Christian Meurer, geboren 1958, lebt als Journalist (Titanic), Autor und Vordenker des FAZ-Kreuzworträtsels mit Frau und drei Töchtern in Schleswig-Holstein. Seine beharrliche Weltabgeschiedenheit mildern Leserbriefe nur gelegentlich etwas ab. Über eine eigene Homepage ist er immerhin seit einiger Zeit bundesweit erreichbar: www.christian-meurer.de
CHRISTIAN MEURER
DIE IRREN, DIE
UNS REGIEREN
Deutschlands Politiker
Eine skandalöse Geschichte
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
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Originalausgabe 07/2013
© 2013 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
Redaktion: Thomas Bertram
Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
ISBN 978-3-641-09822-3
V002
www.heyne.de
Für Anne
Inhalt
Prolog
Uninspiriert, dilettantisch, zu oft verschenkt: Deutschlands Skandale – fast ein Skandal
Auf dem Weg zum Emir
1. Eindeutig zu wenig Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll?
Ulla Schmidt, die maoistische Bardame
Djamila Rowes diplomatischer Kavalier
Die CDU-Lolita
Alles Roger? Ronald Barnabas Schill und Ole von Beust
Koks im Reichstag?
Merkel, Dohnanyi, Ulla Hahn
Sex & Crime in Brandenburg: Schatzmeister Goetjes
Linke Lust
Brüderles Himmelreich
SKANDAL-SPEZIAL HELMUT KOHL
Kampf der Staatsverschuldung
2. Na also, geht doch: Verbrechen und andere Kleinigkeiten
Hans-Otto Scholl
Der Minister und der Killer
Gangsterstadt Neuruppin
Oskar, Totila & Hugo
50 Schuss und kein Treffer
Der Bruder von Christian Anders
»Größte Lüge des Jahrhunderts« – Focus-Interview mit Christian Anders
Völlig von der Rolle
SKANDAL-SPEZIAL ROT-GRÜN
3. Waffen und Banken
Der Kuckuck auf der Gruft
Die schöne Griechin
Projekt Nemesis
Rhein und Ruhr
Grüße aus dem Glashaus
Landesbank Weiß-Blau: Der Coup des Tilo Berlin
HSH-Nordlichterbank
Rallye-Banker Ihle
SKANDAL-SPEZIAL GROSSE KOALITION
4. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr – Wo unsere Parteien noch funktionieren
Die Bremer Stadtmusikanten
Die Theo-Waigel-Variante
Rüttgers Klub in Düsseldorf
Monika Hohlmeier
SKANDAL-SPEZIAL SCHWARZ-GELB: GRUNDMUSTER RUMMS!
5. Notizen aus der Provinz
Alljährliche Jeremiaden – Der Bund der Steuerzahler informiert
Finanzprodukte der Kommunen
Finanzjongleur Hans-Jürgen Koch
Niedersachsens Spielbanken-Affäre
Der Kölner Müllskandal
Die Nürburgring GmbH
Der Schürmann-Bau säuft ab
Die Elbphilharmonie
SKANDAL-SPEZIAL CDU: DIE MINISTERPRÄSIDENTEN-KILLER
Ludwig-Holger Pfahls
SKANDAL-SPEZIAL SPD-VORSITZ: MÄNNER OHNE NERVEN
6. Königsdisziplin Rücktritt
SKANDAL-SPEZIAL FDP: HELLO, GOODBYE
7. Der ganz normale Wahnsinn
Die mit der Bild tanzt: Heide Simonis
Knuddelschnubbel
Knuddelschnubbel: Lyrics
Kunst & Politik
Ströbeles gehen baden
Dr. Death – Der Tod ist ein Senator aus Hamburg
Heck und Hitler
SKANDAL-SPEZIAL: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
8. DDR-Altlasten
Minister Krauses Fahrt ins Glück
Ein Kantersieg für die Stasi
Kämpfen und Kungeln
Schalck-Golodkowskis Meisterstück: Helmut Häber
»Schalck lacht heute noch«
Der Fuchsbandwurm
SKANDAL-SPEZIAL DIE LINKE: BOLSCHEWISMUS ALS TOHUWABOHU
9. Vertanes Skandalkapital
Ein gut genutzter Abräumer: Bernhard Jagodas Arbeitsamt bricht zusammen
Die Rechtschreibreform
Das »System Hannover«
Hunzinger saß mit am Tisch
10. Noch ein paar echte Hoffnungsträger …
Piraten ahoi?
