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Mika Waltari

Michael der Finne

Kuebler Verlag

Der Autor

Mika Waltari (1908 –1979) gehörte zu den produktivsten finnischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Er ist in seiner finnischen Heimat nach wie vor äußerst populär und hat dort den Status eines modernen Klassikers. Sein Werk umfasst rund hundert Titel, darunter Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Reiseberichte, Drehbücher und Hörspiele. Im Ausland wurde er besonders durch seine historischen Romane bekannt, denen oftmals der Sprung auf die Bestsellerlisten gelang (Sinuhe der Ägypter, Michael der Finne, Michael Hakim, Johannes Angelos, Turms der Unsterbliche, Minutus der Römer und andere). Sie zeichnen sich sämtlich durch sorgfältige Recherche aus schildern und auf packende Weise menschliche Schicksale in verschiedenen Epochen.

Das Buch

Der junge elternlose Michael wächst Anfang des 16. Jahrhunderts in der Obhut einer heilkundigen Frau im finnischen Turku auf, das damals zum Königreich Schweden gehört. Er besucht die dortige Lateinschule und wird vom Bischof zum Studium nach Paris geschickt. In seine Heimat zurückgekehrt, lässt er sich in politische Ränkespiele hineinziehen, die dem dänischen König Christian die schwedische Königskrone sichern sollen. Als ihm der Boden in seiner skandinavischen Heimat zu heiß wird, geht er mit seinem Freund, dem Geschützknecht Antti, nach Deutschland. Hier gerät er in die Wirren der Reformationszeit und der Bauernkriege. Außerdem muss er erleben, dass seiner Frau Barbara der Prozess als Hexe gemacht wird. Eine weitere Station auf seinem Lebensweg ist Rom, wo er am „Sacco di Roma“ teilnimmt, der Plünderung Roms durch deutsche Landsknechte samt der Vertreibung von Papst Clemens VII. aus dem Vatikan. – Vielen historischen Persönlichkeiten begegnet Michael auf seinem Weg, wie etwa König Christian von Dänemark, dem Arzt Paracelsus, den Reformatoren Martin Luther und Thomas Müntzer sowie Kaiser Karl V., um nur einige zu nennen. Auch der Humor kommt in diesem historischen Abenteuer und Schelmenroman nicht zu kurz.

Der Herausgeber

Die Reihe „Mika Waltaris historische Romane“, in deren Rahmen Michael der Finne erscheint, wird von Andreas Ludden betreut und herausgegeben. Der Herausgeber, der die Romane auch teilweise neu übersetzt hat, gilt als Kenner der Werke Waltaris und lehrt Finnisch am Baltischen Institut der Universität Münster.

Die Übersetzung

Michael der Finne erschien bereits in den 1950er Jahren in deutscher Übersetzung, die in den folgenden Jahrzehnten mehrere Neuauflagen erfuhr. Jedoch war diese ältere Übersetzung im Vergleich zum finnischen Original um rund 40 Prozent gekürzt und beruhte auf der englischen Übertragung, die wiederum aus einer schwedischen Übersetzung des Romans erfolgte. Die vorliegende Neuübersetzung ist erstmals ungekürzt aus dem finnischen Original übertragen. Somit bietet sich dem deutschen Leser 65 Jahre nach dem Erscheinen des finnischen Originals zum ersten Mal die Gelegenheit, diesen Roman in unverfälschter Form kennenzulernen.

Mika Waltari

Michael der Finne

oder

des Michael Pelzfuß Jugend und merkwürdige Abenteuer,

die er bis zum Jahre 1527 in vielen Ländern erlebt hat,

von ihm selbst in zehn Büchern wahrheitsgemäß aufgezeichnet.

Ungekürzte Übersetzung aus dem Finnischen

von Andreas Ludden

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Mehr Informationen zu diesem Buch, zum Autor und zu anderen maritimen Romanen erhalten Sie hier:

www.kueblerverlag.de

Impressum

Titel der finnischen Originalausgabe: Mikael Karvajalka. Die Erstausgabe erschien 1948 im Verlag WSOY (Werner Söderström Oy), Helsinki.

Übersetzt nach der 15. Auflage von 1995 (ISBN 951-0-20748-9).

© der finnischen Ausgabe: Verlag WSOY und Erbengemeinschaft Mika Waltari.

© der deutschen Übersetzung: Kuebler Verlag GmbH, Lampertheim.

Die Übersetzung wurde gefördert von

FILI – Finnish Literature Exchange, Helsinki.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86346-067-9

ISBN Digitalbuch: 978-3-86346-134-8

Erstes Buch

MICHAEL DER BASTARD,

GENANNT PELZFUSS

Kapitel 1

Ich bin in einem Land fern im Norden geboren und aufgewachsen, das die Kosmographen unter dem Namen Finlandia kennen. Dem gebildeten Publikum ist dieses weite und schöne Land leider unbekannt. Wenn es in Geschichten erwähnt wird, verwechselt man es oft mit dem noch weiter nördlich gelegenen Land der Lappen, wo die Sonne im Sommer nie untergeht, während man den Winter dort in ewiger Dunkelheit verbringt und der geweihtragende Hirsch, dort Rentier genannt, als Zugtier dient. Auch in Finnland ist der Sommer kurz und der Winter lang, aber zum Ausgleich für die karge Natur sind die Sommernächte so hell, dass man in den kürzesten Nächten um Mitternacht sogar ein in kleiner Schrift gedrucktes Buch mit bloßem Auge lesen kann. Im Winter dagegen sind die Tage kurz; das Land liegt unter einer dichten Schneedecke, und das Meer wird an den Gestaden meiner Heimat von einer so dicken und festen Eisdecke überzogen, dass dieses „Mare Finonicum“, das ist der Finnische Meerbusen, sogar ganze Armeen samt Geschützen getragen hat. Wenn ich so etwas erzähle, treffe ich in südlichen Ländern oft auf Unglauben und Unverständnis. Dabei schenken die Menschen dort gern Geschichten über Länder Glauben, in denen es angeblich so heiß ist, dass der Teer zwischen den Schiffsplanken zu kochen beginnt.

Im Süden meinen die Leute, ein solch nördliches Land sei karg und ungeeignet für menschliche Besiedlung, seine Bewohner seien Wilde und lebten in Felle gehüllt und in Heidentum und Aberglauben befangen. Nichts ist lächerlicher als eine solche Vorstellung. Gibt es doch in Finnland auch zwei große Städte, im Osten Viborg und im Süden Aboa, auf Schwedisch Åbo geheißen, in meiner finnischen Muttersprache aber Turku genannt. Dort bin ich geboren. Allerdings bauen die Bürger dort ihre Häuser nicht aus Stein, sondern aus Holz, einem leichten und wärmenden Baustoff, wenngleich diese Städte deswegen auch viele Male durch Feuersbrünste in Schutt und Asche gelegt worden sind, besonders in Kriegszeiten und bei Belagerungen.

