Hans Brunner, Dietmar Knitel,
Robert Mader, Paul Josef Resinger
LEITFADEN ZUR BACHELOR-
UND MASTERARBEIT
Hans Brunner
Dietmar Knitel
Robert Mader
Paul Josef Resinger
LEITFADEN ZUR BACHELOR- UND MASTERARBEIT
Einführung in wissenschaftliches Arbeiten
und berufsfeldbezogenes Forschen
an Hochschulen und Universitäten
Hans Brunner
Dietmar Knitel
Robert Mader
Paul Josef Resinger
Leitfaden zur Bachelor- und Masterarbeit
Einführung in wissenschaftliches Arbeiten
und berufsfeldbezogenes Forschen
an Hochschulen und Universitäten
Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage
ISBN 978-3-8288-6260-9
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter
der ISBN 978-3-8288-3534-4 im Tectum Verlag erschienen.)
Umschlagabbildung: complize/photocase.de
Tectum Verlag Marburg, 2015
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind
im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Inhalt
Zum Buch
1Einleitende Gedanken
2Zur Theorie der berufsfeldbezogenen Forschung
3Grundlegende Aspekte von Forschung
3.1Kategorien von Forschung
3.2Quantitative und qualitative Methoden
3.3Eigenschaften von Daten
3.4Gütekriterien empirischer Forschung
3.5Auswahl von Forschungsmethoden
3.6Ethische Aspekte der Forschung
4Formale Kriterien für eine Bachelor-/Masterarbeit
4.1Nachzuweisende Qualitätskriterien
4.2Auf einen Blick: Schematische Darstellung des Ablaufs einer Bachelor-/Masterarbeit (sofern aus layouttechnischer Sicht möglich)
4.3Aufbau einer Bachelor-/Masterarbeit
4.4Formatierung, Text- und Seitengestaltung
4.5Automatisches Literaturverzeichnis mit Microsoft WORD
4.5.1Auswahl der Formatvorlage
4.5.2Quellen anlegen und Quellentyp auswählen
4.5.3Quellentypen
4.6Zitieren im Text
4.7Hinweise zum Urheberrecht bei Bildern
4.7.1Bilder mit CC-Lizenz
4.7.2Quellenangabe bei Bildern
4.7.3Automatisiertes Quellenverzeichnis
5Verfassen wissenschaftlicher Texte
5.1Erste Informationen sammeln und strukturieren
Exkurs: Free Writing
5.2Keine überhöhten Ansprüche an sich selbst stellen
5.3Klar und verständlich formulieren
6Von der Themenfindung zum Konzeptpapier
6.1Themenfindung
6.2Betreuer/in finden
6.3Literaturrecherche
6.4Typen und Formulierung von Forschungsfragen
6.5Mögliche Erklärungen und Antworten – die Hypothese
6.6Ein Konzeptpapier erstellen
7Daten gewinnen – Forschungsmethoden
7.1Stichprobe
7.2Befragung
7.2.1Mündliche Befragung (Interview)
7.2.2Schriftliche Befragung (Fragebogen)
7.2.3Richtlinien zur Erstellung von Befragungsinstrumenten
7.3Beobachtung
7.3.1Formen der Beobachtung
7.3.2Lernseits forschen
7.4Inhaltsanalyse
7.4.1Gegenstand inhaltsanalytischer Verfahren
7.4.2Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse
7.4.3Fotodokumentation
7.4.4Videodokumentation
7.4.5Gestalterisches Feedback zum Unterricht
8Qualitative Daten auswerten
9Quantitative Daten auswerten
9.1Grundlagen der Statistik
9.1.1Deskriptive versus analytische Statistik
9.1.2Statistische Grundbegriffe
9.1.3Arbeiten mit Excel
9.2Daten analysieren – Beschreibung von Verteilungen
9.2.1Erstes Ordnen
9.2.2Häufigkeitsverteilung
9.2.3Lagemaße – zentrale Tendenz einer Häufigkeitsverteilung
9.2.4Streuungsmaße – Streuung oder Dispersion der Verteilung
9.2.5Zusammenhänge zwischen Variablen
10Beurteilungskriterien für die Bachelor-/Masterarbeit
11Literaturverzeichnis
12Anhang
12.1Abbildungsverzeichnis
12.2Tabellenverzeichnis
Zum Buch
Für uns Autoren ist es besonders erfreulich, dass das vorliegende Buch bereits in der dritten Auflage erscheinen kann. Es soll den immer heterogener werdenden Studierendenpopulationen an Hochschulen und Universitäten eine Hilfe und ein Leitfaden beim Erstellen einer Bachelor- oder Masterarbeit sein. Wenngleich die verschiedenen Beispiele hauptsächlich aus dem Berufsfeld »Schule« genommen sind, wird es der Leserin/dem Leser nicht schwer fallen, diese auf andere Anwendungsbereiche zu transferieren.
Die dritte, erweiterte Auflage bietet eine Vielzahl an Vorschlägen für das Erstellen von Bachelor- und Masterarbeiten nach formal-wissenschaftlichen Kriterien und für Methoden des berufsfeldbezogenen Forschens.
In Kapitel 1 wird die Leserin/der Leser dazu animiert, sich auf wissenschaftlicher Basis mit verschiedenen aktuellen und wichtigen Fragen und Themenbereichen unserer Zeit zu beschäftigen, diese mit wissenschaftlichen Methoden zu durchleuchten und deren Ergebnisse entsprechend darzustellen, zu analysieren und zu interpretieren.
Eine Einführung in die Thematik des berufsfeldbezogenen Forschens (Aktionsforschung) erfolgt in Kapitel 2 und es werden genauer dessen (deren) wesentliche Merkmale erläutert.
In Kapitel 3 beschäftigen sich die Autoren mit grundlegenden, einführenden Aspekten von Forschung. Zusätzlich wird auf die ethische Vertretbarkeit eines jeden Forschungsvorhabens kurz eingegangen.
