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Walther L. Bernecker
Horst Pietschmann

GESCHICHTE PORTUGALS

Vom Spätmittelalter
bis zur Gegenwart

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Der vorliegende Band bietet einen Überblick über die Geschichte Portugals vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart.

Der erste Teil reicht von der Entstehung Portugals über die Begründung seines Weltreiches bis zur Flucht der königlichen Familie nach Brasilien.

Im zweiten Teil gilt der eigentliche Schwerpunkt der Darstellung der innenpolitischen Entwicklung des Landes und dessen Strukturproblemen, die den Hintergrund für die „Nelkenrevolution“ von 1974 bildeten, sowie der Demokratisierung und Europäisierung des Landes.

Über die Autoren

Walther L. Bernecker ist seit 1992 Professor für Auslandswissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Horst Pietschmann ist emeritierter Professor für Geschichte Lateinamerikas an der Universität Hamburg.

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Titelkupfer aus Buch 1 der 1514 in Lissabon gedruckten
Gesetzessammlung König Emmanuels. Es Zeigt den König als Hüter
des Rechts, dem zur Rechten seine juristisch geschulten Richter
und Rechtsberater und zur Linken die bewaffneten Ordnungskräfte
als ausführende Organe zur Seite stehen. Während der König
in der rechten Hand den Richterstab hält, legt er die linke Hand
auf das Gesetzbuch.

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Portugal: Distrikte und autonome Regionen
 (Quelle: Anário Estatístico de Portugal 1995: 28)

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

Vorwort

  1. Ursprünge und Entwicklung Portugals im Mittelalter

  2. Der Aufstieg der Dynastie von Avis und der Beginn der atlantischen Expansion

  3. Portugal und sein Weltreich (1479–1580)

  4. Die Abhängigkeit Portugals von Spanien und England (1580–ca. 1720)

  5. Portugal an der Schwelle zur Moderne

  6. Französisch-britische Besatzung und Unabhängigkeit Brasiliens

  7. Liberal-konstitutionelle Monarchie und sozio-ökonomischer Umbruch

  8. Die Erste Republik (1910–1926)

  9. Salazarismus und Estado Novo

10. Kolonialfrage, „Nelkenrevolution“ und Demokratie

11. Vom Aufschwung in die Krise

Bibliographie

Personenregister

Vorwort

Bis heute liegt in deutscher Sprache keine Gesamtdarstellung der Geschichte Portugals vor. Das kleine Land im äußersten Südwesten Europas blieb (aus mitteleuropäischer Perspektive) lange Zeit marginalisiert, nach seiner großen welthistorischen Phase zu Beginn der Neuzeit wurde es kaum mehr von den bedeutenden historischen Strömungen der neueren Zeit betroffen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verlor auch das gebildete Deutschland langsam das Interesse an Portugal. Seit der „Nelkenrevolution“ (1974), dem Übergang des Landes in die Demokratie und dem Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften im Jahr 1986 ist allerdings das Interesse an Portugal wieder deutlich gestiegen.

Der vorliegende Band zur Geschichte Portugals seit dem ausgehenden Mittelalter bis in die unmittelbare Gegenwart arbeitet die allgemeinen Entwicklungslinien heraus und hebt die spezifischen Strukturmerkmale hervor. Die Knappheit des zur Verfügung stehenden Raumes hat dazu gezwungen, eine komprimierte Überblicksdarstellung vorzulegen, bei der es nur um die Grundzüge, um das Besondere in Vergangenheit und Gegenwart gehen kann; auf viele Detailaspekte mußte zwangsläufig verzichtet werden.

Die Darstellung ist chronologisch angeordnet; innerhalb der einzelnen Abschnitte wird allerdings problemorientiert-strukturell vorgegangen. Wo möglich und nötig, wird auf die gemeineuropäische Geschichte verwiesen; damit wird deutlich gemacht, daß in vielen Phasen die portugiesische Geschichte nur im Kontext der europäischen verständlich wird.

