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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Nachdruck 2013
© 2004 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
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Copyright© 2000, 2002, 2003, 2004 by the President and Fellows of Harvard College für die folgenden Originalartikel:
„A Better Way to Innovate“, Seite 13, Übersetzung: Hans-Peter Mayer „R&D Comes to Services“, Seite 17; Übersetzung: Martin Tofern „Knowing A Winning Business Idea When You See One“, Seite 107, Übersetzung: Markus Erbe
„The New Rules for Bringing Innovations to Market“, Seite 130, Übersetzung: Rheinschrift „The Sputtering R&D Machine“, Seite 157, Übersetzung: Brunhild Lenheit-Takors Copyright© 2002, 2003 by HARVARD BUSINESSmanager für alle übrigen Artikel
Satz: M. Zech, Redline GmbH
Druck: Books on Demand GmbH, Norderstedt
Printed in Germany
ISBN Print 978-3-86881-500-9
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86414-452-3
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86414-845-3
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
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VORWORT
VOM NEUEN
IDEEN FÖRDERN
VERNETZUNG
Über den Tellerrand schauen
DIENSTLEISTUNG
Innovationen für den Service
SCORECARD
Kreativität besser managen
KUNDEN EINBINDEN
DENTWICKLUNG
An die Arbeit, lieber Kunde!
DURCHBRÜCHE
Wie fortschrittliche Kunden zu Innovationen stimulieren
MÄRKTE EROBERN
BARRIEREN
Auf Nummer sicher
AKZEPTANZCHECK
Damit die Innovation kein Flop wird
MARKTEINFÜHRUNG
Neue Regeln für Innovationen
FALLSTUDIE
GEFAHREN
Trotz guter Produkte den Anschluss verlieren
Autoren und Autorinnen
Gibt es wirklich Grund zu der Klage, wir seien nicht innovativ genug? Die Zahl der in Deutschland angemeldeten Patente steigt seit Jahren langsam, aber stetig. An Ideen scheint also grundsätzlich kein Mangel zu herrschen. Die Anforderungen an echte Neuerungen haben sich gleichwohl im Laufe der Jahre verändert. Gewannen früher jene Unternehmen, die am meisten Innovationen ersannen und schnellstmöglich auf den Markt brachten, kommt es heute darauf an, die richtigen Innovationen in der richtigen Weise zur richtigen Zeit anzubieten. Manager müssen daher über Fragen wie diese nachdenken: Handelt es sich um eine wirkliche Innovation? Wettbewerber überbieten sich mit neuen Modellen und neuen Produkteigenschaften. Doch nur wenige Neuerungen sind geeignet, Märkte zu revolutionieren. Echte Innovatoren ernten mitunter nicht annähernd so viel Ruhm und Geld wie jene, die nur kopieren. Und doch gilt nach wie vor: Der Erfolg von Unternehmen hängt von ihrer Fähigkeit ab, vom Kunden begehrte Innovationen hervorzubringen. Manager sollten daher in der Lage sein, eine vermeintliche Innovation von einer für den Kunden wirklich bedeutenden Neuerung zu unterscheiden.
Will der Kunde die Innovation? Es geht nicht mehr darum, bestehende Bedürfnisse zu befriedigen, sondern darum, neue zu wecken. So weit, so bekannt. Viele Firmen befinden sich schon seit einiger Zeit auf dem Weg dorthin: Sie binden wichtige Kunden ein, sie benutzen ausgefeilte Systeme zum Management von Kundenbeziehungen, und sie arbeiten mit modernen Marktforschungsmethoden. Manches Unternehmen hat dabei vielleicht zu viel des Guten getan. Viele Systeme sind komlizierter denn je und nach wie vor intransparent. Die Frage, was der Kunde will, bleibt häufig unbeantwortet.
