BRUCE STERLING
DER STAUBOZEAN
Roman
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Nullaqua ist eine menschenfeindliche Welt, ein Wüstenplanet mit gigantischen Staubozeanen. Darin leben riesige, walähnliche Tiere, aus deren Kadavern man die Droge Syncophin gewinnt. Zigtausende Süchtige in der gesamten Galaxis können ohne das »Flackern«, das das Syncophin in ihrem Bewusstsein hervorruft, die Realität nicht mehr ertragen, und so jagen riesige Schiffe die Staubwale. Ihre Crews bestehen nur teilweise aus Menschen, doch die Entbehrungen und die tödliche Bedrohung durch die grausame, fremde Natur schweißt sie zu unverbrüchlichen Gemeinschaften zusammen …
Bruce Sterling wurde 1954 in Brownsville, Texas, geboren. Nach seinem Journalismus-Studium veröffentlichte er 1977 seinen ersten Roman »Involution Ocean«, dem noch zahlreiche weitere folgten, darunter »Schismatrix« (1989) und »Schwere Wetter« (1996). Zudem verfasste er mehrere Sachbücher und schreibt Artikel für verschiedene amerikanische Magazine. Bruce Sterling gilt, gemeinsam mit William Gibson, als Mitbegründer des Cyberpunk und ist einer der führenden Köpfe der Viridian-Design-Bewegung im Netz. 2003 wurde er Professor für Internetforschung und Science Fiction an der European Graduate School. Der Autor lebt heute in Turin, Italien.
www.diezukunft.de
Titel der Originalausgabe
INVOLUTION OCEAN
Aus dem Amerikanischen von Bernd Holzrichter
Überarbeitete Neuausgabe
Copyright © 1977 by Bruce Sterling
Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Covergestaltung: Das Illustrat
Satz: Thomas Menne
ISBN 978-3-641-17598-6
INHALT
1. Ein verhängnisvolles Ereignis und die Abhilfe
2. Wir gehen an Bord
3. Ein Gespräch mit dem Ausguckposten
4. Eine seltsame Enthüllung
5. Die Lüge
6. Der Sturm
7. Arnar
8. Die Fahrt geht weiter
9. Ein weiteres Gespräch mit dem Ausguckposten
10. Fliegende Fische
11. Die Klippen
12. Anemonen
13. Ein Gespräch mit einem jungen nullaquanischen Seemann
14. Desperandum führt ein Experiment durch
15. Der Traum
16. Die Fahrt ist zu Ende
1
Ein verhängnisvolles Ereignis und die Abhilfe
Wir alle haben in unserem Leben eine Leere, eine Leere, die einige durch die Künste füllen, andere durch Gott und wieder andere durch Lernen. Ich habe diese Leere immer durch Drogen gefüllt. Und aus diesem Grund fand ich mich, den Seesack in der Hand, dazu bereit, auf dem obskuren Planeten Nullaqua auf eine Walfangfahrt zu gehen.
Der nullaquanische Staubwal ist die einzige Quelle des Rauschmittels Syncophin. Zum Zeitpunkt meiner Seereise wurde das Wissen um diese Tatsache immer weiter verbreitet. Weil ich es erfahren hatte, wohnte ich, John Newhouse, mit neun anderen in der Piety Street 488 in Hochinsel, Nullaquas größter Stadt.
Wir, die Bewohner, kannten das zweistöckige Metallgebäude nur als Das Neue Haus. Wir waren eine bunt zusammengewürfelte Gruppe; die einzigen Dinge, die wir gemeinsam hatten, waren unsere außernullaquanische Herkunft und unser kennerhaftes Vergnügen am Flackern, wie die Eingeweihten das Syncophin nannten. Wir waren samt und sonders menschliche Geschöpfe oder sehr genaue Faksimile. Der erste unter uns war der weißhaarige alte Timon Hadji-Ali. Timon hat uns sein Alter nie verraten, aber er befand sich ganz offensichtlich in der Periode, in welcher der unterbewusste Wunsch des Körpers zu sterben die Sehnsucht des Ego nach dem Leben zu überwiegen beginnt. Oft höre ich ihn von seiner Jahrhunderte zurückliegenden Freundschaft mit Ericald Svobold, dem legendären Entdecker des Syncophin, sprechen. Jetzt hatte sich allerdings Pessimismus im alten Timon breitgemacht; seit Jahren hatte er sich jeder Verfügung widersetzt. Er wollte seine alten Tage nur noch damit verbringen, sein nach und nach angehäuftes Kapital aufzuzehren und den wilden Himmelstrip des Flackerns zu genießen. In Angelegenheiten der Politik, die unsere kleine Gruppe betrafen, pflegten wir uns ihm zu unterwerfen, da er immer noch das meiste Geld hatte.
Die zweite war Agathina Brant, eine hochgewachsene muskulöse Frau, stocksteif, als hätte sie einen Besenstiel verschluckt. Offenkundig war sie ein pensionierter Offizier, und sie war ausgesprochen kurz angebunden, sogar mürrisch. Sie trug stets eine Uniform, sauber, aber alt. Man konnte wirklich nicht bestimmen, welche der zahllosen Armeen der Menschheit das Kleidungsstück zuzuordnen war. Sie hat es uns nie verraten; ich vermute, sie hat es selbst genäht. Ihre Sucht war extrem ausgeprägt.