Was Heidentum und Aberglaube betrifft, so muss man wissen, dass Finnland viele Jahrhunderte lang der einen alleinseligmachenden Kirche angehört hat. Der Dom von Turku hält jeden Vergleich mit den großen Gotteshäusern der Christenheit aus. Wenn ich an ihn zurückdenke, ist mein Herz gerührt, und ich glaube nicht, je einen zweiten so mächtigen und Ehrfurcht gebietenden Dom zu Gesicht zu bekommen, obwohl ich in meinem Leben in zahlreichen anderen großen Kathedralen der Christenheit gebetet und Gott reumütig um Vergebung meiner Sünden angefleht habe. Zu Recht gilt der Dom von Turku in den Ländern des Nordens als berühmter Wallfahrtsort, denn Finnland hat zwei eigene Heilige: den heiligen Henrik und den heiligen Hemming, deren heilige Gebeine der größte Schatz im dortigen Dom sind. Ich kann auch versichern, dass sie es durch ihre wundertätige Kraft mit jeder anderen wundertätigen Reliquie der Christenheit aufnehmen können.

In den heutigen schlimmen Zeiten kann man dieses Volk natürlich der Abtrünnigkeit zeihen, weil es unter dem hartherzigen und räuberischen König Gustav die lutherische Lehre angenommen hat und bereits als ein verlorenes Schaf der Christenheit gilt. Es ist nur zu verständlich, wenn es dadurch wieder in Unwissenheit, Wildheit und Sünde zurücksinkt. Die Schuld daran möchte ich jedoch nicht dem Volk, sondern der schlechten Obrigkeit geben. Das Volk hält nämlich treu zu dem, was es einmal gelernt hat, und ich glaube nicht, dass zumindest die jetzige Generation davon ablassen wird, wenigstens insgeheim Fürbitten zu sprechen und die Heiligen zu verehren. Überhaupt ist es ein gesittetes Volk, das seinen Lebensinhalt in zäher Arbeit sieht. Auch kann man einen Finnen nicht leicht erzürnen. Gerät er aber erst einmal in Wut, ist er furchtbar in seinem Grimm, und am größten ist seine Wut, wenn er meint, in seinen Rechten verletzt zu sein. So tötete ein finnischer Bauer namens Lalli eigenhändig den heiligen Henrik, als dieser ihn in seines Hauses Ruhe störte und seiner Scheune ohne Erlaubnis Getreide entnahm. Aber dieser Vorfall liegt lange zurück, und das Volk hat seinen Irrtum erkannt. Deshalb verehrt es Bischof Henriks Reliquien als heilig und gibt nun der Kirche ohne Murren das, was der Kirche zukommt.

Finnland ist keineswegs arm, sondern seine Wälder sind reich an Wild, und in den großen Flüssen kann man vielerorts Lachs fischen. Die Bürger von Turku treiben regen Handel mit Übersee, und an der ganzen bottnischen Küste versteht man sich auf den Bau hochseetauglicher Schiffe. An Bauholz und Mastbäumen herrscht kein Mangel, und außer Fellwaren und Dörrfisch sowie kunstvoll geschnitzten Holzgefäßen wird von Turku aus auch Roheisen in andere Länder verschifft; man gewinnt es aus den Erzfeldern an den Seen des Binnenlandes. Der Handel mit Fisch, sowohl mit Dörrfisch als auch Pökelhering, bildet für Finnland eine Quelle des Reichtums, so dass das Land auf die Dauer keine Irrlehre wird annehmen können, welche Fastenzeiten verschmäht, ist doch ihre Einhaltung gemäß der Lehre der katholischen Kirche für so manchen frommen Bürger Finnlands eine unerlässliche Voraussetzung.

Als staatliches Gebilde gehört Finnland zum Schwedischen Reich, derart, dass der Erzbischof von Schweden über dem Bischof von Finnland steht. Die Angehörigen des finnischen Landtags nehmen an der schwedischen Königswahl teil. Die Vögte der mächtigen und furchterregenden finnischen Burgen wählt der schwedische König aus den schwedischen Herren aus, wohingegen die kirchlichen Ämter mit Männern aus dem eigenen Land besetzt werden, welche der Sprache des Landes mächtig sind. Das Volk spricht nämlich seine eigene Sprache, die vom Schwedischen nicht weniger verschieden ist als das Hebräische vom Lateinischen.

Allerdings hat die Frage der staatlichen Verfassung Schwedens in den letzten anderthalb Jahrhunderten zu mancherlei Kriegen, Zwistigkeiten, Kummer und Blutvergießen geführt, was dem ganzen Reich großes Unglück beschert hat. Der König von Dänemark erhob nämlich auch Anspruch auf den schwedischen Thron und hätte somit unter seiner Krone außer Dänemark und Norwegen auch Schweden und Finnland vereinigt, wodurch dieses Reich im Norden seiner Ausdehnung und Bevölkerung nach eines der mächtigsten Reiche Europas wäre, wenn nicht gar das mächtigste. Aber die hohen Herren in Schweden rebellierten immer wieder gegen den dänischen König und wählten Statthalter aus ihrer eigenen Mitte. Bei diesen Unruhen konnten sie auch die Bauern auf ihre Seite ziehen. Durch alle diese blutigen Kriege ist nun das Reich verarmt, was wiederum hohe Steuern zur Folge hatte. Diese verstanden die schwedischen Herren geschickt stets nur den Dänen anzulasten, obgleich der wahre Grund nur in ihrer eigenen Machtgier und Aufsässigkeit lag. Aber der dumme und ungebildete Bauer begreift das nicht. Er ist leicht zu verführen, wenn er unter der Last der Steuern stöhnt und im ganzen Land kein Salz aufzutreiben ist.

Allerdings war Finnland selbst nicht in diese Zwistigkeiten verwickelt, sondern es war eher wie ein gehorsames Packpferd, das man von einem Stall zum andern führt, denn das Volk will nur leben und in Ruhe seiner Arbeit nachgehen können. Der finnische Adel ist zahlenmäßig zu unbedeutend und mittellos, um teure Intrigen und Reisen nach Schweden bezahlen zu können. Deshalb hält derjenige das Land fest in seiner Hand, der die Burgvögte in ihre Ämter beruft. Auch sind, im Vergleich zu Schweden, nur wenige Männer wegen staatspolitischer Querelen einen Kopf kürzer gemacht worden.

