Kompaktwissen Geschichte
Herausgegeben von Gerhard Henke-Bockschatz
Entdeckungen und Eroberungen in der Frühen Neuzeit
Von Christian Mehr
Reclam
2013 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2017
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960241-7
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-017073-1
www.reclam.de
Einleitung
Zeittafel
I Darstellung
1 Die Alte Welt im 15. und 16. Jahrhundert
1.1 Der Aufstieg Portugals und die Umsegelung Afrikas
1.2 Spanien holt auf: Die goldenen Jahre
2 Kolumbus
2.1 Kolumbus’ Leben vor 1492
2.2 Was Kolumbus zu wissen glaubte: Glaube, Wissen und Tat
2.3 Die Bedeutung Kolumbus’
2.4 Die vier Reisen: Guanahani und dahinter die Endlichkeit
2.5 Die Entdeckung Amerikas als Entdeckung einer neuen Welt
2.6 Wie Kolumbus die Neue Welt und ihre Bewohner sah
2.7 Die vertragliche Aufteilung der Welt
2.8 Kolumbus’ Erben
3 Cortés und die Eroberung Mexikos
3.1 Cortés’ frühe Jahre in Spanien
3.2 Cortés auf den Westindischen Inseln
3.3 Cortés erobert Mexiko
3.3.1 Begegnung mit den Maya
3.3.2 Begegnung mit den Azteken
3.3.3 Cortés’ Zug nach Tenochtitlan
3.3.4 Begegnung mit Moctezuma
3.3.5 Der Untergang von Tenochtitlan
3.3.6 Cortés am Hof des Kaisers und der »Indienrat«
4 Pizarro und der Fall des Inkareichs
4.1 Die Inka
4.2 Die Eroberung des Inkareichs
4.3 Die Silbermine von Potosí: Der Beginn des Kapitalismus
5 Christliche Mission: Der Kontakt der Kulturen in den Augen der Geistlichen
5.1 Las Casas
5.2 Durán und Sahagún
5.3 Die Jesuiten in Südamerika
6 Wissenschaftliche Entdeckung und militärische Eroberung in globalgeschichtlicher Perspektive
II Kontroversen
1 Der erste Kulturkontakt und seine Folgen
2 Die Wiederkehr des Gottes Quetzalcoatl
3 Kannibalismus in Amerika
4 Kolonialismus und wirtschaftliche Entwicklung
5 Missionierung als Teil oder Alternative der Kolonialisierung?
III Quellen
1 Marco Polo über die Insel Zipangu (Japan)
2 Gedanken des Astronomen Toscanelli über eine westliche Route zu den Gewürzländern
3 Bartolomé de Las Casas (Historia de las Indias) über Kolumbus
4 Kapitulationen von Santa Fe
5 Aus dem Bordbuch des Kolumbus, 11. und 12. Oktober 1492
6 Aus dem Bordbuch des Kolumbus, 4. November 1492
7 Aus dem Bordbuch des Kolumbus, 13. Januar 1493
8 Aus dem Bordbuch des Kolumbus, 21. Februar 1493
9 Vertrag von Tordesillas zwischen Spanien und Portugal (1494)
10 Amerigo Vespucci über die »Neue Welt«
11 Einführung des Encomienda-Systems
12 Martin Waldseemüller (Cosmographiae Introductio, 1507) über den Namen »America«
13 Requerimiento (Aufforderung) an die Eingeborenen (1513)
14 Bericht von Cortés an Kaiser Karl V., 30. Oktober 1520
15 Bernal Díaz über die Stadt Tenochtitlan (1519)
16 Gonzalo Pizarro an Kaiser Karl V. (1547)
17 Disput zwischen Bartolomé de Las Casas und dem Theologen Sepúlveda (1550)
18 Bartolomé de Las Casas (Apologética Historia): »kein Volk, das nicht für irgendein anderes Volk barbarisch wäre«
19 Bernardino de Sahagún (Codex Florentinus) zu seinen Studien über die Azteken (1579)
20 Bernardino de Sahagún über Menschenopfer bei den Azteken
21 Bernardino de Sahagún über die aztekische Legende von der Rückkehr des Gottes Quetzalcoatl
22 Camilla Townsend (2003) über die aztekische Legende von der Rückkehr des Gottes Quetzalcoatl
23 Der Missionar Diego Durán über die Sklaverei bei den Azteken
24 Der Jesuit Anton Sepp über sein Leben als Missionar (1697)
25 Der italienische Historiker und Theologe Ludovico Antonio Muratori über die christliche Mission in Paraguay (1743/49)
26 Der portugiesische Ministerpräsident Sebastião José Carvalho de Mello, Marquis von Pombal, über die Jesuiten (1757)
Literaturhinweise
Nachweis der Abbildungen und Tabellen