Als dritte und vierte ein verheiratetes Paar, Mr. und Mrs. Undine. Ihr Mädchenname war Stuart, er hieß Foster. Auch sie waren ziemlich alt. Man konnte ihr Alter an ihrer unnatürlichen Anmut und den gelegentlichen archaischen Redewendungen in ihrer Sprache erkennen. Sie waren ein ansehnliches Paar, wenn man ihre tonnenförmige Brustkörbe und die reichlich geschmacklosen, in ihre Körper eingepflanzten Edelsteine außer Betracht ließ. Sie wurden niemals müde, uns zu erzählen, dass sie beide bereits mehrere Ehen hinter sich hatten und die Vorstellung des Schmerzes, der mit der Auflösung der letzten verbunden war, nicht aushalten konnten. Sie hatten sich dazu entschieden, gemeinsam Selbstmord zu begehen, am liebsten durch eine Überdosis. Ich war viele Male versucht, ihnen zu raten, ein anderes Gift als Syncophin zu benutzen, aber das, dachte ich, wäre möglicherweise ein flegelhafter Einbruch in ihre Privatsphäre gewesen.
Der fünfte in unserer Gesellschaft war ein Dichter namens Simon. Er hatte durch kosmetische Chirurgie eine Art verhärmter Ansehnlichkeit erlangt, wenn auch seine Augen von unterschiedlicher Farbe waren. Im Bemühen, »zu den Wurzeln zurückzukehren«, wie er uns sagte, hatte er ein primitives Saiteninstrument gekauft und versuchte, sich selbst beizubringen, darauf zu spielen, um sich selbst begleiten zu können, während er seine eigenen Werke sang. Wir hatten sein Zimmer im Obergeschoss schalldicht gemacht. Syncophin, sagte er, »stimuliert mein Gehirn«. Das konnte gewiss nicht geleugnet werden.
Simon wurde von einer mausgrauen Frau namens Amelia begleitet, die ihr brünettes Haar streng in der Mitte gescheitelt trug. Ihr Vater war ein Gelehrter und schickte ihr ausreichend Geld für ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihres pseudo-musikalischen Begleiters. Sie hatte schon Monate bei uns gewohnt, bevor sie Syncophin probierte. Jetzt war sie dabei, Geschmack daran zu entwickeln.
Unsere Numero sieben war ein Geschlechtsloser, Daylight Mulligan. Es war ein charmanter Gesprächspartner, und seine Sprache offenbarte einen tiefen Wissensfundus. Es und ich hätten enge Freunde werden können, hätte es nicht diese extreme Paranoia jedem gegenüber gehabt, der Fortpflanzungsorgane besaß. Es war natürlich sehr sauber geklont worden, und sein Misstrauen war nicht ganz unbegründet, da es eine deutliche sexuelle Anziehungskraft auf Mitglieder beider Geschlechter ausübte. Es war oft melancholisch, vielleicht von Schuldbewusstsein geplagt. Der alte Timon erzählte mir einmal, dass es für den Doppelselbstmord eines Ehepaares verantwortlich war, Freunde von ihm, die beide mit ihm Ehebruch begehen – oder es zumindest versuchen – wollten. Das konnte stimmen … oder auch nicht.
Die achte von uns war eine extrem große, fast totenbleiche Frau namens Quade Altman. Auf einem Planeten mit der halben Schwerkraft von Nullaqua, und damit auch der Erde, geboren, war sie an die zwei Meter fünfzig groß. Sie war immer blass, ihre eingesunkenen Augen waren von zarten blauen und purpurnen Ringen umgeben. Häufig jammerte sie über benebelnde Reizungen. Sie verbrachte eine Menge Zeit in Rückenlage, an ihren dreidimensionalen Mosaiken arbeitend.
Die neunte und vorletzte war meine derzeitige Freundin Millicent Farquhar. Millicent war klein, stupsnasig, rothaarig und eher pummelig als schlank. Ich hatte sie vor einem Jahr auf Reverie kennengelernt, kurz bevor ich nach Nullaqua ging. Nach einer ganz besonders heißen Party fand ich mich beim Aufwachen in ihrem Bett wieder. Man hatte uns zwar einander vorgestellt, aber wir hatten den Namen des anderen vergessen. Unsere gegenseitige Wiederentdeckung verlief ausgesprochen erfreulich, und wir hatten das letzte Jahr in ziemlicher Zufriedenheit miteinander verbracht.
Zuletzt ich, John Newhouse. Es versteht sich von selbst, dass ich nicht dieselbe Person bin, die die Abenteuer erlebte, von denen zu berichten ich im Begriff bin. Die Persönlichkeit ist eine sich wandelnde, fließende Sache, und außer den jetzt allmählich trüber werdenden Erinnerungen habe ich nichts mit dem Mann gemein, der sich damals meines Namens bediente.
Aber jener John Newhouse jedenfalls war der Sohn eines Holzmagnaten auf dem Planeten Bunyan und hatte die beste Ausbildung genossen, die dieser Planet zu bieten hatte. Aus politischen Gründen – und aus Gründen der Eitelkeit – behauptete ich, auf der Erde geboren zu sein. Wie die meisten Sektiererplaneten hatte Nullaqua übertriebenen Respekt vor allen Terranischen. Die Lüge half.
Ich war einen Meter und achtzig groß und hatte sehr dunkles Haar, das am Hinterkopf ziemlich spärlich wurde, obwohl ich mich dagegen sträubte, dies zuzugeben. Ich trug es auf der linken Seite gescheitelt. Meine Augen waren ebenfalls dunkel, und das linke hatte einen kleinen gräulichen Fleck, fast wie grauer Star; an dieser Stelle hatte ich einmal, einem schlechten Ratschlag folgend, Syncophin aufgetropft. Durch die lange Zeit, die ich im Haus verbrachte, war ich blass, aber meine Haut konnte eine tiefe Bräune annehmen. Meine Nase war vielleicht ein wenig zu hakenförmig, um als hübsch bezeichnet zu werden. Ich hatte – lassen Sie es mich gestehen – etwas von einem Dandy, und ich trug gerne Ringe, gewöhnlich fünf auf einmal. Ich besaß zwei Dutzend. Ich war fünfunddreißig – verzeihen Sie, lieber Leser, aber ich habe ja geschworen, bei der Wahrheit zu bleiben –, ich war dreiundvierzig Standardjahre alt.