Viel Leid hat Finnland wegen seiner östlichen Lage erfahren müssen, denn nach dem Sturz des mächtigen Nowgorod zog der Zar von Moskau mehrmals gegen Schweden in den Krieg. Die Mauern von Viborg, Finnlands unbesiegbarer Grenzfeste, konnten jedoch alle diese Angriffe abwehren, obgleich im Zuge des letzten großen russischen Krieges das Heer des Zaren bis nahe vor Turku vordrang und die Domschätze verkauft werden mussten, um Waffen und Munition zu beschaffen. Seit dieser Zeit genießt der Name Finnland hohen Ruhm wegen des „Knalls von Viborg“, der den Angreifern so sehr in den Ohren dröhnte, dass sie ertaubten und sich von Viborg zurückzogen, obgleich Teile der Stadt samt Mauern und Türmen sich bereits in ihrer Gewalt befanden.

So viel also sei von dem Lande berichtet, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, damit man daraus ersehen mag, dass ich durchaus kein Heide bin.

Kapitel 2

So sehe ich mit den Kinderaugen meines Herzens die schöne Stadt Turku: Ein lauer Wind treibt weiße Wölkchen über den blauen Himmel; am Ufer des grünen Flusses haben die Birken ausgeschlagen, und schwarze Dohlen umflattern den mächtigen Dachfirst des Domes. Die Kais am Fluss sind voller Schiffe und Boote, welche die Bauern mit ihren Waren beladen haben. Langsam zieht ein Ochsengespann einen knarrenden Schlitten hinter sich auf der Straße her. Die Läden der Händler und Handwerker haben ihre Pforten geöffnet; aus einer Schmiede ertönt klirrendes Gehämmer, und Ströme roten Wassers ergießen sich aus einer Färberei in den Fluss. An den Schiffsmasten flattern die Fahnen der Hanse und Wimpel der verschiedenen Handelshäuser, und auf dem Oberdeck der größten Schiffe sind kupferne Geschütze festgezurrt. Das Sommergras ist warm und weich unter den bloßen Füßen. Ich schleiche mich in den torfgedeckten Arbeitsraum, aber das Feuer im Ofen ist erloschen und das Zinn in der Schmelzkelle erkaltet. Der Geselle liegt schnarchend auf der Bank, seinen Kopf umkreisen Fliegen, und ich weiß, dass mein Großvater sich wieder einmal auf ein Bier in die Gildestube begeben hat. Bekümmert trete ich in die Wohnstube, wo ich mir ein Stück trockenes Brot und einen gelblichen Strömling aus dem Schrank hole. Ich esse und benetze dabei mein trockenes Brot mit Tränen. Ich weiß nicht, weshalb ich weine. Mir ist so unheimlich zumute, allein in der rußigen Stube, während die Fliegen angriffslustig um mich herumsurren und mir in die nackten Beine stechen. Schließlich gehe ich nach draußen und warte an der Kirchenmauer, bis eine vorzeitig gealterte Frau die Kirche verlässt. Unwirwsch greift sie nach meiner Hand und bringt mich wieder nach Hause.

Oder es ist Winter. In der fahlen Morgendämmerung steigen aus allen Häusern der Stadt Rauchsäulen senkrecht gen Himmel auf. Das Land liegt unter einer dicken Schneedecke, der Fluss ist zugefroren, und irgendwo in der Ferne tönt unheilverheißend das Krachen von Eisschollen. Meine Großmutter bringt mich in die Kirche. Ich friere fürchterlich, und noch schlimmer ist es, wenn ich neben ihr auf dem eiskalten Steinfußboden knie. Ich verstehe die Messe und die Gebete nicht, aber ich murmle irgendetwas mit, denn all dies geschieht ja zu meinem eigenen Seelenheil. Als wir endlich blaugefroren in die warme Stube zurückkehren, höre ich nur Gezänk und böse Worte. Ich begreife noch nicht alles, was ich höre, aber ich weiß, dass meine Mutter in den Fluss gesprungen ist und ich an allem Schuld habe. Deshalb nimmt mich meine Großmutter mit in die Kirche, damit ich mit ihr bete und der Reihe nach alle Heiligen anflehe, Fürbitte zu halten für meine sündige Mutter, damit sie nicht allzu lange die furchtbaren Qualen im Fegefeuer erdulden muss. Aber Fürbitten und Seelenmessen kosten viel Geld. Zuweilen kommt ein Mönch in schwarzer Kutte in die Stube und schildert in schreckenerregenden Worten die Qualen des Fegefeuers, so dass ich in Tränen ausbreche, bis Großmutter ihm die letzten Zinnteller aus dem Schrank gibt und wir dann selbst an hohen Feiertagen aus Holzbechern und Tongefäßen essen müssen. Im Laufe des Winters verschwinden die Wertgegenstände aus dem Haus, sogar Kleidung und unersetzbares Werkzeug, denn was Großmutter nicht in die Kirche und ins Kloster trägt, das tauscht Großvater gegen Bier und lübischen Schnaps ein. Er ist ein schweigsamer Mann und sitzt auf der Bank, wobei er ins Feuer starrt und die Ellbogen auf die Knie stützt, bis er schließlich in den Schlaf niedersinkt. Ich bin oft hungrig und weine häufig. Spielkameraden habe ich auch nicht, weil mich die Großmutter von anderen Kindern fernhält. Nur der Schlaf und das warme Gras im Sommer gehören zu den schönen Erinnerungen aus meiner frühesten Kindheit. Manchmal denke ich daran, selbst in den Fluss zu springen und mich vom Strom forttreiben zu lassen.

„Wäre doch auch ich schon tot“, sagte mein Großvater oft. Er brauchte auch nicht lange auf seinen Tod zu warten, denn was man sich selbst ersehnt, das bekommt man oft ganz unverhofft.

In einer Spätsommernacht kam der dänische Admiral Otto Ruud mit seinen Schiffen flussaufwärts gerudert, vorbei an den schlafenden Burgwachen, und fiel am frühen Morgen über die Stadt her. Ein solch furchtbares Gemetzel und Plündern hatte es in Turku seit Menschengedenken nicht gegeben. Dröhnender Geschützdonner, Hörnerblasen und Sturmgeläut der Kirchenglocken hatten mich aufgeweckt, aber da war die Stadt bereits bezwungen und erobert. Bärtige Seeräuber verfolgten speerschwingend die Männer und Frauen, die gerade erst und nur zum Teil bekleidet ihre Betten verlassen hatten und nun zum Dom rannten, um dort Schutz zu suchen. Ein großer Mann mit einem Schwert in der Hand stieß die Tür zu unserer Stube auf, aber kaum hatte er uns erblickt, da steckte er sein Schwert in die Scheide und begann in Schrank und Truhe zu wühlen, um dort etwas zu finden, was den Raub lohnen würde. Doch er entdeckte nichts als eine aus grünem Glas geblasene Branntweinflasche, die noch halb voll mit lübischem Schnaps war und an der dem Großvater sehr viel lag.