Von den folgenden zehn Kapiteln beziehen sich die ersten fünf auf die Zeitspanne von der Gründung der Monarchie im Mittelalter bis zur Krise des Ancien régime zu Beginn des 19. Jahrhunderts; die zweiten fünf befassen sich mit der neueren Geschichte des Landes im 19. und 20. Jahrhundert, der somit anteilmäßig mehr Raum als der Frühen Neuzeit eingeräumt wird. Aus dieser Schwerpunktverteilung ergibt sich für den ersten Teil eine komprimiertere Darstellungsform. Die Geschichte des portugiesischen Kolonialreiches in Amerika, Afrika und Asien wurde immer dann einbezogen, wenn sie für das Verständnis der Entwicklung Portugals erforderlich war.

Verfasser des ersten Teils (Kap. 1–5) ist Horst Pietschmann,
Verfasser des zweiten Teils (Kap. 6–11) Walther L. Bernecker.

1. Ursprünge und Entwicklung Portugals im Mittelalter

Portugal ist wohl das älteste europäische Staatswesen, das seit dem Mittelalter keine nennenswerten territorialen Veränderungen erlebt hat. Dank seiner geographischen Lage hatte es sich lediglich über längere Zeit seines mächtigen Nachbarn Kastilien, später Spanien, zu erwehren. Dieser Nachbar versuchte mehrfach, sich die ehemals römische Provinz Lusitanien einzuverleiben, die unter besonderen Umständen im Mittelalter zu einem eigenen Königreich aufgestiegen war. Portugals Festlandterritorium bildet ein Rechteck von etwa 540 km Länge und 200 km mittlerer Breite. Nach Osten und Norden, zu den ehemaligen spanischen Königreichen Kastilien und Galicien, begrenzen Gebirgszüge und tief eingeschnittene Flußtäler das genannte Rechteck, Grenzgebiete, die von alters her dünn besiedelt waren. Klimatisch ist das Land in eine nördliche, atlantisch geprägte Zone mit häufigen Niederschlägen und eine südliche Hälfte mit mediterranem Klima gegliedert. Beide Zonen weisen die für sie jeweils charakteristische Vegetation mit den dazugehörigen typischen landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf. Diese natürlichen Gegebenheiten haben die Geschichte des Landes nachhaltig beeinflußt und dazu geführt, daß Portugal schon aufgrund seiner Geographie stets stärker dem Ozean zugewandt war als dem kontinentalen Hinterland mit seinen eher unwirtlichen Grenzregionen zu Spanien.

Die seit der Mitte des 8. Jahrhunderts einsetzende, von den kantabrischen Gebirgsregionen ausgehende christliche Reconquista erreichte bereits im späteren 9. Jahrhundert Portugal. Im Jahre 868 eroberte König Alfons III. die an der Mündung des Duero/Douro gelegene Stadt Portucale, die dem Land den Namen geben sollte und heute als Oporto (Porto) die zweitgrößte Stadt des Landes und Hauptstadt des „atlantischen“, nördlichen Portugal bildet. Alfons III. verlagerte die Hauptstadt des asturischen, christlichen Reiches in das südlich des kantabrischen Gebirgsmassivs gelegene León, förderte die Wiederbesiedlung des rechten, nördlichen Ufers des Duero/Douro und begünstigte entscheidend den Kult um den Apostel Jakobus im galicischen Santiago de Compostela.