Den Namen meines Vaters will ich nicht preisgeben. Den Namen Newhouse nahm ich von meiner Bleibe an, wie es auf der Erde einst Brauch war. Vor meiner Walfängerfahrt verdiente ich meinen Lebensunterhalt damit, hochwertiges Syncophin an meine zahlreichen Freunde auf Reverie zu exportieren. War es auch nicht übermäßig gewinnträchtig, so war es doch ein angenehmer Zeitvertreib. Mein Hobby war, billigere und wirkungsvollere Methoden zu entwickeln, Syncophin aus Asisöl zu extrahieren.
Es war ein gemütliches, beinahe genüssliches Dasein. Dann kam das Unheil.
Die Expansion des Syncophinhandels war nicht unbemerkt geblieben. Die Bürokraten der Konföderation, jener lockeren und ständig schwächer werdenden Verbindung von Welten, erließen ein Dekret. Nullaqua hörte es und – so erstaunlich dies war – gehorchte.
Wir erfuhren die Neuigkeiten zuerst von unserem Dealer, einem Nullaquaner namens Andaru. Andaru war ein ehemaliger Walfänger und versorgte uns mit dem Stoff, den er Gedärmeöl nannte, zu einem Kurs knapp über dem Normalpreis. Sonst gab es keine Nachfrage nach dem Produkt; das Eingeweideöl konnte nicht verbrannt werden, und die Nullaquaner lehnten es als Nahrungsmittel ab, da sie es für giftig hielten. Ganz schön hirnrissig, dachten wir.
Am siebzehnten Tag des zehnten Monats im Jahr klopfte Andaru an die Tür, und ich öffnete ihm.
»Es ist Andaru«, sagte ich laut zu den anderen, die in der Küche beim Essen waren.
»Gut … Wunderbar … Phantastisch«, sagten alle neun. Ihre Zungen versagten bei der Aussicht auf eine neue Gallone nie, wenn es darum ging, sich gegenseitig zu übertreffen.
»Und er bringt jemanden mit«, fuhr ich leiser fort, als hinter dem Nullaquaner ein junger Mann mit scharfgeschnittener Nase und blondem Schopf, der wie verschlungene Nylonfäden wirkte, hereintrat und die Hand ausstreckte. Ich schüttelte sie.
»Hallo, ich heiße Dumonty Calothrick – sagen Sie einfach Monty zu mir«, verkündete er aufgeräumt. »Bin gerade auf dem Planeten eingerauscht, habe von den Aussichten hier gehört …« Dabei zwinkerte er mir unmissverständlich zu und machte mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand reibende Bewegungen, ohne dass Andaru es sehen konnte. »Hab' mich 'n bisschen umgehört, Ihren Freund hier kennengelernt und gedacht, ich komme am besten mal vorbei und bitte vielleicht« – ein Blick geschickter Verlegenheit – »… vielleicht um Ihren Rat?«
»Kommt bitte rein und nehmt Platz«, sagte ich. »Moment … habt ihr schon gegessen?«
»Ja«, erwiderte der Nullaquaner.
»Nein, keinen Bissen«, sagte Calothrick.
»Geradeaus durchgehen, bitte«, bat ich, »nehmen Sie sich einen Teller und machen Sie sich mit dem Rest der Wohngemeinschaft bekannt, während ich mit unserem gemeinsamen Bekannten über das Geschäftliche rede.«
»Danke, Mister … ääh …«
»Newhouse«, sagte ich und winkte ihn weiter.
»Wollen Sie nichts essen, John?«, fragte Andaru.
»Ich habe schon gegessen«, log ich. Agathina Brant war mit Kochen dran, und es schadete meiner Verdauung, Zeuge der Häresie zu werden, mit der diese Frau Nahrungsmittel behandelte. Ich habe mich stets meiner Kennerschaft in Sachen le good cuisine, wie die Terraner dies zu nennen pflegten, gerühmt.
»Wie viel haben Sie mitgebracht?«, fragte ich.
»Ungefähr 'ne Gallone, wie gewöhnlich. Fürchte, das wird die letzte sein, die Sie bekommen.«
»Nanu«, sagte ich. »Das ist ein Schock, Andaru. Steigen Sie aus dem Geschäft aus?«
»Muss ich wohl. Es ist jetzt ungesetzlich.«
Bei diesen Worten wuchs Eis in meinen Adern. »Wer sagt das?«, erkundigte ich mich.
»Die Konföderation sagt das – gestern hab ich's erfahren.«
»Ja, die Konföderation: Sie wissen doch, knausrige kleine Burschen, die zwischen den Sternen herumschwirren und den Leuten vorschreiben, wo es lang geht.«
»Aber in Fragen, die nur den Planeten betreffen, können sie doch keine Anordnungen geben.«
»Tja, sie haben an Nullaqua mehr so etwas wie eine höfliche Bitte gerichtet …«
»Und Nullaqua hat ihr entsprochen.«
»Warum nicht? Wir haben nichts zu verlieren, wenn wir nett zur Konföderation sind, nicht wahr?«
Ich sah einen schwachen Hoffnungsschimmer. »Aber Sie persönlich haben doch etwas zu verlieren.«
»Klar, das schon«, gab er zu, »aber stellen Sie sich vor, Sie gehen hin und sagen, ein paar Leute hätten das Gedärmeöl verwendet, um Drogen daraus zu machen.«
»Nein! Was Sie nicht sagen!«, sagte ich. Die Heile-Welt-Nullaquaner haben tatsächlich keine Vorstellung vom Drogenmissbrauch; sie halten sich an Tabak und billiges Bier.
»Ein wundervolles Essen«, kam plötzlich Dumonty Calothricks Stimme aus der Küche. Ich verzog das Gesicht.
