Hans Rudi Fischer, Ulrike Borst, Arist von Schlippe

Was tun?

Fragen und Antworten aus der systemischen Praxis

Ein Kompass für Beratung, Coaching und Therapie

Mit Beiträgen von Ulrich Clement und Arnold Retzer

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2015 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Roland Sazinger, Stuttgart

Umschlagfoto: fotolia © Olivier Le Moal

Mit Illustrationen von Björn v. Schlippe

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94583-6

E-Book: ISBN 978-3-608-10844-6

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20282-3

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Inhalt

Vorwort

I. Vom Anfangen, vom Unterwegssein und vom Beenden

Die Kunst des Anfangens

1.  Wie anfangen?

Ad 1a)  Definition: Abklärungs- bzw. Orientierungsgespräch

Ad 1b)  Zauber des Anfangs

Beraterische Methodik – Only two can play this game

Ad 2a)  Formale Gestaltungsmittel – Gesprächsvariablen

Entscheidende Gesprächsvariablen

Ad 2b)  Inhaltliche Gestaltungsmittel

Abklärungs- bzw. Orientierungsgespräch

Adressieren der ersten Fragen

Fragen zum Anfang des Abklärungsgespräches

2.  Soll Beratung/Therapie Probleme lösen? Wie Wege beim Gehen entstehen

Was ist ein Problem? – Eintrittskarte in Therapie

Probleme – Aufkeimen von Suchprozessen

Suchparadoxie: Wir wissen, dass wir nicht wissen . . .

Wie der Weg beim Gehen entsteht

3.  Sieht man mit dem Zweiten besser? Wie Co-Therapie/-Beratung gelingen kann

Wie kann Co-Therapie oder Beratung zu zweit »entgleisen«?

4.  Wann ist ein Settingwechsel sinnvoll?

Das »richtige Setting« oder Wer gehört dazu?

Schwierigkeiten beim Settingwechsel

Settingerweiterung

Settingreduzierung

Wer bestimmt das Ursprungssetting, und wer entscheidet einen Settingwechsel?

Was bedeutet ein Settingwechsel?

Entscheidungshilfen

Allgemeine Empfehlungen

5.  Wann endet eine Therapie, ein Coaching oder eine Beratung?

Metaphern der Therapie – Ausgesprochenes und Unausgesprochenes

Problemkonstruktion und Zeit

Einschluss und Ausschluss: Was gehört dazu?

Ende des Problems oder Beginn der Lösung?

Zeit als Rahmen – Zeit als Intervention

Wann ist es genug?

Therapiedauer als Lösung – Therapiedauer als Problem

a) Dauer als ProblemlösungAnleitung zur Plausibilisierung längerer Therapiedauer:

b) Dauer als ProblemAnleitung zur Plausibilisierung kürzerer Therapiedauer:

II. Zeit, Erwartungen und Aufträge

6.  Welche Einladungen nehme ich an?

Zum Umgang mit Einladungen und Stellenangeboten

Anliegen und Aufträge klären

Balancierende Neutralität

Explizit machen im Indikativ

Explizit machen im Konjunktiv

Metakommunikation

Atopos und Beweglichkeit

7.  Wie mit Erwartungen und Aufträgen umgehen? Vom Umgang mit dem Ungefähren . . .

Betrachte Aufträge als eine Beschreibung – von vielen möglichen!

»Blicke weiter um dich!« (Wittgenstein)

Sei vorsichtig, wenn du zu schnell verstehst!

Hüte dich vor vorschneller und einseitiger Zuschreibung auf Personen!

Bleibe offen dafür, dass Aufträge »im Prozess« sind!

8.  Wie mit der Zeit umgehen?

Chronos und Kairos

Spielen in den Zeiträumen

III. Therapeutische Haltung

9.  Was ich weiß, macht mich heiß. Wie viel von sich preisgeben?

Denken wir uns . . .

Cosi fan tutte

Was tun?

These 1: Beziehung braucht Kenntnis voneinander, nicht die Erkenntnis eines Subjekts (Therapeuten) über sein Objekt (Klient)

These 2: Neugier ist die erste therapeutische Tugend

These 3: Neugier der Klienten ist ein berechtigtes Anliegen

10.  Wie kommt das Eigene ins Spiel?

Begegnungen des Sichtbaren und des Unsichtbaren

Erwartungen und Erwartungserwartungen

11.  Wie kann man »echt« und professionell handeln?

Fallbeispiel Paartherapie

12.  Wie viel Macht der Intuition? Teil I – Die Kannibalenfalle

Die Intuitionsfalle der Kannibalen

Intuition und Vernunft

13.  Wie viel Macht der Intuition? Teil II – Wie viel Intuition ist nützlich?

Intuition im Kontext zugeschriebener Macht – am Beispiel psychosozialer Arbeitsfelder

Ein Beispiel: »Die verlorenen Locken«

Mehr Demut – Mut zur Vermutung

IV. Möglichkeiten eröffnen: Gesprächsführung und Dokumentation

14.  Wozu brauchen wir Hypothesen?

Was ist eine Hypothese?

a) Schuld – Wozu kausale Hypothesen?

Wie mit kausalen Hypothesen umgehen?

b) Absicht/Gründe – Wozu intentionale Hypothesen?

Wie mit intentionalen Hypothesen umgehen?

c) Nützlichkeit – Wozu funktionale Hypothesen?

Wie sind funktionale Hypothesen zu nutzen?

Hauptfragen zur Generierung von Hypothesen

Kriterien der Nützlichkeit von Hypothesen

15.  Wie kann ein Gespräch zu einem Spaziergang werden?

16.  Was ist affektive Rahmung, und wie funktioniert sie? »Jaaa, Schatz . . .«

17.  Wie provozieren?

18.  Was sollen wir merken? Dokumentation als Medium

Form der Beobachtung

Wie erklärt man den Sinn und Zweck solcher Aufnahmen?

Welche Vorteile kann eine Videodokumentation für den Therapeuten haben?

Welchen Vorteil kann die Videodokumentation für ein therapeutisches Team haben?