Das rückeroberte Portugal entwickelte sich zu einer eigenen Grafschaft, deren Grafenfamilie mit der König Alfons’ III. verschwägert war. Mit den südlich des Duero/Douro in jenen Jahrzehnten entstandenen Grafschaften Kastilien und Portugal wird bereits die politische Gliederung der Mitte und des Westens der Iberischen Halbinsel im weiteren Verlauf der Reconquista erkennbar. Diese Grafschaften bildeten die eigentlichen Grenzregionen zu den islamischen Herrschaftsgebieten, und jeder weitere Vorstoß nach Süden, der durch erfolgreiche christliche Wiederbesiedlung gesichert werden konnte, mußte so zur Vergrößerung des Herrschaftsgebietes beider Grafschaften führen. Die die spanische Hochebene im Westen begrenzenden Gebirgszüge sollten künftig zumindest grob die Scheidelinie zwischen den Einflußbereichen und den Expansionsgebieten der beiden Grafschaften darstellen, so daß schon im frühen Mittelalter die Grenzen des römischen Lusitanien annähernd wieder zur Geltung kamen und erkennbar wird, daß diese weit zurückreichenden Gegebenheiten folgten. Während des 10. und 11. Jahrhunderts spielten beide Gebiete wiederholt eine wichtige Rolle in den dynastischen Konflikten des Königreiches León, das zunehmend Probleme hatte, beide Grafschaften unter seiner Botmäßigkeit zu halten.

Bereits 1086/87 hatte sich Raymond, Graf von Armous, der vierte Sohn Wilhelms I. von Burgund, nach Portugal begeben, wo er schließlich die Tochter und Erbin des leonesischen „Kaisers“ Alfons VI., Urraca, heiratete. König Alfons hatte versucht, durch Annahme des Kaisertitels seine Vorherrschaft in Portugal und Kastilien zu sichern, die beide zunehmend eigenständiger und mächtiger geworden waren. Graf Raymond, der 1093 die Herrschaft in Galicien übertragen bekommen hatte, unternahm von dort aus Feldzüge gegen die Mauren, was ihm wohl auch die damals das Gebiet zwischen den Flüssen Minho und Mondego umfassende Grafschaft Portugal eintrug. Es gelang ihm sogar, in Lissabon einzuziehen, nachdem der muslimische König von Badajoz, zu dem Lissabon gehörte, sich gegen das Versprechen christlicher Militärhilfe gegen die Invasion der Almoraviden aus Nordafrika König Alfons unterworfen hatte. Graf Heinrich, ein Cousin Raymonds, ebenfalls ein nachgeborener Sohn und naher Verwandter der burgundischen Herzöge, wurde zur Hochzeit mit König Alfons’ illegitimer Lieblingstochter veranlaßt und erhielt im Gegenzug Portugal übertragen. Er empfing das gesamte Gebiet südlich des Minho als erbliches Lehen. Heinrich von Burgund und Graf von Portugal scheint häufig am imperialen Hof seines Schwiegervaters anwesend gewesen zu sein und dessen kaiserliche Urkunden bestätigt zu haben.

Nachdem Heinrich 1112 gestorben war, führte seine Witwe die Politik ihres verstorbenen Gatten mit einigem Erfolg weiter, begünstigt durch das Interregnum in León-Kastilien, das erst 1126 mit der Thronbesteigung Alfons VII. endete. Dieser konnte schon 1127 in einem Feldzug gegen den jungen Afonso Henriques, den Sohn Graf Heinrichs und seiner Gattin Theresia, siegen und Portugal seiner Oberherrschaft unterstellen.