»Das ist also unsere letzte Gallone.«
»Jawohl. Alle, die es verkaufen, machen den Laden dicht, soviel ich weiß.«
»Sie wollen das Gesetz nicht brechen.«
»Um keinen Preis – es wäre eine Sünde.«
Ich kam gar nicht erst auf die Idee, den alten Nullaquaner flehentlich zu bedrängen. Er hatte, nebenbei gesagt, die allen Eingeborenen eigene Abneigung gegen Wasser, und anders als er hatte ich keinen dichten, buschigen Haarwuchs in den Nasenlöchern, um Unangenehmes herauszufiltern. »Also – wie viel für die letzte Kanne?«
»Einen Monun und sechsunddreißig Pennigs.«
»Alles klar«, sagte ich und zählte das Geld auf seine schwielige Handfläche. Wir versicherten uns unserer gegenseitigen Wertschätzung. Ich öffnete ihm die Tür, und er ging.
Dann setzte ich mich langsam auf das unbequeme Walhautsofa, um alles zu durchdenken. Ich spürte plötzlich Lust auf eine schnelle Ladung Flackern, aber anders als die anderen hielt ich mein Verlangen eisern unter Kontrolle.
»Kommt herüber, wenn ihr mit dem Essen fertig seid«, rief ich. »Ich habe Neuigkeiten.«
Ich nahm die Kanne auf den Schoß und hob den Deckel. Ich schnüffelte. Hochwertiger Stoff, wie immer. Ich verschloss die Kanne wieder.
Binnen drei Minuten waren alle versammelt. »Schlechte Neuigkeiten«, sagte ich. »Die Konföderation hat das Flackern für illegal erklärt, und Nullaqua fügt sich der Entscheidung. Das hier …« – ich klopfte auf das Gefäß – »… ist unsere letzte Kanne.«
Wie auf ein Kommando hin fielen ihre Kinnladen herab. Ein irritierender Anblick. Ratsuchend wandten wir uns Timon zu.
»Ich …«, setzte ich an.
»Ach ja, ich habe ein bisschen dabei, frischen wir uns etwas auf«, unterbrach Calothrick gutgelaunt. Er holte ein Kunststoffetui aus der Brieftasche seiner karierten Hemdjacke und zog eine Pipette aus dem Gürtel. Eilig scharte die Gruppe sich zu einem Kreis auf dem Teppich zusammen, während Calothrick des Etui öffnete und eine Pipette voll von der Flüssigkeit heraussaugte.
Timon runzelte die Stirn. »Ich schlage vor, wir rationieren das, was wir noch übrig haben. Wenn die Nullaquaner sich weigern, uns zu versorgen, müssen wir einen von uns rausschicken, um es für uns zu beschaffen. Direkt von der Quelle. Von einem Wal.«
Daylight Mulligan klatschte in die Hände. »Bravo, Timon«, sagte es. Mrs. Undine reichte ihm die Pipette; es öffnete den Mund und drückte sich eine schnelle Portion auf die Zunge.
»Und wen von uns?«, fragte Quade Altman im Falsett.
»Nun, die Frauen scheiden aus«, sagte Mrs. Undine. »Ich habe gehört, die Walfänger lassen sie nicht an Bord.«
»Jemand wird aber die ganze Reise mitmachen müssen!«, sagte Simon, der Richter, dessen Gehirn jetzt richtig stimuliert war.
»O ja«, bestätigte Timon, »und da sie sechs Monate dauert, schlage ich vor, wir wählen so schnell wie möglich jemanden. Am Ende könnte es ziemlich ungemütlich werden.« Simon und Amelia sahen plötzlich sehr ängstlich drein. Mr. und Mrs. Undine hielten Händchen.
»Ich schlage John Newhouse vor«, sagte Agathina Brant plötzlich. Alle wirkten verdutzt; sie redete so selten.
»Ziehen wir Strohhalme«, sagte ich schnell.
»John, du bist die beste Wahl«, sagte Mrs. Undine deutlich erleichtert. »Du hast den Schwung der Jugend, ganz gewiss.«
Ich entgegnete: »Also, du hast die Erfahrung des Alters. Das zählt sicher mehr.«
»Aber du hast einen scharfen Verstand und weißt dir zu helfen; das kann keiner von uns ableugnen«, schürte Simon das Feuer.
»Sicher, Simon, aber bedenke doch, wie gerade die Dichtkunst von der Reise profitieren könnte«, gab ich zurück.
»Aber du hast Erfahrung und weißt, welchen Tran man braucht, und wie man ihn siedet«, sagte Daylight Mulligan. Es hatte mich erwischt. Das besiegelte mein Schicksal mehr als alles andere.
Es sah düster aus. Sicherlich wird Millicent mich verteidigen, dachte ich und blickte sie an.
»Ja, und du könntest einen Job bekommen, John«, sagte sie. »Du kannst kochen. Du bist sogar ein guter Koch. Du wirst überhaupt keine Schwierigkeiten haben.«
»Ziehen wir keine vorschnellen Schlüsse«, sagte ich. »Vielleicht sollten wir unsere Lage eine Woche lang überdenken. Es wäre doch möglich …«
Da ergriff Dumonty Calothrick das Wort. »Warum warten? Es ist großartig!«, sagte er lachend. »Kaum taucht das Problem auf, schon ist es gelöst. Mr. Newhouse, denken Sie doch an den Zauber des Abenteuers, das Prickeln eines fremden Planeten! Sechs Monate vor dem Mast! Neue Sensationen! Romantik! Flackern gallonenweise! He, will noch jemand eine schnelle Ladung?«
»Warum gehen Sie dann nicht?«, fragte ich sanft.