Bemerkt der Kunde die Innovation überhaupt? Wer Diskussionen in Internetforen verfolgt, etwa zu neuen Automodellen, kann schnell feststellen: Es gelingt Firmen offenbar häufig nicht, mitzuteilen, was an einem Produkt wirklich innovativ ist und warum das für den Kunden vorteilhaft sein soll. Die Verbraucher sind sich dann nicht nur uneins, was neu an dem Produkt ist, sie rätseln gelegentlich sogar, ob überhaupt etwas neu ist. Immer wieder behandeln die Diskussionen vor allem die negativen Eigenschaften eines neuen Produkts. Solche, die nicht unbedingt beabsichtigt waren, vielleicht noch nicht einmal bemerkt wurden. So konnte bei einigen Automodellen eine Zeit lang die Glühlampe des vorderen Scheinwerfers nur unter großen Mühen und Kosten ausgetauscht werden, weil dazu erst die komplette Stoßstange demontiert werden musste – ein Zugeständnis an das innovative, windschnittige Design. Nach Protesten von Kunden machten einige Firmen dies wieder rückgängig. Wenn Kunden aber eine Neuerung nicht würdigen, werden sie das Produkt nicht kaufen.
Ist der Kunde bereit, für die Innovation zu bezahlen? Neue Produkte zu entwickeln mag teuer sein, noch teurer sind oft die Kosten der Markteinführung. Auf vernetzten Märkten verschenken die Hersteller zum Beispiel immer häufiger Produkte, um schnell eine große Menge an neuen Nutzern zu erreichen. Eine Strategie, deren langfristiger Erfolg zweifelhaft ist. Manager werden sich in Zukunft früher und ausgiebiger Gedanken machen müssen, warum ein Kunde ein neues Produkt kaufen sollte und wie viel er dafür zu zahlen bereit ist.
Die Autoren dieses Buches haben sich mit diesen und weiteren Fragen rund um das Thema „Produkte“ auseinander gesetzt. Renommierte Managementexperten aus Europa und den USA erklären, wie Sie „Kreativität fördern“, „Kunden einbinden“ und „Märkte erobern“. Abgerundet von einer Harvard-Businessmanager-Fallstudie, soll Ihnen dieses Werk möglichst viele gute Ideen auf dem Weg zu echten Innovationen liefern.
Christoph Seeger
Chefredakteur Harvard Businessmanager
„Über hunderte, wenn nicht tausende von Jahren waren systematische Experimente ein Erfolgsrezept für Industrie-Innovationen.
Bei Service-Innovationen hinken wir noch weit hinterher“
STEFAN THOMKE,
HARVARD BUSINESS SCHOOL
Die Regeln des Innovationsmanagements haben sich in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt. Drei Herausforderungen müssen sich Manager stellen: Führungskräfte haben erstens gelernt, dass Inspiration nur dort entsteht, wo sie Mitarbeitern genügend Freiräume eröffnen. Auf der anderen Seite versuchen sie, den Innovationsprozess überprüfbarer und systematischer zu gestalten. Kreativität und Kontrolle sollten aber kein Widerspruch sein. Zweitens: Manager wissen heute, dass sie Ideen von außen benötigen. Es ist überlebenswichtig zu lernen, systematisch über den Tellerrand zu blicken. Drittens gibt es heute selten reine Produktinnovationen. Diese sind vielmehr eingebettet in neue Services und neue Prozesse. Um solche Innovationen zu schaffen, braucht es allerdings ganz andere Methoden als die altvertrauten aus dem Industriezeitalter.
VERNETZUNG: Die Ergebnisse der eigenen Forscher reichen heute nicht mehr, will ein Unternehmen auf Dauer überleben. Nur wer neue Ideen importiert und eigene Erkenntnisse mit der Konkurrenz teilt, wird sich künftig behaupten.
Von Henry W. Chesbrough
In einer Welt voller Wissen und Informationen arbeiten längst nicht alle klugen Köpfe für Ihr Unternehmen. Den nächsten großen Durchbruch schafft vielleicht ein Start-up oder ein Forscher, der für einen Konkurrenten arbeitet. Viele Firmen, deren Erfolg ganz wesentlich von Innovationen abhängt, schotten ihre eigene Forschung und Entwicklung (F&E) noch mehr ab, damit ihnen die Konkurrenz nicht die besten Ideen stiehlt.
