Der Sumpf

John Katzenbach

Der Sumpf

Psychothriller

Aus dem Amerikanischen von Anke und Eberhard Kreutzer

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über John Katzenbach

John Katzenbach, geboren 1950, war ursprünglich Gerichtsreporter für den Miami Herald und die Miami News. Bei Droemer Knaur sind inzwischen neun Thriller von ihm erschienen, darunter die Bestseller Die Anstalt, Der Patient, Der Professor und Der Wolf. Zweimal war Katzenbach für den Edgar Award, den renommiertesten Krimipreis der USA, nominiert. Er lebt mit seiner Familie in Amherst/Massachusetts.

Weitere Informationen unter www.johnkatzenbach.com und www.john-katzenbach.de

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1992 unter dem Titel »Just Cause« bei G.P. Putnam’s Sons, New York.

 

eBook-Ausgabe 2013

Knaur eBook

© 1992 John Katzenbach

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2013 Knaur Taschenbuch. Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Kirsten Reimers

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: © plainpicture/arcangel/Roy Bishop

ISBN 978-3-426-41806-2

Meiner Mutter und dem Andenken

dreier Männer gewidmet:

V. A. Eagle, Wm. A. Nixon und H. Simons

Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn,

dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird.

Und wenn du lange in einen Abgrund blickst,

blickt der Abgrund auch in dich hinein.

 

Friedrich Nietzsche,

Jenseits von Gut und Böse

 

 

Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert,

nicht mit schlechten.

 

George Bernard Shaw,

Mensch und Übermensch

Teil 1

Hinter Gittern

Wenn du den Preis gewinnst,

erzählt man dir einen Witz:

Jetzt kennst du die erste Zeile

deines Nachrufs.

1

Ein Meinungsmacher

An dem Tag, an dem er den Brief bekam, erwachte Matthew Cowart allein in seiner Wohnung. Es war ein trügerisch winterlicher Morgen.

Seit Mitternacht hatte ein starker Nordwind die schwarze Nacht vor sich hergetrieben, bis die Stadt in den frühen Morgenstunden unter einem schmutzig grauen Himmel lag, der ihren Ruf Lügen strafte. Kaum trat Cowart auf die Straße, hörte er das Säbelrasseln der Palmwedel in der scharfen Brise.

Er zog die Schultern hoch und bereute, dass er unter der Anzugjacke keinen Pullover trug. Jedes Jahr gab es den einen oder anderen Morgen, der wie der heutige von einem stürmischen Tag unter einem düsteren Himmel kündete – nichts weiter als ein kleiner Streich der Natur, der maulende Touristen zwang, sich warm anzuziehen, bevor sie den Strand von Miami entlangflanierten. In Little Havana hüllten sich die älteren kubanischen Frauen in dicke Wollmäntel und verfluchten den Wind, dabei schimpften sie im Sommer genauso über die Hitze, gegen die sie sich mit Sonnenschirmen wehrten. In Liberty City pfiff es durch die Rattenlöcher der Crack-Schuppen, in denen die Junkies sich zitternd ihre Pfeifen stopften. Doch nicht lange, und die Stadt würde wieder unter der gewohnten stickigen Schwüle stöhnen.

Ein Tag, allenfalls zwei, dachte er, während er zügig ausschritt, dann bringt der Wind wieder Wärme aus dem Süden, und wir alle vergessen das kalte Intermezzo.

Matthew Cowart war ein Mann, der mit leichtem Gepäck durchs Leben ging. Missliche Umstände oder einfach nur Pech hatten ihm die üblichen Pflichten der mittleren Lebensjahre abgenommen: Durch Scheidung hatte er Frau und Kind verloren, durch einen unschönen Tod seine Eltern; Freunde waren ihre eigenen Wege gegangen und mit einer steilen Karriere, einer Schar kleiner Kinder, den Ratenzahlungen fürs Auto oder der Hypothek fürs Eigenheim mehr als beschäftigt. Eine Zeitlang hatten ein paar von ihnen noch versucht, ihn bei Ausflügen und Partys mit einzubeziehen, doch je länger sein zurückgezogenes Leben währte und je wohler er sich dabei zu fühlen schien, desto seltener wurden die Einladungen, bis sie irgendwann ganz ausblieben. Seine sozialen Kontakte beschränkten sich im Wesentlichen auf eine gelegentliche Feier im Büro und die Fachsimpeleien unter Kollegen. Er hatte keine feste Freundin und war ein wenig ratlos, wieso. Abgesehen vom Blick über die Bucht war seine Wohnung in einem soliden Hochhaus aus den fünfziger Jahren eher bescheiden und noch dazu mit alten Möbeln bestückt. Die Bücherregale quollen über von Kriminalromanen, Thrillern und Sachliteratur zu wahren Fällen, an den Wänden hingen austauschbare, gerahmte Drucke; sein Geschirr war abgenutzt, erfüllte aber seinen Zweck.

Zuweilen beschlich ihn der Gedanke, dass alle Farbe aus seinem Leben gewichen war, seit ihm seine Frau die gemeinsame Tochter entzogen hatte. Seine eigenen Bedürfnisse beschränkten sich im Wesentlichen auf das Joggen in einem städtischen Park – ein tägliches Pflichtpensum von zehn Kilometern –, die eine oder andere Verabredung zu einem Basketballspiel im YMCA und seine Arbeit bei der Zeitung. Ihm war bewusst, dass er über ein außergewöhnliches Maß an Unabhängigkeit verfügte, auch wenn ihm der Gedanke, seinen Mitmenschen so wenig schuldig zu sein, ein gewisses Unbehagen bereitete.

Immer noch blies ein kräftiger Wind und zerrte an den drei Flaggen vor dem Haupteingang des Miami Journal. Cowart blieb einen Moment stehen und blickte an dem wuchtigen, gelben Bau empor. An einer Wand prangte in riesigen roten Neonlettern der Name der Zeitung, ein Synonym für schonungslosen, investigativen Journalismus und Macht. Mit der Rückseite lag das Haus zur Bucht. Oft beobachtete er, wie die Gischt gegen die Rampe spritzte, an der riesige Rollen Zeitungspapier abgeladen wurden. Als er einmal allein mit einem Sandwich in der Cafeteria saß, hatte er nur zehn Meter vom Dock entfernt eine Seekuhfamilie erspäht, die sich in den Wellen tummelte. Ihre braunen Rücken tauchten plötzlich aus dem Wasser und waren wenig später wieder verschwunden. Vergeblich hatte er sich nach jemandem umgesehen, dem er das Schauspiel zeigen konnte, und so hatte er danach mehrere Tage lang in der Mittagspause erneut auf seinem Beobachtungsposten auf die wogende, blaugrüne Wasserfläche gestarrt, um einen zweiten Blick auf die Tiere zu erhaschen. Genau das liebte er an Florida: Als hätte man den Bundesstaat aus einem Dschungel herausgeschnitten, schien die Natur jederzeit im Vormarsch und bereit, sich alles, was Menschenhand geschaffen hatte, wieder einzuverleiben und in etwas Vorzeitliches zurückzuverwandeln. Nicht selten berichtete die Zeitung von einem Verkehrsstillstand wegen eines vier Meter langen Alligators, der eine Auffahrt zum Highway versperrte. Er liebte diese Artikel über ein urzeitliches Ungetüm, das einem Monster der Moderne die Stirn bot.