Formale Kriterien, die für das Verfassen von Bachelor- und Masterarbeiten beachtet werden müssen, werden in Kapitel 4 ausführlich behandelt. Veranschaulicht werden diese Vorgaben durch entsprechende, dazugehörige Beispiele.
In Kapitel 5 werden Vorschläge gemacht, wie Studierenden der Einstieg in den wissenschaftlichen Schreibprozess erleichtert werden kann und wie eventuell bestehende Schreibhemmungen abgebaut werden können.
Der Prozess der Themenfindung, die Literaturrecherche, die Formulierung von Forschungsfragen bis hin zum Erstellen eines Kozeptpapiers sind Punkte, die in Kapitel 6 behandelt werden.
In Kapitel 7 setzen sich die Autoren zunächst mit der Stichprobenthematik in wissenschaftlichen Arbeiten auseinander und beschäftigen sich in der Folge mit den Forschungsmethoden der Befragung, Beobachtung und Inhaltsanalyse.
Grundlegende Fragen der Statistik und die Auswertung sowie Interpretation von qualitativ und quantitativ erhobenen Daten sind in den Kapiteln 8 und 9 Thema.
In Kapitel 10 werden – jenseits der Prüfungsordnung einer betreffenden Institution – Kriterien vorgesellt, die für die Beurteilung von Bachelor- und Masterarbeiten zum Tragen kommen.
Abschließend möchten wir uns bei Studierenden, Kolleginnen und Kollegen für die konstruktiven Rückmeldungen herzlich bedanken.
Innsbruck, im September 2015
1 Einleitende Gedanken
Es steht heute außer Frage, dass sich Schule und Unterricht nur dann weiterentwickeln können, wenn auch Lehrer/innen (und nicht nur externe Wissenschaftler/innen) systematisch die Qualität des Lehrens und Lernens an ihrer Schule und die Bedingungen, unter denen Lehrende und Lernende arbeiten, immer wieder einer eingehenden Reflexion unterziehen und permanent zu verbessern versuchen. Dazu gehört es, sowohl Probleme des Alltags (der Praxis) aufzuzeigen, zu analysieren und zu bewältigen, als auch innovative Akzente zu setzen.
»Forschung bildet, indem sie begründet zu zweifeln lehrt.« Mit dieser These leitet Hubert Markl (2009, S. 154), Professor für Biologie an der Universität Konstanz, seinen Beitrag in einem Sammelband ein, der sich im Allgemeinen mit der Frage »Was ist Bildung?« und im Speziellen mit dem Verhältnis zwischen Bildung und Forschung beschäftigt. Folgt man dem Autor, dann muss jede/r, die/der forschen will, zunächst einmal befähigt werden, (tradierte) Theorien anzuzweifeln. Wer sich in die Welt der Forschung begibt, muss zunächst lernen Fragen zu stellen. Oder, um es in den Worten von Lotte Ingrisch (1986, S. 10) zu sagen: »(…) Antworten schließen die Welt, Fragen öffnen sie. Nicht von Antwort zu Antwort wachsen wir, sondern von Frage zu Frage.«
Das Positive an Forschung ist, dass sie Mutmaßungen und Behauptungen in Frage stellt und dafür seriöse Belege verlangt. Schon Wilhelm von Humboldt weist zu Beginn des 19. Jahrhunderts darauf hin, dass Forschung auch bildet. Besonders für angehende Lehrer/innen ist es wichtig über Forschungsaktivitäten Erfahrung zu sammeln. Sie lernen dabei »Tatsachen« nicht unbedingt als gegeben anzunehmen, sondern darüber zu reflektieren und abzuwägen.
Die Probleme der heutigen Zeit sind viel zu komplex und vielschichtig, als dass es die »einfache« Lösung gäbe. Diese wird allzu oft von modernen »Rattenfängern« propagiert, ist öfters falsch oder nur in Teilaspekten richtig, in manchen Fällen sogar gefährlich. Gerade Sätze wie »Das ist richtig, das haben wir schon immer so gemacht« sind in einer Zeit des Wandels mit Vorsicht zu genießen. Sehr oft verbergen sich dahinter Angst vor Veränderung, aber auch Bequemlichkeit oder Unsicherheit.
»Forschung bildet am nachhaltigsten, indem sie anstelle von Vorurteilen und bloßen Mutmaßungen nachweisliche Belege verlangt, Befunde aus Experimenten genauso wie logische Schlussfolgerungen daraus. Dadurch lehrt sie, unbegründeter Wissensanmaßung mit guten Gründen zu widersprechen« (Markl, 2009, S. 162).
Aus-, Fort- und Weiterbildungsziel von (angehenden) Lehrpersonen muss es sein, eine Haltung Grund zu legen, die sie dazu befähigt und motiviert, aktuelle Forschungserkenntnisse in den Unterricht mit einzubeziehen bzw. sich selbst als forschende Lehrende und Lernende zu verstehen. Letzteres ist vor allem dann entscheidend, wenn Qualitätssicherung und -entwicklung am Schulstandort nicht nur Schlagworte bleiben sollen. Jede Lehrperson soll befähigt werden, im eigenen Unterricht sowie gemeinsam mit Kolleginnen/Kollegen an der Schule Erhebungen nach grundlegenden Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens durchzuführen (z. B. systematisches Einholen von Schüler/innen/feedback, vergleichende Leistungsmessungen von Schülerinnen/Schülern eines Jahrgangs etc.).
Dieses Buch soll dazu beitragen, (zukünftige) Lehrer/innen mit einem grundlegenden Methoden-Repertoire auszustatten, damit sie selbst untersuchend und gestaltend dort ansetzen können, wo sie in ihrer Profession etwas verbessern möchten: im Unterricht, in der Beziehung zu den Schülerinnen/Schülern, Kolleginnen/Kollegen, Eltern, schulexternen Anspruchsberechtigtengruppen etc.
