GENIOS BranchenWissen Nr. 05/2011 vom 30.05.2011
Branchenreport VERSICHERUNGEN Ausgabe 1/2011
Thomas Trares
Kernthesen
- Die deutsche Versicherungswirtschaft ist 2010 nur dank hoher Einmalbeiträge gewachsen.
- Bei den Erstversicherern befindet sich die HanseMerkur auf Expansionskurs.
- Den Rückversicherern machen derzeit mehrere Großschadensfälle zu schaffen.
- Auch der europäischen Versicherungsbranche mangelt es derzeit an Perspektiven.
- Zudem müssen die Versicherer künftig ihren Kunden Unisex-Tarif anbieten.
Beitrag
Die Branchenkonjunktur
Die deutsche Versicherungswirtschaft hat 2010 ihre Beitragseinnahmen um 4,3 Prozent auf 178,8 Milliarden Euro gesteigert. Der Zuwachs war größtenteils auf Einmalbeiträge in der Lebensversicherung zurückzuführen. Ohne diese wäre die Branche nur um 0,5 Prozent gewachsen. Von den einzelnen Sparten konnte die Lebensversicherung die Beitragseinnahmen um sechs Prozent steigern, in der Kranken- und Pflegeversicherung waren es 5,8 Prozent und in der Schaden- und Unfallversicherung 0,7 Prozent. Für 2011 wollte die Branche keine Prognose abgeben. Ein Beitragsrückgang wird nicht ausgeschlossen. Der Grund: Bei den Einmalbeiträgen ist nicht mehr mit einem derart hohen Wachstum zu rechnen. (1), (2), [Abb. 1]
Aufgrund ihrer essenziellen volkswirtschaftlichen Funktion ist die Versicherungswirtschaft eine der bedeutendsten Branchen in Deutschland. Mit einem Anlagebestand von mehr als 1,2 Billionen Euro ist sie einer der wichtigsten Investoren in Deutschland, allein die Lebensversicherer haben zuletzt 727 Milliarden Euro in Kapitalanlagen investiert. Auch als Arbeitgeber nimmt die Branche eine wichtige Stellung ein. Laut GDV sind in der deutschen Versicherungswirtschaft insgesamt rund 555 000 Mitarbeiter beschäftigt. Knapp 160 000 Personen sind im Innendienst tätig und rund 44 000 als Angestellte im Außendienst. Daneben gibt es rund 255 000 Versicherungsvermittler, die wiederum vielen Menschen Arbeit bieten.(24)
Die Erstversicherer
Die größten deutschen Erstversicherer sind die Allianz, die Ergo Gruppe, Generali Deutschland und Talanx. Der Marktführer Allianz, zugleich größter Versicherer Europas, hat 2010 den Umsatz um 9,3 Prozent auf 106,4 Milliarden Euro gesteigert. Das operative Ergebnis erhöhte sich um 17 Prozent auf 8,2 Milliarden Euro. Der Versicherer führt das starke Wachstum auf das global diversifizierte Portfolio zurück. In Deutschland hat die Allianz inzwischen nur noch etwa 25 Prozent ihrer Kunden. Sorgenkind im Konzern ist die deutsche Sachversicherung. Für das laufende Jahr sagt die Allianz ein stagnierendes Ergebnis voraus. (7), [Abb. 2]
Auch bei der Versicherungsgruppe Talanx hakt es. 2010 sank der Gewinn um ein Drittel auf eine Milliarde Euro. Im laufenden Jahr will der Versicherer massiv sparen, wohl auch um seinen seit Jahren angepeilten Börsengang voranzutreiben. Die Sanierung des Deutschlandgeschäfts ist aber auch deswegen nötig, weil der Industrieversicherer Gerling nach der Übernahme vor fünf Jahren nicht richtig in den Konzern integriert wurde. Die Bruttoprämieneinnahmen der Talanx-Gruppe stiegen 2010 um fast 10 Prozent auf 22,9 Milliarden Euro. Profitiert hat Talanx im vergangenen Jahr fast ausschließlich von den guten Zahlen der Hannover Rück, an der Talanx mit 50,1 Prozent beteiligt ist. Mittelfristig will sich Talanx von dieser Abhängigkeit lösen. (5)
Die Ergo Versicherungsgruppe hat 2010 erstmals innerhalb eines Kalenderjahres mehr als 20 Milliarden Euro an Prämien eingenommen. Den Gewinn hat die Erstversicherungstochter der Munich Re auf 355 Millionen Euro mehr als verdoppelt, vor allem dank eines besseren Anlageergebnisses. Negativ schlägt das Auslandsgeschäft mit einem Minus von 144 Millionen Euro zu Buche. Derzeit ist das Image des Konzerns aufgrund eines Sex-Skandals angekratzt. Die im vergangenen Jahr im Ergo-Konzern aufgegangene Hamburg-Mannheimer hatte für ihre besten 100 Vertreter 2007 eine Sex-Party in Budapest organisiert. (8), (9)
