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Kätzchen
mit Köpfchen

 

Die faszinierende Intelligenz
unserer Stubentiger

 

von
Marlitt Wendt

 

 

 

 

 

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(Foto: Shutterstock.de/Nejron Photo)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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(Foto: Shutterstock.de/gillmar)

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(Foto: Shutterstock.de/Floris Slooff)

Vorwort: Wie schlau sind unsere Katzen?

 

Die Katze gehört zu den engsten und treuesten Begleitern des Menschen. Diese selbstbewussten und großzügigen Wesen haben vor Tausenden von Jahren der menschlichen Zivilisation sozusagen Starthilfe geleistet. Damals haben die schnurrenden Räuber lästige Nagetiere in den Vorratskammern vertilgt. Dass sie diese Aufgabe heute nur noch selten erfüllen müssen, tut der engen Bindung zwischen Mensch und Katze keinen Abbruch.

Da liegen die Fragen nahe, wie Katzen eigentlich unsere Welt sehen, was sie verstehen können und wie intelligent sie sind. Sehen sie uns wirklich nur als ihre Dosenöffner an und manipulieren uns geschickt mit ihrem Charme? Oder basiert diese innige Beziehung nicht doch vielmehr auf gegenseitiger Zuneigung und Verständnis?

Die Antworten auf diese Fragen finden sich in einem aktuell sehr spannenden Bereich der Verhaltensforschung, der sogenannten Kognitionsforschung. Diese Wissenschaft beschäftigt sich mit dem Denkvermögen der Tiere, der Art und Weise, wie sie Zusammenhänge verknüpfen und Erkenntnisse gewinnen. Was also kann unsere Katze überhaupt wissen? Was weiß sie über die Naturgesetze, die Mathematik und die menschliche Psychologie? Die modernen Erkenntnisse über unsere geheimnisvollen Hauskatzen entlarven sie nicht nur als bisweilen durchtriebene Intriganten, sondern enthüllen auch ihre sanfte Seite als verständnisvolle Seelentröster, tiefgründige Denker und anarchische Freigeister. 

Ich möchte mit diesem Buch einen Blick in die schlauen Köpfchen unserer Katzen wagen und die verborgenen Talente und Fähigkeiten unserer samtpfotigen Hausgenossen aufspüren.

 

 

Wir müssen Götter sein

 

Die Katze und ihre Rolle in der Menschheitsgeschichte

Es ist schon etliche Jahrmillionen her, seit die ersten Katzen ihre lieblichen Pfotenabdrücke im Staub der noch jungen Erde hinterlassen haben. Und noch heute ist das Katzenpfötchen ein Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit. Betrachtet man die außergewöhnliche Schönheit der Katze, ihre angeborene Grazie und die vollkommene Eleganz ihrer Bewegungen, so könnte man auf den Gedanken kommen, dass sie direkt vom Himmel zu uns auf die Erde gesandt wurde. Etwas nüchterner betrachtet ist es wohl aber wahrscheinlicher, dass sich unsere Hauskatze so wie wir Menschen im Laufe der Evolution allen Lebens auf unserem Planeten zu diesem anmutigen Geschöpf entwickelt hat. Sie ist das überaus ansehnliche Kind der irdischen Umwelt, das noch heute durch unsere Wohnzimmer stolziert und unsere bedingungslose Aufmerksamkeit einfordert. 

Was lange währt, wird wunderbar

Die Familie der Katzen, die Felidae, haben sich über einen Zeitraum von Millionen von Jahren aus den sogenannten Schleichkatzen – kleinen Raubtieren mit eher lang gestrecktem Körper – entwickelt und eine Vielzahl eigener Arten hervorgebracht. Von den bei uns heimischen Luchsen über die imposanten Tiger und Löwen bis hin zu so ungewöhnlichen Vertretern wie den schnellen Geparden gestaltet sich die Verwandtschaft unserer heutigen Hauskatze. Tatsächlich ähneln sich die heute noch vorkommenden Vertreter der Felidae untereinander in ihrem Körperbau und ihrem Verhalten schon recht stark; einzig ihre Größe und die fantastischen Fellzeichnungen unterscheiden sich von Art zu Art.