Welchen Vorteil bieten Videoaufnahmen für die therapeutische Beziehung?

Welche Vorteile haben Videodokumentationen für Klienten?

Vor- und Nachteile anderer Dokumentationsformen

V. Von Zuneigung und Abneigung

19.  Wie mit unsympathischen Klienten umgehen? Sympathy for the Devil

»Drei-Zehntel-Sekunden-Diagnostik« und Gegenübertragung

Konsequenzen dieser Perspektive für die Praxis

Die gute alte Projektion

Konsequenzen dieser Perspektive für die Praxis

Erste Eindrücke, Bilder und Vorurteile

Konsequenzen für die Praxis

Spielregeln

Konsequenzen für die Praxis

Vielleicht auch einfach nur »unsympathisch«

Konsequenzen für die Praxis

Kleine Geschichte zum Schluss

20.  Was tun bei Wertekonflikten?

21. Was tun, wenn wer sich verliebt?

VI. Langeweile, Stagnation und schweigsame Klienten

22.  Wie komme ich aus einer Problem-Trance heraus?

Wie entsteht eine Problem-Trance?

Problem-Trance als Problem: Welche Möglichkeiten habe ich, sie zu beenden?

Problem-Trance als Befund: Wie kann ich sie nutzen?

23.  Wie geraten psychosoziale Teams in Stagnation?

Muster 1: »Bei uns gibt es keine Unterschiede«

Beispiel 1: »Keiner darf Macht haben!«

Beispiel 2: Ständiger Personalwechsel und eine machtlose Leitung

Muster 2: Das Team als Wichtigstes: »Ohne gute Teambeziehungen können wir nicht arbeiten!«

Beispiel 3: »Zeit für uns selbst!«

Beispiel 4: »Das Einzige, was hier stört, sind die Patienten!«

Selbstorganisation, Wandel und Stabilität in Teams

Supervisorische Fragen

24.  Was tun, wenn der Klient schweigt?

Was ist Schweigen?

Schließendes oder öffnendes Schweigen

Nicht reden können oder nicht reden wollen

Absicht und Wirkung des Schweigens

Das Schweigen des Therapeuten: Vorteile und Nachteile

25.  Wie mit Langeweile umgehen? Teil I – Langeweile des Therapeuten

Verschiebung des Fokus auf andere Inhalte

Überraschungen produzieren und nutzen

Spazieren gehen

Etwas Neues ausprobieren

Metakommunikative Unterbrechung

26.  Wie mit Langeweile umgehen? Teil II – Langeweile des Klienten

27.  Wie finde ich Wege aus der Klemme? Ein kleiner »Erste-Hilfe-Kurs«

Das Erkennen der Klemme

Formen der Unterbrechung

Formen innerer Lösungssuche

Formen der Metakommunikation

Formen der Verwirrungsinduktion

Andere Formen des Ebenenwechsels

VII. Super-Visionen – Zwischensehen und Drumherum

28.  Wie hast du’s mit den Krankenkassen? Die Gretchenfrage im Dreieck zwischen Patient, Therapeut und Krankenkasse

29.  Wie hältst Du’s mit dem Geld?

Geld im Dreiecksverhältnis zwischen Klient, Therapeut und Krankenkasse

Geld in der Zweierbeziehung zwischen Klient und Therapeut

Wie hoch ist der Preis?

Die Grenzen der Preisgestaltung

Zu hohe Preise

Zu niedrige Preise

30.  Was ist und wie geht systemische Intervision? Visionen auf dem Kamel

Ein Kamel macht noch keine Wüste

Auf dem 18. Kamel in die Oase

Intervisionen – eine systemische Fata Morgana?

Die Organisation des Zwischensehens

Prinzipien systemischer Intervision

Vorbereitung der Fallgeber

Die Intervision

Anliegen des Kollegen klären

Falldarstellung des Kollegen

Erste Feedbackrunde des Kollegenkreises

Reflexionsrunde

Zwischenschau bei der Intervision

Eventuell: eine weitere Runde . . .

Abschluss

Intervision – Oase der Lösung

Sachregister

Vorwort

Wenn wir in der systemischen Praxis – und das ist ein zentraler Gedanke systemischen Denkens – die Ratsuchenden als selbstverantwortliche(1) und selbstorganisierende(1) Systeme betrachten, seien es psychische, seien es soziale Systeme, dann sehen wir uns in der Regel einer besonderen Komplex(1)ität und Unvorhersehbarkeit ausgesetzt: Unsere Gesprächspartner reagieren nur in Grenzen vorhersehbar, meist erweisen sie sich auch als autonom(1) und als von außen nicht steuer(1)bar. Interventionen und Methoden, die zu einem bestimmten Zeitpunkt bei dem einen Gesprächspartner vielleicht gut gepasst haben und uns den Eindruck vermittelten, dass »wir« etwas damit »bewirkt« haben, erweisen sich zu einem anderen Zeitpunkt bei einem anderen Gesprächspartner als »wirkungslos« oder gar als kontraproduktiv.

Es gibt Ansätze, die diese Komplexität(2) möglichst schnell zu reduzieren versuchen. Auf der Basis scheinbar harter Kriterien bieten sie klare Standards, die dann über Manuale abgearbeitet werden. Die verbürgte Aussage eines unserer Kollegen, der an mehreren solcher Manuale als Verfasser beteiligt war, zeigt, dass das zentrale Momentum therapeutischen und beraterischen Handelns damit nicht beseitigt werden kann: Unsicherheit. Techniken und Werkzeuge helfen manchmal (der Beraterin, dem Therapeuten), weil sie die Illusion vermitteln, das Richtige zu wissen. Doch, so sagte der Kollege selbst: »Bei mir ist noch nie ein Fall genau nach Manual verlaufen! Man kommt nicht umhin zu improvisieren!« Es wäre auch ein Wunder, wenn es anders wäre. Offenbar findet man sich als Praktiker schnell und öfter, als einem lieb ist, in Situationen wieder, in denen man zunächst ratlos ist. Diese prinzipielle Unsicherheit lässt sich nicht einfach »wegrationalisieren«. Tja, was nun?