Dagegen ist Generali Deutschland gut ins neue Jahr gestartet, 2010 stiegen die Beitragseinnahmen um 9,6 Prozent auf 16,3 Milliarden Euro. Das Ergebnis lag in den ersten drei Monaten 2011 bei 130 Millionen Euro, nach 89 Millionen Euro im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Ausschlaggebend dafür waren ein besseres Anlageergebnis sowie eine insgesamt gute Schadenentwicklung. (6)
Einer der am stärksten wachsenden deutschen Versicherer ist die HanseMerkur Gruppe. Die Beitragseinnahmen legten im ersten Quartal um 14,4 Prozent auf 293,3 Millionen Euro zu. Im Gesamtjahr erwartet der Versicherer ein Wachstum von über acht Prozent auf 1,2 Milliarden Euro. Wachstumstreiber ist die Krankenversicherung. (19)
Die wichtigsten öffentlichen Versicherer sind die Versicherungskammer Bayern, die Provinzial NordWest, die SV SparkassenVersicherung, die Provinzial Rheinland sowie die Versicherungsgruppe Hannover. Platzhirsch bei den Öffentlichen ist die Versicherungskammer Bayern mit einem Umsatz von 7,2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Für 2011 erwartet der Versicherer allerdings erstmals seit 15 Jahren wieder sinkende Beitragseinnahmen. Der Grund: Das Geschäft mit den Einmalbeiträgen in der Lebensversicherung, das in der Branche umstritten ist, will man wieder herunterfahren. Wegen der niedrigen Zinsen bei den Banken bieten Finanzberater ihren Kunden die Lebensversicherung als kurzfristige Anlagemöglichkeit an. Der Versicherer geht dabei jedoch das Risiko ein, dass die neuen Gelder schnell wieder abgezogen werden. Aus diesem Grund hat beispielsweise die Provinzial Nordwest ihr Einmalgeschäft gedeckelt. (10), (22)
Die zum Genossenschaftslager gehörende R+V-Versicherung, viertgrößter Versicherer in Deutschland, ist 2010 aufgrund stagnierender Prämien in der Lebensversicherung nur unterdurchschnittlich gewachsen. Die Beitragseinnahmen nahmen um 2,6 Prozent auf 9,7 Milliarden Euro zu. In das Jahr 2011 ist die R+V jedoch besser gekommen als die Branche. Die Beitragseinnahmen kletterten um 4,9 Prozent, während bei den Versicherern insgesamt ein leichter Rückgang zu verzeichnen war. Über ihre Rückversicherungssparte ist die R+V auch von dem Erdbeben in Japan betroffen. Der Schäden beträgt hier 60 Millionen bis 100 Millionen Euro. (11), (12)
Die Rückversicherer
Den Rückversicherern macht im laufenden Jahr vor allem die Häufung von Naturkatastrophen zu schaffen. Der Marktführer Munich Re hat deswegen im ersten Quartal 2011 einen operativen Verlust von 1,4 Milliarden Euro eingefahren, nach einem Gewinn von 770 Millionen Euro im Vorjahr. Dass die Hannover Rück das erste Quartal noch mit einem operativen Gewinn von 46,1 Millionen Euro abgeschlossen hat, ist letztlich nur Abwicklungsgewinnen und einer Steuerrückerstattung zu verdanken. Die Nettobelastung aus Großschäden lag mit 572 Millionen Euro auch bei ihr deutlich über dem Erwartungswert. Wegen der starken Zunahme von Naturkatastrophen werden die Rückversicherer künftig aber wieder höhere Preise durchsetzen können. (4)
Die europäischen Versicherer
Die europäischen Versicherer haben die Finanzkrise mehrheitlich gut verdaut. Allerdings mangelt es der Branche an Perspektiven. Ursache dafür sind das geringe Wachstum, die Unsicherheit über die Ausgestaltung von Solvency II, das niedrige Zinsniveau, die Schuldenkrise in Europa, die politischen Entwicklungen in Nahost und Nordafrika sowie die Folgen der Atomkatastrophe von Fukushima. All dies drückt auf die Stimmung. (13)