Afonso Henriques befand sich in der Folgezeit fast ununterbrochen in Konflikt mit seinem Cousin Alfons VII., der sich 1135 feierlich auf einer Reichsversammlung in León zum Kaiser proklamiert hatte. Damit war für Afonso Henriques der Weg zum Königtum frei. 1137 einigte er sich mit Alfons VII. vorübergehend und scheint kurz nach einem Sieg gegen die Muslime im Jahre 1139 den Königstitel angenommen zu haben. Nach einem erneuten Konflikt mit Alfons vermittelte ein päpstlicher Legat ein Friedensabkommen zwischen beiden, in dem Afonso Henriques der Königstitel zugestanden wurde. Dies bedeutete freilich noch nicht die Unabhängigkeit Portugals, da die Zugehörigkeit zum leonesischen Kaisertum bestehenblieb. Da das Papsttum aber bestrebt war, die Iberische Halbinsel politisch geeint zu sehen, unterstützte es fortan Alfons VII. und bezeichnete Afonso Henriques in allen Urkunden lediglich als „dux portugalensis“, als Herzog Portugals. Erst aufgrund erheblicher Zugeständnisse an die Kirche und Erhöhung der Tributzahlungen an Rom anerkannte ihn Papst Alexander III. im Jahre 1179 als König von Portugal. Begünstigt wurden die Erhebung Portugals zum Königtum und die Erlangung einer freilich nach wie vor prekären Unabhängigkeit dadurch, daß nach dem Tod Alfons’ VII. im Jahre 1157 sich seine beiden Söhne das Erbe geteilt hatten: Ferdinand II. erbte León und Galicien, Sancho III. Kastilien, es gab nun zwei Königreiche, zugleich wurde der Kaisertitel aufgegeben. Da allerdings der Erzbischof von Toledo nicht bereit war, seine Oberhoheit über Portugal als Primas der iberischen Kirche aufzugeben, bestanden auf kirchlicher Ebene Probleme fort. Erst im Jahre 1103 erkannte Papst Paschalis II. Braga als kirchliche Metropole Portugals und den Erzbischof als Primas der portugiesischen Kirche an. Von diesem Zeitpunkt an kann man die Unabhängigkeit eines portugiesischen Königreiches als einigermaßen gesichert bezeichnen.

Das neue Königreich umfaßte von der Grenze zu Galicien bis zum nach wie vor umstrittenen Gebiet um Lissabon den gesamten Norden des Landes und hatte eine Fläche von etwa 34.000 km2. Es war damit ein vergleichsweise kleines Land, von ähnlicher Ausdehnung wie Aragonien, Navarra oder die islamischen Reiche der Taifas, die sich nach dem Zerfall des Kalifats von Córdoba die Herrschaft über das islamische Spanien teilten. Da es mehr oder weniger zusammenfiel mit dem atlantisch geprägten Teil des modernen Portugal, war es nicht nur klimatisch, sondern auch demographisch wie wirtschaftlich ein relativ homogenes Gebiet, in dem dieselbe, dem Galicischen sehr ähnliche und bereits in jener Zeit schriftlich dokumentierte Sprache gesprochen wurde, aus der das moderne Portugiesisch hervorgegangen ist. Gleichzeitig bildete jene Region schon damals und bis hin in die Moderne den am dichtesten besiedelten Bereich Portugals. Wenn es auch keine genauen Bevölkerungsdaten aus jener Zeit gibt, so wissen wir doch aus Kirchenregistern, daß das Erzbistum Braga am Ende des 11. Jahrhunderts etwa 667 Pfarreien zählte, so daß wir aus der mittleren Verteilung von 2,5 Pfarreien pro 10 km2 auf eine vergleichsweise hohe Bevölkerungsdichte schließen können. Man schätzt für das Königreich Portugal in seiner Frühzeit eine Bevölkerungszahl von etwa 400.000 Einwohnern, was einem Durchschnitt von 16 Einwohnern pro km2 entsprechen würde und für damalige Verhältnisse auch im europäischen Durchschnitt als hohe Einwohnerzahl anzusehen ist.