»O Mann, ich geh' doch, ich geh' doch. Ich gehe mit Ihnen!«
2
Wir gehen an Bord
Der gesamte bewohnbare Bereich von Nullaqua liegt auf dem Grund eines gewaltigen Kraters von siebzig Meilen Tiefe und einem Durchmesser von fast durchgehend fünfhundert Meilen. Über neunzig Prozent der Atmosphäre des Planeten befinden sich in diesem riesigen Loch; der Rest des Planeten besitzt nur eine dünne Streuschicht aus Gasen und die Ruinen zweier Vorposten der Alten Kultur. Nach der allgemein anerkannten Theorie wurde der Krater vor Milliarden von Jahren durch ein konzentriertes Bombardement von Anti-Materie-Meteoriten ausgehöhlt. Einen jüngeren Planeten hätte es auseinanderbrechen lassen, aber zu jener Zeit bestand Nullaqua fast bis zum Kern aus fester Materie. Gewaltige Gasmengen waren von dem zerschmetterten Gestein freigesetzt worden. Danach hatten sich durch die Wirkung der Sonne auf Nullaquas nahezu luftleerer Atmosphäre unzählige Tonnen feinen Staubs in den Krater ergossen oder waren hineingeweht worden. Diese allmähliche, aber nie endende Wirkung, die auch jetzt noch anhielt, hatte Nullaqua einen Ozean aus nahezu atomisiertem Staub gegeben, der unsagbar viele Meilen tief war. Nullaqua erhielt eine zweite Chance, Leben zu tragen. Diesmal hatte der Planet Erfolg.
Vor fünfhundert Jahren war Nullaqua von einer starrsinnigen Gruppe religiöser Fanatiker besiedelt worden. Ihr Glaube ist inzwischen schwächer geworden, hat aber seine blumigen blasphemischen Flüche und einen übertriebenen Respekt vor dem Gesetz hinterlassen.
Dieser Respekt war es, der mich nun dazu zwang, die Bequemlichkeit meines Doppelbetts zu verlassen und mein Glück auf dem Meer aus Staub zu suchen. Der junge Calothrick war bei mir; ich hatte ihn nicht davon abbringen können mitzukommen.
Verdrossen trat ich aus dem Neuen Haus, Calothrick an meine Fersen geheftet. Wir machten uns zu den Docks im Osten der Stadt auf. Zwei Häuserblocks weiter brach er das Schweigen.
»Was ist unser erster Schritt, Mr. Newhouse?«
»Unser ganzes Geld von der Bank abzuheben«, erwiderte ich. »Und sag schon John zu mir!«
»In Ordnung, John. Warum? Werden wir nicht anheuern?«
»Das ist kein Vorhaben, in das man sich blind hineinstürzt«, sagte ich und sprach mit übertriebener Deutlichkeit. »Wir müssen die Situation genau prüfen, die Grundelemente des Gewebes kennenlernen, dazu etwas vom Slang der Seeleute. Wir müssen Vorräte einkaufen und unseren Haarschnitt wahrscheinlich auf den zur Zeit vorherrschenden Seehundstil trimmen. Wir müssen so aussehen, als wüssten wir, was Sache ist, auch wenn wir Außenweltler sind. So wie es aussieht, könntest du Schwierigkeiten haben, einen Job zu finden. Du wirst als einfacher Matrose anheuern müssen.«
»Einfacher Matrose, hä? Nun ja, soll mir recht sein. Ich will nichts Besseres sein.«
»Klar«, sagte ich. »Wie viel Geld hast du?«
Calothrick wirkte verdutzt und unsicher. »Nicht sehr viel. Rund fünfhundert Monun.«
»Das sollte für unsere Vorräte wohl reichen; und vielleicht bleibt genug übrig, um den Seeleuten ein paar Runden zu spendieren. Auf welcher Bank hast du dein Konto?«
»Ich hatte noch keine Zeit, eines zu eröffnen; ich hab' alles in Kreditbriefen.«
Ich schickte Calothrick los, um Bargeld aufzutreiben, während ich in einer Kneipe am Rand der Klippe über den Docks ein Zimmer mietete. (Die Hochinsel lag eine halbe Meile über dem Meeresspiegel und entging dadurch der gröbsten Staubverschmutzung.)
Als Calothrick zurückkam, schickte ich ihn nach unten, um den Seeleuten einen auszugeben und ihre Eigenschaften zu studieren. Ich ging zwei Staubmasken kaufen. Alle Seeleute trugen sie. Der feine Staub, von Windstößen aufgewirbelt, kann die Lungen innerhalb weniger Tage zerstören. Selbst die dicken Haarbüschel in den Nasenlöchern der eingeborenen Nullaquaner können das Zeug nicht vollständig ausfiltern, ebenso wenig wie ihre kamelgleichen Wimpern und dichten Augenlider vollständigen Schutz bieten können. An der Küste reichen sie aus, aber auf See trägt jeder eine fest anliegende elastische Maske mit einem rüsselähnlichen runden Filter und runden Kunststoffaugen.
Der Kapitän und seine Maate erteilten ihre Befehle über Lautsprecher, die mit winzigen Mikrophonen in ihren Masken verbunden waren. Die Mannschaft hatte keine Lautsprecher in den Masken – als sei jegliche Unterhaltung zwischen ihren Mitgliedern überflüssig.
Jeder Walfänger hat Stirn- und Wangenflächen seiner Maske mit Insignien bemalt. Sie haben die unterschiedlichsten Ausprägungen in Form und Farbe; eine der wenigen Ausdrucksweisen ihrer eigenen Persönlichkeit. Ich kaufte mehrere Farbtuben und einige Pinsel für Calothrick und mich. Die natürliche Farbe der Masken ist ein glänzendes Schwarz; deshalb kaufte ich auch etwas schwarze Farbe. Es könnte ja von Vorteil sein, plötzlich die Insignien zu ändern. Schließlich kann man einen Walfänger an seiner Staubmaske erkennen.