Diese Frage war der Ausgangspunkt für eine langjährige Serie von Beiträgen – »Feldpost. Praxis unterm Mikroskop« – in der Zeitschrift »Familiendynamik«, die sich jeweils mit genau solchen Fragen befassten: »Was tun?« Dabei sind wir von konkreten Fragen ausgegangen, die sich in Situationen stellen, die nicht »nach Lehrbuch« verlaufen, ja, für die gar keine Lehrbuchkapitel vorliegen. Und wir wollten der Versuchung widerstehen, Texte für »Tooligans«, für »Werkzeugverliebte« zu schreiben, also derartige Situationen durch das Vorschlagen klarer Regeln und Anweisungen zu lösen. Vielmehr ging es uns darum, die Dimensionen solcher Situationen auszuloten und die Möglichkeitsräume, die sich in ihnen bieten oder die man an ihnen eröffnen kann, zu diskutieren und pragmatisch zu nutzen. Es scheint zwar etwas paradox, dass wir uns zugleich entschieden haben, jeden Text dann mit einem »Werkzeugkasten« zu beenden. Aber am Ende jeder Reflexion, jedes Probehandelns steht letztlich eine Handlung. Wenn unsere Intention und ihre praktische Umsetzung inkonsistent wären, dann müssten wir Sie leider damit konfrontieren – vielleicht ist dieses Buch ja doch etwas für »Tooligans«?

Im Laufe der Zeit ist eine Vielzahl von Beiträgen entstanden, auf die wir sehr positive Rückmeldungen bekamen, so dass wir uns entschieden haben, die aus unserer Sicht interessanten Aufsätze zu einem Buch zusammenzustellen. Einige dieser Texte entstammen Ausgaben der »Familiendynamik«, bei der die ehemaligen Mitherausgeber, Ulrich Clement und Arnold Retzer, Mitautoren waren. Wir bedanken uns bei den ehemaligen Kollegen für deren freundliche Genehmigung, auch ihre Texte hier aufzunehmen zu dürfen. Außerdem haben wir uns noch bei Johanna Dunkl und Lou Schwender zu bedanken, die uns bei der redaktionellen Überarbeitung der Texte und der Konzeption der »Werkzeugkästen« sehr unterstützten, bei Thomas Kleffner und Heinz Beyer vom Verlag Klett-Cotta für die freundliche Förderung des Projekts und schließlich bei Björn v. Schlippe, der zu jedem der sieben größeren Kapitel, in die wir dieses Buch unterteilten, einen kongenialen Cartoon beisteuerte – mit Lou Schwender als Tochter des einen und Björn v. Schlippe als Bruder des anderen Autors bzw. Herausgebers wurde dieses Buch auch ein wenig zu einem »Familienunternehmen«.

Wir wünschen Ihnen im Umgang mit den vielen (hoffentlich) anregenden Ideen, die wir für herausfordernde Situationen systemischer Praxis zusammengetragen haben, interessante Impulse, Spaß und praktischen Nutzen.

Heidelberg, Konstanz, Osnabrück

im März 2015

Hans Rudi Fischer, Ulrike Borst, Arist von Schlippe

SB_94583_0002_abb_015.jpeg

I. Vom Anfangen, vom Unterwegssein und vom Beenden

Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will,
für den ist kein Wind ein guter.

Seneca

Wähle dir einen Reisebegleiter und dann erst den Weg.

Arabisches Sprichwort1

Die Kunst des Anfangens(1)

»Aller Anfang ist schwer«, sagt der Volksmund. Wie verhält es sich mit dem Anfang einer Therapie bzw. Beratung? Wie beginnt man ein Coaching? Natürlich mit Worten, oder allgemeiner, mit Zeichen, ließe sich antworten. Weil Worte eben auch Taten sind, ist das Problem des Anfangs eines des Anfangens, des Beginnens. Ein Anfang ist also nicht einfach da, sondern er muss aktiv gemacht werden. Mit einer Therapie oder Beratung beginnt ein Prozess innerhalb einer gewissen Zeit, der initiiert und markiert werden muss, damit er zum produktiven Rahmen sinnvollen Geschehens werden kann. Weil Fragen die Seele des Denkens und der systemischen Methode sind, fragen wir am Anfang natürlich nach dem Anfang(2) und danach, wie ein solcher Prozess begonnen werden sollte, damit er Aussicht auf Erfolg verspricht. Es braucht dazu weder faulen Zauber noch Hexerei, sondern einfache und klare methodische Grundregeln, die wir in diesem Buch formulieren, ohne deren theoretische und methodologische Basis aus den Augen zu verlieren. Die erste Warnung, die wir hier aussprechen müssen, ist:

Dieses Buch ist nichts für Tooligans!

Bekanntermaßen bevorzugen Systemiker (Kybernetiker) Schifffahrtsmetaphern(1). Mit der Kybernetik, der Steuermannskunst, lässt uns Heraklit, der Philosoph des Wandels, grüßen. Die Grundfragen, wohin die Reise gehen und wozu das Schiff dienen soll – ganz gleich ob es »Therapie«, »Coaching« oder »Beratung« genannt wird –, sind meist ebenso wenig klar wie der Weg zum gesuchten Ziel. Oft müssen wir in See stechen, ohne das genaue Ziel(1) zu kennen. Wer ist mit an Bord, wer soll wie steuern, mit welchen Winden (Ressourcen(1)), mit welchen Untiefen und stürmischen Ambivalenzen ist unterwegs zu rechnen, usw.? Dabei ist es für den Coach oder die Therapeutin ebenso wichtig an die Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte anzukoppeln, die die Passagiere mit dem Reiseziel verbinden, wie mit den Ängsten beim Verlassen des sicher(1)en Hafens des Vertrauten zu rechnen.