Das Bevölkerungswachstum führte zu Teilungen der bewirtschafteten Landstücke, zu Wanderungen in bis dahin wenig landwirtschaftlich genutzte Regionen und – nicht zuletzt – zum Druck auf den noch maurischen Süden des Landes. Die landbesitzende Herrenschicht, teils weltlicher Adel, teils kirchliche Würdenträger, verfügte über weitgehende Autorität gegenüber den durch Gewohnheit an die Scholle gebundenen Teilen der Bevölkerung, die entweder einen Teil ihrer Produktion und/oder Dienst- und Tributleistungen an ihre Herren zu entrichten hatten. Andererseits muß aber darauf verwiesen werden, daß die andauernden Kämpfe gegen die Mauren den Druck auf die einfache Bevölkerung lockerten und zugleich vielfältige Möglichkeiten boten, durch militärische Leistung die Freiheit zu erlangen, ja sogar in den Adel aufzusteigen, wenn die Mittel verfügbar waren, ein Pferd zu unterhalten und die nötige Bewaffnung zu erwerben. Auf diese Weise konnte man sogar in den adeligen Status eines cavaleiro-vilão, eines einfachen Ritters, aufsteigen. Aber auch die Fußknechte – peões –, die an den militärischen Unternehmungen beteiligt waren und bei den häufigen Belagerungen von befestigten Ortschaften wichtige militärische Dienste zu verrichten hatten, besaßen einen höheren sozialen Status als die nicht kämpfende Bevölkerung und waren durchweg Freie. Die einmal latente, dann wieder offene Kriegssituation in den breiten Grenzgebieten zu den maurischen Territorien beeinflußte nachhaltig die Sozialstruktur des Landes.

Unter der einfachen Bevölkerung lassen sich bereits in jener Zeit rechtliche Abstufungen nachweisen, die schon damals ständig im Fluß waren. Abgefedert wurde die soziale Pyramide der Bevölkerung seit der Antike durch das Vorhandensein von Sklaven, welche die sich bekämpfenden Christen und Mauren erlangten, indem sie die jeweils im Krieg gefangenen Andersgläubigen versklavten. Je nach Intensität der Kämpfe war die Zahl dieser Sklaven unterschiedlich hoch, der Wunsch nach Sklaven und Beute konnte in jener Zeit sogar häufig den Anstoß zu Einfällen in Feindgebiete geben. Die Sklaverei war so weit verbreitet, daß sowohl Portugiesen als auch Spanier nichts Ungewöhnliches darin sahen, im Zuge der überseeischen Expansion Angehörige anderer Völker zu versklaven. Es muß in diesem Zusammenhang freilich auch festgestellt werden, daß diese Sklaven, sofern sie getauft wurden, in relativ kurzer Zeit die Freiheit und damit die Möglichkeit der sozialen Integration erhalten konnten, was dann wiederum – zwar nicht in der Kirche, aber im Volksdenken – zur Rechtfertigung der Sklaverei diente, in der man ein Mittel zur Christianisierung sah.

Große Unterschiede der sozialen Gliederung finden sich sowohl im Klerus als auch im Adel. So war im 11. und 12. Jahrhundert im Gefolge der Kämpfe der christlichen Dynasten untereinander eine Schicht des Hochadels entstanden, die diese Auseinandersetzungen zu ihrem sozialen Aufstieg genutzt hatten. Diese oftmals eingewanderten ricos-homens waren, von den jeweiligen Königen und Grafen mit Herrschaften und Gütern ausgestattet, zur adeligen Elite im Umkreis des königlichen Hofs aufgestiegen. Unterhalb dieser Gruppe begegnet auf der sozialen Rangleiter eine viel größere Zahl von adeligen Landbesitzern, die meist aus alten Familien stammten und ihre Ursprünge bis in römische oder westgotische Zeit zurückverfolgen konnten. Diese je nach Rang „infanções“, „cavaleiros“ oder „escudeiros“ genannten Adeligen bildeten eine eigene, oft zu den ricos-homens in Opposition stehende Gruppe, die sich verschiedentlich gegen das Königtum wandte und eine Verwurzelung in der einfacheren Bevölkerung besaß. Daneben führten aber das Bevölkerungswachstum und die damit verbundenen wirtschaftlichen Veränderungen zu Konflikten innerhalb dieser Adelsschicht. Darunter findet man eine ihrerseits in sich abgestufte Schicht von einfachen Adeligen, wie etwa Rittern oder fidalgos, die zwar gewisse Privilegien genossen, sich in ihrem Lebensstandard aber von nichtadeligen begüterten Bauern kaum unterschieden haben dürften. Nach unten sind die materiellen Übergänge vom Adel über nichtadelige Freie und Hörige bis hin zu handwerklich prosperierenden Sklaven durchaus fließend.