„Nimm dir, was du willst“, sagte mein Großvater bereitwillig, „aber rühr mir ja nicht meine Flasche an!“ Ob der Däne das verstanden hatte oder nicht, weiß ich nicht. Jedenfalls folgte er dieser Aufforderung nicht, sondern setzte sich die Flasche an den Mund und schüttete den Inhalt so gierig in sich hinein, als hätte er seit langer Zeit nichts mehr getrunken. Mein Großvater versuchte, sie ihm mit zitternden Händen zu entreißen, aber der Däne stieß ihn zurück, leerte die Flasche und warf sie zu Boden, wo sie in tausend Stücke zersprang. Mit ohnmächtiger Wut musste mein Großvater sich ansehen, wie die letzte Kostbarkeit, die ihm verblieben war, so zu Nichts verrann. Sein Zorn wallte auf, er griff nach einer Holzstange, die in einer Ecke stand, und schlug sie dem Dänen übers Haupt, so dass sein Helm erdröhnte. Der zog, ohne zu zögern, sein Schwert aus der Scheide und stieß es ihm in den Leib. Mein Großvater ging zu Boden, und als der Däne ihm das Schwert aus dem Leib zog, sprudelte das Blut aus der Wunde nur so hervor.

Da war auch für meine Großmutter das Maß voll. „Erst zerschlägst du die gute Flasche, und dann bringst du mir auch noch meinen Mann um, du elender Kerl!“ kreischte sie, packte sich den Brotschieber und begann damit auf den Dänen einzudreschen, so dass dieser seine Mühe damit hatte, die Schläge mit den Armen abzuwehren. Der Däne schrie und kreischte, aber meine Großmutter schrie noch lauter und rief die Jungfrau Maria samt allen Heiligen um Hilfe an, bis dem Dänen nichts anderes übrigblieb, als auch auf sie mit dem Schwerte loszugehen, worauf sie bald auf dem Lehmboden in ihrem Blute leblos dalag. Ich bekam nun furchtbare Angst. Inzwischen hatte ich mir ein Messer aus der Kiste geholt und stach damit auf das Hinterteil des Dänen ein, denn höher langte ich nicht. Doch er entwand mir das Messer, schlug mir links und rechts eins über die Ohren und machte sich auf und davon, so als schämte er sich seines blutigen Tuns.

Meine Großmutter war mit dem Namen der Heiligen Jungfrau auf den Lippen verschieden, so dass ihr das Seelenheil sicher war, auch wenn sie ohne die Letzte Ölung starb. Der Großvater richtete sich mühsam halbwegs auf, indem er sich mit dem Rücken gegen die Wand stützte, und sagte: „Verdammter Däne, hat mir die gute Flasche zerschlagen!“ Er dachte eine Weile nach und wischte sich blutigen Schaum vom Munde. „Lauf zur Kirche, Michael“, befahl er mir dann, „dort bist du in Sicherheit.“ Dann wurde sein Gesicht ganz bleich, und wie geistesabwesend tauchte er seine Finger in seine blutenden Wunden, zeichnete rechts und links von sich je ein Kreuz auf den Lehmfußboden und begann, das Pater noster zu stammeln. Als er sah, dass ich noch immer zögernd dastand, unterbrach er das Gebet und sagte: „Mich heilt keine Arznei mehr, so wie ich hier mit offenem Gedärm dasitze, aber ein gutes Bier würde mich aufmuntern und meinem vergänglichen Leib eine Labung sein. Hol mir doch, lieber Junge, eine Maß Bier, so du's nur irgendwo auftreiben kannst.“

Aber das Bierfass im Keller war schon seit geraumer Zeit leer, und es war ihm kein Tropfen mehr zu entlocken, so sehr ich auch mit meinen Kindeskräften versuchte, es ein wenig zu neigen. Deshalb nahm ich den Holzkrug und machte mich zu den Nachbarn auf, die ich um Bier bitten wollte. Auf diesem Weg wurde ich Zeuge vieler trauriger Begebenheiten, die ich nun nicht berichten will, aber ich bekam schließlich, was ich wollte und kehrte wieder in unsere Stube zurück, wobei ich vorsichtig über die Schwelle trat, um ja kein Bier zu verschütten. Mir war auf diesem Gang wohl deshalb nichts Böses widerfahren, weil die Dänen sich nur auf rennende und flüchtende Menschen stürzten. Ich setzte Großvater den Krug an die Lippen. Dankbar leerte er ihn und sagte: „Gott segne dich, mein Junge! Und bleib so, wie du bist.“ Dann schlug er andächtig das Kreuzzeichen und starb.

Da ich nun der Meinung war, er werde mich nicht mehr brauchen, machte ich mich zur Kirche auf, wie er mir aufgetragen hatte. Aber die flüchtenden Menschen hatten die Kirchentüren bereits verschlossen und verriegelt. Mehrere Dänen hatten sich am Hauptportal zusammengerottet. Sie stießen Drohungen und Flüche aus und hießen die Flüchtlinge, die Tore zu öffnen, solange sie ihnen noch wohlgesonnen seien. Da mir also der Eintritt in die Kirche versperrt war, kletterte ich auf die Mauer, welche die Kirche umgab und begann, Steine und Bruchstücke von Ziegeln auf die Dänen zu werfen, bis einer von ihnen, der mit seiner Pike nach mir stach, mich zwang, von der Mauer zu springen. Dabei nun stolperte ich und stürzte kopfüber hinab, schlug mit dem Kopfe an einen Stein und wusste geraume Zeit nichts mehr von den Dingen dieser Welt, sondern glaubte, mich in der Gesellschaft von Engeln zu befinden. So endete meine Kindheit. Ich glaube, dass ich damals sechs oder sieben Jahre alt war. Weil die furchtbare Plünderung Turkus im Jahre 1509 geschah, vierzehn Jahre nach dem Knall von Viborg und fünf Jahre vor der feierlichen Seligsprechung Hemmings, muss ich wohl im Jahre 1502 oder 1503 geboren sein.

Kapitel 3

Ich erinnere mich, dass ich in einem Bett aufwachte, unter einer Pelzdecke und zwischen weichen Leinenlaken, während ein großer Hund mir mit der Zunge über das Gesicht fuhr. Ich stieß seine Schnauze fort, aber er ließ sich davon nicht abhalten, im Gegenteil, er nahm vorsichtig meine Hand zwischen die Zähne und wollte, dass ich mit ihm spielen komme. Irgendwann viel später trat eine hagere Frau in grauem Gewand an mein Bett, sah mich mit kalten grauen Augen an und brachte mir eine Suppe. Die ganze Zeit glaubte ich, im Himmel zu sein, so dass ich sehr erstaunt war, als sich zeigte, dass sie keine Flügel hatte, mit denen sie mir zuwedeln konnte. Deshalb fragte ich schüchtern: „Bin ich im Himmel?“

Die Frau strich mir mit ihrer knochigen Hand über Arme, Hals und Stirn und fragte: „Tut dir noch immer der Kopf weh?“

Ich fasste mich an den Kopf und spürte einen Verband, aber der tat mir nicht weh. Ich schüttelte also entschieden den Kopf, aber da verspürte ich auch schon einen heftigen Schmerz im Nacken.