Es(1) geht zunächst um beraterische Methodik, um das Was und wie es wann gesagt werden sollte, damit ein imaginärer Möglichkeitsraum(1) erzeugt werden kann, in dem Klienten ihre Lösungen suchen und erkunden können und eine tragfähige Beziehung zwischen Klienten und Beratern zustande kommt (Frage 1(2)).

Wer sucht, der findet?

»Problem(1)e« gelten als »Eintrittskarten« in ein Coaching oder eine Therapie; ist es deren Aufgabe Probleme zu lösen oder Lösungen zu finden, wie man einen verlorenen Schlüssel findet? Weil es weder Probleme noch Lösungen an sich gibt, sondern nur für jemanden, der eine Diskrepanz erlebt zwischen dem, wie etwas ist und dem, wie es sein sollte, müssen »Lösungen« durch die Beteiligten selbst kreiert werden.

Die Suche nach der Lösung des »Problems« ist paradox(1), weil es die Suche nach etwas ist, das man (noch) nicht kennt, und man daher gar nicht wissen(1) kann, wann man es gefunden hat. Was heißt das für Therapie und Beratung, wo es um Lösungsfindung geht? Wie ist ein Weg zu gehen, der noch nicht vorhanden ist (Frage 2)? Sieht man mit dem Zweiten besser?

Unterwegs kann sich das Reiseziel als Utopie erweisen, es kann sich verändern, es können Passagiere hinzukommen oder von Bord gehen, es kann fraglich werden, ob ein Personalwechsel an Bord sinnvoll ist oder ob man zu zweit auf der Brücke (Co-Therapie/-Beratung) einen besseren Job für die Passagiere machen kann. Mit den Vor- und den Nachteilen einer Co-Therapie/-Beratung und dem, was beide im Auge behalten müssen, wollen sie während der Fahrt gut kooperieren, befasst sich Frage 3(2).

Sie wünschen – wir spielen?

Manches Mal möchten Klienten weitere Personen mit an Bord nehmen oder es stellt sich aus beraterischer Sicht die Frage, ob der Personenkreis, der an der Beratung/Therapie teilnimmt, verändert werden soll. Mit den Implikationen der Frage, wann ein solcher Settingwechsel sinnvoll ist, was er methodisch bedeutet, wie und wann er eingefädelt werden sollte, beschäftigt sich die 4. Frage.

Was für den Anfang gilt – dass er nicht »natürlich« ist, sondern eine Kunst, also erzeugt, gemacht werden muss –, gilt auch für das Ende eines Beratungs- oder Therapieprozesses. Das Beenden(1) einer professionellen Beziehung ist Resultat eines Entscheidungsprozesses. Dabei muss das Beenden nicht notwendigerweise einvernehmlich geschehen. Gewählte Beziehungen sind einseitig kündbar, sowohl vom Klienten wie von Therapeuten oder Coaches. Wie dabei vorzugehen, was zu berücksichtigen ist und welche Fallstricke es geben kann, davon handelt die letzte Frage dieses Kapitels. Fangen wir also ordentlich von vorne an und fragen danach.

1.  Wie anfangen(3)?

Am Anfang war das Wort.

Johannes-Evangelium

Am Anfang war die Tat.

J. W. Goethe, Faust I

Worte sind Taten.

J. L. Austin

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, heißt es bei Hermann Hesse. Was ist der Zauber des Anfangs bei einer Therapie, bei einem Coaching? Wie sollen wir eine Therapie beginnen? Unsere Frage fokussiert auf den Anfang des Erstgespräch(1)s, die erste Face-to-face-Begegnung zwischen Klient(en) und Therapeut, Coach oder Beraterin. Wie sollte die Beziehung(1) zu unseren Klienten gestaltet werden? Wie wird welches Beziehungsangebot von Seiten des Therapeuten gemacht? Die Mittel, auf die wir unser Hauptaugenmerk hier richten, sind sprachlicher Natur: Welche Fragen, welche Informationen, welche Definitionen gehören an den Anfang des Erstgespräches? Anders formuliert: Wie sollte Sprache(1) benutzt werden, damit ein Rahmen geschaffen wird, in dem die inhaltlichen Ziele(2) der Klienten bearbeitbar sind und die Prozessziele des Therapeuten erreicht werden können?

Wir wollen unsere Ausgangsfrage in zwei Fragen differenzieren: 1. Wie sollte das erste Gespräch(2) definiert werden? Das betrifft die Zielsetzung des Therapeuten für das Erstgespräch ebenso wie die Anliegen der Klienten. 2. Wie sollte das Gespräch geführt werden, damit die therapeutischen Aufgaben und Ziele erreicht werden(3)? Das betrifft die therapeutische Methodik(4).

Die erste Frage lässt sich differenzieren in

  1. Wie ist das Erstgespräch im Unterschied zu weiteren Gesprächen zu definieren, damit die Ziele erreicht werden können?

  2. Worauf hat die Therapeutin zu achten, worauf sollte sie ihre Aufmerksamkeit richten?

Die zweite Frage, zur therapeutischen Methodik: Was (Inhalt) sollte wie (Form) gesagt werden? (Beziehungsgestaltung(2))

  1. Wie sollte das Gespräch(3) begonnen bzw. geführt werden? Damit sind die formalen Gestaltungsinstrumente des Gesprächs und damit auch das Beziehungsangebot durch den Therapeuten gemeint.

  2. Was sollte gesagt werden? Damit sind die inhaltlichen Gestaltungsinstrumente gemeint: Welche Formulierungen, welche Redewendungen sind am Anfang(5) einer Therapie hilfreich(3)?

Ad 1a)  Definition: Abklärungs- bzw. Orientierungsgespräch

Therapie/Coaching/Beratung sind Mittel zum Zweck, und dieser ist anfangs zunächst unklar. Solange der Zweck (i. S. von Ziel(4)) unklar ist, kann auch nicht beurteilt werden, ob Therapie, Coaching oder Beratung das richtige Mittel zu diesem Zweck ist. Die Angemessenheit eines Mittels lässt sich nur beurteilen, wenn wir den Zweck kennen. Daher muss sich der Therapeut die Frage stellen: Wozu Therapie(4)? Des Weiteren sollte bestimmt werden, welche Art der Therapie bzw. der Beratung, welches Vorgehen, welche Intervalle sie als geeignete Mittel zur Erreichung ihrer Ziele betrachten.