Wie im Adel findet sich auch im Klerus eine große soziale Bandbreite, dieser Stand wies die vielleicht größten sozialen Unterschiede auf. Das Spektrum innerhalb der Geistlichkeit reichte von den geistlichen Magnaten, etwa den aus dem Hochadel stammenden Erzbischöfen und Bischöfen, über die Angehörigen von Domkapiteln, geistliche Mitglieder der Ritterorden, Äbte und Vorsteher bedeutender Ordensgemeinschaften bis hin zu Gemeindepfarrern von zweifelhaftem Bildungsstand oder gar einfachen, des Lesens und Schreibens kaum mächtigen Kaplänen und Klerikern aus den untersten Bevölkerungsschichten. Dazu kamen die ebenfalls der Standesprivilegien der Geistlichkeit teilhaftigen Ordensbrüder ohne geistliche Weihen und das Heer von Laien, die in irgendeiner Form im Dienste der Kirche oder kirchlicher Institutionen standen und daher nicht der weltlichen, sondern der geistlichen Gerichtsbarkeit unterstanden.

Die Landwirtschaft war in Portugal wie allenthalben im Europa jener Zeit der wichtigste Wirtschaftszweig. Neben dem Getreide- und Weinanbau spielte die Viehzucht eine wichtige Rolle. Die in den vilas und ihren Untergliederungen betriebene Land- und Weidewirtschaft war im wesentlichen auf Selbstversorgung ausgerichtet. Lokaler oder regionaler Handel wurde bis weit ins 12. Jahrhundert als Tauschhandel betrieben. In geringem Umfang zirkulierte leonesisches, islamisches und sogar byzantinisches Geld. Allerdings begann bereits Afonso Henriques als erster König Portugals mit der Prägung eigener Münzen, was auf die wachsende Bedeutung des Handels hinweist. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts finden sich denn auch erste größere Märkte und Messeplätze. Der Fernhandel, vor allem zur See, entwickelte sich zwar langsam, doch stetig. An den Küsten besaß der Fischfang seit alters her eine große Bedeutung und bildete aufgrund der einfachen Konservierungsmethode der Trocknung (Stockfisch bzw. bacalhao) einen Faktor im Fernhandel.

In den 1130er Jahren unternahmen dann Portugal und die anderen christlichen Staaten raumgreifende Vorstöße in den islamischen Süden der Halbinsel. Portugal bemühte sich dabei vor allem, die Grenzregion südlich des Mondego zu sichern, die als „Frontier“ in endemische Kriegshandlungen verstrickt war. 1135 baute Afonso Henriques die Festung Leiria als Bollwerk und Stützpunkt für Vorstöße in maurisches Hinterland aus und unternahm Vorstöße bis in den Norden des Alentejo, ohne zunächst dauerhaften Gewinn aus seinen militärischen Erfolgen ziehen zu können. In den 1140er Jahren zerfiel das Almoravidenreich wieder und ließ eine Reihe neuer politischer Einheiten um die großen Städte des Landes entstehen. 1147 wurde Santarém mit Unterstützung von Kreuzrittern erobert, und in der Folgezeit gelang die Besitznahme weiterer maurischer Gebiete. 1160 begannen die Templer, die Burg von Tomar, ihr künftiges Zentrum in Portugal, zu erbauen. 1166 ließen sich in Évora die ersten Angehörigen des kastilischen Ritterordens von Calatrava nieder, die später ihr Zentrum nach Avis verlegten, diesen Namen übernahmen und sich so lusitanisierten. Neben der Begründung des unabhängigen Königreiches Portugal vermochte Afonso Henriques schließlich auch wichtige Erfolge bei der Rückeroberung südlicher Teile Portugals von den Mauren zu erzielen.