Cowart trat durch die Flügeltür der Nachrichtenredaktion und winkte im Vorübergehen der Rezeptionistin zu, die halb hinter der Telefonkonsole verschwand. An der Wand prangten Gedenktafeln, Auszeichnungen und Belobigungen – neben Pulitzer, Kennedy, Cabot und Pyles auch weniger klangvolle Namen. Vor einer Reihe von Postfächern blieb er stehen; wie jeden Morgen sichtete er seine Eingänge, von den üblichen Handouts bis zu Dutzenden Pressemitteilungen, politischen Statements sowie Vorschlägen aus der Kongressdelegation, dem Bürgermeisteramt, der Bezirksdirektion und diversen Polizeidienststellen, die alle um seine Aufmerksamkeit und Berichterstattung buhlten. Er seufzte bei dem Gedanken, wie viel Geld mit diesen aussichtslosen Bemühungen vergeudet wurde. Unter dem Wust von Papieren stach ihm ein Brief ins Auge, und er zog ihn hervor.

Es war ein dünner, weißer Umschlag, mit seinem Namen und seiner Anschrift in großen Blockbuchstaben versehen. In der Ecke stand eine Postfachadresse in Starke, im Norden Floridas. Das Staatsgefängnis, schoss es ihm durch den Kopf.

Er legte diesen Brief auf den Stapel mit der übrigen Post und nickte auf seinem Weg zwischen den anderen Schreibtischen hindurch den wenigen Kollegen zu, die schon vor ihm da waren und am Telefon hingen. Er winkte dem Lokalredakteur, der in der Mitte des Büros die Füße auf dem Schreibtisch übereinandergelegt hatte und die letzte Ausgabe las. Schließlich öffnete sich an der Rückseite des Großraumbüros eine Gleittür mit der Aufschrift CHEFREDAKTION. Er war noch nicht ganz in seiner Arbeitsnische verschwunden, als jemand in seiner Nähe rief: »Ah, unser edler Junker ist schon da! Was mag ihn wohl zu so früher Stund’, bevor die sensationsgeile Meute einfällt, hergetrieben haben? Die Sorge über die Unruhen in Beirut? Die Verzweiflung über das Konjunkturprogramm des Präsidenten?«

Cowart spähte um die Trennwand herum. »Morgen, Will. Ehrlich gesagt wollte ich nur zum Festpreis ein Ferngespräch mit meiner Tochter führen. Die richtig ernsten, vergeblichen Sorgen überlasse ich lieber dir.«

Will Martin lachte und strich sich eine weiße Stirnlocke aus den Augen – eher die Geste eines Kindes als die eines alten Mannes. »Lass dich nicht aufhalten! Nutze die grenzenlose Großzügigkeit unserer geliebten Zeitung schamlos aus! Wenn du fertig bist, wirf mal einen Blick in den Lokalteil. Offenbar hat eine unserer Schwarzroben für einen alten Busenfreund, den man wegen Alkohol am Steuer drangekriegt hat, einen Deal rausgeschlagen. Wär’ vielleicht mal wieder Zeit für einen deiner Schuld-und-Sühne-Kreuzzüge.«

»Ich seh’s mir an«, versprach Cowart.

»Verdammt kalt heute Morgen«, sagte Martin. »Wozu lebt man hier unten, wenn man sich auf dem Weg zur Arbeit trotzdem den Arsch abfriert? Kann man ja genauso gut nach Alaska ziehen.«

»Wie wär’s mit einem Leitartikel gegen das Wetter? Ist doch unser Job, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen. Vielleicht werden wir ja diesmal erhört.«

»Gar keine schlechte Idee.« Martin grinste.

»Und du bist der richtige Mann dafür«, fügte Cowart hinzu.

»Stimmt«, erwiderte Martin. »Da ich mich nicht wie du im Sündenpfuhl suhle, habe ich einen viel heißeren Draht zum Allmächtigen. Kann bei unserem Beruf von Hilfe sein.«

»Du meinst wohl, du wirst im Vergleich zu mir viel früher bei ihm an die Pforte klopfen.«

Sein Nachbar prustete los. »Das war pure Altersdiskriminierung«, empörte er sich und hob den Zeigefinger. »Wahrscheinlich bist du auch noch ein Sexist, ein Rassist und ein Pazifist – und was es sonst noch an -isten geben mag.«

Cowart wandte sich lachend zu seiner eigenen Arbeitsnische um und ließ, den Brief zuoberst, den ganzen Stapel Post auf seinen Schreibtisch fallen. Während er mit einer Hand die Nummer seiner Ex-Frau wählte, nahm er den Brief in die andere. Wenn er Glück hatte, erwischte er sie beim Frühstück. Er klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Ohr, um beide Hände frei zu haben; bei den ersten Klingeltönen riss er den Umschlag auf und zog ein gelbes, liniertes Blatt Papier heraus.

Sehr geehrter Mr. Cowart,

ich sehe derzeit im Todestrakt meiner Hinrichtung für ein Verbrechen entgegen, DAS ICH NICHT BEGANGEN HABE.

»Hallo?«

Er legte den Brief weg. »Hallo, Sandy. Ich bin’s, Matt. Ich wollte nur kurz mit Becky sprechen. Ich hoffe, ich störe nicht.«

»Hallo, Matt.« Er hörte ein Zögern heraus. »Nein, wir sind nur auf dem Sprung. Tom muss heute schon früh ins Gericht, deshalb nimmt er sie mit zur Schule, und …« Nach ein paar Sekunden sprach sie weiter. »Nein, kein Problem. Ich hab sowieso was mit dir zu besprechen. Aber die beiden müssen los. Machst du es bitte kurz?«

Es gab ihm einen Stich, dass er nicht am Alltag seiner Tochter teilnahm, und er stellte sich vor, wie er beim Frühstück die Milch eingoss, ihr abends etwas vorlas, ihr die Hand hielt, wenn sie krank war, die Bilder bewunderte, die sie in der Schule zeichnete. Er schluckte seine Enttäuschung herunter. »Klar, wollte mich einfach nur melden.«

»Ich hol sie.«

Mit leisem Klirren landete der Hörer auf dem Tisch, und in der danach eintretenden Stille starrte Matthew Cowart auf die Worte: DAS ICH NICHT BEGANGEN HABE.

Er erinnerte sich an den Tag, an dem er und seine Frau sich im Zeitungsbüro der Universität Michigan zum ersten Mal begegnet waren. Sie war klein, doch ihre starke Präsenz stand zu ihrer zierlichen Gestalt in seltsamem Widerspruch. Sie studierte Grafikdesign und kümmerte sich in Teilzeit um Layout sowie um die Umbruchkorrekturen. Wenn sie über den Abzügen brütete, strich sie sich das gewellte dunkle Haar aus dem Gesicht und war so konzentriert bei der Sache, dass sie nur selten das Telefon klingeln hörte oder auf einen der schmutzigen Witze reagierte, die in der ausgelassenen Atmosphäre der Nachrichtenredaktion die Runde machten. Sie war ein Mensch, der Präzision und Ordnung liebte und seinem Leben mit dem spitzen Stift Kontur verlieh. Die Tochter eines Feuerwehrhauptmanns in einer Stadt im Mittleren Westen, der bei einem Einsatz umgekommen war, und einer Grundschullehrerin sehnte sich nach materiellem Wohlstand und Komfort. Er fand sie schön, wenn er sich auch von ihren Erwartungen einschüchtern ließ und es kaum glauben konnte, als sie seine erste Einladung annahm; sein Glück nicht fassen konnte, als sie nach dem zehnten oder elften Date mit ihm schlief.