Aufbruchsstimmung macht sich da allenfalls bei der italienischen Generali breit. Monatelang hatten Konflikte in der Führungsetage Europas drittgrößten Versicherer belastet. Nun ist mit Gabriele Galateri di Genola ein neuer Präsident gefunden. Operativ stehen die Italiener recht gut da. Die Beitragseinnahmen nahmen 2010 um 3,8 Prozent auf 73,2 Milliarden Euro zu, der Nettogewinn stieg um 30 Prozent auf 1,7 Milliarden Euro. Dagegen muss der zweitgrößte italienische Versicherer Fonsai nach einem Rekordverlust von knapp 900 Millionen Euro im Jahr 2010 restrukturiert werden. (14), (18)
Der französische Versicherungskonzern Axa, die Nummer zwei in Europa, will sich künftig stärker in den Schwellenländermärkten engagieren und beim Geschäft in Europa und den USA selektiver vorgehen. Das vergangenen Jahr ist für die Franzosen nicht gut gelaufen. Probleme gab es insbesondere bei der US-Vermögensverwaltungstochter Alliance Bernstein; ein Rechenfehler hatte dort viel Geld gekostet. Zudem verkaufte Axa Teile des schlecht laufenden britischen Lebensversicherungsgeschäfts. Unterm Strich sank der Jahresgewinn 2010 um 26 Prozent auf 2,8 Milliarden Euro. (15)
Die Versicherer in den USA
Schwer getroffen von der Finanzkrise wurden vor allem die Versicherer in den USA. Dort musste die Regierung den Versicherungskonzern American International Group (AIG) stützen, um ein Kollaps des Finanzsystems zu verhindern. Nun hat die US-Regierung ein erstes Aktienpaket mit einem Gewinn verkauft, 5,8 Milliarden Euro flossen dabei in die Staatskassen. Insgesamt hatte die Regierung 47,5 Milliarden Dollar für die Beteiligung an AIG ausgegeben. Die Aussichten für die Branche insgesamt sind aber nach wie vor eingetrübt, insbesondere bei den Schadenversicherern. Zum Jahresbeginn gab es kaum Anzeichen für steigende Preise, hinzu kommen niedrige Kapitalerträge und geringe Reserven sowie die hohen Schäden, die die Wirbelstürme im Frühjahr in den USA hinterlassen haben. (16), (17)
Trends
Naturschadensfälle nehmen deutlich zu
Seit einigen Jahren fügen Wetterextreme wie Erdbeben, Überschwemmungen, Wirbelstürme und Tsunamis der Versicherungsbranche immer größere Schäden zu. Dieser Trend setzt sich auch in diesem Jahr fort. Neben dem verheerenden Erdbeben im Nordosten Japans gab es zudem noch großflächige Überschwemmungen in Australien, ein Erdbeben in Neuseeland und verheerende Wirbelstürme in den USA. Das Beben und der anschließende Tsunami in Japan war mit 64 Milliarden Dollar das bislang teuerste Großschadensereignis, das die Branche zu bewältigen hat. Bislang galt der Hurrikan "Katrina", der 2005 große Teile der US-Hafenstadt New Orleans überschwemmte, mit 62,2 Milliarden Dollar als größter Schadenfall. Betroffen von dieser Entwicklung sind vor allem die Rückversicherer, denen das Japan-Beben das erste Quartal verhagelt hat. (3), [Abb. 3]
EuGH verordnet Unisex-Tarife
Grundlegende Auswirkungen auf die Versicherungsbranche hat ein Urteil des Europäische Gerichtshofs (EuGH) vom 1. März dieses Jahres. Die Richter erklärten darin geschlechtsspezifische Tarife als unzulässige Diskriminierung. Bis zum Dezember kommenden Jahres müssen die europäischen Versicherer für Männer und Frauen gleiche Tarife auf den Markt bringen. Bislang galt folgende Praxis: Statistisch gesehen leben Frauen länger als Männer und nehmen daher die Renten- und der Krankenversicherung länger in Anspruch. Deswegen mussten Frauen bisher höhere Versicherungsbeiträge zahlen als Männer. Umgekehrt verursachen Männer mehr Unfälle, was ihnen höhere Policen in der Kfz-Versicherung beschert hat. Solche Kalkulationen sind künftig nicht mehr möglich. Die Branche prophezeit nun höhere Tarife, da zusätzliche Risikopuffer eingebaut werden müssten. Betroffen von dem Urteil sind vor allem die Kfz-Versicherung, die Lebens-, die Kranken- und die Rentenversicherung. (20)