Pimp my Rechtsradikalismus?
Nazi-Multi-Kulti?
Arbeitnehmerrechte sichern!
St. Pauli im Bayerischen Landtag?
Sozialarbeit im Maserati?
1,1 Millionen Wähler?
Literaturverzeichnis
»Dein Stich in den Hals hat mir noch ein paar Prozentpunkte mehr verschafft.«
(Gerhard Schröder laut Lafontaine-Biograf Joachim Hoell nach gewonnener Landtagswahl am Telefon zum Attentats-Rekonvaleszenten Oskar Lafontaine Ende April 1990)
Prolog
Uninspiriert, dilettantisch, zu oft verschenkt: Deutschlands Skandale – fast ein Skandal
»Aber da hätten Sie natürlich auch sagen können, ich geb euch mal – pro Nacht – 150 Euro … So, was spricht dagegen, eigentlich …?« Womöglich die eigentliche Sternstunde dieser sogenannten »Affäre«: Als ZDF-Streberliese Bettina Schausten den Noch-Bundespräsidenten Christian Wulff verwundert fragte, warum er für Übernachtungen bei Freunden nicht eine angemessene Kostenpauschale erstattet habe. Und sie ihm auf seine perplexe Gegenfrage »Machen Sie das bei Ihren Freunden auch so?« ein derart flunschlippig-verlogenes »Ja!« entgegenkofferte, dass für einen Moment die ganze Schrecklichkeit des deutschen Fernseh-Karrierismus sichtbar wurde. Wulffs Replik »Dann unterscheidet Sie das von mir« ließ ihn für einen Augenblick sogar sympathisch wirken.
Gleichviel: Abgesehen vom bereits sprichwörtlichen »Bin-gerade-auf-dem-Weg-zum-Emir«, das Wulff von Kuwait aus Bild-Chefredakteur Kai-Uwe Diekmann auf den Anrufbeantworter röhrte, ist beim Staatskrisen-Zirkus um Wulff, Gattin Bettina, seinen windigen Presse-Adlatus Olaf Glaeseker, die Urlaube bei der befreundeten Familie Maschmeyer, die von Filmproduzent David Groenewold vorgestreckten Sylter Hotelrechnungen, den über die BW-Bank vertuschten Kredit seines Unternehmerfreundes Egon Geerkens und schließlich den Rücktritt samt Bettina-Buch, Paartherapie und schnöder Trennung jämmerlich wenig herausgekommen. Wirklich enthüllt wurde höchstens einmal mehr die deutsche Skandalmisere: Die unstrittig leistungsfähigste Medienmaschine des Kontinents müht sich an selbst gemachtem Mumpitz ab.
Auf dem Weg zum Emir
»Guten Abend, Herr Diekmann. Ich rufe aus Kuwait an. Bin gerade auf dem Weg zum Emir … und deswegen hier sehr eingespannt« [auf der] Reise durch die Golfstaaten, habe täglich von acht bis elf Uhr Termine. »Warum können Sie nicht akzeptieren, dass das Staatsoberhaupt im Ausland ist und warten, bis ich Dienstagabend wiederkomme, also morgen, um Mittwoch eine Besprechung zu machen, wo ich mit Herrn …, den Redakteuren, rede, wenn Sie möchten, die Dinge erörtere, und dann können wir entscheiden, wie wir die Dinge sehen, und dann können wir entscheiden, wie wir den Krieg führen.« »Ich habe alles offengelegt, Informationen gegeben, mit der Zusicherung, dass die nicht verwandt werden. Die werden jetzt indirekt verwandt, das heißt, ich werde auch Strafantrag stellen gegenüber Journalisten morgen, und die Anwälte sind beauftragt.« »Seit Monaten« wird eine »unglaubliche« Geschichte [geplant]. »Es gab immer dieses jahrelange Gerücht, Maschmeyer hätte was damit zu tun. Wir haben dargelegt, dass das alles Unsinn ist. Und jetzt werden andere Geschichten behauptet, die Unsinn sind.