Dies schließt mit ein, angehende und im Beruf stehende Lehrer/innen zu ermutigen, ihre eigenen Sichtweisen und Entscheidungen einer kritischen Reflexion zu unterziehen. Es ist ein Zeichen professionell handelnder Lehrpersonen, eigenes Handeln zu reflektieren und dessen Qualität permanent weiterzuentwickeln. »Dieses Konzept von Professionalität im Lehrberuf erfordert eine neue Balance von Aktion und Reflexion und von individueller Autonomie und kollegialer und schüler/innenbezogener Zusammenarbeit« (Posch, 2001, S. 29). Das oft zitierte »ICH und MEINE Klasse« umschreibt diese alte Sichtweise von Schule und Unterricht. Innovative Schulen fühlen sich verpflichtet, eine zeitgemäße Kultur des Lernens und Lehrens einzurichten. Sie agieren dynamisch und nicht träge, treiben den Wandel voran ohne auf Bewährtes zu verzichten und leben den Leitsatz »WIR und UNSERE Schule«. Für Hentig (2003, S. 244) muss die Veränderung von der Basis, also von den Schulen ausgehen, »sonst verfehlt sie ihren Anlass und Zweck. Die Schulen müssen die Veränderung wollen, und sie müssen sie sich zutrauen.«
Reformbedarf besteht nicht erst seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der PISA-Studien (z. B. Haider & Reiter, 2004). Unser Bildungssystem muss sich regelmäßig mit Reformen auf allen Systemebenen und in verschiedenen pädagogischen Feldern auseinandersetzen: Schulverwaltung, Schulaufsicht, Sekundarstufe, Lehrer/innenbildung, Frühförderung, binnendifferenzierter Unterricht, Klassenschüler/innenhöchstzahlen, Tagesbetreuung etc. sind nur einige Schlagworte, die Bereiche aufzeigen, in denen Änderungs-/Entwicklungsbedarf besteht. Vor dem Hintergrund der aktuellen bildungspolitischen Entwicklungen scheint die Hentig’sche Vision weit entfernt von der schulischen Realität.
Für Luhmann (1996, S. 22) liefern vor allem die Paradoxien im Erziehungssystem »einen Daueranlass für Kritik und Reform, also für die Selbstbeschäftigung des pädagogischen Establishments.« In Kreisen der Wissenschaft wird nicht nur mehr von einer »Krise der Schulsysteme« gesprochen, sondern von einer Krise der Gesellschaft, »die nach dem Zusammenbrechen der Gewissheiten versucht, sich in der Komplexität der neuen gesellschaftlichen Ansprüche, Widersprüche und Paradoxien zurechtzufinden« (Gather Thurler & Schley, 2006, S. 22).
»Die Krise, mit der sich die Schule auseinandersetzen muss, ist somit nicht ‚bloß’ eine ‚Strukturkrise’ im Sinne einer Fehlanpassung der Schule an funktionale Gegebenheiten, sondern Ausdruck einer tiefer gehenden Veränderung« (ebd., S. 23).
Die vom kanadischen Erziehungswissenschafter Michael Fullan getätigte Aussage »Schools change slower than churches« (Fullan, 2001, S. 14) spielt auf die Resistenz des Bildungssystems gegenüber Veränderungen an. Das System Schule agiert traditionellerweise in einem geschützten Raum, weshalb es nur träge auf Herausforderungen und Bildungsansprüche der Systeme seiner Umwelt reagiert (Luhmann, 1996, S. 14 ff.). Es scheint, dass ein Wandel des Bildungssystems immer nur dann stattfindet, wenn die investierte »Energie in die Verhinderung« nicht mehr ausreicht oder der Anpassungsdruck, der von den Umweltsystemen ausgeht, »und damit der Preis, der am Ende bezahlt werden muss« (Doppler & Lauterburg, 2014, S. 75), zu groß wird.
Vor diesem Hintergrund geht es nicht mehr um die Frage, »ob die Bildungsinstitutionen die Aufgaben und die Ziele, die ihnen gestellt sind, erreichen, sondern in einem grundsätzlicheren Sinne darum, […] dass im gesamten Feld von Sozialisation und Erziehung, Bildung und Ausbildung die herkömmlichen inhaltlichen, personellen und institutionellen Formen den Entwicklungstendenzen moderner Gesellschaften womöglich nicht mehr entsprechen« (Mayr & Terhart, 2003, S. 4 f.). Die heutige Pädagogik stellt für Schürch (2002, S. 49) ein Denkmal dar, »das in der Schuld einer Vergangenheit großer Autoren steht, aber nicht im Stande war, in die Welt der neuen Kommunikation einzutreten«. Hartmut von Hentig stellt daher auch die Forderung, dass die Schule neu gedacht werden müsste:
»Die Aufforderung ‚Die Schule neu denken’ ist zwar nicht als Absage an ‚Die Schule neu machen’ gedacht, aber sie enthält den entschiedenen Zweifel, man könne sie ernstlich neu machen, wenn man sie vorher nicht ernstlich neu gedacht habe« (Hentig, 2003, S. 178).
»Die Schule neu denken« geht über die Anpassung an neue Verhältnisse hinaus, es wird der Sinn von Schule überdacht und ihre zugrunde liegenden Ideen werden zu einer neuen Denkfigur zusammengefügt. Der für Schulen noch bevorstehende Wandel wird daher kein »change in fashion« (Cheng, 2002, S. 6), sondern ein fundamentaler sein.
Schulen haben unserer Ansicht nach zwei Optionen: Entweder sie lassen sich bei ihrer Weiterentwicklung von den Bildungsreformen treiben oder sie lassen sich im Rahmen der bestehenden gesetzlichen und strukturellen Möglichkeiten von ihrer eigenen Reformagenda leiten. Im Zentrum standortbezogener Reformbemühungen soll die Entwicklung der Unterrichtsqualität stehen, denn »der Bildungseffekt von Schule beruht wesentlich auf dem Gelingen von Lehren und Lernen, den Hauptaufgaben von Lehrern/innen bzw. Schülern/innen« (Schratz, Iby & Radnitzky, 2000, S. 36).