„Wie heißt du?“ fragte die Frau.

„Michael“, sagte ich, denn ich wusste, dass ich auf den Namen des heiligen Erzengels getauft war.

„Wessen Sohn bist du?“ fragte sie weiter.

Darauf wusste ich zunächst keine Antwort. „Mein Vater war Mikko der Zinngießer“, sagte ich schließlich und fragte dann neugierig: „Bin ich wirklich im Himmel?“

„Iss die Suppe auf!“ sagte sie nur barsch. „Du bist also der Sohn von Kerttu, der Tochter Mikkos.“ Sie setzte sich auf den Bettrand und strich mir leicht über den schmerzenden Nacken. „Ich bin Pirjo, Tochter von Matti, aus dem Geschlecht der Pelzfuß. Jetzt bist du in meinem Haus, und ich habe dich viele Tage lang gepflegt.“ Erst da erinnerte ich mich wieder an die Dänen und alles, was geschehen war, und die Suppe wollte mir nicht mehr schmecken, so erschrak ich, als ich ihren Namen vernommen hatte.

„Bist du eine Hexe?“ fragte ich, obwohl sie nicht so aussah.

Sie erschrak und bekreuzigte sich. „So nennen mich die Leute also hinter meinem Rücken?“ entgegnete sie zornig, beruhigte sich dann aber wieder und erklärte: „Ich bin durchaus keine Hexe, sondern Heilerin. Ohne die Heilkunst, die Gott und alle guten Heiligen mir verliehen haben, wärst du und so mancher andere in diesen schrecklichen Tagen längst gestorben. Ich habe alle meine Salben und Arzneien aufgebraucht, weil ich so viele Wunden und Quetschungen heilen musste. Ich habe verrenkte Glieder wieder eingerenkt und Anfälle von Schluckauf, die die furchtsamen Menschen überkamen, besprochen. Und nun wird als einziger Dank mir zuteil, dass du mich Hexe nennst.“

Ich schämte mich meiner Undankbarkeit, aber ich konnte sie auch nicht um Verzeihung bitten, weil ich wusste, dass sie tatsächlich die berühmte Hexe von Turku war, aus dem Geschlecht der Pelzfuß. „Wo sind die Dänen?“ fragte ich.

Sie erzählte, die Dänen seien schon vor einigen Tagen davongesegelt und hätten Priester, den Bürgermeister, Ratsmitglieder und die wohlhabendsten Bürger als Gefangene mitgeführt. Turku sei jetzt eine arme Stadt, denn die Dänen hatten ja schon in den vorausgehenden Sommern die besten Schiffe der Bürger von Turku geplündert und dann geraubt. Sogar die wertvollsten Schätze des Doms hätten die Dänen mitgehen lassen. Ich befände mich schon seit über einer Woche bei ihr und hätte bisher an Fieber und starken Schmerzen gelitten.

„Wie bin ich hierher gekommen?“ fragte ich und blickte ihr ins Gesicht. Da verwandelten sich ihre Züge vor meinen Augen in einen milde dreinblickenden Pferdekopf, doch konnte mich das nicht erschrecken, denn ich wusste ja, dass Hexen jede Gestalt annehmen konnten, die sie wollten. Der Hund kam schwanzwedelnd herbei und leckte mir die Hand, und bald danach sah ich sie wieder in der Gestalt von Frau Pirjo. Ich zweifelte nun nicht mehr daran, dass sie eine Hexe war, aber gleichzeitig hatte ich jetzt auch Vertrauen zu ihr gefasst. „Du hast ein Pferdegesicht“, sagte ich kleinlaut.

Da wurde sie böse, denn nach Weiberart war sie eitel auf ihr Äußeres bedacht, obwohl sie das beste Heiratsalter längst hinter sich gelassen hatte. Aber dann erzählte sie mir, sie habe die Plünderung ihres Hauses verhüten können, indem sie einen dänischen Schiffskapitän, der in ungestümer Raublust als einer der Ersten an Land gesprungen war und sich dabei den Fuß verrenkt hatte, durch ihre Salben und Massagen geheilt habe. Der Dänen eigene Wundärzte seien während der ganzen Plünderung so betrunken gewesen, dass man sie zu nichts mehr habe gebrauchen können. Am dritten Tag nach dem Erscheinen der Dänen habe einer von ihnen mich in seinen Armen haltend zu ihr gebracht und ihr sogar drei Silbertaler gegeben, damit sie mich heile. Dieser Däne habe sich meiner wohl deshalb erbarmt, um seine Sünden zu sühnen, denn die Plünderung des Doms hatte so manchen von ihnen in schwere Gewissensnöte gestürzt. Nach der Beschreibung, die Frau Pirjo mir von ihm gab, glaubte ich in ihm denselben Dänen wiederzuerkennen, der meine Großeltern getötet hatte.

Diese Geschichte wird all jenen, die wahrheitsgemäße Berichte von den Gräueltaten der Dänen zu Wasser und zu Lande gehört haben, sicherlich unglaubwürdig erscheinen. Nicht ohne Grund wird ja gesagt, eher gehe der Teufel zur Beichte, als dass der Däne seine Sünden bereut. Desgleichen berichtet man auch, die Dänen würden den Gefangenen, die sich ihnen samt ihren Schiffen ergeben hatten, aus reinem Vergnügen Arme und Beine abhacken und die Unglücklichen dann in solch unbeholfenem Zustand ins Meer werfen. Andererseits jedoch hieß es Jahre später, dass gar der gefürchtete Admiral Ruud seine Sünden bereut habe und, um die Plünderung des Doms von Turku zu sühnen, als Pilger nach Jerusalem gewallfahrt sei und dortselbst dann durch Gottes Gnade an der Pest starb, was wohl das Segensreichste ist, das einem frommen Pilger zuteilwerden kann. So werden die Dänen also nicht so verstockt sein, wie es häufig berichtet wird, und das macht meine Geschichte glaubhaft. Und außerdem sollte man die Dänen nicht über Gebühr der Plünderung Turkus beschuldigen, sondern eher noch die finnischen Landstände, die sich vom guten König Hans abwandten und sich jenen anschlossen, die Herrn Svante zum Reichsverweser von Schweden wählten und versprachen, so wie ihre Vorfahren und gemeinsam mit den übrigen Einwohnern des Schwedischen Reiches demütig alle Wendungen des Schicksals, ob glücklich oder unglücklich, zu ertragen und zu erleiden. Und zu leiden gab es genug, während von Glück nicht viel die Rede sein konnte, solange Herr Svante herrschte.