Die Führungskräfte in diesen Unternehmen sind Sklaven des alten Konzepts isolierter Innovationsprozesse: Sie glauben, die einzigen wertvollen Ideen entstünden intern, wenn etwas richtig gemacht werden soll, müssten sie es selbst machen. Hinter diesem Abschotten steckt eine Strategie der vertikalen Integration und exklusiven Kontrolle. Im 20. Jahrhundert funktionierte diese Praxis meistens recht gut. Denken Sie nur an die Labors von Edison und Bell.
Aber diese Isolation hemmt zunehmend das Entstehen von Innovationen. Heute sind Informationen kostengünstig und ständig über das Internet verfügbar. Die klugen Köpfe leben weit verstreut, sind aber enger miteinander verbunden als jemals zuvor. Ideen entstehen in Organisationen aller Art und Größe und nicht nur in großen Forschungslabors. Die heutigen Wissensarbeiter sind viel mobiler und auch bereit, sich mit ihren Ideen und Talenten jeder Firma anzuschließen, die sie nutzen will.
WIE UNTERNEHMEN IHRE FORSCHUNGS ABTEILUNGEN ÖFFNEN
EXPERIMENTE MIT OFFENEN INNOVATIONSPROZESSEN
IMPORT INNOVATIVER IDEEN
Gemeinsam mit Universitäten in den USA und in Großbritannien hat Intel vier kleinere Forschungslabors oder so genannte Lablets gegründet, die sich gegenseitig befruchten. Ein Professor, den Intel finanziert, leitet ein Labor für zwei Jahre und kehrt anschließend an die Hochschule zurück, ein anderes Universitätsmitglied kann dann nachrücken.
Der Pharmakonzern Eli Lilly hat vor kurzem InnoCentive (www.innocentive.com) ins Leben gerufen, einen Online-Wissensbroker. Lilly und andere Firmen stellen ihre Probleme im Bereich Forschung und Entwicklung auf dieser Website dar und erbitten so weltweit Lösungen von Einzelpersonen und Unternehmen.
Mattel, Wal-Mart und andere Spielzeughersteller beziehungsweise Einzelhändler beauftragen Ideenbroker wie die Big Idea Group (www.bigideagroup.net), um nach neuen Ideen für Spielzeug zu suchen. Die Big Idea Group fordert Erfinder auf, Vorschläge zu machen, verbessert sie und entscheidet sich dann für die viel versprechendsten.
EXPORT INTELLEKTUELLEN KAPITALS
Schlumberger bietet seinen Kunden und Mitbewerbern innovative Ideen aus dem Bereich Ölförderung an, etwa um die Bohrkosten zu senken oder Informationen über das Ölvorkommen während der Bohrungen zu sammeln.
IBM nutzt die Überkapazität in seinen Halbleiterfabriken, Fabs genannt, um Chips für andere Unternehmen zu fertigen. Vor kurzem hat IBM auch damit begonnen, Designdienstleistungen anzubieten, und entwirft nun Chips für einige Mitbewerber.
Dreyer’s gestattet seinem Mitbewerber Ben & Jerry’s – gegen Bezahlung –, sein Logistik- und Distributionssystem zu nutzen. Dieses System kontrolliert den Warenbestand beim Einzelhändler mithilfe von Scannerkassen, bestellt automatisch nach und verschickt die Rechnungen an die Einzelhändler.
ZIEL UND ERSTE ERGEBNISSE
Intel bekommt systematisch informellen Zugang zu sehr vielen unterschiedlichen universitären Netzwerken. Die Hochschulen, zu denen die Labore gehören, gewinnen Einblick in die Forschung und Entwicklung bei Intel. Bislang sind noch keine Produkte aus diesen neu eröffneten Einrichtungen hervorgegangen.