2 Zur Theorie der berufsfeldbezogenen Forschung
Wer sich von der Reformagenda leiten lassen möchte, wer Schul- und Unterrichtsentwicklung betreiben möchte, der muss bereit sein, Strukturen aufzubrechen und sich und anderen etwas zutrauen.
Die Aktionsforschung entstammt dieser Idee. Dem Konzept der Aktionsforschung zu folgen bedeutet, Schule von Anfang an als eine Institution zu begreifen, deren Praxis »forschend« zu evaluieren, weiterzuentwickeln und neu zu gestalten ist.
Wenn Angehörige einer Berufsgruppe ihre berufliche Situation systematisch reflektieren, mit dem Ziel die Qualität ihrer Arbeit zu sichern und weiterzuentwickeln und die Erkenntnisse dem Berufsstand weiterzugeben, spricht die Wissenschaftstheorie von Aktionsforschung (action research) bzw. von berufsfeldbezogener Forschung.
Der Begriff »action research« stammt von Kurt Lewin. Die Begriffe »Handlungsforschung«, »Aktionsforschung«, »action research« oder »Praktikerforschung« können synonym verwendet werden. Berufsfeldbezogene Forschung im Kontext des Lehrer/innenberufs bedeutet, dass Lehrer/innen ihren Unterricht systematisch beschreiben, reflektieren und auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse weiterentwickeln. Demnach ist Aktionsforschung »die systematische Untersuchung beruflicher Situationen, die von Lehrerinnen und Lehrern selbst durchgeführt wird, in der Absicht, diese zu verbessern« (Elliott, 1998; zitiert nach Altrichter & Posch, 2007, S. 13).
Hinter der von Lawrence Stenhouse geprägten Metapher der forschenden Lehrerin/des forschenden Lehrers (teacher as researcher) steckt ein anderes, das Hentig’sche Selbstverständnis des Lehrerberufs: eine von der Basis ausgehende, autonome berufliche Weiterentwicklung durch systematisches Reflektieren der eigenen Arbeit, durch das Studium der Arbeit anderer Lehrer/innen und durch die Überprüfung pädagogischer Ideen durch Forschung im Klassenzimmer.
Die zentralen Merkmale berufsfeldbezogener Forschung (Aktionsforschung) werden von Altrichter & Posch (2007, S. 15 ff.; auch Altrichter & Feindt, 2004, S. 84 ff.) wie folgt verständlich zusammengefasst:
Aktionsforschung
•Sie ist Forschung von Betroffenen für Betroffene. Aktionsforschung unterscheidet sich von der traditionellen empirischen Forschung, wo der/die Forscher/in außerhalb des untersuchten Feldes steht. Der/Die Forscher/in untersucht nicht das eigene Tun, sondern das Handeln anderer Menschen. Die beforschten Menschen werden zum Gegenstand der Erkenntnis.
•Sie formuliert praxisrelevante Fragestellungen. Aktionsforschung setzt bei Fragen der schulischen Praxis an. Die Lehrer/innen formulieren Fragestellungen aus ihrer eigenen Praxis, die sie als bedeutsam für ihre Arbeit ansehen. Solche Fragestellungen können sich beziehen auf:
–den Unterricht,
–die Beziehung Schule-Elternhaus,
–die Thematik Leistungsfeststellung und -beurteilung,
–das Schul- und/oder Klassenklima,
–die Lesekompetenzförderung,
–die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund,
–das Freizeitverhalten von Kindern und Jugendlichen usw.
•Sie setzt Aktion (Handeln in der Praxis) und Reflexion (das Nachdenken darüber) in Beziehung. Reflexion bedeutet demnach:
–sich vom eigenen Tun distanzieren,
–sich selbst beobachten,
–das Spezifische der Situation erfassen,
–das Allgemeine im spezifischen Fall erkennen,
–Schlüsse ziehen,
–ein Repertoire an Alternativen entwickeln.
Reflexion wird als notwendig erachtet für ein praktisch-professionelles Handeln. Das Nachdenken über bisherige Erfahrungen und daraus Schlüsse zu ziehen führt zum Vordenken für die nächste Situation mit dem Ziel, dazu ein größeres Repertoire an Alternativen zur Verfügung zu haben.
Beispiel
Wenn eine Lehrperson durch Reflexion erkennt, dass sie in Unterrichtssituationen zu lehrer/innenzentriert unterrichtet und dadurch zu wenig das selbsttätige und selbstständige Lernen ihrer Schüler/innen fördert, besteht die Chance, dass sie durch diesen Reflexionsprozess den eigenen Unterricht weiterentwickelt. Aktionsforschung ist darauf ausgerichtet, dass der/die Aktionsforscher/in, also der/die von einer sozialen Situation direkt Betroffene, Aktion und Reflexion immer wieder aufeinander bezieht. Dem Handeln werden durch die Reflexion neue Möglichkeiten eröffnet und die Reflexionsergebnisse werden durch das Handeln einer Überprüfung unterzogen.
•Aktionsforschung besteht aus längerfristigen Forschungs- und Entwicklungszyklen. Da Reflexion in die tägliche Unterrichtsarbeit eingebettet ist, wird die Theorie laufend getestet und in einem kontinuierlichen Zyklus von Aktion und Reflexion weiterentwickelt.
•Aktionsforschung ist durch ein doppeltes Ziel gekennzeichnet: Es wird gleichzeitig Erkenntnis (als Ergebnis von Reflexion) und Entwicklung (als Ergebnis von Aktion) angestrebt. Aktionsforschung will sowohl das Wissen über die Praxis, als auch die Praxis selbst weiterentwickeln.
Handlungsalternativen für künftige Praxis leiten sich nicht nur aus der Selbstreflexion der eigenen Erfahrungen ab. Das Erfassen einer spezifischen Situation, das Entwickeln guter Praxis gelingt manchmal erst im Kontext einer diskursiven Auseinandersetzung, d. h. wenn wir versuchen, die Situation, das Phänomen oder auch das Problem einer Kollegin/eines Kollegen zu schildern.