Er war zu jener Zeit Sportredakteur, in ihren Augen eine törichte Zeitverschwendung. Muskelbepackte Männer in grotesker Aufmachung, die um runde oder ovale Bälle kämpfen, lautete einer ihrer Sprüche. Er hatte versucht, ihr die Magie von Sportereignissen nahezubringen, doch sie schien dagegen immun. Sie waren schon längst ein Paar, als er zu den richtigen Nachrichten wechselte, der richtig guten Story hinterherjagte, dem Reiz des Schreibens erlag. Sie hatte an seinen künftigen Ruhm, seine bedeutende Journalistenkarriere geglaubt und war ihm, als er seine erste Stelle bei einem kleinen Blatt im Mittleren Westen antrat, gefolgt. Sechs Jahre später lebten sie immer noch zusammen. An dem Tag, an dem sie ihm eröffnete, sie sei schwanger, bekam er das Angebot vom Journal – er sollte Gerichtsreporter, sie Mutter werden.

»Daddy?«

»Hi, Schätzchen.«

»Hi, Daddy. Mommy sagt, ich kann nur kurz mit dir reden. Ich muss zur Schule.«

»Ist es bei euch auch so kalt? Dann ziehst du besser eine Jacke an.«

»Mach ich auch. Tom hat mir eine mit einem Piraten drauf geschenkt, der ist ganz orange, so wie der bei den Bucs. Die zieh ich an. Ich treffe sogar ein paar von den Spielern. Die waren bei einem Picknick, wo wir Spenden gesammelt haben.«

»Ist ja toll«, antwortete Matthew. Verdammt, dachte er.

»Sind Footballspieler wichtig, Daddy?«

Er lachte. »Ja, schon.«

»Daddy, hast du irgendwas?«

»Nein, Schatz, wieso?«

»Weil … sonst rufst du nie morgens an.«

»Als ich aufwachte, hast du mir gefehlt, und ich wollte deine Stimme hören.«

»Du fehlst mir auch, Daddy. Gehst du noch mal mit mir nach Disney World?«

»Im Frühling, versprochen.«

»Daddy, ich muss los. Tom winkt mir zu. Ach so, Daddy, weißt du was? Wir haben in der zweiten Klasse einen eigenen Club, der heißt der Hundert-Bücher-Club. Du kriegst einen Preis, wenn du hundert Bücher gelesen hast. Ich hab’s geschafft!«

»Phantastisch! Und was bekommst du?«

»Eine Medaille und am Ende des Schuljahrs eine Siegerehrung.«

»Das sind ja großartige Neuigkeiten. Und was war dein Lieblingsbuch?«

»Kannst du dir doch denken. Das Buch, das du mir geschickt hast: Der Drache, der nicht kämpfen wollte.« Sie lachte. »Der erinnert mich an dich.«

Er lachte mit.

»Ich muss wirklich los«, sagte sie noch einmal.

»In Ordnung. Ich liebe dich, und du fehlst mir wirklich sehr.«

»Du mir auch. Tschüs.«

»Tschüs«, sagte er, doch sie hörte ihn nicht mehr.

Es herrschte einen Moment Stille, dann war erneut seine Ex-Frau am Apparat. Er kam ihr zuvor. »Eine Wohltätigkeitsveranstaltung mit Footballspielern?«

Er hatte den Mann, der an seine Stelle getreten war, für seine berufliche Tätigkeit – Körperschaftsrecht –, für sein Aussehen – stämmig, mit gewölbter Brust und auch sonst einer Statur, die suggerierte, dass er während seiner Mittagspausen Gewichte im Fitnesscenter stemmte –, er hatte diesen Mann immer hassen wollen und versucht, sich ihn als rohen, wenig einfühlsamen Liebhaber, hoffnungslosen Stiefvater und unzulänglichen Ernährer der Familie vorzustellen, doch nichts davon traf auf ihn zu. Kurz nachdem seine Ex-Frau ihre bevorstehende Hochzeit angekündigt hatte, war Tom (ohne es ihr zu sagen) nach Miami geflogen, um sich mit ihm zu treffen. Sie hatten zu Abend gegessen und Wein getrunken. Ihm war nicht klar, worauf das hinauslief, bis ihm der Anwalt nach der zweiten Flasche mit entwaffnender Offenheit erklärte: Er habe nicht vor, beteuerte er, ihn in den Augen seiner Tochter als Vater zu ersetzen, doch da er nun einmal mit ihr zusammenlebe, werde er sich alle Mühe zu geben, damit sie auch ihn liebgewinne. Cowart hatte ihm geglaubt, sogar eine seltsame Erleichterung empfunden, eine dritte Flasche Wein bestellt und im Stillen eingeräumt, dass er seinen Nachfolger eigentlich ganz nett fand.

»Das geht von der Kanzlei aus. Die sponsern in Tampa ein paar Wohltätigkeitsprojekte von United Way. Da kommt der Footballverein ins Spiel. Die Jungs haben auf Becky mächtig Eindruck gemacht, aber Tom hat ihr natürlich nicht erzählt, wie viele Spiele die Bucs letztes Jahr gewonnen haben.«

»Das leuchtet ein.«

»Ja, schätze auch. Jedenfalls sind das die größten Männer, die ich je gesehen habe«, erwiderte Sandy lachend.

Es trat eine kurze Pause ein, bevor sie fragte: »Wie geht’s dir? Was gibt’s Neues in Miami?«

Er lachte. »Es ist kalt, was alle in den Wahnsinn treibt. Du kennst das ja: Keiner hat einen Wintermantel oder eine Heizung im Haus. Alle bibbern und sind nicht ganz zurechnungsfähig, bis es wieder wärmer wird. Mir geht’s gut. Ich mag das.«

»Hast du immer noch die Alpträume?«

»Halten sich in Grenzen. Ab und zu mal. Ich hab’s im Griff.«

Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, und er wusste, dass sie es ihm nicht abnahm, aber auch nicht nachhaken würde. Bei dem Gedanken an die verhassten Nächte verkrampften sich unwillkürlich seine Schultern.

»Du könntest psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Das Journal käme dafür auf.«

»Zeitverschwendung, ich hatte seit Monaten keine Träume mehr.«

Sie holte hörbar tief Luft.