Ihre innere Größe, ihr Selbstbewusstsein und auch ihre Intelligenz zeigen sich aber bei sämtlichen Vertretern ähnlich prächtig ausgestaltet. Sie alle sind äußerst bewegliche, hochspezialisierte Jäger, deren mentale und körperliche Voraussetzungen vorzüglich an eine solche Lebensweise angepasst sind: Sie alle haben äußerst sensible Sinnesorgane, reagieren sehr fein auf Emotionen und Veränderungen in ihrer Umgebung, verfügen über ein außergewöhnliches Orientierungsvermögen und können sich sogar in das Verhalten anderer Lebewesen hineinversetzen. Auch ihre ganz eigene kätzische Intelligenz entwickelte sich im Laufe der Evolution immer weiter. Sie lernten sich an unterschiedliche Lebensräume anzupassen, mit ihrer Umgebung zu verschmelzen und perfektionierten ihre Jagdstrategien. So schuf die Zeit die erfolgreichste Jägerin auf diesem Planeten, deren gesamter Körper zum Projektil ihres Willens wurde.

 

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(Foto: Shutterstock.de/Nailia Schwarz)

 

Wo sonst als im Paradies sollte wohl die heutige Hauskatze entstanden sein? Tatsächlich entwickelte sich die Hauskatze aus ihren direkten wilden Vorfahren, den Falbkatzen, in dem wunderschönen, paradiesischen Gebiet nördlich der arabischen Halbinsel, dem „Fruchtbaren Halbmond“. Hier befindet sich nicht nur das Entstehungsgebiet einer faszinierenden gemeinsamen Mensch-Tier-Epoche, sondern auch die Ursprungsregion unserer menschlichen modernen Lebensweise. Zwischen dem früher als Morgenland bezeichneten Gebiet des Sonnenaufgangs, der Levante und dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris bis in den Westen des Irans kam es zu einem der wichtigsten Umbrüche in unserer Kulturgeschichte – und die Katzen haben uns begleitet, wenn nicht sogar uns dabei maßgeblich geholfen, das zu werden, was wir heute sind. 

 

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Damals wie heute halfen die Katzen, die Vorräte der Menschen von Schädlingen frei zu halten. (Foto: Shutterstock.de/PashOK)

 

In der Jungsteinzeit kam es hier zum Übergang von einer nomadischen Lebensweise zu einer sesshaften Zivilisation mit Ackerbau und Viehzucht. In diesem Gebiet entstanden auch die ältesten Stadtkulturen der Menschheitsgeschichte. Ein ganz entscheidender Faktor dieser Veränderung des menschlichen Zusammenlebens war die saisonale Vorratshaltung. Nur durch den Ackerbau und das damit verbundene Einlagern von Überschüssen an Getreide und Früchten konnte der Mensch sesshaft werden und Städte errichten. Dies wiederum wäre vermutlich ohne die Hilfe der Katze nicht gelungen, da sie die Speicher von Mäusen und Ratten freihielt. Beide Seiten profitierten also von dieser gemeinsamen Lebensweise – und tun es heute noch. Sämtliche heute lebende Hauskatzen stammen genetisch von diesen Hütern der Kornspeicher nördlich der arabischen Halbinsel ab, ob sie es sich nun heute auf einer Couch in Texas, im Katzenbettchen in Deutschland oder auf einer australischen Veranda gemütlich machen. Sie sind also nicht etwa Nachkommen von Wildkatzen aus den jeweiligen Regionen. Die Menschheit hat vor rund 10 000 Jahren in der Wiege der Zivilisation im Zweistromland zu der Hauskatze gefunden und von dort aus mit ihr gemeinsam den Siegeszug in alle Welt angetreten.

Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein

Während der Hund seinen Menschen abgöttisch liebt, weil dieser ihn füttert und streichelt, sieht eine Katze diese Angelegenheit gänzlich anders. Aus Sicht der anspruchsvollen Samtpfoten ist die Welt mythologisch eher so gestaltet: Die tumben Zweibeiner verehren mich, sie reichen mir edle Speisen und lesen mir jeden Wunsch von den Augen ab. Ich muss also eine Göttin sein!