Im ersten Gespräch wird daher versucht, jenes Wozu Therapie bzw. wozu Coaching? in den Augen der Klienten zu klären, weil diese meist noch gar nicht genau wissen(2), was sie wollen. Das soll die Auftragsklärung(1) leisten, um herauszufinden, ob Therapie – und die Art von Therapie, die die Therapeutin praktiziert – überhaupt ein erfolgversprechendes Mittel ist. Andernfalls ist die Fragestellung so zu modifizieren, dass sie durch eine Therapie beantwortbar ist. Das erste Gespräch sollte daher noch nicht als »Therapie« oder »Beratung« definiert werden, sondern den Klienten gegenüber als Abklärungsgespräch oder als Orientierungsgespräch bezeichnet werden, mit dem Ziel(5), herauszufinden, ob »Therapie« überhaupt einen Sinn ergibt, was »Therapie«, bzw. »Beratung« (neuer: »Coaching«) für die Klienten bedeutet (im Mehrpersonen-Setting(1) besonders wichtig, weil es da häufig unterschiedliche Auffassungen gibt, was »Therapie« bedeutet: Schuld(1)zuschreibung, Krankheit, Trennung u. a.), in welchem Setting(1) das vorgebrachte »Problem« therapeutisch bearbeitet werden sollte etc(5).

Wird das Erstgespräch so definiert, dann steht frühestens am Ende dieses Gespräches, vielleicht auch erst beim »zweiten Erstgespräch« fest, ob es ein Therapieangebot gibt. Die Klienten können nun entscheiden, ob sie dieses Angebot annehmen und sich an der Erfindung bzw. Gestaltung der geeigneten therapeutischen Methode beteiligen, wobei der Therapeut dann zum Begleiter des Suchprozesses seiner Klienten werden kann. Therapeutische Aufgaben und Ziele dieses Abklärungsgespräches sind:

Ankoppeln: Beziehung zum Klienten(-System) herstellen.

Ortskundig machen im Klientensystem: Wie ist die Sprache(2), was sind die Kommunikations- bzw. Interaktionsmuster u. Ä.

Das Hauptziel dieses Gespräches besteht in dem Herausarbeiten einer plastischen Zieldefinition durch die Klienten, die der angestrebten Therapie Sinn(1) gibt. Sinn ist, wie Nützlichkeit, eine subjektive Bezugsgröße und muss vom Klienten der Therapie und der Methodik zugeschrieben werden. Das können Klienten erst, wenn sie sich orientiert haben, also am Ende des Erstgespräches.

Ad 1b)  Zauber des Anfangs(6)

Der Zauber des therapeutischen Anfangs(6) liegt darin, dass wir noch (fast) kein Wissen(3), keine Hypothesen, kein Bild über das Klientensystem haben. Wir verstehen(1) die Klienten (noch) nicht, wir haben (noch) keine Erklärung, die unser Denken, unsere Aufmerksamkeit(1) zur Ruhe bringt. Gerade diese »Naivität(1)« des Therapeuten, dieses Defizit an Wissen und Erklärungen ist die große Ressource(2) des Anfangs einer Therapie, an dem noch alles möglich scheint, sie macht ihren Zauber aus. Wir können noch neu-gierig, noch wiss-begierig sein, weil unsere Wahrnehmung noch nicht so hypothesengeleitet und penetrant nach Konsonanz sucht, wie sie es tut, wenn wir zu wisse(4)n glauben. Daher sind wir noch »wach«, unsere Sinne sind frisch, unsere Aufmerksamkeit hoch. Analoges gilt für die Klienten, uns und der Therapie bzw. dem Coaching gegenüber, und diese Neugier, die ja auch mentale Beweglichkeit und Bereitschaft darstellt, sich auf Neues einzulassen, sollte nicht durch allzu schnelle Festlegungen des Therapeuten beruhigt werden. Worauf sollte der Therapeut (oder Coach) am Anfang(7) seine Aufmerksamkeit(2) richten? Da in den ersten Minuten eines Gesprächs oft die entscheidenden Weichen des Gesprächsverlaufes gestellt werden, ist es wichtig, auf die gezeigten Muster(1) zu achten: Wer setzt sich wohin (Mehrpersonen-Sett(2)ing)? Wer spricht zuerst? Wer blickt wen an, wenn er spricht? Wie ist die Stimmung des Einstiegs(7)? Ernst, heiter, gedrückt etc.? Wer setzt sich zu wem wie in Beziehung? Wodurch macht er das? Allgemeiner gefragt: Wie ist die Inszenierung des Beginns? All diese Zeichen lassen sich zu szenischer Information verarbeiten und für die Hypothesenbildung(1) des Therapeuten nutzen(1)(2).

Beraterische Methodik – Only two can play this game

Am Anfang der Rede, eines Gesprächs steht die Begrüßung des Publikums, des Gegenübers, dann stellt sich der Sprecher vor, bestimmt sein Thema und leitet ins Thema ein. Dieser Dreischritt gilt auch für ein Coaching oder eine Therapie: 1. Begrüßung der Klienten; 2. Vorstellung des Therapeuten und seiner Institution; 3. Erklärung des Settings(2), der Arbeitsweise und des Vorgehens und Definition von Aufgabe und Ziel des ersten Gespräches. Hier stellt sich zunächst der Therapeut in den Mittelpunkt der Kommunikation mit den Klienten und übernimmt die Führung(1). Die Führung des Kommunikationsprozesses namens Therapie ähnelt dem Führen beim Tanzen. Unsere Klienten fordern uns zum Tanz auf, wir nehmen diese Einladung(1) an und tun das, was von uns erwartet wird, und unsere Aufgabe im Gesprächsprozess ist: die Prozessführung zu übernehmen. Das Wesen dieser Art von Führung ist interaktiv(8), sie wird über Rückkoppelung gesteuert.