Nachdem wir Seemannstracht gekauft und unser Haar geschnitten hatten, gingen Calothrick und ich den Aufzug zu den Klippen hinab, um die Walfängerflotte in Augenschein zu nehmen. Wir nahmen unsere Seesäcke und Fremdenausweise mit. Die ersten drei Schiffe wollten nichts mit uns zu tun haben. Sie waren zwar bereit, mich als Koch zu nehmen, wollten aber von Calothrick, der zu offenkundig ein Ignorant war, nichts wissen.
Schließlich kamen wir zu dem braven Schiff Lunglance, das unter dem Kommando eines gewissen Nils Desperandum stand. Desperandum – klar erkennbar ein Pseudonym – war ebenfalls ein Außenweltler. Er war ein massiger Mann, groß geworden unter einer Schwerkraft von doppelter Erdanziehungskraft.
Obwohl er nur einen Meter fünfzig groß war, verfügte Desperandum mit seiner unglaublichen Masse und dem dichten blonden Bart über eine Gehorsam erheischende Erscheinung. Er musterte uns. »Koch und einfacher Matrose?«, fragte er scharf.
»Ääh … aye, aye, Sir«, setzte Calothrick an, aber mit einem schnellen »Yes, Sir« schnitt ich ihm das Wort ab.
»Irgendwas dagegen, mit Außenweltlern zu segeln? Auf diesem Kahn nehmen wir's nicht so genau.«
»Überhaupt nicht, Käpt'n, wenn sie nichts dagegen haben, mit uns zu segeln.«
»Sehr gut, dann schreibt euch ein. Der Gewinnanteil des Kochs beträgt ein Fünfundzwanzigstel. Mr. Calothrick, ich fürchte, mehr als ein Dreihundertstel kann ich Ihnen nicht anbieten. Aber es gibt einen Bonus, wenn die Fahrt gut verläuft.«
Calothricks Gesicht verdüsterte sich, aber ich schaltete mich ein, ehe er irgendwelche Einwände erheben konnte. »Wir sind damit einverstanden, Käpt'n.«
»Gut. Calothrick, fragen Sie Mr. Bogunheim nach einer Koje. Er ist unser dritter Maat. Morgen setzen wir die Segel.«
Wir setzten unsere Unterschrift ins Logbuch und waren abfahrbereit. Die Lunglance war ein typisches Beispiel für einen Staubwalfänger-Trimaran. Sie war fünfunddreißig Meter lang und am Querholz dreißig Meter breit. Sie war ausschließlich aus Metall gebaut, da Nullaqua kein Holz hat. Ihre drei Metallrümpfe wurden durch die Schmirgelwirkung des Staubmeers ständig auf Hochglanz poliert. Sie besaß vier Masten und eine verwirrende Anzahl von Segeln: Marssegel, Bramsegel, vordere Oberbramsegel, Großsegel und Besansegel, zwanzig Stück alles in allem. Ihr Deck war von einer Art Kunststoff überzogen, der aus Schmierfett und gepressten Walknochen gewonnen wurde; sonst hätte die gnadenlose nullaquanische Sonne das Deck so sehr erhitzt, dass man nicht mehr darauf hätte stehen können. Die Mannschaft schlief in luftdichten, mit Filtern ausgestatteten Walhautzelten, die mit großen Eisenringen und -bolzen am Deck befestigt waren.
Kapitän Desperandum schlief in seiner Kabine unter Deck am Heck; ich schlief in der Nähe des Bugs in der Küche, direkt neben dem Vorratslager des Schiffs. Beide Kabinen waren über den Luken durch elektrostatische Felder vor dem Staub abgeschirmt. Die Felder wurden von einem kleinen Generator im mittleren Rumpf mit Energie versorgt; er lief mit Waltran.
Fünfundzwanzig Männer waren an Bord: ich selbst, der Koch, Kapitän Desperandum und seine drei Maats, Flack, Grent und Bogunheim; zwei Küfer, zwei Schmiede, unser Kajütenjunge Meggle und fünfzehn Matrosen. Alle außer Calothrick waren stämmige Nullaquaner mit haarigen Nasen und erschreckend anonymen Gesichtszügen.
Und dann war da noch unser Ausguck, die chirurgisch veränderte fremde Frau, Dalusa. Von ihr werde ich später noch viel zu berichten haben.
3
Ein Gespräch mit dem Ausguckposten
Im Morgengrauen setzten wir Segel und nahmen Kurs auf die Krillgründe nahe der Seemöwen-Halbinsel. Das Frühstück bestand aus Haferschleim und erforderte meinerseits wenig Mühe; der Kapitän und seine Maate aßen Gebäck und geräucherten Tintenfisch.
Die Mannschaft aß auf Deck in einem langgestreckten Kombüsenzelt. Selbst ohne Maske ist der nullaquanische Matrose, wenn er auf See ist, ungewöhnlich wortkarg. Ich bemerkte, dass Calothrick in der Nacht seine Maske bemalt hatte; jetzt trug er auf jeder Wange einen blauen gezackten Blitz. Das Zeichen war einzigartig, kein eingeborener Nullaquaner hatte jemals einen Blitz gesehen.
Nach einigem Nachdenken entschied ich mich für ein gebrochenes Herz als mein eigenes Motiv.
Die Mittagsmahlzeit erwies sich als schwieriger. Mein Vorgänger hatte mir arg zugerichtete Utensilien hinterlassen, große Töpfe und Schüsseln von zweifelhafter Sauberkeit und ein Regal voll unbeschrifteter Gewürze. Ich bin stolz auf meine Beherrschung der gastronomischen Kunst, aber diese primitiven Bedingungen behinderten mich doch sehr.