Aber wie auch immer, nachdem Frau Pirjo mir erklärt hatte, wie ich in ihr Haus gekommen war, sagte sie: „Ich habe das Blut aus deinem Hemd gewaschen, und deine Hose hängt an der Leine. Zieh dich also an, und dann geh, wohin du willst, denn ich habe mein Versprechen gehalten und mehr zu deiner Heilung getan, als man für drei Silbertaler fordern kann.“

Dazu hatte ich nichts weiter zu sagen, sondern ich zog mich an und trat auf den Hof hinaus. Frau Pirjo schloss die Tür hinter sich ab und besuchte dann die Verwundeten und Kranken, die in ihren eigenen Häusern geblieben waren und die man nicht ins Kloster oder in das Haus des Heiligen Geistes gebracht hatte, weil sie es vorzogen, bei sich zu Hause zu sterben, da es nun einmal ans Sterben ging. Ich setzte mich unterdessen an die Tür und ließ mich von der Sonne bescheinen, denn meine Beine waren noch schwach nach der Krankheit. Ich starrte auf das üppige Sommergras und die sonderbaren Pflanzen im Kräutergarten und wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Der Hund kam an meine Seite; ich schlang ihm den Arm um den Hals und weinte.

So traf Frau Pirjo mich an, als sie am Abend zurückkehrte. Aber sie sah mich nur ungehalten an und ging ins Haus. Nach einer Weile brachte sie mir ein Stück Brot heraus und sagte: „Die Eltern deiner verstorbenen Mutter hat man zusammen mit den anderen von den Dänen ermordeten Armen in einem Massengrab beerdigt. In der Stadt herrscht völliges Durcheinander, und noch weiß niemand, wie man sich sein Leben neu einrichten soll, aber schon umflattern die Dohlen deine heimische Stube.“

Ich verstand nicht, was sie meinte, aber sie erklärte: „Du hast kein Zuhause mehr, armer Junge, denn wegen der Sünde deiner Mutter kannst du nicht erben, und das Kloster hat dein Heim samt Grundstück schon zum eigenen Besitz erklärt laut einem mündlichen Versprechen, das der Zinngießer Mikko Mikonpoika und seine Frau gegeben haben sollen, um sich ihr Seelenheil zu sichern.“

Auch dazu wusste ich nichts zu sagen. Nach einiger Zeit kam Frau Pirjo ein weiteres Mal zu mir und drückte mir drei Silbertaler in die Hand. „Nimm dein Geld“, sagte sie. „Möge es mir beim Jüngsten Gericht als gute Tat angerechnet werden, dass ich dich aus Mitleid und ohne Lohn zu fordern geheilt habe, mein Junge, obgleich es wohl besser gewesen wäre, du wärest gestorben. Aber nun geh endlich deines Weges und fall mir nicht zur Last!“

Ich dankte ihr für diese Güte, streichelte den Hund zum Abschied und verknotete die drei Silbermünzen im Saum meines Hemdes. Dann ging ich am Flussufer entlang zur Wohnung meiner Großeltern. Unterwegs sah ich, dass selbst bei den besten Häusern die Türen aufgebrochen waren und man sogar die Glasfenster am Rathaus herausgebrochen und gestohlen hatte. Niemand kümmerte sich um mich, sondern die Bürgerfrauen schieden die scheu gewordenen Kühe voneinander, die man kurz vor der Plünderung in den Wäldern versteckt und nun zurückgeholt hatte. Aus den zerstörten Nachbarhäusern schafften die Leute nützliche Dinge in ihre eigenen Wohnungen hinüber, um sie für sich zu retten und nicht den Dieben zu überlassen.

So betrat ich unsere Stube, aber sie stand völlig leer: Schemel, Wasserbottich, Topf und Holzlöffel sowie jegliches Stück Stoff waren verschwunden. Nur die vertrockneten Spuren von Blut, das der hartgestampfte Lehmfußboden nicht hatte aufsaugen können, waren noch zu sehen. Ich warf mich auf die Lehmbank und weinte mich in den Schlaf.

Kapitel 4

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, kam gerade ein Mönch in schwarzer Kutte in die Stube. Doch hatte ich keine Angst vor ihm, denn er hatte ein freundliches, rundes Gesicht und entbot mir Gottes Frieden. „Ist dies hier dein Heim?“ fragte er. Das bejahte ich, und er sagte: „So freue dich, denn das Kloster des heiligen Olaf hat diese Wohnung in seine Obhut genommen und dich somit von all jenen Sorgen befreit, die der Besitz irdischer Güter nun einmal mit sich bringt. Du stehst gewiss unter Gottes wundertätigem Schutz, dass er dich hat überleben und diesen Freudentag noch erleben lassen, denn wisse, dass ich geschickt bin, dieses Haus von all den tückischen Ränken Satans zu reinigen, die stets jene Stätten vergiften, wo jäher Tod Einzug gehalten hat.“

Aus einem Gefäß, das er mitgebracht hatte, verspritzte er Weihwasser auf Türrahmen, Rauchfang, Fußboden und Ofenbank und streute etwas Salz dazu, wobei er sich bekreuzigte und machtvolle lateinische Zauberworte sprach. „Spürst du nicht auch diesen ekeligen Schwefelgeruch?“ fragte er, nachdem er sein Werk vollendet hatte. „Merk dir gut, was du soeben erlebt hast, denn ich glaube, ich habe gerade drei pelzige Teufelchen gesehen, wie sie mit eingeklemmtem Schwanz durch das Schornsteinloch entwischt sind. Der Teufel hat nämlich die Gewohnheit, Schwefelgeruch um sich zu verbreiten, wenn er in Bedrängnis kommt, und deshalb ist dieser Gestank der sicherste Beweis dafür, dass wir ihn vertrieben haben.“ Er ließ sich auf der Bank nieder, auf der ich geschlafen hatte, holte Brot, Käse und Dörrfleisch aus seinem Ranzen und bot auch mir davon an, denn eine kleine Mahlzeit sei nach solch anstrengender Arbeit durchaus angebracht.