Es gilt nämlich die Regel: It needs two for tango! Die konventionell geregelte Führung des Herrn funktioniert nur, wenn die Frau sich führen lässt, wenn er ihr verständliche Führungssignale geben kann, die sie orientieren und so führen, dass ein schöner Tanz entsteht. Hier entsteht im gelungenen Falle Komplementarität, Passung. Um den Tanzpartner führen zu können, braucht man das Wissen um die Schrittfolgen, die Formen und Figuren des Tanzes, der zur gerade gespielten Musik passt, man braucht das Rhythmus-, Takt- und Körpergefühl, um das Wissen in praktisches Können zu verwandeln. Jeder, der schon einmal getanzt hat, weiß, dass man nach wenigen Schritten bemerkt, ob der Partner führen kann, führen will oder sich führen lässt oder nicht(2).

Wenn die Tanzpartner zusammenstimmen, wenn gut geführt wird, gelingen Figuren, die der Tanzpartner gar nicht kennt, er kann also neues Verhalten lernen, ohne dass dies bewusst und sprachlich artikuliert werden müsste.

Auf Therapie übertragen, heißt dies, es geht um Beziehungsgestaltung(4), und diese Beziehungsgestaltung geschieht wie beim Tanz eben nicht nur durch Worte, sondern durch Zeichen, die keine Worte sind. Seinen Tanzpartner mit den Worten »Ich führe! Achtung: jetzt links herum, rück vor, tscha tscha tscha . . .« führen zu wollen, wäre eine Strategie des Scheiterns, das setzte voraus, dass die Aufmerksamkeit(3) des Tanzpartners auf dem gesprochenen Text liegt und nicht auf den analogen Signalen(2), die mit Hand, Arm, Körperhaltung, Spannung in den Armen etc. gegeben werden. Die Führungsmusik spielt also nicht in der Sprache(3), sondern eher in der Körpersprache(9). Ein ästhetisch gelungener, ein schöner Tanz ist Ergebnis abgestimmter Interaktion, Resultat gelungener Kooperation; er kommt nur zustande, wenn die Führung sensitiv für Rückkoppelung ist, d. h. derjenige, der führt, muss aufmerksam(4) für die Reaktionen seines Tanzpartners sein. Ich weiß also erst, was ich geführt habe, wenn ich die Figur sehe, die wir gemeinsam zustande bringen(3)(5).

Für den ersten Tanz, bei dem man den Partner noch nicht kennt, nicht weiß, was er wie tanzen möchte, was er gerne tanzt, was sein bevorzugtes Tempo ist, wie klar die Führungssignale sind, die er braucht, um gut zu tanzen, gelten die gleichen Prinzipien wie für das erste Therapiegespräch.

Wenn wir von der Gesprächsführung(1) des Therapeuten reden, meinen wir das Führen in der Beziehungsgestaltung(6), der Gestaltung des Beziehungsangebotes, welches der Therapeut seinen Klienten macht, um einen guten Tanzboden zu schaffen, auf dem ein für den Klienten schöner Tanz herauskommt(10). Führen ist also führen und nicht sagen: Ich führe! Hier geht es also um Handlungen, die Bedeutung stiften(4).

Konkret heißt das: Die Therapeutin begrüßt, bedankt sich für die Einladung(3), stellt sich vor, erläutert die Räumlichkeiten, erklärt ihre Vorgehensweise, definiert Aufgabe (Abklärungs- oder Orientierungsgespräch) und Ziel dieses ersten Gespräches etc. Beim ersten Gespräch (wie beim ersten Tanz) sind Klienten in der Regel angespannt, unsicher oder gar ängstlich, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Dadurch, dass der Therapeut den Fokus erst einmal auf sich lenkt und nicht in die Problematik seiner Klienten, entschleunigt er den Prozess der Problemfokussierung und gibt den Klienten Zeit und die Möglichkeit, vorerst in die Beobachterposition zu gehen. Sie können ankommen, sich zurücklehnen und brauchen zunächst nur dem Therapeuten zuzuhören. Der Therapeut ergreift als Erster das Wort, er ist »Hausherr« und spricht einige Minuten, lenkt die Aufmerksamkeit seiner Klienten auf sich, und solange sind die Probleme der Klienten noch nicht Thema. Er kann – während er spricht – beobachten, wie seine Klienten darauf reagieren usw. Wir wollen nun die für den Anfang(8) wichtigen formalen Mittel der Führung, der Gesprächssteuerung(2)(11) thematisieren, bevor wir die inhaltlichen besprechen(5)(7).

Ad 2a)  Formale Gestaltungsmittel – Gesprächsvariablen

Am Anfang ist es wichtig, den Kontext(1) zu markieren, in dem das Gespräch verortet ist. Damit bestimmt die Therapeutin den Sinn(2) des Gespräches, als Raum(3), in dem nach Sinn gesucht wird(3). Dies wäre zunächst ein formaler Akt, der den Inhalten, die dann besprochen und reflektiert werden, den Rahmen gibt. Das Einstiegsszenario sollte sein: Der Therapeut (»Hausherr«) positioniert sich, spricht zuerst – damit »führt« er(6) –, definiert seine Rolle in der genannten Reihenfolge: Begrüßung, Vorstellung, Erklärung der Arbeitsweise, Definition des ersten Gespräches als Abklärungsgespräch etc(4).

Entscheidende Gesprächsvariablen

Im auf das Einstiegsszenario(12) folgenden Gespräch sind zwei Gesprächsvariablen zentral für die therapeutische Gesprächsführung: Wer spricht bzw. wer wird angesprochen? Wer spricht wie lange? Die Steuerung des Rednerwechsels und der Rededauer sind entscheidende formale Gestaltungsmittel des Gespräches, daher sollte der Therapeut besonders am Anfang(9) darauf achten, diese wirklich in die Hand zu bekommen. Er erreicht das, indem er seine Arbeitsweise erklärt und sich die Erlaubnis für seine Vorgehensweise von den Klienten einholt. Damit geben sie ihm explizit die Gesprächsführung(3), d. h. die Prozesshoheit, in die Hand(8).