Ich ließ Meggle, den Kajütenjungen, die Töpfe säubern, während ich die Gewürze untersuchte. Eins hatte einen scharfen metallischen Geschmack, der an rostiges Eisen erinnerte; das zweite besaß entfernte Ähnlichkeit mit Meerrettich; ein drittes entsprach unserem Senf, hatte aber einen bitteren Nachgeschmack. Das vierte war Salz. Was das fünfte war, habe ich nie herausgefunden. Ein einziger Hauch überzeugte mich, dass es verdorben war.
Ich zog eine Kiste Schiffszwieback aus dem Vorratsraum nebenan und schaffte es, ihn schmackhaft zu machen. Es war eine heldenhafte Aufgabe, aber ich wurde durch die ungeteilte Aufmerksamkeit belohnt, die die Walfänger ihrem Essen zollten. Ohne ihre Masken sahen sie alle gleich aus. Bis auf gelegentliche Rülpser schwiegen sie so verbissen, dass ich mich fragte, ob sie eine Meuterei planten.
Sie schienen ein mürrischer Haufen zu sein. Alle trugen khakibraune oder blaue Schlodderhosen und Kordhemden. Ihre Arme waren gebräunt, ihre Gesichter blass mit schwachen Kerben an den Seiten, wo die Staubmasken anlagen. Sechs der Männer hatten sich von den Schläfen über den Kopf einen schmalen Streifen ausrasiert, um einen dichteren Sitz zu erreichen. Die Crew war bis zum letzten Mann mit Symbolhalsbändern geschmückt, dünnen Metallketten, an denen eines oder mehr Symbole der Teile Gottes klimperten; denn nach dem merkwürdigen nullaquanischen Glauben war das Höchste, was ein Mensch erwarten konnte, die Aufmerksamkeit eines geringen Bruchteils der Gottheit. Wachstum, Glück, Liebe, Einfluss – alle normalen Seemannssymbole waren vertreten, einige auch auf Ringen und Armreifen. Die Schmuckstücke selbst wurden nicht als magisch getrachtet, sondern dienten nur als ein Brennpunkt für Gebete. Obwohl ich nicht religiös war, besaß ich selbst einen Platin-Schöpfungsring – ein Künstlersymbol.
Die Männer aßen mechanisch, die Gesichter leidenschaftslos, als wären sie es nicht gewohnt, Gefühle auszudrücken oder als wären die blassen Gesichter nur eine weitere Maske, wie von unsichtbaren Bändern gehalten.
Sie aßen an einem langen, kunststoffbeschichteten Tisch, der mit dem Deck verschraubt war. Am Ende des Zelts stand ein zweiter Tisch wie der Querbalken eines T. Auf ihm stand das Essen. Zwischen den beiden Tischen war gerade genug Platz für die Männer, ihre Plastikteller zu nehmen und sich selbst zu bedienen.
Calothrick, des monotonen Mahlens der Kiefer müde, versuchte mit dem ergrauten Veteranen neben sich ein Gespräch anzufangen. »Schönes Wetter heute«, sagte er.
Alle Männer hörten zu essen auf. Die Gabel in der Hand starrten sie auf den unglückseligen Calothrick, wobei sie ihm das gleiche klinische Interesse widmeten, das ein Arzt vielleicht für einen Furunkel aufbringt. Schließlich, als sie aus seinem verlegenen Schweigen folgerten, dass er nichts mehr zu sagen hatte, aßen sie weiter.
Es war ohnehin eine unglückliche Gesprächseröffnung gewesen. In Nullaqua gab es kein Wetter. Nur Klima.
Meine erste Begegnung mit der fremdartigen Frau, Dalusa, hatte ich bei der letzten Mahlzeit des Tages. Die Sonne war schon hinter dem Westrand des Nullaqua-Kraters gesunken, und der Abend wurde durch den staubgefilterten rosigen Schimmer erhellt, der von den Klippen vierhundert Meilen östlich reflektiert wurde. Ich arbeitete in der Küche, als sie durch die Luke kam.
Dalusa war gut einen Meter fünfzig groß. Schwarze, pelzbedeckte Fledermausschwingen an knöchernen Streben verlängerter Mittelhandknochen und Fingerglieder, legten sich um ihren Körper. Sie hatte an jeder Hand zehn Finger; fünf trugen die Schwingen, die übrigen waren frei und ähnelten bis hin zu dem roten Lack auf den Fingernägeln einer menschlichen Hand. Ihre Arme waren von ungewöhnlicher Länge; sie hätte bis zu ihren Knien hinabgereicht, hätte sie sie nicht gewohnheitsmäßig in den Ellbogen gebeugt und die Hände vor der Brust verschränkt.
Ich spürte momentane Überraschung und war nicht in der Lage zu sagen, ob sie eine Fledermaus war, die zu einer Frau umgewandelt worden war, oder eine Frau, die eine Fledermaus zu sein versuchte.
Dalusas Gesicht war von einer verfeinerten gemeißelten Schönheit, die nur von einer chirurgischen Veränderung stammen konnte. Ein Künstler hatte das Skalpell geführt.
Sie trug ein lockeres, extrem leichtes weißes Gewand, eigentlich nur eine Art milchig-trüber Schleier, der von ihren muskulösen Schultern bis auf die Knie hinunterhing. Ihre Beine stimmten irgendwie nicht. Ihr Gang war ein wenig schief, fast ein Watscheln. Es schien offenkundig, dass sie mit Beinen geboren worden war, die sich von ihren jetzigen pseudomenschlichen Gliedmaßen radikal unterschieden.
Dalusa hatte schulterlanges schwarzes Haar, das von dem gleichen trüben Glanz wie der samtene Pelz auf ihren Schwingen war.
Sie sprach. Ihre Stimme war ein leiser, melodischer Bariton, so erstaunlich in seiner zarten klanglichen Andersartigkeit, dass ich beinahe nicht auf ihre Worte achtete.