Lilly hat weltweit mehr als 200 Lösungsvorschläge von Besuchern seiner Website erhalten, sogar von Wissenschaftlern aus China und Russland. Das Unternehmen hat an mehr als einem Dutzend Problemlöser Honorare für die Vorschläge gezahlt.
Die Big Idea Group hat eine Reihe von Spielzeugen an Firmen verkauft, die ihre Dienstleistung in Anspruch genommen haben – zum Beispiel an das Unternehmen Basic Fun, das „Tiny Totes“ kaufte, eine Produktlinie modischer Miniaturhandtaschen, oder an Gamewright, das die Spiele „Snap“ und „Fowl Play“ erwarb.
Schlumberger verkaufte früher innovative Ölfördertechnik nur an Kunden, die auch seinen Service in Anspruch nahmen. Durch den Verkauf an Mitbewerber profitiert das Unternehmen heute von seinen Ideen bei jeder Ölförderanlage überall auf der Welt.
Die Vermietung freier Fabrikfläche senkt die Fixkosten der Chipproduktion bei IBM. Das Portfolio an intellektuellem Kapital von IBM schützt auch das Know-how der Fabrikkunden. Denn die vielfältigen und umfassenden Lizenzabkommen von IBM reduzieren das Risiko seiner Kunden, wegen Verletzung geistigen Eigentums von einem anderen Chiphersteller belangt zu werden.
Das gemeinsame Nutzen des Logistik- und Distributionssystems verteilt die Gemeinkosten auf größere Mengen. Das ermöglicht auch den Einzelhändlern, die das System von Dreyer’s verwenden, die Kosten für die Scannerkassen zu tragen, und motiviert andere, das System zu übernehmen.
In dieser Welt müssen Manager sehr geschickt sein im offenen Umgang mit Innovationen – beim Zugriff auf externes Wissen und bei dessen Nutzung, während sie gleichzeitig ihr eigenes Know-how anderen zur Verfügung stellen. Sie können nicht nur von den Ideen profitieren, die sie von außen übernehmen, sondern auch davon, dass sie ihre Ideen mit anderen, sogar Wettbewerbern, teilen.
Sehen wir uns den Konkurrenzkampf zwischen Lucent und Cisco im Bereich Telekommunikation an. Bei der Zerschlagung des Telefonriesen AT&T erbte Lucent den Löwenanteil an den berühmten Bell Labs und damit ein immenses Know-how im Bereich F&E. Das Lucent-Management nutzte die ganze Leistungsfähigkeit der Bell Labs und führte erfolgreich viele neue Produkte ein. Aber der Rivale Cisco, dem etwas Vergleichbares wie die Bell Labs fehlte, schaffte es dennoch, Schritt zu halten, und war Lucent ab und zu sogar eine Nasenlänge voraus. Wie war das möglich? Das Unternehmen hielt überall auf der Welt Ausschau nach frisch gegründeten Firmen, investierte in einige, ging Kooperationen ein und übernahm später einige dieser Firmen. So konnte Cisco mit den Ergebnissen der vielleicht besten Industrieforschung der Welt mithalten, ohne selbst viel zu investieren. Das Management schaute einfach über den Tellerrand.
Die Tabelle auf den Seiten 14/15 zeigt, wie Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen versuchen, offen mit Innovationen umzugehen, um neue Ideen zu importieren und intellektuelles Kapital zu exportieren. Es ist noch zu früh, um endgültig über den Erfolg solcher Experimente zu urteilen. Aber sie zeigen, wie vorausschauende Führungskräfte die Tore ihrer Unternehmen weit öffnen, sogar für die Konkurrenz, und das Potenzial externer Ideen nutzen.
DIENSTLEISTUNG: Neuerungen kamen in Dienstleistungsunternehmen bislang eher durch Glück oder Zufall zustande. Die Bank of America hat ein Verfahren entwickelt, mit dem ServiceInnovationen gezielt kreiert und getestet werden können.