Nachdem wir gegessen hatten, sagte ich, ich wolle eine Seelenmesse für den Zinngießer Mikko und seine Frau lesen lassen, damit ihre Seelen aus den Qualen des Fegefeuers befreit würden, wusste ich doch, dass diese Qualen alle irdische Unbill an Schrecken übertrafen. „Hast du denn Geld?“ fragte der gute Mönch. Ich holte meine drei Silbertaler hervor und zeigte sie ihm. Da lächelte er mich nur noch freundlicher an, strich mir über den Kopf und sagte: „Sag Pater Petrus zu mir, denn so heiße ich, obwohl ich durchaus kein Fels bin. Mehr Geld hast du nicht?“

Ich schüttelte den Kopf. Er wurde traurig und erklärte, für einen solch geringen Betrag könne er keine Seelenmesse halten. „Aber“, sprach er, „wenn wir etwa den heiligen Henrik, der selbst eines jähen Todes durch Mörderhand starb, dazu bewegen könnten, im Himmel für die Seelen dieser frommen Verblichenen Fürbitte zu tun, dann zweifle ich nicht daran, dass die kraftvolle Fürbitte des Heiligen mehr bewirkt als die beste Seelenmesse, deren Wirkung, um ehrlich zu sein, oft fraglich ist, und das gerade in diesen Tagen, wo sich zahllose Witwen und Waisen im Dom drängen, um Seelenmessen für ihre lieben Verstorbenen abhalten zu lassen.“

Ich bat ihn, mich zu lehren, wie ich meine Sache dem heiligen Henrik vorbringen sollte, aber er schüttelte ungehalten den Kopf. „Dein kunstloses Gebet würde den heiligen Henrik kaum beeindrucken“, meinte er. „Im Gegenteil, ich fürchte, es würde in dieser Flut von Gebeten, die gerade jetzt an ihn gerichtet werden, untergehen wie eine Maus in einem Waschzuber. Wenn statt dessen ein wirklich mächtiger Beter, der sein ganzes Leben dem Gehorsam, der Armut und Keuschheit geweiht hat, sich deiner Sache annähme und vielleicht eine Woche lang zu allen Gebetsstunden für diese Verstorbenen ein Gebet spräche, dann würde der heilige Henrik ihm gnädig sein Ohr leihen, um das Gebetsanliegen zu erfahren.“

„Und wo finde ich einen solchen mächtigen Beter?“ fragte ich niedergeschlagen.

„Du siehst ihn vor dir“, sprach Pater Petrus würdevoll. „Hast du eben nicht mit eigenen Augen sieben pelzige Teufelchen durch die Tür und die Fensteröffnung entfliehen sehen, bezwungen durch mein machtvolles Beten und Beschwören? Wahrlich, der allmächtige Gott selbst hat am heutigen Morgen meine Schritte hierher gelenkt, damit ich dich, mein armer Junge, von deinen Seelennöten befreie. Drei Taler sind wirklich kein Preis für die Gebete, die ich dir verspreche. Wenn du die gleiche Summe den Dompriestern bötest, würden sie wohl glauben, du wolltest dich über sie lustig machen. Aber durch mein Mönchsgelübde habe ich mich zu Armut und Enthaltsamkeit verpflichtet und will deshalb meine Mühen nicht mit Gold und Silber aufwiegen lassen, sondern ich begnüge mich in aller Demut mit diesen drei kleinen Münzen und sehe dir nach, dass du nicht mehr hast.“

Bei diesen Worten griff er nach den Silbertalern in meiner Hand und steckte sie rasch in seinen Beutel. „Ich werde mit den Gebeten schon heute zur Sext und Non beginnen“, sagte er. „Fortfahren werde ich mit ihnen zur ersten und zur zweiten Vesper. Allerdings ist meinem kränklichen Leibe nächtliches Wachen nicht zuträglich, und deshalb hat mich unser guter Prior mit einer Sondererlaubnis von den Gebetszeiten zu Komplet und Laudes befreit. Dennoch brauchst du nicht zu befürchten, deine lieben Verstorbenen hätten darunter zu leiden, denn ich werde die Zahl meiner Gebete zu den übrigen kanonischen Stunden ganz gewiss entsprechend erhöhen.“

So ganz verstand ich nicht, was er da sagte, aber er sprach mit einer solchen Überzeugungskraft, dass ich meine Sache in den besten Händen wusste. Dafür dankte ich ihm ehrerbietig. Als wir das Haus verließen, legte er einen Balken als Riegel vor die Tür, schlug mehrere Kreuzzeichen und spendete mir seinen Segen. Dann schieden wir voneinander, und ich machte mich zu Frau Pirjos Hütte auf, da ich keinen anderen Ort wusste, an den ich mich wenden konnte. Eine Zeitlang überlegte ich, mich in der Burg als Soldat anheuern zu lassen und gegen die Dänen zu kämpfen. Aber das schwierige Kriegshandwerk ängstigte mich, so dass ich diesen Plan gleich wieder verwarf.

Ich hatte Angst, Frau Pirjo würde mir zürnen, wenn sie mich erblickte, denn mir war nicht entgangen, dass sie sehr streng war. Deshalb verbarg ich mich, aber als es zu regnen begann, verkroch ich mich im Stall, dessen Wände von Moos überzogen und dessen Dach von Gras und Blumen bedeckt war. Ein Schwein war sein einziger Bewohner, und als ich das kräftige Tier sah, wurde ich neidisch, hatte dieses Schwein doch ein Dach über dem Kopf, und es musste sich nicht darüber sorgen, wie es an Speis und Trank käme. Ich wusste nichts anderes zu tun, als mich dem Schlaf zu überlassen, und als ich wieder aufwachte, lag das Schwein neben mir, und wir wärmten einander. Da trat Frau Pirjo ein, um dem Tier in einem Kübel zu fressen zu bringen, und kaum hatte sie mich erblickt, war ihr Zorn geweckt.

„Habe ich dir nicht gesagt, du sollst dich davonmachen?“ sagte sie. Das Schwein gab mir mit der Schnauze einen freundlichen Schubs und trottete zum Kübel, der Rübenabfall, Erbsenschoten, Milch und Brei enthielt. Schüchtern fragte ich, ob ich das Mahl mit dem Schwein teilen könne, falls das Tier es mir gestatte. Das sagte ich nicht so sehr, weil ich Hunger hatte, denn ich war zu betrübt, um hungrig zu sein, sondern weil die Abendmahlzeit des Schweins mir leckerer zu sein schien als alles, was ich in letzter Zeit zu Hause vorgesetzt bekommen hatte.

„Du bist ein undankbarer und naseweiser Bursche“, sagte Frau Pirjo streng. „Glaubst du, das Schwein müsse mich Barmherzigkeit lehren, weil es dich an seiner Seite wärmt und bereitwillig seine Abendmahlzeit mit dir teilt? Habe ich dir denn nicht drei Silbertaler gegeben? Dafür könnte sich ein erwachsener Mann zwei Monate lang Speis und Trank verschaffen. Irgendein Bürger oder Gildehandwerker würde dich gewiss für ein Jahr zu sich nehmen und dich als Lehrling anstellen, wenn du mit ihm einig würdest. Warum verwendest du dein Geld nicht?“

Als ich antwortete, ich hätte das Geld bereits ausgegeben, fragte sie nur, ob ich mich für einen Herzog oder Kardinal hielte, dass ich es einfach so verschleudere. Doch da wies ich sie zurecht: Ich hätte es nicht verschleudert, sondern Pater Petrus gegeben, damit er für die armen Seelen meiner Großeltern betete und sie so vor den Qualen des Fegefeuers bewahrte.