»Sind Sie der Koch?«
»Jawohl, Madam«, sagte ich nach einer Pause. »John Newhouse aus Venedig, Erde. Was kann ich für Sie tun?«
»Jonnuhaus?«, wiederholte sie blinzelnd.
»Jawohl.«
»Mein Name ist Dalusa, ich bin der Ausguckposten. Möchten Sie meine Hand schütteln?«
Ich schüttelte ihre Hand. Ihr Griff war schwach und ihre Hand außergewöhnlich heiß, aber nicht feucht. Offenbar war ihre Körpertemperatur um einige Grade höher als die eines Menschen.
»Sie reden ja«, sagte sie, »das ist schön. Von den Matrosen spricht keiner mit mir – eine Art Brauchtum, denke ich. Ich vermute, sie glauben, ich bedeute Unglück.«
»Wie kurzsichtig von ihnen«, sagte ich.
»Und Kapitän Desperandum ist sehr verschlossen. Sagten Sie nicht, Sie kämen von der Erde?«
»Ja.«
»Das ist die Geburtsstätte der Menschheit, nicht wahr? Sie und ich, wir werden einmal darüber sprechen müssen. Ich bin sehr daran interessiert. Ich wollte Ihnen eigentlich sagen, dass ich die Erlaubnis habe, meine eigenen Mahlzeiten zuzubereiten. Ich fürchte, ich muss einen Teil Ihrer Küche in Anspruch nehmen.«
»Vielleicht mögen Sie meine Art zu kochen nicht. Ich kenne auch andere Arten.«
»O nein, nein, das ist es nicht. Aber es gibt Spurenelemente … und ich bin gegen Proteine in der Nahrung allergisch. Und dann sind da noch Bakterien. Ich muss viele Vorsichtsmaßnahmen treffen.«
»Dann werden Sie wohl oft hier sein.«
»Ja. Ich bewahre meine Nahrungsmittel in dieser Kiste auf.« Mit ihren unnatürlich verlängerten Armen wies sie auf einen blauen, von Metallbändern umgebenen Behälter. Er stand unter einem Eisentisch, der am Küchenboden festgeschraubt war.
Ich prüfte ein halbes Dutzend aufgehender Törtchen im Herd, während die fremdartige Frau ihre Kiste hervorzog und öffnete. Sie nahm einen Messingtopf und besprühte ihn dann mit antibiotischem Allzweck-Aerosol.
»Ist das Ihre erste Walfängerreise?«, fragte ich.
Sie schüttelte ein halbes Dutzend biskuitähnlicher Fleischscheiben in den Topf, streute Gewürze darüber und setzte den Topf auf die Waltranpfanne. Ich betätigte ein paar Mal die Handpumpe, um sicherzugehen, dass sie gleichmäßig brannte.
»O nein; das ist meine dritte Reise mit Kapitän Desperandum. Nach dieser Fahrt werde ich wohl genug Geld zusammengespart haben, um den Planeten zu verlassen.«
»Wollen Sie ihn unbedingt verlassen?«
»Unbedingt!«
»Warum sind Sie dann überhaupt hierhergekommen?«
»Freunde haben mich mitgenommen. Zumindest dachte ich, sie seien meine Freunde. Aber sie haben mich hier zurückgelassen … Ich habe sie nicht verstanden. Vielleicht konnte ich es nicht.«
Ein schwacher, beißender Hauch bratenden fremdartigen Fleischs kam vom Herd. »Eine grundlegende psychologische Dichotomie«, vermutete ich.
»Nein. Ich bin sicher, das kann es nicht sein. Nein, mit meinen eigenen Leuten war es noch schlimmer. Ich habe nie zu ihnen gepasst, bin nie akzeptiert worden. Ich war nie kikiye'.« Ihr veränderter Mund machte verzerrte Bewegungen, um das Wort auszusprechen.
»Deshalb haben Sie sich also verändern lassen.«
»Was dagegen?«
»Ganz und gar nicht. Sie sind also hier zurückgeblieben, brauchen Geld und haben bei Desperandum angeheuert?«
»So ist es.« Sie nahm einen biegsamen Spachtel aus der Schublade, besprühte ihn mit Aerosol und wendete die Fleischscheiben. »Sonst wollte mich niemand nehmen.«
»Und Desperandum nimmt's nicht so genau.«
»Richtig. Er ist natürlich ein Fremder, und er ist auch sehr alt. Glaube ich.«
Das waren schlechte Neuigkeiten. Es war nicht abzusehen, welches bizarre Verhalten ich von Desperandum zu erwarten hatte. Menschen werden gerissen und ihre Motive seltsam, wenn die unterbewusste Todessehnsucht sich als verräterisch herausstellt.
»Er scheint ein ganz anständiger Kerl zu sein«, sagte ich und lächelte. »Zumindest hat er einigen Geschmack bewiesen, indem er Sie angeheuert hat.«
»Sie sind sehr freundlich.« Sie nahm einen schmutzigen Teller aus dem Regal, schabte ihn mit grobem Sand aus und sterilisierte ihn dann. Sie hob den Topf vom Feuer und spießte ein Stück Fleisch mit einer langen Gabel auf. »Haben Sie etwas dagegen, dass ich hier esse?«
»Nein. Warum sollte ich?«
»Die Männer im Kombüsenzelt mögen es nicht, wenn ich mit ihnen esse.«
»Ich würde meinen, Ihre Gesellschaft sei ein großer Vorzug.«
Sie legte ihre Gabel beiseite. »Mr. Jonnuhaus …«
»John.«
»John, ich zeige dir etwas.«
Sie streckte ihre rechte Hand aus. Ich schaute sie an. Ein roter Hautausschlag zog sich über ihre Finger. Ich griff nach ihrem Arm. »Du hast dich verbrannt.«