Von Stefan Thomke
Unsere Wirtschaft steckt in einem großen Dilemma: Die heutige Ökonomie hängt zunehmend von Dienstleistungen ab, doch unsere Innovationsprozesse orientieren sich nach wie vor an der Entwicklung physischer Produkte. Wir verfügen über bestens erprobte wissenschaftliche Methoden, um industriell hergestellte Güter zu entwickeln und zu verbessern – Methoden, deren Wurzeln letztlich bis in die Laboratorien von Thomas Edison zurückreichen.
Aber viele dieser Verfahren scheinen nicht auf die Welt der Dienstleistungen übertragbar zu sein. Unternehmen, die in der Entwicklung von Services nach Durchbrüchen streben, greifen meist auf informelle und weitgehend planlose Vorgehensweisen zurück: vom Brainstorming über Versuch und Irrtum bis zum Einsatz von Innovationsteams. Solche Maßnahmen mögen gelegentlich erfolgreich sein, aber sie bieten wenig Gelegenheit zum systematischen Lernen. Doch das ist erforderlich, um eine stetige und produktive Entwicklung von Dienstleistungen zu gewährleisten – und um die generelle Innovationskraft des Unternehmens zu stärken.
Die Probleme bei der Anwendung der formalen Verfahren klassischer Forschungs- und Entwicklungsarbeit (F&E) auf Services sind offensichtlich. Weil eine Dienstleistung nicht greifbar ist und oft nur in dem Moment existiert, da sie dem Kunden angeboten wird, ist es sehr schwer, sie in einer klassischen Laborsituation zu isolieren. Und weil viele Services zum Zeitpunkt des Kaufs auf den individuellen Kunden zugeschnitten sind, können sie nicht in großen Versuchsreihen getestet werden. Deshalb sind Experimente mit neuen Dienstleistungen am nützlichsten, wenn sie „live“ durchgeführt werden – mit wirklichen Kunden, die echte Transaktionen tätigen.
Diese Live-Tests erhöhen jedoch die Kosten eines möglichen Scheiterns; ein Experiment, das nicht erfolgreich ist, könnte die Kundenbeziehungen und sogar die Marke beschädigen. Live-Experimente sind auch schwieriger durchzuführen und zu messen. Wenn Sie das Labor verlassen und in das Chaos des realen Wirtschaftslebens eintauchen, müssen Sie alle Variablen, die im Experiment kontrolliert werden konnten, neu überdenken. Aus der Umwelt einströmende Informationen („Rauschen“) können das entscheidende Signal überlagern und machen es damit schwieriger zu bestimmen, ob tatsächlich jene Variable, die Sie gerade testen, den Effekt hervorruft, den Sie beobachten.
KOMPAKT
Service-Innovationen finden: Die uns bekannten Innovationsverfahren stammen allesamt aus der industriellen Ära, sind also auf die Entwicklung neuer Produkte ausgerichtet. Um Service-Innovationen hervorzubringen, sind die Verfahren der klassischen Forschung und Entwicklung nur sehr bedingt geeignet. Daher werden auch heute noch in den meisten Dienstleistungsbranchen Innovationen nicht gezielt entwickelt und nicht systematisch überprüft.
Service-Innovationen testen: Dienstleistungen existieren nur in dem Moment, in dem sie erbracht werden. Oft werden sie zudem auf die Kunden zugeschnitten, sodass sie nicht standardisiert getestet werden können. Unternehmen müssen Neuerungen „live“ testen. Dies bringt einige Risiken für den Geschäftsablauf mit sich, Kunden und Mitarbeiter reagieren möglicherweise irritiert. Deshalb müssen die Experimente sorgfältig geplant und umgesetzt werden.