Weiterführende Literatur
(1)
Einmalbeiträge retten noch das Wachstum
aus Versicherungswirtschaft, 15.04.2011, 66.Jg., Nr. 08, S. 530
(2)
2010: Deutsche Versicherer auf Wachstumskurs Einmalbeträge schmieren das System
aus Die SparkassenZeitung, 21.04.2011, Nr. 16, S. 17
(3)
Rekordschaden für Versicherungsbranche - Japan-Beben kostet bis zu 64 Mrd. Dollar Autoproduktion weltweit zunehmend behindert - Regierung: Situation in Fukushima außer Kontrolle
aus Börsen-Zeitung, 31.03.2011, Nummer 63, Seite 1
(4)
Katastrophengeplagte Rückversicherer leiden und hoffen
aus VersicherungsJournal.de, Ausgabe vom 10.05.2011:
(5)
Talanx-Hausputz geht weiter
aus VersicherungsJournal.de, Ausgabe vom 24.05.2011:
(6)
Generali Deutschland kann Ergebnis deutlich verbessern
aus VersicherungsJournal.de, Ausgabe vom 24.05.2011:
(7)
Allianz: Deutliches Plus beim Umsatz und beim operativen Ergebnis im Geschäftsjahr 2010 - Geschäftsschwerpunkte verändern sich hin zum Asset Management
aus Versicherungswirtschaft, 01.05.2011, 66.Jg., Nr. 09, S. 658
(8)
Ergo - der große Imageschaden
aus Rheinische Post Nr. 121 vom 25.05.2011
(9)
Schwaches Ausland bremst Ergo
aus Rheinische Post Nr. 75 vom 30.03.2011
(10)
Versicherungskammer Bayern ortet Trendwende bei Sachpolicen Sanierungsphase bei Kfz- und Wohngebäuderisiken mit Preiserhöhungen - Weniger Einmalbeiträge führen zu Einnahmerückgang
aus Börsen-Zeitung, 04.05.2011, Nummer 85, Seite 4
(11)
Der Klassenprimus spürt den Ernst des Lebens R+V Versicherung
aus Financial Times Deutschland vom 03.05.2011, Seite 3SA03
(12)
R+V-Versicherung legt leicht zu
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.04.2011, Nr. 87, S. 14
(13)
Europas Versicherer sind unterbewertet
aus Versicherungswirtschaft, 15.02.2011, 66.Jg., Nr. 04, S. 221
(14)
Großes Aufatmen bei Generali
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.05.2011, Nr. 101, S. 15
(15)
Axa will stärker in Wachstumsregionen investieren - Neue Strategie: Frankreichs größter Versicherungskonzern wird in Europa und den USA nur noch selektiv Neugeschäft zeichnen.
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.05.2011, Nr. 101, S. 15
(16)
Mühsamer Einstieg in Ausstieg aus AIG Verkauf von Staatsanteilen - Die Rettung des US-Versicherers war hoch umstritten. Der Verkauf eines ersten Aktienpakets spült zwar Geld in die Staatskasse. Aber der Trennungsprozess zieht sich in die Länge.
aus FINANCIAL TIMES Deutschland
(17)
International: Düstere Aussichten für Versicherer in den USA
aus Versicherungswirtschaft, 01.01.2011, 66.Jg., Nr. 01, S. 62
(18)
Italiens Assekuranz kämpft mit starken Turbulenzen
aus Börsen-Zeitung, 30.03.2011, Nummer 62, Seite 8
(19)
HanseMerkur will Einnahmen verdoppeln
aus Hamburger Abendblatt, 12.05.2011, Nr. 110, S. 27
(20)
Der kleine Unterschied // Versicherer müssen in Zukunft Männer und Frauen gleich behandeln. Viele Policen werden dann teurer
aus Der Tagesspiegel Nr. 20984 VOM 23.05.2011 SEITE 020
(21)
Der Versicherer Talanx will Arbeitsplätze streichen
aus Handelsblatt Nr. 100 vom 24.05.2011 Seite 34
(22)
Kurzfristige Geldanlage Provinzial Nordwest wehrt sich gegen Spekulanten
aus HANDELSBLATT online 14.02.2011 16:06:40
(23)
D: Versicherungswirtschaft 2007-2010
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.12.2010, S. 18
(24)
Gesamtmarkt
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.12.2010, S. 18
GENIOS BranchenWissen Nr. 11 vom 30.11.2011
Branchenreport VERSICHERUNGEN Ausgabe 2/2011
Thomas Trares
Kernthesen
- Die deutsche Versicherungswirtschaft wird 2011 schrumpfen.
- Grund sind die sinkenden Einmalbeiträge in der Lebensversicherung.
- Den Rückversicherern machen die Naturkatastrophen zu Jahresbeginn zu schaffen.
- Europaweit mussten die Gesellschaften hohe Abschreibungen auf Staatsanleihen vornehmen.