Die gewachsene Bedeutung der Städte und des Fernhandels wurde in der Folgezeit auch anhand der politischen Maßnahmen der Krone deutlich. So setzte der König beispielsweise detaillierte Zolltarife für den Außenhandel fest, die erkennen lassen, daß der Seehandel stark zugenommen hatte und die Zölle zu einem wichtigen Faktor der Kronfinanzen geworden waren. Bereits 1184 hatten portugiesische Kaufleute in Brügge die erste Handelsfaktorei gegründet. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts erhielten sie dann in England und Frankreich ebenfalls königliche Schutzbriefe. Nachdem durch den Vorstoß der kastilischen Reconquista bis an die Meerenge von Gibraltar die Fahrt für christliche Handelsschiffe zwischen dem Mittelmeerraum und dem Atlantik sicherer geworden war, begannen italienische Handelsflotten jährlich durch die Meerenge in den Nordseeraum zu fahren, was die Entwicklung der Seefahrt und des Handels in Portugal nachhaltig förderte, machten doch die Konvois stets Zwischenstation in den portugiesischen Häfen. Bereits seit 1237 sind königliche Marinearsenale in Portugal nachweisbar. Bald danach begegnet erstmals die Bezeichnung „caravela“ für den Schiffstyp, mit dem Portugal später seine überseeische Expansion vorantreiben sollte. Gestützt auf die Verbindung der mediterranen mit der Schiffsbautradition des Nordseeraumes, wurden in der Folgezeit auch die hochseetüchtigen Schiffstypen des Expansionszeitalters an den Küsten Portugals entwickelt. Fernhandel und Schiffsbau wiederum förderten durch ihre Nachfrage nachhaltig die Gewerbeentwicklung. Es erfolgte die Einrichtung einer Börse, und die Krone begann, auf eigene Rechnung Fernhandel zu betreiben. Adeliges Standesdenken bildete offenbar schon in jener Zeit kein unüberwindbares Hindernis mehr für ein auf Geldwirtschaft basierendes Unternehmertum, so daß sogar das Königtum entsprechenden Aktivitäten nachgehen konnte. Unter König Dinis (1279–1325) läßt sich bereits das Amt eines almirante mor, eines königlichen Großadmirals, nachweisen, das 1317 dem Genuesen Manuel Pessagno als Erbamt übertragen wurde; dieser trat mit 20 genuesischen Seefahrtsexperten in den Dienst der portugiesischen Krone. Dinis war es auch, der den Resten des vom Papst europaweit verbotenen Templerordens in Portugal eine Heimstatt gab und den Orden mit kaum veränderten Statuten schlicht in „Christusorden“ umbenannte.

Die Regierungszeit König Dinis’ wird in der portugiesischen Historiographie vielfach als ein „Goldenes Zeitalter“ bezeichnet. So förderte er den Binnen- und Außenhandel und die Marine, was wiederum aufgrund der hohen Nachfrage nach Schiffszubehör die verschiedenen Gewerbe nachhaltig belebte. Sümpfe wurden unter seiner Regierungszeit ebenso trockengelegt wie der Waldbau Impulse erhielt, um geeignetes Holz für den Schiffbau verfügbar zu haben. Mit der Gründung eines Studium generale in Lissabon legte Dinis auch die Grundlage für die spätere Universitätsentwicklung des Landes. Durch die Konsolidierung der Königsmacht und die Begünstigung der Städte und des Handels sicherte Dinis nicht nur den inneren Frieden, sondern auch die Eigenständigkeit des Königreiches; zugleich leitete er wichtige zukunftsorientierte Entwicklungen auf den verschiedensten Gebieten ein und begünstigte nachhaltig die Entwicklung von Wissenschaft und Künsten in Portugal.