Wenn Lehrer/innen gemeinsam »forschen«, dann besteht gerade in einem solchen Forschungsprozess die Möglichkeit, in Diskussionen wichtige Maßnahmen und/oder erste Erkenntnisse zu diskutieren und/oder externe Personen als critical friends mit einzubinden. Je mehr Personen in den Austauschprozess involviert werden, desto vielschichtiger wird die Betrachtungsweise.
Beispiel
Verhaltensvereinbarungen einer Schule werden von Schülerinnen/Schülern und Eltern und Lehrerinnen/Lehrern mit verschiedenen Methoden analysiert, interpretiert und dann miteinander verglichen.
Ein solcher Austausch (Diskurs) erfordert auf lange Sicht im Sinne einer Kollektivierung solcher Reflexions- und Lernprozesse eine gemeinsame Sprache, die eine differenzierte Auseinandersetzung ermöglicht. Die Fähigkeit sich selbst und sein Umfeld kritisch und distanziert betrachten zu können, Selbstkritik zu entwickeln und sich in den Diskurs einzubringen bzw. ihn zu gestalten, sind somit Kennzeichen professionellen Lehrer/innenhandelns.
Forschendes, experimentierendes und entdeckendes Lernen sind eine bewährte Methode im schulischen Unterricht und können in der Ausbildung an Prinzipien der Forschung gezeigt werden. Von einer praxisnahen Fragestellung auszugehen und diese durch empirische Daten zu beantworten, kann eine spannende Tätigkeit sein, die sowohl auf den Studienalltag als auch auf die Schulpraxis befruchtend wirkt. Es ist der »fremde Blick« auf eine Behauptung, eine Einstellung oder eine Handlung, die eine notwendige Veränderung seriös herbeiführen kann (Zutavern, 2001, S. 25).
Mit dem Konzept der Aktionsforschung/Berufsfeldbezogenen Forschung werden Handlungsformen verfügbar, welche schon in der universitären Grundausbildung die Anbahnung eines lebenslangen Lernprozesses möglich machen. Lehrer/innen werden ihre Kompetenz nicht zuletzt angesichts der gegenwärtigen Veränderungen in der Gesellschaft und der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen lebenslang weiterentwickeln (müssen). Das ist ein niemals abgeschlossener Prozess. Entscheidend wird dabei sein, die »forschende« Tätigkeit nicht als Last, sondern als eine besondere Chance zu sehen, die eigene Kompetenz professionell weiterzuentwickeln und an der Qualitätsentwicklung von Schule und Unterricht mitzuarbeiten.
Berufsfeldbezogene Forschung hat auch mit dem Schreiben einer Bachelor-/Masterarbeit vieles gemeinsam. Der Ausgangspunkt einer solchen Arbeit kann ein prägendes Erlebnis im Unterricht, das neugierige Experimentieren mit einer Idee oder die Absicht, eine verworrene Situation klären zu wollen, ebenso sein wie eine zwiespältige Erfahrung, ein Widerspruch, ein Konflikt oder eine pädagogische Herausforderung. Es wird ein Thema gewählt, von dem der/die Forscher/in direkt oder indirekt betroffen ist. Es wird also eine praxisrelevante Fragestellung formuliert. Grundlage für das Forschungsvorhaben ist dabei primär das persönliche Erkenntnisinteresse. Die Forschungsfrage wird demnach einen persönlichkeitsbezogenen Aspekt aufweisen. Während der Forschungstätigkeit werden Aktion und Reflexion in Beziehung gesetzt. Die bisherigen Unterrichtserfahrungen fließen unmittelbar in die Forschungsarbeit ein (Aktion – Reflexion – Aktion). Zusätzlich werden diese Erfahrungen laufend reflektiert und analysiert. Dazu muss auch Literatur gefunden werden aus der sich Informationen erschließen.
Das Lesen von Literatur bedeutet auch, gegensätzliche Meinungen zu tolerieren oder vorgeschlagene Lösungen kritisch zu beurteilen. Schließlich braucht es den Mut, das Gelesene mit den eigenen Erfahrungen zu verknüpfen und Schlussfolgerungen für das eigene unterrichtliche Handeln zu ziehen.
Die durch Forschung gewonnenen Erkenntnisse werden (idealtypisch) unmittelbar Einfluss auf die Arbeit der/des Forschenden haben. Sie verändern ihr/sein Handeln aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse. Dieser Schritt ist oft eine echte Herausforderung, da hier »gemessen« werden kann, wieweit die Verknüpfung von Erfahrenem und Reflektiertem wirklich vollzogen wird. Die Handlungsalternativen können wiederum Ausgangspunkt von Reflexion sein. Man will ja schließlich wissen, welche Wirkungen mit einer solchen Verhaltensänderung erzielt wurden (längerfristige Forschungs- und Entwicklungszyklen).
3 Grundlegende Aspekte von Forschung
Das Ergebnis eines Forschungsprojekts ist die Antwort auf eine oder mehrere Forschungsfragen. Anders ausgedrückt: Die Beantwortung von (neuen) wissenschaftlich relevanten Fragen ist zentrales Thema einer Forschungsarbeit. Durch die Beantwortung einer Forschungsfrage entsteht ein Erkenntniszuwachs – nicht nur für die forschende Person, sondern idealtypisch auch für die Wissenschaft.
3.1 Kategorien von Forschung
Forschungsarbeiten können in folgende Kategorien (Schwetz et al., 2008, S. 46 ff.) eingeteilt werden:
•Explorative Untersuchungen zum Erforschen eines Forschungsbereiches, der zum Teil oder zur Gänze unbekannt ist. Dazu zählt auch die Grundlagenforschung, bei der die Anwendung bzw. Umsetzung der Erkenntnisse in der Praxis (z. B. im Unterricht) nicht im Vordergrund steht. Die Grundlagenforschung bildet das Fundament für die angewandte Forschung.
Beispiele: Es gibt wenig Wissen über die soziale Struktur in Integrationsklassen, das auf empirischen Daten beruht.
Es wird berichtet, dass bereits Schüler/innen im Alter von elf Jahren zur Zigarette greifen. Man weiß aber nicht genau, warum das so ist.