»Was hast du?«

»Also, ich denke, du solltest es erfahren.«

»Dann raus mit der Sprache.«

»Tom und ich bekommen ein Baby. Becky ist dann nicht mehr allein.«

Ihm war ein bisschen schwindelig, und alle möglichen Gedanken bestürmten ihn auf einmal. »Also wirklich, ich muss schon sagen. Gratuliere.«

»Danke«, sagte seine Ex-Frau. »Aber ich glaube, dir ist nicht klar, was das bedeutet.«

»Was meinst du?«

»Becky gehört dann zu einer richtigen Familie, mehr als bis jetzt.«

»Ja, und?«

»Du siehst nicht, worauf ich hinauswill, oder? Das heißt, du könntest an den Rand gedrängt werden. Jedenfalls ist das meine Sorge. Es ist schon jetzt nicht einfach für sie, dass du am anderen Ende von Florida lebst.«

»Nicht ich lebe am anderen Ende von Florida, sondern du. Du bist weggezogen.«

»Lass uns nicht die alten Geschichten aufwärmen«, erwiderte Sandy. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. »Jedenfalls ändert sich damit einiges.«

»Ich wüsste nicht, wieso …«, stammelte er.

»Glaub mir, es wird so kommen«, sagte sie. Ihr Ton verriet, dass sie sich ihre Worte schon lange im Voraus zurechtgelegt hatte. »Weniger Zeit für dich. Ich hab gründlich darüber nachgedacht.«

»Aber das entspricht nicht unserer Übereinkunft.«

»Die kann sich ändern. Das war von Anfang an klar.«

»Das sehe ich anders«, antwortete er in einem ersten Anflug von Ärger.

»Wie dem auch sei«, sagte sie abrupt. »Ich habe mir geschworen, ich werde mich nicht aufregen, wenn wir darüber sprechen. Wir werden ja sehen.«

»Aber …«

»Matt, ich muss los. Ich wollte nur, dass du es weißt.«

»Toll«, sagte er. »Tausend Dank.«

»Wir können später drüber reden, falls es etwas zu bereden gibt.«

Klar doch, musste er denken, nachdem du mit Anwälten und Sozialarbeitern geredet und mich ganz rausredigiert hast. Er wusste, dass der Gedanke ungerecht war, doch er ließ sich nicht so leicht verdrängen.

»Es geht hier nicht um dein Leben«, fügte sie hinzu. »Nicht mehr. Es ist meins.«

Und dann legte sie auf.

Da irrst du, dachte er und sah sich in seiner Arbeitsnische um.

Durch ein kleines Fenster sah er den bleigrauen Himmel über der Innenstadt. Dann senkte er den Blick auf die Worte in dem Brief: DAS ICH NICHT BEGANGEN HABE.

Wir sind alle unschuldig, dachte er. Man muss es nur beweisen!

Schließlich versuchte er, die Unterhaltung aus dem Kopf zu bekommen. Er nahm den Brief und las:

Am 4. Mai 1987 war ich gerade in Pachoula, Escambia County, zum Haus meiner Großmutter zurückgekehrt. Ich war im zweiten Studienjahr an der Rutgers University in New Brunswick, New Jersey. Als ich für einige Tage meine Großmutter besuchte, wurde ich zu einer Vernehmung wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung ins Präsidium des Sheriffs geholt. Das Opfer war weiß. Ich bin schwarz. Ein Augenzeuge hatte gesehen, wie eine grüne Ford-Limousine, die einem Modell, das ich besaß, ähnlich sah, wegfuhr von dem Ort, an dem das Mädchen verschwand. Sie hielten mich sechsunddreißig Stunden lang ohne Essen und Trinken, ohne Schlaf und ohne Rechtsbeistand fest. Dabei wurde ich wiederholt von den Deputys verprügelt. Sie schlugen mit zusammengerollten Telefonbüchern auf mich ein, die keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Sie sagten, sie würden mich umbringen; einer hielt mir einen Revolver an den Kopf und drückte immer wieder ab. Jedes Mal klickte der Hammer auf eine leere Kammer. Am Ende erklärten sie mir, wenn ich ein Geständnis ablegte, würde alles gut. Ich hatte solche Angst und war so erschöpft, dass ich das tat. Da ich keine Einzelheiten wusste, gingen sie das Verbrechen mit mir durch, und ich gestand. Nach dieser Tortur hätte ich jedes Geständnis abgelegt.

ABER ICH BIN ES NICHT GEWESEN!

Wenige Stunden später versuchte ich, mein Geständnis zu widerrufen, doch ohne Erfolg. Mein Pflichtverteidiger besuchte mich vor dem Prozess nur drei Mal in meiner Zelle. Er strengte keinerlei Ermittlungen an, berief keine Zeugen, die hätten bestätigen können, dass ich zur Tatzeit woanders war, sorgte nicht für die Aufhebung der erpressten Geständnisse. Die ausnahmslos weißen Geschworenen hörten sich die Beweisaufnahme an und kamen nach einstündiger Beratung zu einem Schuldspruch. Als Strafmaß empfahlen sie die Todesstrafe. Der weiße Richter folgte ihnen. Er sagte, ich sei ein Tier, das man am besten gleich draußen vor dem Gerichtsgebäude erschießen sollte.

Inzwischen bin ich seit drei Jahren im Todestrakt. Ich hoffe sehr, dass ein anderes Gericht meine Verurteilung revidieren würde, doch so etwas dauert oft Jahre. Können Sie mir helfen? Von Mitgefangenen habe ich erfahren, Sie hätten Leitartikel geschrieben, in denen Sie die Todesstrafe verurteilen. Obwohl ich unschuldig bin, hat ein rassistisches Rechtssystem die Höchststrafe gegen mich verhängt. Ressentiments, Ignoranz und Böswilligkeit haben mich in diese Lage gebracht. Bitte helfen Sie mir.

Die Namen meines neuen Anwalts und der Zeugen füge ich an. Ich habe Sie auf meine genehmigte Besucherliste setzen lassen, falls Sie sich entschließen, mit mir zu reden.

Da wäre noch etwas. Ich bin nicht nur unschuldig, sondern kann Ihnen den Namen des wahren Täters nennen.

 

In der Hoffnung auf Ihre Hilfe,

Robert Earl Ferguson

# 212009

Staatsgefängnis Florida

Starke, Fla.

Cowart brauchte eine Weile, um den Inhalt des Briefs zu erfassen. Er las ihn noch ein paar Mal, um seine ersten Eindrücke zu ordnen. Der Mann war eindeutig sprachgewandt und gebildet, seine Darlegung durchdacht, doch Häftlinge, die ihre Unschuld beteuerten, stellten nicht die Ausnahme, sondern die Regel dar. Es war ihm immer ein Rätsel gewesen, wieso die Mehrzahl der Männer selbst noch im Angesicht des Todes an der Behauptung festhielten, es nicht gewesen zu sein. Das galt selbst für die schlimmsten Psychopathen, die Massenmörder, denen ein Menschenleben so wenig bedeutete, dass es für sie keinen Unterschied machte, mit jemandem zu plaudern oder ihn zu töten: Angesichts der drohenden Hinrichtung gaben sie das Unschuldslamm, es sei denn, ein Geständnis war irgendwie von Hilfe. Fast hätte man meinen können, das Wort Unschuld hätte in ihrem Vokabular eine andere Bedeutung, als hätten sie mit dem entsetzlichen Leid, das ihnen selbst einmal zugestoßen war, ihre eigenen späteren Sünden gesühnt.