1492 entdeckte Kolumbus Amerika. Das Datum markiert wie kaum ein anderes den Beginn der Neuzeit. Geostrategische Interessen der portugiesischen und spanischen Könige waren Voraussetzungen für die europäischen Entdeckungs- und Eroberungsfahrten. Trotzdem war die Entdeckung der Neuen Welt zu Beginn keine staatliche, im großen Maßstab geplante Unternehmung, sondern einzelne Abenteurer gingen hohe finanzielle und lebensbedrohliche Risiken ein. Zudem hatte Kolumbus ursprünglich gar nicht die Absicht, einen neuen Kontinent zu entdecken. Die seefahrerische Herausforderung, einen neuen Weg nach Indien westwärts einzuschlagen, war an sich schon Wagnis genug, das allenfalls durch die Aussicht auf die möglichen Erträge aufgewogen wurde. Ebenfalls in der Hoffnung auf Ruhm, sozialen Aufstieg und persönliche Bereicherung setzten nach Kolumbus die sogenannten Conquistadoren (Eroberer) wie Cortés und Pizarro ihre Segel. Dabei schien auch die Gelegenheit günstig, das Christentum weltweit zu verbreiten. Dieses Motiv stand nicht im Widerspruch zur Sehnsucht nach Reichtum. Die Entdeckungsfahrten waren jedoch nicht nur Mittel eines kommerziellen oder religiösen Zwecks, sondern entsprangen auch unmittelbarer Neugier. Die spanische Expansion in die Neue Welt, also Mittel- und Südamerika, von Kolumbus bis zur jesuitischen Mission des 17. Jahrhunderts bildet den Schwerpunkt dieses Bandes.
Die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus ist als Europäisierung der Welt bis in unsere Gegenwart folgenreich. Die Aneignung der Neuen durch die Alte Welt leitete die Globalisierung von Politik, Handel und Kultur unter europäischen Vorzeichen ein. Fortan war die Politik der europäischen Großmächte auch immer Weltpolitik: Spanien und Portugal teilten sich die Welt entlang einer Demarkationslinie in zwei Hälften auf, in der die noch zu entdeckenden Gebiete einem von beiden gehören sollten (Vertrag von Tordesillas 1494). Aufstrebende Mächte wie Frankreich, England und die Niederlande kämpften auch in fernen Weltgegenden zunächst gegen die Vorherrschaft der iberischen Königreiche. Der koloniale Besitz war für die Europäer wirtschaftlich von unschätzbarem Wert. Zuerst lockten Gold und Silber, später wurden zunehmend landwirtschaftliche Produkte wie Zucker und Baumwolle von Amerika nach Europa verschifft. Dieser Export war Teil des sogenannten Atlantischen Dreieckshandels. Für die Arbeit auf den amerikanischen Plantagen wurden Sklaven aus Afrika im Tausch mit europäischen Waren eingeschifft.
Die Entdeckung und Durchdringung der Neuen Welt prägte sowohl den amerikanischen als auch den europäischen Kontinent. Viele Einheimische starben durch Krieg, Versklavung und vor allem durch die eingeschleppten Krankheiten wie die Pockenviren. Die heute portugiesisch oder spanisch sprechenden, christlichen Länder Lateinamerikas fußen auf einer doppelten Identität. Die dominante christlich-abendländische Kultur zerstörte, verdrängte oder verschmolz mit der mittelamerikanischen, wie auch die Ethnien sich zu neuen Bevölkerungsgruppen verbanden (Mestizen, Mulatten). Umgekehrt blieb die Europäisierung der Welt für Europa nicht folgenlos: Bislang unbekannte Feldfrüchte, Nahrungs- und Genussmittel oder auch der Syphiliserreger kamen aus Amerika nach Europa und veränderten Konsumgewohnheiten und Lebensformen.
Die Frage, wie die Neue Welt und ihre Bewohner wahrgenommen wurden und wie man sich dem Anderen gegenüber verhalten sollte, nahm bereits der Dominikanermönch Las Casas zum Anlass einer zeitgenössischen Kritik an den Eroberern. Sie setzte sich fort in den philosophischen Ideen der Aufklärung bis hin zum postkolonialen Infragestellen des Eurozentrismus. Die Entdeckung und Eroberung Amerikas ist noch heute von unmittelbarer Bedeutung für unsere eigene Identität und unser Weltverständnis.