« [Ich möchte] »einfach, dass wir darüber sprechen, denn wenn das Kind im Brunnen liegt, ist das Ding nicht mehr hochzuholen – das ist eindeutig«. »Wenn man nicht bis Mittwoch wartet« … »und dann sagt: ›Okay‹, wir wollen den Krieg und führen ihn. Das finde ich sehr unverantwortlich von Ihrer Mannschaft, und da muss ich den Chefredakteur schon jetzt fragen, ob er das so will, was ich mir eigentlich nicht vorstellen kann«. So wie das gelaufen ist in den letzten Monaten, ist das inakzeptabel, und meine Frau und ich werden Mittwochmorgen eine Pressekonferenz machen zwischen dem japanischen Ministerpräsidenten und den weiteren Terminen und werden dann entsprechend auch öffentlich werden, weil diese Methoden Ihrer Journalisten, des investigativen Journalismus nicht mehr akzeptabel sind«. »Der Rubikon ist für mich überschritten und für meine Frau auch« [Ich] hoffe, »dass Sie die Nachricht abhören … Und ich bitte um Vergebung, aber hier ist jetzt für mich ein Punkt erreicht, der mich« … »zu einer Einhaltung/Handlung/Eilhandlung zwingt, die ich bisher niemals in meinem Leben präsentiert habe. Die hatte ich auch nie nötig«. »Das bedeutet den endgültigen Bruch zwischen dem Bundespräsidenten und dem ›Springer‹-Verlag« [, sollte] diese »unglaubliche« Geschichte tatsächlich erscheinen.« (von der Website Wulfplag aus Zeitungsartikeln rekonstruiert)
Zweifellos: Wulffs eigentlicher Sündenfall war, Bild mit Krieg zu drohen – das Blatt ist objektiv längst ein nicht legitimierter Teil der deutschen Staatsgewalt und qua eigenem Selbstverständnis bei seinen Interventionen auf nichts weniger als totalen Durchsetzungszwang festgelegt. Aber die wulffsche Konstellation war denn doch zu abwegig: Als Verlegenheitskandidat für das Amt des Bundespräsidenten im dritten Wahlgang gerade noch ins Schloss Bellevue gehievt, nachdem Vorgänger Horst Köhler sich mit einem spukig mysteriösen Abgang verabschiedet hatte, bestand seine Präsidentschaft letztendlich nur aus seiner Frau, deren nichts sagende Stewardessen-Attraktivität den Boulevard- und Hochglanzmüll-Kolumnistinnen als ihr Triumph zeitgemäßer Staatsrepräsentation einleuchtete: »Gefühlt« gingen sie mit dieser »Stilikone« nun endgültig selber in der obersten Staatsetage ein und aus. Oder doch zumindest ihr Ichideal. Das Leerlächeln, mit dem Frau Wulff Rücktrittserklärung und Zapfenstreich begleitete, wurde folgerichtig zum tapferen Auftritt einer starken Frau an der Seite eines bestenfalls tragischen Präsidenten umgebogen.
»Wie erklärt sie ihren Kindern Leander (8) und Linus (6), dass sich ihr Leben jetzt dramatisch ändert? Sie muss Schränke räumen, Kisten packen, muss den Älteren an einer neuen Schule anmelden, den Kleinen an einem neuen Kindergarten. Deutschland verliert die bisher ungewöhnlichste Ehefrau eines Bundespräsidenten! Blond, Modelmaße, tätowiert, ein uneheliches Kind, bildschön und selbstbewusst. Sie entstaubte sein braves Image (neue Brille, neue Frisur) und zelebrierte mit ihm das Patchwork-Glück im Schloss Bellevue.« (Bild, 18. 2. 2012)
Nach dem Staatsakt, vorm Zaun umrahmt von Wutbürgern, die ihre Forderung nach vorbildlicher Führung mit Vuvuzela-Getröte unterstrichen, weinten ihr die Bild-Frauen noch tagelang hinterher. Frau Wulff nahm das alles offenbar für bare Münze, schusterte im nächsten halben Jahr ein Bewältigungsbuch mit ihren hochgelobten Gesinnungen zusammen und hatte sich damit doch bloß selbst zur Schlachteplatte für die Springer-Presse präpariert.