- Die Dauerbaustelle der Branche ist die Eigenkapital-Richtlinie Solvency II.
Beitrag
Die Branchenkonjunktur
In der deutschen Versicherungswirtschaft werden 2011 die Beitragseinnahmen um 1,2 Prozent auf 176,7 Milliarden Euro schrumpfen. Dies wäre der erste Rückgang seit Jahrzehnten. Grund ist der Rückgang der Einmalbeiträge in der Lebensversicherung. Nach den außergewöhnlich starken Zuwächsen 2009 und 2010 sieht die Versicherungswirtschaft hier eine Normalisierung des Geschäfts. In der Lebensversicherung gehen die Beiträge insgesamt um 5,7 Prozent auf 85,2 Milliarden Euro zurück. Die Schaden- und Unfallversicherung verzeichnen hingegen ein Plus von 2,5 Prozent, in der privaten Krankenversicherung (PKV) beträgt der Zuwachs 4,9 Prozent. Für 2012 rechnet die Branche mit einer besseren Entwicklung der Beiträge. (1), (2), [Abb. 1]
Die Erstversicherer
Die größten deutschen Erstversicherer sind die Allianz, die Ergo Gruppe, Generali Deutschland und Talanx. Bei dem Marktführer Allianz, zugleich größter Versicherer Europas, ist in den ersten neun Monaten 2011 das operative Ergebnis um 7,3 Prozent auf 1,9 Milliarden Euro geschrumpft. Die Beitragseinnahmen fielen um 1,7 Prozent auf 24,1 Milliarden Euro. Der Rückgang geht ausschließlich auf das Konto der Lebens- und Krankenversicherung. Dagegen konnten das Asset Management und die Schaden- und Unfallsparte Zuwächse verbuchen. Schwach entwickelte sich das Geschäft auf dem Heimatmarkt Deutschland. Zudem wird Finanzvorstand Paul Achleitner die Allianz verlassen. Er ist der zweitwichtigste Mann im Unternehmen. Er entscheidet darüber, wie die rund 450 Milliarden Euro an Kundengeldern an den Kapitalmärkten angelegt werden. (3), (4)
Die Ergo Versicherungsgruppe hat im ersten Halbjahr 2011 trotz Abschreibungen auf griechische Staatsanleihen das Konzernergebnis um 8,5 Prozent auf 178 Millionen Euro gesteigert. Die Beitragseinnahmen erhöhten sich um fast ein Prozent auf knapp neun Milliarden Euro. Das Unternehmen zeigte sich mit dem Geschäftsverlauf des zweiten Quartals zufrieden. Der Imageschaden infolge des Sex-Skandals von Budapest hat sich auf das Neugeschäft bisher kaum ausgewirkt. Die inzwischen im Ergo-Konzern aufgegangene Hamburg-Mannheimer hatte für Vertreter eine Sex-Party organisiert und mit Kundengeldern finanziert. Deswegen muss Ergo-Vertriebsvorstand Jürgen Vetter seinen Posten räumen. (8), (9)
Die Versicherungsgruppe Talanx hat erstmals Neunmonatszahlen vorgelegt. Damit nähert sich der Konzern den Gepflogenheiten börsennotierter Unternehmen an, was auf einen Börsengang im Jahr 2012 hindeutet. Der drittgrößte deutsche Versicherer hat sich vor allem in der Kapitalanlage gut geschlagen. Zusammen mit einer geringeren Steuerbelastung führte dies dazu, dass das Konzernergebnis um 184 Prozent auf 329 Millionen Euro hochschoss. Die Bruttoprämien erhöhten sich um 3,4 Prozent auf 17,8 Milliarden Euro. Neben der Hannover Rück zählen HDI, HDI-Gerling, Targo Versicherungen, PB Versicherungen, Neue Leben und Ampega-Gerling zur Gruppe. (6)
Generali Deutschland hat den Konzerngewinn in den ersten neun Monaten 2011 stabil bei etwa 300 Millionen Euro gehalten. Für das Gesamtjahr werden zwischen 390 Millionen und 410 Millionen Euro angestrebt. Infolge der Staatsschuldenkrise musste der zweitgrößte deutsche Erstversicherer einen Rückgang seines Kapitalanlageergebnisses um 722 Millionen Euro auf 1,99 Milliarden Euro hinnehmen. Die Beitragseinnahmen lagen in den ersten neun Monaten auf dem Vorjahresniveau von 12,1 Milliarden Euro. Zu der Tochtergesellschaft des italienischen Generali-Konzerns gehören Marken wie Aachen Münchener, Cosmos Direkt und Advocard. (7)