1415 Heinrich der Seefahrer (1394–1460) beginnt die portugiesische Seefahrt zu fördern, z. B. indem er nautische Schulen einrichtet
1434 Das Kap Bojador, eine gebirgige Landspitze der Westsahara, wird im Auftrag Portugals umsegelt; das Kap galt bis dahin als Ende der westlichen Welt
1453 Ende des Hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich und England. Frankreich wird europäische Großmacht
1453 Die Osmanen erobern Konstantinopel, womit das oströmische (byzantinische) Reich aufhört zu bestehen
1469 Formale Vereinigung der Königreiche Kastiliens und Aragóns durch Heirat Ferdinands II. von Aragón (1452–1516) und Isabellas I. von Kastilien (1451–1504)
1476 Kolumbus (1451–1506) kommt nach Lissabon
1477–93 Burgundischer Erbfolgekrieg zwischen Frankreich und Habsburg. Die Habsburger gewinnen Teile der Niederlande und werden zu einer führenden kontinentaleuropäischen Macht, die mit Frankreich konkurriert
1479 Vertrag von Alcáçovas-Toledo. Der portugiesische König Alfons V. (1432–1481) erklärt seinen Verzicht auf alle Ansprüche auf den kastilischen Thron; dafür wird die portugiesische Oberhoheit über alle Gewässer und Ländereien südlich von Kap Bojador mit Ausnahme der Kanarischen Inseln (span.) anerkannt
1485 Kolumbus verlässt Portugal und geht nach Spanien
1487 Bartolomeu Dias (1450–1500) umsegelt die Südspitze Afrikas (Kap der Guten Hoffnung)
1492 Januar: Ende der Rückeroberung (Reconquista) des von den Mauren beherrschten Teils Spaniens durch die Einnahme des Emirats Granada
April: Kapitulationen von Santa Fe. Kolumbus wird von dem spanischen Königspaar offiziell mit der Westfahrt beauftragt und bekommt zahlreiche Privilegien für den Erfolgsfall garantiert
August: Der Spanier Roderic Llançol i de Borja (1431–1503) wird zum Papst Alexander VI. gewählt. Er unterstützt die spanischen Entdeckungsfahrten in die Neue Welt
Oktober: Entdeckung Amerikas: Kolumbus landet auf den Bahamas (Guanahani, heute: San Salvador / Watling Island)
1493 Päpstliche Bulle »Inter cetera«. Teilung der Welt entlang einer Demarkationslinie, wonach alle neu zu entdeckenden Gebiete entweder Portugal oder Spanien gehören
September: Zweite Reise von Kolumbus (bis März 1496)
1494 Vertrag von Tordesillas. Die Demarkationslinie zur Teilung der Welt wird im Interesse Portugals um ca. 1200 km nach Westen verschoben
1495/96 In der europäischen Machtpolitik kommt es zu einer Einkreisung Frankreichs. Doppelheirat zweier Kinder von Ferdinand II. von Aragón und Isabella I. von Kastilien mit Kindern des Habsburgers Maximilian I. (1459–1519) und Marias von Burgund (1457–1482): Johann von Aragón und Kastilien (1478–1497) heiratet Margarete von Österreich (1480–1530); Philipp I. (1478–1506) heiratet Johanna von Kastilien (1479–1555). Deren Sohn, der spätere Kaiser Karl V. (1500–1558), vereinigt nicht nur die Kronen des Heiligen Römischen Reichs und Spaniens in seiner Person, sondern betreibt durch den Erwerb amerikanischer Kolonien auch Weltpolitik
1498 Mai: Vasco da Gama (1469–1524) landet in Indien (Calicut, heute: Kozhikode)
Mai (bis November 1500): Kolumbus’ dritte Reise
1502 Mai: Vierte und letzte Reise von Kolumbus (bis November 1504)
1502/03 Erster Druck des Reiseberichts Mundus Novus (Neue Welt) des Florentiners Amerigo Vespucci (1451–1512)
1503 In den Kolonien wird das Encomienda-System eingeführt
1506 Sommer: Der Spanier Cortés (1485–1547) schifft sich nach Hispaniola (wo sich heute Haiti und die Dominikanische Republik befinden) ein
1507 Der deutsche Humanist Waldseemüller (1470–1520) zeichnet als erster auf einer Karte die Neue Welt als America ein (in Anlehnung an den Vornamen Amerigo Vespuccis)
1519 18. Februar: Cortés setzt von Kuba nach Mexiko über und beginnt seinen Eroberungszug
8. November: Moctezuma empfängt Cortés in der Hauptstadt der Azteken Tenochtitlan
1520 30. Juni: »Noche Triste« – traurige Nacht. Die Spanier fliehen unter großen Verlusten aus Tenochtitlan
1521 13. August: Eroberung und Zerstörung Tenochtitlans durch die Spanier
seit 1521 Zwischen Karl V. und Frankreich kommt es zum Krieg, der unterbrochen von Friedensschlüssen bis zu Karls Lebensende andauert
1529 Die Osmanen erobern den Balkan und stehen vor Wien
1532/33 Francisco Pizarro (1476–1541) erobert das Reich der Inka (Ecuador und Peru)
1535 Im Krieg mit dem Osmanischen Reich gelingt Karl V. die strategisch wichtige Eroberung von Tunis
1550/51 Disput zwischen Las Casas (1484–1566) und Sepúlveda (1490–1573) vor Kaiser Karl V. in Valladolid über die Versklavung der Indianer
1556 Karl V. dankt als deutscher Kaiser und spanischer König ab. Die Personalunion Österreichs und Spaniens endet