es gab einfach viel zu gucken. Die Leute kamen hierher ins Café und hatten Zeit. ‚Muße’ nannte man das damals. Sie lasen Zeitung oder ein Buch, sie unterhielten sich leise und gepflegt oder laut und lustig, sie betrachteten die Menschen auf der Straße oder im Café und genossen ihren Kaffee, ihren Mokka oder ihren Kakao oder ihren Tee, den Çay. Und was sehen wir jetzt? Kaffee in Pappbechern! Brrr!“  

Es schüttelte unseren türkischen Freund heftig. Ich konnte es ihm nachfühlen. Was ein echter Türke ist, der trinkt seinen Mocca schließlich aus feinsten hauchdünnen Porzellantässchen mit Goldrand. Oder so.  

* 

Jetzt waren wir sehr neugierig auf die Stadt und fühlten uns stark genug, unserem Auftrag nachzukommen. Wir machten uns auf, zunächst die unmittelbare Gegend zu erkunden.  

Steil bergab führte der Weg uns durch die größte Open-Air-Hobbymarkt-Meile, die wir je gesehen hatten, hinunter zum Fischmarkt am Goldenen Horn. Schmale Gassen haben hier einen lustigen Namen: Sokak heißen sie. Früher erleichterten wohl Stufen den steilen Ab- oder Aufstieg. Diese Stufen aber haben sie wegen des aufkommenden Autoverkehrs platt gemacht. Und so hüpft man hier, immer gewärtig, dass ein Auto ohne Bremsen von hinten kommt, von einer Seite auf die andere. 

In jedem Abschnitt der Galata Kulesi Sokak, der Galata-Turm-Gasse, gab es etwas anderes zu kaufen, Heimwerkermarkt eben: Schrauben und Dübel in dem einen, Ventilatoren im nächsten, Farben und Tapeten im übernächsten. Und überall fuhren Autos durch, oder es parkten zwei nebeneinander in der Einfahrt zur nächsten Straße. Dann ging gar nix mehr.  

Durch diese bunten und quirligen Gassen gelangten wir bis zum Wasser hinunter. Dort lag, noch vor der großen Brücke der Fischmarkt, den wir uns ansehen wollten. Die Brücke heißt „Galata-Brücke“, weil sie von unserer Seite, dem Galata-Viertel, hinüberführt über das Goldene Horn zur Altstadt von Istanbul.  

Am Fuße der Heimwerkermarkt-Gasse ging es durch eine kleine Parkanlage am Wasser entlang zum Fischmarkt. Der ist ganz gemütlich – nicht so groß. Es riecht gar nicht unangenehm, die Leute gucken einen freundlich an, und es gibt, na ja, Fische eben. Kleine Fische, große Fische, platte Fische, dicke, runde und längliche Fische, Krabben, Schrimps und Tintenfische, die mit den dicken Saugnäpfen an den Fangarmen und die kleinen mit den festen, tubenförmigen Körpern, die sich so gut füllen lassen. Da läuft einem das Wasser im Munde zusammen. Aber ich schweife ab. In den kommenden Tagen wollten wir in einem der kleinen offenen Restaurants hinter den Fischständen einmal essen. Das jedoch sollte anders kommen, als wir uns das jetzt dachten. 

Auf der Galata-Brücke selbst standen entlang des Geländers jede Menge Angler. Was die wohl hier fangen würden? Wir blieben vorerst auf unserer Seite, wo wir – waren wir doch schon mal da – die unterirdische Moschee besichtigen wollten. Aber genau in dem Moment, als wir davorstanden, wurde zum Gebet gerufen. Die Gläubigen kamen dann auch in Scharen, zogen vor der Tür die Schuhe aus und verschwanden im Dunkel. Da wollten wir nicht stören und verschoben unseren Besuch auf ein andermal.  

Leicht erschöpft von soviel Istanbul gleich am ersten Tag ersparten wir uns den Aufstieg ins Galata-Viertel und nahmen die Tünel-Bahn. Die heißt so, weil sie durch einen Tunnel führt, sie ist eine der ältesten Untergrundbahnen der Welt und hat nur zwei Stationen: eine unten, eine oben. Dazwischen fährt sie durch den Berg. Nach oben oder nach unten. Je nachdem.  

„Komm, lass uns ein Gläschen Çay trinken“, sagte Hannibal und machte sich daran, die Straße zu überqueren. Auf der anderen Seite hatte er ein Café gesehen, bisschen angegammelt, aber so mögen wir es ja.   

„Tschei?“ fragte ich.  

„Ja, das ist das türkische Wort für Tee. Man schreibt es Çay, antwortete unser immer gebildeter Hannibal. 

Hasan grinste. 

Nach dem Çay, einem weiteren Donnerwetter mit Wolkenbruch, verbracht unter den Markisen der vielen kleinen Geschäfte für Musikinstrumente auf der Galipdede Caddesi, schleppten wir uns, jetzt halb verhungert, unter Hasans Obhut in seine Stammkneipe um die Ecke von unserer Wohnung. Das Essen dort war auch ganz lecker: knuspriger Blätterteig, gefüllt mit Schafskäse und Spinat und Köfte (kleine Frikadellchen, das weiß doch jeder). 

So’n Türke, der auch dabei saß und so gut Deutsch konnte wie nicht mal Hannibal Türkisch, empfahl uns aufs Wärmste, auch das Frühstück hier auszuprobieren. Hasan nickte zustimmend mit vollem Mund.  

*