Ungeachtet dieser dynamischen inneren Entwicklung des Landes flackerten immer wieder Konflikte mit dem mächtigen Nachbarn Kastilien auf, der Portugal um die Mitte des 13. Jahrhunderts den Besitz der Algarve hatte streitig machen wollen. Die Konsolidierung des portugiesischen Königtums sollte freilich dazu führen, daß in der Folgezeit dynastische Verbindungen bzw. Auseinandersetzungen zwischen beiden Kronen wichtiger wurden als territoriale Konflikte, nachdem Kastilien 1267 die Algarve als Besitz der portugiesischen Krone anerkannt hatte. Von da an verfügte Portugal über gesicherte Grenzen, und sein aus Burgund stammendes Herrscherhaus schaltete sich zunehmend nicht mehr nur in die iberische Politik ein, sondern betrieb entsprechend den inzwischen weiter in den Nordsee- und den Mittelmeerraum reichenden Handelsinteressen eine nahezu europaweit ausgreifende Politik.

2. Der Aufstieg der Dynastie von Avis und der Beginn der atlantischen Expansion

Im 14. Jahrhundert wurde der portugiesische Handel sowohl im Nordsee- als auch im Mittelmeerraum ausgebaut und sicherte sich weitere Stützpunkte. Gleichzeitig betrieben Händler aus beiden Regionen in Portugal ihre Geschäfte. Die portugiesische Küste wurde so zu einer rege von Schiffen aus vielen Ländern angesteuerten Region. Bereits 1353 schloß Portugal mit England einen Vertrag, der den Händlern beider Königreiche freien Handel und Schutz garantierte und portugiesischen Fischern gestattete, im Umkreis englischer Häfen zu fischen, ein Hinweis auf die Reichweite der portugiesischen Seefahrts-, Fischfang- und Handelsinteressen. In allen größeren Hafenstädten des Nordsee- und Mittelmeerraumes fanden sich portugiesische Handelskolonien, umgekehrt waren Italiener, Katalanen, Aragonesen, Mallorquiner, Franzosen, Niederländer und andere Kaufmannsnationen in Lissabon und Oporto anzutreffen.

Diese Entwicklung läßt verständlich werden, daß die großen Küstenstädte Portugals zunehmend Einfluß auch auf die Politik der Krone gewonnen hatten. Aufgrund der sogenannten Krise des 14. Jahrhunderts mit den Pestjahren zwischen 1348 und 1350 verschärften sich – wie beinahe allenthalben in Europa – erneut innenpolitische Konflikte. Massive Bevölkerungsverluste und Wanderungen vom Land in die Städte beeinträchtigten die Einkommen des Adels aus den Grundrenten. Die Städte waren im Gefolge der Verbreitung der Geldwirtschaft und des Handels, aufgrund der zunehmenden gewerblichen Aktivitäten sowie der inzwischen entstandenen kirchlichen und zünftischen Sozialeinrichtungen attraktiver geworden.

Als König Ferdinand 1385 starb, war seine Tochter Beatriz, inzwischen Königin von Kastilien, die einzige legitime Erbin, so daß die Vereinigung Portugals mit Kastilien bevorstand, ein Ziel, das die Heiratspolitik beider Herrscherhäuser im Spätmittelalter angestrebt hatte. Während die Mehrheit des portugiesischen Adels für das Legitimitätsprinzip Partei ergriff, war das städtische Bürgertum geschlossen gegen eine Verbindung mit Kastilien eingestellt. Diese Situation nutzte Johann, der illegitime Sohn Peters I. und Halbbruder des verstorbenen Königs, und stellte sich als Großmeister des Ordens von Avis mit seinen Rittern auf die Seite des Bürgertums, das ihm die Krone angetragen hatte. Der nun ausbrechende Krieg führte 1384/85 zur kastilischen Invasion Portugals. In der Schlacht von Aljubarrota gelang Johann von Avis ein triumphaler Sieg über die Kastilier. Die Cortes von Coimbra erkannten ihn 1385 gegen die Kandidatur von zwei anderen illegitimen Söhnen Peters I. als König Johann I. an. Dieser verheiratete sich bald darauf mit der Tochter des die englischen Hilfstruppen befehligenden John of Gaunt. Im Vertrag von Windsor garantierte England zugleich die Unabhängigkeit Portugals gegen kastilische Ansprüche.