Bei der W&W-Gruppe sind die Beiträge in den ersten neun Monaten 2011 um knapp fünf Prozent auf 2,73 Milliarden Euro gesunken. Der Überschuss ging um etwas mehr als vier Prozent auf 139 Millionen Euro zurück. Das Ziel eines Jahresüberschusses von 180 Millionen Euro wird dennoch beibehalten. Das Management bekräftigte auch das laufende Strategie- und Zukunftsprogramm "W&W 2012", demzufolge der Konzern ab 2012 ein jährliches Ergebnis von 250 Millionen Euro erzielen will. Wegen der Staatsschuldenkrise hat W&W ihre Investments in Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien stark abgebaut. (7)
Die öffentlichen Versicherer haben zu Jahresbeginn ein rückläufiges Neugeschäft eingefahren, nachdem sie 2010 noch über alle Sparten hinweg gewachsen sind. Das Prämienaufkommen betrug 2010 knapp 20 Milliarden Euro. Zuletzt kam es innerhalb der Gruppe zu einer Bereinigung der Eigentümerstrukturen. Die Versicherungskammer Bayern hatte den Minderheitseignern SV SparkassenVersicherung und SV Sachsen ihre Anteile an der Feuersozietät/Öffentlichen Leben abkauft. Die Feuersozietät/Öffentliche Leben war 2004 in eine Schieflage geraten und durch die drei Versicherer übernommen worden. Die bedeutendsten öffentlichen Versicherer sind die Versicherungskammer Bayern, die Provinzial NordWest, die SV SparkassenVersicherung, die Provinzial Rheinland sowie die Versicherungsgruppe Hannover. (10), (11)
Die zum Genossenschaftslager gehörende R+V-Versicherung ist der viertgrößte Versicherer in Deutschland. 2010 sind die Wiesbadener trotz eines leichten Rückgangs im Lebensversicherungsgeschäft weiter gewachsen. Die Beitragseinnahmen stiegen um 5,5 Prozent auf 11,1 Milliarden Euro. Das Ergebnis nach Steuern kletterte um 29 Prozent auf 261 Millionen Euro. Entgegen dem Markttrend wuchs die R+V vor allem in den Kompositsparten, der Kranken- und der Rückversicherung. In das Jahr 2011 ist die R+V besser gekommen als die Branche. Die Beitragseinnahmen kletterten um 4,9 Prozent. (21)
Die Rückversicherer
Den Rückversicherern macht im laufenden Jahr vor allem die Häufung von Naturkatastrophen zu schaffen. Dank eines Gewinns im dritten Quartal lag der Branchenführer Munich Re nach neun Monaten mit 80 Millionen Euro in der Gewinnzone. Vor einem Jahr waren es aber noch knapp zwei Milliarden Euro gewesen. Die Beitragseinnahmen stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 9,1 Prozent auf 37,1 Milliarden Euro. Neben den Naturkatastrophen belastete vor allem der Kursverfall griechischer Wertpapiere. 933 Millionen musste der Konzern abschreiben. Für das Gesamtjahr 2011 strebt Munich Re weiter schwarze Zahlen an. (12)
Bei dem Konkurrenten Hannover Rück läuft es deutlich besser. Nach Steuern verdiente der drittgrößte Rückversicherungskonzern der Welt in den ersten neun Monaten 2011 insgesamt 382 Millionen Euro. Das ist zwar rund ein Drittel weniger als in der Vorjahreszeit, aber deutlich mehr als erwartet und auch deutlich mehr als bei der Munich Re. Im Vergleich zu dem Branchenführer haben die Hannoveraner den Vorteil, dass sie keine griechischen Staatsanleihen halten und kaum noch Aktien besitzen. (13), [Abb. 2]
Die europäischen Versicherer
Die europäischen Versicherer stehen derzeit unter Druck. Die Krise rund um den Euro, die Volatilität an den Finanzmärkten und das anhaltende Niedrigzinsniveau bereiten Kopfzerbrechen, schließlich handelt es sich bei den Versicherungsgesellschaften um große institutionelle Kapitalanleger. An der Börse notiert der europäische Versicherungssektor bei 70 Prozent seines Buchwertes, ein neuer Tiefstand.