•Deskriptive Untersuchungen zum Beschreiben und Erklären eines Forschungsbereiches. Dazu zählen u. a. Untersuchungen zur Systembeobachtung (z. B. Internationale Leistungsvergleiche wie die Lesekompetenzmessung bei 15-Jährigen). Zu einer deskriptiven Untersuchung würde auch eine Befindlichkeitsstudie zum Thema »Schule als sozialer Ort« zählen.
•Untersuchungen zur Praxisentwicklung. Dazu zählen die Aktions- sowie die Evaluationsforschung oder die anwendungsbezogene Forschung. Die Evaluationsforschung stellt Fragen nach der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit (pädagogischer) Maßnahmen zur Erreichung eines Zieles.
3.2 Quantitative und qualitative Methoden
Unter einer Methode (griechisch: nachgehen, verfolgen) wird allgemein ein »mehr oder weniger planmäßiges Verfahren, ein Weg oder eine bestimmte Handlungsweise zur Erreichung eines Ziels« (Hug, 2001, S. 11) verstanden. In der Wissenschaft ist methodisches Arbeiten eine Vorgehensweise, um systematisch neue Erkenntnisse zu gewinnen.
Die berufsfeldbezogene Forschung zählt zur empirischen Forschung. Der Begriff »Empirie« kann zunächst einmal mit »Erfahrung« übersetzt werden. In der Wissenschaft bezeichnet der Begriff Empirie (Erfahrung; vom griechischen Wort empereia) eine Theorie, die sich auf Erfahrungen stützt, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Dabei wird angenommen, dass jede Erkenntnis auf Erfahrung zurückzuführen ist.
Empirie im Sinne von »wissenschaftlicher Erfahrung« meint »das Erheben von Daten über Sachverhalte und Vorgänge, die durch mehr oder weniger genau vorstrukturierte Verfahren gewonnen werden« (Hug, 2001, S. 19). Dabei wird grundsätzlich zwischen quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden unterschieden (z. B. Wolf, 1995). Hinter dieser Unterscheidung stehen zwei grundsätzlich verschiedene Forschungsparadigmen, deren Grenzen in letzter Zeit immer mehr aufgeweicht werden, d. h. es besteht die Tendenz, sowohl quantitative als auch qualitative Methoden der Datenerhebung und -auswertung in einem Forschungsprojekt anzuwenden, die entsprechend einem komplementären Methodenverständnis unterschiedlich kombiniert werden (können), »weil komplexe soziale Phänomene nur durch mehrdimensionale, interdisziplinäre und multimethodische Forschungskonzeptionen realitätsgerecht erfasst werden können« (Fried, 2002, S. 183). Für diese »sowohl als auch« bzw. »und« Position »hat sich im angelsächsischen Sprachraum der Begriff Mixed-Methods [sic] durchgesetzt« (Brühl & Buch, 2006, S. 3).
Quantitative Methoden (z. B. Fragebogen, Tests) sind standardisiert und zielen darauf ab, Häufigkeitsverteilungen, Größenordnungen, Wahrscheinlichkeiten, zähl- und messbare Erscheinungen zu erheben, sowie auf Gesetzmäßigkeiten und verallgemeinerbare Aussagen über Sachverhalte und Vorgänge in der Gesellschaft zu stoßen. Vor allem Letzteres, nämlich das Finden von Gesetzmäßigkeiten und verallgemeinerbaren Aussagen wird durch Verfahren und Techniken der schließenden Statistik (analytische Statistik) erreicht (Hug, 2001, S. 22; z. B. auch Atteslander, 2010).
Ziel dieser Verfahren und Techniken ist meistens das Bestätigen oder Widerlegen einer oder mehrerer vorher formulierter Hypothesen. Das Methodenrepertoire reicht von standardisierten Befragungstechniken und schematisierten Beobachtungsformen, experimentellen Vorgangsweisen und Tests bis hin zu Skalierungsverfahren, besonders zur Messung von Einstellungen und Motiven und soziometrischen Verfahren zur Analyse von sozialen Beziehungen und Strukturen.
Qualitative Methoden (z. B. Beobachtung, Interview) sind offener, fallbezogener und kontextorientierter. Sie zielen darauf ab, das menschliche Handeln in vertrauten und fremden Lebenswelten, soziale Regeln und kulturelle Orientierungen, Sinnstrukturen und Bedeutungszuschreibungen etc. zu beschreiben und zu verstehen. Die qualitative Forschung erhebt nicht standardisierte Daten durch die Untersuchung von Einzelfällen, den sogenannten Fallstudien, und wertet die Daten kategorien- und theoriebildend aus (Hug, 2001, S. 22 f.; z. B. auch Friebertshäuser & Prengel, 2010).
Ziel dieser Verfahren und Techniken ist überwiegend die Weiterentwicklung von Hypothesen und Theorien, sowie die Praxisverbesserung. Ausgehend von situationsbezogenen, historischen oder gesellschaftlichen Kontexten werden typische Eigenschaften einzelner Fälle herausgearbeitet und es wird versucht, auf allgemeinere und abstraktere Zusammenhänge zu kommen. Das Methodenrepertoire reicht von verschiedenen Interviewformen und Gruppendiskussionsverfahren über diverse Beobachtungsmethoden bis hin zu inhaltsanalytischen Verfahren und qualitativen Experimenten zur Aufdeckung und Analyse verborgener Strukturen.
3.3 Eigenschaften von Daten
Wenn von Daten gesprochen wird, dann ist es notwendig, Eigenschaften von Daten zu kennen.
Warum werden Daten erhoben?
Daten dienen der Objektivierung von Ereignissen, d. h. es werden Belege gesammelt, die eine Problemstellung lösen, eine Forschungsfrage beantworten oder eine Hypothese prüfen.