Bei dem Gedanken hatte er wieder die Augen des Jungen vor sich. Diese Augen tauchten ein ums andere Mal in seinen Alpträumen auf.

Als ihn damals der Anruf aus dem Schlaf riss, herrschte noch weit über Mitternacht hinaus eine bleierne Hitze über Miami. Der Lokalredakteur, der ihn – angesichts der unmenschlichen Uhrzeit mürrisch und vom Beruf zermürbt – zu einem Haus gerade einmal zehn, zwölf Blocks von seinem entfernt dirigierte, schickte ihn in eine Horrorshow. Damals arbeitete er selbst noch im Lokalteil – im Klartext: an Fällen von Mord- und Totschlag. Er war an der genannten Adresse eingetroffen, war eine Stunde lang vor dem Absperrband der Polizei hin und her marschiert und hatte, darauf wartend, dass endlich etwas passierte, durch die Dunkelheit auf ein gepflegtes, einstöckiges Ranch-Haus mit ordentlich gemähtem Rasen und einem neuen BMW in der Einfahrt gestarrt. Das Eigenheim gehörte einem jüngeren Manager und seiner Frau. Cowart sah, wie drinnen Kriminaltechniker und diverse Kripobeamte sowie Mitarbeiter der Gerichtsmedizin ihre Arbeit verrichteten, doch was geschehen war, konnte er nicht erkennen. Die gesamte Umgebung blitzte unter den Warnleuchten der Einsatzfahrzeuge rot und blau auf. Die Lichter schienen durch die Luftfeuchtigkeit vergrößert. Die wenigen Nachbarn, die sich herausgetraut hatten, berichteten von dem Paar in dem Haus dasselbe: nette, freundliche Leute, die nur ein wenig zurückgezogen lebten. Den Reportern war diese Leier nur allzu bekannt. Immer hatten Mordopfer angeblich zurückgezogen gelebt – das Bedürfnis, sich von dem Horror abzusetzen, der aus heiterem Himmel in ihrer unmittelbaren Nähe über jemanden hereingebrochen war, trübte oft die Sicht.

Schließlich hatte er Vernon Hawkins entdeckt, der das Haus durch eine Seitentür verließ. Der alte Detective war vor den Polizeischeinwerfern und den Fernsehkameras geflüchtet, um sich, offenbar völlig erschöpft, an einen Baum zu lehnen.

Er kannte Hawkins damals schon seit Jahren, durch Dutzende Reportagen: Der altgediente Ermittler hatte ihm immer eine besondere Zuneigung entgegengebracht, ihm oft Tipps gegeben, Dinge gezeigt, Zusammenhänge erklärt, die polizeiintern und vertraulich waren – kurz gesagt, dem Reporter den Dreck vor Augen geführt, mit dem sich ein Ermittler der Mordkommission tagtäglich herumschlägt. Cowart war heimlich unter dem gelben Absperrband hindurchgeschlüpft und zielstrebig zu dem Detective gegangen. Der Mann hatte die Stirn gerunzelt, dann mit den Achseln gezuckt und ihn mit einer stummen Geste aufgefordert, näher zu kommen.

Er zündete sich eine Zigarette an, dann starrte er einen Moment auf das glühende Ende. »Die bringen mich noch ins Grab«, sagte er mit einem schuldbewussten Lachen. »Das sind Killer. Früher nur in Raten. Jetzt, wo ich alt werde, geht es schneller.«

»Und wieso geben Sie das Rauchen dann nicht auf?«, fragte Cowart.

»Weil ich noch nie was Besseres gefunden habe, um den Todesgestank aus der Nase zu bekommen.«

Der Detective nahm einen tiefen Zug, und im roten Schimmer leuchteten die Falten in seinem Gesicht auf.

Nach kurzem Schweigen wandte sich der Detective Cowart zu. »Also, Matty, was führt Sie in so einer Nacht hierher? Sollten um diese Zeit daheim bei Ihrer hübschen kleinen Frau sein.«

»Kommen Sie schon, Vernon.«

Der Detective lächelte stumm und lehnte den Kopf wieder an den Baumstamm. »Sie enden noch so wie ich und haben nachts nichts Besseres zu tun, als zu Tatorten zu fahren.«

»Lassen Sie’s gut sein, Vernon. Was können Sie mir über das, was da drinnen passiert ist, erzählen?«

Der Polizist stieß ein kurzes Lachen aus. »Ein Mann, nackt und tot. Die Kehle durchgeschnitten, als er im Bett lag. Eine Frau, nackt und tot. Kehle durchgeschnitten, als sie im Bett lag. Alles von oben bis unten voller Blut.«

»Und?«

»Ein Tatverdächtiger verhaftet.«

»Wer?«

»Ein Jugendlicher; Junge aus Des Moines, den sie irgendwann am Abend aufgegabelt hatten. Sind bis zum Strich von Fort Lauderdale runtergefahren, um sich jemanden zu suchen. Sie fuhren auf perverse Dreier ab. Nur dass es dem Jungen, nachdem sie ihren Spaß mit ihm gehabt hatten, dämmerte, dass es da außer dem Hunderter, den sie ihm zahlten, vielleicht noch mehr für ihn zu holen gab. Ich meine, er sah das Auto, die schöne Wohngegend und so. Es kam zum Streit. Er zog eine stinknormale Rasierklinge aus der Tasche. So was ist immer noch eine ziemlich wirkungsvolle Waffe. Schlitzte dem Mann mit einem Hieb die Halsschlagader auf …«

Der Detective unterstrich seine Worte mit einer blitzschnellen, scharfen Handbewegung durch die nächtliche Luft.

»… der Mann sackt zu Boden, als hätte er einen Schuss abbekommen. Röchelt noch ein paar Mal, und das war’s. Gerade noch lange genug am Leben, um zu begreifen, dass er stirbt. Kein angenehmer Tod. Natürlich schreit die Frau und versucht, wegzurennen. Also packt der Bursche sie an den Haaren, zieht ihr den Kopf zurück und zack. Richtig schnell, sie hat nur noch einen letzten Schrei ausgestoßen. Trotzdem, Pech für den Jungen. Ein Nachbar hat sie gehört und uns angerufen. Der Mann litt unter Schlaflosigkeit und war noch mal mit dem Hund rausgegangen. Wir haben uns den Burschen geschnappt, als er zur Haustür rauskam und alles, was nicht niet- und nagelfest war – Stereoanlage, Fernseher, Kleider –, blutüberströmt, wie er war, in den Wagen schleppte.«

Er blickte quer über den Garten und fragte ausdruckslos: »Matty, wie lautet Hawkins’ erstes Gesetz der Straße?«

Cowart schmunzelte. Hawkins war immer für einen Spruch gut. »Das erste Gesetz, Vernon, besagt, dass man nie nach Problemen Ausschau zu halten braucht, denn die Probleme treffen einen von selbst.«

Der Polizist nickte. »Reizender Junge. Ganz reizender, psychopathischer Junge. Sagt, er könnte nichts dafür.«

»Du liebe Güte.«

»So seltsam ist das gar nicht«, fuhr der Detective fort. »Ich meine, wahrscheinlich ist der Kleine davon überzeugt, dass unser junger Manager und sein Frauchen selbst schuld sind, dass das passiert ist. Hätten sie nicht versucht, ihn übers Ohr zu hauen, so was in der Art.«