Frau Pirjo setzte sich auf der Schwelle des Stalls nieder, hielt mit der einen Hand wie geistesabwesend dem Schwein den Kübel hin und ließ ihr langes Kinn in der anderen Hand ruhen. Auf diese Weise schaute sie mich lange an und fragte schließlich: „Bist du denn wahnsinnig geworden?“

Ich entgegnete, das wisse ich nicht so genau. Bisher hätte mir noch niemand so etwas gesagt, aber nachdem ich am Kopf verletzt worden war, sei mir oft seltsam und sonderbar zumute.

Frau Pirjo nickte nur dazu und sagte: „Ich könnte dich ins Haus des Heiligen Geistes bringen. Vielleicht würde man dich wegen deiner Verletzung dort aufnehmen und mit den anderen Krüppeln, Blinden und Fallsüchtigen versorgen. Ich zweifle nämlich nicht daran, dass man dich, wenn man dich so reden hört, für schwachsinnig halten wird. Wenn du aber den Mund hältst und verständig dreinschaust, könnte ich mit Zinngießer Mikkos Gilde sprechen, dass die Gilde für dich aufkommt, bis du dir selbst deinen Lebensunterhalt verdienen kannst.“

Ich bat um Verzeihung für den Fall, dass ich mich nicht richtig ausgedrückt haben sollte, denn ich hatte kaum je Gelegenheit gehabt, mit irgendjemandem zu sprechen. Aber wenn Zinngießer Mikko sprach, so musste man ihm zuhören, ohne zu widersprechen, und sprach meine Großmutter, dann ging es nur um die Schrecken der Hölle und die Qualen des Fegefeuers, von denen ich nicht genug verstand, um mich mit ihr in eine Unterhaltung einzulassen. „Aber“, sagte ich, „ich kann viele deutsche und schwedische Worte, ja sogar einige auf Latein.“ Es hatte bisher nämlich niemand so freundlich zu mir gesprochen wie Frau Pirjo, und mich überkam ein solcher Eifer, dass ich in einem Zug all die fremden und unverständlichen Worte hervorstieß, die mir aus irgendeinem Grunde im Gedächtnis haften geblieben waren, sei es in der Kirche, in den Wirtshäusern der Bürger, der Gildestube oder im Hafen, wie zum Beispiel: salve, pater, benedictus, male spiritus, pax vobiscum, haltsmaul, arsch, donnerwetter, sangdjöö und heliga kristus. Als ich schließlich ganz außer Atem verstummte, hielt Frau Pirjo sich die Ohren zu und sagte:

„Auch ein seelenloser Irrer kann auf diese Weise irgendwelche Wörter nachbrabbeln, die er nicht versteht, aber bei dir kann man fast glauben, dass ein unreiner Geist in dir wütet. Jetzt ist mir klar, dass du dir den Kopf schlimmer verletzt hast, als ich geglaubt hatte.“

Da ich nichts zu verlieren hatte, erwähnte ich auch noch, dass mir die Form mancher Buchstaben bekannt sei und ich meinen Namen schreiben könne. Als sie mir nicht glaubte, kratzte ich, so gut ich konnte, mit einem Stäbchen die Buchstaben MICHAEL auf die Erde. Zwar konnte Frau Pirjo nicht lesen, aber sie fragte sogleich, wer mich das gelehrt habe. Ich antwortete, niemand habe es mir beigebracht, aber wenn sich ein Lehrer fände, würde ich gewiss rasch lesen lernen.

„Möchtest du denn lesen lernen?“ fragte sie.

„Ja“, lautete meine Antwort, und ich erzählte, wie ich zuweilen am Fenster der Domschule gehorcht hatte, um dort etwas aufzuschnappen. Aber all das Lernen dort mündete stets doch nur in das Sausen der Gerte und anschließendes Schülergeheul, das aus dem Schulraum nach draußen tönte, worauf ich es dann so mit der Angst zu tun bekam, dass ich fortlief. Allerdings hatte ein Landstreicher einmal mit seiner Messerspitze meinen Namen an die Wand des Werkstattraums geritzt, als ich ihm dafür zum Lohn ein halbes Brot und eine Kelle Bier versprochen hatte. Dies alles erzählte ich ihr, und dann erwähnte ich noch, dass ich auch gerne Latein lernen würde. Das machte großen Eindruck auf Frau Pirjo, und sie sagte, sie hätte es nie für möglich gehalten, dass ein Stoß gegen den Kopf solche Folgen haben könnte. Sie habe noch nie etwas so Wahnwitziges gehört, sagte sie.

Während wir so miteinander sprachen, ging der Tag zur Neige, und es begann zu dämmern. Da nahm Frau Pirjo mich mit zu sich hinein, zündete die Talgkerze an und begann, mit ihren knochigen Fingern die Wunde an meinem Kopf zu befühlen. Sie habe den Riss in meiner Kopfhaut mit Nadel und Faden zusammengenäht, sagte sie, aber die Wunde war nun eitrig geworden, und so wusch sie sie aus, verrieb darauf Schimmel und Spinngewebe und verband sie abermals. Auch gab sie mir zu essen und ließ mich hinter ihren Rücken ins Bett unter die Pelzdecke kriechen, wobei sie mich allerdings warnte, sie in der Nacht anzurühren, denn sie sei Jungfrau, auch wenn sie Frau Pirjo genannt werde. Ich begriff nicht, was sie von mir befürchtete, doch versprach ich, sie nicht zu berühren.

Am nächsten Morgen holte sie ein Stück glatter Birkenrinde hervor und hieß mich, mit einem Holzsplitter und Asche meinen Namen darauf einzuritzen. Als sie darauf samt ihren Arzneien und Gerätschaften das Haus verließ, um ihre Krankenbesuche zu machen, nahm sie die Birkenrinde mit. Gegen Mittag kehrte sie dann heim und erzählte, sie habe mehreren Schriftkundigen die Birkenrinde gezeigt, und die meisten hätten ihr bestätigt, es stehe tatsächlich der Name „Michael“ darauf geschrieben. Einer habe zwar mein Geschreibsel als „Abel“ entziffert, aber das sei eigentlich gleichgültig, denn sie habe sich nur vergewissern wollen, dass es sich wirklich um Buchstaben handle und nicht um irgendwelche teuflischen Krähenfüße.

Auf diese Weise blieb ich bei Frau Pirjo und half ihr bei ihren Arbeiten. Ich sammelte für sie den Mist vom schwarzen Hahn, schnitt ihr das Haar von Pferdeschwänzen zurecht und besorgte ihr aus den Ställen der Bürger Nackenhaare von Hammeln. Ferner half ich ihr, solche Stellen ausfindig zu machen, wo allerlei heilkräftige Kräuter wuchsen und pflückte sie dann bei Neumond für sie. Das Wichtigste aber war, dass sie dafür sorgte, dass Pater Petrus mich lesen und schreiben lehrte und mir zeigte, wie man die Gebetsschnur für allerlei nützliche Rechenaufgaben gebrauchen konnte.