Für Neueinsteiger/innen in die Welt der Forschung ist es wichtig, dass sie Folgendes im Bewusstsein verankern: Daten vermögen nie Ereignisse in ihrer Gesamtheit zu beschreiben, sondern immer nur Ausschnitte einer (intersubjektiven) Wirklichkeit. Methoden, die zur Gewinnung von Daten eingesetzt werden, sind in ihrer Reichweite und Aussagekraft immer begrenzt. Ein Fragebogen erfasst z. B. nur jene Ausprägungen von Ereignissen, die abgefragt werden. Einfacher ausgedrückt: Man erhält lediglich Antworten auf gestellte Fragen. Mit der Auswahl der Fragen werden Prioritäten gesetzt: Bestimmte Bereiche der Wirklichkeit werden als wichtiger eingeschätzt und daher abgefragt, andere – nicht unbedingt unwichtigere – werden hingegen vernachlässigt.
Warum werden Daten über verschiedene methodische Zugänge erhoben?
Um ein »objektives« Bild von der Vielschichtigkeit der sozialen Wirklichkeit zu zeichnen, werden mehrere methodische Zugänge gewählt. In der Methodendiskussion wird der Begriff der Triangulation verwendet. Unter Methodentriangulation versteht man die »Variation des methodischen Settings« (z. B. Schründer-Lenzen, 2010, S. 149 ff.), d. h. es kommen mehrere Methoden zum Einsatz. Ziel dieses Verfahrens ist es, die Stärken und Schwächen der jeweiligen methodischen Vorgehensweise auszugleichen und die Ergebnisse miteinander in Beziehung zu setzen. Bildlich gesprochen schauen wir auf den Forschungsgegenstand durch verschiedene (Methoden-)Brillen.
Der Begriff Triangulation kann noch weiter gefasst werden und über die Kombination komplementärer Messverfahren hinaus »jede Form von Mehrfachperspektiven [sic]« (Brühl & Buch, 2006, S. 3) meinen, »die im Forschungsprozess eingesetzt werden kann, so z. B. der Einsatz verschiedener Daten, Theorien, Forscher und Beobachter etc. [sic]« (ebd., vgl. auch Flick, 2012). Dieser Zugang erhält vor allem in der qualitativen Sozialforschung Zuspruch und eignet sich auch für die berufsfeldbezogene Forschung (Aktionsforschung). Für Studierende könnte das z. B. bedeuten, dass im Sinne einer »Forscher/innen-Triangulation« die gewonnenen Daten gemeinsam mit anderen interpretiert und analysiert werden (siehe dazu auch »Kommunikative Validierung«) oder dass Studienkolleginnen/Studienkollegen Unterrichtsbeobachtungen in Form von einheitlichen Beobachtungsfragen durchführen.
3.4 Gütekriterien empirischer Forschung
Grundsätzlich wird zwischen drei zentralen Gütekriterien in Forschungsvorhaben unterschieden:
Objektivität
Geht man vom Objektivitätsbegriff im quantitativen Forschungsansatz aus, dann ist unter Objektivität die Unabhängigkeit eines Forschungsergebnisses von der Person der Forscherin/des Forschers zu verstehen:
»Objektivität ist das Ausmaß, in dem ein Untersuchungsergebnis in Durchführung, Auswertung und Interpretation vom Untersuchungsleiter nicht beeinflusst werden kann, bzw. wenn mehrere zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen. Weder bei der Durchführung noch bei der Auswertung und Interpretation dürfen also verschiedene Experten verschiedene Ergebnisse erzielen« (Stangl, o. J., Gütekriterien empirischer Forschung, Abs. 2).
Grundsätzlich wird demnach zwischen Durchführungs- und Auswertungsobjektivität unterschieden.
Durchführungsobjektivität bezieht sich zum einen auf das Verhalten der Forscherin/des Forschers während der Erhebungsphase und zum anderen auf den Grad der Standardisierung sowie der Güte der Dokumentation. Durchführungsobjektivität in einem Forschungsprozess ist dann gegeben, wenn die Durchführung einer Untersuchung
•nicht beeinflusst wird. Dieses Ideal ist zwar anzustreben, aber aufgrund von Störfaktoren (z. B. die Tagesverfassung der Forscherin bei der Durchführung einer Erhebung oder personenunabhängige Störfaktoren wie der Pausenlärm während eines Interviews) nicht absolut erreichbar.
•standardisiert ist (z. B. standardisierte Testinstruktionen) und
•nachvollziehbar dokumentiert wurde (Offenlegung und Begründung des Untersuchungsdesigns, Dokumentation der einzelnen Untersuchungsschritte etc.).
Eine Standardisierung ist zu erreichen, wenn z. B. vorher genau festgelegt wird, was einem Probanden vorbereitend gesagt wird, wie viel Zeit ihm für die Beantwortung eines Fragebogens zur Verfügung steht usw. Je exakter der Verlauf einer Befragung vorher festgelegt wird, je stabiler die Rahmenbedingungen sind und je geringer der Einfluss der Forscherin/des Forschers auf den Ablauf der Befragung ist, umso objektiver wird das Untersuchungsergebnis.
Auswertungsobjektivität ist gegeben, wenn unterschiedliche Forscher/innen auf Basis von standardisierten Vorgehensweisen und Vorgaben bei der Auswertung (z. B. Vorgehensweise bei der Kodierung und Kategorisierung von Daten; exakte Vorgabe, wie viele Punkte für welche Antworten vergeben werden), zu gleichen Ergebnissen kommen. Daher sind auch für die Auswertung und Interpretation der Daten genaue, schriftliche Instruktionen sinnvoll, wenngleich gerade bei der Interpretation von erhobenen Daten ein gewisses Maß an Subjektivität nicht zu vermeiden sein wird. Der Interpretationsspielraum wird allerdings umso kleiner, je mehr sich die Interpretation auf vorher formulierte Annahmen (Hypothesen) beschränkt.