Bei solchen Herausforderungen ist es keine Überraschung, dass die meisten Dienstleistungsunternehmen nicht die strikten und kontinuierlichen Verfahren aus der F&E anwenden. Eine Ausnahme von dieser Regel ist die Bank of America. In den vergangenen drei Jahren hat sie eine Reihe exakter Experimente durchgeführt, um neue Dienstleistungskonzepte für ihr Geschäft mit Privatkunden zu entwickeln. Letztlich hat die Bank einen Teil ihrer Filialen in ein Labor verwandelt, in dem ein Forschungsteam des Unternehmens während der regulären Geschäftszeiten Serviceexperimente mit wirklichen Kunden durchführt, die Resultate präzise beurteilt, sie mit Kontrollfilialen vergleicht und schließlich attraktive Innovationen identifiziert, die für eine breitere Einführung geeignet sind.
Das Programm der Bank of America ist ein „Work in Progress“ – es ist selbst ein Experiment. Es wurde in jedem Entwicklungsstadium verbessert. Einige seiner Elemente haben sich als erfolgreich erwiesen, einige nicht. Aber sowohl die Erfolge als auch die Fehlschläge haben der Bank sehr viele Einsichten darüber verschafft, wie Forschung und Entwicklung in einem Dienstleistungsunternehmen aussehen könnten.
Das Ende des 20. Jahrhunderts war für die US-Banken eine Zeit der schnellen Konsolidierung, und die Bank of America hat sich eifrig daran beteiligt. In drei Jahrzehnten, die geprägt waren von Unternehmenszusammenschlüssen und Zukäufen und 1998 in der 60-Milliarden-Dollar-Fusion mit der NationsBank gipfelten, wandelte sich die Bank von einem Westküsten-Unternehmen zu einem der größten Geldinstitute des Landes mit 4500 Filialen in 21 Staaten, annähernd 27 Millionen Privatkunden und 2 Millionen Firmenkunden.
Aber als das 21. Jahrhundert heraufdämmerte, sah sich die Bank of America, ähnlich wie andere große US-Banken, mit einem neuen Problem konfrontiert: Nachdem die Chancen auf günstige Akquisitionen schlechter geworden waren, musste sie Wege finden, organisch zu wachsen und das vorhandene Geschäft auszuweiten. Um das zu erreichen, wollte sie mehr Kunden anlocken und einen größeren Teil von deren Bedarf an Bankgeschäften abdecken.
Als Kenneth Lewis 1999 Chef der Bank wurde, war ihm klar, dass neue Ansätze für die Entwicklung und das Angebot von Dienstleistungen nötig waren, um die Schlacht um die Kunden zu gewinnen. Der alte Modus Operandi der Bankenbranche – biete denselben Service auf dieselbe Weise an wie deine Wettbewerber – war ein Rezept für Stagnation. Aber Lewis sah ein großes Hindernis für seine Vision: Für die Bank hatte Innovation nie Priorität gehabt, deshalb fehlte ihr jede formale Infrastruktur, um neue Serviceangebote zu entwickeln. Lewis sah, dass es für Neuerungen einer Revolution des Denkens und der Praxis bedurfte.
Die Keimzelle dieser Revolution war das Innovations- und Entwicklungsteam. Die Aufgabe dieser Abteilung bestand darin, ein Verfahren zur Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen bei der Bank einzuführen. Das Team hatte als unmittelbares Ziel, neue Dienstleistungen und Techniken für Serviceangebote auf den Weg zu bringen, um die Beziehungen der Bank zu ihren Filialkunden zu festigen und gleichzeitig bei den Transaktionen ein hohes Maß an Effizienz zu erreichen. Den Mitgliedern des Erneuerungssystems war klar, dass Innovationen im Feld getestet werden sollten. Deshalb beschlossen sie zusammen mit einigen erfahreneren Managern, einen für das konservative Bankgeschäft beispiellosen Schritt zu gehen: Sie wollten innerhalb des existierenden Filialnetzes einen „Markt für Innovationen“ schaffen – eine Anzahl von Niederlassungen, die nach Darstellung von Amy Brady, dem Leiter des Erneuerungsteams, eine Art „Testumgebung für kreative Ideen abgeben sollten, die dazu dienen sollten, die Zufriedenheit der Kunden zu erhöhen und den Umsatz zu steigern“. Der Testmarkt musste groß genug sein, um für eine breite Palette von Experimenten geeignet zu sein, aber auch klein genug, um die wirtschaftlichen Risiken zu begrenzen.