»Aber …«

»Keine Reue. Nicht der Funken von Mitleid oder sonst irgendwelchen menschlichen Regungen. Einfach nur ein Junge. Erzählt mir in allen Einzelheiten, wie es gewesen ist, und sagt am Schluss: ›Ich hab nix gemacht, ich bin unschuldig. Ich will einen Anwalt.‹ Wir stehen da, und überall ist Blut, und er sagt, er hat nix gemacht. Wahrscheinlich, weil es ihm nichts bedeutete. Himmel …«

Ratlos und erschöpft lehnte er sich zurück. »Und wissen Sie, wie alt der Bursche ist? Fünfzehn. Letzten Monat fünfzehn geworden. Sollte zu Hause sein und sich mit Pickeln, Dates und Hausaufgaben beschäftigen. Kommt mit Sicherheit in den Jugendknast, jede Wette!«

Der Detective schloss mit einem Seufzer die Augen. »›Ich hab nix gemacht. Ich hab nix gemacht.‹ Gütiger Gott.«

Er streckte die Hand aus. »Sehen Sie sich das an. Da hab ich neunundfünfzig Jahre auf dem Buckel, bin kurz vor der Pensionierung und bilde mir ein, mich haut so schnell nichts mehr um.«

Dem alten Freund zitterte die Hand. Cowart sah es deutlich im blinkenden Licht der Streifenwagen.

»Wissen Sie was?«, sagte Hawkins und starrte auf seine Hand. »Ich kann so was einfach nicht mehr hören. Manchmal stelle ich es mir erträglicher vor, es mit der Knarre zu regeln, als mir noch ein einziges Mal anzuhören, wie so ein Scheißkerl über das Blutbad, das er angerichtet hat, redet, als wär nichts. Als hätte er nicht mal eben so jemandem das Licht ausgepustet, sondern ein Bonbonpapier zerknüllt und weggeworfen. Verschmutzung des öffentlichen Raums statt Mord.«

Er drehte sich zu Cowart um. »Wollen Sie’s sehen?«

»Was denken Sie denn! Gehen wir rein«, antwortete er entschlossen.

Hawkins sah ihn eindringlich an. »Ich wär mir an Ihrer Stelle nicht so sicher. Sie sind immer schnell bei der Hand, wenn es darum geht, sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Ist kein schöner Anblick, glauben Sie’s mir.«

»Nein«, sagte Cowart. »Es ist mein Job.«

Der Detective zuckte mit den Achseln. »Wenn ich Sie da mit reinnehme, müssen Sie mir was versprechen.«

»Das wäre?«

»Sie gucken sich an, was er getan hat, danach zeig ich Ihnen den Jungen, er ist in der Küche – aber Sie machen in Ihrem Artikel deutlich, dass er nicht der Junge von nebenan ist, ja? Kein armes, benachteiligtes, bedauernswertes, kleines Kind. Das wird sein Anwalt sagen, sobald er auf der Bildfläche erscheint. Ich will was anderes lesen. Machen Sie ihnen klar, dass er ein eiskalter Killer ist, verstanden? Eiskalt. Ich will nicht, dass irgendjemand die Zeitung in die Finger kriegt, ein Bild von ihm sieht und denkt: Wie kann so ein netter Junge etwas so Schlimmes verbrochen haben?«

»Das lässt sich machen«, sagte Cowart.

»Gut.« Der Polizist zuckte mit den Achseln, stand auf und ging mit ihm Richtung Haustür. An der Schwelle drehte er sich noch einmal zu Cowart um und fragte: »Sind Sie sicher? Das sind ganz gewöhnliche Leute wie du und ich. Das hier werden Sie nie vergessen. Ihr ganzes Leben nicht.«

»Gehen wir.«

»Matty, hören Sie ein einziges Mal auf einen alten Mann, der’s gut mit Ihnen meint.«

»Gehen wir, Vernon.«

»Dann müssen Sie mit dem Alptraum leben«, erwiderte der Detective. Und er sollte recht behalten.

Cowart hatte die Leichen des Managers und seiner Frau vor Augen, als wäre es gestern gewesen. Sie waren von oben bis unten so voller Blut, als trügen sie rotbraune Kleidung. Jedes Mal, wenn das Blitzlicht des Polizeifotografen aufflackerte, schimmerten die Toten für einen Moment auf.

Wortlos war er dem Ermittler in die Küche gefolgt. Dort saß der Junge in Sportschuhen und Jeans, mit nacktem Oberkörper. Ein Arm war mit Handschellen an den Stuhl gekettet. Sein Körper war blutverschmiert, doch er achtete nicht darauf und rauchte lässig eine Zigarette, die er in der freien Hand hielt. Fast wirkte er dadurch noch jünger, wie ein Kind, das sich gegenüber den Polizisten im Raum besonders cool gab, um älter zu wirken, gerade dadurch jedoch besonders naiv schien. Das blonde Haar des Jungen war teilweise von getrocknetem Blut verklebt, das auch eine Wange bräunlich färbte. Dem Teenager wuchs noch kein Bart.

Als Cowart mit dem Detective den Raum betrat, sah der Junge auf. »Wer ist das?«, fragte er und deutete mit einer Kopfbewegung auf Cowart.

Eine Sekunde lang blickte Cowart ihm in die Augen. Sie waren stahlblau und abgründig böse. Cowart hatte das Gefühl, als starrte er auf die Schneide eines Henkersbeils.

»Er ist Reporter, beim Journal«, erwiderte Hawkins.

»He, Reporter!«, sagte der Junge und brach in ein Grinsen aus.

»Was ist?«

»Machen Sie allen klar, dass ich nichts getan hab«, sagte er. Dann lachte er heiser und schrill zugleich, ein Laut, der Cowart wie ein Echo verfolgte, als ihn Hawkins aus der Küche in die Morgendämmerung geleitete – und sich ihm unauslöschlich ins Gedächtnis eingrub.

Er war in sein Büro zurückgekehrt und hatte den Artikel über den aufstrebenden Manager, seine Frau und den Jungen verfasst. Er hatte die blutgetränkte, verkrumpelte Bettwäsche beschrieben, die roten Spritzflecken, die wie auf einem Gemälde von Dalí die Wände überzogen. Er hatte das Viertel und das gepflegte Haus geschildert, die gerahmte Urkunde an einer Wand erwähnt, eine Auszeichnung für besonders erfolgreiche Verkaufsabschlüsse. Auch die Verlockungen von illegalem Sex, denen biedere Vorstadtbürger erliegen, und den Strich in Fort Lauderdale, auf dem jede Nacht Minderjährige ihre Dienste anboten und von Minute zu Minute alterten, behandelte er in seinem Artikel. Schließlich hatte er seinem Freund die Bitte erfüllt und die Augen des Jungen festgehalten.

Geendet hatte er mit den Worten des Täters.

Als er am Abend mit einem Vorabdruck, von dem ihm auf der Titelseite sein Artikel entgegensprang, nach Hause kam, hatte ihn eine Erschöpfung erfasst, die über Schlafmangel weit hinausging. Er war ins Bett gekrochen und hatte sich, wie von fiebrigem Schüttelfrost gepackt, an seine Frau geschmiegt, als könne er nirgends sonst auf der Welt Wärme finden, auch wenn er bereits wusste, dass sie ihn verlassen wollte.