Bortz & Döring (2006, S. 32) sprechen im Zusammenhang von Objektivität auch von »intersubjektiver Nachprüfbarkeit«, die »eine Standardisierung des Vorgehens durch methodische Regeln […] und die vollständige Dokumentation von Untersuchungen« voraussetzt. Schwierig stellt sich die Situation in einem qualitativen Forschungsansatz dar, da die »Geltungsbegründung der Ergebnisse viel flexibler sein muss. Man kann nicht einfach ein paar Kennwerte errechnen, man muss mehr argumentativ vorgehen« (Mayring, 2002, S. 140). Außerdem ist die geforderte Distanz zwischen Forscher/in und Beforschten weder vollständig erreichbar noch wünschenswert. Ein narratives Interview lebt geradezu von der kommunikativen Beziehung, welche sich nicht unabhängig von den Personen, vom gewählten Zeitpunkt oder Ort entwickelt. Auch eine Standardisierung der Durchführung ist nur teilweise möglich. Wenn z. B. ein Interview mittels Leitfaden geführt wird, ist der Verlauf des Interviews offen.
»Insbesondere das Nachfragen des Interviewers ist in hohem Maße von seinem Hintergrundwissen abhängig, daher könnten unterschiedliche Interviewer zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Aus diesem Grund ist es wichtig die Interviews in Form von Transkripten zu dokumentieren, die eine nachträgliche Analyse möglich machen.« (Brühl & Buch, 2006, S. 25)
Von Studierenden wird eine kritisch-reflexive Haltung zum Forschungsprozess und den darin gemachten eigenen Erfahrungen erwartet. In der Bachelor-/Masterarbeit zeigt sich diese in der Methodenreflexion, wo auf die methodische Herangehensweise ein kritischer Blick geworfen wird und Schwachstellen der Erhebung und Interpretation offengelegt und kritisch analysiert werden.
Validität (Gültigkeit)
Ein wichtiges Gütekriterium jedes Forschungsinstruments ist dessen Gültigkeit. Ein solches Instrument ist dann valide, wenn mit dem eingesetzten Forschungsinstrument das zu messende Konstrukt (z. B. Intelligenz, Lesemotivation, aggressives Verhalten) auch tatsächlich gemessen wird (Konstruktvalidität) bzw. mit den gewonnen Daten (z. B. Aussagen in einem Interview) auch tatsächlich die Forschungsfragen schlüssig beantwortet werden. Validität bezeichnet demnach den Grad der Genauigkeit, mit dem eine Untersuchung das erfasst, was erfasst werden soll.
Ein Beispiel für Konstruktvalidität
Wenn mittels Fragebogen das Konstrukt »Angst« gemessen werden soll, dann geht es zunächst darum, theoriegeleitet Merkmalsausprägungen von »Angst« zu definieren und daraus konkrete Items zu erstellen. Das entwickelte Instrument wird im Anschluss im Feld getestet, ein Datensatz wird generiert. Kann bei der Datenauswertung mittels explorativer Faktorenanalyse herausgearbeitet werden, dass die entsprechenden Items zusammengehören und somit das Konstrukt »Angst« abbilden, dann hat dieses Erhebungsinstrument eine ausreichende Konstruktvalidität.
Dieses Beispiel veranschaulicht, dass Validität nicht direkt gemessen werden kann, sondern mittels statistischer Verfahren (explorative oder konfirmatorische Faktorenanalyse) belegt wird. Von Studierenden, die eine Bachelor-/Masterarbeit verfassen, wird nicht erwartet, dass sie ihr Erhebungsinstrument auf seine Konstruktvalidität testen. Sie sind vielmehr angehalten, eine logisch-inhaltliche Analyse des Erhebungsinstruments bzw. der Items durchzuführen. Mit diesem Ansatz wird eine Annäherung an die Inhaltsvalidität angestrebt.
»Inhaltsvalidität (Face Validity, Augenscheinvalididät, logische Validität) ist gegeben, wenn der Inhalt der Testitems das zu messende Konstrukt in seinen wichtigsten Aspekten erschöpfend erfasst.« (Bortz & Döring, 2006, S. 200)
In anderen Worten, ein Erhebungsinstrument ist dann inhaltsvalide, wenn es die zu messenden Merkmalsausprägungen bzw. Merkmale umfassend erhebt.
Beispiele
Es soll die Fremdsprachenkompetenz von Schülerinnen/Schülern gemessen werden. Ein dafür entwickelter Test wäre inhaltsvalide, wenn die four skills Hören, Lesen, Sprechen und Schreiben getestet werden. Hingegen wäre ein Mathematiktest, der den Anspruch erhebt, auf Basis des Kompetenzmodells für Mathematik 8. Schulstufe (Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung, 2011) den inhaltlichen Kompetenzbereich »Arbeiten mit Ebene und Raum« zu erfassen, nicht inhaltsvalide, wenn die Aufgaben lediglich die allgemeinen Kompetenzen »Modellieren« und »Operieren« umfassen, die allgemeinen Kompetenzen »Kommunizieren« und »Problemlösen« jedoch nicht abdecken.
Da es sich bei diesem Verfahren um eine logisch-inhaltliche Analyse des Erhebungsinstruments bzw. der einzelnen Items handelt, ist Inhaltsvalidität ein »qualitatives Maß« (Brühl & Buch, 2006, S. 12), an dem sich Studierende orientieren. Sie hinterfragen kritisch und prüfen inhaltlich, ob mit dem entwickelten Erhebungsinstrument das Zielkonstrukt umfassend erfasst wird bzw. ob die Forschungsfrage(n) umfassend beantwortet wird/werden.
Beispiel
Mit folgenden Items (Merkmalen) soll in einer Befragung die »Einstellung von Ernährungspädagoginnen/Ernährungspädagogen zu Heilkräutern« gemessen werden:
•Kennen Sie Kräuter, die zu der Gruppe der Heilpflanzen zählen?
•Was verstehen Sie unter Heilkräutern?
•Welche Wirkung haben Heilkräuter?
•Woher wissen Sie, dass Heilkräuter wirkungsvoll sind?
•Bringen Sie Ihr Wissen über Heilkräuter im Theorieunterricht ein? Wenn ja, in welcher Form?
•Verwenden Sie Heilkräuter in der Schulküche? Wenn ja, in welcher Form?