Die feierte nun ihre Racheorgie, Teil 2, sah Frau Wulff plötzlich ungebührlich zum Gatten auf Distanz gehen (»Warum tut sie ihm das an? Deutschland diskutiert über Bettina Wulff«) und fand sie jetzt überhaupt sehr dürftig: »Im Buch allerdings ist der Girlie-Look voll in den Kopf gefahren. Da oben aber gelten andere Schönheitsregeln. Beautiful mind bitte, statt eitle Girlie-Sorgen.« (BamS, 16. 9. 2012)
Na ja, vielleicht. Aber mal ehrlich: War das wirklich ein echter Skandal? Oder, bei der kläglichen Besetzung, nicht doch bloß ein kümmerlicher Ersatz? Die unermessliche Rachsucht von Bild – deutlich geworden zuletzt daran, dass Kai Diekmann persönlich es sich nicht nehmen ließ, die Trennungsmeldung als Erster zu twittern – erfreut zwar durch Temperament, doch mit der scheinbar trostlosen Einöde im deutschen Polit-Skandalgeschehen wirkt auch sie inzwischen überfordert. Nicht, dass man Bild etwas vorwerfen könnte, denn mit etwas anderem als Kitsch und Hetze auf die Welt reagieren kann und soll sie ja gar nicht. Macht-Kitsch, Sport-Kitsch, Sex-Kitsch, Lady-Kitsch à la Bettina Wulff oder, wie am Personenkult um Wulffs Nachfolger zu beobachten, Polit-Kitsch, mit dem der einstmals integre Pastor Joachim Gauck nun zu einem sonderbaren Kunstfigurendasein als honoriger Bundesonkel verdonnert ist – aber wirkliche Skandale kann so ein hausgemachter Murks auf Dauer nicht ersetzen. Dass die Bunte im Jahr 2010 sogar Privatdetektive damit beauftragte, das Privatleben Franz Münteferings zu erkunden, macht deutlich, wie verzweifelt die Lage in vielen Redaktionen inzwischen sein muss.
Dennoch bleibt die Frage, ob wir es mit einem echten Rückgang deutscher Eklats zu tun haben, oder ob der hiesige Boulevard schlicht viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist. Mit anderen Worten: Es ist Zeit für eine Inventur. Längst steht Deutschlands Skandalqualität ernsthaft infrage. Die Zeiten der CDU-Spendenaffäre sind lange vorbei, aktuelle Aufreger dümpeln am Rande der Bedeutungslosigkeit dahin: der Alkoholtest von Bischöfin Margot Käsmann, die Rücktritte von Roland Koch, Ole von Beust und Bischof Walter Mixa, der Kampf um einen Bahnhof in der schwäbischen Provinz und der Bucherfolg einer sozialempirischen Kampfschrift scheinen neben ein paar fliegenden Doktorhüten fast die ganze heimische Wirbel-Bilanz der letzten Jahre auszumachen.
Während im benachbarten Europa ein polnischer Präsident für sich und 95 Mitreisende aus bloßem Machtwahn ein tödliches Flugzeugunglück herbeikommandierte, Belgiens Parteien alles tun, um ihr Land zu zerrütten, Ungarn die Pressefreiheit beerdigt, Island einen exklusiven Bankenskandal mit Fast-Staatspleite und Vulkanausbruch hinlegt und Griechenland pausenlos vor dem Total-Kollaps steht, musste hier zeitweilig schon auf die lang vergangene Kohl-Ehe zurückgegriffen werden, um brachliegende Entrüstungspotenziale irgendwie zu bewirtschaften. Nimmt man das Abrechnungsbuch des Kohl-Sohnes hinzu, Helmut Schmidts neue Freundin und das jüngste Grass-Gedicht, beschleicht einen leichte Beklemmung. Leben wir auch auf dem Debakel-Sektor nur noch von der Substanz? Nehmen unsere europäischen Nachbarn uns überhaupt noch ernst?
Doch gemach, noch besteht kein Grund zur Panik. Wer dieses Buch liest, wird feststellen: Auch wir werden von international konkurrenzfähigen Irren regiert. Unter dem Strich ergibt sich ein überraschendes Fazit: Auch in Sachen politischer Idiotie ist Deutschland viel besser als sein Ruf. Es muss sie nur entschlossener umsetzen.