Cowart schüttelte den Kopf, um mit der letzten Schläfrigkeit die Erinnerungen hinter sich zu lassen, und sah sich an seinem Arbeitsplatz um.

Hawkins war inzwischen tot – in einer kleinen Feierstunde hatten sie ihn mit einer bescheidenen Pension verabschiedet und dem Schicksal eines Emphysems überlassen, das ihn seinen Lebensrest heraushusten ließ. Cowart war zu der Feierstunde gegangen und hatte geklatscht, als der Polizeichef die Verdienste des Ermittlers würdigte. Danach hatte er ihn so oft, wie er konnte, in seiner kleinen Wohnung in Miami Beach besucht. Es war eine spärlich eingerichtete Wohnung gewesen, mit Zeitungsausschnitten von Cowart und anderen Reportern an den Wänden. »Vergiss die Regeln nicht«, hatte Hawkins jedes Mal zum Abschied gesagt. »Und wenn du dir nicht merken kannst, was ich dir über die Straße gesagt habe, dann stell dir deine eigenen Regeln auf und richte dich danach.« Sie hatten gelacht. Schließlich hatte er ihn im Krankenhaus besucht, war heimlich vor Dienstschluss aus der Redaktion verschwunden, um mit dem Detective Geschichten auszutauschen, bis er Hawkins eines Tages im Koma unter einem Sauerstoffzelt vorfand und nicht wusste, ob der schwerkranke Mann ihn hören konnte, als er seinen Namen flüsterte, oder etwas spürte, als er seine Hand nahm. Eine ganze Nacht lang hatte er an seinem Bett gesessen und am Ende nicht sagen können, wann genau sein alter Weggefährte hinübergegangen war. Der Beerdigung hatte er zusammen mit ein paar anderen Polizeiveteranen beigewohnt. Ein mit einer Flagge geschmückter Sarg, ein paar Worte von einem Priester. Keine Ehefrau, keine Kinder. Keine Tränen. Nur Alpträume aus einem langen Berufsleben, die am Ende langsam mit ihm in die Erde versenkt wurden. Er fragte sich, ob es so ähnlich sein würde, wenn er starb.

Ich wüsste gerne, was aus dem Jungen geworden ist, dachte er. Wahrscheinlich längst aus der Jugendstrafanstalt entlassen und wieder auf der Straße. Oder in der Zelle neben dem Verfasser des Briefs im Todestrakt. Oder tot.

Er betrachtete den Brief.

Wenn überhaupt, war das der Stoff für eine Reportage und nicht für einen Leitartikel. Er sollte ihn an einen Kollegen der Lokalredaktion weitergeben. Das ist nicht mehr mein Aufgabenbereich. Ich vertrete Meinungen. Ich schreibe mit kühlem Kopf, im Namen der Redaktion, die sich darauf verständigt, wie man Stellung bezieht.

Er hatte sich schon halb von seinem Platz erhoben, um genau das zu tun, hielt jedoch plötzlich inne.

Ein unschuldiger Mann.

Er versuchte, sich bei all den Verbrechen und Prozessen, über die er Bericht erstattet hatte, an einen einzigen wirklich unschuldigen Mann zu erinnern. Sicher, er hatte eine beträchtliche Zahl Freisprüche erlebt oder Fälle, bei denen es aus Mangel an Beweisen gar nicht erst zur Anklageerhebung kam, schließlich auch Verfahren, die dank der Eloquenz eines Verteidigers oder einer stümperhaften Anklagevertretung nicht zur Verurteilung führten. An jemanden, der wirklich unschuldig war, erinnerte er sich nicht. Einmal hatte er Hawkins gefragt, ob er je einen Tatverdächtigen festgenommen habe, der sich tatsächlich als unschuldig erwies, und Hawkins hatte gelacht. »Jemand, der es wirklich nicht gewesen ist? Sicher, jeder hat ein paar Fälle, bei denen er Mist baut. Da draußen laufen eine Menge Leute rum, die hinter Gitter gehören. Aber jemanden hochnehmen, der wirklich unschuldig ist? Das ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Ich weiß nicht, ob ich damit leben könnte. Nee, mein Lieber, das wär das Einzige, was mir schlaflose Nächte bereiten würde.«

Er hielt den Brief in der Hand: DAS ICH NICHT BEGANGEN HABE. Gibt es jemanden, fragte er sich, dem Robert Earl Ferguson schlaflose Nächte bereitet?

Plötzlich hatte er dieses Kribbeln im Bauch. Falls das wahr ist … Er würgte den Gedanken ab und kämpfte gegen den Anflug von Ehrgeiz an.

Cowart kam ein Interview mit einem Basketballspieler in den Sinn, das er vor Jahren gelesen hatte. Der Mann hatte es geschafft, nach einer langen Karriere im richtigen Moment in Würde abzutreten. Der Mann hatte seine Erfolge und seine Niederlagen im selben Atemzug erwähnt, als betrachte er beide mit derselben abgeklärten Haltung. Auf die Frage, wieso er beschlossen habe, aufzuhören, hatte er ausführlich über seine Familie und seine Kinder gesprochen und die Einsicht, dass er das Spiel seiner Kindheit hinter sich lassen müsse, um in seinem Leben ein neues Kapitel aufzuschlagen. Dann hatte er seine Beine erwähnt – als wären sie nicht einfach nur ein Teil seines Körpers, sondern gute alte Freunde. Er könne nicht mehr so gut springen wie früher; wenn er jetzt vor dem Korb zum Sprung ansetze, bereiteten ihm dieselben Muskeln, die ihn früher mühelos in die Höhe schnellen ließen, Schmerzen, und sie gäben ihm unmissverständlich zu verstehen, dass sie für den Sport zu alt geworden seien. Wenn aber seine Beine nicht mehr so wollten wie er, hatte er betont, sei es töricht, weiterzumachen. Anschließend war er zu seinem letzten Spiel hinausgegangen und hatte mit geschmeidiger Eleganz achtunddreißig Punkte erzielt, indem er so wie in früheren Jahren mühelos die Stellung wechselte, sich um die eigene Achse drehte und so hoch über den Korb sprang, dass er den Ball nur noch hineinzulegen brauchte. Es war, als hätte sein Körper diesem Mann eine letzte Gelegenheit gegeben, einen unauslöschlichen Eindruck zu hinterlassen. Cowart war die Parallele zum Beruf des Reporters nicht entgangen: Man musste einigermaßen jung sein, um nicht zu ermüden, eine besondere Ausdauer und Beharrlichkeit mitbringen, musste Schlafmangel, Hunger und Liebesverzicht in Kauf nehmen, wenn man einer guten Story auf der Spur war. Die Besten unter ihnen brachten es zu Höhenflügen, während andere sich zurücklehnten.

Unwillkürlich spannte er die Wadenmuskeln an.