Die Bank wählte Atlanta als Ort für ihren Innovationsmarkt. Atlanta stellte für die Bank eine stabile Region dar – ihre letzte größere Akquisition hatte sie dort 1996 getätigt – und die Stadt lag nahe dem nationalen Hauptquartier in Charlotte, North Carolina. Die Filialen in Atlanta waren auch in technischer Hinsicht führend und sogar mit Breitbandanschlüssen ausgestattet. Zunächst wurden 20 der 200 Filialen in Atlanta dem Innovationsmarkt zugeordnet, die meisten lagen in wohlhabenden Vierteln, in denen anspruchsvolle Kunden wohnten, die an einem breiten Dienstleistungsangebot interessiert waren. Fünf weitere Filialen kamen später dazu. Die Manager jeder Filiale verpflichteten sich, eng mit dem Innovationsteam zusammenzuarbeiten und einen großen Anteil der für die Forschung notwendigen Mittel aus ihren eigenen Budgets zu bestreiten, um früh von den Innovationen profitieren zu können. Es war ein Risiko, das Programm in den Geschäftsalltag zu integrieren – schließlich bergen Experimente notwendigerweise Gefahren – aber das Team sah dies als wesentlich an. Nur wenn die Experimente unter realistischen Bedingungen – organisatorisch, betrieblich und wirtschaftlich – durchgeführt würden, konnte das Erneuerungsteam die Zuverlässigkeit seiner Ergebnisse gewährleisten.
Das Erneuerungsteam erkannte schnell, dass es schwierig werden würde, eine mannigfaltige Reihe von Tests innerhalb der Grenzen einer traditionell aufgebauten Bankfiliale durchzuführen. Für Experimente ist ein regelmäßiger Wechsel von Methoden und Verfahren notwendig, worauf weder die Angestellten noch die Einrichtung der Filialen vorbereitet waren. Deshalb beschloss das Team, in den 20 Filialen in Atlanta drei Alternativmodelle zu verwirklichen.
IN FÜNF SCHRITTEN ZUR NEUERUNG
Die Bank of America schuf ein strenges Verfahren, um Experimente für Innovationen zu ersinnen und durchzuführen. Jedem Stadium des Verfahrens wurden sorgfältig festgelegte Schritte zugeordnet. Außerdem wurden die erwünschten Ergebnisse, die Erfolgsfaktoren und Schlüsselmessgrößen festgelegt.
Fünf Niederlassungen wurden zu „Express-Centern“ umgestaltet, effizient und modernistisch ausgestattete Gebäude, in denen Kunden Routinetransaktionen wie Einzahlungen und Abhebungen zügig abwickeln konnten. Weitere fünf wurden in „Finanz-Center“ umgewandelt, weitläufige Geschäftsstellen, in denen eine entspannte Atmosphäre herrschte. Die Kunden fanden dort gut ausgebildetes Personal vor, und diese Zentren verfügten über ausgereifte Technik für anspruchsvolle Serviceleistungen wie Aktienhandel oder Portfolio-Management. Die verbleibenden zehn Filialen sahen weiterhin aus wie die traditionellen Center: Sie boten ein vertrautes Ambiente, in dem konventionelle Bankdienstleistungen verkauft wurden, wenn auch häufig durch neue Techniken und Verfahren unterstützt.