Generell gilt: Die Beratende spricht die Klienten an und erteilt ihnen dadurch das Wort; ebenso unterbricht sie und entzieht dadurch das Wort! Das ist natürlich im Mehrpersonen-Setti(3)ng wesentlich wichtiger als im Einzelgespräch.

Nach der anfänglichen Positionierung des Therapeuten/Beraters (Dreischritt) sollte zunächst direktiv vorgegangen werden, um zu zeigen, wer die Gesprächssteuerung(4) inne hat und das Gespräch steuert. Womit macht er das?

Er stellt die Fragen, adressiert sie an bestimmte Personen; er unterbricht, wenn er glaubt, die weiteren Äußerungen des gerade sprechenden Klienten sind nicht fruchtbar für das fokussierte Thema; er verschiebt den Fokus oder baut diesen wieder auf; er unterbindet Dazwischenreden(13) oder Unterbrechen von anderen. Wie sollte das realisiert werden? Der Therapeut (Coach/Beraterin) sollte immer die Verantwortung(2) für seinen Steuerungseingriff übernehmen und dies freundlich, höflich, wertschätzend und/oder humorvoll tun. Das kann rhetorisch elegant und glaubhaft wirken, und die Klienten bestätigen mit jeder akzeptierten Steuerungsintervention die Gesprächsführung(5) des Sitzungsleiters.

Ein solches Vorgehen hat auch zum Ziel, den Klienten eine Metaperspektive auf ihr Problem zu ermöglichen, die sie zunächst nicht haben, um nicht ausschließlich ihre alten, bekannten Muster zu praktizieren(9).

Außerdem kann das strukturierte Vorgehen des Beraters den Klienten das Gefühl der Sicherheit(2) geben, dass jeder zu Wort kommt, nicht darum kämpfen muss etc. und der Therapeut weiß, wohin er möchte.

Die ersten Fragen im Mehrpersonen-Set(4)ting sollten adressiert werden. Warum? Werden Fragen einfach so an die Familie (Team) gestellt, haben die Beteiligten das Problem, dass innerhalb von Sekunden entschieden werden muss, wer darf, wer muss antworten, wer »drängt sich vor«, wer »duckt sich«, wer tappt ins Fettnäpfchen etc. Damit werden die Klienten möglicherweise sofort in Kontakt zu ihren Mustern(3) gebracht und sind dann direkt mit den Problematiken assoziiert.

Wir wollen die Klienten, das Klientensystem auf der Metaebene halten, daher sollte(14) dieser Entscheidungsdruck nicht (am Anfang) eingeführt werden.

Warum Fragen? Hier ist wichtig zu betonen, dass Fragen einer anderen Logik als Antworten folgen. Wenn wir beispielsweise fragen: »Wie haben Sie den Weg zu mir gefunden?«, so ist diese Frage nicht wahr oder falsch, wie es eine Antwort sein kann.

Mit Fragen betreten wir (noch) nicht den Wahr-falsch-Raum, sondern öffnen erst die Tür in jenen imaginären Raum, in dem es vielleicht Wahrheit bzw. Falschheit gibt. Das heißt für das beraterische Vorgehen, für die Neutralität(1)(1)(1), dass die fragende Beraterin keine Position in der Wirklichkeit der Klienten bezieht, wo etwas der Fall (wahr) ist oder nicht. Mit dem Stellen von Fragen meidet die Beratende ein Thema, das in und für zwischenmenschliche Beziehungen nicht selten kommunikatives Gift darstellt: Wahrheit bzw. Wirklichkeit.

Auch deswegen ist es am Gesprächsanfang(10), wo Therapeuten (Coaches/Berater) noch nichts über das Klientensystem wissen(5), ratsam, zu fragen und Antworten zu vermeiden, von denen wir nicht wissen, was sie für das Klientensystem bedeuten(1)(10).

Hier ist es hilfreich, den Unterschied zwischen unterschiedlichen Sichtweisen und Wahrheit im Gespräch früh einzuführen(15). Das heißt, der Berater betont, dass er daran interessiert ist zu hören, wie die Familienmitglieder die Situation, das »Problem« u. a. sehen, und dass er sie deshalb nach ihren Sichtweisen (synonyme Alternativen wären: Ansichten, Perspektiven, Blickwinkeln, Gesichtspunkten, Standpunkten, Augen) fragt. Beispiel: »Sie sehen das anders als Ihr Mann . . .«, »Ihr Mann erklärt sich das anders als Sie . . .« D. h., er fragt nicht: »Was ist denn bei Ihnen wirklich los, Frau Müller, sagen Sie mir mal die Wahrheit« o. Ä. Mit einem solchen Fokus würde er in vielen Fällen die Kommunikation vergiften, weil die Wahrheit des einen die des anderen ausschließt und ein Kampf ums Rechthaben eingeleitet werden kann(11).

Tatsachen können unterschiedlich gedeutet werden, sie sehen von unterschiedlichen Blickwinkeln anders aus. Gerade diese Tatsache kann benutzt werden, um unterschiedliche Wahrnehmungen und Deutungen in die Kommunikation einzuführen und für die familiäre Reflexion zu nutzen: Unterschiede sind Information! Durch die Betonung der unterschiedlichen Sichtweisen(11) bzw. Perspektiven als solche vermeidet man, in die Rolle des Richters über die Wahrheit bzw. Wirklichkeit (Ursache bzw. Schuld(2)!) zu kommen und seine Neutralität(2) zu verlieren. Das Nichtfokussieren auf die Wahrheit/Wirklichkeit in diesem objektivistischen Sinne befeuert die Einbildungskraft, kann die Phantasie der Klienten für Lösungen freisetzen und verhindert dadurch eine allzu schnelle Entzauberung.

Hier gilt also die Regel: Unterschiedliche Sichtweisen sind kompatibel, aber nicht unterschiedliche Wahrheiten!