Doch warum verehren wir Menschen die Katze so innig und warum können wir uns ihrer fast schon überirdischen Schönheit und Eleganz kaum entziehen? Schon seit Menschengedenken fasziniert die Katze ihre zweibeinigen Weggefährten. Vielleicht wurde sie zunächst einfach als nützlicher Schädlingsvernichter angesehen und nicht weiter beachtet. Aber spätestens die altägyptische Kultur erkannte ihren Wert für die Menschheit und betete die Katzengöttin Bastet an. In diesem kultischen Glauben der Antike wurden ihr als Symbol für Fruchtbarkeit, Schönheit, Weiblichkeit und Anmut auch die Fröhlichkeit und die Liebe zugesprochen – alles Attribute, die man auch heute noch der Katze nachsagt und für die sie bis heute weltweit verehrt wird. Fast wurde ihr diese Zuordnung zum Symbol der Weiblichkeit allerdings im Laufe der Geschichte zum Verhängnis. So wurde sie im Mittelalter beispielsweise als Begleiterin der Hexen und als Geliebte des Teufels angesehen und einige Katzen fanden sogar nach offiziellen Gerichtsprozessen einen schrecklichen Tod. Erst viele Jahrhunderte später wurde die Katze in der späten Neuzeit wieder zu einer pelzigen Göttin, die sich unserer uneingeschränkten Verehrung erfreuen konnte. 

 

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Katzen – ein Symbol für Schönheit. (Foto: Shutterstock.de/guidocava)

 

 

Zusätzlich zu diesen Beweggründen ist ihre Beliebtheit auch auf die kätzische Cleverness zurückzuführen. Was der Eine für „falsch“ oder „verschlagen“ hält, kann für den Anderen ein Zeichen ihres unabhängigen, stolzen Wesens sein. Katzen zeigen uns in ihrem Verhalten viele Seiten, die wir auch an anderen Menschen schätzen. Sie lieben leidenschaftlich, genießen zärtliche Nähe, scheuen sich aber auch nicht, gelegentlich ihre Krallen auszufahren, zu ihrer Meinung zu stehen oder eigene Wege zu gehen. Wir aufmerksamen Katzenliebhaber entdecken jeden Tag neue Details ihres Wesens und ihrer Psyche: Sie sind Meister der Stimmungsübertragung, perfekte Jäger, aufopferungsvolle Mütter und clevere Diplomaten. All das macht ihre einmalige Stellung in ihren menschlichen Familien aus. Jede Katze wird sofort als eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen. Falls nicht, wird die Katze notfalls selbst auf die Anerkennung ihrer Persönlichkeitsrechte hinweisen. Katzen wissen um ihrer selbst und sind deshalb wirkliche Partner mit ihren Eigenheiten und liebenswerten Spleens. Sie leben das Dolce Vita und tun einfach all das, was wir selbst vielleicht gern tun würden, uns aber aus kulturellen und sozialen Gründen nicht zu tun trauen. Wer würde nicht gern jeden gemütlichen Platz im Haus ganz selbstverständlich für sich einnehmen, mal wieder völlig ausgeflippt wie ein Kind spielen oder auch der unerträglichen Nachbarin unmissverständlich die Meinung sagen. Katzen leben ihre Emotionen aus und dafür werden sie geliebt, denn sie sind authentisch und kompromisslos.

 

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Katzen sind uns Menschen mit ihrem Geruchssinn überlegen und können die Duftspuren, die sie und andere Katzen an Möbeln hinterlassen, lesen und deuten. (Foto: Ulrike Schanz)

Ganz besonders interessant ist im Zusammenhang mit der Kognitionsforschung der Katze der Vergleich mit anderen Tierarten oder dem Menschen. Wir Menschen können unser menschliches Gegenüber einschätzen, die Absichten des Anderen erkennen oder uns von ihm täuschen lassen. Aber haben Katzen in bestimmten Zusammenhängen vergleichbare Fähigkeiten? Je besser wir das Denkvermögen der Katze kennen, desto seltener wird es zu Missverständnissen zwischen Mensch und Tier kommen.

Wir können bei der Katze nur die kätzische Intelligenz erforschen und nicht die menschliche. Die eine Form ist nicht besser als die andere, sie sind beide einzigartig. Um diese ewigen Vergleiche zu vermeiden, sprechen Verhaltensforscher generell auch nicht von Intelligenz, sondern von kognitiven Fähigkeiten. Aber was auch immer die Forscher noch über unsere kätzischen Mitbewohner herausfinden werden, der aufmerksame Katzenliebhaber weiß schon lange um die Katzenschläue.