Bei dem zweitgrößten Versicherer des Kontinents, der französischen Axa, kostet der Konzernumbau zusätzlich Kraft. Axa will bis 2015 in den Schwellenländern stark wachsen. In den ersten neun Monaten 2011 gingen bei den Franzosen die Einnahmen um 4,8 Prozent auf knapp 66 Milliarden Euro zurück. (15)
Bei der italienischen Generali, Europas drittgrößtem Versicherer, läuft es ebenfalls nicht richtig rund. Der Nettogewinn schrumpfte in den ersten neun Monaten um 37 Prozent auf 825 Millionen Euro. Grund dafür waren Wertberichtigungen von 824 Millionen Euro. Davon entfielen 329 Millionen Euro auf griechische Staatsanleihen und 495 Millionen Euro auf Beteiligungen. Insbesondere das Engagement bei Telecom Italia hat Wertberichtigungen von 143 Millionen Euro verursacht. Die Beitragseinnahmen sanken um 4,6 Prozent auf 51,3 Milliarden Euro. (14), [Abb. 3]
Die Versicherer weltweit
Schwer getroffen von der Finanzkrise wurden vor allem die Versicherer in den USA. Dort musste die Regierung den Versicherungskonzern American International Group (AIG) stützen, um ein Kollaps des Finanzsystems zu verhindern. Der US-Versicherer tut sich weiter schwer. Im dritten Quartal 2011 lag der Verlust bei 4,1 Milliarden Dollar. Als Grund nannte das Unternehmen den gesunkenen Aktienkurs seiner Asientochter AIA und den Wertverlust bei Flugzeugen seiner Leasingtochter ILFC an sowie gestiegene Katastrophenschäden. AIG hatte bereits im Vorjahreszeitraum einen Verlust von 2,5 Milliarden Dollar eingefahren, war zwischenzeitlich jedoch in die schwarzen Zahlen zurückgekehrt. (16)
Dagegen steht Chinas Versicherungssektor vor dem Sprung auf die internationale Bühne. Seit Wiederbelebung der Versicherungswirtschaft in den achtziger Jahren sind mit Peoples Insurance Company of China (PICC), China Life, China Pacific und Ping An kapitalstarke Versicherer entstanden. Ping An etwa hat ein Prämienaufkommen von umgerechnet 15 Milliarden Euro und erzielt damit ein Nettoergebnis von rund 1,8 Milliarden Euro. Schon vor Jahren hat der Versicherer ausländische Berater engagiert und Investoren wie die US-Investmentbank Goldman Sachs beteiligt, um gegenüber dem Westen aufzuholen. Inzwischen hat die chinesische Aufsichtsbehörde CIRC den heimischen Versicherern gestattet, Anteile ausländischer Finanzdienstleister zu kaufen und Niederlassungen im Ausland zu eröffnen. Der Weg auf die internationale Bühne ist damit frei. (17)
Trends
Risiken Niedrigzins und Staatsanleihen
Die jüngsten Zahlenwerke der Versicherer bestätigen einen Trend: Im Kerngeschäft, dem Verkauf von Versicherungen, läuft es eigentlich ganz gut, allerdings setzen die Turbulenzen an den Kapitalmärkten zu. Die Aktienbestände haben die Versicherer schon beim Platzen der Dotcom-Blase vor zehn Jahren abgebaut. Nun belasten die Staatsanleihen. Zahlreiche Versicherer mussten in diesem Jahr hohe Abschreibungen vornehmen. Gleichwohl drohe den deutschen Versicherer von dieser Seite her eine überschaubare Gefahr, wie Rolf-Peter Hoenen, Präsident des Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), erklärte. Im Frühjahr 2011 machten die Staatsanleihen aus den europäischen Krisenstaaten nur drei Prozent der Kapitalanlagen der Versicherer aus. Dennoch forderte die Allianz die Politik auf, den Spekulanten das Handwerk zu legen. Die Münchner sind insbesondere in Italien stark engagiert. Ein weiteres Risiko sind die anhaltend niedrigen Zinsen. Wenn die Notenbanken wegen der Banken- und Staatsschuldenkrise ihre lockere Geldpolitik auf Jahre hinaus fortsetzten, bedeute dies für die Versicherer Mindereinnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe pro Jahr, warnte die Branche. (2), (5), (18)
Das Dauerthema Solvency II