Dieses Vorgehen(16) wird unterstützt bzw. realisiert, indem der Indikativ(1) (ist/ist nicht – wahr/falsch), die Wirklichkeitsform, eher vermieden wird. Das gilt natürlich nicht für das Erheben der Daten (wann geboren, wann und wo geheiratet etc.).

Ad 2b)  Inhaltliche Gestaltungsmittel

Damit sind wir bei der inhaltlichen Ausführung der Gestaltungsinstrumente: Welche Formulierungen, welche Textbausteine sind am Anfang(12) einer Therapie bzw. Beratung hilfreich(12)?

Abklärungs- bzw. Orientierungsgespräch(17)

Die Formulierung, mit der der Kontext(2) markiert wird, sollte das Wort Abklärungs- oder Orientierungsgespräch enthalten und noch nicht »Therapie«, »Coaching« oder »Beratung« (weil die Implikationen solcher Bezeichnungen unklar sind)! Beispielsweise, indem nach dem Eröffnungsszenario zur ersten Frage übergeleitet wird:

»Dieses Gespräch verstehe ich als ein Abklärungsgespräch, in dem ich herausfinden möchte, ob Sie bei mir an der richtigen Adresse sind, ob solche Gespräche für Sie überhaupt nützlich sind, und in dem Sie herausfinden können, ob Sie mit Ihrem Anliegen bei mir richtig sind . . .

Bevor ich Ihnen also irgendetwas zu dem Anliegen, das Sie hergeführt hat, sagen kann, möchte ich mich ortskundig machen. Dazu habe ich eine Menge Fragen mitgebracht. Ich bin neugierig von Ihnen zu hören, was Sie herführt, was Ihr Anliegen ist . . .«

Adressieren der ersten Fragen

Erklärung der Arbeitsweise mit Einführung(13) der Idee unterschiedlicher Sichtweisen:

»Ich gehe gerne der Reihe nach vor, wenn ich mir einen Überblick verschaffen möchte, wie Ihre Sichtweisen sind, wie die Situation aus den verschiedenen Blickwinkeln (Augen) für Sie jeweils aussieht. Sie, Frau Müller, haben mich angerufen, daher frage ich zuerst Sie, bevor ich Ihren Mann (oder Kollegen) frage, wie das aus seinem Blickwinkel aussieht.« Etc.

Oder: »Ich fange gerne links/rechts herum an, daher möchte ich gerne mi(18)t Ihnen . . . beginnen . . . um Sie dann alle nach Ihren Sichtweisen der Situation, des Anliegens etc. zu fragen . . .«

Oder: »Ich möchte der Reihe nach vorgehen . . ., mir ist wichtig, dass ich von allen Beteiligten erfahre, wie sie jeweils die Situation sehen, daher fange ich mal bei Ihnen (von rechts, von links, oder beim Überweiser) an.«

Fragen zum Anfang(13) des Abklärungsgespräches

Beispielfragen:

Hans Rudi Fischer, Ulrich Clement, Arnold Retzer

WERKZEUGKASTEN

Erstgespräch gestalten

Impulse und Strategien für die Praxis

  • Ressourcen(2)(3) des Anfangs(15): der Mangel an fixen Bildern, das Nichtwissen(1) über die Klienten, die damit mögliche Neugier, Aufmerksamkeit und mentale Beweglichkeit auf beiden Seiten – allzu schnelle Festlegungen vermeiden!

  • Einstiegsszenario: Begrüßen, sich und eigene Institution vorstellen, Setting und Vorgehensweise sowie Aufgabe und Ziel des Erstgesprächs erläutern.

  • Klienten Zeit zum Ankommen lassen, Gespräch positiv rahmen, sprechen Sie zuerst über sich, die Therapie, das Coaching (etc.), entschleunigen Sie den Prozess der Problemannäherung (20)und der damit verbundenen Affekte(1).

  • Erstes Gespräch noch nicht als »Therapie« oder »Coaching« bezeichnen, sondern als »Orientierungs-« oder »Abklärungsgespräch«. Machen Sie sich im Klientensystem ortskundig: Wie sind Sprache(4) (Metaphern(2)), Affekte(2), Muster(16)?

  • Hauptfrage: Wozu Therapie/Beratung/Coaching? Welcher Zweck wird mit erfolgreicher Therapie/Beratung (Futur II) verbunden? Ist das Mittel (Therapie/Coaching) zieldienlich oder muss der Beratungszweck entsprechend modifiziert werden? Merke: Klienten müssen Gesprächen Sinn(4) geben!

  • Erst am Ende des Gesprächs lässt sich entscheiden, ob es weitere Gesprächsangebote gibt und wie sie am besten benannt werden (»begleitende Gespräche«/»Therapie«, »Coaching« o. Ä.) und ob Klienten das Angebot annehmen können und möchten(16).

Formale Gestaltungsmittel – Gesprächsvariablen

  • Vorgehensweise erklären und Erlaubnis einholen, das Gespräch so führen(6) zu dürfen. Gesprächsprozess und Beziehungsgestaltung über Rednerwechsel und Rededauer steuern; garantiert die Prozesshoheit des Beraters(21).

  • Keine Scheu, direktiv vorzugehen: Wer fragt, der führt(7)! Fragen stellen, Wort durch namentliches Ansprechen erteilen; Wort freundlich und bestimmt entziehen, wenn es in falsche Richtung läuft (nicht zieldienlich ist).

  • Dazwischenreden oder Unterbrechen unterbinden, um Prozesshoheit zu wahren und zusätzliche emotionale Aufladungen zu vermeiden.

  • Keine Vorwürfe an Klienten! Übernehmen Sie für alle Interventionen die Verantwortung (bspw.: »Ich muss Sie da bremsen, weil ich da nicht so schnell bin«, »ich komme da durcheinander, wenn Sie dazwischenreden«, »ich bin da etwas langsam, deshalb lassen Sie mich der Reihe nach vorgehen(22)(17) . . .«).

2.  Soll Beratung/Therapie Probleme lösen? Wie Wege(1) beim Gehen entstehen

Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg;

Franz Kafka