Ich hab mal zu dieser Sorte gehört, dachte er, bevor ich es mir auf diesem Sessel bequem gemacht habe, um den Alpträumen zu entkommen, im Anzug im Büro zu erscheinen, umsichtig zu handeln und in Würde alt zu werden. Jetzt bin ich geschieden, meine Ex-Frau nimmt mir das Einzige, was ich jemals rückhaltlos geliebt habe, und ich verschließe die Augen vor der Realität, um Meinungen über Ereignisse abzugeben, die keinerlei Einfluss haben.

Er hielt den Brief in der Hand.

Unschuldig, dachte er, das wird sich zeigen.

 

Die Bibliothek des Journal war eine seltsame Mischung aus Alt und Neu. Sie lag direkt hinter der Nachrichtenredaktion, genauer gesagt, hinter den Schreibtischen der Journalisten vom Feuilleton. In mehreren Aktenschränken waren jahrzehntealte Zeitungsausschnitte archiviert. In der Vergangenheit war jeder Artikel nach Person, Thematik, Ort und Geschehen untergliedert und ordentlich abgelegt worden, was heute längst die neueste Computertechnik übernommen hatte. So markierten die Archivare in jedem Beitrag die zentralen Personennamen und Stichworte und speisten sie in die entsprechenden elektronischen Ordner ein. Cowart zog die altmodische Suche vor und legte die Ausschnitte mit realer Druckerschwärze auf realem Papier wie Karten auf seinem Schreibtisch aus, um sich herauszupicken, was ihm nützlich erschien. Es war, als halte er auf diese Weise ein Stück Geschichte in Händen statt eines effizienten, seelenlosen Suchergebnisses.

Jedes Mal, wenn er diesen Fundus benutzte, konnte er sich nicht verkneifen, die Archivare damit aufzuziehen.

Als er eintrat, erspähte ihn eine junge Frau. Sie war groß und schlank, mit vollem, blondem Haar. Sie sah über den dünnen Metallrand ihrer Brille hinweg zu ihm auf.

»Schlucken Sie’s runter, Matt.«

»Was?«

»Das, was Sie immer sagen. Wie schön es in den guten alten Tagen war.«

»Ich sag’s nicht.«

»Gut.«

»Weil Sie es selbst gerade so treffend erwähnten.«

»Das zählt nicht«, antwortete die Frau lachend. Sie stand auf und kam zu ihm herüber. »Also, womit kann ich dienen?«

»Laura, die Archivarin. Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie sich die Augen ruinieren, wenn Sie den ganzen Tag auf diesen Computerbildschirm starren?«

»Jeder.«

»Wenn ich Ihnen einen Namen nenne …«

»… besorge ich mit den Zaubertricks des Computers den Rest.«

»Robert Earl Ferguson.«

»Noch was?«

»Todestrakt. Vor ungefähr drei Jahren im County Escambia verurteilt.«

»Also, dann schauen wir mal …« Sie setzte sich kerzengerade vor einen Bildschirm und tippte den Namen ein. Die Suche dauerte eine Weile, dann machte der Apparat ein Geräusch, als hätte er Schluckauf, und auf dem Monitor formierten sich Worte.

»Was meldet er?«, fragte er die Frau.

»Mehrere Einträge. Muss ich mir genauer ansehen.« Sie tippte eine weitere Buchstabenfolge ein, und der Computer spuckte weitere Wörter aus. Sie las die Schlagzeilen und Überschriften vor. »Ehemaliger Student des Mädchenmordes schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt; Berufung in Mordfall abgewiesen; Anhörungen zu Todesurteilen am Obersten Gerichtshof von Florida. Das ist alles. Drei Meldungen. Alle aus der Regionalausgabe der Golfküste; nichts in der Hauptausgabe, außer dem letzten Beitrag, wahrscheinlich eine Art Zusammenfassung.«

»Etwas kümmerlich für einen Mord und ein Todesurteil«, sagte Cowart. »Wissen Sie, in der guten alten Zeit haben wir über jeden Mordprozess berichtet …«

»Das war einmal.«

»Damals war ein Menschenleben noch mehr wert.«

Die Archivarin zuckte mit den Achseln. »Ein gewaltsamer Tod war aufsehenerregender als heute, und im Übrigen sind Sie viel zu jung, um über die gute alte Zeit zu lamentieren. Wahrscheinlich meinen Sie die Siebziger …« Sie lächelte, und Cowart lachte mit. »Wie dem auch sei, Todesurteile sind in Florida inzwischen ein alter Hut. Wir haben derzeit …« Sie zögerte und legte den Kopf in den Nacken, als suchte sie die Antwort an der Zimmerdecke. »… über zweihundert Männer im Todestrakt. Der Gouverneur unterzeichnet jeden Monat ein paar Vollstreckungsbefehle. Das heißt zwar immer noch nicht, dass sie wirklich dran sind, nur …« Sie sah ihn mit einem Lächeln an. »Aber da sag ich Ihnen schließlich nichts Neues, Matt, Sie haben letztes Jahr doch all diese Leitartikel geschrieben. Todesurteile in einer zivilisierten Nation und so, stimmt’s?«

»Ja. Meine Argumentation lief im Wesentlichen darauf hinaus, dass wir keinen staatlich sanktionierten Mord dulden sollten. Drei Leitartikel, im Ganzen vielleicht vierhundert Zeilen. Im Gegenzug haben wir über fünfzig Leserbriefe abgedruckt, die – wie soll ich sagen – meiner Position widersprachen. Die fünfzig haben wir aus der Protestflut herausgesucht. Die freundlichsten machten den schlichten Vorschlag, mich auf einem öffentlichen Platz zu köpfen. Die fiesen brachten einiges mehr an Phantasie auf.«

Die Bibliothekarin lächelte. »Ist nicht unsere Aufgabe, uns lieb Kind zu machen. Soll ich die für Sie ausdrucken?«

»Ja, bitte. Aber ich fände es schöner, geliebt zu werden …«

Sie grinste und wandte sich zum Computer um. Erneut flogen ihre Finger über die Tasten, und schon surrte der Drucker in der Ecke und ratterte, während er die Artikel ausspie. »Das hätten wir. Verfolgen Sie eine bestimmte Fährte?«

»Möglich«, erwiderte Cowart und nahm den Stoß Blätter heraus. »Ein Kerl, der beteuert, er wäre es nicht gewesen.«

Die junge Frau lachte. »Also, das wäre ja wirklich interessant. Und mal was Neues.« Damit drehte sie sich wieder zu ihrem Monitor um, und Cowart kehrte in sein Büro zurück.

 

Die Ereignisse, die Robert Earl Ferguson in den Todestrakt gebracht hatten, nahmen nach und nach Gestalt an, als Cowart die Berichterstattung zu dem Fall las. So dürftig die Ausbeute des Archivs auch war, half sie ihm dennoch, sich nach und nach ein Bild von dem Mann zu machen. Er erfuhr, dass es sich bei dem Opfer um ein elfjähriges Mädchen gehandelt hatte und dass ihre Leiche am Rand eines Sumpfs unter dichtem Gestrüpp gefunden worden war.

Es war nicht schwer, sich das schmutzig grünbraune Laub vorzustellen, unter dem sich die Leiche verbarg – ein schlammiger, stinkender Ort, ein Ort der Verwesung, ein passender Ort, um den Tod zu finden.

Er las weiter.