Die EU-Eigenkapitalrichtlinie Solvency II ist die Dauerbaustelle der Versicherungswirtschaft. Ziel der Richtlinie ist es, die Branche transparenter und krisenfester zu machen. Die Regeln wurden nach den Erfahrungen mit der Aktienkrise der Jahre 2001 und 2002 entwickelt, nach der Finanzkrise 2008 hat man sie nochmals verschärft. Solvency II beruht auf drei Säulen: erstens einer einheitlichen Kapitalausstattung für alle europäischen Versicherer, zweitens den Regeln fürs interne Risikomanagement und drittens den Berichtspflichten an Aufsicht und Öffentlichkeit. Ursprünglich sollten ab 2013 alle europäischen Versicherer den Regeln unterworfen werden. Nun hat man den Startpunkt um ein Jahr nach hinten verschoben. Zu groß war die Kritik an der offiziell letzten Auswirkungsstudie QIS 5 ausgefallen, auch seitens der deutschen Versicherungswirtschaft. Zudem fordert die EU nun auch die Risiken von Staatsanleihen in dem Regelwerk zu berücksichtigen. Bislang ist dies nur bei Immobilien und Aktien der Fall. (19), (20)
Weiterführende Literatur
(1)
Lebensversicherung drückt Branchenbeiträge GDV erwartet 2012 wieder wachsendes Aufkommen
aus Börsen-Zeitung, 18.11.2011, Nummer 223, Seite 5
(2)
Beitragseinnahmen in Leben brechen ein
aus VersicherungsJournal.de, Ausgabe vom 17.11.2011:
(3)
Allianz sucht Anlageprofi als Nachfolger für Achleitner
aus VersicherungsJournal.de, Ausgabe vom 17.11.2011:
(4)
Deutschland schreibt technisch rote Zahlen Allianz kommt im Sachgeschäft nicht voran - Asset Management übertrifft Lebensversicherung
aus Börsen-Zeitung, 12.11.2011, Nummer 219, Seite 3
(5)
Allianz macht gegen Spekulanten mobil Die Italien-Krise setzt Europas größtem Versicherer mächtig zu. Der Gewinn dürfte deutlich zurückgehen
aus Berliner Zeitung, Ausgabe 265 vom 12.11.2011, S. 13
(6)
Talanx verkraftet Finanzkrise besser als Allianz und Munich Re
aus Handelsblatt online vom 22.11.2011
(7)
Generali Deutschland und W&W-Gruppe verkraften Krise ordentlich
aus Handelsblatt online vom 15.11.2011
(8)
Ergo verdient trotz Affären 178 Millionen Euro
aus Rheinische Post Nr. 180 vom 05.08.2011
(9)
Schnitt und Neubeginn bei Ergo
aus Kölner Stadtanzeiger, 24.08.2011
(10)
Öffentliche Versicherer entflechten in Berlin Versicherungskammer Bayern übernimmt Feuersozietät und Öffentliche Leben vollständig - Stuttgart und Dresden geben ab
aus Börsen-Zeitung, 14.09.2011, Nummer 177, Seite 3
(11)
Öffentliche Versicherer gewinnen Marktanteile
aus VersicherungsJournal.de, Ausgabe vom 01.07.2011:
(12)
Munich Re überspringt Gewinnschwelle
aus manager-magazin.de vom 08.11.2011
(13)
Hannover Rück besser als erwartet
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.11.2011, Nr. 262, S. 15
(14)
Wertberichtigungen drücken Generali-Gewinn 329 Mill. Euro auf Hellas-Bonds abgeschrieben
aus Börsen-Zeitung, 12.11.2011, Nummer 219, Seite 4
(15)
Axa mutiert an der Börse zum Kellerkind
aus Börsen-Zeitung, 21.10.2011, Nummer 203, Seite 17
(16)
US-Versicherer AIG schrieb im dritten Quartal Milliardenverlust
aus APA-JOURNAL Geld vom 04.11.2011
(17)
Standpunkt: "Go West - chinesische Versicherer auf dem Weg nach Deutschland?"
aus Versicherungswirtschaft, 01.10.2011, 66.Jg., Nr. 19, S. 1404
(18)
Niedrige Zinsen belasten Versicherer - Die internationalen Assekuranzen warnen vor der Politik des lockeren Geldes. Denn bei niedrigen Zinsen sinken ihre Kapitalerträge und damit die Überschüsse für die Versicherten.
aus Versicherungswirtschaft, 01.10.2011, 66.Jg., Nr. 19, S. 1404
(19)
(20)
Ein Jahr Luft für Europas Versicherer Solvency II muss erst Anfang 2014 angewendet werden - Deutsche Assekuranz kann QIS 6 rechnen
aus Börsen-Zeitung, 14.10.2011, Nummer 198, Seite 4
(21)
R+V: Beiträge und Ergebnis steigen weiter - Lebensversicherungsgeschäft rückläufig
aus Versicherungswirtschaft, 01.05.2011, 66.Jg., Nr. 09, S. 665
(22)
D: Top Banken und Versicherungsgesellschaften 2010
aus Sueddeutsche Zeitung, 27.08.2011, S. 26
(23)
Europa: Top 20 Kreditinstitute, Top 100 Unternehmen 2010
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.07.2011, S. U 7