Das Innovationsteam eröffnete die erste umgebaute Filiale, ein Finanz-Center, im Herbst 2000 im vornehmen Stadtteil Buckhead. Der Kunde wurde an der Tür von einem Gastgeber begrüßt – eine Idee, die von Wal-Mart und anderen Einzelhandelsketten übernommen wurde. An freistehenden Kiosken standen Mitarbeiter bereit, um den Kunden zu helfen, ein Konto zu eröffnen, Darlehen aufzunehmen, Kopien alter Schecks aufzufinden, sogar Aktien zu kaufen und zu verkaufen oder Wertpapierdepots anzulegen. An einer „Investment Bar“ konnte der Kunde per Computer seine Bankgeschäfte erledigen, sein Wertpapier-Portfolio überprüfen oder einfach im Internet surfen. Es gab bequeme Sofas, wo er entspannen, kostenlos Kaffee schlürfen und Finanzmagazine und andere Investment-Literatur lesen konnte. Und wenn der Kunde bei einem Kassierer warten musste, konnte er die wenigen Minuten in der Schlange damit verbringen, Fernsehnachrichten oder elektronische Aktienticker zu verfolgen. Was dem Kunden dagegen vermutlich nicht auffiel, war die Tatsache, dass alle diese neuen Angebote diskrete Experimente waren und dass seine Reaktionen darauf sorgfältig aufgezeichnet und gemessen wurden.
Bei der Auswahl und Durchführung der Experimente in den Testfilialen ging das Erneuerungsteam nach einem detaillierten Fünf-Schritte-Plan vor (siehe Tabelle Seite 22/23).
Der erste kritische Schritt war, Ideen für mögliche Experimente zu entwickeln und diese dann zu gewichten und zu priorisieren. Die Ideen kamen von Teammitgliedern und Filialangestellten und wurden häufig angeregt durch Analysen vergangener Studien zur Kundenzufriedenheit und andere Marktforschungsstudien. Jedes potenzielle Experiment wurde in ein „Ideen-Portfolio“ eingebracht, eine Tabelle, die das Experiment beschrieb, den Prozess oder das Problem, dem es sich widmete, das Kundensegment, auf das es abzielte, und den aktuellen Status. Das Team wies jedem Experiment hohe, mittlere oder niedrige Priorität zu. Grundlage dieser Kategorisierung war vor allem der beabsichtigte Einfluss auf die Kunden. Außerdem berücksichtigte das Team, wie die jeweiligen Experimente zur Strategie, zu den Zielen und zur Finanzsituation der Bank passten. In einigen Fällen wurden Fokusgruppen gebildet, um ein grobes Gefühl dafür zu bekommen, wie sich eine Idee für den Kunden auswirken könnte. Im Mai 2002 gab es schon mehr als 200 neue Ideen und 40 davon wurden in offiziellen Experimenten getestet.
Wenn eine Idee einmal grünes Licht bekommen hatte, musste das Experiment entworfen werden. Das Erneuerungsteam wollte so viele Tests wie möglich durchführen, deshalb strebte es danach, jedes Experiment schnell zu planen. Um dabei besser voranzukommen, baute die Gruppe in der Zentrale in Charlotte den Prototyp einer Filiale nach, in der sie die einzelnen Schritte eines Experiments üben und eventuelle Probleme beheben konnte, bevor sie damit „live“ ging.
So konnte das Team zum Beispiel die für jeden Schritt einer Transaktion benötigte Zeit messen. Wenn für das Experiment die Mitwirkung eines Spezialisten – etwa eines Hypothekenexperten – nötig war, konnte die Gruppe den entsprechenden Fachmann der Bank in Anspruch nehmen und ihm die fragliche Aufgabe übertragen. Wurde das Experiment dann in einer der Filialen in Atlanta durchgeführt, waren die meisten Schwachstellen beseitigt. Die Einrichtung der Prototyp-Filiale spiegelte einen Grundsatz der Experimente mit Dienstleistungen wider: Fehler im Entwurf oder im Ablauf einer Testserie sollten in einem Labor ohne Kunden beseitigt werden, bevor das Dienstleistungsangebot in einer „Live“-Umgebung erprobt wurde.